Der Feind der ganzen Welt

Silas Bannerman war es, dem es schließlich gelang, Emil Gluck, ein wissenschaftliches Genie und einen Erzfeind der Menschheit, zur Strecke zu bringen. Glucks Geständnis, das er kurz vor dem elektrischen Stuhl ablegte, brachte Licht in eine Reihe von rätselhaften, dem Anschein nach nichtzusammenhängenden Vorkommnissen, die die Welt zwischen und in Angst und Schrecken versetzt hatten. Erst als jenes bemerkenswerte Dokument der Öffentlichkeit bekannt wurde, kam der Welt in den Sinn, daß es zwischen der Ermordung des Königs und der Königin von Portugal sowie den Morden an New-Yorker Polizeibeamten einen Zusammenhang geben könnte. Obwohl die Taten des Emil Gluck entsetzlich waren, müssen wir in einem gewissen Maß doch Mitleid mit diesem unglücklichen mißgestalteten und mißhandelten Genie empfinden. Diese Seite seiner Geschichte ist noch nie erzählt worden, aber aufgrund seines Geständnisses und des umfangreichen Beweismaterials sowie der Dokumente und Berichte aus jener Zeit sind wir in der Lage, ein ziemlich genaues Bild von ihm zu zeichnen und die Faktoren und Einflüsse zu erkennen, die ihn zu einem solchen Ungeheuer gemacht haben und ihn auf seinem furchtbaren Weg hin und her trieben.

Emil Gluck wurde in Syracuse, New York, geboren. Sein Vater, Josephus Gluck, war Hilfspolizist und Nachtwächter und starb im Jahre ganz überraschend an Lungenentzündung. Die Mutter, eine hübsche, zierliche Frau, die vor ihrer Ehe Fabrikarbeiterin gewesen war, grämte sich über den Verlust des Ehemannes selbst zu Tode. Die Empfindsamkeit der Mutter war das Erbteil, das sich in dem Jungen zum Krankhaften und Grauenvollen steigerte.

kam der Sechsjährige zu seiner Tante, Mrs. Ann Bartell. Sie war zwar die Schwester seiner Mutter, in ihrer Brust gab es jedoch keinen Funken Zuneigung für den empfindsamen, scheuen Knaben. Ann Bartell war eine arrogante, dumme und herzlose Frau. Dazu war sie mit Armut und einem nichtsnutzigen, unsteten Ehemann geschlagen. Der kleine Emil war nicht erwünscht, und Ann Bartell ließ ihn das deutlich spüren. Um die Art der Behandlung, die er in dieser frühen prägenden Phase erführ, zu illustrieren, sei das folgende Beispiel gegeben.

Als er etwa ein Jahr lang im Hause der Bartells gelebt hatte, brach er sich ein Bein. Er hatte sich die Verletzung beim Spielen auf dem Dach zugezogen, was verboten war, was aber Jungen immer getan haben und bis ans Ende der Zeiten tun werden. Das Bein war an zwei Stellen oberhalb des Knies gebrochen. Es gelang Emil, sich mit Hilfe seiner Spielkameraden auf den Gehweg zu schleppen, wo er ohnmächtig wurde. Die Kinder der Umgebung fürchteten sich vor der grobschlächtigen Xanthippe, die im Hause Bartell herrschte; dennoch nahmen sie allen Mut zusammen, klingelten und erzählten der Frau von dem Unfall. Sie schaute sich den kleinen Burschen, der verwundet auf dem Gehweg lag, nicht einmal an, sondern schlug die Tür zu und ging wieder an ihren Waschtrog. Die Zeit verstrich. Es fing an zu nieseln, und der aus der Ohnmacht erwachte Emil lag schluchzend im Regen. Das Bein hätte sofort gerichtet werden müssen, so aber schritt die Entzündung schnell voran, und es wurde eine böse Sache. Nach zwei Stunden beschwerten sich die empörten Frauen aus der Nachbarschaft bei Ann Bartell. Diesmal kam sie heraus und schaute sich den Jungen an. Sie stieß den hilflos zu ihren Füßen Liegenden in die Seite und lehnte es hysterisch ab, mit ihm etwas zu tun zu haben. Er sei nicht ihr Kind, sagte sie, man solle einen Krankenwagen rufen, der den Jungen ins Städtische Krankenhaus bringen könne. Dann lief sie wieder ins Haus.

Eine Frau namens Elizabeth Shepstone, die gerade vorüberkam und die Situation sofort erfaßte, veranlaßte, daß der Junge auf einen Fensterladen gelegt wurde. Sie ließ den Arzt holen und sorgte dafür, daß der Junge ins Haus getragen wurde, wobei sie Ann Bartell einfach beiseite schob. Als der Arzt kam, warnte die Bartell ihn sogleich, daß sie ihn für seinen Dienst nicht bezahlen werde. Zwei Monate lag der kleine Emil im Bett, den ersten auf dem Rücken, ohne auch nur einmal umgedreht zu werden; er lag allein und ohne jegliche Zuwendung, mit Ausnahme der gelegentlichen Besuche des nicht honorierten und überarbeiteten Arztes. Er hatte kein Spielzeug, nichts, womit er sich die langen und öden Stunden hätte vertreiben können. Kein freundliches Wort wurde zu ihm gesprochen, keine besänftigende Hand auf seine Stirn gelegt, keine einzige Berührung oder liebevolle Zärtlichkeit - nichts als die Vorwürfe und die Strenge der Bartell sowie der ständig wiederholte Satz, daß er nicht erwünscht sei. Man kann sich gut vorstellen, wie sich unter solchen Umständen Bitterkeit und Feindseligkeit gegen alle Welt in dem einsamen, mißachteten Jungen anstauten, die später in seinen furchtbaren, die Welt in Schrecken

versetzenden Taten ihren Ausdruck fanden.

