Davos

In der Morgenluft hing der schwarze Rauch der brennenden Götter.

Inzwischen standen sie alle in Flammen, Jungfrau und Mutter, Krieger und Schmied, das Alte Weib mit den Perlenaugen und der Vater mit seinem vergoldeten Bart; sogar der Fremde, so gealtert, daß er eher einem Tier als einem Menschen ähnelte. Das alte trockene Holz und die unzähligen Schichten von Farbe und Firnis loderten gierig grell auf. Die aufsteigende Hitze ließ die kalte Luft flimmern; dahinter verschwammen die Figuren und Steindrachen auf den Mauern der Burg, als würde Davos durch einen Tränenschleier blicken. Oder als würden die Bestien zittern, sich bewegen…

«Eine üble Sache«, sagte Allard, wobei er wenigstens so vernünftig war, die Stimme zu senken. Dale murmelte etwas Zustimmendes.

«Ruhe«, zischte Davos.»Vergeßt nicht, wo ihr seid. «Seine Söhne waren gute Männer, doch sie waren jung, und vor allem Allard handelte oft voreilig. Wäre ich Schmuggler geblieben, wäre Allard längst auf der Mauer geendet. Stannis hat ihn davor bewahrt, noch etwas, das ich ihm schulde…

Hunderte hatten sich an den Burgtoren versammelt, um die Verbrennung der Sieben zu bezeugen. In der Luft lag ein scheußlicher Gestank. Selbst den Soldaten war angesichts solcher Beleidigung der Götter, die sie ihr Leben lang verehrt hatten, unbehaglich zumute.

Die rote Frau schritt dreimal ums Feuer, sprach ein Gebet in der Sprache von Asshai, einst in Hochvalyrisch und eines in der Gemeinen Zunge. Davos verstand nur das letzte.»R'hllor, komm zu uns in der Finsternis!«rief sie.»Herr des Lichts, wir opfern dir die falschen Götter, jene Sieben, die einer sind, und dieser eine dein Feind. Nimm sie und lasse dein Licht über uns leuchten, denn die Nacht ist dunkel und voller Schrecken. «Königin Selyse wiederholte die Worte. Neben ihr schaute Stannis unbeteiligt zu. Das Kinn unter dem blauschwarzen Schatten seines kurzgeschorenen Bartes war wie versteinert. Er hatte sich festlicher gekleidet, als gewöhnlich, wie für einen Besuch in der Septe.

Die Septe von Dragonstone hatte an jener Stelle gestanden, an der Aegon der Eroberer sich in der Nacht, bevor er in See stach, zum Gebet niedergekniet hatte. Dieser Umstand hatte sie nicht vor den Männern der Königin gerettet. Sie hatten die Altare umgestoßen und die Statuen und bunten Fenster mit Streitäxten zertrümmert. Septon Barre konnte sie nur verfluchen, aber Ser Hubard Rambton war mit seinen drei Söhnen zur Septe gestürmt, um die Götter zu verteidigen. Die Rambtons hatten vier Männer erschlagen, bevor die Getreuen der Königin sie überwältigten. Danach trat Guncer Sunglass, der mildeste und frömmste der Lords, vor Stannis hin, und sagte ihm, er könne seinen Anspruch auf den Thron nicht länger unterstützen. Jetzt teilte er sich eine Zelle mit dem Septon und den beiden Söhnen von Ser Hubard, die mit dem Leben davongekommen waren. Die anderen Lords hatten die Lektion rasch begriffen.

Die Götter hatten Davos dem Schmuggler niemals viel bedeutet, obwohl er, wie viele andere, vor der Schlacht dem Krieger seine Opfer dargebracht hatte, dem Schmied, wenn er ein Schiff vom Stapel laufen ließ, der Mutter, wenn seine Gemahlin mit einem Kinde schwanger ging. Ihm wurde übel, als er sie nun brennen sah, und das lag nicht nur am Rauch.

