VII. Achmed, der König der Grabräuber

Vermeintliche Türen, schattenhafte Gestalten erwiesen sich beim Näherkommen als kantige Felsvorsprünge. 30 Meter mochte er hinter sich gebracht haben. Hier tief im Felsengebirge von Der el-Bahari erschien es ihm, als sei er seit Stunden unterwegs. Immer die Ungewißheit, die Angst, der Boden könnte sich öffnen, ihn verschlingen, die Wände könnten einstürzen, ihn begraben, ein gewaltiger Steinblock könnte aus der Decke stürzen, ihn zermalmen.


Achmed Abd er-Rassul aus Schech abd el-Kurna schien ein besonderer Liebling der Götter Ägyptens zu sein. Das Haus seiner Eltern in dem Dorf gegenüber von Luxor war mit einem ungewöhnlichen Kellergeschoß ausgestattet: Man hatte es über ein weiträumiges Grab aus der 21. Dynastie gebaut, das, so betonten die Abd er-Rassuls standhaft, zur Zeit des Neubaues bereits ausgeraubt war. Mag sein; Tatsache ist, daß die meisten Häuser von el-Kurna einen pompösen Keller mit kostbaren Reliefs und alten Malereien haben. Achmed war der mittlere von drei Brüdern, die - zusammen - das ideale Grabräuber-Team darstellten: Mohammed, der Älteste, stand in Diensten des Konsuls Mustafa Aga Ayat in Luxor; Soliman, der Jüngste, verdingte sich als Hehler und Antiquitätenschmuggler; und Achmed verbrachte seine Zeit vor allem damit, mutterseelenallein durch das Tal der Könige zu streifen, jeden Felsspalt in Der el-Bahari zu inspizie-ren und unter dem antiken Bauschutt von Der el-Medina zu wühlen.

Letzteres betrachteten die Bewohner von Schech abd el-Kurna seit Generationen als ihr ureigenes Privileg, schließlich gab es sonst keinen vernünftigen Grund, dieses Dorf gerade hier in der Wüsteneinsamkeit zu errichten, und deshalb sahen sie es auch nicht gerne, wenn sich ein Gelehrter hierher verirrte. Und davon wurden es in letzter Zeit immer mehr. Achmed Abd er-Rassul wußte genau, daß die Götter vor eine Entdeckung den Schweiß gesetzt hatten; er war sich aber auch im klaren, daß die größten Entdeckungen der Archäologie kein Forscher, sondern der Zufall gemacht hatte. Und noch einen dritten Grundsatz kannte er: Jeder Felsvorsprung, jeder Sandhaufen und jede Geröllhalde - und mochten sie noch so unscheinbar erscheinen - konnten der Zugang zu einer unermeßlichen Schatzkammer sein. Es war daher kein Zufall, daß Achmed eines Morgens beschloß, die Klippen des Libyschen Gebirges zu erklimmen, an deren dem Nilufer zugewandten Abhang die Ruinen des Hatschepsut-Tempels liegen, während die Rückseite schroff zum Tal der Könige abfällt. Nur von der dem Tal der Könige zugewandten Seite waren diese Felsen zu erklimmen, und auch dann nur unter Lebensgefahr. Achmed schürfte mit einem knorrigen Stock im Geröll. Steine lösten sich unter jedem Tritt, polterten laut in das totenstille Tal. Erschreckt flogen ein paar Geier auf, die heiligen Vögel der Schutzgöttin Nechbet. Oben angekommen, hielt er inne, blickte nach Osten zum Horizont, wo diesig, milchig-gelb die Sonne aufging. Langsam löste sich der fruchtbar-grüne Uferstreifen des Nils aus dem Dunst, Luxor tauchte auf mit seinen Traumvillen und Märchenschlössern, Treffpunkt der High-Society aus aller Welt zur Winterzeit. Hier wurde Luxus zelebriert, Feste gefeiert wie in Tausendundeiner Nacht. Was dort an einem Abend verpraßt wurde, hätte ganz el-Kurna ein Jahr lang ernährt. Das Zen-

trum gesellschaftlichen Treibens war die Villa des Konsuls Mustafa Aga Ayat, wo Achmeds Bruder Mohammed als Die -ner beschäftigt war.

Ein Felsvorsprung erregte Achmeds Aufmerksamkeit; er hielt inne, überlegte. Es war weniger die Gefahr eines Absturzes, die ihn nachdenklich machte, als die Frage, ob auf dieser bedrohlichen Felsnase jemals ein Grab angelegt worden sein könnte. Achmed wurde klar, daß dies eigentlich unmöglich war - Grund genug, sich den Felsvorsprung genauer anzusehen.

