I. Am Anfang war das Pulver

Er hatte vieles erwartet, aber nicht, daß im Innern des riesigen Granitsarges ein Tisch für drei Personen gedeckt war. Mariette meinte: »Es ist nicht sehr geräumig, aber sauber und gemütlich.«


Gelber Staub wirbelte auf unter den Hufen des Schimmels, den Mariette durch die Wüste hetzte: »Allez, Allez!« schrie er immer wieder gegen den heißen Wüstenwind und stieß dem Gaul die Sporen seiner Stiefel in die Flanken. Mit der Rechten hielt er den Zügel, sein linker Arm umklammerte ein Paket Pulver-Stangen. »Allez!«

Irgendwo zwischen den Dörfern Abusir und Sakkara, wo ein paar halbverfallene Pyramiden aus den Sanddünen ragten, knatterte an einer Fahnenstange die Trikolore. Etwa dreißig Fellachen mühten sich in monotonem Singsang mit Hilfe von Holzschaufeln und Körben ein Mauerwerk freizulegen, das knapp einen Meter aus dem Sand ragte und mit einem riesigen Felsbrocken beschwert war. »Bonnefoy!« rief der Reiter, während er vom Pferd sprang und das Pulver-Paket durch die Luft schwenkte. Die Fellachen stellten ihre Arbeit ein. Bonnefoy kam angerannt und band das Pferd fest.

»Damit sprenge ich alle Pyramiden in die Luft«, lachte Mariette, und an seine Grabungsarbeiter gewandt rief er: »Haut ab, Ihr Kaffern, sonst fliegen Euch Eure Vorfahren um die Ohren! Weg da!«

Francois Auguste Mariette pflegte einen nicht gerade gewählten Umgangston, und von weitem hätte man den dreißigjährigen Franzosen, der sich wie die Fellachen aus den Dörfern im Niltal kleidete, auch für einen Ägypter halten können. Seine Haare waren wirr und lang, ein dichter Oberlippenbart hing an den Seiten nach unten, und der blonde Kinnbart in dem von der Sonne verbrannten Gesicht zeigte wenig Pflege.

Die Fellachen warfen ihre Körbe in den Sand und rannten zu der größeren Pyramide, um Schutz zu suchen. »Hast du ein Sprengloch vorbereitet?« fragte Mariette seinen Assistenten. Der zeigte auf einen tiefen Spalt unter dem Mauerwerk: »Ich hoffe, es ist tief genug.« Mariette musterte die Öffnung, steckte eine Stange Sprengstoff hinein, schob eine zweite hinterher und schließlich eine dritte. Die drei Zündschnüre drehte er zusammen und legte die knapp einen Meter lange Lunte. Dann sang er lautstark den Refrain der Marseillaise »An die Waffen, Bürger . . .«, setzte die Zündschnur in Brand und brachte sich eiligst in Sicherheit.

Unter ohrenbetäubendem Knall wurden Felsen, Mauerbrocken und Sand so hoch in die Luft geschleudert, daß sich für Minuten der Himmel verfinsterte wie einst unter den mosaischen Plagen. Mariette und sein Assistent hasteten zur Sprengstelle. Der Wüstenstaub brannte in den Augen. Hustend und schwer atmend starrten sie in den gewaltigen Krater, den das Pulver aufgerissen hatte. Langsam, ganz allmählich, schälte sich aus der gelbbraunen Wolke am Fuße des Trichters eine menschliche Gestalt. »Bonnefoy!« rief Mariette entsetzt, »Bonnefoy, kneif mich mal ins Bein!« Aber Bonnefoy, von seinem Herrn und Meister an alle möglichen Überraschungen gewöhnt, war zu keiner Regung fähig: Vor ihnen lag der mumifizierte Leichnam eines Mannes, als hätten ihn die Leichenbestatter gerade hier niedergesetzt. Das Gesicht des Toten bedeckte eine

Goldmaske. Auf seiner Brust lag ein Falke mit ausgebreiteten Schwingen aus Gold und Email. Amulette hingen an einer Goldkette um seinen Hals, sie trugen den Namen des Prinzen Chaemwese.

Auguste Mariette hatte den Lieblingssohn Ramses II. aus dem Wüstenboden gesprengt, jenen Chaemwese, der lange Zeit Statthalter im nahe gelegenen Memphis war, mehr noch, er hatte den Zugang zu einem Labyrinth entdeckt, in dem man vor 3000 Jahren eine ganze Galerie kostbarer Särge aus der 19. bis 22. Dynastie verborgen hatte. Das geschah am 15. März 1852.

Vor eineinhalb Jahren war Auguste Mariette, der Sohn eines Marineoffiziers aus Boulogne-sur-Mer, mit drei Maultieren, einem Esel und einem Zelt in die Wüste gezogen. Kein Mensch hätte je gedacht, daß diese Reise der Beginn einer unglaublichen Ausgräberkarriere sein würde - am weni-sten er selbst. Vergessen war inzwischen auch der Auftrag. Mit 6000 Francs in der Tasche hatten ihn die Herren vom Pariser Louvre nach Ägypten geschickt, um alte Papyrusrollen zu kaufen. Die Jagd nach Papyri war damals nicht nur eine Sache der Museen, sondern eine ausgesprochene Modeerscheinung. Kein Wunder, man konnte gerade seit ein paar Jahren die rätselhaften altägyptischen Schriftzeichen deuten, man glaubte es zumindest. Den Pyramiden bei Giseh galt Mariettes erstes Interesse. Dort wühlten ein paar Beduinen im Sand auf der Suche nach vergrabenen Schätzen. Auguste, auf dem Gymnasium in Boulogne ein Musterschüler, erinnerte sich eines Satzes des griechischen Schriftstellers Strabo. Irgendwann um die Zeitenwende hatte der Alte geschrieben: »Auch gibt es einen Tempel des Serapis in der Wüste, wo der Wind Sanddünen aufhäuft. Unter dem Sand konnten wir zahlreiche Sphingen erkennen, einige waren fast völlig verschüttet, andere weniger. Wir schlössen daraus, daß der zu diesem Tempel führende Weg recht gefährlich sein müsse, wenn man von einem unvorhergesehenen Sandsturm überrascht wird.«

Sphingen, Löwen mit Menschenköpfen, hatte Mariette schon bei verschiedenen Händlern gesehen. Irgendwo m der Wüste bei Sakkara habe man sie gefunden, lautete die immer wiederkehrende Antwort.

Soll ich anderen Ruhm und Profit dieser Entdeckung überlassen? schoß es Mariette durch den Kopf, während er seinen Esel und die Maultie re mit dem Gepäck in Richtung Süden lenkte. Und beinahe wäre er, in Gedanken versunken, über einen steinernen Kopf gestolpert, der aus dem Sand ragte. Mit bloßen Händen versuchte Mariette den Fund freizulegen; aber der Kopf gehörte zu einer riesigen Sphinx. Mariette ließ Tiere und Gepäck zurück und hastete durch die Sanddünen nach Sakkara.

»Bakschisch, Bakschisch!« rief er schon von weitem. Die Ankündigung blieb nicht ohne Wirkung. Mit einer wilden Horde von dreißig Fellachen kam er zurück und begann noch am selben Tag zu graben.

Unglaublich, was der Wüstenboden schon nach wenigen Tagen freigab, eine Sphinx nach der anderen schälte sich aus dem Sand, manche dicht unter der Oberfläche, andere zehn Meter unter dem Terrain, insgesamt 134 Fabelwesen. Im Abstand von sechs Metern flankierten sie eine ganze Allee, an deren Ende, so vermutete Mariette, der Zugang zu dem Serapis-Tempel liegen mußte. Er grub, schaufelte und wühlte -überall Sand, zwischen den Zähnen, in den Haaren, unter der Kleidung - Sand, immer nur Sand. Nach knapp einem halben Jahr hatte Auguste Mariette seine 6000 Francs aufgebraucht, er war auf Gräber und Statuen gestoßen, wertvolle Funde gewiß; aber den Zugang zu dem unterirdischen Tempel hatte er nicht gefunden. »Bonnefoy«, sagte er eines Abends im Zelt zu seinem Assistenten, »unser Traum wird sich nicht erfüllen. Die Wüste wird ihr Geheimnis behalten.«

Bonnefoy, beinahe doppelt so alt wie Mariette, sah die Enttäuschung im Gesicht des Ausgräbers. »Wir können zufrieden sein mit unseren Funden. Wenn wir nur einen Teil davon nach Paris schicken, wird man im Louvre hocherfreut sein.«

»Aber es ist kein einziger Papyrus darunter. Die wollen doch nur Papyrusrollen!«

»Wir haben 134 Sphingen gefunden«, erwiderte Bonnefoy, »jede einzelne ist mehr wert, als unsere gesamte Grabung gekostet hat!«

Mariette wurde wütend: »Was nützen uns 134 Kolosse in der Libyschen Wüste. Jeder wiegt mindestens 20 Tonnen. Der Transport nach Paris kostet mehr als so ein Ding wert ist.«

»Aber die Grabbeigaben und Statuen . . .« Schließlich einigten sich die beiden, die besten Fundstücke in sechs selbstgezimmerte Holzkisten zu verpacken und per Schiffsfracht nach Paris zu schicken. In einem Brief kündigte Auguste Mariette die kostbare Sendung an und fragte zaghaft, ob der Louvre bereit sei, eine weitere Grabungssaison zu finanzieren. Möglicherweise stehe eine große Entdek-kung bevor.

