Achter Teil Schamane

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Alle aus dem Rudel nahmen sich etwas aus Dorns Besitz als Erinnerung, aber alles, was Dorn von Pfeifhase erhalten hatte, also seine Flöte, seine Pfeife, sein Feuerzeug, sein Malwerkzeug und der Umhang mit dem Bisonkopf, ging an Eistaucher.

Eistaucher spielte die Flöte, während sie Dorns Leichnam auf der Rabenplattform oben auf dem Gewundenen Berg auslegten. Es kam ihm vor, als machte die Flöte von allein die Musik und er müsse nur hineinblasen und könne zusammen mit den anderen auf die entstehende Melodie lauschen. Das war eine bemerkenswerte Entdeckung. Während er spielte, sah er den Leuten in die Gesichter und war überrascht, wie verstört die übrigen Rudelangehörigen wirkten. Ihm war nicht klar gewesen, wie viel Dorn ihnen bedeutet hatte. Er war immer zu dicht an ihm dran gewesen, um es zu erkennen. Eistaucher selbst spürte nichts.

Als sie seinen Leib auf der Plattform ausgelegt hatten, hörte Eistaucher auf zu spielen und sagte:

Wir, die wir dich zu Lebzeiten liebten,

Die wir uns um dich gesorgt haben wie du dich um uns,

Übergeben nun deinen Leib dem Himmel,

Damit deine Knochen friedlich in Mutter Erde ruhen können

Und deine Seele befreit von dieser Welt leben kann

In den Träumen jenseits des Himmels.

Wir werden dich niemals vergessen.

An jenem Abend stand Eistaucher mit Dorns Bisonkopf angetan vor den anderen am Feuer und erzählte ihnen die Geschichte von der Schwanenbraut. Ein junger Mann heiratet die Schwanenfrau, zieht fort, um bei den Schwänen zu leben, doch die Sache geht nicht gut, und er endet als Möwe. Es war eine von Dorns Lieblingsgeschichten, und alle hatten sie schon oft von ihm gehört. Und dann hatten Eistaucher und Elga und Dorn die Geschichte gelebt.

Genau wie die Flötenmelodie kam auch die Geschichte einfach aus ihm heraus. Mit einem Mal musste er sie nicht mehr kennen. Sie flog ihm mit jedem Atemzug zu, gleichmäßig ein und aus, und er musste immer nur so viel von der Geschichte ausatmen, wie in einen Atemzug passte. Ein paar Mal sprang er zurück, um Einzelheiten, die er vergessen hatte, hinzuzufügen, und ein paar Sachen erzählte er im Voraus; doch das gehörte dazu. Diesmal erzählte er die Geschichte allerdings so einfach wie möglich.

Den ganzen Tag über stand Heide am Rand der Gruppe, hielt den Blick abgewandt und sprach kein Wort. Als er mit der Geschichte fertig war, half Eistaucher ihr zurück ins Bett, und sie kam ihm leicht und uralt vor.

Sie setzte sich auf ihre Schlafstatt. Eistaucher sah auf sie hinab und erkannte, wie verzweifelt sie war. In seiner seltsamen neuen Entrücktheit, seiner Vogelsicht, bei der es sich vielleicht um den Blick des Schamanen handelte, überraschte ihn das ein wenig. Sie und Dorn hatten sich immer so schlimm gestritten. — Es tut mir leid, sagte er.

Sie sah ihn nicht an. — Ich weiß einfach nicht, mit wem ich jetzt reden soll, sagte sie.

An jenem Abend konnte er nicht einschlafen, und unter dem abnehmenden Mond wurde ihm klar, dass er allein in die Höhle gehen wollte, um etwas Neues zu malen. Im Herbst wäre es an Dorn gewesen, und Eistaucher wusste, dass Dorn große Pläne gehabt hatte, obwohl er wie immer nicht viel über sie verraten hatte. Doch Eistaucher wollte nicht so lange warten. Er wollte jetzt hineingehen.

Am nächsten Tag sagte er zu Moos: — Wenn ich schnell arbeite, dann ist Dorns Geist noch in der Nähe, um mir beim Malen zu helfen. Ich muss es also tun, bevor die Raben mit ihm fertig sind.

Moos nickte. — Heide wird dir dabei helfen, alles Nötige zu packen, und wir halten hier draußen alles beisammen, solange du in der Höhle bist.

— Guter Mann. Er hielt Moos mit seinem Blick fest. — Jetzt ist es an uns.

— Ich weiß, sagte Moos.

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Sie halfen Heide dabei, einen Rucksack mit Malsachen und mehreren Beuteln voll Fett für die Öllampen zu packen, und auch etwas Nahrung und Wasser. Falke und Moos begleiteten Eistaucher zur Felswand hinauf und über die schmale Rampe, die zum Höhleneingang führte. Pfeifhases Höhle, die größte und schönste von allen, lag direkt über dem Gewundenen Tal. Der Schamanenzugang zu Mutter Erde, die Kolbi der Welt.

Am Eingang hielten sie an und hoben ihm den vollen Rucksack auf den Rücken. Moos nahm ein Stück Glut von seinem Gürtel und entzündete damit einen Docht und steckte damit zwei Fettlampen an. Im Nachmittagslicht konnte man das Lampenfeuer kaum sehen, und es war schwer, sich vorzustellen, dass es in den Tiefen der Erde genug Licht spenden würde.

Er setzte sich mit Falke und Moos hin, um Dorns Pfeife zu rauchen. Beide sogen begierig an der Glut. Während sie rauchten, aß Eistaucher einige von Dorns getrockneten Pilzen und etwas Beifuß und sang anschließend den Höhlengruß.

Falke und Moos sahen besorgt aus; sie waren nur zweimal im tiefsten Innern der Höhle gewesen, als sie sich als Kinder über die Regeln hatten hinwegsetzen wollen, und beim zweiten Mal hatten sie sich beinahe verlaufen. Sie hielten es für gefährlich, allein hineinzugehen, und obwohl sie vom Leben ständig zu gefährlichen Dingen gezwungen wurden, widerstrebte es ihnen vielleicht gerade deswegen, in aller Seelenruhe unnötige Risiken auf sich zu nehmen.

Doch genau das taten Schamanen. Also saßen sie Schulter an Schulter mit ihm, während er den Höhlengruß sang, und auch sie sangen, als sie die Worte gelernt hatten. In ihren Mienen war so etwas wie andächtiges Staunen zu lesen, als er sie zum Abschied umarmte und in den großen, dunklen Durchgang zum Tagesbereich der Höhle trat, hinein in die Finsternis.

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Vorne war der Eingang breit und vom Tageslicht erhellt. Dann kam die Biegung in die Finsternis, gefolgt von einem schmalen Durchgang. Dahinter wurden die Schatten schwärzer, und seine Lampen spendeten immer mehr Licht, bis er ohne die beiden hellen Flammen in seinen Händen schließlich nichts mehr hätte sehen können. Die erleuchteten Wände und schwarzen Schatten bewegten sich mit ihm, flackerten mit den Flammen, und es war offensichtlich, dass all das zusammen mit Eistaucher eine Einheit bildete.

Er hielt einen Moment lang inne, damit seine Augen sich an das Halbdunkel gewöhnten, wie Dorn es ihm beigebracht hatte, bevor er in den kurzen Schritten weiterging, die in der Höhle angeraten waren, wenn man nicht über einen vorspringenden Stein stolpern oder in ein Loch treten wollte. Es würde ihm übel ergehen, wenn er hinfiel und seine Lampe ausging. Dorn hatte versucht, ihm beizubringen, wie man im Dunkeln ein Feuer entfachte. Man musste im Licht der Funken den Mulm so weit erkennen, um ihn in Brand zu setzen, und dann den Docht an den brennenden Mulm halten und pusten, bis er entflammte; aber das hatte sich als sehr schwer erwiesen. Heute steckte in Eistauchers Gürteltasche ein Stück Wurzelholz mit brennender Glut darin. Mit der würde er die Lampe nötigenfalls wieder anbekommen. Aber viel besser wäre es, wenn es überhaupt nicht so weit kam. Besser war es, die Lampe wie seinen eigenen Seelenfunken zu behandeln, als etwas so Kostbares, dass man sagen konnte, er hielte sein Leben in den Händen.

Es war also ein langer, langsamer Marsch bis ans andere Ende der Höhle mit den hellen Wänden, durch die verschiedenen großen Räume und die schmalen Durchgänge, die sie verbanden. Hier unten atmete er die immer gleiche Höhlenluft, kühl, aber belebend und im Winter wärmer als die Luft draußen. Kein Laut vom Höhleneingang reichte bis hier hinein. Der Leib der Erde bedeckte ihn ganz und gar. Weil es fast vollkommen still war, konnte er das leise Knacken und Glucksen hören, das immer wieder aus den Schatten außerhalb der lichtdurchflackerten Bereiche drang und oft auch aus dem Boden zu kommen schien. Es roch modrig, nach Höhlenbär und Schlamm. Eine entfernte Ahnung von Holzkohle. Wenn eine große Gruppe so weit vordrang, dann brachte sie Kiefernholzfackeln mit, deren Sirupfeuer die Wände zum Tanzen und Springen brachte. Doch das war ein Licht fürs Sehen, nicht fürs Malen.

Die beiden Lampen brannten nun blass und gleichmäßig. Bei jedem seiner Schritte erzitterten sie leicht. Er war ganz allein, niemand sonst war hier. Anscheinend war weder Dorns Geist noch der von Knack anwesend. Wenn überhaupt spürte Eistaucher die Gegenwart von Pfeifhase, den er nie kennengelernt hatte. Dieser Verrückte, der berüchtigte Bisonmann, hatte als Erster in dieser Höhle gemalt.

Doch selbst Pfeifhase war nicht hier. Eistaucher spürte es: Er war ganz allein. Er erinnerte sich an Zeiten in seinem Leben, in denen Einsamkeit und Dunkelheit genügt hätten, um ihn in Angst und Schrecken zu versetzen. Oft wenn er nachts allein unterwegs gewesen war, hatte er dort draußen etwas erahnt, das er nicht sehen konnte, das vielleicht sogar unsichtbar war und das ihm mit Sinnen auf der Spur war, über die er nicht verfügte, ihm anhand von Spuren folgte, die er nicht verwischen konnte, wie zum Beispiel seines Geruchs. Mehr als einmal hatte ihn diese schreckliche Ahnung überwältigt, sodass er wie ein Kaninchen panisch durchs Mondlicht zurück zum Lager gerannt war. Mit Entsetzen geschlagen, vor lauter Entsetzen in wilder Flucht, und das nur, weil er allein im Dunkeln gewesen war und ihn ein seltsames Gefühl ereilt hatte!

