XIII. Männer, Träumer und Rivalen

Spät, nach Mitternacht, saß Borchardt, der nüchterne Planer und Architekt, bei Kerzenschein in seinem Zimmer, vor sich dieses lebendige Standbild der Königin, das edle, tadellose Profil, und es schien ihm, als bewegten sich ihre Lippen, als formten sie die Frage: »Warum hast du mich nicht in Ruhe gelassen -dort, wo ich war, im Schutt der Jahrtausende?« Und Borchardt, zwischen Traum und Wirklichkeit, antwortete beinahe andachtsvoll: »Weil es glücklich macht, nach den Anfängen zu forschen. Wir können dieses unser Leben nur dann verstehen, wenn wir unsere Anfänge kennen. Und hier, auf diesem Boden, liegen die Anfänge unserer Kultur.«


Er war klein, untersetzt und drahtig und hatte die nervösen Bewegungen eines Kettenrauchers. Aber er war voller Energie - was er sich in den Kopf setzte, das führte er auch aus. Und in den Kopf gesetzt hatte er sich nun einmal, im Tal der Könige zu graben, wenn es sein mußte bis in zehn Meter Tiefe. »Entweder«, tönte Theodore Davis selbstbewußt, »ich gehe in die Geschichte ein als lächerlicher Dummkopf, oder man wird mich als großen Entdecker feiern!« Der clevere Geschäftsmann Davis, der nichts im Leben dem Zufall überließ, hatte natürlich auch dieses Unternehmen bis ins kleinste durchkalkuliert, alle Möglichkeiten mit namhaften Forschern erörtert und war so zu der Überzeugung gelangt, daß das Tal noch manche Sensation verborgen hielt, nur müsse man mit ungeheuerem Aufwand arbeiten. Man müsse dreimal so tief graben wie alle bisherigen Forscher und Stellen angehen, an die sich bisher aufgrund technischer Schwierigkeiten kein Ausgräber gewagt hatte. Davis handelte Maspero eine Exklusiv-Konzession für das Tal ab. Der Marquis von Northampton und der britische Chemie-Industrielle Sir Robert Mond, die seit Jahren, jeder für sich, ihre eigenen Ausgrabungen betrieben, störten den kleinen Amerikaner bei seinem Vorhaben. Ein paar hundert Grabungsarbeiter wurden angeworben und drei Männer vom Fach, der 23jährige Arthur Weigall, sein etwas jüngerer Kollege Edward Ayrton und Inspektor Howard Carter, allesamt Engländer.

Carter hatte keinen leichten Stand seit dem mysteriösen Überfall auf das Grab Amenophis' II. Der Inspektor war felsenfest überzeugt, daß die Abd er-Rassuls hinter dem Komplott steckten, aber alle Ermittlungen waren im Sand von el-Kurna verlaufen, und seither wurde Carter von den Einheimischen gemieden, die Kinder warfen Steine hinter ihm her. Howard Carter war genau der richtige Mann für die aussichtslos scheinende Aufgabe, die sich Davis vorgenommen hatte. Aber wo sollte er ansetzen? Dort, wo Dutzende vor ihm aufgegeben hatten? Oder da, wo sich andere aufgrund der Unwegsamkeit des Geländes bisher nicht herangewagt hatten?

Der eigensinnige Engländer entschied sich für den steilabfallenden Südosthang des Tales, sehr zum Leidwesen seines Geldgebers, der meinte, ein Stück weiter unten würde er sich die Schuhe weniger schmutzig machen. Aber Davis redete dem Experten nicht drein. Dicht unterhalb des Weges, der über das Gebirge nach Der el-Bahari führt - jeder in der Gegend war ihn Hunderte Male gegangen -, stieß Carter schon nach drei Tagen auf einen gemauerten Eingang. Theodore Davis war entzückt, glaubte den größten Fund der Geschichte gemacht zu haben und verschickte Einladungen nach Amerika zur Eröffnung »seines Grabes«. Aber Carter ließ sich nicht beeindrucken, nach einer Woche öffnete er die Gruft. Altertumsforschung sei keine Theatervorstellung. Zunächst mußte Carter feststellen, daß das Grab schon in alter Zeit ausgeraubt worden war. Ausstattung und Größe ließen einen wenig bedeutenden König mit nur kurzer Regie -rungszeit vermuten. Inschriften verwiesen auf Thutmosis IV., der acht Jahre über das Nilreich herrschte und mit der Schwester des Mitanni-Königs Schutarna verheiratet war. Abgesehen von einem Wagen und ein paar Kleinmöbeln hatten die Grabräuber nichts zurückgelassen. Theodore Davis konnte seine Enttäuschung nicht verbergen und versuchte seine Ausgräber mit Geldprämien zu motivieren. Carter dagegen war stolz über seine erste Entdek-kung und beruhigte den Amerikaner, das sei doch alles erst ein Anfang.

»Und wo wollen Sie nun weitergraben?« erkundigte sich der 66jährige.

Carter deutete auf ein wenige Schritte entferntes Loch im Boden. »Ich will endlich wissen, wo dieser Gang hinführt.« Ayrton und Weigall warnten den Inspektor mit erhobenen Händen, an dieses Projekt heranzugehen. Seit hundert Jahren hätten Ausgräber sich an diesem verschütteten Felsstollen versucht, Napoleon hätte nach 26 Meter aufgegeben, Lepsius nach 46, und die einzige Erkenntnis, die beide aus der mörderischen Arbeit gewonnen hätten, sei die Tatsache, daß sich der endlos scheinende abwärts führende Gang im Uhrzeigersinn nach rechts drehe. »Weder Napoleon noch Lepsius konnten auf elektrisches Licht zurückgreifen«, verteidigte Carter seinen Plan, »aber gerade die Beleuchtung ist das größte Problem bei diesem Grab. Es ist mir überhaupt ein Rätsel, wie die Grabbauer ihre Arbeit bewältigten; denn mit Sonnenspiegeln konnten sie nicht graben, und Fackeln raubten ihnen die Luft.« Ayrton fragte, warum gerade dieses Grab keinen geradli-nigen, sondern einen gewundenen Zugang habe; aber Carter winkte ab, bei näherer Prüfung des Gesteins werde das durchaus klar. Schon nach den ersten zehn Metern hätten die Steinhauer gemerkt, wie morsch und brüchig der Fels war, untauglich für jede Bearbeitung und Malerei, also hätten sie unter der Erde die Richtung geändert, auf der Suche nach besserem Gestein.