Es muß merkwürdig erscheinen, daß Emil Gluck aus der Hand dieser Frau das Geld für eine Collegeausbildung er halten haben soll; aber die Erklärung ist ganz einfach. Ihr nichtsnutziger Mann hatte sich aus dem Staub gemacht und es in den Goldminen von Nevada zu einem Vermögen gebracht. Er kehrte als mehrfacher Millionär zu ihr zurück. Da die Bartell den Jungen haßte, schickte sie ihn sofort an die hundert Meilen entfernte Farristown Academy. Schüchtern und zurückhaltend, eine einsame und unverstandene Seele, war er in Farristown einsamer denn je. Er fuhr in den Ferien und an den Feiertagen nie nach Hause wie die anderen Jungen. Statt dessen durchstreifte er die verlassenen Gebäude und das Gelände, traf bei den Angestellten und Gärtnern auf Freundlichkeit oder Unverständnis; er las viel, man erinnert sich, daß er seine Tage auf den Feldern oder vor dem Kamin verbrachte, die Nase stets in ein Buch gesteckt. In jener Zeit überanstrengte er auch seine Augen und mußte fortan eine Brille tragen, die auf den von ihm gemachten Fotos so auffiel.



Er war ein bemerkenswerter Student. Sein Fleiß hätte ihn weit bringen können, aber eigentlich bedurfte er gar nicht eines solchen Fleißes. Er brauchte nur einen kurzen Blick auf einen Text zu werfen, um ihn zu beherrschen. So kam es, daß er sehr viel nebenbei lesen konnte und in einem halben Jahr mehr lernte, als der Durchschnittsstudent in mehreren Jahren schaffte. , knapp vierzehn Jahre alt, war er reif - „mehr als reif‘ - für Yale oder Harvard. Er war zu jung, als daß er an eine dieser Universitäten gehen konnte, und so findet man ihn als Studenten an dem historischen Bowdoin College. erwarb er mit Auszeichnung sein Diplom und folgte kurz danach Professor Brad-lough nach Berkeley, Kalifornien. Professor Bradlough war der einzige Freund, den Emil Gluck in seinem ganzen Leben gefunden hatte. Er litt an einer Lungenschwäche, weshalb er von Maine nach Kalifornien ging, was dank einer ihm an der dortigen State University angebotenen Professur möglich geworden war. Das ganze Jahr verbrachte Emil Gluck in Berkeley und belegte wissenschaftliche Spezialkurse. Gegen Ende dieses Jahres veränderten zwei Todesfälle seine Zukunft und seine Einstellung zum Leben. Der Tod Professor Bradloughs nahm ihm den einzigen Freund, den er je hatte, und Ann Bartells Tod ließ ihn völlig mittellos zurück. Diese hatte ihn in ihrem bis zuletzt währenden Haß mit hundert Dollar abgespeist.

Im folgenden Jahr wurde der zwanzigjährige Emil Gluck Assistent für Chemie an der Universität von Kalifornien. Die Jahre vergingen ruhig; treu und brav erfüllte er die Pflichten, die ihm das Gehalt einbrachten, und eigentlich immer noch Student, erwarb er ein halbes Dutzend akademischer Grade. Er war unter anderem Doktor der Soziologie, der Philosophie und der Naturwissenschaft, obwohl man ihn später nur als Professor Gluck kannte.

Als er siebenundzwanzig war, wurde die Presse das erstemal auf ihn aufmerksam. Es war nach der Veröffentlichung seines Buches „Sex und Fortschritt.“ Das Buch ist heute noch ein Meilenstein in der Geschichte und Philosophie der Ehe. Es ist ein dicker Wälzer von über siebenhundert Seiten, äußerst sorgfältig und genau sowie aufsehenerregend und originell. Es war ein Buch für Wissenschaftler, und niemand dachte an einen Skandal. Aber in seinem letzten Kapitel hatte Gluck eine Bemerkung gemacht - nicht mehr als drei Zeilen übrigens - , die den hypothetischen Wunsch nach Versuchsehen andeutete. Sofort griffen die Zeitungen diese drei Zeilen auf, spielten sie hoch und sorgten dafür, daß die ganze Welt über Gluck lachte, den bebrillten jungen Professor von siebenundzwanzig Jahren. Fotografen machten Schnappschüsse von ihm, Reporter belagerten ihn, im ganzen Land verfaßten Frauenvereine Resolutionen, die ihn und seine unmoralischen Theorien verurteilten, und bei der Beratung des Kalifornischen Repräsentantenhauses über die Staatszuwendungen für die Universität kam ein Antrag aus dem Auditorium, in dem die Entlassung Glucks gefordert wurde. Anderenfalls, so drohte man an, werde die Unterstützung zurückgehalten. Natürlich hatte keiner von seinen Anklägern das Buch gelesen; die entstellte Zeitungsversion der drei Zeilen nahmen sie fürs Ganze. Das war der Anfang von Glucks Haß auf die Zeitungsleute. Durch sie war das ernsthafte und wertvolle Werk sechsjähriger Arbeit zu einer berüchtigten Zielscheibe des Spottes geworden. Bis zum Tode hatte er ihnen nicht verziehen, was sie ihrerseits ewig bedauern sollten.