Jetzt spürte er nichts Derartiges. Er war leer. Es machte ihm nichts aus, allein zu sein. Hier gehörte er hin. Er war bereits zuvor hier gewesen und erinnerte sich genau daran. Es war wie damals. Langsam ging er an der Stelle vorbei, an der die Decke herabgestürzt war und sich nun vom Boden erhob, eine große Masse aus weißem und orangefarbenem Gestein, die im Lampenschein funkelte. Weiter, vorbei an den Großkatzen an der Wand zur Linken. Dann eine Linksbiegung und weiter zu dem seltsamen und wunderschönen Steinschilf, das hier den Boden bedeckte. Die Schilfrohre auf dem Boden standen unter Schilfrohren, die tropfend von der Decke hingen; selbst in diesem Moment fielen einige Tropfen herab. Sie ähnelten den Türmen aus nassem Tropfsand, die die Kinder am Flussufer machten. Wie viele Tropfen brauchte es, wenn das Wasser so rein war? Seit wie vielen Jahren tropfte das Steinschilf? Seit den alten Zeiten, als all die Tiere noch Leute gewesen und sie gemeinsam durch einen Traum gewandelt waren. Seit die Welt aus ihrem Ei geschlüpft war.

Er folgte dem Weg, den man immer durch das Steinschilf nahm, trat dabei nach Möglichkeit in die Fußstapfen früherer Besucher. So war es hier üblich. Außerdem war der Höhlenboden teilweise von einer Schlammschicht bedeckt, die zwischen den Zehen hindurchquatschte und in der man hier und da bis zu den Knöcheln versank. Auch deshalb war es besser, auf dem alten Pfad zu bleiben, obwohl die Höhle fast jedes Frühjahr überflutet wurde, wodurch sich die Schlammschicht erneuerte. Durch die Höhle zu gehen erzeugte einen ganz eigenen Klang, ein leises, hallendes Quatsch-quatsch-quatsch.

Langsam. Pass dich der Geschwindigkeit der Höhle an. Sie murmelte, sie pochte, sie atmete, doch all das tat sie sehr langsam, so langsam, dass man zu ihrem Lied nur wie zu einer tiefen Trommel tanzen konnte, indem man zwischen zwei Schlägen auf fünf oder neun zählte. Atme tief die schwarzen Schatten ein. Die Finsternis hinter ihm war finsterer als die Finsternis vor ihm. Jemand hatte mit den Fingern eine Eule auf die gegenüberliegende Seite des herabgestürzten Deckenstücks gemalt; die sah einen im Vorbeigehen aus ihren großen Augen an. Folge dem Pfad um die Ecke.

Dort hing das Felsamulett von der Decke, der Steinbullenpimmel, mit dem Bild des Bisonmannes, der gerade eine Menschenfrau besteigen wollte. Ihre Beine und ihre Kolbi waren unter ihm aufgemalt, und sie hatte die größte, schwärzeste Kolbi, die es gab, wie ein kleiner, dreieckiger Durchgang in eine weitere Höhle. Pfeifhases Werk. Die ganze Geschichte des Bisonmanns und seiner Frau, mitten auf einem Pimmel wie dem, der die Tat begangen hatte.

In diesem Gewölbe wollte Eistaucher etwas malen. Links des Pimmels gab es eine gebogene Wand, die weit höher reichte, als er den Arm strecken konnte. Bei näherer Begutachtung erwies die Oberfläche sich als etwas uneben, mit kleinen Vorsprüngen, abgeplatzten Schichten, Vertiefungen und einigen kleinen Rissen. Aber im Großen und Ganzen war es eine saubere, gekrümmte Steinwand mit vielen glatten Flächen.

Eistaucher stellte die Lampen ab, nahm seinen Rucksack ab, packte ihn aus und suchte den Rentierknochen heraus. Damit brachte er einen Kratzer knapp über Kopfhöhe an, der helleres Gestein unter der braunen Haut zum Vorschein brachte: das bloße Fleisch von Mutter Erde, das im Verhältnis zu den umliegenden Schatten zu strahlen schien.

Dies war die Wand, die Dorn hatte bemalen wollen. Zum ersten Mal spürte Eistaucher, wie Dorn ihn leicht berührte, hinter dem Ohr, und er hörte die vertraute Stimme in seinem Gedächtnis. Dorn redete, wie der alte Schamane immer geredet hatte. Komm her, Junge. Der Klang dieser Stimme, schnarrend und nasal und nicht klar und rein, wie wenn Dorn seine Flöte gespielt hatte, versetzte Eistaucher einen plötzlichen Stich. So klang sonst keine Stimme. Natürlich klangen keine zwei Stimmen gleich, doch diese eine Stimme würde Eistaucher nie wieder hören. Er musste sie sich gut merken.

Eistaucher sagte zu der Höhle: — Hallo, Dorn. Bevor ich anfange, möchte ich mir dein Bild von den Löwen auf der Jagd ansehen. Komm doch mit, wenn du magst.

Er nahm eine der Lampen und folgte dem gewundenen Durchgang zum letzten Gewölbe. Jetzt, wo Dorn tot war, würde er Eistaucher folgen müssen, wenn er mit ihm reden wollte. Deshalb konnte Eistaucher gehen, wohin er wollte. Eistaucher spürte das beim Gehen, spürte, wie sehr es Dorn ärgern musste.

Er stand nun am hintersten Ende der Höhle, vor der großen Löwenjagd, die Dorn vor so langer Zeit gemalt hatte. Eistaucher hatte dabei zugesehen. Einmal mehr wurde ihm klar, dass es das mit Abstand großartigste Bild in der ganzen Höhle war, vielleicht sogar auf der ganzen Welt. Vielleicht würde es für immer das großartigste Bild bleiben. Der hungrige Ausdruck in den Augen der Löwen, die angespannte Wachsamkeit, mit der sich die Bisons zu den Großkatzen umblickten; die Art, wie die Tiere sich bewegten, wenn man die Lampe vor der Wand bewegte; die dicht gedrängten Gruppen, Jäger und Gejagte, die beide von rechts nach links über die Wand glitten und sich bewegten, obwohl sie stillstanden, sich mit jedem Atemzug des Betrachters bewegten, sodass die Löwen in die Wand eintauchten und die Bisons aus ihr heraussprangen. All das zusammengenommen machte diese Wand zum lebendigsten Gemälde, das Eistaucher jemals gesehen oder sich auch nur vorgestellt hatte.

Er saß da, betrachtete das Bild und rief sich so viel wie möglich von der Nacht ins Gedächtnis, in der Dorn es gemalt hatte. Der alte Mann war sehr ruhig und entspannt gewesen, beinahe freundlich. Nein — freundlich. Er hatte seine Pfeife geraucht und auf seiner Flöte gespielt. Dann und wann hatte er innegehalten, um zu essen oder einen Schluck Wasser zu nehmen. Er hatte den Kopf an das atmende und manchmal gurgelnde Loch gehalten, das hinten in einer Ecke im Boden war, um auf die Botschaften der Höhle zu lauschen. Er hatte lange gebraucht, um die Wand zu bemalen, aber er hatte sich nie beeilt.

Die Löwen bewegten sich auf der Stelle und blieben doch, wo sie waren. Die Höhle atmete gemeinsam mit Eistaucher ein und aus. Es klang, als ob tief unter ihm jemand sprach. Er erkannte, dass er es genauso machen wollte wie Dorn. Er würde das tun, was zuvor Dorn getan hatte, jede Stimmung und Bewegung wiederauferstehen lassen. Genau das hatte er vor; und das würde er irgendeinem Jungen beibringen. Wenn man es richtig anstellte, würde all das fortleben.

Eistaucher stellte die Lampe ab, setzte sich auf sein Pelzstück und holte Dorns Pfeife hervor. An der Lampe entzündete er einen Span, hielt ihn mit zusammengekniffenen Augen an das Kraut im Pfeifenkopf, atmete etwas Rauch ein und behielt ihn in der Lunge. Atmete aus.

Die Höhle atmete mit ihm aus. Er trank aus seinem Wasserschlauch. Als er Dorns Löwen lange genug betrachtet hatte, stand er auf, wobei er sich alle Zeit der Welt ließ, um nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten. Ein kleiner Tanz auf der Stelle. Er nahm die Lampe in die Hand und kehrte zu dem anderen Licht im großen Gewölbe mit seiner leeren Wand zurück. Nachdem er die Lampe abgesetzt hatte, blickte er sich um. Der Bisonmann bestieg noch immer die Menschenfrau, und Eistaucher ging näher heran, um zu untersuchen, wie die Szene gemalt worden war. Das schwarze Dreieck der Baginare war unten sehr sorgfältig durch eine eingekratzte weiße Linie geteilt. Die Tür zur nächsten Welt, so klar wie ein Schnitt im Finger. In seinem Rucksack hatte Eistaucher einen Stichel, mit dem er eben solche Linien kratzen konnte. Er hatte Holzkohlestöcke, einen Beutel mit Holzkohlepulver, eine Mischschale, Gamslederflicken, einige Bürsten. Zwei Wasserschläuche. Den Rentierknochen zum Schaben. Er musste die Wand fertig abschaben.

Die Höhle murmelte ein leises Lied. Ein Fluss strömte unter ihr hindurch. Dem Klang nach zu urteilen, bewegten seine Wasser sich langsamer als die auf der Oberfläche.

Er nahm den Rentierknochen in die Rechte und schabte den Rest der braunen, unebenen Schicht von der Wand. Dabei fiel ihm auf, dass ein Höhlenbär oben an der Wand gekratzt hatte, als habe er irgendwohin durchbrechen wollen. Die Klauenspuren waren weiß, und wo Eistaucher sie freischabte, hatte die Wand beinahe die Farbe eines Stoßzahns. Vielleicht wie ein alter, gelber Stoßzahn, oder sie erinnerte auch an das Bauchfell eines Steinbocks. Über dem freigeschabten Bereich verlief ein Steinbogen, und darüber war die Wand rotbraun.