Der Fels fiel 60 Meter senkrecht zum Tal ab. Ein falscher Schritt in dem brüchigen Gestein und - Achmed hielt erschrocken inne: Kein Zweifel, dort, eingerahmt von Felsbrocken, klaffte ein Loch im Fels, vielleicht zwei Meter breit. Vom Kamm des Gebirges war diese Höhle nicht einzusehen.

Vorsichtig ging Achmed zu dem Loch im Fels. Er blickte in einen unendlich tiefen Schlund. Als er einen Stein hinabwarf, klang der Aufschlag weit entfernt. Achmed wiederholte den Versuch, das Echo verriet einen größeren unterirdischen Raum. Bei Allah, was hatte er entdeckt? Ein Pharaonengrab? - wohl kaum. Achmed wußte zwar, daß die Gelehrten noch nach einer ganzen Reihe von Pharaonengräbern suchten, darunter nach den Gräbern Thut-mosis' III., dem der Königin Hatschepsut, dem des Haremhab und des Tut-ench-Amun; aber waren diese überhaupt hier bestattet worden? Diente das Tal der Könige allen Pharaonen der 18. bis 20. Dynastie als letzte Ruhestätte? Zudem lag die unheimliche Öffnung auf dem gefährlichen Felsvorsprung weitab hinter dem Tal der Könige. Ein Pharaonen-grab, das schien so gut wie sicher, war dies nicht. Was aber barg der geheimnisvolle Schacht? Vielleicht die letzte Ruhestätte eines exzentrischen Adligen, der hier für sich allein begraben sein wollte? Die Frage war nur: War er, Achmed, der erste, oder hatten andere das abgelegene Versteck schon vor ihm entdeckt? Würde es ihm so ergehen wie Giovanni Belzoni, der sich vor über 50 Jahren unter ungeheuerem Aufwand an Menschen und Material in das Grab Sethos' I. gewühlt hatte und dann eines Tages vor einem leeren Sarkophag stand?

Von einer inneren Unruhe gepackt, machte Achmed kehrt, kletterte aufgeregt die brüchige Felsnase hoch, tat einen unsicheren Blick zurück, ob der Grabeingang von hier wirklich nicht zu sehen war, und lief - nachdem er sich davon überzeugt hatte - zu dem schmalen Saumpfad hinab, der in einem weiten Bogen um die Felsgipfel herum nach el-Kurna führt. Achmed versuchte, seine Erregung zu verbergen, als er im Dorf ankam. Eine Entdeckung, das wußte er, war um so wertvoller, je weniger Leute davon wußten. Also ging er scheinbar gelassen nach Hause. Soliman spürte jedoch sofort, daß irgend etwas Ungewöhnliches in ihm vorging.

Er sah den älteren Bruder fragend an, als wollte er sagen: Du hast doch was?

Achmed grinste verschmitzt und stieß mit dem Zeigefinger in die Luft: »Oben auf den Klippen!« Soliman stutzte, dann fragte er ungeduldig: »Und?« »Nichts«, sagte Achmed, »ein Loch im Fels, mindestens zehn Meter tief.« Soliman schien enttäuscht. Auch er wußte natürlich, daß dies nicht der Eingang zu einem Pharaonengrab sein konnte. Die Gräber der Könige waren trotz unterschiedlicher Architektur allesamt nach dem gleichen Schema gebaut: Treppen führten zu drei hinteroder verwinkelt zueinander liegenden Korridoren, an die sich die eigentliche Grabkammer anschloß. Ein senkrechter Schacht hätte die Bestattungszeremonie, bei der sich die Priester mit der Mumie in die Sargkammer begaben, unmöglich gemacht. Doch wofür hatte man einen so tiefen Schacht angelegt? Gräber von Edelleuten, wie sie zu Hunderten in der Gegend gefunden wurden, hatten einen schlichten, vermauerten Zugang, hinter dem sich die Grabkammer auftat. Wer hatte also mit so hohem Aufwand, unter so außergewöhnlichen Umständen für die Ewigkeit vorgesorgt?

»Wir brauchen ein Seil, das mindestens 20 Meter lang ist, und ein paar Talglichter«, unterbrach Achmed die Gedanken seines Bruders. Nach eingehenden Beratungen kamen die beiden dann überein, sofort aufzubrechen. Zwei Männer, mit Grabungswerkzeugen ausgerüstet, fielen nicht weiter auf in el-Kurna - das ganze Dorf ging dem Gewerbe der Grabräuberei nach. Deshalb konnten Achmed und Soliman die Felsklippen erreichen, ohne Aufsehen zu erregen.