Die Zeitungen waren auch verantwortlich für das nächste Unglück, das über ihn kam. In den fünf Jahren nach Erscheinen seines Buches hatte er geschwiegen, und Schweigen ist nicht gut für einen einsamen Mann. Man kann mitfühlend mutmaßen, welcherart die Einsamkeit Emil Glucks an der belebten Universität gewesen sein muß; denn er hatte keine Freunde und genoß keine Sympathie. Seine einzige Zuflucht waren Bücher, so las und studierte er weiterhin maßlos viel. Aber im Jahre nahm er eine Einladung der Gesellschaft für das Interesse am Menschen in Emeryville an. Er hatte kein Vertrauen in seine Vortragsfähigkeit. Während wir an dem vorliegenden Text arbeiten, haben wir eine Abschrift seines gelehrten Vortrages vor uns liegen: Er ist nüchtern, sachlich, wissenschaftlich, und man muß hinzufügen, konservativ. Aber an einer Stelle handelt er von, ich zitiere, „der industriellen und sozialen Revolution, die in der Gesellschaft vor sich geht.“ Einer der anwesenden Reporter griff das Wort „Revolution“ auf und schrieb einen entstellten Bericht, in dem Gluck zum Anarchisten gestempelt wurde. Mit einemmal jagte „Professor Gluck, der Anarchist“ durch alle Telegrafenleitungen und wurde von allen Zeitungen des Landes groß herausgebracht.

Bei der ersten Zeitungsattacke hatte er den Versuch gemacht, eine Erwiderung vorzubringen, aber diesmal schwieg er. Bitterkeit hatte sich bereits in seiner Seele eingenistet. Die Fakultät forderte ihn auf, sich zu verteidigen, aber er lehnte störrisch ab und widersetzte sich sogar, eine Abschrift seiner Arbeit zu seiner Verteidigung einzureichen, um eine Entlassung abzuwenden. Er weigerte sich zurückzutreten und wurde von der Fakultät verwiesen. Es muß hinzugefügt werden, daß auf die Universitätsleitung und ihren Präsidenten politischer Druck ausgeübt worden war.

Verfolgt, verleumdet und mißverstanden, unternahm der unglückliche und einsame Mann keinerlei Versuch der Vergeltung. Sein ganzes Leben hatte man sich gegen ihn vergangen, und sein ganzes Leben hatte er niemandem etwas zuleide getan. Aber noch war das Maß seines Leidens nicht voll. Da er seine Stellung verloren hatte und ohne Einkommen war, mußte er sich Arbeit suchen. Zuerst fand er eine Anstellung bei der Union Iron Works in San Francisco, wo er sich als sehr fähiger Konstruktionszeichner erwies. Hier erwarb er gründliche Kenntnisse über Kriegsschiffe und ihren Aufbau. Aber die Reporter spürten ihn auf und schrieben Artikel über ihn in seinem neuen Beruf. Er kündigte sofort und fand eine neue Arbeit; aber nachdem die Reporter ihn von einem halben Dutzend Stellen vertrieben hatten, wappnete er sich, um dieser Verfolgung durch die Presse die Stirn zu bieten. Er eröffnete eine Galvanisierwerkstatt in Oakland in der Telegraph Avenue. Es handelte sich um eine kleine Werkstatt mit drei Gesellen und zwei Gehilfen. Keine Nacht, so bezeugte Polizist Carew bei der Vernehmung, verließ er die Werkstatt vor ein oder zwei Uhr morgens. Damals entwickelte er eine wesentliche Verbesserung des Zündmechanismus für Gasmotoren und wurde von den Tantiemen schließlich ein wohlhabender Mann.

Er eröffnete sein Galvanisierunternehmen im zeitigen Frühjahr des Jahres, im selben Jahr ergriff ihn eine unglückliche Zuneigung zu Irene Tackley. Nun ist es gar nicht anders denkbar, als daß ein so ungewöhnlicher Mensch wie Emil Gluck auch ein ungewöhnlicher Liebhaber sein mußte. Zu seiner Genialität, seiner Einsamkeit und seiner Krankhaftigkeit kam noch - das darf man nicht vergessen - , daß er überhaupt nichts über Frauen wußte. Welche Wellen des Verlangens ihn auch überfluten mochten, er hatte nicht gelernt, wie man dieses Verlangen zum Ausdruck brachte. Seine extreme Schüchternheit mußte zwangsläufig eine ungewöhnliche Art der Liebesbekun-dung zur Folge haben. Irene Tackley war eine recht hübsche junge Frau, aber oberflächlich und leichtfertig. Sie arbeitete in einem Süßwarenladen gegenüber von Glucks Werkstatt. Er kam häufig rüber, trank Sodawasser mit Eis und Zitronensaft und starrte sie an. Das Mädchen schien sich nichts aus ihm zu machen und nur mit ihm zu spielen. Er sei „schrullig“, sagte sie, ein andermal nannte sie ihn einen „komischen Kauz“, als sie beschrieb, wie er am Tresen saß und sie durch seine Brille anpeilte, rot wurde und stammelte, wenn sie von ihm Notiz nahm, und häufig in jäher Verwirrung aus dem Laden stürzte. Gluck machte ihr die unglaublichsten Geschenke: ein silbernes Teeservice, einen Diamantring, eine Pelzgarnitur, Operngläser, eine „Weltgeschichte“ in vielen Bänden oder ein in seiner Werkstatt vollständig mit Silber überzogenes Motorrad. Da kommt der Freund des Mädchens, spricht ein Machtwort, ist sehr wütend, zwingt sie, Glucks seltsames Geschenksortiment zurückzugeben. William Sherbourne war ein grobschlächtiger, dickfälliger Mann mit starken Backenknochen, er stammte aus der Arbeiterklasse, hatte es aber zu einem erfolgreichen Bauunternehmer kleinen Stils gebracht. Gluck verstand nichts. Er verlangte eine Erklärung, versuchte, mit dem Mädchen zu sprechen, als sie am Abend von der Arbeit nach Hause ging. Sie beschwerte sich bei Sherbourne, und eines Nachts verabreichte dieser Gluck eine Tracht Prügel. Es war eine sehr kräftige Tracht, denn in den Berichten der Unfallklinik des Roten Kreuzes stand, daß Gluck in jener Nacht dort behandelt worden war und eine Woche lang das Krankenhaus nicht verlassen konnte.