Ganz links, hinter einer kleinen Krümmung, war ein niedriges Loch in der Wand. Vor dem Loch war der Boden feuchter.

Eistaucher holte einen Holzkohlestock hervor und malte links auf die freie Fläche die Rücken einer ansteigenden Reihe von Bullen. Damit hatte er seine linke Begrenzung.

Dann wandte er sich dem unteren Bereich seiner freien Fläche zu und malte die beiden Nashörner, die er am Bach hatte kämpfen sehen. Er wollte zeigen, wie sie ihre Hörner aneinandergeschlagen hatten, mit diesem lauten Hornklacken, das über die Wiese geschallt war. Sicher tat es weh, wenn so ein Horn auf Fleisch traf. Die beiden Nashörner hatten geblutet. Er malte die Linien ihrer Hörner über Kreuz; nur so ließ sich das verbildlichen. Die Rundung ihrer tief hängenden Leiber, massig und stark. Sie waren so viel schneller, als sie aussahen. Indem er den Linien die richtige Krümmung verlieh, konnte er ihre Schnelligkeit andeuten. Die ganze Gewalt des Kampfes lag hingegen in den Gesichtern und Hörnern. Er nahm sich Zeit, verwischte mit einem Ledertuch die mit Kohle gezeichneten Linien, sodass die Köpfe und Hörner sich besonders schwarz vom Rest abhoben. Das Nashorn zur Rechten hatte das rechte Vorderbein aufgesetzt und stieß von unten nach dem zur Linken, seitlich in seinen Kopf hinein. Der Muskel, wie er sich durch den kraftvollen Stoß wölbt. Mit einem Stichel das Maul des rechten Nashorns freikratzen, sodass es ein Schnauben ausstößt. Das linke ist von dem Treffer zurückgedrängt worden, der Leib dadurch etwas gerundet. Die Vorderbeine gerundet malen, sodass sie beinahe wie in der Luft hängend aussehen. Die Krümmung des Gesteins brachte das Gewicht des nach hinten getriebenen Tiers schön zum Ausdruck. Das Auge direkt über dem Horn, erschreckt. Gib ihm zwei Hörner; das war ein Trick von Dorn, um Bewegung anzuzeigen. Von dem Stoß zurückgeworfen, in die Höhlenwand hinein.

Als er mit den Nashörnern fertig war, setzte er sich für eine Weile hin. Er hatte einen besonders langen verkohlten Ast dabei, und während er dasaß, malte er damit einen kleinen Bison an die Wand, erst nur als Dreistrich, doch dann tupfte er mit der Spitze immer wieder in das Winterfell zwischen seinen Hörnern. Es war nur ein Zeitvertreib, während er sich ausruhte und die Wand betrachtete. Eine wunderbare Wand. Sie atmete gemeinsam mit ihm ein und aus, kam näher und rückte dann wieder von ihm ab.

Durch das Tupfen entstand ein gutes, schönes Schwarz, also malte er auf der linken Wandseite einen weiteren Bullen dazu und füllte ihn ganz schwarz aus. Durch ein leichtes Kratzen mit dem Stichel entfernte er gerade genug Schwarz aus dem Gesicht, um ein Auge anzudeuten. Das schwarze Auge eines schwarzen Bullen, und doch erkennbar. Unter der Schnauze dieses schwarzen Tiers malte er ein Pferd mit einem großen Kopf und einem kleinen Körper. Es sah gut aus, mit der schwarz getupften Brust und den nur umrissenen Beinen.

Damit blieb ihm der größte freigeschabte Bereich, rechts von den Bullen und über den kämpfenden Nashörnern. Es war eine gute Malfläche, und für eine Weile setzte er sich neben seinen Rucksack, um sie zu betrachten.

Er füllte das Fett in seinen Lampen nach. Er trank etwas Wasser. Dann begutachtete er seine Hände; seine Handflächen und Finger waren schwarz von Kohle. Er hielt seine Rechte vor sich, erst mit der Handfläche und dann mit dem Rücken. Der abgeknickte kleine Finger. Er pulsierte schwarz, schien zu verschwinden und wiederzukehren. Eine lebende Hand. Er hielt sie vor die Wand, als wollte er einen Umriss pusten. Aus dieser Entfernung bedeckte sie den Bereich, auf dem er noch malen würde.

Er schloss die Augen, und auf den Innenseiten seiner Lider schwammen leuchtende Farben. Er sah das Pferd bei Sonnenuntergang, das sich auf dem Grat auf der anderen Seite des Tals aufgebäumt hatte. Er erinnerte sich daran, wie es sich angefühlt hatte, am Ende seiner Wanderung, wund am ganzen Leib, wie das Pferd ihn gesehen und sich dann aufgebäumt hatte, und mit einem Mal war ihm im Licht des Sonnenuntergangs klar geworden, dass alles eine Bedeutung hatte, die er nicht einfangen konnte, die auf etwas so Großes verwies, dass man es nicht aussprechen, nicht erspüren konnte. Etwas Großes, in dem sie alle zusammen drinsteckten. Damals hatte es ihm den Atem geraubt, und das tat es nun, als er sich daran erinnerte, wieder.

Dieses Pferd erschaffen. Tupfen, bis es Schwarz in Schwarz war. Zeigen, wie es sich aufbäumte, jenen Moment, als ihn dieser Anblick durchbohrt hatte, damals auf dem Felsgrat.

Er stand auf und begann erneut zu malen. Von oben anfangen und sich nach unten vorarbeiten. Eine Reihe von Köpfen, die zeigte, wie es sich vor der untergehenden Sonne aufbäumte, genau, wie Dorn es bei den Löwen gemacht hatte, aber anders. Mit der Hand nahm er Maß; er hatte Platz genug für vier Köpfe.

Er fing an, den obersten Kopf zu malen. Erst die Stirn, wie bei einem Dreistrich. Dann die lange Nase bis zu den Nüstern und die kleine Krümmung des Mundes. Dann innehalten. Der zweite Kopf musste den Platz darunter ausfüllen. Er nahm den Stock und drückte ihn fest auf die Wand, tupfte die Kohle so dick wie möglich auf, sorgfältig von oben nach unten.

Der Bogen der Mähne, und, mit sanfterem Druck, der Rücken dahinter. Gut. Dann das Auge, das Eistaucher über das Tal hinweg ansah. Kein freundlicher Blick. Überall zwischen den Linien tupfte und schmierte er schwarze Kohle, in die Stirn, auf die Wangen.

Er nahm den Stichel und kratzte ein wenig um die Augen herum weg, um ihnen einen weißen Rand zu verleihen. Dann stellte er fest, dass er auch um den Kopf herum etwas abkratzen konnte, sodass die Wand noch weißer wurde und der Kopf sich noch stärker abhob.

Langsam und vorsichtig kratzte er winzige Felssplitter von der Wand ab. Es musste eine makellose Linie werden, die einen makellosen Kontrast zwischen Weiß und Schwarz herstellte. So würde der Eindruck entstehen, dass der Kopf aus der Wand herauskam — weil das tatsächlich der Fall war.

So lange war er in die Arbeit vertieft, dass eine der Lampen ausging. In dem plötzlichen Dunkel stolperte er zurück und stieß in seiner Hast fast eine der beiden noch brennenden Lampen um; und als er vorsprang, um sie festzuhalten, trat er beinahe auf die dritte. Innerhalb eines kurzen Moments hätte er beinahe versehentlich all seine Lichter ausgehen lassen.

Für eine Weile setzte er sich hin, erschrocken über seine eigene Ungeschicklichkeit. Die Höhle grollte eine Warnung. Er wünschte sich Dorn herbei, um mit ihm reden zu können, und mit einem Mal wurde ihm klar, dass der alte Schamane nie wieder für ihn da sein würde. Dorn war fort. Es war unvorstellbar. Dieses Gesicht, diese Stimme, diese verärgerten und ärgerlichen Gedanken nicht mehr zu haben. Niemanden, mit dem er reden konnte, wie Heide gesagt hatte. Alleingelassen in der einsamen Welt des Schamanen, weit weg in Träumen und Visionen, immer allein, selbst innerhalb des Rudels. Er hatte sich gewünscht, dass seine Wanderschaft ewig währen würde, und nun war es so gekommen.

Da half ich ihm auf. Ich trug ihn zu der Wand, ich hob seine Hand, und ich malte die Mähne des nächsten Pferdes.

Als ich es näher betrachtete, stellte ich fest, dass ich das zweite Pferd zu weit oben begonnen hatte, zu dicht am ersten. Vier Köpfe so dicht beieinander waren zu dicht, unten würde eine unschöne Lücke bleiben. Ich hatte einen Fehler gemacht. Ich wusste nicht, wie ich ihn wiedergutmachen sollte. In der Tiefe der Höhle, bei dem Versuch, Eistaucher über einen schweren Moment hinwegzuhelfen, hatte ich einen Fehler gemacht. Erschrocken, verstört, ohne zu wissen, was ich tun sollte, zog ich mich in ihn zurück und überließ ihn seiner Arbeit.

Eistaucher trat zurück und starrte an die Wand. Er hatte die Mähne des zweiten Pferdes ohne nachzudenken gemalt, und jetzt merkte er zu seinem Entsetzen, dass sie zu weit oben war. Der Gedanke an Dorn hatte ihn abgelenkt, und er hatte gemalt, ohne zu sehen. Ein großer Fehler!

Der sich nicht beheben ließ. Wenn er diesen neuen Kopf an dieser Stelle weitermalte, würden die vier Köpfe insgesamt zu dicht beieinander sein; aber für fünf Köpfe reichte der Platz nicht.

Noch immer verwirrt und von einem elenden Gefühl der Hilflosigkeit erfüllt, trat er erneut zurück, wobei er diesmal darauf achtete, sich von den Lampen fernzuhalten. Er setzte sich neben seinen Rucksack und betrachtete nachdenklich die Wand. Dorns Bisons in der hintersten Höhle fielen ihm wieder ein; eines davon hatte sieben Beine, an denen man sah, dass es rannte. Hinter seinen Lidern sah er erneut das schwarze Pferd auf dem Kamm, das sich aufbäumte und den Kopf vor der Abendsonne zurückwarf. Wie sich das Licht in der steifen, kurzen schwarzen Mähne gefangen hatte. Wie schwarze Pferde aus der Landschaft heraus direkt ins Auge zu springen schienen.