Während Soliman die Hände schützend über die Augen hielt und angestrengt in den Schacht starrte, prüfte Achmed die in der Nähe herumliegenden Felsblöcke, ob einer von ihnen wohl genügend Halt böte, um das Hanfseil herumschlin-gen zu können, an dem sich Achmed in die Tiefe hinabgleiten lassen wollte - ein Unterfangen, das selbst für einen Mann wie Achmed, der nicht an die Geister der Verstorbenen glaubte, Gefahren barg.

Schlangen und Skorpione trieben in vielen Gräbern ihr Unwesen, und groß war auch die Angst der Grabräuber vor Giften und Fallen, die von den Priestern vor Jahrtausenden ausgelegt worden waren. Immer und immer wieder bezahlten Grabräuber ihr Treiben mit dem Leben. In Sakarra, der Totenstadt von Memphis, 400 Kilometer nilabwärts, mußten Archäologen einst einen tonnenschweren Stein, der aus einem unterirdischen Gewölbe herabgestürzt war, hochwuchten. Erst dann war der Zugang frei zu einer kunstvollen Grabkammer, in der zwei menschliche Skelette lagen, keine Mumien - wohlgemerkt. Nach eingehenden Untersuchungen fanden die Archäologen heraus, daß zwei Grabräuber beim Betreten der unterirdischen Stätte einen Mechanismus ausgelöst hatten, der den Steinkoloß von der Decke fallen ließ. Die beiden waren elend umgekommen. Mit solcherlei Schutzmaßnahmen vor Räubern statteten die altägyptischen Grabbauer viele Grüfte aus. Sie legten Fallgräben an, die nur mit Brücken zu überqueren waren -die nach der Bestattung der Könige abgebrochen wurden -, sie gruben Irrgänge, konstruierten Scheintüren und bauten Kammern, die wie Grabkammern aussahen - die eigentliche Grabkammer des Königs lag jedoch in entgegengesetzter Richtung.

All das komplizierte zwar die Arbeit der Einbrecher, verhindert wurde sie dadurch nicht. Die Gier nach Gold, die Aussicht, mit einer einzigen Entdeckung ein Leben lang ausgesorgt zu haben, setzte unglaubliche Energien frei, ließ tödliche Risiken vergessen. So auch bei den Brüdern Abd er-Rassul.

Achmed hatte das eine Ende des Seiles um einen Felsblock geknotet, das andere band er sich um die Brust, dann ließ er sich rücklings in die Felsröhre und kletterte vorsichtig, sich mit Armen und Beinen einspreizend, in das Ungewisse Dunkel hinab.

Das ging langsam, unendlich langsam. Soliman, der das Tau durch seine Hände gleiten ließ, blickte vorsichtig um sich. Es war weniger die Angst vor einer Streife der Altertümerverwaltung, die ihn sichtlich nervös machte, als die Furcht, von anderen Dorfbewohnern entdeckt zu werden; denn das hätte Teilen der Beute bedeutet. Die Aufpasser Mariettes waren zwar mit Flinten bewaffnet, doch die Bewohner von el-Kurna spielten mit ihnen Katz und Maus. Ihr Warnsystem funktionierte perfekt: Jedesmal wenn eine Streife, von Luxor kommend, im Fährboot den Nil überquerte - sie nahm nie einen anderen Weg -, setzte sich eine Stafette nach el-Kurna und weiter bis zum Tal der Könige in Bewegung; die Grabungs- und Suchtrupps stellten ihre Arbeit ein, rannten nach Hause und boten, wenn die Ordnungshüter ankamen, Ziegen melkend und Körbe flechtend, ein beschauliches Bild oberägyptischen Landlebens.

Die Zeit, in der Grabräuber mit dem Tode bestraft wurden, lag weit zurück. In pharaonischer Zeit gab es Grabräuber-Prozesse, deren Protokolle, auf Papyrusrollen geschrieben, im Wortlaut erhalten sind. So auch das klägliche Geständnis von acht Steinmetzen und Tempeldienern, die während der 20. Dynastie, etwa 1100 Jahre vor Christus, unter Peitschenhieben zu Protokoll gaben: Sie seien in die Pyramide des Königs eingedrungen, hätten den Sarkophag aufgebrochen und die Mumie des Pharaos herausgeholt. Der tote König sei über und über mit Amuletten und Schmuckstücken aus Gold bedeckt gewesen, und auch die Mumiensärge hätten außen und innen Gold- und Silberüberzüge getragen. Die Einbrecher hätten alles Gold und Silber abgerissen und später in acht Teile geteilt.