»Ich habe natürlich keinen Beweis in Händen«, sagte Carter, »aber ich glaube, wenn es sich um einen unbedeutenden König gehandelt hätte, dann hätte man nach 40 Metern eine Grabkammer geschlagen und den Pharao bestattet. Doch in diesem Fall scheint der König weder Mühen noch Kosten gescheut zu haben, und das spricht für eine bedeutende Persönlichkeit.«

»Carter hat recht«, sagte Theodore Davis, der die Diskussion mit sichtlichem Interesse verfolgte, »wenn sogar Napoleon den Stollen aufgegeben hat, so wird dadurch die Wahrscheinlichkeit nur um so größer, daß auch Grabräuber nicht bis in das Innerste vorgedrungen sind.« Weigall wurde unruhig: »Um welchen Pharao könnte es sich dabei handeln, Mister Carter?« »Ich lehne solche Spekulationen ab«, bemerkte Carter schroff. »Wie wir gesehen haben, wurden schon einige Pharaonen im Grab ihrer Vor- oder Nachfahren gefunden, außerdem entdecken wir immer neue Könige, die aus irgendwelchen Gründen in den alten Königslisten nicht geführt wurden. Denken Sie nur an den rätselhaften König Echn-aton oder an Tut-ench-Amun, von dem im Tempel von Lu-xor die Rede ist.«

Der Amerikaner fand immer mehr Gefallen an dem Projekt. Die Vorstellung, er, Theodore Monroe Davis aus Newport, Rhode Island, könnte ein Königsgrab finden, vor dem Napoleon kapituliert hatte, ließ ihn innerlich wachsen. »Wir gehen daran!« sagte Davis bestimmt. Das war am 28. Februar 1903.

Die Installierung der elektrischen Beleuchtung erwies sich komplizierter als erwartet, inzwischen verrichteten die Männer ihre schweißtreibende Arbeit unter Tage bei Kerzenlicht. Schon am ersten Tag wurde klar, warum alle Ausgräber vor ihnen aufgegeben hatten: Dieser Stollen war nicht einfach freizuschaufeln, Regenwasser hatte einen Weg durch das morsche Gestein gefunden und den kalkhaltigen Schutt im Laufe von Jahrtausenden hart wie Mörtel werden lassen, Carter und seine Männer mußten ihn herausschlagen. Nach fünfzig Metern tat sich eine Kammer auf, aber auch hier waren die Wände ohne Zierde. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich die Ausgräber etwa zehn Meter unter dem Bodenniveau. Davis stieg nur noch jeden zweiten Tag in den Stollen, er litt unter Atemschwierigkeiten. »Nein, das kann nicht die Grabkammer gewesen sein«, beteuerte Carter, »so ganz ohne jeden Wandschmuck, ohne jede Inschrift!«

»Aber wo geht es weiter?« schnaufte Davis. »Nirgendwo an der Wand ist ein Durchbruch zu erkennen.« Howard Carter stampfte mit dem Fuß auf den Boden. »Hier«, sagte er, »ich glaube, es geht nach unten weiter.« »Auf welcher Seite wollen Sie anfangen?« Carter hob die Schultern. Da zog Davis eine Zehn-Piaster-Münze aus der Tasche: »Adler ist links, Kopf ist rechts!« Er warf das Geldstück hoch, hob es auf und zeigte es dem Ausgräber: »Kopf!«

Carter grub in der rechten Ecke nach unten und stieß tatsächlich auf einen weiteren Schräggang. Etwa hundert Meter hatte sich das Team jetzt in den Fels gewunden. Die Luft wurde immer knapper, Kerzen schmolzen vor Hitze, Arbeiter streikten, noch immer fehlte die elektrische Beleuchtung. Am 15. April brach Howard Carter die Arbeiten ab. Seine Leute, sagte er, würden keine Schaufel mehr anrühren, solange die Beleuchtungsfrage ungelöst sei. Während der folgenden Sommerpause wurden endlich die Leitungen gelegt. Feuerwehrmänner aus Luxor zogen Schläuche in den Stollen, durch die von oben Luft in das Grab gepumpt werden konnte. Am 15. Oktober nahm Carter die Arbeiten wieder auf.

Die ersten Tage verliefen erfolgversprechend; dann aber spitzte sich die Lage dramatisch zu. »Sir, es ist aussichtslos«, sagte Carter zu seinem Geldgeber, »die Kinder, welche den Schutt hochschleppen, brechen reihenweise zusammen.«

»Nehmen Sie erwachsene Männer. Zahlen Sie das Doppelte !«

»Auch die Arbeiter sind am Ende. Der Staub verklebt ihnen Mund und Nase. Sie können nicht mehr atmen!« »Ich gebe Ihnen die dreifache Menge. Teilen Sie Schichten von 15 Minuten ein. Das kann man aushaken!« Der besessene Kupfermagnat blieb unerbittlich. Da kam ihm der Zufall zu Hilfe. Als Carter kraftlos am Ende schien, stieß er, 60 Meter von der ersten entfernt, auf eine zweite Kammer, schmucklos wie die erste. Zielsicher grub er auf der rechten Seite den Boden auf und stieß auf zwei Steinstufen. Von hier führte der Stollen weiter im Rechtsbogen schräg nach unten.