Gluck verstand immer noch nicht. Er versuchte weiterhin, eine Erklärung von dem Mädchen zu bekommen. Aus Angst vor Sherbourne beantragte er beim Polizeichef die Genehmigung, einen Revolver tragen zu dürfen, was abgelehnt wurde, wobei die Zeitungen die Geschichte wie üblich zu einer Sensation hochspielten. Dann erfolgte der Mord an Irene Tackley, sechs Tage vor ihrer geplanten Hochzeit mit Sherbourne. Es war Sonnabend nacht. Sie hatte lange im Laden gearbeitet und verließ ihn nach dreiundzwanzig Uhr mit ihrem Wochenlohn in der Tasche. Sie fuhr mit der Bahn von der San Pablo Avenue zur . Straße, wo sie ausstieg und die drei Blocks nach Hause laufen wollte. Dort hatte man sie das letztemal lebend gesehen. Am nächsten Morgen fand man sie erhängt in einer verlassenen Gegend.

Emil Gluck wurde sofort festgenommen. Es gab nichts, was ihn hätte retten können. Er wurde überführt, nicht nur aufgrund eines Indizienbeweises, sondern eines von der Polizei von Oak-land konstruierten Beweises. Es ist gar keine Frage, daß ein großer Teil des Beweismaterials künstlich fabriziert wurde. Die Zeugenaussage von Captain Shehan war der reinste Meineid. Viel später erwies sich, daß Shehan in der fraglichen Nacht nicht nur nicht in der Nähe des Tatortes gewesen war, sondern sich sogar außerhalb der Stadt in einer Siedlung an der San-Leandro-Straße aufgehalten hatte. Der unglückselige Gluck wurde zu lebenslänglicher Haft in San Quentin verurteilt, was Zeitungen und Öffentlichkeit für einen Justizirrtum hielten -die Todesstrafe hätte über ihn verhängt werden sollen.

Gluck trat am 5. April seine Haft in San Quentin an; er war gerade vierunddreißig Jahre alt. Dreieinhalb Jahre, größtenteils in Einzelhaft, hatte er Zeit, über die Ungerechtigkeit in der Welt nachzudenken, und die Bitterkeit zersetzte sein Vertrauen vollends, alle haßte er. Drei weitere Dinge erledigte er in dieser Zeit: Er schrieb seine berühmte Abhandlung „Moral des Menschen“, sein bemerkenswertes Heftchen „Der gesunde Kriminelle“, und er ersann seinen furchtbaren, ungeheuren Racheplan. Ein Vorfall in seiner Galvanisierwerkstatt hatte ihn auf die Idee dieser einzigartigen Form der Rache gebracht. Wie er später in seinem Geständnis darlegte, hatte er alle Details während seiner Gefängniszeit theoretisch ausgearbeitet, so daß er bei seiner Entlassung in der Lage war, den Akt der Vergeltung sofort in Angriff zu nehmen.

Seine Entlassung war sensationell, aber auch auf gemeine und kriminelle Weise durch den damals herrschenden Amtsschimmel verzögert worden. In der Nacht des 12. Februars wurde der Gangster Tim Haswell während eines versuchten Raubzuges von einem Bürger in Piedmont Heights angeschossen. Tim Haswell schleppte sich noch drei Tage hin, während derer er nicht nur den Mord an Irene Tackley gestand, sondern auch schlüssige Beweise erbrachte. Bert Danniker, der später im Folsom-Gefängnis an Schwindsucht starb, war als Hehler beteiligt gewesen, und sein Geständnis folgte. Es ist für uns heute unbegreiflich, in welch stümperhafter und schleppender Weise Gerichtsprozesse noch vor einem Menschenalter abliefen. Im Februar war erwiesen, daß Emil Gluck ein unschuldiger Mann war, und doch wurde er erst im darauffolgenden Oktober entlassen. Noch weitere acht Monate mußte sich dieser Mann, dem so großes Unrecht angetan worden war, der unverdienten Strafe unterziehen. Das konnte keine Freundlichkeit, und Heiterkeit hinterlassen. Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, wie sich seine Seele während dieser acht Monate mit Bitterkeit vollfraß.