Der Prozeß endete mit einer achtfachen Hinrichtung.

Wie gesagt, der am Rande des Felsenschachtes stehende Achmed fürchtete weit weniger den Arm des Gesetzes als die Entdeckung durch eine rivalisierende Grabräuberbande. In solchen Fällen kam es nicht selten zu Schießereien, bei denen der Schwächere im Grab zurückblieb - als Leiche. Achmed war indes auf der Schachtsohle angelangt. Zehn bis zwölf Meter tief mochte die senkrecht in den Fels führende Röhre sein. Es war stockdunkel. Er band das um die Brust geschlungene Hanfseil ab und zog aus seiner Unterkleidung, die nur aus einem zwischen den Beinen und um die Hüften geschlungenen Fetzen Stoff bestand, ein Talglicht. Im flackernden Kerzenschein versuchte er sich zu orientie -ren. Der Raum war eng, zwei Meter Durchmesser, nicht größer als der Einstieg.

Vorsichtig, als könnte er das Ganze zum Einsturz bringen, tastete Achmed die Felswände ab. Die eine Seite des Schachtes wies deutlich eine Mauerstruktur auf. »Soliman!« schrie Achmed nach oben, wo ein kleiner Lichtpunkt zum Himmel wies, »zieh das Seil hoch und laß das Brecheisen herunter. Aber vorsichtig, hörst du!« Soliman zog das Tau nach oben, band die eineinhalb Meter lange Brechstange, wichtigstes Requisit aller Grabräuber, am einen Ende des Eisens fest und ließ das Werkzeug behutsam in den Schacht hinab. Ein gefährliches Unterfangen: Die baumelnde Brechstange konnte leicht einen Stein aus dem brüchigen Fels schlagen, Achmed hatte kaum eine Chance, dem herabstürzenden Felsbrocken auszuweichen. Aber es ging gut. Mit der bei zahllosen Versuchen erworbenen Routine ging Achmed ans Werk, lockerte behutsam den ersten Block, indem er die Brechstange immer wieder in dieselbe Mauerfuge rammte. War erst einmal ein Stein lok-ker, folgten die übrigen wie von selbst. Er arbeitete verbissen, die Luft wurde knapp. Was würde sich hinter dieser Mauer verbergen? Das Gold eines Pharaos oder nur das armselige Knochengerüst irgendeines bedeutungslosen Ägypters?

Das am Boden brennende Talglicht verbreitete ein so diffuses Licht, daß Achmed die Mauerfuge, die er mit größter Kraftanstrengung bearbeitete, gar nicht richtig sehen konnte; er fühlte nur, wenn das Brecheisen traf; ein Rammstoß nach dem anderen, gleichmäßig wie eine Maschine. Da - ein Rumpeln verriet: Er hatte es geschafft, der Mauerstein war locker.

Mit Bedacht, als nähme er eine Schmuckschatulle aus dem Safe, hob Achmed den Stein aus dem Gemäuer. Er äugte durch das schwarze Loch, erkannte nichts, nahm die Kerze, hielt sie davor, aber sosehr er seine Augen auch anstrengte -es war nichts zu sehen.

Also machte er sich daran, weitere Steine herauszubrechen. Es dauerte nun nicht mehr lange, und in der Wand klaffte ein Loch, gerade groß genug, um sich durchzwängen zu können. Achmed nahm das Talglicht, steckte es hindurch, ein Korridor wurde sichtbar, knapp eineinhalb Meter breit, aber nur etwa 80 Zentimeter hoch, er stieg hinein. Der niedrige Gang, den Achmed auf allen vieren krie -chend, die Kerze vor sich herschiebend, hinter sich brachte, war etwa sieben Meter lang, dann vergrößerte er sich nach oben und machte eine jähe Biegung nach links, um sich in der Dunkelheit zu verlieren.

Achmed konnte jetzt wieder aufrecht gehen. Behutsam setzte er einen Schritt vor den anderen, farbloser Staub wirbelte auf, drang in Nase und Augen, machte das Atmen noch schwerer. Achmed tappte, die Kerze weit von sich gestreckt, durch den endlos scheinenden Korridor. Er hielt eine Hand vor das Licht, um die vor ihm auftauchenden Schemen besser erkennen zu können.