Statt fester wurde das Felsgestein immer brüchiger. Ganze Wagenladungen brachen von der Decke, verschütteten Arbeiter. Rettungsmannschaften mußten sie freischaufeln. Davis zahlte Sonderprämien. Da, am 26. Januar 1904, tauchte eine dritte Kammer auf, auch sie vollgefüllt mit Schutt. Ein paar Augenblicke zweifelte Howard Carter: War dies die Grabkammer? Er befand sich nun 200 Meter im Fels. Dieser Stollen konnte doch nicht endlos in die Tiefe führen! Carter legte einen Suchgraben diagonal durch die Kammer an und stieß, wiederum auf der rechten Seite, auf eine Treppe. Von Stufe zu Stufe arbeiteten sich die Männer nach unten. Am Ende der Treppe versperrte eine Mauer den Weg. Es schien, als wäre sie eingestürzt. Doch nein - Carter faßte sich an den Kopf: In die Mauer war ein Loch gebrochen, ein Loch, so groß wie ein Wagenrad.

»Sagen Sie, daß es nicht wahr ist!« schrie der alte Davis immer wieder, nachdem Carter ihn in die Tiefe geschleift hatte. »Sagen Sie, daß es nicht wahr ist!« »Es ist wahr!« stammelte der Engländer hilflos, und er, der arme Kerl aus Kensington, der den Amerikaner ein Jahr lang ein Vermögen gekostet hatte, er schämte sich ob seiner Erfolglosigkeit. Denn in der Grabkammer, deren brüchiges Gewölbe drei Säulen abstützten, stand nur ein leerer Sarkophag, daneben lag ein Deckel, daneben ein zweiter Sarkophag, leer wie der erste. Sonst lag hier nur Schutt herum, staubiger, dreckiger, widerlicher, nutzloser Schutt. Carter traten Tränen in die Augen, Tränen der Wut, Tränen der Hilflosigkeit. Die Hieroglyphen am Sarkophag verschwammen zu unförmigen Gebilden, und es dauerte eine Weile, bis sie wieder klar vor ihm auftauchten. Das Entschlüsseln der Hieroglyphen war für ihn, den Autodidakten, ohnehin kein leichtes Unterfangen. Davis drängte: »Nun, wer ist es?« »Sie meinen: Wer wärest« antwortete Carter bitter. Dann zeigte er mit dem Finger auf einen Königsring und las stok-kend: »Hatschepsut Chnemetamun.« »Und der?« Davis macht eine Kopfbewegung in Richtung des zweiten Sarkophages.

»Thutmosis«, sagte Carter leise. »Vater und Tochter.« Dann stiegen beide schweratmend nach oben. »Wo mögen Thutmosis und Hatschepsut wohl hingekommen sein?« sinnierte Theodore Davis, als sie, oben angekommen, sich erschöpft unter einem Sonnensegel niederließen. »Wo die beiden heute sind?« Davis nickte stumm.

»In Kairo«, sagte Carter trocken, »genauer in Giseh.« Der Amerikaner sah seinen Ausgräber verständnislos an. »Ja«, antwortete Carter, »Thutmosis war unter den Kö-nigsmumien, die der alte Abd er-Rassul damals gefunden hat. Und eine Holzkiste trug den Namen Hatschepsuts. Nur leider lagen darin zwei weibliche Mumien. Eine davon ist wohl Hatschepsut.«

Für Theodore Davis, dem die Aufregung um das Hat-schepsut-Grab sehr zugesetzt hatte, war damit ein Kapitel Grabungsgeschichte beendet. Weigall und Ayrton begannen Sondierungen an anderer Stelle. Carter schlich sich noch wochenlang allein in den tiefen Stollen und versuchte den Boden der Sargkammer aufzugraben. Kein Mensch wußte von diesem heimlichen Unternehmen. Niemand ahnte, daß er oft bis tief in die Nacht bis zur Erschöpfung den Boden aufhackte und Berge von Gestein bewegte. Er wollte einfach nicht glauben, daß Grabräuber 213 Meter tief im Fels nichts übersehen hatten. Ende März gab er auf - erfolglos.

Das Haus mit dem breiten Säulenportal auf der Nilinsel Ge-sira galt seit langem als eine der besten Adressen in Kairo. Politiker und Diplomaten, Künstler, vor allem Archäologen aus aller Welt, gaben sich hier allzu gerne ein Stelldichein. Der Hausherr Ludwig Borchardt bekleidete offiziell den seltenen Rang eines wissenschaftlichen Attaches am deutschen Konsulat in Kairo. Selten deshalb, weil diese Planstelle eigens für ihn geschaffen worden war. »Und wie fühlen Sie sich bei uns in Kairo, Monsieur Bor-chardt?« fragte Gaston Maspero. Borchardt blickte in die Runde der namhaften Forscher und schmunzelte: »Ich bitte Sie, Monsieur, hier kann man sich wie zu Hause fühlen. Zugegeben, Kairo ist nicht Berlin, aber Kairo ist auch kein Kuhdorf. In der vergangenen Woche habe ich hier das erste Automobil fahren sehen. Natürlich so ein verrückter Engländer - wie King Eduard gekleidet.«

Flinders Petrie hüstelte verlegen: »Seine Majestät Eduard VII. gelten überall in der Welt als sportliches und modisches Vorbild - was man von Ihrem Wilhelm ja nicht gerade behaupten kann.«

»Aber meine Herren«, ging Maspero dazwischen, »wir wollen uns doch nicht um die modischen Accessoires unserer Kaiser und Könige streiten.« »Da können wir ohnehin nicht mithalten«, lachte der Amerikaner Theodore Davis, »Roosevelt als modebewußter König, ha, ha!«

Kurt Sethe blickte wie immer mürrisch vor sich hin und verzog keine Miene. Wie zur Entschuldigung erklärte Bor-chardt, sein Freund habe Schwierigkeiten mit seinem Nachbarn.