Maester Cressen hätte das verhindert. Der alte Mann hatte den Herrn des Lichts herausgefordert und war für seinen Frevel bestraft worden, so raunte man es sich jedenfalls überall zu. Davos kannte die Wahrheit. Er hatte mit angesehen, wie der Maester etwas in den Weinkelch hatte fallen lassen. Gift. Was sonst? Er hat einen Kelch des Todes getrunken, um Stannis von Melisandre zu befreien, aber irgendwie hat ihr Gott sie beschützt. Allein dafür hätte er die rote Frau am liebsten umgebracht, nur welchen Erfolg könnte er haben, wenn schon ein Maester aus der Citadel daran gescheitert war? Er war lediglich ein Schmuggler, der aufgestiegen war, Davos von Flea Bottom, der Zwiebelritter.

Die brennenden Götter warfen einen hübschen Lichtschein, wie sie so von Roben aus roten, orangefarbenen und gelben Flammen eingehüllt wurden. Septon Barre hatte Davos einmal erzählt, daß sie aus den Masten der Schiffe geschnitzt seien, welche die ersten Targaryens nach Valyria getragen hatten. Über die Jahrhunderte hinweg waren sie wieder und wieder bemalt worden, vergoldet, versilbert, mit Juwelen besetzt.»In ihrer Pracht werden sie R'hllor noch besser gefallen«, hatte Melisandre gesagt, als sie Stannis riet, sie niederreißen und aus der Burg schaffen zu lassen.

Die Jungfrau lag quer über dem Krieger, die Arme hatte sie weit ausgebreitet, als wolle sie ihn umarmen. Die Mutter schien beinahe zu schaudern, während ihr die Flammen ins Gesicht leckten. Durchs Herz hatte man ihr ein Langschwert gebohrt, dessen mit Leder umwickelter Griff nun lodernd brannte. Der Vater lag ganz unten, er war zuerst gefallen. Davos betrachtete die Hand des Fremden, deren Finger sich krümmten, schwarz wurden und einer nach dem anderen abfiel. Ein Stück von ihm entfernt hustete Lord Celtigar und bedeckte das runzlige Gesicht mit einem bestickten Leinentuch. Die Männer aus Myr scherzten und genossen die Wärme des Feuers, doch der junge Lord Bar Emmon war aschfahl geworden, und Lord Velaryon beobachtete mehr den König als die Flammen.

Davos hätte viel dafür gegeben, seine Gedanken zu kennen, aber jemand wie Velaryon würde sich ihm niemals offenbaren. Der Lord der Gezeiten stammte vom Geschlecht der alten

Valyrer ab, und dreimal hatten Prinzen der Targaryens Bräute aus seinem Haus genommen; Davos Seaworth stank nach Fisch und Zwiebeln. Für die anderen Lords galt das gleiche. Er konnte keinem von ihnen vertrauen, und sie würden ihn niemals zu ihren privaten Beratungen hinzuziehen. Zudem verspotteten sie seine Söhne. Meine Enkel werden mit ihnen tjostieren, und eines Tages werden sich ihre Nachkommen mit meinen vermählen. Irgendwann wird mein kleines schwarzes Schiff so weit oben am Fahnenmast wehen wie Velaryons Seepferd und Celtigars rote Krebse.