Ohne die Frachtsendung abzuwarten, bewilligte die Pariser Akademie der Wissenschaften in der Hoffnung auf reiche Funde 30000 Francs. Das Unternehmen war gerettet. An einem leuchtenden Novembermorgen gab ein Stein unter dem Tritt eines Ausgräbers nach, sackte langsam nach unten, hinterließ ein schwarzes gähnendes Loch im Boden und polterte mit donnerndem Echo in ein Gewölbe. Mariette wurde gerufen.

Aus der Öffnung kam ein kühler Luftstrom. Der Franzose legte sich auf den Bauch. »Halt mich an den Füßen fest, Bonnefoy!« Dann zwängte er sich durch die enge Öffnung. -»Hol einen Lumpen und Petroleum!« kommandierte er mit ungeduldigen Handbewegungen seinen Assistenten. Der mit

Petroleum getränkte Fetzen wurde angezündet und in das Loch im Boden geworfen, dann tauchte Mariette erneut in den engen Schlund.

Hustend wand er sich aus der Öffnung. Sein Gesicht verriet keine Regung. Vergeblich versuchten die anderen, die in engem Kreis um ihn herumstanden, aus seinem Mienenspiel Erfolg oder Mißerfolg abzulesen. Doch Mariettes Gesichtsausdruck blieb starr. Keiner wagte, selbst in das Loch zu kriechen, das sich da vor ihnen auftat. Langsam drehte sich der Chef im Kreis, sah jedem in die Augen, trat schließlich auf Bonnefoy zu und schlug ihm mit beiden Händen auf die Schultern. »Mon cher!« brüllte er, »ich glaube, wir haben gefunden, was wir suchen.«

In andächtiger Prozession aufgereiht, durfte jeder einen kurzen Blick in das unterirdische Labyrinth werfen. Auf dem Boden züngelten noch immer die Flämmchen des Petroleumfetzens. Sie warfen lange Schatten in ein unendlich scheinendes Gewölbe, an dessen Seiten Nischenöffnungen zu erkennen waren.

Morseapparate und Telegrafen sandten die Sensation in alle Welt: »Unterirdischer Serapis-Tempel südlich von Kairo entdeckt - Unermeßliche Schätze vermutet - Ägyptische Regierung läßt Grabungen einstellen.«

Kairo, 14. Mai 1853.

Das »Hotel d'Orient« machte einen ziemlich heruntergekommenen Eindruck, obwohl es im neuen, vornehmen Stadtviertel Al-Ismailia lag. Die Jalousien der hohen Fenster waren wohl noch nie geöffnet worden; aber der Fremde hatte keine andere Wahl, das »Hotel d'Orient« galt als das beste Quartier der Stadt und als das einzige, in dem ein Deutscher logieren konnte, ohne um sein Leben fürchten zu müssen. Das »British Hotel«, vor zehn Jahren errichtet, war ausschließlich Engländern vorbehalten, die sich auf dem Weg nach Indien befanden.

Während zwei Diener in langen Gewändern den Esel entluden, der das Gepäck des Gastes, zwei grobe Säcke mit der Aufschrift »Österreichischer Lloyd«, vom Nil-Hafen in Bu-lak hergetragen hatte, betrat der Fremde die düstere Eingangshalle. Von buntem Glas gefilterte Sonnenstrahlen drangen durch die abgeschirmten Fenster und warfen gleißende Lichtkegel auf die zum Teil überereinanderliegenden Teppiche. Jeder Schritt wirbelte eine kleine Staubwolke auf. Die Wände zierten blaue und rote Ornamentkacheln. Von der Decke hingen riesige Ampeln aus durchbrochenem Messing, in denen bunte Flämmchen flackerten. »Salam!« Hinter der Portiersloge zur Rechten verneigte sich ein europäisch gekleideter Empfangschef. Auf dem Kopf trug er einen roten Fez, dessen schwarze Quaste bei jeder Verbeugung vornüberbaumelnd heftige Bewegungen vollführte.

»Dr. Brugsch aus Berlin!« sagte der Gast und fügte in bestem Französisch hinzu: »Ich würde gerne für ein paar Tage bei Ihnen logieren.«

Der Portier schien sichtlich erfreut, verneigte sich noch einmal und meinte mit einem breiten Lächeln: »Es ist uns eine Ehre, Monsieur, eine große Ehre, das Zimmer hat einen Blick zum Esbekija-Garten, Bienvenu.« Devot schob er dem Gast das Fremdenbuch über die Tischplatte. »Wenn Sie die Freundlichkeit haben würden . . .« Der Fremde griff zum Federkiel und notierte: »Dr. Brugsch, Heinrich, geb. 18. Februar 1827 in Berlin, verheiratet, Forscher.«

»Ah, der Serapis-Tempel!« sagte der Portier, »ich verstehe.« Brugsch ging nicht darauf ein: »Wenn Sie mich bitte dem preußischen Generalkonsul avisieren würden!« Der Portier nickte: »Selbstverständlich, Monsieur! Bitte untertänigst mir zu folgen.«

Das Zimmer im ersten Stock war spartanisch möbliert und atmete den muffigen Geruch faulender Tapeten. Schwüle lag in dem Raum. Er war so hoch, daß man im Dämmerlicht der geschlossenen Fensterläden nicht einmal die Decke erkennen konnte. Ein Gestell aus dickem Schilfrohr mit grellbesticktem Stoff verhängt, diente als Schrank. Gegenüber stand in einer Nische eine hochgepolsterte Liegestatt, davor ein Tischchen mit runder Steinplatte und einem zerbrechlichen Scherenstuhl - mehr Wohnlichkeit war nicht vorhanden. Brugsch entlohnte die Gepäckträger und drückte dem Portier ein Bakschisch in die Hand, er schloß die Tür und ließ sich ermattet auf das Polsterbett fallen. Kairo! Traum eines sechsundzwanzigjährigen Lebens! Vor vier Monaten hatte Brugsch sich von seiner jungen Frau Pauline verabschiedet. Sie hatte geweint und gesagt, was man so sagt, wenn man noch keine zwei Jahre verheiratet ist: »Paß gut auf dich auf!« - »Daß du mir aber auch recht bald schreibst!« und »Leb wohl und denk an mich!« Der Vater, ein preußischer Armeeoffizier, war mit dem jungen Brugsch per Bahn dritter Klasse nach Triest gefahren. Die »Calcutta«, ein Schaufelrad-Dampfer des Österreichischen Lloyd, hatte nach zwei Tagen Maschinenschaden; hilflos trieben sie auf See, bis der kleine Dampfer »Oriente« sie aufnahm, irgendwo vor Ithaka, der rauhen Insel des Dulders Odysseus. Stürme hatten die »Oriente« schließlich in drei Tagen bis an die ägyptische Küste getrieben, während Brugsch, an die Reeling geklammert, Neptun opferte. Doch dann, am Morgen des vierten Tages, waren am südlichen Horizont felsenähnliche Umrisse aufgetaucht: Abukir. Brugsch standen die Tränen in den Augen. Das war das Land seiner Träume, der Boden, auf dem man einst demotisch sprach und schrieb! »Gott segne König Friedrich Wilhelm von Preußen!« hatte er lauthals aufs Meer hinausgerufen, während die übrigen Passagiere lachten. Im Hafen von Alexandria wäre er beinahe von vier Arabern in ebensoviele Teile zerrissen worden, weil jeder lärmend und schreiend sich seiner und des Gepäcks bemächti-gen wollte. Türken und Araber, exotisch in Trachten und Gebärden, kleine, stoisch vor sich hinblickende Esel und gravitätisch schreitende Kamele, fliegende Händler mit hochrädrigen Karren und verschleierte Frauen - der Zauber des Orients hatte ihn gefangen.

Mit einem Empfehlungsschreiben Alexander von Humboldts öffneten sich alle Türen. Er bewunderte die PapyrusSammlung des steinreichen Engländers Anthony C. Harris und seine in England erzogene Tochter Selima, die fließend französisch, italienisch und arabisch sprach und pikanterweise von dunkler Hautfarbe war. Er hatte auch die antiken Wasserleitungen und Kanäle bestaunt, die Alexandria durchzogen, und gehofft, irgend jemand würde ihn mit seinem Boot nach Kairo und weiter nach Oberägypten nehmen; denn die 1500 Thaler, die ihm der Preußenkönig in der Hoffnung bewilligt hatte, Brugsch würde reiche Funde aus Ägypten heimbringen, mußten ein ganzes Jahr reichen. Für Fahrtspesen blieb da nicht viel übrig. Lautes Klopfen riß Brugsch aus seinen Gedanken, er sprang auf und öffnete. Vor der Tür standen ein junger Mann und eine Frau im finsteren Hotelkorridor. Der Mann stellte sich als Erbgraf Schönburg vor, die Frau war, wie Brugsch später erfuhr, eine geborene Fürstin Windischgrätz. »Der preußische Generalkonsul hat von Ihrer Ankunft Kenntnis erhalten. Er gibt heute ein Essen, er bittet Sie, sein Gast zu sein. Gestatten Sie . . .« Und beide hakten den verblüfften Gast unter.