Nachbarn? Alle sahen Borchardt fragend an. »Er kann nun einmal diesen Naville nicht leiden. Sie hassen sich wie die Pest. Dabei graben sie in Der el-Bahari nebeneinander; aber sie sind nun einmal sehr verschieden. Ich glaube, sie haben miteinander noch kein einziges Wort gewechselt.« »Mit diesem Herrn verkehre ich nur schriftlich!« meinte Sethe, er erhob sich und blickte mit auf dem Rücken verschränkten Armen aus dem Fenster auf den Nil. »Und wenn er heute hier anwesend wäre, dann müßten Sie auf meine Gegenwart verzichten.«

»Das geht nun schon ein paar Jahre so«, erklärte Bor-chardt, »und nur, weil sie sich über einige Details im Leben der Königin Hatschepsut nicht einigen können. Verrückt ist das, ich kann nur sagen, verrückt. Keiner läßt eine Gelegenheit aus, den anderen mit irgendwelchen Veröffentlichungen herabzusetzen. Wie kleine Jungen.« Sethe sagte beleidigt: »Ich kann gerne meine Koffer pakken, wenn es gewünscht wird . . .« »Davon kann doch keine Rede sein«, versuchte Maspero einzulenken, »dieses Jahrhundert hat für uns so vielversprechend begonnen, wir brauchen jeden Mann.« Borchardt erkundigte sich nach den neuesten Ergebnissen, und Maspero berichtete mit sichtlichem Stolz, der Italiener Ernesto Schiaparelli habe das Grab der Königin Nefertari, der Frau des großen Ramses, gefunden, ausgeraubt zwar, aber mit prächtigen, guterhaltenen Wandmalereien. »Wie ist das eigentlich, Mister Petrie«, erkundigte Bor-chardt sich, »haben Sie vor, in Amarna weiterzugraben?« Der Engländer versuchte, um eine Antwort herumzureden, erklärte, das Nildelta nehme ihn voll in Beschlag, aber später würde er vielleicht wieder einmal.. . »Es ist nämlich so«, unterbrach ihn Borchardt, »wir Deutschen würden gerne in Amarna arbeiten. Die bereits freigelegten Häuser- und Palastgrundrisse haben mich auf die Idee gebracht, uns mit der Architektur dieser Ortschaft auseinanderzusetzen. Was meinen Sie, Monsieur Maspero?« Der sah Petrie fragend an, und als der Engländer nicht reagierte, sagte Maspero: »Nichts dagegen, ein lobenswertes Vorhaben.«

»Die Deutsche Orientgesellschaft würde die Kosten übernehmen. Hinter ihr steht ein hochherziger Spender.« »Wenn Sie so erfolgreich sind wie bei der Rettung von Philae, dann kann man Ihnen schon jetzt gratulieren, Monsieur. Viele sagen, die Tempelinsel präsentiere sich dem Betrachter seit Errichtung des Staudammes schöner als je zuvor.«

»Ich werde eine gute Mannschaft zusammenstellen, ich denke an etwa hundert Arbeiter.«

»Hundert Arbeiter? Das ist ein hoher Aufwand. Und Ihre Bedingungen ?«

»Keine.«

»Sie wissen, daß erstrangige Funde nicht mehr außer Landes gebracht werden dürfen!«

»Wir graben nicht nach Schätzen, wir suchen die altägyptische Architektur zu ergründen. Wenn dabei die eine oder andere Kleinigkeit abfällt, die wir unserem Geldgeber zum Präsent machen können . . .« »Also gut, Borchardt, Sie erhalten die Konzession. Aber alle erstrangigen Funde gehen an das Museum in Giseh. Bei zweitrangigen Stücken erfolgt eine Teilung nach Absprache.«

»Einverstanden!« rief Ludwig Borchardt, und Maspero hob sein Glas: »Auf gutes Gelingen!«

An einem Seil hängend, klopfte Edouard Naville die steile Felswand von Der el-Bahari ab. Die helltönenden Hammerschläge hallten durch das ganze Tal. Zweck des gefährlichen Unternehmens war es, im Felsgestein Spuren künstlicher Bearbeitung zu entdecken. Der dicke Naville schlug das Werkzeug in jede Spalte, Steinsplitter spritzten aus der Wand und polterten in die Tiefe.

»He da«, rief Naville und gab den im Tempel beschäftigten Arbeitern ein Zeichen, auf die andere Seite auszuweichen.

Eine gewaltige Felsnase erregte das besondere Interesse des Forschers. Irgendwie sah der Stein aus wie ein riesiger Propfen, den man auf eine Öffnung gesetzt hatte. Naville schlug die Spitze seines Hammers in einen seitlichen Spalt, doch als er das Werkzeug wieder herausziehen wollte, saß es fest.

Am Seil baumelnd, spreizte sich Naville mit beiden Beinen ein und versuchte mit ganzer Kraft, den Hammer herauszuziehen. Ein Ruck - er hatte den Hammer in der Hand; doch gleichzeitig löste sich die Felsnase, so groß wie ein Mühlstein, schürfte an seiner Hüfte entlang und sauste an den Felswänden mit Krachen in die Tiefe. An einem Vorsprung aufschlagend, kam der Steinkoloß ins Rotieren, sprang noch einmal auf und machte einen gewaltigen Satz über die erste Galerie des Tempels, geradewegs auf die Holzhütte zu, die Naville für sich und seine Frau über einem ausgeraubten Grab errichtet hatte, weil es für Kühle sorgte. Naville sah das Unglück kommen; aber er brachte keinen Laut hervor. Rufen wäre auch zwecklos gewesen, das alles dauerte nur Sekunden. Als der schwere Felsbrocken das Blechdach der Hütte durchschlug und mit einem lauten Knall zwischen berstenden Balken und Brettern verschwand, schloß Naville für einen Moment die Augen. Als er sie wie -der öffnete, sah er im Tal eine einzige, schmutzige Staubwolke.