Vermeintliche Türen, schattenhafte Gestalten erwiesen sich beim Näherkommen als kantige Felsvorsprünge. 30 Meter mochte er so hinter sich gebracht haben. Hier, tief im Felsengebirge von Der el-Bahari, erschien es ihm, als sei er seit Stunden unterwegs. Immer die Ungewißheit, die Angst, der

Boden könnte sich öffnen, ihn verschlingen, die Wände könnten einstürzen, ihn begraben, ein gewaltiger Steinblock könnte aus der Decke stürzen, ihn zermalmen. Aber dann tauchten in seiner Phantasie Gold, Juwelen, kostbare Gefäße auf - wohin in aller Welt führte dieser endlose Gang, wohin? War er in eine Falle geraten, die pietätvolle Grabbauer vor Jahrtausenden angelegt hatten? Oder war dies der Weg zum größten Coup seines Lebens? Achmed hielt inne.

Bei Allah, da lehnte wenige Meter vor ihm, grauenhaft erhellt vom Flackerschein der Kerze, eine Gestalt an der Felswand. Verwirrt wischte sich Achmed über die Augen, hielt die Kerze hoch, daß die Schlagschatten der Gestalt sich verkürzten: Es war eine Mumie, die da an der Wand lehnte, eine senkrecht stehende Mumie in ihrer aus Holz geschlagenen Hülle.

Ihm blieb gar nicht die Zeit, die menschliche Hülle eingehend zu betrachten, denn dahinter im Schatten tauchte ein geöffneter Sarkophag auf. Er hielt sein Talglicht über den Rand und schrak zurück. Hier lag eine weitere menschliche Gestalt mit über der Brust gekreuzten Armen, kostbarer Schmuck umgab die zusammengeschrumpften Glieder, ein Schild auf der Brust trug für ihn unleserliche Hieroglyphen. Achmed blickte auf, seine Augen bohrten sich in den dunklen Raum. Was er sah, ließ ihn in seiner Erregung an seinem Verstand zweifeln, er rang nach Luft. Nicht zwei Mumien waren da in der Dunkelheit zu erkennen, sondern zehn, zwanzig, dreißig, vielleicht mehr, manche in vollem Ornat, andere ihrer kostbaren Bekleidung beraubt, verzerrte Fratzen, edle Gesichter mit der Uräusschlange auf der Stirn, dem Symbol des Pharaos.

Das war für den Eindringling zuviel. Er, der die inzwischen ausgeraubten Pharaonengräber im Tal der Könige wie seine Hosentasche kannte, dem keine Höhle zu eng, kein Irrgang zu tief war - jetzt im Anblick der zigfachen Sterblich-keit, versagten seine Nerven. Achmed machte kehrt, hastete im Staub des Korridors zurück zum Einstiegsschacht, zwängte sich durch den niedrigen Kriechgang, bekam das herunterhängende Tau zu fassen. »Soliman!« schrie er, während er sich das Ende um die Brust band, »Soliman, zieh mich hoch!«

Völlig entkräftet, sich m die enge Felsröhre einspreizend und unterstützt vom Zugseil des Bruders kam Achmed dem immer greller werdenden Tageslicht näher. Er fiel wie ein Sack über den Rand des Schachtes und blieb, die Augen schließend, reglos liegen. »Soliman«, stammelte er immer wieder, »ich habe Gespenster gesehen, Gespenster!« Der verstand seinen Bruder zuerst nicht; aber als er den einen Satz immer wieder hervorstieß, begriff er allmählich, daß er sich nicht verhört hatte. Er rannte so schnell er konnte den Felshang hinauf und blieb dort, den immer noch erschöpft am Boden liegenden Bruder beobachtend, in sicherer Entfernung sitzen.

Soliman wußte, daß Achmed sich keinen Scherz erlaubte, er wußte auch, daß er kein Hasenfuß war. Wenn Achmed vor Angst zitterte, dann mußte das einen schwerwiegenden Grund haben.

Achmed erhob sich. Auch durch heftiges Winken konnte er seinen Bruder nicht dazu bewegen, zurückzukommen. Schließlich rollte er das Seil auf und machte sich auf den Weg. Soliman kam ihm zögernd entgegen. Im Gehen erzählte Achmed, was er gesehen hatte. Soliman schüttelte nur mit dem Kopf.

Ob es Pharaonenmumien gewesen seien, die er dort unten gesehen habe? fragte der Jüngere.

Ja, antwortete der Bruder, er glaube schon, einige trugen die Königsschlange um die Stirn, nur Königen sei dieses

Symbol der Macht erlaubt gewesen.

Aber gleich mehrere Könige in einem einzigen Grab?

