VIII. Der Suezkanal

Unbeabsichtigt hatte der Suezkanal den Altertumsforschern Schützenhilfe geleistet: Denn während der gigantischen Bauarbeiten, die Millionen verschlangen, fiel der Aufwand, den Mariette betrieb, kaum auf. Gewiß, er war verschwenderisch hoch; aber im Vergleich zu dem Kanal-Unternehmen verschwindend gering.


Am Fuß der großen Pyramide von Giseh warteten Pferde und Kutschen, Esel und Dromedare, buntgezäumt. Das unvergängliche Monument des Cheops warf seinen langen Abendschatten in den graugelben Wüstensand. Da endlich tauchte im Süden die erwartete Reiterschar auf. Der Pulk hetzte, das gewaltige Ziel vor Augen, aufgeregt lärmend durch die Wüste, und die verwegenen Reiter, mit wehenden Bärten, glichen eher einem Stamm wilder Wüstensöhne als einer kaiserlichen Abordnung.

Der erste, der den sanft abfallenden Hügel heraufpreschte und mit einem Klaps auf die Hinterbacken vom Pferd sprang, war Franz Joseph, Kaiser von Österreich, König von Ungarn. Ihm folgte Gyula Graf Andrassy, der ungarische Ministerpräsident, klein und verwegen dreinblickend mit schwarzem Lockenkopf und Spitzbart, und dahinter, mit seinem zweigeteilten Bart ein getreues Ebenbild seines Kaisers, Admiral Wilhelm Tegetthoff. Erst nachdem auch allerlei Gefolge vom Pferd gesprungen war, traf der letzte Reiter ein: Heinrich Brugsch.

»No, da sind 'S ja, Herr Professor!« sagte der Kaiser mit wohlwollendem Schmunzeln, während er seine Barttracht in Ordnung zu bringen versuchte. Brugsch sagte bewundernd: »Kolossal, Majestät, wirklich kolossal Ihre Reitkünste -wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf. Mir standen, offen gesagt, die Haare zu Berge, wie Majestät mit dem Gaul über die Brunnenschächte setzten.« »Aber gehn 'S«, antwortete der Kaiser, »das ist doch keine Kunst. Der Graf Andrassy, der ist ein guter Reiter! Der ist auf dem Sattel zur Welt gekommen. Ich bin im Umgang mit Pferden nur mittelmäßig.«

Brugsch bat den Kaiser und seine Begleiter zu einem Büffet, das die Köche des Khediven vor der Cheopspyramide aufgebaut hatten. Franz Joseph war als einer der ersten zur bevorstehenden Einweihung des Suezkanals in Ägypten eingetroffen, und Ismail Pascha hatte den hohen Gast im Ge-sira-Palast am westlichen Nilufer in Kairo einquartiert, Ma-riettes Museum gegenüber. Heinrich Brugsch wurde dem Kaiser, der ohne seine sprachkundige Gattin Sissi angereist war, als eine Art gehobener Fremdenführer zugeteilt. Brugsch hatte inzwischen zum drittenmal Anlauf genommen, in Ägypten Fuß zu fassen, diesmal als ägyptischer Beamter, genauer als Direktor einer neugegründeten europäisch-orientalischen Hochschule. Jetzt stand er im Sold des Vizekönigs.

Im Gegensatz zu der Professur in Paris, war an diese Stellung nicht die Aufgabe der preußischen Nationalität geknüpft, im Gegenteil, preußisches Unterrichtswesen durfte auf diese Weise seinen Ruf auch im Orient festigen. Und auch der preußische König ließ Brugsch bereitwillig ziehen. Heinrich Brugsch hatte wieder geheiratet. Antonie hieß die Auserwählte, und sie zeigte mehr Verständnis für das abenteuerliche Leben am Nil. Die Brugschs bewohnten nicht weit entfernt von Mariette einen alten Mamelukkenpalast, dessen Räume den zwölf Studenten als Hörsäle dienten. Wie es sich für einen orientalischen Palast gehörte, hatte der von einer hohen weißen Mauer und einem Park mit fruchttragenden Dattelpalmen, Maulbeerbäumen und Zypressen umgebene Gebäudekomplex auch einen - jetzt unbenutzten - Harem mit vergitterten Fenstern. In einer Ecke des Gartens drehte ein Wasserbüffel von früh bis abend mit verbundenen Augen seine Runden, um das knarrende Wasserrad für die Bewässerung der tropischen Pracht, aber auch des häuslichen Gemüses sicherzustellen, das Antonie mit großer Hingabe aufzog. Brugsch führte zum erstenmal ein sorgloses Leben. Antonie war erstaunlich schnell mit den Fledermäusen und Ratten im Haus und mit Schlangen im Garten fertig geworden, und Emil, der jüngere Bruder, war bei Mariette untergekommen, wobei der Altertümerverwaltung vor allem seine Kenntnisse als Fotograf zu Nutzen kamen. »Ich darf mir die Frage erlauben«, sagte Brugsch an den österreichischen Kaiser gewandt, »wie Ihrer Majestät die Pyramiden gefallen.«