Er ließ das Seil durch seine Hand laufen, daß die verbrannte Haut stank, unten angekommen hetzte er, die Arbeiter beiseite stoßend, auf die zerstörte Hütte zu. »Marguerite! Marguerite!« schrie er verzweifelt. Der Staub nahm ihm die Sicht, er stolperte über herumliegende Trümmer, rappelte sich hoch - da stand vor ihm eine kleine Gestalt, auf den Armen Marguerite: Sethe.

»Es ist ihr nichts passiert«, hustete Sethe, »Sie können ganz beruhigt sein.«

Naville wischte Marguerites Tränen mit bloßen Händen ab und schlug den Staub von ihrem Kleid. »Es ist nichts passiert«, stammelte sie in ihrem Schock immer wieder, »es ist wirklich nichts passiert!«

In der Aufregung hatte Naville Ali ganz vergessen, den einheimischen Koch. »Mein Gott«, rief er plötzlich, »wo ist Ali?« Dann lief er auf die Trümmer der Hütte zu. »Ali!« wiederholte er. »Kannst du mich hören?« Ihm war, als hätte er eine Antwort gehört. »Ali!« rief Naville immer wieder. Ein paar Arbeiter eilten herbei und halfen, Balken und Trümmer beiseite zu räumen.

Da war Alis Stimme. »Unten im Keller!« sagte Naville. Vorsichtig entfernten die Männer das Gebälk von der Treppe, die in das Grab führte. Der Felsen hatte die Decke durchschlagen und Ali mit all seinen Kochutensilien in die Tiefe gerissen. Dort saß er lächelnd, eine kleine Schramme über dem linken Auge.

Als Marguerite das ganze Ausmaß der Katastrophe erkannte, begann sie zu toben. Naville und Sethe führten sie gemeinsam zum Ausgräberhaus des Deutschen. »Ich will nach Hause«, schrie Marguerite in einem fort, »mir ist mein Leben lieber als dieser gottverdammte Tempel der Hatsche-psut!« Naville versuchte, seine Frau zu beruhigen. Aber kaum hatte er sie überzeugt, daß es sich um einen Unfall gehandelt habe und ihnen überall ein Unglück widerfahren könne, da fragte sie: »Und wo sollen wir wohnen?« Sethe schluckte. Man konnte ihm ansehen, daß er irgend etwas Bedeutsames sagen wollte. Schließlich meinte er: »Sie können ja hierbleiben, wenn Sie wollen. Im Haus ist genug Platz. Nur eine Bedingung: Wir reden nie über Hatschepsut!«

Naville nahm Sethes Hand und drückte sie stumm.

Theodore Davis grub weiter im Tal der Könige; aber ohne Howard Carter. Der hatte sich mit seiner bewaffneten Wächtertruppe so viele Feinde geschaffen, daß es ihm kaum noch möglich war, Arbeitskräfte anzuwerben. »Mit Carter? No«, sagten die Fellachen. Was blieb Maspero anderes übrig, als ihn nach Unterägypten zu versetzen? In Sakkara wachte er nun über den unterirdischen Serapis-Tempel. James Quibell nahm seine Stelle in Luxor ein und grub zusammen mit Weigall weiter. Quibell hatte Glück. Unmittelbar am Tal-Eingang entdeckte er eine Steintreppe, untrügliches Kennzeichen für einen Grabzugang. In wenigen Metern Tiefe versperrte eine Mauer den Weg, doch groß war die Enttäuschung: In der Mauer klaffte ein Loch. Man beschloß, zunächst den jüngsten Träger an den Füßen in die Maueröffnung zu halten, um zu sehen, was sich hinter der Mauer verbarg. Der Junge schrie fürchterlich, er hatte Angst, aber als Weigall ihn wieder nach oben zog, da hielt er einen kunstvoll verzierten Stab, einen Skarabäus, und ein Paar Sandalen in den Händen. Es liege da noch mehr herum, sagte er, lehnte es aber ab, sich noch einmal für ein solches Unternehmen zur Verfügung zu stellen.

Der Tatbestand war ungewöhnlich. Bisher hatte man meist Gräber gefunden, die ausgeraubt und danach zum Schein wieder verschlossen worden waren. Hier war der Einbruch schon von außen sichtbar, aber das Innere barg noch unbekannte Schätze.

»Das sieht mir ganz danach aus«, meinte Maspero, der am nächsten Tag zusammen mit Davis auf dem Esel ins Tal ritt, »als seien die Räuber bei ihrem Vorhaben gestört worden.« »Viel wird es wohl nicht sein, was sie zurückgelassen haben«, antwortete Davis, »sonst wären sie sicher noch einmal zurückgekommen.« Maspero lachte: »Wer weiß?«

Nach Besichtigung der Mauer stiegen Davis und Maspero in den Stollen hinab. Eine zweite Wand nach wenigen Metern war schnell überwunden, dann wurde es zur Gewißheit. Die Grabräuber hatten nicht die Möglichkeit gehabt, das Grab vollständig auszuräumen, und aus diesem Grund sperriges Mobiliar und Geschirr zurückgelassen. Von Wandinschriften waren die Grabbewohner den Ausgräbern bereits bekannt: Juja und Tuja, die Schwiegereltern Amenophis' III. Davis deutete auf zwei Holzkisten. Maspero nickte. Beide hatten den gleichen Gedanken. Maspero hob vorsichtig den Deckel der ersten Kiste. Vor ihnen blinkte ein goldener Mumiensarkophag. Als er auch diesen abhob, schaute er in das würdevolle Antlitz eines alten Mannes. Dünne weiße Haare umspielten eine hohe Stirne, die Augen waren geschlossen wie zum frommen Gebet. Noch nie hatte Maspero in ein derart lebensechtes, unverhülltes Mumiengesicht geblickt. Nicht anders in der zweiten Holzkiste. In ihr lag Tuja, eine Frau mit aschfahlem langem Haar und zierlichem Gesicht.