Achmed zuckte mit den Schultern. Er wußte auch nicht, was er davon halten sollte. Mehrere Könige in einem Grab, das hatte es bisher nicht gegeben. Mariette hatte schon zahlreiche Massengräber entdeckt, aber die Toten, die darin lagen, waren meist nicht einmal mumifiziert worden, von Schmuck und kostbaren Grabbeigaben keine Spur. Was hatte es mit diesem pharaonischen Massengrab für eine Bewandtnis ?

Wäre Mariette oder ein anderer Forscher auf diesen Fund gestoßen, sie hätten das Rätsel schnell gelöst; denn aus Papyrus-Funden kannten sie die sonderbaren Umstände - nur das Versteck kannten sie nicht.

Vor mehr als 3000 Jahren regierte in dem Land am Nil der Pharao Ramses III., ein schwacher König. Er mußte sich gegen ständige Angriffe fremder Völker wehren, im eigenen Land machten sich Zerfallserscheinungen bemerkbar, Kriminaldelikte häuften sich. Durch das Tal der Könige, wo die Felsengräber der Pharaonen im Fels versteckt waren, zogen Räuberbanden. Ein Grab um das andere wurde ausgeraubt. Selbst Wachpatrouillen konnten dies nicht verhindern, sie wurden kaltblütig ermordet. Die Priester des Amun, einst mächtig als Hüter des Lebens nach dem Tod, hatten ihre Autorität eingebüßt.

Um die Mumien der Pharaonen vor Leichenfledderei zu bewahren, faßten die Priester des Amun irgendwann während der Regierung Ramses' III. (1184-1153 v. Chr.) einen unglaublichen Plan. Sie erkauften sich gegen teures Geld die Verschwiegenheit einer Handvoll Arbeiter. Diese müssen fürstlich entlohnt worden sein - vermutlich erhielten sie ein Salär auf Lebenszeit -, denn der Verrat dieses Planes hätte jedem der Beteiligten ein Vermögen eingebracht. Vielleicht waren es aber auch besonders pietätvolle Grabarbeiter, denen die Aussicht auf Entlohnung im Jenseits die Zunge lahmte.

Diese Mannschaft legte jedenfalls in jahrelanger, heimlicher Arbeit jenes Versteck an, das Achmed Abd er-Rassul erst über 3000 Jahre später entdecken sollte. Es ist bis heute ein Rätsel, wie ein derart umfangreiches Projekt geheim bleiben konnte. Dafür gibt es nur eine Vermutung: Das Versteck lag etwas außerhalb des Tales der Könige, und die umherstreifenden Grabräuberbanden lenkten ihr Hauptaugenmerk auf dieses Wüstental, von dem bekannt war, daß dort die Pharaonen der 18. bis 20. Dynastie ihre letzte Ruhestätte gefunden hatten. Zwar gab es hier, westlich des Nils, in der Wüste, zahllose Gräber; aber die meisten stammten von irgendwelchen Privatleuten aus alter Zeit, und ihre Ausstattung war im Vergleich zu einem Königsgrab ärmlich. Überlegungen dieser Art müssen wohl die Priester des Amun beschäftigt haben, als sie an dieser unberührten Felsnase jenen elfeinhalb Meter tiefen Schacht, zwei Meter im Durchmesser, senkrecht in den Fels treiben ließen. Von der Sohle führte ein Kriechgang, 1,4 Meter breit, 80 Zentimeter hoch, 7,4 Meter geradeaus, machte eine Linksbiegung und ging 60 Meter weiter in den Fels, um sich dort zu einem großen Raum zu erweitern.

Allein die Bauarbeiten dürften Jahre gedauert haben, und es nahm noch einmal viele Jahre in Anspruch, bis das geheimgehaltene Projekt unter der Erde seiner Bestimmung übergeben werden konnte. Dabei spielte sich ein in der Geschichte der Menschheit einmaliger Vorgang ab. Fromme Priester zogen des Nachts im Fackelschein durch das Tal der Könige, brachen ein Pharaonengrab nach dem anderen auf. Ältere Grüfte waren bereits vergessen; dann mußten die Amun-Priester wie die Grabräuber die Felsen abklopfen, Tonnen von Geröll wegschaufeln lassen, nach den Eingängen suchen und dies alles stets heimlich, unbemerkt. Sie holten die Särge aus den Grabkammern oder - wenn diese zu groß oder zu schwer waren - die Mumien aus den Sarkophagen und trugen die vor Jahrzehnten und Jahrhunderten gestorbenen Könige durch die Dunkelheit, die steilen Felsklippen empor zu dem Felsenschacht. Dort ließen sie die