Franz Joseph, in der linken Hand ein Hühnerbein, mit der Rechten ein Stück Fladenbrot knetend, antwortete: »Wissen 'S was, mein lieber Professor, ich bin paff, ganz einfach paff. Man kann nur staunen, immer nur staunen - überwältigend.« Der Kaiser blickte bewundernd zur Spitze des mächtigen Bauwerkes auf.

»Die Aussicht von dort oben werden Majestät Ihr Leben nicht vergessen. Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf - wir sollten den Aufstieg baldigst angehen, sonst geraten wir beim Abstieg in die Dunkelheit, dann sind wir die Lackierten.«

»Die Lackierten!« Franz Joseph schüttelte sich vor Lachen über das Wort. »Dann sind wir die Lackierten! - Also brechen wir auf!«

Für gewöhnlich wurden Touristen auf die Cheopspyra-mide transportiert, indem zwei Beduinen den Bergsteiger an den Händen von Stufe zu Stufe hochzogen, während ein dritter von hinten anschob. Kaiser Franz Joseph lehnte eine solche Unterstützung jedoch ab, er sei ein guter Bergsteiger und bei der Gamsjagd in Tirol immer einer der ersten. Nach der Hälfte des Weges machten Majestät dann aber schlapp, und Brugsch mußte seine ganze Überredungsgabe aufwenden, um den Kaiser mit dem Hinweis auf die einmalige Aussicht doch noch nach oben zu bringen. Schnaufend gelangten sie endlich auf das kleine, zehn mal zehn Meter große Plateau, und Franz Joseph konnte sich etwas erholen. Graf Andrassy versuchte die langanhaltende Stille durch einen Scherz aufzulockern, er blickte in die Tiefe und sagte in Anlehnung an Napoleons berühmten Satz: »Sire, vierzig Kutschen sehen Euch an, am Fuß dieser Pyramide.« Wie Spielzeug standen, die eingetroffenen Wagen dort unten aufgereiht, unwirklich fern, obwohl jedes Klirren des Zaumzeuges, jedes Knarren eines Rades an ihr Ohr drang. »Sagen 'S, Herr Professor«, erkundigte sich der Kaiser, »wann lebte eigentlich dieser König Cheops?« »Er war der zweite König der vierten Dynastie«, antwortete Brugsch, »das wissen wir; aber wann er gelebt und regiert hat, wann er gestorben ist. . .« - Brugsch hob die Schultern - »darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Zwischen den Daten von Auguste Mariette und Professor Lep-sius liegen mehr als tausend Jahre, der eine meint, im fünften Jahrtausend, der andere im vierten Jahrtausend vor Christus.«

»Und dieses Bauwerk diente König Cheops wirklich nur als Grab?«

»Jawohl, Majestät. Zumindest hat man bisher keine Hinweise auf eine andere Verwendung gefunden. Von der Grabkammer im Innern führen Luftschächte zum Himmel, aber da der König bereits tot war, als man ihn hierher brachte, hatten sie wohl nur symbolische Bedeutung für den Flug der Seele ins Jenseits.«