Nach langen Beratungen kamen Maspero und Davis überein, sowohl die Grabausstattung als auch die beiden Mumien nach Giseh ins Museum zu bringen. Sie in ihrem Grab zu belassen, schien, wie sich gezeigt hatte, zu riskant. Vorberei-tung und Verpackung nahmen drei Wochen in Anspruch. Am Tag vor der Verladung hielt sich Quibell allein im Grab auf, als er von draußen Stimmen hörte. Sie redeten französisch. Soweit Quibell hören konnte, sprach ein Mann eine alte Dame mit »Hoheit« an. Und da standen sie plötzlich vor ihm, eine würdige 80jährige Dame am Stock und ihr Diener.

»Madam!« sagte Quibell höflich. »Dieses Grab wurde gerade erst entdeckt, es ist noch nicht zur Besichtigung für die Öffentlichkeit freigegeben.«

»Ich weiß, ich weiß«, antwortete die resolute alte Dame, und mit einem Blick auf den kunstvollen alten Stuhl, den Quibell zu verpacken gerade im Begriff war, sagte sie: »Sehr liebenswürdig, Monsieur!«, nahm das kostbare Stück und setzte sich pustend darauf, noch bevor der Engländer irgend etwas sagen konnte.

Während die vornehme Dame, beide Hände auf den Stock gestützt, den Blick in die Runde gleiten ließ, starrte Quibell auf den unersetzlichen Stuhl und überlegte krampfhaft, wie er die Frau zum Aufstehen bewegen konnte. »Das letzte Mal war ich hier im Tal nach der Einweihung des Suezkanals«, begann sie zu erzählen, »aber da waren Sie vermutlich noch gar nicht auf der Welt, ich hatte ein paar Falten weniger und ein paar Verehrer mehr. O dieser Khe-dive Ismail!« Sie kicherte in sich hinein. »Damals hatte ich die schönste Yacht im Mittelmeer, heute muß ich froh sein, wenn ich ein Ticket auf einem Liniendampfer bekomme. Haben Sie Mariette und Brugsch gekannt? Tolle Burschen!« Quibell schüttelte den Kopf, er überlegte. Auf einmal fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: Vor ihm saß Eugenie, die Ex-Kaiserin der Franzosen. Nach der Niederlage von Se-dan und der Gefangennahme ihres Mannes Napoleons III. war sie nach Großbritannien geflohen. Dort lebte sie seither unter dem Namen Gräfin von Pierrefonds. »Sie können sie auch gar nicht gekannt haben«, nahm die

Ex-Kaiserin ihre Rede wieder auf, »aber ich habe sie gekannt - beide. Tolle Burschen, sage ich Ihnen!« Die Gräfin erhob sich, grüßte mit einem dezenten Kopfnicken und verschwand. Beim Treppensteigen hörte Quibell noch, wie sie murmelte: »Tolle Burschen, die zwei.«

Maspero schlug mit beiden Händen auf den Tisch: »Aber warum in aller Welt sind Sie nur so stur! Sie entschuldigen sich beim französischen Konsul, und alles hat seine Bewandtnis.«

Howard Carter blickte ernst: »Ich wüßte nicht, wofür ich mich zu entschuldigen hätte. Ich habe meine Pflicht getan, mehr nicht.«

»Carter«, sagte Maspero mit Nachdruck, »Sie sind einer unserer fähigsten Männer, das wissen Sie so gut wie ich. Sie haben eine große Zukunft in diesem Land. Aber wenn Sie auf das Entschuldigungsverlangen des Konsuls nicht eingehen, bekomme ich große Schwierigkeiten. Dann gibt es keine andere Möglichkeit, ich muß Sie entlassen.« Ein paar Tage zuvor hatte eine Horde betrunkener Touristen, es waren allesamt Franzosen, versucht, ohne Eintrittskarten in den Serapis-Tempel einzudringen. Es kam zum Streit mit den Wächtern. Die riefen Inspektor Carter zu Hilfe, und der forderte sie auf, sich zu verteidigen. Bei den folgenden Auseinandersetzungen wurde ein Franzose nie -dergeschlagen. Als sie wieder nüchtern waren, beschwerten sich die Touristen beim Generalkonsul über die unziemliche Behandlung. Der Konsul wurde höchstoffiziell und forderte eine Entschuldigung.

»Herrgott«, schimpfte Maspero, »dann bleibt mir keine andere Wahl. Ich suspendiere Sie hiermit von Ihrem Dienst. Die schriftliche Kündigung folgt nach.« Carter zuckte mit den Schultern, drehte sich um und ging grußlos. Er war nicht einmal besonders traurig; denn geliebt hatte er Unterägypten nie, geliebt hatte er nur das Tal.

Ludwig Borchardt kam mit großem Aufgebot. Er brachte den Archäologen Hermann Ranke mit, zwei Berliner Regie -rungsbaumeister, einen Regierungsbauführer, einen Vermessungstechniker, einen Koch, einen qualifizierten Vorarbeiter und hundert Hilfsarbeiter. Vor dem Grabungshaus, das Bor-chardt schon im Vorjahr hatte errichten lassen, wurde die schwarz-weiß -rote Flagge aufgezogen. Teil el-Amarna war fest in deutscher Hand.