Er stand wieder auf, um die Wand direkt unter der Mähne zu berühren. Er konnte die Mähne losgelöst dastehen lassen und den zweiten Kopf etwas weiter nach unten versetzen. Vielleicht würde es aussehen, als wäre ein weiteres Pferd zwischen den beiden, wie wenn man den Blick über eine Herde schweifen ließ. Oder es konnte andeuten, wie das Pferd sich aufbäumte, wie die sieben Beine von Dorns Bison. Die Welt, wie sie im Licht eines Blitzes aussah und wie Eistaucher sie oft sah, ob es nun gewitterte oder nicht. Eine Abfolge von Seinszuständen, die einem ins Auge sprangen und auf ewig einen Eindruck hinterließen.

Die Wand fühlte sich kalt unter seinen Fingerspitzen an. Auch seine Füße waren kalt, und er wippte auf Zehen und Hacken hin und her, um sie aufzuwärmen. Die Wand wölbte sich ihm entgegen und zog sich wieder zurück, versuchte, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen, damit er in sie hineinfiel und sie ihn einfangen konnte. Es gab kleinere Pferde in den Tälern des Westens, deren Frauen keine Mähnen hatten. Er erkannte, dass er einen kleinen Witz einbauen konnte; die vier Köpfe des steigenden Pferds würden die Köpfe vier verschiedener Pferde sein. Und die freischwebende Mähne konnte er so verwischen, dass sie aussah wie die Wange des obersten Pferds, während sie gleichzeitig die Mähne des Pferds darunter wurde. Dann folgte ein Pferd ohne Mähne mit kleinen Ohren auf dem Kopf: fast noch ein Fohlen. So würde das Pferd, während es ein einziges Mal den Kopf in den Nacken warf, sein ganzes Leben durchlaufen, oder sich vielmehr in alle schwarzen Pferde verwandeln, die Eistaucher jemals gesehen hatte. Nun ja, welche Geschichten die Bilder erzählten, war nicht seine Sorge. Er musste sie nur malen, anschließend würden sie ihre Geschichten selbst erzählen. Er würde nicht mit Sicherheit wissen, was herauskam, bis er es malte.

Die Wölbungen der Wand unter seinen Fingern verrieten ihm, dass der zweite Kopf nicht so sehr in die Wand hineinschaute wie der darüber. Es hing damit zusammen, wie es den Kopf zurückwarf — ein trotziges Aufbäumen. Die Rückenlinie des schwärzesten Bullen, links des Pferds, bildete zusammen mit den beiden Pferdeköpfen ein Dreieck. Er kratzte mit dem Stichel über das Dreieck, um es aufzuhellen, wobei er in den Ecken, wo die Linien zusammentrafen, sehr vorsichtig war. Das Schaben von Stein auf Stein hallte laut durch die schwarzen Schatten der Höhle. Eine große, schwarze Nüster. Der Klang, wenn der hölzerne Stock auf die Wand traf, unterschied sich ganz deutlich von dem des Stichels.

Eistaucher trat einen Schritt zurück, um den zweiten Kopf zu begutachten. Es sah aus, als schnüffelte er am Bild eines kleinen, alten Nashorns, das sich leicht aufbäumte. Das dritte Pferd würde am Hinterteil desselben Nashorns schnüffeln. Das würde dem Pferd gar nicht gefallen, es würde Mund und Nase zukneifen, um den Geruch des Nashornhinterns auszusperren. Pferde und Nashörner konnten einander nicht leiden. Eigentlich gab es überhaupt keine Tiere, die die Gesellschaft von Nashörnern schätzten. Nur Mammuts näherten sich ihnen manchmal. Den Mammuts war es egal, wer sich in ihrer Nähe herumtrieb, obwohl sie sich vor Nashörnern in Acht nahmen. Wenn beide ans selbe Wasser wollten, konnte sich oft keiner durchsetzen. Einmal hatte Eistaucher beobachtet, wie ein Nashorn und ein Mammut eine ganze Faust lang an den gegenüberliegenden Ufern eines Bachs gestanden hatten, ohne einander direkt anzusehen. Beide hatten darauf gewartet, dass der jeweils andere ging. Eistaucher hatte sich verabschiedet, bevor es zu einer Entscheidung gekommen war.

Den dritten Kopf zeichnete er als Pferdefrau, mit sehr kurzer Mähne, hübsch und fügsam. Sie färbte er in einem helleren Grau ein, ein Scheckenmuster aus heller Wand und dunkler Kohle, für das er sehr behutsam mit dem Stock auftupfte und ganz leicht mit den Fingern darüber strich. Hier waren Teile von der Wand abgesplittert, wodurch sie bestens geeignet war, um diese Wirkung zu erzielen; schwarz in den Vorsprüngen, in den Vertiefungen weiß. Jedes Pferd würde von einem etwas anderen Schwarz sein.

Er entschied sich dafür, den vierten Kopf ganz unten am schwärzesten zu machen, sodass er gleich den Blick auf sich zog und man das Bild vom Beginn der Bewegung an betrachten würde. Als Erstes würde man das beherrschende Schwarz sehen, und dann würde der Blick der Bewegung nach oben folgen. So konnten die Köpfe sich gleichzeitig aufbäumen und reglos bleiben. Das war natürlich Dorns Handschrift; Dorn hätte dieses Bild gefallen. Eistaucher würde mit einem kleineren Pferd beginnen. Ein junger Hengst, so schwarz wie die Höhle, wenn das Licht ausging, und wiehernd. Dieses laute schwarze Geschöpf würde der Beginn des Ganzen sein: Ein scheuendes Pferd, mit aufgerissenen Augen, das Weiß freigekratzt, eine weiße, ebenfalls gekratzte Tränenspur unter dem Auge. Es öffnete das Maul zu einem Wiehern, wie um dagegen zu protestieren, dass man es ansah, und dann wandte es sich ab und galoppierte langsam davon, wie auf dem Kamm, in jenem Augenblick, als ein Teil von Eistaucher geboren worden war, im großen Moment seiner Wanderschaft, als ihm klar geworden war, dass die Welt von einer Bedeutsamkeit erfüllt war, die er nicht zum Ausdruck bringen konnte. Hier und jetzt würde er zum Ausdruck bringen, was sich nicht ausdrücken ließ, sodass alle es sehen konnten.

Er füllte die Fläche schwarz, kratzte mit dem Kohlestock darüber, rieb den Ruß mit den Fingern in den Stein. Auch seine Finger waren jetzt völlig schwarz, und während er die Kohle in die Ritzen rieb, sah und spürte er mehrmals, wie seine Finger ins Gestein eindrangen, in den Leib des Pferdes. Die Mähnenborsten waren steif wie die Schnurrhaare eines Löwen, dicht und aufgestellt. Der ganze Kopf schwarz, mit Ausnahme eines kleinen Streifens, wo sich Hals und Brustkorb trafen, nur, um dem Pferd die Rundung zu verleihen, die die Wand selbst vorgab, mit einer kleinen Erhebung, durch die das linke Bein etwas vorstand. Das würde viel Eindruck machen, wenn er das Rudel herbrachte, um sich die Malereien anzusehen, und die Lampe bewegte, sodass die Schatten an der Wand zu tanzen begannen. Er konnte nicht gleichzeitig die Lampe an der Wand entlang bewegen und von der Mitte der Höhle aus die Wirkung bewundern, aber er war sich sicher, dass es gut aussehen würde, wie echte Bewegung. Und weiter oben würde das Pferd den Kopf in den Nacken werfen.

Jetzt sanken seine Hände tief ins Gestein ein. Er musste sie langsam bewegen, wie in festem Schlamm, damit er sich nicht die Finger abbrach. Die Wand war kalt, und seine Finger waren kalt.

Nachdem er mit dem Schwarz fertig war, dem schwärzesten Schwarz, das er je aufgetragen hatte, brauchte er eine Weile, um die Hände aus der Wand zu ziehen. Als es ihm schließlich gelang, kehrte er zu seinem Rucksack zurück, um von dort die Wand zu betrachten.

Sie war gut. Die freischwebende Mähne zwischen den obersten beiden Köpfen sah immer noch seltsam aus, aber daran konnte er nun nichts mehr ändern. Sie bildete entweder die Wange des oberen Pferdes oder den Nacken eines Pferdes zwischen den oberen beiden oder die Mähne des zweiten Pferdes, die sich noch vor dem Kopf hob, ihm voranging. Sie war all das, natürlich. Ein Teil der Bewegung. Und das Schwarz war gut. Eistaucher liebte die Schwärze des untersten Pferds, dessen Wiehern in den dunkelsten Winkeln der Höhle widerzuhallen schien, in den schwarzen Zwischenräumen, die die Lampen nicht erhellten.

Er kehrte mit dem Stichel zur Wand zurück und begann, den Bereich um den untersten Kopf herum auszukratzen, um seine Umrisse schärfer herauszuheben. Der Mund in dem Wiehern musste so weiß werden wie die Frauenkolbi dort unter dem Bisonmann, der ihn quer durch die Höhle ansah. Freikratzen. Es genau richtig hinbekommen. Der Stein hatte an dieser Stelle so viel Struktur, er war körnig, aber glatt; er ließ sich sehr gut auskratzen, sodass man eine glatte weiße Fläche als Umrandung für die schwarze Masse der Pferde erhielt. Halt, aufpassen, der Kratzer war zu weit unten — nimm den Kohlestock, befeuchte dir die Finger, übermale den Kratzer. Nur der hintere Teil vom Unterkiefer des Pferds verlief über die Erhebung, die nun zwei kleine Kerben aufwies.

Ein gluckerndes Wehklagen stieg von unten auf, dann gab es einen Windstoß, und alle seine Lampen erloschen auf einmal und ließen ihn in undurchdringlicher Schwärze zurück, einer Schwärze so schwarz, als habe sie sich aus dem untersten Pferdekopf über ihn ergossen und die ganze Höhle erfüllt.

66

Das war schlimm. Die Schwärze war absolut. Er konnte sich Farben vor Augen rufen, indem er die Lider fest zukniff, aber das half ihm nicht. Er war blind. Die Welt war schwarz.

Die Höhle seufzte erneut. Sie lachte ihn aus, weil er in ihre Falle getappt war. Wie fanden sich die Höhlenbären hier drin zurecht? Wie sahen sie in solcher Finsternis?