»Interessant«, sagte der Kaiser, »und der Sarg des Pharao?«

»War leer, wie alle Königssarkophage, die wir bisher entdeckt haben . .. «

Franz Joseph blickte über die Sanddünen am Fuß der Pyramide zur Sphinx, die zur Hälfte aus dem Sand ragte, und weiter zu der fernen Reihe von Pyramiden, die sich nach Memphis hin in sandigem Gelbocker auflösten. Im Osten leuchtete das dunkle Grün der Niloase aus dem Sandmeer, und schnurgerade lief die neue Pyramidenstraße zur Stadt hin, der ganze Stolz des Paschas, in drei Monaten in der Wüste angelegt für die Gäste aus aller Welt, die zur Einweihung des maritimen Kanals von Suez erwartet wurden. Seit den Zeiten Kleopatras, der letzten Pharaonin, hatte das Land am Nil solch eine Festlichkeit nicht mehr erlebt. Ismail Pascha hatte alle Vorbereitungen für ein Fest treffen lassen, wie es die Welt noch nicht gesehen hatte. Der offizielle Festakt sollte am 16. November 1869 stattfinden. Doch schon Wochen zuvor gab es Pannen, nichts als Pannen. Das Opernhaus in Kairo wurde zwar gerade noch fertig, aber die von Ismail Pascha bei Verdi in Auftrag gegebene Oper Aida blieb unvollendet, so daß der Maestro das Haus mit Rigoletto eröffnete. Die Aida-Premiere konnte erst zwei Jahre später erfolgen. Wenige Tage vor der Einweihung entdeckte man in der Nähe von Schaluf einen fünf Meter großen Felsbrocken im Kanalbett. Bei der Sprengung stürzten die Uferböschungen ein. In Port Said, wo das Eröffnungszeremoniell geplant war, brach am 15. November ein Feuer aus, griff auf die Lagerhallen mit den für die Einweihung bestimmten Feuerwerkskörpern über und sprengte beinahe die ganze Stadt in die Luft. Am Tag vor dem Festakt wurde eine für die Ehrengäste errichtete Plattform überflutet, und am selben Abend lief eine ägyptische Fregatte 30 Kilometer südlich von Port Said im Kanal auf Grund. Nur mit größtem Aufwand gelang es dennoch, die feierliche Eröffnung über die Bühne zu bringen.

Gegen elf Uhr, am Vormittag des 16. November 1869, tauchte am Horizont vor Port Said die Yacht »L'Aigle« der Kaiserin Eugenie von Frankreich auf. Die im Hafen ankernden Schiffe zogen ihre Flaggen auf, von den Fregatten wurde Salut geschossen, und der Vizekönig nahm auf seinem Thron in dem mittleren der drei am Kai errichteten, von Fahnen umsäumten und mit dem Halbmond gekrönten Pavillons Platz. Die kaiserliche Yacht kam aus Alexandria, wo sie Ferdinand de Lesseps und seine beiden Söhne an Bord genommen hatte. Lesseps war ein Cousin der Kaiserin. Eugenie reiste allein, ihr Gemahl Napoleon III. fühlte sich gesundheitlich und politisch nicht in der Lage, sein Land zu verlassen. Das war auch der Hauptgrund, warum der österreichische Kaiser Franz Joseph, der weite Reisen haßte, sich auf den Weg in den Orient gemacht hatte. Ansonsten, so der Ministerrat, wäre die Rolle des Kavaliers der Kaiserin dem anwesenden preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm zugefallen, und Preußen hätte so vor aller Welt seine Ebenbürtigkeit mit Frankreich demonstrieren können. Kaiserin Eugenie stand, eingerahmt von 50 Marinesoldaten, wie eine Galionsfigur im Bug ihres Schiffes. Sie trug ein langes, enganliegendes, hellrotes Samtkleid, das Haar hochgesteckt und mit einer juwelenbesetzten Tiara gekrönt. Der französischen Yacht folgte das österreichische Dampfschiff »Greif« mit Kaiser Franz Joseph an Bord, in seiner Begleitung Graf Andrassy und Ministerpräsident Friedrich Ferdinand von Beust. Farbenfroh in einen gelben Rock und graue Hosen gekleidet, beantwortete der österreichisch-ungarische Kaiser Franz Joseph die Hochrufe vom Kai mit huldvollem Winken.



Protokollgemäß sollte der »Greif« der preußischen Yacht »Grille« mit dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm und seiner Gemahlin folgen; aber zwei österreichische Begleitschiffe machten den Preußen den Rang streitig. Dem preußischen Kronprinzen schlössen sich Prinz und Prinzessin der Nie -derlande und der britische Botschafter in Konstantinopel, Sir Henry Elliot, auf ihren Schiffen an. Die Ehrengäste hatten inzwischen in den Pavillons am Kai Platz genommen: Staatsoberhäupter, Minister und Diplomaten, aber auch Künstler und Wissenschaftler waren aus ganz Europa angereist. Emile Zola, Theophile Gautier, Henrik Ibsen waren ebenso erschienen wie Giuseppe Verdi, Richard Lepsius, Auguste Mariette und Heinrich Brugsch. Ismail Pascha war es gelungen, die gesamte Weltpresse für die Kanaleinweihung zu interessieren. Zum erstenmal fand ein bedeutsames Ereignis ein weltweites Echo, erstmalig standen den Journalisten Hotels, Wagen, Eisenbahnen und Dampfschiffe kostenlos zur Verfügung, eine Geste, die bald Schule machen sollte.