Falls Stannis tatsächlich seinen Thron eroberte. Verlor er…

Alles, was ich darstelle, verdanke ich ihm. Stannis hatte ihn zum Ritter geschlagen. Er hatte ihm den Ehrenplatz an seiner Tafel zugewiesen und dazu eine Kriegsgaleere anstelle des Schmugglerbootes gegeben. Dale und Allard befehligten ebenfalls Galeeren, Marie war Rudermeister auf der Zorn, Matthos diente seinem Vater auf der Schwarze Betha, und der König hatte Devan zu seinem Knappen gemacht. Der Tag würde kommen, an dem man auch ihn zum Ritter schlug, und die beiden kleinen Jungen desgleichen. Marya war Herrin über eine kleine Burg am Cape Wrath, die Diener nannten sie M'lady, und Davos konnte in seinen eigenen Wäldern auf die Jagd gehen. Das alles hatte er von Stannis Baratheon bekommen und sich im Tausch dafür von ein paar Fingergliedern getrennt. Was er mir angetan hat, war nur gerecht. Mein Leben lang habe ich mich über die Gesetze des Königs hinweggesetzt. Er hat meine Loyalität verdient. Davos tastete nach dem kleinen Beutel, der an einem Lederband um seinen Hals hing. Seine Finger waren sein Glück, und Glück brauchte er jetzt. Braucht ein jeder von uns. Lord Stannis am meisten.

Steil reckten sich die Flammen gen Himmel. Dunkler Rauch stieg auf, wand sich und verwirbelte. Wenn der Wind ihn herüberwehte, biß er den Männern in den Augen. Allard wandte den Kopf ab, hustete und fluchte. Ein Vorgeschmack auf das, was uns erwartet, dachte Davos. Viele und vieles würden noch brennen, bevor dieser Krieg zu Ende war.

Melisandre war in scharlachrote Seide und blutroten Samt gehüllt, ihre Augen glitzerten so flammend rot wie der Rubin an ihrem Hals.»In den alten Büchern Asshais steht geschrieben, daß nach einem langen Sommer der Tag kommen wird, an dem die Sterne bluten und der kalte Odem der Finsternis die Welt umschlingen wird. In dieser Stunde des Schreckens wird ein Krieger ein brennendes Schwert aus dem Feuer ziehen. Und dieses Schwert soll Lightbringer sein, das Rote Schwert des Helden, und wer es ergreift, ist der wiedergeborene Azor Ahai, und die Dunkelheit wird vor ihm weichen. «Sie hob die Stimme, und ihre Worte hallten weit über das versammelte Heer hinweg.»Azor Ahai, du von R'hllor Gesegneter! Krieger des Lichts, Sohn des Feuers! Tritt vor, dein Schwert erwartet dich! Tritt vor und ergreife es!«

Stannis Baratheon schritt heran wie ein Soldat, der in die Schlacht marschiert. Seine Knappen traten hinzu. Davos beobachtete seinen Sohn Devan, der dem König einen gepolsterten Handschuh überstreifte. Der Junge trug ein cremefarbenes Wams, auf dessen Brust das flammende Herz gestickt war. Bryen Farring war ähnlich gekleidet, und er legte nun Seiner Gnaden einen steifen Lederumhang um die Schultern. Hinter sich hörte Davos ein leises Klimpern und Klingeln von Glöckchen.»Unter dem Meer steigt der Rauch in Blasen auf, und das Feuer brennt grün und blau und schwarz«, sang Flickenfratz irgendwo.»Ja, ja, ja, ha, ha, ha.«

Der König biß die Zähne zusammen, hielt den ledernen Mantel vor sich und tauchte in das Feuer. Zielstrebig trat er auf die Mutter zu, packte das Schwert mit der behandschuhten Hand und riß es mit einem einzigen Ruck aus dem brennenden Holz. Sofort zog er sich zurück und hielt die Waffe in die Höhe; Flammen, grün wie Jade, züngelten um den kirschroten

Stahl. Wachen eilten herbei und löschten die glimmenden Funken an der Kleidung des Königs.»Ein Schwert aus Feuer!«rief Selyse. Ser Axell Florent und die anderen Gefolgsleute der Königin stimmten ein:»Ein Schwert aus Feuer! Es brennt! Es brennt! Ein Schwert aus Feuer!«

Melisandre hob die Hände hoch über den Kopf.»Sehet! Ein Zeichen wurde euch versprochen, ein Zeichen durftet ihr erschauen! Sehet Lightbringer! Azor Ahai ist auferstanden! Preiset den Krieger des Lichts! Preiset den Sohn des Feuers!«

Stannis' Handschuh begann zu schwelen. Fluchend stieß der König das Schwert in die feuchte Erde und schlug die Flammen an seinem Bein aus.