Das deutsche Generalkonsulat lag unmittelbar hinter dem »Hotel d'Orient« am Rande des Esbekija-Gartens. Zwischen riesigen exotischen Bäumen luden hier zahlreiche Kaffeehäuser zum Mokka, der auf kleinen Holztischen im Freien serviert wurde und zusammen mit dem Balsamduft der Wasserpfeifen eine Atmosphäre wie aus Tausendundeinernacht zauberte.

»Pentz!« Der alte Konsul stellte sich zackig vor, wie sich das seiner Meinung nach für einen Preußen gehörte, und um der Prägnanz willen unterschlug er sogar seinen Adelstitel; eigentlich hieß er Baron von Pentz. »Also, aus Berlin kommen Sie, junger Mann?« »Jawohl, Herr Konsul!«

»Wollen sich wohl frischen Wind um die Nase wehen lassen?«

»Seine Majestät haben mir gnädigst ein Stipendium bewilligt zur Erforschung ägyptischer Altertümer.« Brugsch zog einen Brief aus der Tasche. »Dies ist ein Empfehlungsschreiben von Alexander von Humboldt.« Pentz überflog die Zeilen, klatschte dem jungen Brugsch auf die Schulter und sagte: »Na, dann werde ich Sie einmal mit den übrigen Gästen bekannt machen. Den Grafen Schönburg und seine reizende Frau kennen Sie ja schon . .. « Eine illustre Gesellschaft hatte sich eingefunden: Dr. Theodor Bilharz, etwa im gleichen Alter wie Brugsch. »Seine Forschungen über das elektrische Organ des Zitteraales sind weltberühmt«, sagte v. Pentz, »im Vorjahr entdeckte er den Erreger einer gefährlichen Wurmkrankheit, die man jetzt sogar nach seinem Namen Bilharziose nennt!« Klein, dick, nach vorne gebeugt und mit schwarz gefärbtem Haar und Bart, machte der österreichische Generalkonsul v. Huber einen eher bohemienhaften Eindruck, und v. Pentz bemerkte: »Mein lieber Kollege ist ein ebenso überzeugter Junggeselle wie Verehrer weiblicher Anmut, außerdem ist er ein feinsinniger Sammler und Ausgräber.« Es waren noch zwei weitere Besucher aus Wien anwesend, Dr. Jemtschik, ein Mediziner, dessen ganzer Lebensinhalt die Jagd war, und Dr. Natterer, ein Naturwissenschaftler, den der Liebeskummer nach Ägypten verschlagen hatte. »Geh, sagen 'S«, bohrte Dr. Jemtschik, während die Die -ner einen duftenden Hammel auftrugen, »wie kann man nur wegen einer Frau von der Donau bis zum Nil fliehen?« »O sagen Sie das nicht!« warf Baron v. Huber ein, »die

Liebe geht verschlungene Pfade.« Und mitfühlend wandte er sich an Dr. Natterer: »Sie hat Sie betrogen?« Natterer schüttelte den Kopf. Als er alle Augen auf sich gerichtet sah, begann er zu erzählen. Eine ehrsame Schneidermamsell habe zehn Jahre treu zu ihm gehalten, obwohl sie wußte, daß sein Vater gegen die Verbindung war. Doch dann sei sie des Wartens überdrüssig geworden, habe ihm einen Abschiedsbrief geschrieben und Hals über Kopf einen anderen geheiratet. Jetzt wolle er auf dem Sklavenmarkt in Kairo eine Frau kaufen, die für alle Zeit sein wohlbezahltes und wohlerworbenes Eigentum bleiben müsse. Das sei sein voller Ernst.

Dr. Jemtschik schlug sich vor Vergnügen auf die Schenkel und rief immer wieder: »Das ist eine urgescheite Idee, eine urgescheite Idee ist das!« Als er das ungläubige Gesicht des jungen Brugsch sah, fragte er vorsichtig: »Wie steht's mit Ihnen, brauchen Sie nicht auch eine Frau?« Dem Berliner war das Ganze sichtlich peinlich. Er lächelte verlegen und zeigte dem Fragesteller den Ring an seiner rechten Hand. »Mein Bedarf ist gedeckt!«

Dr. Jemtschik ließ nicht locker: »Ich schlage vor, wir begeben uns morgen gemeinschaftlich zum Sklavenmarkt im Khan-en-Khalili-Basar und helfen Dr. Natterer eine Frau zu finden.« Die Runde war begeistert. »Brugsch, Sie kommen doch auch mit!« erkundigte sich Jemtschik. Brugsch erwiderte, eigentlich sei er ja nach Ägypten gekommen, um sich mit den hiesigen Altertümern zu beschäftigen, von Frauen sei nie die Rede gewesen, aber seine Majestät, der König, werde sein gnädigst gewährtes Stipendium wohl nicht gleich einziehen, wenn er auch einen Blick auf die lebenden Schönheiten des Landes werfe. »Wie kamen Sie überhaupt auf die Wissenschaft der alten Ägypter?« wollte der preußische Konsul wissen. »Das begann schon im Alter von zwölf Jahren«, antwortete Brugsch. »Ich war ein Einzelgänger und spielte nie mit anderen Kindern. Aber heimlich schlich ich mich, sooft es ging, in die Oranienburger Straße, in der es ein kleines Museum gab, in dem ägyptische Kunstwerke und andere Funde ausgestellt waren. Der Eintritt war frei. Mich interessierten vor allem die rätselhaften Schriftzeichen auf den Ausstellungsstücken, ich begann sie abzumalen - zur Freude des Museumsdirektors übrigens. Mit sechzehn haue ich mir bereits ein solches Wissen angeeignet, daß ich eine Grammatik der demotischen Sprache schreiben konnte, das ist die seit dem 7. vorchristlichen Jahrhundert in Ägypten gebräuchliche Sprache und Schrift.«

»Erstaunlich, höchst erstaunlich«, rief der preußische Konsul, und die Frau des Erbgrafen Schönburg warf dem jungen Gelehrten einen bewundernden Blick zu. »Wenn Sie in Berlin aufgewachsen sind, dann haben Sie ja auch die März-Revolution erlebt?« fragte der Konsul. »O ja, ich erinnere mich nur zu gut«, sagte Brugsch, »und nicht gerade mit Freude. Während ich in meinem Gymnasium am Köllnischen Fischmarkt mein Abitur schrieb, tobte auf der Straße der Aufstand. Mein Vater war eingezogen. Als er zurückkam, rief ich ihm in meinem jugendlichen Unverstand zu: >Vater, das Volk hat gesiegt!«, worauf er mir eine schallende Backpfeife verabreichte.« Die Gäste lachten laut. Brugsch fuhr fort: »Was aber viel schlimmer für mich war: Damals lebte eine reiche Erbtante in unserer Familie. Sie pries überschwenglich die errungene Freiheit und ließ über Despotismus und Soldatenwirtschaft einige unbesonnene Äußerungen fallen, worauf mein Vater sie aufforderte, sie solle sich aus dem Hause scheren. Und mit der Tante ging auch meine erhoffte Erbschaft dahin.« Da erhob sich der preußische Konsul von seinem Platz, nahm sein Glas zur Brust und rief: »Es lebe Seine Majestät, König Friedrich Wilhelm IV. hoch, hoch, hoch!« Die Gäste erhoben sich eiligst, griffen ebenfalls zu ihren Gläsern und riefen artig: »Hoch, hoch, hoch!«



Auf vier Eseln zogen sie am nächsten Morgen die Muski-Straße entlang zum Basar: Jemtschik, Bilharz, Brugsch und Natterer, um den es ging. Die Sharia-el-Muski, benannt nach dem Prinzen Musk, einem Nachkommen Saladins, galt als reichste Straße des ganzen Orients. Feilgeboten wurden nicht nur exotische Erzeugnisse, Kunsthandwerk, Mobiliar und Teppiche, kostbar bestickte Kleider, Perlen und Goldschmuck, Gewürze, Spezereien und Honig, sondern auch Opium und Sklaven.