Bunte Zelte mit kalten Büffets, unter denen sich die Tische bogen, exotische Früchte und Champagner standen für die vieltausendköpfige Gästeschar bereit. Da das gewiß nicht geringe Personal des vizeköniglichen Hofes nicht für die Bedienung der verwöhnten Gesellschaft ausreichte, hatte man -gegen gutes Geld, versteht sich - alle verfügbaren Europäer in Alexandria und Kairo kurzerhand in Livree oder Frack gesteckt und als Garcons nach Port Said, Ismailia und Suez abkommandiert. Brugsch begegnete einem Schuster aus Potsdam, der die Gläser der Gäste mit Champagner füllte, als hätte er nie etwas anderes getan. Kanonen schössen Salut, ein frischer Wind knatterte in Tausenden von Fahnen, rote Teppiche markierten den Weg vom Hafenkai zu den Pavillons. Der Khedive ging der Kaiserin entgegen. Sie begrüßte ihn überschwenglich: »In meinem ganzen Leben habe ich so etwas noch nicht gesehen, ein zauberhafter Empfang!«

Als endlich alle Majestäten Platz genommen hatten, als Fanfarenstöße und Hurrarufe verhallt waren, gaben islamische, jüdische, katholische und evangelische Würdenträger dem Kanal ihre Weihe, Ismail Pascha und Ferdinand de Les-seps sprachen hehre Worte, und zahlreiche Damen versuchten Tränen der Erregung unter breitkrempigen Hüten zu verbergen.

200 Millionen waren ursprünglich für die Bauarbeiten veranschlagt gewesen. 454 Millionen Francs hatte das Jahrtausendbauwerk dann schließlich verschlungen. Dabei entsprachen die Ausmaße nicht einmal den projektierten Werten. Bei einer Breite von 22 Metern wies die Kanalsohle nur in der Mitte jene acht Meter Tiefe auf, die für eine Begegnung von Schiffen mit großem Tiefgang nötig waren; aus Kostengründen hatte Lesseps sogar auf die vorgesehenen Ausweichstellen verzichtet. Hundert Meter Breite waren vonnöten, damit sich zwei Schiffe begegnen konnten, auf 40 Kilometer maß der Kanal jedoch nur 60 Meter. An diese Unzulänglichkeiten und die um mehr als das

Doppelte überschrittenen Kosten dachte an diesem 16. November niemand. Der 64jährige Lesseps wurde wie ein Wohltäter der Menschheit gefeiert. Das technische Wunderwerk, die Fahrrinne von 161 Kilometern Länge durch Wüstensand und Salzseen, machte den französischen Ingenieur zum ungekrönten König des Landes. Ein weißes Gebäude mit Kuppeln und Säulen, das er an der Einfahrt in Port Said für sich und die Kanalgesellschaft errichtet hatte, glic h eher einem Märchenschloß als der Niederlassung eines kommerziellen Unternehmens.

Auguste Mariette hatte die künftige Bedeutung dieses Mannes früh erkannt und einen klugen Schachzug getan, als er Ferdinand de Lesseps zum Gründungsmitglied der Altertümerverwaltung ernannte. Repräsentierte doch der inzwischen weltberühmte Franzose den neuen, technischen Zeitgeist und nahm damit Kritikern seiner aufwendigen Ausgrabungen, die vielfach als nutzlos bezeichnet wurden, von vornherein den Wind aus den Segeln. Unbeabsichtigt hatte der Suezkanal den Altertumsforschern Schützenhilfe geleistet: Denn während der gigantischen Bauarbeiten, die Millionen verschlangen, fiel der Aufwand, den Mariette betrieb, kaum auf. Gewiß, er war verschwenderisch hoch; aber im Vergleich zu dem Kanal-Unternehmen verschwindend gering. Nun aber, da alle Großen dieser Welt den Weg nach Ägypten gefunden hatten, rückten auch die mit den Altertümern befaßten Wissenschaft und Forschung in das öffentliche Interesse. Genau sieben Jahrzehnte waren vergangen, seit Napoleon das Land der Pharaonen wieder ins Bewußtsein gerückt hatte, jetzt aber wurde das schlichte Interesse zur Manie. Angeregt durch Zeitungs- und Reiseberichte setzte ein Run auf die ägyptische Kultur ein. Wem Erbe und Status es erlaubten, der verbrachte den Winter in Luxor oder Heluan. Mariette, Brugsch und Lepsius waren die Männer der Stunde. Sogar gekrönte Häupter rissen sich darum, von ei-nem dieser Männer durch die Ausgrabungsstätten des Nillandes geleitet zu werden. Ägypten-Literatur stand hoch im Kurs. In Berlin schrieb der z/jährige Ägyptologe Georg Ebers - er hatte noch nie die Pyramiden zu Gesicht bekommen, einen schwülstigen Roman mit dem Titel Eine ägyptische Königstochter und erntete damit Weltruhm.