«Herr, lasse dein Licht über uns leuchten!«rief Melisandre.

«Denn die Nacht ist dunkel und voller Schrecken«, antworteten Selyse und ihre Getreuen. Muß ich diese Worte ebenfalls über meine Lippen bringen? fragte sich Davos. Schulde ich Stannis so viel? Ist dieser feurige Gott wirklich der seine? Seine verstümmelten Finger zuckten.

Stannis zog den Handschuh aus und ließ ihn fallen. Die brennenden Götter waren jetzt kaum mehr zu erkennen. Der Kopf des Schmieds fiel ab und landete zischend in Asche und Glut. Melisandre sang in der Zunge der Asshai, ihre Stimme hob und senkte sich mit dem Rauschen der Wellen. Stannis band den Lederumhang los und hörte schweigend zu. Lightbringer glühte noch immer rötlich, aber die Flammen, die das Schwert eingehüllt hatten, schwanden langsam und erstarben.

Als das Lied schließlich verklang, war von den Göttern nur noch Holzkohle geblieben, und der König war mit seiner Geduld am Ende. Er nahm den Arm der Königin, geleitete sie ins Innere von Dragonstone und ließ Lightbringer in der Erde stecken. Die rote Frau verweilte noch einen Augenblick und sah Devan zu, der mit Bryen Farring neben dem Schwert kniete und es in den Ledermantel des Königs wickelte. Das Rote Schwert der Helden macht einen ziemlich mitgenommenen Eindruck, schoß es Davos durch den Sinn.

Einige der Lords blieben und unterhielten sich leise auf der windabgewandten Seite des Feuers. Sie bemerkten, daß Davos sie beobachtete, und verstummten. Sollte Stannis stürzen, werden sie im selben Moment über mich herfallen. Genausowenig zählte er zu den Gefolgsleuten der Königin, jenen ehrgeizigen Rittern und kleinen Lords, die sich diesem Herrn des Lichts verschrieben hatten und so die Gunst und das Wohlwollen der Lady — nein, Königin, achte auf deine Worte! — Selyse gewonnen hatten.

Melisandre und die Knappen verließen mitsamt dem kostbaren Schwert den Ort des Geschehens, während das Feuer so gut wie herabgebrannt war. Davos und seine Söhne schlossen sich der Menschenmenge an, die zur Küste und den wartenden Schiffen aufbrach.»Devan hat seine Sache gut gemacht«, sagte er.

«Ja, er hat den Handschuh gebracht, ohne ihn fallenzulassen«, meinte Dale.

Allard nickte.»Das Wappen auf seinem Wams, dieses flammende Herz, was ist das? Das Zeichen der Baratheons ist doch der gekrönte Hirsch.«

«Ein Lord darf sich mehr als ein einziges Wappen wählen«, erklärte Davos.

Dale lächelte.»Ein schwarzes Schiff und eine Zwiebel, Vater?«

Allard trat einen Stein zur Seite.»Mögen die Anderen unsere Zwiebel holen… und das flammende Herz dazu. Es war eine üble Sache, die Sieben zu verbrennen.«

«Seit wann bist du denn so fromm?«erkundigte sich Davos.»Und was versteht der Sohn eines Schmugglers schon von den Angelegenheiten der Götter.«

«Ich bin der Sohn eines Ritters, Vater. Wenn Ihr Euch schon nicht als solchen betrachtet, warum sollten die anderen es tun?«

«Eines Ritters Sohn, aber kein Ritter«, erwiderte Davos.»Und das wirst du auch niemals werden, wenn du dich weiterhin in Dinge einmischst, die dich nichts angehen. Stannis ist unser rechtmäßiger König, und es steht uns nicht zu, seine Entscheidungen in Frage zu stellen. Wir steuern seine Schiffe und führen seine Befehle aus. Das ist alles.«