Im Herbst kam er in die Welt zurück, wie üblich war er in den Schlagzeilen aller Zeitungen. Statt ihr tiefempfundenes Bedauern auszudrücken, setzten sie ihre alte Sensationshetzjagd fort. Eine Zeitung - der „San Francisco Intelligencer“ - tat ein weiteres. Ihr Herausgeber John Hartwell konstruierte eine gemeine Theorie über die Geständnisse der beiden Kriminellen, die zeigen sollte, daß Gluck schließlich doch für den Mord an Irene Tackley verantwortlich war. Hartwell starb. Und Sherbourne starb ebenfalls, während der Polizist Phillips einen Beinschuß erlitt und den Dienst in der Polizei von Oakland quittieren mußte.

Der Mord an Hartwell blieb lange Zeit ein Geheimnis. Er war zu dem Zeitpunkt allein in seinem Redaktionsbüro. Die Revolverschüsse wurden von einem Bürojungen gehört, der sofort herbeistürzte und Hartwell sterbend in seinem Sessel sah. Die Polizei verwirrte, daß er nicht nur mit seinem eigenen Revolver erschossen worden war, sondern daß der Revolver in seinem Schreibtischfach losging. Die Kugeln hatten die Vorderseite des Schubfaches weggerissen und waren in den Körper eingedrungen. Die Polizei hielt die Selbstmordtheorie für abwegig, Mord schied als absurd ebenfalls aus. So gab man der Firma für die Herstellung rauchloser Patronen die Schuld. Spontane Entladung lautete die Erklärung der Polizei, und die Chemiker der Patronenfirma gerieten bei der gerichtlichen Untersuchung in arge Bedrängnis. Aber was die Polizei nicht wußte, war, daß Emil Gluck im gegenüberliegenden Mercer Building das Zimmer gemietet hatte und sich in dem Augenblick, als Hartwells Revolver so geheimnisvoll losfeuerte, auch darin aufhielt.

Damals sah man keinerlei Beziehung zwischen dem Tod Hartwells und dem von William Sherbourne. Sherbourne hatte weiter in dem Haus gelebt, das er für Irene Tackley gebaut hatte, und eines Morgens im Januar fand man ihn tot auf. Selbstmord lautete das Urteil der gerichtlichen Untersuchung, denn er war mit dem eigenen Revolver erschossen worden. Merkwürdig, daß in jener Nacht auch der Polizist Phillips auf dem Bürgersteig vor Sherbournes Haus angeschossen wurde. Er behauptete, es habe ihm jemand von hinten ins Bein geschossen. Das betroffene Bein war von drei achtunddreißiger Kugeln so zerschmettert worden, daß sich eine Amputation als unumgänglich erwies. Als aber die Polizei entdeckte, daß er sich mit seinem eigenen Revolver verletzt hatte, setzte ein großes Gelächter ein, und er wurde wegen Trunkenheit entlassen. Trotz seiner Versicherung, daß er keinen Tropfen angerührt habe, daß der Revolver in seiner Hüfttasche gewesen sei und daß er ihn mit keinem Finger berührt habe, entließ man ihn aus dem Polizeidienst. Emil Glucks Geständnis acht Jahre später sprach den unglückseligen Polizisten von dieser Schande frei, und er lebt heute noch, erfreut sich guter Gesundheit und bezieht eine ansehnliche Pension von der Stadt.

Nun, da Emil Gluck sich von seinen unmittelbaren Feinden befreit hatte, suchte er ein größeres Betätigungsfeld, obwohl seine Feindseligkeit gegen Zeitungsleute und die Polizei immer noch lebendig war. Die Tantiemen von seinem Zündmechanismus für Gasmotoren hatten sich während seines Gefängnisaufenthaltes angehäuft, und sie nahmen weiterhin Jahr für Jahr zu. Er war unabhängig, konnte reisen, wohin immer er auf dieser Erde wollte, und seinen ungeheuren Rachedurst stillen. Er war zu einem Monomanen und Anarchisten geworden - zu einem Anarchisten nicht nur im philosophischen Sinn, sondern zu einem der Gewalt. Vielleicht ist das nicht das richtige Wort, vielleicht ist Nihilist oder Annihilist treffender. Man weiß, daß er sich keiner Terroristengruppe anschloß. Er arbeitete ganz allein, aber er erzeugte tausendmal mehr Angst, Schrecken und Zerstörung als alle Terroristengruppen zusammen.

Als Zeichen seines Abschieds von Kalifornien jagte er Fort Mason in die Luft. In seinem Geständnis sprach er von einem kleinen Experiment - er habe nur seine Geschicklichkeit getestet. Acht Jahre lang zog er um die Welt, ein geheimnisvoller Schrecken, der Millionenwerte und unzählige Menschenleben vernichtete. Ein Gutes hatten seine unheilvollen Taten - die Verheerung, die er unter den Terroristen selbst anrichtete. Jedesmal, wenn er irgend etwas anstellte, wurden die Terroristen in der Umgebung im Schleppnetz der Polizei aufgefischt, und viele wurden hingerichtet, siebzehn allein in Rom nach der Ermordung des italienischen Königs.