Die Majestäten hatten die Nacht auf ihren komfortablen Schiffen verbracht und wurden von Böllerschüssen geweckt. Punkt acht Uhr - die schrägstehende Herbstsonne vergoldete die Szenerie - setzte sich eine kilometerlange Schiffsprozession zur ersten Durchfahrt durch den Suezkanal in Bewegung, an der Spitze die »Aigle« mit Kaiserin Eugenie, gefolgt von der Yacht »Mahroussa« des Khediven Ismail, insgesamt 60 bunt beflaggte Schiffe. Zur gleichen Zeit nahm 161 Kilometer weiter südlich, in Suez am Roten Meer, ein Konvoi ägyptischer Yachten und Handelsschiffe Kurs in Richtung Norden.

Auf den Dämmen links und rechts des Kanals flatterten die Flaggen der Länder, die Delegationen zu den Festlichkeiten entsandt hatten. Die Menschen in ihren bunten Gewändern winkten, liefen mit den Schiffen viele Kilometer mit. Kamelreiter standen staunend auf den Uferbefestigungen, manche glaubten an ein Wunder, andere machten ihrem Unwillen Luft über die Wasserstraße, die schnurgerade durch die Wüste führte und nur an wenigen Stellen auf Fährschiffen überquert werden konnte. Die gewaltigen Baggerschiffe mit ihren turmhohen schrägen Förderbändern, denen die Schiffe noch allenthalben begegneten, ließen trotz Flaggenschmuck und bunten Tüchern keinen Zweifel aufkommen, daß hier noch bis zum letzten Augenblick gearbeitet worden war, ja, daß die Arbeiten noch weitergingen. Die Nacht hatte sich bereits über die Wüste gesenkt, als die festlich beleuchteten Schiffe den Timsah-See und die Hafenstadt Ismailia erreichten. Zehntausend glitzernde Later-nen tauchten das Hafenbecken und die breite Prachtstraße, die zu dem eigens für die Einweihung errichteten Palast führte, in märchenhaften Lichterschein. Der Zauber aus Tausendundeiner Nacht - hier wurde er Wirklichkeit. Ismail Pascha wollte das größte Fest feiern, das die Welt je gesehen hatte, und nicht einmal der Verwöhnteste unter den anwesenden Potentaten zweifelte einen Augenblick, daß dem Vizekönig dies auch gelungen war. Geblendet vom Prunk und Glanz des marmornen Palastes, in dem auf kostbaren Teppichen Tische mit kulinarischen Köstlichkeiten aus aller Welt die Gäste einluden, stellten nur wenige die Frage nach den Kosten, ob nicht der Aufwand die Möglichkeiten des ägyptischen Herrschers überstieg. Das Bankett, zu dem der Khedive offiziell 800 Persönlichkeiten geladen hatte, reichte in seiner verschwenderischen Üppigkeit auch für die mehreren tausend Gäste, die sich dann in Ismails noblem Palast einfanden. Österreichs Kaiser Franz Joseph erschien als Tischherr der französischen Kaiserin Eugenie und gab damit zu allerlei Spekulationen Anlaß. Die Österreicher machten alle Anstrengungen, die Kaiserin vor dem preußischen Kronprinzen abzuschirmen, und sie selbst mieden, obgleich bisweilen in Tuchfühlung, jedes Gespräch mit den Preußen. Als Kaiser Franz Joseph, dem Menschenansammlungen ein Greuel waren, sich mit den Worten »Außi möcht' ich!« entschuldigte, gesellte sich die Fürstin Metternich zur französischen Kaiserin und erbot sich, mit ihr in einem Festzelt vor dem Palast dem Bienentanz zuzusehen, der, wie Kritiker meinten, für weibliche Augen weniger geeignet schien - weil die Tänzerinnen beinahe nackt waren und es sich dabei um ein in aller Deutlichkeit dargestelltes Liebesspiel handelte. Brugsch und Mariette beobachteten das Gehabe der gekrönten Häupter eher amüsiert. »Ich hoffe nur«, meinte der Franzose lächelnd, »man verbietet uns beiden demnächst nicht, daß wir uns miteinander unterhalten!«