Sie sahen nicht. Sie erschnüffelten sich ihren Weg. Und die Höhle, in der sie ihren Winterschlaf hielten, lag sehr viel dichter am Eingang. Sie tappten einfach blind herein und erschnüffelten sich den Weg zu ihrem üblichen Schlafplatz, und wenn sie wieder erwachten, dann erschnüffelten sie sich den Weg nach draußen.

Für einen Moment hörte er auf zu denken, und schieres Entsetzen überrollte ihn und ließ ihn erhitzt und keuchend zurück. — Nein, stöhnte er und hörte ein leises Klingen, das vielleicht ein Echo oder auch eine Antwort war.

Vorsichtig machte er einige Schritte und versuchte dabei, das Gesicht weiterhin auf die Wand zu richten, um nicht völlig die Orientierung zu verlieren. Wenn er mit dem Gesicht zur Wand stand, ging es links nach draußen. Er ließ sich auf die Knie nieder und kroch, wobei er mit den Händen vor sich über den Boden strich, auf der Suche nach den erloschenen Lampen, nach seinem Rucksack — nach irgendetwas, das ihm gehörte und ihm vielleicht weiterhelfen würde.

Aber als seine Hand gegen eine der Lampen stieß, half ihm das auch nicht; der Docht war kalt, in der kleinen Vertiefung befand sich kein Öl mehr. Vielleicht war er so in die vier Pferdeköpfe vertieft gewesen, dass in der Zwischenzeit allen Lampen das Fett ausgegangen war und sie dadurch erloschen waren. Vielleicht hatte es überhaupt keinen Windstoß gegeben, kein Lachen von dem Ding unter der Höhle. Jetzt lachte es allerdings. Aber darauf kam es nicht mehr an. Er musste seinen Rucksack finden.

Schließlich stieß er mit tastender Hand dagegen. Nun, wo er wusste, wo der Rucksack war, fand er auch seine zweite Lampe, und dann die dritte. Allen war das Fett ausgegangen oder jedenfalls so knapp geworden, dass die Dochte erloschen waren. Er trug sie zurück zu seinem Rucksack, den er ein paar Mal verfehlte, weshalb er für einen Moment in Panik geriet; doch schließlich fand er ihn wieder, und sein Entsetzen ebbte ab.

Eistaucher setzte sich auf sein Pelzstück, steckte die Hand tief in den Rucksack und tastete nach dem Fettbeutel. Er fand ihn, immerhin. Dieser Beutel barg sein Augenlicht. Dann griff er in seine Gürteltasche und fand das Stück Wurzelholz mit der Glut darin. Mit verzweifelter Behutsamkeit holte er es hervor, löste mit zitternden Fingern den Zedernholzverschluss und steckte vorsichtig den Finger hinein, in der Hoffnung, sich zu verbrennen. Aber im Innern war es noch nicht einmal warm. Nichts als Asche. Er war zu lange geblieben.

Er sank gegen den Fels und wimmerte vor Angst. In seinem Rucksack waren noch seine Beutel mit Essen und seine restlichen Malwerkzeuge. Etwas, das sich wie der Beutel mit dem Erdblutpulver anfühlte, das mit Wasser gemischt rote Farbe ergab. Aber das Wasser war ihm beinahe ausgegangen. Und nirgendwo im Rucksack fand er seine Feuersteine oder die kleine Tasche mit Mulm und trockenen Holzsplittern, die er brauchte, um ein Feuer zu entfachen.

Ihm war schleierhaft, was damit geschehen sein konnte. Einmal mehr überkam ihn Entsetzen, flutete durch ihn hindurch und riss ihn mit sich. Er musste diese Flut zu Eis erstarren lassen und sich daraufstellen. Er musste kalt wie Eis sein, doch stattdessen glühte er vor Angst.

Nach einer Weile entließ der Schrecken ihn aus seinen Klauen und schleuderte ihn weinend zu Boden. Ihm fiel ein, dass er sein Feuerzeug vielleicht beim Anzünden der dritten Lampe aus dem Rucksack genommen hatte. Andererseits hatte er sie mithilfe eines Spans an einer der anderen Lampen angezündet, weshalb es gar keinen Grund gegeben hatte, Feuersteine und Mulm hervorzuholen. Trotzdem mochte es so gewesen sein. Das war nicht weit von hier gewesen; er war sich nicht sicher, wo genau, weil er in der Dunkelheit alle Lampen hierher zu seinem Rucksack getragen hatte.

Er kroch in die Richtung, in der er die dritte Lampe gefunden zu haben meinte, und tastete dabei den Höhlenboden ab. Nichts. Als er versuchte, zu seinem Rucksack zurückzukehren, fand er ihn eine Weile nicht wieder. Als er ihn schließlich ausfindig gemacht hatte, weinte er erneut, und danach nahm er den Rucksack beim Umherkriechen mit. Er fand ein paar Steine auf dem Boden und einige Kohlestöcke, die in einem kleinen Loch an der Wand lehnten. Ein Maul mit Zähnen, riesig in der Finsternis, größer als sein Kopf: Das musste der Schädel eines Höhlenbären sein, kein Zweifel. Er war lang und voller Zähne und hatte die Wölbung an der Stirn, an der man einen Höhlenbären erkannte, obwohl bereits seine schiere Größe keinen Zweifel aufkommen ließ.

Nichts. Er hatte Lampen, Dochte und Öl, aber weder Feuersteine noch Mulm. Keine Möglichkeit, Feuer zu machen. Er schlug die Steine, die er gefunden hatte, zusammen, und kurz flogen ein paar rote Funken durch die Schwärze wie Sternschnuppen, die aber längst nicht genügen würden, um Mulm zum Brennen zu bringen; und ihm fehlte ohnehin der Mulm.

Er saß in der Schwärze der Höhle fest. Wenn er nach draußen wollte, blieb ihm nichts anderes übrig als der Versuch, gehend oder kriechend die richtige Richtung einzuschlagen.

Doch inzwischen hatte er keine Ahnung mehr, was die richtige Richtung war. Er musste seine Wand wiederfinden, um sich zu orientieren, aber als er aufstand und mit ausgestreckten Händen herumlief, traf er erst auf eine und dann auf eine weitere Wand; er tastete nach Kratzern, roch an seinen Fingern, um herauszufinden, ob er gerade Kohle berührt hatte; aber in der Finsternis fühlte sich alles gleich an, und seine Finger rochen sowieso nach Kohle, egal, was er anfasste.

Frierend, müde, hungrig, durstig. Erfüllt zuerst von Angst und dann, als immer mehr Zeit verstrich, von schmerzhaftem Kummer. Dass es so hatte kommen müssen! Dorn würde so wütend auf ihn sein, wenn er jetzt schon in der Geisterwelt auftauchte, weil er sich in ihrer eigenen Höhle verirrt hatte! Es war beinahe lustig, sich die Miene des alten Schlangenkopfs vorzustellen. Aber in Wirklichkeit würde es alles andere als lustig werden. Und was war mit Elga? Auch sie würde wütend sein, vor allem aber traurig.

Er kroch auf Händen und Knien umher, bis er etwas ertastete, das sich nach einem Fußabdruck anfühlte. Im ausgehärteten alten Schlamm auf dem Boden gab es viele alte Bärenspuren, die tief genug waren, um den Frühlingsüberschwemmungen standzuhalten, und in alle Richtungen zeigten. Als er seinen eigenen Fuß hineinsetzte, stellte er fest, dass die Spur viel zu groß für einen Menschen war. Beim nächsten Abdruck, den er fand, ging Eistaucher genauso vor und stellte fest, dass er von einem Menschen stammte. Das gab ihm Mut. Aber die Leute gingen in der Höhle mal hierhin und mal dorthin. Deshalb wusste er noch lange nicht, in welche Richtung er musste.

Wenn er ans Ende dieses Höhlenabschnitts kam, würde er eine Reihe abfallender Stufen erreichen. Wenn es hingegen nach oben ging und wenn er das Glück hatte, den Trittstein unten vor der einen großen Stufe zu finden, dann würde er wissen, dass er in die richtige Richtung unterwegs war, zumindest soweit es ihm überhaupt gelang, sich an eine Richtung zu halten.

Also verstaute er seine Sachen wieder in seinem Rucksack und versuchte, bergauf zu gehen. Immer wenn er auf eine Wand traf, versuchte er herauszufinden, in welche Richtung der Boden sich neigte, und folgte wenn möglich der Steigung.

Immer weiter kroch er, wobei er mit den Händen den Boden vor seinen Füßen abtastete. Er hatte das Gefühl, sich auf einer geraden Linie zu bewegen, aber sicher war er sich nicht. Dorn hatte einmal erwähnt, dass niemand ohne Licht den Weg aus einer so großen Höhle finden konnte.

Er verlor das Zeitgefühl. Ihm wurde immer kälter. Die Luft in der Höhle schien abgekühlt zu sein, und unter seinen Füßen lachte ihn etwas aus, lauter denn je.

Als er das Gefühl hatte, dass bereits mehrere Fäuste vergangen waren, hielt er schließlich inne, um seine letzten Vorräte zu verzehren, und bevor er sich bremsen konnte, hatte er seinen letzten Rest Wasser getrunken. Wände und Boden waren hier und da nass; vielleicht konnte er die Feuchtigkeit von den Wänden lecken. Verzweiflung machte sich in ihm breit, die Erkenntnis, dass er hier drin durchaus sterben mochte. Er weigerte sich, diese Möglichkeit anzuerkennen, auch nur über sie nachzudenken. Es war ohnehin nicht möglich, sich damit abzufinden. Aber das Gelächter aus dem Höhlenboden klang wie das Ding, das ihn in der letzten Nacht seiner Wanderschaft in die Spalte an der Großen Schlucht gejagt hatte. Ob es nun Quarz gewesen war oder nicht, das Ding hatte gewusst, dass es ihn beinahe erwischt hatte. Und dieses Wissen hatte es zum Lachen gebracht. Und nun wusste es, dass es recht hatte.

Weinend blieb er liegen. Die Schwärze selbst genügte bereits, um ihn zu ersticken, um ihm dort auf dem kalten Schlammboden die Luft abzudrücken. Dorn würde so wütend sein! Elga so traurig.

Er fiel in einen Schlaf, oder zumindest etwas Schlafähnliches.