Mumien an Seilen hinab in das Verlies, wo sie vor dem Zugriff ruchloser Grabschänder sicher sein sollten. Das Unglaubliche geschah: Ein Königsgrab nach dem anderen wurde von der geheimen Truppe der Amun-Priester in einer Nacht-und-Nebel-Aktion geöffnet, die toten Könige wurden samt den wertvollsten religiösen Grabbeigaben in das Labyrinth oberhalb von Der el-Bahari gebracht. Die Priester, denen einzig und allein das ungestörte Fortleben im Jenseits am Herzen lag, achteten nicht auf Namen und Bedeutung der einzelnen Pharaonen. Jeder hatte, so meinten sie, seine ewige Ruhe verdient. So kam es, daß schließlich 40 Könige in dem Versteck lagen, unbedeutende, aber auch ge-schichtsträchtige wie Thutmosis III., Sethos I. und sein Sohn Ramses II.

Der Raum, der für die Lagerung der Pharaonenmumien aus dem Fels gehauen war, erwies sich schon bald als zu klein. Die Priester nahmen deshalb die letzten aus ihren Särgen und lehnten sie senkrecht an die Wand. Jedem der toten Könige aber hängten sie zur Wahrung seiner Identität ein Namensschild um den Hals.

Die Tatsache, daß damals keineswegs alle im Tal der Könige bestatteten Pharaonen gefunden und in das Mumienversteck gebracht wurden, beruht wohl kaum auf Nachlässigkeit der Priester; schließlich standen ihnen ja die Königslisten zur Verfügung. Sie wußten also genau, welche Namen fehlten. Die heiligen Männer Amuns glaubten viel eher, ein Königsgrab, das von ihnen selbst nach jahrelanger Suche nicht gefunden worden war, würde auch von sporadisch durch das Tal ziehenden Grabräubertrupps nicht entdeckt werden.

Also verschlossen sie, nach Einbringung des letzten Königs, den Zugang zu dem Versteck mit einer Mauer und türmten am Einstieg des Schachtes Felsbrocken auf. Sie taten dies mit solcher Sorgfalt, daß die Stelle 3000 Jahre verborgen blieb - bis Achmed Abd er-Rassul kam.

Der freilich wußte nicht, was er überhaupt entdeckt hatte. Achmed konnte sich keinen Reim darauf machen, warum in ein und demselben Grab mehrere Könige bestattet worden sein sollten, er wußte auch nicht, welche Könige er entdeckt hatte, er wußte nur eins: Der Schmuck der Mumien war ein Vermögen wert. Soviel, daß er, Mohammed und Soliman nie mehr im Leben arbeiten mußten.

Tatsächlich war der Wert der Entdeckung um ein Vielfaches höher, als Achmed vermutete. Die 40 in dem Felslabyrinth oberhalb von Der el-Bahari ruhenden Königsmumien stellten den bisher bedeutsamsten Mumienfund in der ägyptischen Geschichte dar. Mit Geld war diese Entdeckung überhaupt nicht zu bezahlen.

Immerhin war Achmed ein mit allen Wassern gewaschener Grabräuber. In dieser erregenden Situation lautete sein oberstes Gebot Schweigen. Nur Mohammed, der ältere Bruder, wurde eingeweiht.

Mohammed wollte es nicht glauben, was Achmed und So-liman ihm erzählten - ein Grab mit mehreren Königsmumien? Und ausgerechnet dieses sollte jahrtausendelang von Banditen verschont geblieben sein? Zu dritt suchten sie mehrmals die Stelle auf, an der sich der Schacht im Fels öffnete. Keiner von ihnen wagte zunächst erneut den Abstieg. Immer wieder berieten sie, was zu tun sei. Zunächst waren sie sich darüber einig, daß niemandem das Geheimnis verraten werden sollte. Man dürfe, so meinte Achmed, weder die Mumien, noch deren Schmuck als Ganzes verkaufen, vielmehr müsse man die Schmuckstücke der Pharaonen durcheinander und einzeln an den Mann bringen. Er ahnte nicht, daß gerade dieser besonders raffiniert erscheinende Plan zehn Jahre später den Coup auffliegen lassen würde.

Es dauerte nicht lange, und die drei stritten sich wegen des Vertriebsweges. Achmed hatte den Abstieg ein zweites Mal gewagt und den Mumien wahllos Schmuckstücke abgerissen.