«Was das angeht, Vater«, sagte Dale,»diese Fässer, die ich für die Gespenst bekommen habe, gefallen mir gar nicht. Selbst auf einer kurzen Reise würde in diesem frischen Kiefernholz das Wasser faulig werden.«

«Für die Lady Marya hat man mir die gleichen geliefert«, sagte Allard.»Die Männer der Königin haben das ganze abgelagerte Holz für sich beansprucht.«

«Ich werde mit dem König darüber sprechen«, versprach Davos.

Besser er als Allard. Seine Söhne waren gute Kämpfer und noch bessere Seeleute, aber im Umgang mit den Lords zeigten sie wenig Geschick. Sie sind von niederer Herkunft, doch sie werden nicht gern daran erinnert. Wenn sie unser Banner betrachten, sehen sie nur ein großes schwarzes Schiff. Vor der Zwiebel verschließen sie die Augen.

So bevölkert hatte Davos den Hafen selten zuvor erlebt. Auf jedem Anleger verluden die Seeleute Proviant, und in den Schenken drängten sich Soldaten, die sich beim Würfelspiel vergnügten, tranken oder nach einer Hure Ausschau hielten… eine vergebliche Suche, da Stannis solchen Frauen das Betreten der Insel untersagt hatte. Überall am Ufer lagen Kriegsgaleeren und Fischerboote, gedrungene Karacken und breite Koggen. Die besten Liegeplätze nahmen die größten Schiffe ein: Stannis' Flaggschiff Zorn schaukelte zwischen der Lord Steffon und der Seehirsch, Lord Velaryons Stolz von Driftmark mit dem silbernen Rumpf und ihren drei Schwestern, Lord Celtigars prunkvolle Rote Kralle und der schwerfällige Schwertfisch mit seiner langen eisernen Ramme. Draußen auf dem Meer lag die große Valyria von Salladhor Saan zwischen zwei Dutzend kleineren, gestreiften Galeeren aus Lys.

Am Ende des Steinpiers, wo sich die Schwarze Betha und die Lady Marya den Platz mit einem halben Dutzend anderer Galeeren teilten, stand ein altes Gasthaus. Davos hatte Durst. Er verabschiedete sich von seinen Söhnen und lenkte seine Schritte in Richtung der Schenke. Davor hockte eine hüfthohe Steinfigur, die von Salz und Regen so verwittert war, daß man die Gesichtszüge kaum mehr erkennen konnte. Das Ungeheuer war ein alter Freund von Davos. Er tätschelte im Vorübergehen seinen Kopf.»Glück«, murmelte er.

Im hinteren Teil des von Lärm erfüllten Schankraums saß Salladhor Saan und aß Weintrauben aus einer Holzschüssel. Als er Davos bemerkte, winkte er ihn zu sich.»Ser Ritter, setzt Euch doch zu mir. Eßt eine Traube. Oder eßt zwei. Sie sind wunderbar süß. «Der Pomp dieses aalglatten, stets lächelnden Mannes aus Lys war inzwischen auf beiden Seiten der Meerenge sprichwörtlich. Heute trug er ein grelles Gewand mit langen Festons, die bis auf den Boden hingen. Die Knöpfe aus Jade stellten Äffchen dar, und auf seinen dünnen weißen Locken thronte eine kecke grüne Mütze mit einem Fächer aus Pfauenfedern.

Davos drängte sich zwischen den Tischen hindurch zu ihm hinüber. Ehe er zum Ritter geschlagen worden war, hatte er häufig Fracht von Salladhor Saan gekauft. Der Lyseni war ebenfalls Schmuggler, außerdem Kaufmann, Bankier, Pirat und der selbsternannte Prinz der Meerenge. Wenn ein Pirat reich genug ist, machen sie ihn zum Prinzen. Davos war persönlich nach Lys gefahren und hatte den alten Schurken für Lord Stannis' Sache gewonnen.