Auch wenn sich seit Flinders Petrie keine Ausgräber mehr nach Teil el-Amarna verirrt hatten, so war die Forschung doch nicht stehengeblieben. Vor allem die in weitem Umkreis verstreuten Felsinschriften mit den Gründungsurkunden der Stadt hatten zu der zwingenden Erkenntnis geführt, daß es sich bei Achetaton, so der alte Name der Stadt, um eine ehemalige Residenz- und Hauptstadt Ägyptens handelte. Echnaton hatte die Stadt im Zuge einer Glaubensreform mitten in der Sandwüste errichtet, eine Generation lang war sie Hauptstadt gewesen, nach seinem Tod wurde die Metropole von allen Bewohnern verlassen, und sie verfiel innerhalb weniger Jahre.

Gleich am ersten Tag stießen Borchardts Ausgräber beim Legen von Suchgräben auf eine merkwürdige Kalksteinskulptur, sie schien roh und unvollendet und warf die Frage auf, ob man nicht im Atelier eines Bildhauers gelandet sei; denn ein winziger Elfenbeindeckel trug die Aufschrift: »Oberbildhauer Thutmosis«.

»Na, dann sehen wir uns das Haus des Oberbildhauers doch einmal näher an!« meinte Borchardt und gab Auftrag, weitere Suchgräben durch dieses Areal zu legen. Innerhalb weniger Tage tauchten Grundmauern aus dem Sand, die Wohn-, Schlaf- und Arbeitsräume vermuten ließen. Und da man immer mehr Gefäßscherben, Werkzeuge und Porträtmasken fand und weil der Boden sich unerwartet fruchtbar zeigte, ließ Borchardt tiefer graben, als es für die Aufnahme von Grundrissen erforderlich war.

Eine kleine Kammer, nicht viel größer als zehn Quadratmeter, schien der interessanteste Raum des ganzen Hauses zu sein. Hier tauchten kleine Modellbüsten auf, aus Gips modellierte Hände des Königs Echnaton und seiner schönen Frau Nofretete. Ganz offensichtlich war dies die Modellkammer im Atelier des Künstlers. Kurz nach 13 Uhr, Borchardt hielt gerade Siesta, kam ein Junge gelaufen und überreichte ihm einen Zettel, auf dem stand: »Dringend! Lebensgroße, bunte Büste in Haus P 47! Ranke.«

Die Forscher hatten für ihre Arbeit Teil el-Amarna in Planquadrate eingeteilt, von links nach rechts Buchstaben, von oben nach unten Zahlen. In P 47 lag das Atelier des Oberbildhauers Thutmosis. Borchardt machte sich auf den Weg. Professor Ranke empfing ihn schweigend. Wortlos zeigte er auf einen Trichter im Boden. In ein Meter Tiefe ragte der schlanke Hals einer Frau aus dem Schutt. Borchardt rutschte in den Erdtrichter hinab und versuchte das seltsame Fundstück aus dem Boden zu ziehen. Vergeblich. Da räumte er vorsichtig mit bloßen Händen den Schutt beiseite. Ein schmales Kinn kam zum Vorschein, ein Mund, ein Gesicht wurde lebendig, aber noch immer war die Büste nicht zu bewegen. Kein Wunder, denn der Kopf steckte in einer überdimensionalen Kappe, der typischen Königinnenkappe. Bange Minuten vergingen, bis auch die Kappe freigeräumt war, dann hob Ludwig Borchardt das kostbare Stück aus dem Sand. Kein Zweifel, das war sie, die Königin von Achet-aton: Nofretete.

Ohne Aufsehen zu erregen wurde Nofretete in das Grabungshaus gebracht. Spät, nach Mitternacht, saß Borchardt, der nüchterne Planer und Architekt, bei Kerzenschein allein in seinem Zimmer, vor sich diese lebendige Büste der Königin, das edle, tadellose Profil, und es schien ihm, als bewegten sich ihre Lippen, als formten sie die Frage: »Warum hast du mich nicht in Ruhe gelassen - dort, wo ich war, im Schutt der Jahrtausende?«

Und Borchardt, zwischen Traum und Wirklichkeit, antwortete beinahe andachtsvoll: »Weil es glücklich macht, nach den Anfängen zu forschen. Wir können dieses unser Leben nur dann verstehen, wenn wir unsere Anfänge kennen. Und hier, auf diesem Boden, liegen die Anfänge unserer Kultur.«

»Was ist Kultur?« »Kultur ist die Pflege, Verbesserung und Veredelung unserer leiblichen, seelischen und geistigen Anlagen und Fähigkeiten.«

»Und das macht Euch glücklich?« »Das ist das Leben.«

Borchardt wollte gerade selbst eine Frage formulieren, da erwachte er aus seinem Traum, und die Wirklichkeit holte ihn ein. Morgen, so fiel es ihm wie Schuppen von den Augen, morgen würde er diese bedeutsame Entdeckung der Altertümerverwaltung in Kairo melden müssen. Boten würden sie abholen, und Nofretete, seine Nofretete, würde für immer für ihn verloren sein.

Da nahm der Forscher die Büste und trug sie vorsichtig wie eine Geliebte in den angrenzenden Lagerraum. Dann hüllte er sie in Stoffetzen, öffnete eine Holzkiste und legte sie hinein. Über das Bündel streute er Tonscherben und Bruchstücke von anderen Funden bis zum Rand. Auf den Deckel schrieb er mit roter Kreide: »Königliche Museen Berlin. Bruchstücke.« Anschließend legte er sich zur Ruhe; aber in dieser Nacht konnte Ludwig Borchardt keinen Schlaf mehr finden.

Im Tal eilte Davis von Erfolg zu Erfolg. Mit seinem Archäologen Edward Ayrton entdeckte er die Gräber von Thutmosis IV. und König Siptah.

»Sehen Sie nur!« sagte Ayrton, der gerade aus einem Erdtrichter hervorkroch und nach oben auf die Felsenklippen deutete. Dort beobachtete Howard Carter das Geschehen im Tal aus sicherer Entfernung.