Was er von diesem ersten Beutezug aus der Tiefe mitbrachte, erschien Mohammed so phantastisch, daß er zu bedenken gab, ob die lokalen Antiquitätenhehler von Luxor überhaupt genug Geld hätten, eines dieser Stücke zu bezahlen. Es sei schließlich unsinnig, die kostbaren Schmuckstücke für ein paar Pfunde zu verschleudern. Das leuchtete ein. Nur wenige machten sich Gedanken, auf welche Weise die Ayats zu einer der reichsten Familien von Luxor aufsteigen konnten, warum der jüngere Sohn in einem vornehmen englischen Internat erzogen wurde, wer die Feste finanzierte, bei denen seine Villa am westlichen Nilufer, nahe dem Totentempel Ramses' II., in einen Palast aus Tausendundeiner Nacht verwandelt wurde. Von seinem Beamtengehalt als Aga, was in etwa einem Landrat entsprach, und seinem Salär als Wahlkonsul war dies alles jedoch nicht zu bestreiten. Aber der Aga verfügte über Verbindungen, die andere nicht hatten, und so kam es, daß selbst ehrenwerte honorige Herrschaffen seine Gunst suchten und auf seinen Festen tanzten. Der Mann, der bei solchen Veranstaltungen die Wasserpfeifen reichte, war Mohammed Abd er-Rassul. Er musterte jeden einzelnen Gast: Wer von den Anwesenden könnte sich wohl für Pharaonenschmuck interessieren? Wer war bereit, die wohl teuerste Schmuckkollektion der Welt zu erwerben? Mohammed taxierte sie alle. Einheimische schieden aus. Keiner von ihnen hatte ein Interesse daran, das Geld schon gar nicht. Kaufleute kannte er nicht, er wußte nicht, an wen er geriet. Es war zum Verzweifeln. Da saßen die Abd er-Ras-suls auf dem größten archäologischen Schatz, der je gefunden wurde, sie waren steinreiche Leute; aber ihr Vermögen zu Geld machen, das konnten sie nicht. Tagelang, nächtelang diskutierten die drei Brüder, was zu tun sei. Sie konstruierten komplizierte Vertriebswege, verwarfen sie wieder als zu riskant, schließlich kamen sie zu dem Ergebnis: Es war unumgänglich, den Aga einzuschalten, er hatte Erfahrung im Antiquitätenhandel und Beziehungen.

Der Antiquitätenhehler hielt die Erzählungen der Brüder Abd er-Rassul zunächst für übertrieben. Wenn nur die Hälfte davon wahr wäre, meinte er, hätten sie allesamt ausgesorgt bis an ihr Lebensende. Darauf schickte Mohammed seinen Bruder Achmed zu dem Schacht oberhalb von Der el-Bahari mit dem Auftrag, Beweisstücke zu holen. Achmed verdrängte seine Angst, riß den Mumien Amulette von der Brust, Ringe von den Fingern und nahm auch Papyrusinschriften mit.

Tags darauf gingen Mohammed und Achmed den staubigen Wüstenweg entlang zum Hause des Aga. Jeder trug ein Stoffbündel unter dem Arm, so wie die Fellachen noch heute ihre Habe transportieren. Mustafa Ayat traute seinen Augen nicht, als die beiden ihre Bündel öffneten. »Bei Allah«, rief er, »so etwas habe ich mein ganzes Leben noch nicht gesehen!«

Sorgsam prüfte dann der Aga jedes einzelne Stück, Schmuck, Salbgefäße und einen Papyrus. Dieser erregte sein besonderes Interesse.

»Nun gut«, sagte Mustafa, »wir teilen den Erlös: Vier Fünftel für mich, ein Fünftel für euch.« Und noch ehe einer der beiden Brüder einen Einwand machen konnte, fügte er hinzu: »Das ist immer noch mehr, als ihr überhaupt ausgeben könnt.«

Die Brüder sahen sich ratlos an. Widerspruch war zwecklos. Der Aga kannte ihr Geheimnis, was sollten sie tun? So unverschämt der Teilungsmodus des Aga auch war, er hatte recht, die Funde von Der el-Bahari würden den Abd er-Rassuls Unsummen einbringen, und das Problem bestand eigentlich darin, wie sie den plötzlichen Reichtum vor ihrer Umwelt rechtfertigen wollten? »Was hier vor uns liegt«, sagte der Aga, »dürfte für ein Jahr reichen, solange bleibt der Schatz in der Höhle unangetastet, verstanden?« Das leuchtete ein. Ein ungeschriebenes Gesetz unter Grabräubern.

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