Als er später bibbernd vor Kälte erwachte, drückte er sich auf Hände und Knie hoch und kroch vorwärts. In seinem Ohr sagte Dorn verächtlich: Wende dich jedes Mal, wenn du auf eine Wand triffst, nach links. Selbst wenn du einmal um die ganze Höhle herumkrabbelst, dann findest du so früher oder später die Kolbi und wirst aus der Erde heraus geboren. Das ist doch offensichtlich.

Eistaucher krabbelte weiter, mit dem dumpfen Gefühl, einen Plan zu haben, den er bis zu seinem Tode befolgen konnte. Immer weiter.

Dann meinte er, von irgendwo einen Ruf zu hören:

— Eistaucher! Eistaucher!

Er schrie so laut er konnte: — Hier bin ich! Hilfe! HILFE!

Ein Teil der Welt wurde grau. Da war eine aufkeimende Helligkeit, und er wand sich ihr entgegen, um sie einzuatmen wie eine Brise Lebenshauch. Ja, es war Licht, so klar erkennbar wie Sonnenlicht, obwohl es sich lediglich um ein blasseres Schwarz in der schwarzen Finsternis handelte. Die Höhlenwände in jener Richtung waren Schatten in der Schwärze, und dadurch ragte auch die Höhle selbst wieder um ihn herum auf, Schwarz auf Schwarz und sichtbar.

Er rief noch einmal. Er erkannte nichts von dem, was er sah, wusste nicht, ob die grauschwarzen Formen fern oder nah waren, ob sie eine Tagesreise weit weg waren oder sich mit ausgestrecktem Arm berühren ließen; er versuchte, sie anzufassen, doch es gab nichts anzufassen.

Er saß da. Das Licht schien schwächer zu werden, und voll Entsetzen rief er erneut: — Hilfe! Hilfe!

Nur einmal zuvor hatte er so verzweifelt geschrien, als er als Kind in den Fluss gefallen war und keinen Boden unter sich gespürt hatte. Irgendwie war er an die Oberfläche gestrampelt und hatte HILFE gerufen, in der Hoffnung, dass ihn jemand hören würde. Welch angstvoller Schrei! Damals hatte ihn seit Vater herausgezogen.

Die Geräusche in der Höhle formten Worte: — Eistaucher! Eistaucher!

Dann wurde das Licht stärker, und mit einem Mal konnte er die Höhlendecke über sich erkennen, die gefältelt und gerippt war wie ein Bauch. Mutter Erde würde ihn durch ihre Kolbi noch einmal gebären; so sah der Geburtskanal von innen aus. Seine Zunge hatte in Elga Falten ertastet, die sich anfühlten wie das, was er jetzt über sich erblickte.

Dann hörte er, dass eine der Stimmen die von Elga war. Eine Lichtnadel stach ihm in die Augen. Er hob die Hände gegen das Licht und schrie vor Schreck und Erleichterung und Freude, während er sich langsam aufrappelte. Schwankend und stolpernd rief er: — Elga! Elga! Elga!

Das lodernde Licht kam von Fackeln. Ihre Flammen zuckten wild auf und ab, und um ihn herum flatterten die Schatten wie riesige Vögel, ah: Er sah jetzt, dass die Geisterraben dieser Höhle bereits um ihn versammelt gewesen waren, um ihm das Fleisch von den Knochen zu picken, sobald er gestorben war. Das Fackellicht war so hell und gelb, dass er sonst nichts erkennen konnte, es kam ihm vor, als näherte sich ihm durch die schwarze Luft der Höhle nichts als Feuer.

Dann sah er die Leute, die die Fackeln trugen. Elga und Heide und Falke. Elga gab Falke ihre Fackel, damit er sie hielt, rannte zu Eistaucher und umarmte ihn.

— Bist du kalt!, entfuhr es ihr.

— Mir geht es gut, sagte er und spürte das Grinsen in seinem Gesicht, während er weinte. Jetzt klapperten seine Zähne.

Sie erzählten ihm, dass Moos ein bisschen weiter vorne in der Höhle war und ihnen mit einer Fackel leuchtete. Und von dort, wo Moos stand, kannten sie den Weg zurück in die rote Höhle und von dort in die Taghöhle. Elga hatte die Arme um ihn geschlungen und hob ihn fast hoch. Er sei zu lange fortgeblieben, sagten sie, also waren sie reingekommen. Nach vier Tagen.

— Nein, sagte Eistaucher.

— Doch, erwiderte Elga. — Vier Tage. Also sind wir reingekommen.

— Darüber bin ich froh, sagte Eistaucher. — Mir sind die Lampen ausgegangen. Ich habe sie nicht wieder anbekommen. Hier war es sehr lange dunkel.

— Wo sind wir?, fragte sie und blickte sich um. Es waren keine Tiere an den Wänden, obwohl es an einer Stelle Schraffuren gab, die zu ordentlich waren, um von den Krallen eines Höhlenbären zu stammen.

— Ich weiß es nicht, sagte Eistaucher. — Ich glaube nicht, dass ich schon mal in diesem Teil der Höhle war. Das hier erkenne ich nicht wieder. Ein kurzer, heftiger Angstschauer überkam ihn, und Elga drückte ihn fester an sich.

Sie hatten vom letzten Punkt, von dem aus man Moos’ Fackel sehen konnte, ein Seil hinter sich ausgelegt; es wand sich über den Höhlenboden wie eine Schlange. Auf dem Rückweg rollten sie es wieder auf, und schon bald sahen sie weiter vorne etwas leuchten. Als sie den Durchgang passierten, erkannte Eistaucher, dass sie in seine Höhle zurückkehrten, mit seinem neuen Bild zur Rechten an der Wand. Er war tiefer in die Erde vorgedrungen, aber durch einen Durchgang, der nicht in Dorns Löwenhöhle geführt hatte. Vor seinen Augen befand sich sein Bild, und er betrachtete es, neugierig auf sein Werk.

Die anderen hielten ebenfalls inne, um es sich anzusehen. Aber Elga wollte so schnell wie möglich nach draußen. — Wir kommen später mit dem ganzen Rudel zurück, sagte sie. — Erst bringen wir dich hier raus.

Eistaucher hob den Höhlenbärenschädel auf, den er in der Schwärze ertastet hatte. Als er ihn betrachtete, erkannte er das schwarze Gefühl, das er in der Finsternis verspürt hatte. Etwas hatte versucht, ihn zu fressen.

Er legte den Schädel auf einen etwa hüfthohen Steinklotz in der Mitte des Raums. Dann blickte er sich in der Höhle um, in der er vier Tage verbracht hatte, erst malend und dann in der Finsternis. Er wusste nicht, welcher der beiden Abschnitte länger gewesen war. Es war ihm vorgekommen wie vier Jahre, oder vier Leben. Wenn sie hierher zurückkehrten, würde er sein Rudel darum bitten müssen, jeden Höhlenbärenschädel, den sie fanden, einzusammeln und ihn hier hereinzubringen, als Zeichen für diese vier verlorenen Leben. Etwas sollte davon künden, was hier geschehen war.

Elga schob ihn weiter. Vorbei an der Eule auf dem Stein, vorbei an dem Steinschilf. Dann sahen sie weiter vorne Moos’ Licht, am anderen Ende des großen, leeren Raums. Moos rief ihnen zur Begrüßung laut zu, erfreut, dass sie Eistaucher lebend gefunden hatten. Er rannte ihnen mit lodernder Fackel entgegen, schloss Eistaucher fest in die Arme und wirbelte ihn herum. — Guter Mann! Du hast es geschafft!

— Ja, das habe ich.

— Aber du bist völlig schlammverschmiert!

— Ich bin viel herumgekrochen, gab Eistaucher zu.

Eine Weile standen die anderen um ihn herum und plapperten auf ihn ein. Er zitterte. Durch den gegenüberliegenden Ausgang fiel ein schwaches Licht herein, von dem sie alle wussten, dass es Tageslicht war. Es war gut, solches Licht zu sehen.

Mit einem Mal merkte Eistaucher, wie müde er war. Jetzt, wo sie beinahe draußen waren, stellte er fest, dass er kaum noch gehen konnte. Er spürte seine Füße nicht. Moos und Elga gingen zu seinen Seiten, hielten ihn bei den Armen und halfen ihm über den klumpigen Matsch bei den alten Bärenschlafstätten hinweg. Sie hielten inne, um ihn behutsam aufstampfen zu lassen, damit er etwas Gefühl zurück in die Füße bekam. Sein linkes Bein schmerzte leicht. Er tanzte ein bisschen im Kreis, um es zu lockern.

Mit einem Mal stand er vor einer Wand mit einer großen, glatten freien Fläche, zwischen den beiden Durchgängen zu dem Raum, in dem die Bären schliefen. Ein roter Farbfleck war darauf zu sehen, und mit einem Mal sagte Eistaucher: — Moment mal, ich sehe etwas. Eines muss ich noch tun.

Den anderen gefiel das ganz und gar nicht, und das sagten sie auch, aber Eistaucher fiel ihnen ins Wort.

— Eines muss ich noch tun!

Er sah sie nacheinander an, und sie verstummten und ließen ihn gewähren. Schließlich wartete die Welt nur ein paar Dutzend Schritte weiter hin zum Licht, da konnten sie ihm seinen Wunsch schlecht abschlagen.

Eistaucher holte den Beutel mit Erdblutpulver und eine Schüssel aus seinem Rucksack und bat Elga um Wasser. Dann mischte er Pulver und Wasser zu roter Farbe und dickte sie mit Spucke an, die er sich von den anderen erbitten musste; sein eigener Mund war zu trocken.

Als die Farbe fertig war, trat er an die Wand und tauchte die rechte Hand in die Farbe, wobei er sorgfältig darauf achtete, nur die Handfläche zu benetzen. Dann drückte er sie an die Wand. Als er die Hand wegzog, blieb ein beinahe rechteckiger roter Abdruck zurück.