Zu Tausenden boten Stände und Geschäfte unter Bögen und Baldachinen oder einfach im Staub der Straße ihre Waren an. Balken und über die Straße gespannte Seile waren mit Schilfmatten oder Stoffbahnen belegt, um das grelle Sonnenlicht abzuschirmen. Handwerker dengelten Kupfer und Messing unter klingenden Schlägen zu dickbauchigen Gefäßen, Brotverkäufer schürten ihre Öfchen mit getrocknetem Kamelmist, den Gassenjungen für einen Piaster haufenweise ablieferten. Würdige Scheichs sogen auf dem Pflaster an ihrer brodelnden Opiumpfeife. Dazwischen knieten und lagen Bettler auf der Straße, verdreckt, verkommen, blind, halbtot, mit ausgestreckten Händen »Bakschisch« murmelnd. Frauen in langen, weiten Gewändern, die dunklen Augen hinter schwarzen Schleiern verborgen, trugen riesige Lasten auf dem Kopf - Waren, die ihre Männer käuflich erworben hatten. Kinder sprangen zwischen geschäftigen Käufern und Verkäufern hin und her, dazu abgerichtet, den Lebensunterhalt für ganze Familien zusammenzustehlen. Wieselflink hetzten sie mit einer Beute durch das Gewirr der Menschen und verschwanden unvermittelt in dunklen Hauseingängen. Vor einem großen Gebäude, mit Außenwänden aus gelbem Sandstein und roten Ziegeln, machten die vier halt und gaben ihre Esel m die Obhut eines dicken Hausdieners. Um den Innenhof waren hölzerne Galerien gruppiert, die sich baufällig und zerbrechlich vier Stockwerke übereinander türmten. Winzige Fenster mit kunstvoll geschmiedeten Gittern davor ließen nur wenig Licht in die darunterliegenden Räume, in denen angeblich zweitausend Sklaven, Gefangene aus dem Sudan und Abessinien, untergebracht waren. Der Sklavenhändler, ein kostbar gekleideter Araber mit weißem Turban, einem roten Kinnbart und widerlich freundlicher Miene, trug seine kleinen dicken Hände zufrieden über den ausladenden Bauch gefaltet. Jemtschik verdeutlichte dem Dicken mit Händen und Füßen und ein paar Brocken arabisch, daß sie eine Frau suchten. Der Sklavenhändler komplimentierte die vier Europäer über ein steinernes Treppenhaus zur obersten Galerie. Er stieß eine Tür auf, aus der ihnen stinkender Qualm entgegenwallte. Im Dämmerlicht, das von einem dünnen schrägen Sonnenstrahl durchflutet wurde, konnte man eine Frau erkennen, die mitten im Raum auf einem Blech über einer kleinen Glut Fladen buk. An die Wände des leeren Zimmers gelehnt, dämmerten zwei Dutzend andere dunkelhäutige Frauen und Mädchen, bis zum Hals in Säcke eingenäht, vor sich hin. Der Händler machte grinsend eine einladende Handbewegung, näher zu treten. Brugsch verspürte ein beklemmendes Gefühl im Hals; er schluckte und überlegte einen Augenblick, ob er nicht einfach weglaufen sollte, so sehr traf ihn dieser Anblick. Dabei galt Sklaverei keineswegs als anrüchig. Auch in der Türkei, in Spanien und in Amerika wurde noch mit Menschen gehandelt. Negermädchen aus Abessinien oder dem Sudan waren am billigsten, sie hatten meist Plattfüße, wulstige Lippen und schlechte Zähne und fanden nur im Haushalt, beim Wäschewaschen oder in der Küche Verwendung. Völlig rechtlos waren sie nicht. Nach den Gesetzen des ottomanischen Reiches, zu dem auch Ägypten gehörte, stand ihnen nach sieben Jahren Arbeit die Freiheit zu. Weiße Sklaven kosteten mehr als schwarze. Sie waren zäher und erhielten erst nach neun Jahren die Freiheit. Die meisten von ihnen kamen aus dem Kaukasus. Vornehme Herren erstanden auf dem Sklavenmarkt acht- bis neunjährige Mädchen, ließen ihnen eine ausgezeichnete Erziehung zukommen und nahmen sie später in ihren Harem auf, was für eine Sklavin als erstrebenswerte Laufbahn galt. Die schönsten von ihnen lehrte man tanzen und musizieren, womit sie ein für allemal von jeglicher Arbeit befreit waren, die ihrer Figur oder ihrer Stimme schaden konnte. Dies erklärt, daß sich hübsche Mädchen auch freiwillig auf dem Sklavenmarkt einfanden, in der Hoffnung, ein Scheich könnte an ihnen Gefallen finden. Bis zu 100000 Piaster wurden für ein attraktives Mädchen bezahlt, vor allem, wenn es nachgewiesenermaßen noch Jungfrau war.

Die drei Männer waren inzwischen damit beschäftigt, die Mädchen prüfend zu betrachten. Diese würdigten die Männer keines Blickes. Blieben sie vor einer Frau stehen, dann trat der Sklavenhändler hinzu, öffnete den Sack am Hals, streifte ihn ab und präsentierte das armselige Geschöpf nackt wie Allah es geschaffen hatte. Die meisten ließen diese Prozedur gleichgültig über sich ergehen; nur eine Frau mit wirren krausen Haaren spuckte bei dem Versuch, ihren Sack zu öffnen, dem Dicken ins Gesicht, der sofort mit seiner fetten rechten Hand zurückschlug.

Natterer blieb vor einem jungen Mädchen stehen. Mit gespreizten Fingern bedeutete der Händler, daß sie erst vierzehn sei, dann öffnete er den Sack, und heraus stieg ein gazellenhaftes, bronzefarbenes Geschöpf mit zierlichen zarten Körperformen. Das Mädchen lächelte. »Diese und keine andere!« rief Dr. Natterer entzückt und strich der Kleinen mit der Hand über die Wange. Er musterte den makellosen Körper von oben bis unten und meinte dann: »Sie wird es gut bei mir haben.« Der nun einsetzende Handel wurde lautstark geführt und erstreckte sich beinahe über eine Stunde. Bei hundert Maria-Theresia-Thalern gaben sich schließlich beide Seiten zufrieden, und Natterer erhielt noch ein langes Kleid für seine Erwerbung als Dreingabe. Weniger aus Höflichkeit als aus Angst, sie könnte weglaufen, setzte der Österreicher die Kleine auf seinen Esel, so strebten sie gemächlich dem »Hotel d'Orient« zu.

»Sie wissen«, begann Brugsch unterwegs, »daß Sie mit diesem Handel eine schwere Verantwortung auf sich genommen haben.«

Natterer blickte Brugsch verwundert an. »Wie meinen Sie das?« fragte er im Gehen.

»Nun, Sie müssen vor Ihrem Konsul eine Erklärung abgeben, daß Sie an dem Kind die Elternstelle vertreten wollen und für eine angemessene Schulbildung sorgen werden.« »Elternstelle?« Natterer lachte. »Was heißt hier Elternstelle!« Er gab der Kleinen einen zärtlichen Klaps. »Das hier ist nicht meine Tochter, das ist meine künftige Frau!« Es wurde eine turbulente Nacht, in der Brugsch, der das Hotelzimmer neben Natterer bewohnte, kaum Schlaf finden konnte. Da ihm Baron v. Pentz ein Zimmer in seiner großen Wohnung angeboten hatte, zog Brugsch am nächsten Morgen um in das preußische Konsulat an der Muski-Straße.

Die Grabungsstelle mitten in der Wüste war nicht zu übersehen. Die Trikolore, wenngleich seit der letzten Sprengung etwas zerzaust, wies von weitem den Weg. Nach vierstündigem Ritt hielt Brugsch vor dem abenteuerlichen Lehmziegelbau an, den Mariette während der Grabungen errichtet hatte. Das Gebäude machte einen derart verfallenen Eindruck, daß Brugsch zunächst glaubte, es handele sich um einen alten Stall und schon weiterreiten wollte. Mehr als zwei Dutzend Affen tobten um das Haus, saßen auf dem flachen Dach oder sprangen durch die offenstehenden Fensteröffnungen. Der Anblick des Fremden versetzte sie in Erregung, sie tobten wie wild um das Haus und stießen hohe quiekende Schreie aus. Da ging die Tür auf. »Ich bin Dr. Brugsch aus Berlin!« stammelte der Preuße, als er sich unvermittelt Mariette gegenübersah. Die Resignation in den harten Zügen des bärtigen Mannes wandelte sich augenblicklich in sprühende Heiterkeit, und seine Augen blitzten: »Brugsch! Ich habe viel von Ihnen gehört! Kommen Sie herein!« Er streckte dem Fremden seine große Hand entgegen und zog ihn durch die Tür. Die Innenwände des Hauses unterschieden sich in keiner

Weise von den Außenwänden. Es waren rohe, ungebrannte, dreitausend Jahre alte Lehmziegel. »Sie stammen aus dem Serapis-Tempel«, meinte Mariette beiläufig, der den staunenden Blick des Gastes bemerkte. Drei Zimmer waren nach vorne gerichtet, Küche, Ruheraum und Vorratskammer befanden sich der Kühle wegen im rückwärtigen Teil des Hauses. Ein Wildschwein und eine Gazelle lebten wie Haustiere. Von der Decke hingen Spinnweben, am Boden huschten Eidechsen. Man merkte, daß dieser Mann nun schon dreißig Monate in dieser gottverlassenen Wüste hauste, nur von dem einen Gedanken besessen, dem Sand die letzten Schätze zu entreißen.

Deshalb brach Brugsch auch nicht gerade in Begeisterungsrufe aus, als Mariette ihm, nach kurzem Austausch gegenseitiger Komplimente, empfahl, unter seinem Dach zu wohnen. Da er schon die Einladung des preußischen Generalkonsuls angenommen habe, könne er jetzt nicht gut dessen Gastfreundschaft mißachten.