Heinrich Brugsch bewegte den Kopf hin und her, als wollte er sagen: In diesen spannungsgeladenen Zeiten kann man dies nie wissen. Wundern würde es mich nicht! Aber er sagte nichts, sprach Krebsschwänzen und glacierten Enten-brüstchen zu und meinte nach einer Weile kauend: »Kochen könnt Ihr Franzosen, das muß Euch der Neid lassen!« »Kein Wunder!« erwiderte Auguste Mariette, »der Khe-dive hat ja auch die besten Köche Frankreichs nach Ägypten geholt. Zu Hause regt Napoleon unterdessen die Herstellung von Kunstbutter aus Rindertalg an. Margarine soll das ekelhafte Zeug heißen, in Paris wird eine Fabrik gebaut. Rindertalg, Henri, kannst du dir das vorstellen?« Der Preuße, gewiß kein Mann von überfeinerter Lebensart, verzog angewidert die Mundwinkel, nippte an seinem Champagnerglas und meinte belustigt: »Ihr eßt doch sogar Schnecken, warum nicht auch Rindertalgbutter?« »Wenn die Preußen nur halb soviel vom Essen verstehen würden wie vom Militär!« spottete Mariette zurück. Und beide lachten.

Das Fest strebte seinem Höhepunkt zu. Verschleierte Mädchen tanzten zu Flötenmusik durch das illustre Publikum. Lesseps und der Khedive nahmen an den einzelnen Tischen die Ovationen der geladenen Gäste entgegen, prosteten ihnen zu, schüttelten Hände und sonnten sich in diesem historischen Augenblick.

»Ich mache mir Sorgen um die Zukunft des Landes«, raunte Mariette seinem Freund Brugsch zu, »der BaumwollBoom ist zu Ende, die Landwirtschaft liegt brach, 700000 Tiere sollen einer Seuche zum Opfer gefallen sein, womit will Ismail Pascha das alles bezahlen?« Brugsch nickte. »Dabei glauben all die Leute hier, der Khedive sei der reichste Mann der Welt!« »Ismail?« erwiderte Mariette. »Der hat mehr Schulden, als wir uns das überhaupt vorstellen können. Ich möchte nicht in seiner Haut stecken.« »Du meinst, er ist pleite?«

Mariette hob die Schultern. »Fest steht, wenn Ismail Pascha Bankrott macht, dann bedeutet das das Ende der Altertumswissenschaft.«

»Aber der Kanal wird doch Geld einbringen ... « »Nicht den Ägyptern, Henri. Ägypten hat der Kanal nur Schulden gebracht - und eine Überfremdung durch französisches Kapital. Der Kanal gehört nicht dem Khediven und schon gar nicht den Ägyptern, er ist einzig und allein Besitz der Kanalgesellschaft. Und es würde mich nicht wundern, wenn er schon bald zum Zankapfel der Weltpolitik werden würde . .. «

Während er sprach, verkrampften sich seine Hände. Ma-riette faßte zum Hals, er stöhnte, als bekäme er keine Luft mehr, Schaum trat ihm vor den Mund, dann sank er lautlos in die Arme seines Freundes Brugsch. »Einen Arzt!« rief die -ser. »Ist denn kein Arzt hier anwesend?« Die ausgelassenen Gäste ignorierten den Vorfall taktvoll, sie glaubten, der Unglückliche habe wohl dem Alkohol zuviel zugesprochen. Heinrich Brugsch bettete den Leblosen hastig auf drei zusammengeschobene Stühle, klopfte ihm hilflos auf beide Wangen und rief immer wieder: »Auguste, Auguste, hörst du mich, ich bin es, Henri, hörst du mich . . .«

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