»Armer Kerl«, brummte Davis und quetschte seine Zigarette mit dem Fuß aus, »wovon lebt er eigentlich?« Ayrton hob die Schultern: »Es geht ihm ziemlich dreckig. Die Leute erzählen, daß er in dem Grab wohnt, in dem schon der alte Brugsch hauste und Aquarelle vom Tal macht und sie an die Touristen verkauft.«

Davis fuchtelte mit den Armen in der Luft herum, Carter solle herunterkommen. Der verstand. »Es ist nicht sehr ermutigend«, sagte Ayrton und deutete auf den Erdtrichter, »wir entdecken ein Grab nach dem anderen, aber jedes ist ausgeraubt. Ich glaube nicht, daß es uns noch jemals vergönnt sein wird, ein unberührtes Pharaonen-grab zu finden.«

»Und dieser Pharao Haremhab?« - Davis deutete auf das Erdloch - »War er ein bedeutender König?« »Nein, ganz gewiß nicht«, antwortete Ayrton, »auch wenn man dies von den Ausmaßen des Grabes her vermuten könnte.«

Während sich Carter vom Kamm her näherte, machte Ayrton Anstalten, in dem neuentdeckten Grab zu verschwinden, in das er schon 50 Meter schräg nach unten vorgedrungen war. Ein zehn Meter tiefer Fallschacht hatte ihn aufgehalten. Ihn wollte er nun mit Hilfe einer Leiter, die er in dem niedrigen Gang hinter sich herzog, überwinden. Aber länger als zehn Minuten konnte es kein Mensch in der stickigen Luftt dort unten aushaken.

»Mister Carter!« Theodore Davis begrüßte seinen ehemaligen Grabungsleiter freundlich. »Wie verbringen Sie Ihre Tage?«

Der machte eine unwillige Handbewegung und sagte:

»Mehr schlecht als recht. Aber man läßt sich nicht unterkriegen. Ich habe mich meines erlernten Berufes erinnert und male bunte Bildchen für die Touristen.«

»Und wie geht das Geschäft?«

Carter verzog die Mundwinkel: »Wenn ich ehrlich sein darf - schleppend.«

»Sie könnten doch für mich malen? Ich meine, für mich ganz privat, ein paar Ansichten vom Tal der Könige. Es braucht ja niemand zu wissen!«

Howard Carter verstand. Der alte Davis handelte aus Mitleid, aber er wollte keine Schwierigkeiten mit Maspero be-kommen. Am liebsten hätte er den Auftrag abgelehnt; aber dann dachte er daran, daß er auch irgendwann wieder etwas essen mußte, und er versprach, in den nächsten Tagen eine Auswahl vorzulegen.

»Aber ich möchte nicht, daß Maspero Sie sieht!« sagte Theodore Davis. Carter nickte und verschwand. Ayrton kam schwer atmend aus dem Erdloch hervor. Davis sah ihn fragend an, aber der schüttelte nur den Kopf. Auch im Grab des Haremhab gab es nichts mehr zu entdeken.

Nur einen Steinwurf entfernt tat sich, zunächst unter grobem Geröll verborgen, ein Schacht auf. Winterregen hatten ihn im Laufe von Jahrhunderten mit Schlamm aufgefüllt. Und da Davis und seine Männer nichts unversucht ließen, schaufelten sie auch dieses Erdloch in mühsamer Arbeit frei. In acht Meter Tiefe stießen sie auf ein zerbrochenes Kästchen, das jedoch drei dünne Goldplättchen enthielt. Auf den Goldplättchen waren Hieroglyphen eingraviert. Ayrton entschlüsselte die Schriftzeichen als die Namen von Tut-ench-Amun und seiner jungen Frau Anches-en-Amun. Allgemeine Ratlosigkeit machte sich breit. Der Schacht endete auf gewachsenem Fels. Um ein Grab konnte es sich dabei nicht handeln.

Zwei Tage später schienen die Ausgräber einer Lösung nähergekommen zu sein: Eine weitere Grube, ein paar Meter entfernt, gab einfaches Geschirr, Tonkrüge, vertrocknete Girlanden und Säckchen mit Natron frei, wie es beim Mumifizieren Anwendung fand. Ein Fetzen Leinwand, der über einen der Krüge gestülpt war, trug die Aufschrift »Jahr 6 des Tut-ench-Amun«. »Darf man gratulieren?«

Davis drehte sich um. Am Rand des Erdtrichters stand Carter. »Ich habe ein paar Bilder für Sie gemalt«, sagte er verlegen, als er die bescheidene Ausbeute der Grabung sah. »Gratulieren, wozu?« sagte Davis mürrisch. »Wir sind zufällig auf das Grab dieses vergessenen Pharaos gestoßen - wie war sein Name? - Tut-ench-Amun.«

»Diese Grube da?« Carter schien entsetzt.

Davis zuckte mit den Schultern. »Ein bedeutsamer Pharao war es ohnehin nicht. In den Königslisten ist nicht einmal sein Name aufgeführt.«

»Aber das hier«, wandte Carter ein, »ist doch nie im Leben ein Pharaonengrab.«

»Was ist es denn sonst«, meinte Ayrton, »die Krüge, die Girlanden, das Natron - alles typische Grabbeigaben!« »Ich fürchte«, sagte Theodore Davis, »daß damit das Tal der Könige restlos erforscht ist.« Ayrton erschrak. »Soll das heißen, Sie geben auf?« »Was heißt aufgeben? Wir haben alles entdeckt, was es zu entdecken gab, sechzehn Gräber in sechs Jahren, allein sie -ben Gräber mit Inschriften. Glauben Sie ernsthaft, daß dieses Tal noch irgendein Geheimnis bergen könnte?« Carter blickte sich um. Die schroffen Felswände, die endlosen Geröllhalden, stickige Luft und flirrende Hitze, das alles war ihm zur Heimat geworden. Und er wußte, daß er ein Leben lang von diesem Ort nicht loskommen würde.

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