Das tat er immer wieder. Erst hockte er sich hin, um unten Abdrücke zu hinterlassen, dann streckte er sich so weit er konnte nach oben. Er platzierte die Handabdrücke so, dass sie die groben Umrisse eines Bisons bildeten. Eine neue Art des Tupfens, konnte man sagen. Je öfter er die Hand aufdrückte, desto wütender wurde er. Er wusste nicht, warum oder über was. Irgendwie hatte es etwas mit Dorn zu tun oder mit Dorns Tod. Wir hatten einen schlimmen Schamanen, wir hatten einen guten Schamanen, wir hatten einen Schamanen. Und mit dieser Tupfzeichnung eines Bisons, die er mit seiner eigenen, lebenden Hand und mit dem Blut der Erde selbst anfertigte, würde er Dorns Geist an der Wand bannen. Sollte Dorn für immer in dieser Höhle wohnen, die Eistaucher beinahe umgebracht hatte, während er nach draußen in die Welt entkam. So konnte man sehen, wie der Bisonmann gewesen war, wie groß und mächtig. Eistaucher drückte die Hand in die Farbe und an die Wand: Er wollte die schiere Körperfülle dieses Geschöpfes erkennbar machen. Wenn er aufdrückte, verschwand sein Arm bis zum Ellbogen in der Wand. Alle Welten in dieser einen Wand. Er machte die roten Abdrücke, bis alle Farbe aufgebraucht war. Das war Dorn.

Danach war er wahrhaft erschöpft. Er trank etwas von Elgas Wasser, und dann legte er die Arme um Moos’ und Elgas Schultern, und sie stiegen mit ihm aus der Höhle. Sein linkes Bein wurde langsam taub. Es versuchte, ihn für immer in der Höhle zu halten. Ohne darauf zu achten, stapfte Eistaucher in den Tag hinaus.

— Mamma mia, du siehst wirklich übel aus, bemerkte Elga. — Völlig schlammverschmiert.

Moos sagte: — Du siehst aus, als hättest du Feuer gefangen und wärest in eine Schlammgrube gesprungen, um es zu löschen.

— Ja, sagte Eistaucher.

Nach einer Weile passten seine Augen sich an das Licht an, sodass er es ertrug, in die Welt hinauszublicken. Unter ihnen lag die Gewundene Au. Es war Frühsommer, und der Steinbison wölbte sich über den Fluss. Es herrschte Stille, morgendlicher Frieden. Der Himmel war bewölkt, und Wind umspülte sie. Sie trugen Eistaucher ins Lager hinab.

67

Im Lager wuschen sie ihn und setzten ihn ins Bett, und Elga kümmerte sich einen Tag lang um ihn. Es pochte in seinen Füßen, als sie sich erwärmten. Obwohl er schon viel getrunken hatte, war er durstig. Hunger hatte er auch. Und er wollte alles sehen.

Nachdem er sich einen Tag lang ausgeruht hatte, machte er einen Spaziergang.

Als er den Blick durch ihr Flusstal schweifen ließ, sah er alles sehr klar. Er wollte nichts als Elga, er wollte die Tage, die sie zusammen hatten. Ihnen stand nur eine begrenzte Anzahl Tage zur Verfügung, eine begrenzte Anzahl Jahre. Aber gleichzeitig war er jetzt der Schamane, ob er es wollte oder nicht. In dieser Hinsicht würde er die Höhle nie wieder verlassen. Und seine Wanderschaft würde niemals enden.

Beim darauffolgenden Vollmond, dem sechsten des Jahres, machte er sich wie schon so oft mit Falke und Moos auf den Weg zu dem Aussichtspunkt, von dem aus man die Große Schlucht überblicken konnte. Der vertraute, Ehrfurcht gebietende Schimmer des Mondlichts lag in der Luft.

— Wir sollten gehen, sagte Eistaucher. — Elga meint, dass es so weit ist. Sie weiß schon, wer wohin gehen wird. Es ist an der Zeit für unser eigenes Rudel, und wir werden hier auf dem Überhang leben. Ihr beiden werdet uns führen, und ich bin euer Schamane.

Seine Freunde nickten, obwohl ihnen anscheinend etwas unbehaglich zumute war. Schließlich war er nur Eistaucher. Sie wussten, dass er keine magischen Kräfte besaß. Zumindest hatte er in seiner Kindheit keine besessen. Eistaucher sah, was in ihnen vorging, und er sagte:

— Ich weiß nicht, wie gut ich als Schamane sein werde. Das finde ich erst heraus, wenn ich es versuche. Ihr kennt mich beide. Ihr kennt mich schon länger, als wir Namen haben. Ich kann nicht in meinen Träumen reisen und auch nicht jenseits des Himmels. Es sprechen keine Geister mit mir oder durch mich. Ich kann die Lieder nicht singen. Ich kann keinen Kranken helfen. Aber ich sage euch eines, und damit hob er den rechten Finger vor ihren Gesichtern und fasste sie ins Auge:

— Ich kann in dieser verfluchten Höhle malen.

Moos und Falke nickten. — Das wissen wir, sagte Falke. — Wir haben es gesehen.

Niemand sonst könne malen wie er, fand Moos. Zweifellos gehörte die Höhle in seine Obhut. Sie war von Dorn und Pfeifhase an ihn übergegangen, zusammen mit den anderen Schamanendingen. Und was die Rudel betraf, sowohl das alte wie das neue Rudel der Wölfe, konnten sie während des Zehn-Zehn-Fests gemeinsam die Höhle besuchen, die Lieder singen und die Tiere im Fackelschein betrachten, wie sie es seit jeher getan hatten. Das waren große Nächte, an die man sich noch Jahre erinnerte. Solche Nächte würden den beiden Rudeln Zusammenhalt geben und die freundschaftlichen Bande zu den anderen benachbarten Rudeln aufrechterhalten. Das Löwenrudel würde sie sicher unterstützen. Ganz sicher würde Eistaucher sie in all diesen Dingen führen können. Und Dorns Flöte würde durch Eistaucher die alten Melodien spielen. Falke und Moos sahen es bereits in ihm; sie hatten es gehört; sie waren sich dessen sicher. Vielleicht gab es eine andere Sorte Schamanenmagie, die man später lernen konnte, die die alten Schamanen von einem auf den nächsten weitergaben. Irgendwann würde er das beim Jahresstöckeabgleich herausfinden. Und Heide konnte ihm auch helfen. Eine Art zu sehen, eine Art zu sein. Atme dich selbst in den Raum hinaus und beobachte, was geschieht.

— In Ordnung?, fragte Moos und sah dabei Falke an.

— In Ordnung, sagte Falke.

68

Also machte Eistaucher sich spät am nächsten Tag auf die Suche nach Schiefer. Er fand ihn unten am Fluss. Es war der sechste Tag des sechsten Monats. Der Halbmond hing über ihnen am zwielichten Himmel, der zu dieser Abendzeit von einem vollen, mineralischen Blau war und sich als prachtvolles Dach ostwärts der nahenden Nacht entgegenwölbte.

— Ich bin jetzt der Schamane, sagte er zu Schiefer. — Dorn hat es mir beigebracht, und ich habe im Traum mit ihm gesprochen, als ich in der Höhle war. Er hat mir gesagt, dass ich bereit bin. Bald gehen wir in die Höhle, dann seht ihr alle, was wir dort vollbracht haben.

Schiefer nickte und musterte Eistaucher dabei genau. — Na schön. Das ist gut. Wir brauchen einen Schamanen.

Eistaucher sagte: — Aber hör mal, einige von uns wollen stromaufwärts zu der Balme am nördlichen Aussichtspunkt ziehen. Das Rudel wird zu groß, um weiter in einem Lager zu bleiben. Wir bekommen alle mit, wie du dich mit Falke streitest, und das könnte ein hässliches Ende nehmen. Es ist jetzt schon ein bisschen hässlich, und wenn ihr euch schlagt, wird es vielleicht noch schlimmer. Bei den Frauen ist es nicht anders. Sie sind noch mehr gespalten als der Rest. Deshalb ziehe ich mit Falke und Entchen und Moos und Heide und Achtlos und Rose und all ihren Kindern in die neue Balme. So sind wir immer noch nah genug beieinander, um uns gegenseitig zu unterstützen. Wir gehören immer noch alle zum Rudel der Wölfe. Ich werde auch euer Schamane sein und mich um die Höhle kümmern. Heide wird nach wie vor eure Kräuterfrau sein. Wir halten unsere Feiern weiter gemeinsam ab, wie wir es auch jetzt schon mit den Rudeln der Löwen und der Raben tun. Du bekommst also das, was du brauchst. Du hast selbst Kinder großzuziehen und ein Rudel im Griff zu halten. Das kannst du nicht, wenn Falke dir die ganze Zeit im Nacken sitzt. Ohne ihn bist du besser dran. So machen wir es. Der nördliche Aussichtspunkt ist ein guter Lagerplatz, wir hätten ihn uns schon lange für die Wölfe sichern sollen. Jetzt tun wir es, und von dort aus machen wir weiter.

Während Eistaucher das sagte, starrte Schiefer ihn die ganze Zeit finster an, und seine Kiefermuskeln spannten sich an und lockerten sich abwechselnd wie bei einer Hyäne, die auf Knochen herumkaute. Eistaucher hielt seinem Blick stand, sprach aber so friedfertig wie möglich mit ihm. Er fühlte sich friedvoll. Das hier war nichts gegen das, was ihm in der Höhle widerfahren war. Eistaucher stand es so deutlich vor Augen wie Schiefers verkniffenes Gesicht: Was im Tageslicht geschah, oben auf Mutter Erde, war alles sehr klar und einfach. In diesem Augenblick hatte er das Gefühl, dass ihn diese Gelassenheit nie wieder verlassen würde.

Eine ganze Weile lang erwiderte Schiefer nichts. Er starrte Eistaucher ins Gesicht, als versuchte er, ihn zu erkennen, als hätte er seinen Eistaucher verloren und versuchte nun, ihn in dieser neuen Person wiederzufinden. Da ihm das nicht gelang, begriff er, dass er es nun mit einem anderen Eistaucher zu tun hatte. Natürlich veränderte es einen, wenn man Schamane wurde. Schamanen wurden sonderlich, wurden verrückt. All das konnte Eistaucher an Schiefers Miene ablesen. Beinahe musste er grinsen, beinahe machte er ein Schamanengeschichten-Gesicht, oder sogar das verrückte Gesicht eines Waldmannes. Eine Waldmannmaske mit einem Ausdruck, der einen schaudern ließ.