»Ach?« meinte der Franzose, »meine Behausung ist Ihnen wohl nicht gut genug?«

»Doch, doch!« versicherte Brugsch, »vor allem die Nähe zu den Altertümern ist geradezu verlockend.« »Wenn Sie sich für meine Grabung interessieren, können Sie nicht täglich vier Stunden her- und vier Stunden zurückreiten.« Während er redete, griff Mariette vorsichtig zu seiner Schrotflinte, die geladen auf dem Tisch lag. Ein Knall -und vor ihnen am Boden wand sich eine Schlange in den letzten Zügen. Ohne auf den Vorfall einzugehen, fuhr Mariette fort: »Zusammen wären wir ein gutes Gespann. Ich mag ein guter Ausgräber sein, aber meine Schriftenkenntnisse sind bescheiden. Ihnen dagegen geht der Ruf voraus, der beste Schriftenexperte der Gegenwart zu sein. Also zieren Sie sich nicht länger, nehmen Sie morgen die Maultiere und holen Sie Ihr Gepäck. Einverstanden?«

Brugsch sah mit Entsetzen, wie das zahme Wildschwein die zerfetzten Schlangenreste verzehrte, und wagte nicht zu widersprechen. Wenn die Chance bestand, an irgendwelche Funde heranzukommen, dann war es hier. In diesem Augenblick trat Bonnefoy ein. »Mon ami Monsieur Brugsch aus Berlin«, stellte der Ausgräber seinen Gast vor. »Ah, Monsieur ist Preuße«, antwortete der Assistent verblüfft.

Darauf Mariette: »Gewiß! Aber ein Preuße nach meinem Herzen!« Und damit war das Thema ein für allemal erledigt. »Bonnefoy«, sagte Mariette und machte eine Verneigung vor Brugsch, »wir wollen unseren Freund heute abend im Serapis-Tempel würdig empfangen.« Und dabei zwinkerte er mit einem Auge.

»Ich verstehe«, antwortete dieser, »ich werde das Nötige veranlassen«, drehte sich um und verschwand.

Mariette sah ihm hinterher. »Die Pariser Akademie hat ihn mir als Hilfskraft geschickt, er soll aber vor allem unseren Etat verwalten. Ich kann nun einmal mit Geld nicht umgehen. Kein Wunder, ich hatte nie welches. Und Sie, mon ami?«

Brugsch hob die Schultern. »Mein Vater war bei den Ulanen. Das war ein angesehener Beruf, aber nicht sehr einträglich. Ein Soldat vertrat bei mir die Stelle der Kinderfrau. Ich war froh, daß das Geld reichte, um mich auf das Französische Gymnasium zu schicken . . .« »Sie haben, soviel ich weiß, in Paris studiert?« »Ja, es war eine schöne Zeit. Alexander von Humboldt empfahl mich an den Besitzer eines kleinen Hotels in der Rue-des-petits-Augustins, wo ich billig wohnen konnte. Zu Beginn fiel mir das Studium nicht leicht. Paris schien mir eine ganz andere Welt zu sein, gegen die mein geliebtes Berlin eigentlich nur ein Dorf war. Notre-Dame, der Louvre . . .« »Palais Royal«, fiel Mariette ein. »Palais de Justice!« »Place de la Concorde!« »Place Vendome!«

»Mon ami!« rief Mariette voll Begeisterung, »Sie sind kein Preuße, Sie sind ein Franzose!« und er umarmte und küßte ihn.

»O ja«, strahlte Brugsch, »ich kenne die billigsten Restaurants und die willigsten Grisetten.« Mariette goß ein dunkles Gebräu aus einer Kupferkanne in zwei Gläser und schob eines seinem Gegenüber hin: »Auf gute Freundschaft und erfolgreiche Zusammenarbeit. Es lebe Preußen!« »Es lebe Frankreich!«

»Eigentlich«, meinte Mariette, »möchte ich wieder zurück nach Frankreich. Sie dürfen nicht glauben, daß all das hier die Verwirklichung meines Lebenstraumes ist. Aber so ist das nun mal im Leben: Träume erfüllen sich nur selten.«

Brugsch sah den neuen Freund verwundert an. Ausgerechnet er, der gefeierte Entdecker, dessen Name um die ganze Welt ging, der in dem Ruf stand, den Pharaonen alle Geheimnisse zu entreißen, dieser Mann beklagte sein Schicksal? »Und was ist Ihr Lebenstraum?« fragte der Deutsche. »Mein Freund«, antwortete Mariette, »ich habe den falschen Weg eingeschlagen. Mein Reich, mein Ideal ist die Welt des Schönen. Ich träumte einmal davon, Schriftsteller, vielleicht Dichter zu werden. Jetzt muß ich mich mit dem Schicksal abfinden, meinen unverhofften Ruf als gefeierter Entdecker des Serapis-Tempels zu behaupten.« »Oh, hätte ich nur diesen Ruf!« lachte Brugsch. Mariette nahm einen tiefen Schluck und wischte sich mit dem Ellbogen über die Mundwinkel. »Sie sind ein studierter Mann, Brugsch, Sie lesen die Hieroglyphen wie eine Speisekarte. Ich bin Autodidakt, ich habe mir das alles mühsam selbst angeeignet.«

»Wenn ich Ihnen behilflich sein kann, soll es mir eine Ehre und ein Vergnügen sein.«

»Sieben Jahre«, fuhr Mariette fort, »habe ich jede freie Minute darauf verwendet, das Altägyptische zu studieren, dann bekam ich einen Posten im Louvre als wissenschaftliche Hilfskraft. Wissen Sie, was das bedeutet, von früh bis abend Inschriften zu kopieren? Ich war schon halb verrückt, sah nur noch Hieroglyphen, überall an allen Wänden Hieroglyphen. Dann haben sie mich hierhergeschickt, um in den Kopten-Klöstern Papyrusrollen zu kaufen. Auf die Genehmigung des Patriarchen zum Besuch der Klöster warte ich heute noch. So habe ich den Serapis-Tempel ausgegraben.« Bonnefoy trat in die Tür: »Wir sind soweit, Maitre.« »Also dann«, Mariette erhob sich, »dann wollen wir mal hinabsteigen m die heiligen Hallen des Serapis.« Der Eingang lag nur ein paar Schritte von Mariettes Haus entfernt. Der heiße Wüstenwind hatte sich gelegt und einer stillen Abenddämmerung Platz gemacht. Geführt von Ma-riette stieg Brugsch zu dem schmucklosen Eingangsportal hinab. Ein schmaler Schräggang führte nach unten. Mariette trug eine fauchende Karbidlampe, er sagte kein Wort. Das Herz des Deutschen schlug bis zum Hals. Der tanzende Lichtschein der Lampe ließ Szenen lebendig werden: Kahlköpfige Priester zogen die Mumie eines heiligen ApisStiers, geschmückt wie ein toter Pharao mit Gold und Edelsteinen, auf einem Schlitten durch die Sphingenallee zu dem unterirdischen Labyrinth. Heilige Gesänge und Duftwolken begleiteten das gespenstische Zeremoniell, das im Dunkel vor einem riesigen Granitsarkophag endete. Schon morgen würden sich die Priester auf die Suche nach einem neuen Stiergott machen, würden nilauf, nilab fahren, die fruchtbaren grünen Weiden des Tales nach einem jungen schwarzen Stier absuchen, kenntlich an einem weißen Dreieck auf der Stirn, am Hals und an den Flanken einen weißen Halbmond und unter der Zunge einen Knoten. Ja, das war er, der heilige Apis-Stier, das lebende Symbol der Fruchtbarkeit, die Inkarnation des Schöpfergottes Ptah, der im Sterben mit dem Totengott Osiris eins wurde und dann Osiris-Apis, Serapis genannt wurde. Sie kamen zu einem Quergang. Mariette bedeutete mit der Lampe, den Weg nach links zu nehmen. Nach wenigen Metern öffnete sich der Gang zu einem Gewölbe. Brugsch blickte nach rechts. »Mein Gott!« entfuhr es ihm, und er schlug die Hand vor den Mund. Vor ihm tat sich im Lichterglanz zahlloser Kerzen eine mehr als 300 Meter lange Gale -rie auf, eine Gangflucht, drei Meter breit und mit einem acht Meter hohen Deckengewölbe. Zu beiden Seiten tiefer lie -gende Nischen, 24 an der Zahl, mit riesigen roten und schwarzen Sarkophagen aus Assuan-Granit, jeder mindestens vier Meter lang und drei Meter hoch, alle glatt und schmucklos.

»Willkommen im Totenreich des Serapis«, sagte Mariette und schwenkte seine Karbidlampe, daß der Schatten sein Ge-sieht zu einer erschreckenden Maske verwandelte. Brugsch bewunderte diesen Mann immer mehr. Einmal im Leben wollte er eine so gigantische Entdeckung machen, einmal im Leben als erster den Fuß auf Boden setzen, den seit Pharaonenzeiten niemand betreten hatte. Sein Leben würde er dafür geben!

»Kommen Sie, mein Freund!« Der Franzose spürte die Ergriffenheit des anderen und führte ihn behutsam an den Stiersarkophagen vorbei. »Leider waren sie alle leer«, sagte er leise und leuchtete die Sargungetüme ab, »schon in alter Zeit aufgebrochen und ihres kostbaren Inhaltes beraubt. Es gibt ja Leute, die glauben, ich hätte die Sarkophage ausgeraubt und die Schätze versteckt. Ich bin zwar stark und kräftig, aber gegen diese 70 Tonnen wiegenden Ungetüme habe ich keine Chance.« Er lachte.