Seine vielleicht erstaunlichste Leistung war die Ermordung des Königs und der Königin von Portugal. Es war der Tag der Hochzeit. Alle möglichen Vorsichtsmaßnahmen gegen Terroristen waren ergriffen worden, und der Weg von der Kathedrale durch die Straßen Lissabons war doppelt von einer bewaffneten Garde gesäumt, während zweihundert Berittene die Kutsche begleiteten. Plötzlich geschah das Unglaubliche. Die automatischen Gewehre der berittenen Polizei wie auch die der Straßenkette gingen los. In der Aufregung zeigten die feuernden Gewehrmündungen in alle Richtungen. Es war ein grauenvolles Morden - Pferde, Reiter, Zuschauer, König und Königin, alle wurden von Kugeln durchlöchert. Um die Angelegenheit noch zu komplizieren, explodierten bei zwei Terroristen an verschiedenen Stellen in der Menge hinter der Polizeikette Bomben, die bei passender Gelegenheit geworfen werden sollten.



Aber wer konnte das wissen? Die durch die Bomben angerichtete Verwüstung verschlimmerte die chaotische Lage; man glaubte, das Ganze sei Teil eines Großangriffs. Verwirrend und unerklärlich war das Verhalten der berittenen Polizei mit ihren feuernden Waffen. Es schien ausgeschlossen, daß die Polizei mit im Komplott war, andererseits waren da Hunderte, einschließlich König und Königin, die von deren Kugeln ermordet worden waren. Das merkwürdigste war allerdings, daß siebzig Prozent der berittenen Polizei selbst getötet oder verwundet wurden. Einige meinten, daß die loyalen Fußkräfte das Feuer auf die Verräter eröffnet hätten, als sie des Angriffs auf die königliche Kutsche gewahr geworden wären. Aber nicht der geringste Beweis konnte durch die Überlebenden erbracht werden, obwohl viele von ihnen der Tortur einer Befragung unterzogen wurden. Sie behaupteten stur, sie hätten ihre Gewehre überhaupt nicht abgefeuert, sondern diese hätten sich von selbst entladen. Aber sie wurden von den Chemikern ausgelacht, denn wenn es schon sehr unwahrscheinlich wäre, daß auch nur eine einzige mit rauchlosem Pulver geladene Kugel spontan explodierte, würde es jenseits aller Wahrscheinlichkeit liegen, daß dies alle derartigen Geschosse in einem Gebiet spontan täten. So gelangte man am Ende zu keiner Erklärung dieses unwahrscheinlichen Ereignisses. Die allgemeine Meinung in den anderen Ländern der Welt war, daß die ganze Affäre nichts weiter als eine panische .Reaktion der aufgeregten Portugiesen gewesen sei, die durch die Explosion der zwei Terroristenbomben ausgelöst wurde. Und in diesem Zusammenhang erinnerte man sich an die groteske Begegnung zwischen der russischen Flotte und englischen Fischkuttern, die viele Jahre zurücklag.

Emil Gluck lachte sich eins und ging seiner Wege. Er wußte Bescheid. Aber wie sollte die Welt es wissen? Er war in seiner alten Galvanisierwerkstatt in der Telegraph Avenue in Oakland zufällig auf das Geheimnis gestoßen. Damals geschah folgendes: Die Thurston Power Company errichtete ganz in der Nähe seiner Werkstatt eine drahtlose Telegrafenstation. Nach kurzer Zeit war sein Galvanisiergefäß defekt. Die Gefäßverdrahtung hatte viele schadhafte Verbindungsstellen, und bei eingehender Überprüfung entdeckte Gluck winzig kleine Schweißstellen an den Kabelverbindungen. Diese hatten durch die Herabsetzung des Widerstandes einen besonders starken Strom durch die Lösung geleitet, der diese zum Kochen brachte und das Gerät verdarb. Aber wodurch waren die Schweißstellen entstanden, fragte sich Gluck. Sein Gedankengang war einfach. Vor der Errichtung der Telegrafenstation hatte das Gerät einwandfrei funktioniert. Erst danach war es ruiniert worden. Also war die Telegrafenstation die Ursache. Aber in welcher Weise? Er beantwortete die Frage schnell. Wenn eine elektrische Entladung in der Lage war, einen Fritter jenseits des Ozeans über eine Entfernung von dreitausend Meilen zu betätigen, dann konnten die elektrischen Entladungen einer Telegrafenstation, die nur vierhundert Fuß entfernt war, Kohärenzeffekte an den Schwachstellen der Gefäßverkabelung erzeugen.

Gluck dachte damals nicht länger daran. Er erneuerte lediglich die Verkabelung in dem Gefäß und setzte seine Arbeit fort. Später im Gefängnis fiel ihm dieser Zwischenfall wieder ein, und blitzartig wurde ihm die Tragweite bewußt. Er erkannte darin die geheime Waffe, mit der er sich an der ganzen Welt rächen könnte. Das Großartige seiner Erfindung, die mit ihm starb, lag in der Beherrschung der Richtung und des Umfangs der elektrischen Entladung. Das war damals - wie auch heute noch - das ungelöste Problem der drahtlosen Telegrafie, aber Emil Gluck hatte es in seiner Gefängniszelle gemeistert. Als er entlassen wurde, wandte er es an. Hatte man erst einmal die Steuerbarkeit im Griff, war es ziemlich einfach, einen Funken in das Pulvermagazin einer Festung, eines Schlachtschiffes oder eines Revolvers zu leiten. So konnte er nicht nur Schießpulver aus der Ferne zünden, sondern ganze Feuersbrünste in Gang setzen. Das große Feuer in Boston war von ihm entzündet worden - allerdings zufällig, wie er in seinem Geständnis erklärte, wobei er hinzufügte, daß es ein erfreulicher Zufall gewesen sei, den zu bereuen er niemals Grund gehabt habe.