Aber er wollte Schiefer, der inzwischen über das nachdachte, was dieser neue Eistaucher zu ihm gesagt hatte, nicht noch weiter beunruhigen. Schiefer war ein schneller Denker, weshalb er es ja auch zum Oberhaupt der Wölfe gebracht hatte. Er hatte im Laufe der Jahre viele Entscheidungen getroffen und Urteile gefällt, und während der meisten Winter unter seiner Führung hatten sie nicht gehungert, und alle waren miteinander ausgekommen. Das war eine Leistung. Dorn hatte ihn dafür respektiert.

Schließlich wandte Schiefer den Blick ab und sagte: — Ich muss mit Donner darüber reden.

Er warf Eistaucher noch einen weiteren bösen Blick zu, als fürchtete er, dass dieser ihn für seine Worte verhöhnen und darauf hinweisen würde, dass genau das Schiefers Problem sei.

Aber so dumm war Eistaucher nicht. Er sagte bloß: — Ich habe es bereits mit Elga besprochen, und sie war es, die meinte, dass ich es tun soll. Jedes Rudel wird von den Frauen gelenkt. Darin unterscheiden wir uns nicht vom Rest.

Schiefer nickte und machte dabei ein überraschtes und dankbares Gesicht.

Als Eistaucher das sah, fügte er hinzu: — Elga findet, dass du so schnell wie möglich Sternchen Verantwortung übertragen solltest.

— Sternchen ist neun Jahre alt, erwiderte Schiefer.

— Elga meint, dass das keine Rolle spielt. Sie sagt, dass manche Leute schon bereit sind, wenn sie auf die Welt kommen.

Schiefer nickte bedächtig. — Na schön. Vielleicht ist es eine gute Sache, wenn ihr dorthin zieht. So können wir die Leute vom Rudel der Mammuts aufnehmen, die gerne zu uns stoßen möchten. Das wäre gut. Aber wenn wir das machen, dann können wir euch nicht helfen, wenn ihr in Schwierigkeiten geratet. Damit meine ich, dass wir euch dann nicht wieder aufnehmen können.

— Das ist in Ordnung so, sagte Eistaucher.

69

Als er sich bei der Sommersonnenwendfeier erhob, um das Sonnenwendlied zu singen, fühlte er noch immer dieselbe Gelassenheit. Beide Teile des Rudels hatten sich zu diesem Anlass wieder zusammengefunden. Alle sahen ihn an und spürten, wie er sich verändert hatte. Er stand mit Dorns Bisonkopf vor ihnen und mit dem Mantel aus Eistaucherfedern, den Elga ihm genäht hatte, hob Dorns letzten Jahresstock in die Mittagssonne und sang.

An jenem Abend, nachdem sie gegessen und getrunken hatten, aber noch vor dem Tanz, führte er sie alle in einem Fackelzug zu der Höhle hoch. Auf der Rampe kamen sie an den Bildern und Gravuren in den Felswänden vorbei, an all den Linien und Punkten, die Pfeifhase dort hinterlassen hatte und die sie in der Welt im Inneren der Höhle willkommen hießen. Sie gingen gemeinsam hinein, in einer Reihe, und hinterließen eine Reihe Lampen auf dem Boden, die ihnen den Weg hinaus wiesen. Eistaucher erzählte ihnen die Geschichte seines letzten Besuchs. Er zeigte ihnen Dorns große Löwenjagd, und das Wiedersehen erschütterte ihn ein wenig; so deutlich spürte er Dorns Gegenwart, dass er beinahe weinte, aber dann kehrte die Schamanenruhe innerhalb eines Lidschlags zurück, und er brachte die anderen zu seiner neuen Wand mit den Bisons und Pferden. Sie saßen auf dem Boden, wo er in der Schwärze tastend umhergekrochen war, und er bewegte die Fackeln, sodass sie sehen konnten, wie die Tiere sich in ihrem flackernden Schein bewegten. Er sagte ihnen, dass sie darauf achten sollten, wie das Pferd den Kopf zurückwarf, und bewegte die Fackel so, dass sie es besser erkennen konnten, und einige schnappten nach Luft. Dann holte er Dorns Flöte hervor und gab die Melodie für das letzte Stück des Sonnenwendlieds vor:

Wir danken dir, Sommer, du kehrst zurück.

Für den Winter schenk uns genug Nahrung

Wir frohlocken an diesem prachtvollen Tag.

Er sagte ihnen, dass sie die Lampen nehmen, mit ihnen die umliegenden Räume der Höhle absuchen und alle Höhlenbärenschädel mitbringen sollten, die sie fanden. Die etwa halbstündige Suche machte ihnen Spaß, und als sie wieder im Pferderaum zusammenkamen, hatten sie sieben Schädel beisammen. Mit feierlicher Sorgfalt legten sie sie um den Steinklotz herum aus, auf dem Eistaucher den einen platziert hatte, den er in der Schwärze entdeckt hatte. Dann führte Eistaucher sie singend aus der Höhle, wobei die Hintersten die Lampen einsammelten: nach draußen, die Rampe zu ihrem Mitternachtsfeuer hinab, wo sie Holz nachlegten und bis zur Morgendämmerung, die allzu schnell kam, tanzten. Es war wieder Sommer. Bald würden sie nach Norden zu den Rentieren und zum Acht-Acht reisen, und für eine Weile würden die beiden Rudel wieder eins sein.

Ich bin der dritte Atem.

Ich komme zu dir,

Wenn dir sonst nichts geblieben ist,

Wenn du nicht mehr weiterkannst,

Aber trotzdem weitermachst,

In jenem äußersten Moment

Kommt der dritte Atem.

Und so komme ich nun zu dir,

Um dir diese Geschichte zu erzählen.

70

In der Stunde vor jenem frühen Morgengrauen verließ Eistaucher den Tanz und ging zu ihrem neuen Lager an der Aussichtsstelle zurück, wo er sich auf das Bett legte, das er sich mit Elga und Glückskind und Fink teilte. Mit einem Mal war er genauso müde wie damals, als er das erste Mal wieder aus der Höhle geboren worden war.

Er blickte von ihrem Vorsprung über den Fluss und sah das Tor zur Großen Schlucht, den Steinbison, die Kämme dahinter. Das Licht der Morgendämmerung sickerte in die Welt. Er saß auf seinem Bett und sah zu, wie der Tag anbrach. Die Farbe des Himmels veränderte sich von Grau zu Blau, wie der Rücken eines umherhüpfenden Hähers.

Dann war er auf dem Rücken des Steinbisons. Der Fluss strömte unter ihm dahin, und Dorn stand neben ihm. Das Eis auf dem Wasser würde bald brechen, und dann und wann rumpelte und knackte es.

— Ich dachte, du würdest in der Höhle bleiben, sagte Eistaucher.

Dorn schüttelte den schwarzen Schlangenkopf. — So leicht kommst du mir nicht davon.

Eistaucher seufzte. Da hatte Dorn offenbar recht. — Es tut mir leid, was mit Knack passiert ist.

— Zerbrich dir nicht den Kopf über Knack, sagte Dorn. — Sein Geist ist meine Bürde, nicht deine. Ich werde ihn finden und ihn von dir fernhalten. Wegen ihm musst du dir keine Sorgen machen. Aber wegen mir.

— Das sehe ich.

Dorn nickte. — Mir wirst du nicht davonkommen. Ich lebe jetzt in dir drin.

— Du könntest auch einfach gehen, schlug Eistaucher vor. — Du hast getan, was du tun musstest. Jetzt kannst du dich auf den Weg machen, um das Holz des Flammenbringers zu werden, der Stern in der Mitte, wo der Stock auf das Brett trifft.

— Nein, daraus wird wohl nichts. Ich bleibe hier, um dich heimzusuchen.

Eistaucher seufzte erneut. All diese roten Handabdrücke, mit denen er ihn an die Höhlenwand geklebt hatte, kümmerten Dorn nicht. Eistaucher sagte: — Ich wünschte, du würdest das nicht tun, aber ich kann dich nicht daran hindern. Du tust, was du willst. Aber was immer du tust, ich tue, was ich will. Du wirst mir nachlaufen müssen. Dann bist du wie Heides Katze. Ein diebischer Herumtreiber mehr in unserem Lager.

Dorn nickte. — Das macht nichts, solange du dich erinnerst. Dich an die alten Bräuche erinnerst und an all die alten Geschichten. Dich an die Tiere erinnerst, deine Brüder und Schwestern. Dich daran erinnerst, deinen Platz einzunehmen und deine Rolle zu spielen. Dich an mich erinnerst und an das, was ich dich gelehrt habe. Vergiss das nicht!

Dann trat er an den Rand des Steinbisons, stürzte sich in die Tiefe und flog durch die Große Schlucht hindurch davon, die Arme ausgestreckt wie ein Adler. Ihn fliegen zu sehen war so verwirrend, dass Eistaucher erwachte.

Er blickte sich um. Es war Morgen. Die Leute lagen in ihren Betten und schliefen nach der großen Nacht des Tanzes. Elga redete unten am Flussufer mit einigen Frauen. Glückskind saß zu Eistauchers Füßen auf dem Kopf seines Bärenpelzes und führte Selbstgespräche. Fink zappelte neben ihm in ihrem Korb und plapperte vor sich hin. Heide kramte direkt oberhalb des Lagers zwischen den Beuteln und Eimern auf ihrem neuen Bord herum.

Na schön, sagte Eistaucher in Gedanken zu Dorn. Wenn du es so willst, halte ich das schon aus.

Das kleine Mädchen tat irgendetwas, das Glückskind nicht gefiel, und er rüttelte an seinem Korb. — Nein! Nein!

— He, sagte Eistaucher. — Lass deine Schwester in Ruhe.

— Sie hat ihre Handschuhe gegessen.

— Das ist nicht weiter schlimm. Lass sie. Komm her, sing mir noch mal das Lied der Jahreszeiten.

Glückskind stand auf und sang:

Im Herbst essen wir, bis die Vögel ziehen

Und tanzen im Mondenschein.

Im Winter erwarten wir schlafend den Frühling

Und über uns wandern die Sterne.

Im Frühling hungern wir bis zur Rückkehr der Vögel

Und beten um Sonnenwärme.

Im Sommer tanzen wir auf dem Fest

Und betten unsere Knochen in den Grund.

— Nein nein!, sagte Eistaucher. — Und betten uns zu zweit auf den Grund! Vergiss das nicht! Und er streckte die Hand aus und gab dem Jungen einen Klaps auf das Ohr.

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