Mariette und sein Begleiter stiegen über Steine und Trümmer, die wahllos herumlagen. »Was von den Grabräubern verschont geblieben war«, erklärte er, »ist in frühchristlicher Zeit von den Mönchen des nahen Jeremias-Klosters zerhackt, zerschlagen und zertrümmert worden. Hier, sehen Sie!« Er zeigte auf einige Granit-Fragmente, die ohne Zweifel Bestandteil einer Skulptur gewesen waren. »Den Grabräubern erschien sie wertlos, den Mönchen war sie ein heidnisches Götzenbild.«

Jeder ihrer Schritte verursachte eine trockene Staubwolke, die zum Husten reizte und das Kerzenlicht noch diffuser erstrahlen ließ. Am Ende der Galerie brannte vor dem größten Sarkophag eine Fackel. Der Deckel des Stiersarges war etwas zur Seite geschoben. Vor der Öffnung lehnte eine Leiter, Man hörte Stimmen.

»Ich habe eine kleine Überraschung für Sie vorbereitet«, sagte Mariette und drückte Brugsch die Karbidlampe in die Hand, »ich darf vorausgehen.« Der Franzose stieg die Leiter empor, bedeutete seinem Freund, ihm zu folgen, und verschwand in der Öffnung des

Sarkophages. Brugsch hatte vieles erwartet, aber nicht, daß im Innern des riesigen Granitsarges ein Tisch für drei Personen gedeckt war. Mariette meinte: »Es ist nicht sehr geräumig, aber sauber und gemütlich.«

Mariette, Brugsch und Bonnefoy wurden von Hassan bedient, der von einem Tischchen in der Ecke des Sarges auftrug: Fladenbrot und frischen Käse, Dörrfisch und Butter und, zur Feier des Tages, eine Flasche Bordeaux. Es wurde eine lange Nacht. Die Gemüter erhitzten sich bei der Diskussion darüber, wie alt die ganze Anlage überhaupt sei. Vor wieviel tausend Jahren Chaemwese diese unheimliche Galerie in den Wüstenboden getrieben habe. »Brugsch, was glauben Sie«, fragte Mariette sein Gegenüber, »wann lebte nach unserer Zeitrechnung Chaemwese?« Der hob die Schultern. »Wir müssen uns darauf gefaßt machen, daß das noch gar nicht so lange her ist, jedenfalls nicht so lange, wie wir bisher annahmen. Sie wissen ja, Ihr Champollion datierte den Beginn der I. Dynastie und damit der ägyptischen Geschichtsschreibung noch in das Jahr 5867 vor Christus.«

»Ich selbst glaube an das Jahr 5004, aber das ist auch nur eine Theorie .. .«

»Und Richard Lepsius«, unterbrach Brugsch seinen Gastgeber, »ist neuerdings der Auffassung, daß die 1 Dynastie im Jahre 3892 vor unserer Zeitrechnung begann.« Weinselig begannen beide ein großes Rechnen, in welcher Zeit die 19. Dynastie, in der Chaemwese lebte, anzusetzen sei; aber der rote Wein und die verbrauchte Luft hatten bereits ihre Sinne getrübt. Und gegen Mitternacht entschlossen sie sich zum Aufstieg aus der Unterwelt. Glitzernd hing der Sternenhimmel über der Wüste. Von irgendwoher drang das Heulen eines Schakals, der für den Mondgott Chons seine Totenklage anstimmte. Nicht anders mag die Nacht gewesen sein, als Chaemwese noch hier verweilte.

Affen quiekten, ein paar Fledermäuse fuhren erschreckt hoch, als Mariette die Türe zum Ausgräberhaus öffnete. Wortlos faßte er Brugsch am Arm und zog ihn zu einem der hinteren Räume. Mariette stieß die Tür auf und hielt seine Lampe hinein. Brugsch versuchte anfangs vergeblich, irgend etwas zu erkennen; doch dann erblickte er im tanzenden Lichtkegel der Laterne das grinsende Gesicht einer Mumie. »Chaemwese!« schrie der Franzose, »Chaemwese, wie alt bist du?«

Energisches Klopfen. Heinrich Brugsch fuhr hoch. Es dauerte eine Weile, bis er begriff, daß er all das nicht geträumt hatte. Nein, er hatte tatsächlich die Nacht Wand an Wand mit der Mumie Chaemweses verbracht. »Wenn Sie duschen wollen, müssen Sie aufstehen!« Mariettes Stimme. Duschen? Hier, in der wasserlosen Wüste? Womöglich in einem Sarkophag der Apis-Stiere?

Als er vor die Türe trat, huldigte Mariette bereits der Hygiene. Er stand splitternackt im Sand. Vor ihm eine lange Schlange kichernder und palavernder Fellachenmädchen, jedes mit einem Wasserkrug auf dem Kopf. Die Mädchen stiegen vor dem Ausgräber auf einen Steinblock und gössen dem genüßlich schnaubenden Maitre Wasser über den Kopf. »Sie dürfen es ihnen nicht abschlagen«, prustete Mariette, »wegen Ihnen sind sie heute in doppelter Formation angetreten, sonst kommt nur die Hälfte!« Kaum hatte eine ihren Krug geleert, machte sie schon der nächsten Platz. Im Gänsemarsch, die leeren Krüge auf dem Kopf balancierend, machten sie sich sogleich auf den Rückweg in ihr Dorf. »So genüßlich habe ich nicht einmal im preußischen Konsulat in Kairo geduscht«, sagte Brugsch, als sie im Hof des Ausgräbercamps beim Frühstück saßen. Mariette lachte breit: »Ja, ja, das Leben in der Wüste, abseits jeder Zivilisation, hat auch seine Reize.« Ein Affe saß auf seiner Schulter, aber den Franzosen schien das nicht zu stören. Erst als der Affe unruhig von der Schulter sprang und aufgeregt im Sand hin und her rannte, erhob sich Mariette und blickte zum nördlichen Horizont, wo eine dunkle Staubwolke zum Himmel stieg. Er ging in das Haus und kam mit einem Fernrohr zurück.

»Ich glaube, wir bekommen Besuch«, sagte er nach einem Blick durch das Fernrohr, »wie mir scheint, unliebsamen Besuch. Entschuldigen Sie mich bitte einen Augenblick.« Dann nahm er einen Stock und begann damit im Wüstensand einen Strich zu ziehen, der das Ausgräberhaus, die Sphingenallee und den Zugang zum Serapis-Tempel einschloß. Schließlich zog er die französische Fahne auf, die am Abend zuvor eingeholt worden war, rief die Grabungsarbeiter von ihrer Arbeitsstelle zu sich und händigte seinem Assistenten eine Schrotflinte aus. Er selbst nahm sein Gewehr und stellte sich unmittelbar hinter der frisch gezogenen Demarkationslinie auf.

»Männer!« rief er, während Mohammed, der Vorarbeiter, übersetzte. »Ich glaube, der türkische Pascha will uns um die Früchte unserer Arbeit bringen. Aber keine Bange, wir werden ihnen eine Lektion erteilen!« Die Fellachen johlten, als gelte es in den Krieg zu ziehen. Sie haßten die türkischen Herren, und der kleinste Anlaß, gegen sie vorzugehen, war ihnen willkommen. Jetzt machte ein Dutzend Reiter, mazedonische Arnauten, die damals Polizeidienste in Ägypten leisteten, vor ihnen halt. Ihr Anführer stieg vom Pferd, zog einen Firman aus seiner Satteltasche und wollte auf Mariette zugehen.

»Halt!« Der Franzose riß seine Flinte hoch, zeigte mit dem Gewehrlauf auf den Strich, der zwischen beiden verlief, und schrie den erschreckten Hauptmann an: »Keinen Schritt weiter! Hinter diesem Strich beginnt französisches Terrain. Die Wüste ist Freiland. Sie gehört niemandem. Ich habe diesen Teil der Wüste besetzt.«

Der Hauptmann versuchte auf Mariette einzureden, Pascha Abbas habe sie ausgesandt, um alle Ausgrabungen zu unterbinden und die kostbaren Funde abzuholen. Kein einziges Fundstück dürfe mehr außer Landes gebracht werden. Mariette trat zwei Schritte zurück und stellte sich neben seinen bewaffneten Assistenten. Brugsch, der dem Franzosen alles zutraute, suchte hinter einem Hauseck Deckung. Er hörte, wie Mariette sein Gewehr entsicherte und mit fester Stimme verkündete: »Ich schieße jeden von seinem Pferd herunter, der es wagt, französisches Hoheitsgebiet zu betreten!«

Einen Augenblick herrschte atemlose Stille. Die bewaffneten Soldaten waren zwar in der Überzahl, aber konfrontiert mit dieser unerwarteten Situation, wußte der Arnauten-Hauptmann im Augenblick nicht, was er tun sollte. Verursachte er mit der Einnahme dieses Terrains gar einen diplomatischen Konflikt? Er gab ein kurzes Kommando, die Reiter machten kehrt und preschten in die Richtung davon, aus der sie gekommen waren.