Gluck hatte auch den Anlaß zu dem schrecklichen deutschamerikanischen Krieg geliefert, in dem achthunderttausend Menschenleben geopfert und unschätzbare Werte zerstört wurden. Man wird sich daran erinnern, daß die Beziehungen zwischen den beiden Ländern wegen des Pickard-Zwischenfalls gespannt waren. Deutschland war - obgleich der Geschädigte -nicht auf Krieg aus und sandte als Friedenssymbol den Kronprinzen sowie sieben Schlachtschiffe auf einen Freundschaftsbesuch in die Vereinigten Staaten. In der Nacht des . Februar lagen die sieben Schlachtschiffe im Hudson vor New York City vor Anker. Und in derselben Nacht war Gluck auf einer Barkasse draußen, allein, aber mit seiner gesamten Apparatur an Bord. Diese Barkasse, so wurde später bewiesen, hatte er bei der Boss, Turner Company gekauft, während er einen Großteil der Geräte, die er in jener Nacht benutzte, bei der Columbia Electric Works erworben hatte. Aber das wußte man damals noch nicht. Man wußte nur, daß sieben Schlachtschiffe in die Luft gegangen waren, eins nach dem anderen, in Vier-Minuten-Intervallen. Neunzig Prozent der Mannschaft und Offiziere gingen zusammen mit dem Kronprinzen zugrunde. Viele Jahre zuvor war das amerikanische Schlachtschiff Maine im Hafen von Havanna explodiert - und die sofortige Folge war Krieg mit Spanien, obwohl es berechtigte Zweifel gab, ob es tatsächlich eine Konspiration oder nicht vielmehr ein Zufall gewesen war, der zu der Explosion geführt hatte. Mit Zufall ließ sich allerdings nicht mehr die Explosion von sieben Schlachtschiffen im vierminütigen Intervall auf dem Hudson rechtfertigen. Deutschland hielt es für eine U-Boot-Aktion und erklärte sofort den Krieg. Sechs Monate nach Glucks Geständnis gaben sie die Philippinen und Hawaii an die Vereinigten Staaten zurück.

Indessen zog Emil Gluck, der böse Zauberer und Menschenhasser, weiter seine Bahn der Zerstörung. Er hinterließ keine Spuren. Mit wissenschaftlicher Sorgfalt räumte er hinter sich auf. Seine Methode bestand darin, daß er sich ein Zimmer oder ein Haus mietete und im Geheimen seine Apparatur aufbaute -eine Apparatur, die er, nebenbei bemerkt, so vervollkommnet und vereinfacht hatte, daß sie nur wenig Platz einnahm. Hatte er sein Ziel erreicht, entfernte er sie wieder. Er hatte durchaus eine Chance, ein langes Leben voll grauenhafter Verbrechen zu führen.

Die Schießepidemie unter den New-Yorker Polizisten war eine sensationelle Affäre, die ein Kapitel in der dunklen Schrek-kensgeschichte jener Zeit wurde. Innerhalb von nur zwei Wochen erlitten über hundert Polizisten durch ihre eigenen Revolver Beinverletzungen. Inspektor Jones konnte das Rätsel nicht lösen, aber er hatte einen Einfall, mit dem er Gluck am Ende doch überlistete, Auf seine Empfehlung hin trugen die Polizisten keine Revolver, und es gab keine zufälligen Schießereien mehr.

Im zeitigen Frühjahr zerstörte Gluck die Marinewerft Mare Island. Aus einem Zimmer in Yallejo sandte er seine elektrischen Entladungen über die Meerenge von Vallejo zur Mare-Insel.



Zuerst richtete er seine Funken auf das Schlachtschiff Maryland, das an einem der Minenmagazine festgemacht hatte. Auf dem Vorderdeck lagerten auf einer riesigen improvisierten Bohlenfläche über hundert Minen, die dazu bestimmt waren, das Golden Gate zu verteidigen. Jede einzelne dieser Minen konnte ein Dutzend Schlachtschiffe zerstören. Das Ausmaß der Zerstörung war entsetzlich, und doch war es erst die Einleitung. Er lenkte die Funken zur Küste der Insel, wo sie fünf Torpedoschiffe, die Torpedostation und das große Magazin am Ostende der Insel sprengten. Dann wandte er sich in Richtung Westen, zerstörte vereinzelte Magazine auf hochgelegenen Stellen im Küstenhinterland und sprengte drei Kreuzer sowie die Schlachtschiffe Oregon, Delaware, New Hampshire und Florida - das letzte war gerade ins Trockendock gekommen, wodurch diese wunderbare Einrichtung ebenfalls vernichtet wurde. Es war eine fürchterliche Katastrophe, und Entsetzensschauer ergriffen das Land. Aber es war noch nichts gegen das, was folgen sollte. Im Spätherbst desselben Jahres räumte Gluck an der Atlantikküste von Maine bis Florida auf. Nichts ließ er verschont. Festungsanlagen, Minen, die Küstenverteidigung jedweder Art, Torpedostationen, Magazine - alles ging in die Luft. Drei Monate später, es war mittlerweile Winter, peinigte er die Nordküste des Mittelmeeres von Gibraltar bis nach Griechenland in derselben erschreckenden Weise. Ein Wehklagen erhob sich unter den Völkern. Es war klar, daß all die Zerstörung von Menschenhand verursacht wurde, und es war auch klar, daß es nicht das Werk eines bestimmten Landes war - das hing mit Emil Glucks Unvoreingenommenheit zusammen. Eins wurde offenkundig, nämlich daß derjenige, der hinter alldem stand, eine Gefahr für die Welt war. Kein Land war sicher. Es gab keinerlei Verteidigung gegen diesen unbekannten und allmächtigen Feind. Einen Krieg zu führen war sinnlos, ja nicht nur sinnlos, sondern der eigentliche Kern der Gefahr. Ein Jahr lang wurde die Herstellung von Schießpulver eingestellt, und alle Soldaten und Matrosen wurden von sämtlichen Festungsanlagen und Kriegsschiffen abgezogen. Sogar eine Weltabrüstung wurde auf der damaligen Zusammenkunft der Mächte in Den Haag ernsthaft erwogen.