Mariette lachte. Er lachte, daß die Tränen über sein tiefgefurchtes Gesicht kullerten. Sein Lachen wirkte ansteckend, und auf einmal lachten sie alle, als wollten sie einen Alptraum abschütteln: der französische Assistent, die Fellachen und Brugsch. »Entschuldigen Sie die kleine Unterbrechung!« sagte Mariette. »Ich hasse diese Störungen beim Frühstück, Hassan, noch Kaffee für unseren Gast!« Brugsch, der ernstlich um sein Leben besorgt gewesen war, bewunderte die kühle Haltung des Franzosen. Der hielt die Hand vor den Mund und sagte, so als ob es niemand hören sollte: »Sie müssen wissen, ich habe ein Schiff geordert, es wird morgen erwartet und soll meine Ausgrabungen nach Paris bringen - Sie verstehen.« Was Mariette nicht wußte: Dieses Schiff segelte unter französischer Flagge bereits nilaufwärts. Die Nachricht davon war Pascha Abbas überbracht worden, der daraufhin die Polizeiaktion ausgelöst hatte. Nun versuchte der wütende Pascha dem Franzosen mit List beizukommen. Am nächsten Morgen sandte er einen alten zahnlosen türkischen Bimba-schi nach Sakkara, der Mariette nicht ohne Würde mitteilte, daß die Ausgrabungen in der »französischen« Wüste nicht mehr gestört würden. Er sei jedoch dazu ausersehen, den Transport der Denkmäler auf ägyptischem Gebiet zu überwachen und diese als Eigentum der Regierung dankbarst in Empfang zu nehmen.

Was tun? Am Nil ankerte bereits der Frachter. Mariette ließ Raki-Schnaps einschenken, und zwischen ihm und dem Bimbaschi entspann sich die folgende Unterhaltung.

»Monsieur le Major, ich freue mich, Eure Bekanntschaft gemacht zu haben. Ihr seid ein braver Mann, dem ich das höchste Vertrauen schenke.«

»Gott schenke Euch, erlauchter Mariette, alles Heil und verlängere Euer Alter.«

»Ich muß Euch im strengsten Vertrauen mitteilen, daß ich gestern einen großen Goldfund gemacht habe . ..« Das Zeremoniell war jäh beendet. »Wo ist er? Gebt ihn sofort heraus!« rief der Alte.

»Erlaubt mir, daß ich meine Rede zu Ende führe«, beruhigte Mariette. »Ich will Euch sagen, wo ich ihn versteckt halte. In einem Brunnen.« »Wo ist der Brunnen? Ich muß das Gold sehen!« »Ich stehe zu Euren Diensten. Steigt selber hinab, um Euch davon zu überzeugen.« »Bei Allah, das will ich.«

»Aber bedenkt Euer Alter. Ihr müßt Euch mit einem Strick um den Bauch von zweien meiner Arbeiter 30 Ellen in die

Tiefe abseilen lassen.«

»Das soll geschehen. Und zwar sofort!«

»Wie es Euch beliebt«, meinte Mariette. »Leute, ans Werk!«

Sie seilten den Bimbaschi in einen alten Grabschacht und warfen, als er unten angelangt war, das obere Ende des Seiles hinterher.

Mariette spielte Entsetzen: »Monsieur le Major, uns ist das Seil entglitten. Aber seid unbesorgt, wir lassen aus Kairo ein neues kommen!«

Von unten hörte man die Stimme des Alten fluchen, schimpfen, drohen. Es sei überhaupt kein Goldschatz zu sehen, man habe ihn hereingelegt. Das werde Folgen haben. »Kein Goldschatz?« rief Mariette in die Tiefe. »Allah sei uns gnädig; dann haben ihn Diebe geraubt!« 24 Stunden dauerte das Possenspiel. In der Zwischenzeit lief ein sorgfältig geplantes Unternehmen ab. Mariettes Arbeiter schaufelten einen mit Sand zugedeckten Grabeingang frei. Staunend sah Brugsch, wie die Männer Holzkisten aus der Höhle schleppten und auf eine Kamelkarawane verfrachteten. Jede einzelne Kiste trug die Aufschrift: Louvre, Paris. Als das Schiff mit seiner kostbaren Fracht bereits nilab-wärts segelte, wurde der alte Major aus seinem Gefängnis befreit. Mariette dämpfte seinen Zorn sehr schnell, indem er ihm eine Handvoll französischer Goldmünzen in die Hand drückte. Auch die Bedenken, was er denn nun dem Pascha vorzeigen solle, verstand der Franzose zu zerstreuen. Aus einer zweiten Höhle ließ Mariette weitere Holzkisten hervorholen, die mit Scherben und zweitklassigen Funden gefüllt waren, was den Pascha im übrigen nicht weiter störte. Er ließ die Beute auf die Zitadelle schaffen, die Inschriften und Reliefs abschleifen, um ihnen ein hübscheres Aussehen zu verleihen, und präsentierte den Rest als besondere Merkwürdigkeiten ausländischen Besuchern.

Pascha Abbas I. lag mit über dem dicken Bauch gefalteten Händen auf dem Diwan, neben sich eine Peitsche. Sein schwarzbärtiges Gesicht hatte den gewohnt mürrischen Ausdruck, der Mund war nur ein Strich. Abbas trug weite Pluderhosen und einen Fez. Zu seinen Füßen gähnte ein Löwe. Zwei nackte schwarze nubische Sklaven hinter dem Diwan fächelten ihm mit Straußenfedern Kühle zu. Abbasija, ein selten geschmackloses Nilschloß bei Heliopolis, bevorzugt in himmelblauer Farbe gehalten, war nur eine von einem halben Dutzend Residenzen, in denen sich der ägyptische Vizekönig von des türkischen Sultans Gnaden wechselweise aufhielt. Wie die römischen Kaiser befürchtete er tagtäglich ein Attentat. Das Volk nannte ihn den »Grausamen«. Er war ein pathologischer Sadist. »Meine Enkel sollen ernten, was ich gesät habe«, soll sein weiser Großvater Mohammed Ali einst gesagt haben. Aber die Schulen, Universitäten und Fabriken, die Mohammed Ali hatte errichten lassen, wurden von seinem Enkel, der nahezu alles Europäische haßte, geschlossen. Abbas erntete nicht, er zerstörte nur. Die hinter seinen Aggressionen stehende Angst war nicht unbegründet; denn an der Spitze der Opposition, deren Druck zunehmend stärker wurde, standen sein Onkel Said und sein Neffe Ismail. Abbas klatschte in die Hände. Eine Horde rotlivrierter Diener drängte durch eine Seitentür in den Audienzraum. Vor sich her stießen sie eine an den Händen gefesselte junge Frau. Sie trug ein rosafarbenes durchsichtiges Gewand, das aus einer weiten Bluse und einer flatternden Pluderhose bestand. Den Mund bedeckte ein zarter Schleier. Das Mädchen fiel vor dem Diwan des Paschas auf die Knie und schluchzte leise. Der Anführer der Diener zog ein Schriftstück hervor und verlas theatralisch, Emine, die achte Ehefrau des Paschas Abbas L, sei des Ehebruchs überführt und durch allerhöchsten Befehl zum Tode durch Ertränken bestimmt.

Ohne ein Zeichen von Gefühlsregung nahm Abbas seine Peitsche und warf sie dem Anführer zu. Zwei Diener richteten die wimmernde Frau auf, rissen ihr die Kleider vom Leib und begannen auf sie einzuschlagen, daß rote Striemen über ihren weißen Körper liefen. Lautlos sackte sie zusammen. Schließlich warfen sie die Leblose zusammen mit einer wild fauchenden Katze und ihren Jungen in einen Sack und verschnürten das Ganze zu einem zuckenden Bündel. Abbas befahl den Dienern mit einer unwilligen Handbewegung, sich zu entfernen.

Zurück blieb Hassan Pascha Monasterli, sein Vertrauter und Berater.

»Hassan«, fragte der Pascha besorgt, »weiß auch wirklic h niemand, daß wir hier sind?«

Nachdem Hassan dies beteuert hatte, fragte Abbas, »was bringst du für Neuigkeiten?« »Neuigkeiten keine. Aber du solltest daran denken, den Verkauf von Haschisch zu verbieten. Die Männer liegen nur och rauchend und träumend herum.« »Ach was«, rief Abbas unwillig, »die Männer brauchen irgendein Vergnügen. Wenn ich Haschisch verbiete, dann kaufen sie diesen griechischen Raki-Schnaps. Der verursacht in ihren Köpfen revolutionäre Ideen. Haschisch macht dumm, Raki macht das Gegenteil. Mir ist es lieber, wenn sie Haschisch rauchen.«

Hassan wußte, daß der Pascha keinen Widerspruch duldete, und versuchte erst gar nicht, irgendwelche Gegenargumente anzuführen. Er überreichte ihm ein Papier mit verschiedenen Zahlenreihen. »Das sind die Berechnungen der französischen Ingenieure zur Errichtung eines Nilstaudammes. Links die Kosten, wenn man dazu die Pyramiden abträgt, rechts die Kosten, wenn man das erforderliche Baumaterial aus den Steinbrüchen von Assuan gewinnt.« Abbas stutzte: »Wenn ich das recht erkenne, dann ist die Neugewinnung des Baumaterials billiger als die Abtragung der Pyramiden?« »So ist es, Pascha.« »Und du hältst das für möglich?« »Gewiß.«

Der Pascha schwieg; schließlich meinte er: »In Allahs Namen, dann laßt diese nutzlosen Kolosse eben stehen!« Vor dem Palasteingang verfrachteten die Diener den Sack mit der Todeskandidatin eben auf einen Karren, als eine schwarze Kutsche heranpreschte. Ihr entstiegen v. Pentz und Brugsch. Ein Lakai verwehrte beiden den Weg: »Bedauere Exzellenz melden zu müssen, daß Seine Hoheit das Schloß bereits verlassen hat!«

Pentz stieß ihn beiseite: »Melde Seiner Hoheit die Ankunft des preußischen Generalkonsuls und des Gelehrten Dr. Brugsch. Aber rasch, unsere Zeit ist knapp!« Der Lakai rannte davon.