Und dann kam Silas Bannerman, ein Geheimagent der Vereinigten Staaten, mit einem Schlag zu Weltruhm, indem er Emil Gluck verhaftete. Zuerst lachte man über Bannerman, aber er hatte seinen Fall gut vorbereitet, und in wenigen Wochen waren die größten Skeptiker von Glucks Schuld überzeugt. Eins konnte Silas Bannerman zu seiner eigenen Unzufriedenheit nicht genau erklären, nämlich, wie er darauf gekommen war, Gluck mit den scheußlichen Verbrechen in Verbindung zu bringen. Bannerman war zwar in geheimer Regierungsmission zur Zeit des Anschlages auf der Insel Mare in Vallejo gewesen, und man hatte ihn auf Emil Gluck als einen komischen Kauz hingewiesen, aber ohne daß das damals Eindruck auf ihn gemacht hätte. Erst später, er verbrachte gerade seinen Urlaub in den Rocky Mountains und las die ersten veröffentlichten Berichte über die Verwüstungen an der Atlantikküste, dachte Bannerman plötzlich an Emil Gluck. Und in dem Augenblick kam ihm blitzartig eine Verbindung zwischen Gluck und dem Zerstörungswerk in den Sinn. Es war zunächst nur eine Hypothese, die aber Früchte trug. Diese Hypothese - ein Akt unbewußter Gehirntätigkeit - war genial, so unerklärlich wie zum Beispiel das Auftauchen der Idee vom Prinzip der Schwerkraft in Newtons Kopf. Der Rest war ein Kinderspiel. Wo hatte sich Gluck während der Verwüstungen an der Atlantikküste aufgehalten, fragte sich Bannerman. Auf eigenes Ersuchen wurde er mit dem Fall betraut. In kürzester Zeit hatte er Gewißheit, daß Gluck im Spätherbst an verschiedenen Stellen der Atlantikküste aufgekreuzt war. Er ermittelte gleichfalls, daß Gluck während jener epidemieartigen Schießerei auf Polizeibeamte in New York war. Wo befand sich Gluck zur Zeit, war Banner-mans nächste Frage. Und wie eine Antwort darauf kam die Großaktion am Mittelmeer. Gluck war - das wußte Bannerman - einen Monat zuvor nach Europa gereist. Bannerman brauchte nicht selbst nach Europa zu fahren. Mit Hilfe von telegrafischen Mitteilungen und der Mitarbeit des europäischen Geheimdienstes verfolgte er Glucks Reiseroute entlang dem Mittelmeer und konnte feststellen, daß sie in jedem Fall mit der Sprengung von Küstenverteidigungsanlagen und Schiffen zusammenfiel. Er erfuhr außerdem, daß Gluck gerade auf dem Green-Star-Linienschiff Plutonic in die Vereinigten Staaten fuhr.

Bannerman hatte den kompletten Plan im Kopf, und er nutzte die Wartepausen, um die Details zu entwickeln. Dabei wurde er tüchtig von George Brown, einem Mitarbeiter von Wood’s System of Wireless Telegraphy, unterstützt. Als die Plutonic vor Sandy Hook ankam, ging Bannerman von einem Regierungsschiff aus an Bord, und Emil Gluck wurde verhaftet. Der Prozeß und das Geständnis folgten. Emil Gluck bekannte lediglich Reue darüber, daß er sich zu viel Zeit gelassen habe. Wenn er, wie er sagte, nur im Traum daran gedacht hätte, daß er je entdeckt würde, hätte er schneller gearbeitet und tausendmal mehr zerstört. Sein Geheimnis starb mit ihm, obwohl sich die französische Regierung bekannterweise Zugang zu Emil Gluck verschafft und eine Milliarde Franc für seine Erfindung angeboten hatte, mit deren Hilfe er elektrische Entladungen auslösen und genau steuern konnte. „Was?“ erwiderte Gluck, „an Sie verkaufen, so daß Sie die leidende Menschheit versklaven und mißhandeln können?“ Und obwohl die Kriegsministerien aller Länder in ihren Geheimlabors weiter experimentierten, haben sie bisher noch nicht die leiseste Spur des Geheimnisses lüften können. Emil Gluck wurde am 4. Dezember 1941 hingerichtet, und damit starb im Alter von sechsundvierzig Jahren eins der unglücklichsten Genies auf dieser Welt, ein Mann mit einem enormen Verstand, dessen gewaltige Potenzen jedoch so verzerrt und entstellt waren, daß er, statt dem Guten zu dienen, der erstaunlichste Verbrecher wurde, den es je gab.

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