»Man darf die Leute hier nicht anders behandeln. Sie verleugnen den Pascha, sooft es nur geht. Kommen Sie!« Ohne die Antwort des Dieners abzuwarten, schritten sie den plüschbespannten Gang entlang, in dem Spiegel und Kristallüster blinkten. Mit gedämpfter Stimme meinte v. Pentz: »Der Pascha ist ein rechter Rüpel, wir Preußen stehen bei ihm in nicht gerade hohem Ansehen. Außer den Briten haßt er alle Europäer, aber wenn Sie ihm reiche Schätze versprechen, dann werden Sie Ihre Grabungserlaubnis schon erhalten.«

»Warum gerade die Briten?« fragte Brugsch, »ich meine, warum gehört gerade ihnen seine Sympathie?« Der Diplomat lachte. »Die Engländer haben ein neues Spielzeug erfunden, die Dampfeisenbahn. Sie haben den Pascha überredet, von Kairo nach Alexandria Schienen durch das Nildelta legen zu lassen. Angeblich ist man schon am Ziel. Aber ich bezweifle, ob so ein Dampflokomobil den Wüstenritt übersteht.«

Der Lakai kam zurück, dienerte beinahe bis zum Boden und sagte: »Seine Hoheit lassen bitten!« »Na also«, brummelte Baron v. Pentz und schob Dr. Brugsch vor sich in den Audienzraum. Dort lag der Pascha noch immer mürrisch blickend auf dem Diwan vor dem bunten Fenster und zog an seiner Wasserpfeife. Hinter ihm stand Nubar Effendi, der Hofdragoman, dem die schwierige Aufgabe oblag, alle Gespräche vom Türkischen ins Französische zu übersetzen und umgekehrt, denn Hoheit sprachen nur türkisch.

Der preußische Konsul hatte soeben den Wissenschaftler vorgestellt, als unvermittelt der englische Konsul, Sir Charles Murray, eintrat. Der Pascha begrüßte ihn überschwenglich und hieß ihn Platz zu nehmen. Baron v. Plentz wurde wütend. Er forderte, der Engländer habe sich zu entfernen, da er zuerst gekommen, offiziell angemeldet und empfangen worden sei. Abbas machte eine ablehnende Geste, tuschelte mit Sir Charles einige Sätze auf türkisch und begann dann plötzlich mit Hilfe Nubar Effendis, auf die Preußen zu schimpfen und schließlich den Konsul persönlich zu attakkieren.

»Wissen Sie, was Sie sind -«, rief ihm Baron Pentz daraufhin in höchster Erregung zu und wartete, bis der Dragoman jedes einzelne Wort gedolmetscht hatte, »Sie sind der Nachkomme eines mazedonischen Tabakhändlers!« Nubar Effendi wurde bleich. Sir Charles lächelte gequält und Brugsch begann, um sein Leben zu fürchten. Da schleuderte Abbas den Schlauch der Pfeife von sich, daß das Rauchgefäß umstürzte und Funken über den kostbaren Teppich sprühten. Er sprang auf und verschwand durch eine Tapetentür. Brugsch ahnte nichts Gutes. An eine Grabungslizenz war jetzt nicht mehr zu denken. Und Ihr Entschluß ist unabänderlich, mon ami?« Brugsch nickte. »Wissen Sie, Mariette, ich glaube einfach, daß es besser ist, außerhalb der Reichweite des Paschas zu sein, zumindest für ein paar Monate, solange bis sich sein Zorn gelegt hat. Man muß bei diesem Mann ja mit allem rechnen.«

»Wenn er auch nur einen Schritt über diese Schwelle wagt. ..« Mariette griff zu seinem Gewehr, das wie immer in Reichweite lag. Nur Fledermäuse, die durch die offenen Fenster huschten, unterbrachen das nächtliche Gespräch im Ausgräberhaus über dem Serapis-Tempel. »Aber es ist nicht der Pascha allein, der mich nach Süden treibt«, begann Brugsch erneut, »ich weiß nicht, ob Sie das verstehen, in mir steckt der Drang, selbst eine Entdeckung zu machen. Gewiß, hier gibt es noch viel zu tun, aber all das wird immer Ihre Entdeckung bleiben.« Mariette griff zum Glas und schüttete einen Raki in sich hinein. »Ich verstehe Sie, Monsieur Brugsch. Ihr Wissen ist größer als das meine. Sie haben Ihre eigene Chance verdient.

Obwohl ich Sie sehr vermissen werde. Ich glaube zu wissen, was Sie im Auge haben .. .« Brugsch sah seinen Freund fragend an. »Theben. Das Tal der Könige«, sagte Mariette zögernd. »Sie haben recht. Ich glaube, daß dort der Schlüssel zur Ägyptologie begraben liegt. All die Erkenntnisse, die wir bisher über die Geschichte des alten Ägypten erlangt haben, sind doch nur ein Gerüst ohne Fundament. Wir wissen manches, aber wir wissen nicht einmal, wann diese Geschichte anfängt. Gewiß, Ihr Franzosen besitzt seit zehn Jahren die Königstafel von Karnak, die die Reihenfolge der Pharaonen von der ältesten Zeit bis zur 18. Dynastie nennt. Und die Tafeln an den Apis-Särgen haben diese Liste bestätigt. Aber wenn es darum geht, die Regierungsjahre eines Ramses oder Thutmosis zu nennen, müssen wir alle passen. Dann sind wir mit unserer Weisheit am Ende.«

»Und wie wollen Sie an diese Daten herankommen? Die alten Schreiber haben ihre Aufzeichnungen nun einmal nicht mit der Einleitung >Im Jahre des Herren soundsoviel vor Christus< begonnen.«

»Das ist ein mühsam zu erreichendes Ziel, aber wir können uns ihm annähern, indem wir so viele historische Informationen wie irgend möglich sammeln und sie in Beziehung zueinander setzen. Ich bin überzeugt, eines Tages werden wir mit großer Sicherheit sagen können, wann die Pyramiden gebaut wurden oder wann Ramses der Große gelebt hat.«

»Und warum glauben Sie die Antwort gerade im Tal der Könige zu finden?«

»Ganz einfach. Weil die Könige es waren, die die Geschichte gemacht haben, und weil ihre Taten in ihren Gräbern verherrlicht worden sind.«

»Gut, gut, mon ami, aber ihre Gräber kennen wir ja. Bel-zoni hat schon vor 35 Jahren behauptet, daß es im Tal der Könige keine anderen Gräber mehr gebe als die von ihm ent-deckten, und Ihr Lepsius hat das der preußischen Expedition vor zehn Jahren ausdrücklich bestätigt.« Brugsch mußte husten: »Weder Belzoni noch Lepsius sind unfehlbar. Alle bisherigen Entdeckungen haben bestätigt, daß sich die Geschichte dieses Landes kontinuierlich entwik-kelt hat. Deshalb glaube ich nicht daran, daß im Tal der Könige nur jeweils ein oder zwei Pharaonen der 18., 19. und 20. Dynastie bestattet worden sein sollen. Wo hätten die anderen sonst ihre letzte Ruhestätte finden sollen?« Mariette schwieg. Er goß Raki nach. »Vielleicht gibt es noch ein anderes Tal.. .«

»Möglich«, meinte der Deutsche, »dann müssen wir es suchen. Wir müssen alle Inschriften in den Tempelstätten von Karnak, Kurna und Luxor nach irgendwelchen Hinweisen absuchen. Vielleicht hilft uns das weiter. Fest steht jedenfalls, Diodorus, der griechische Geschichtsschreiber, welcher im ersten Jahrhundert vor Christus Ägypten bereiste, spricht von 47 Königsgräbern. Er konnte allerdings nur 17 finden. Und Strabo erwähnte dreißig Jahre später hinter dem Mem-nonium etwa 40 Gräber. Ob er sie gesehen hat oder nicht -wir wissen es nicht. Aber während der 18. bis 20. Dynastie regierten über dreißig Pharaonen. Wo sind sie , frage ich? Alle Grabzugänge im Tal der Könige, egal ob sie zu einem Prachtgrab führen oder zu einem Höhlenversteck, alle zusammen ergeben die Zahl 21. Und die allermeisten gehören nicht einmal Königen. Verstehen Sie jetzt, warum ich so neugierig bin?«

Lächelnd ergriff Mariette sein Glas und prostete Brugsch zu: »Ich sehe schon, es wäre zwecklos, Sie zu bitten, hierzubleiben. Ihr Herz und Ihr Verstand sind schon längst im Tal... «

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