«Habt Ihr nicht zugeschaut, als die Götter verbrannt wurden,

Mylord?«fragte er.

«In Lys haben die roten Priester einen großen Tempel. Sie verbrennen ständig dies und das und rufen ihren R'hllor an. Mit ihren Feuerchen langweilen sie mich. Und König Stannis wird ihrer auch bald überdrüssig sein, darf man hoffen. «Es schien ihn nicht zu kümmern, daß vielleicht jemand seine Worte mithörte, während er seine Trauben aß und die Kerne mit der Zunge auf die Unterlippe schob und dann mit dem Finger wegschnippte.»Gestern ist mein Vogel der Tausend Farben eingelaufen, guter Ser. Sie ist kein Kriegsschiff, nein, ein Handelsschiff, und sie hat King's Landing einen Besuch abgestattet. Möchtet Ihr wirklich keine Traube? In der Stadt hungern die Kinder, heißt es. «Er hielt Davos die Weintrauben vor die Nase und lächelte.

«Ich will ein Bier, und vor allem will ich die Neuigkeiten erfahren.«

«In Westeros sind die Menschen immer so ungeduldig«, beschwerte sich Salladhor Saan.»Wozu soll das gut sein, frage ich Euch? Wer durchs Leben hastet, eilt nur dem Grab entgegen. «Er rülpste.»Der Lord von Casterly Rock hat seinen Zwerg geschickt, um sich um King's Landing zu kümmern. Möglicherweise hofft er, das häßliche Gesicht seines Sohnes würde die Angreifer verscheuchen, he? Oder daß wir uns totlachen, wenn der Gnom auf den Mauern herumtollt, wer weiß das schon? Der Zwerg hat den Flegel, der den Befehl über die Goldröcke hatte, hinausgeworfen und einen Ritter mit einer Eisenhand an seine Stelle gesetzt. «Er pflückte eine Traube ab und zerdrückte sie zwischen Daumen und Zeigefinger, bis die Haut platzte. Der Saft rann ihm über die Hand.

Ein Serviermädchen drängte sich durch die Gäste und schlug den Kerlen, die die Hände nach ihr ausstreckten, auf die Finger. Davos bestellte einen Krug Bier und wandte sich wieder an Saan:»Wie steht es um die Verteidigung der Stadt?«

Der andere zuckte mit den Schultern.»Die Mauern sind hoch, doch wer soll sie bemannen? Sie bauen Katapulte und andere Geräte, ja, aber die Männer in den Goldröcken sind nur wenige und unerfahren, und sonst hat man dort keine Kämpfer zur Verfügung. Wir müssen überraschend zuschlagen, so wie der Falke auf einen Hasen herabstößt, dann ist die große Stadt schnell unser. Wenn der Wind uns die Segel füllt, könnte Euer König bereits am Abend des morgigen Tages auf dem Eisernen Thron sitzen. Wir könnten den Zwerg in ein Narrenkostüm stecken und ihn für uns tanzen lassen, und vielleicht würde Euer gütiger König mir Königin Cersei überlassen, damit sie eine Nacht lang mein Bett wärmt. Zu lange schon weile ich fern von meinen Gemahlinnen, weil ich in seinen Diensten bin.«

«Pirat«, entgegnete Davos,»Ihr habt keine Gemahlinnen, nur Konkubinen, und für jeden Tag und jedes Schiff werdet Ihr königlich entlohnt.«

«Nur mit Versprechungen«, antwortete Salladhor Saan klagend.»Guter Ser, ich sehne mich nach Gold, nicht nach Worten auf Papier. «Er steckte sich eine Traube in den Mund.

«Ihr werdet Euer Gold erhalten, sobald die Schatzkammer von King's Landing uns gehört. Kein Mann in den Sieben Königslanden ist redlicher als Stannis Baratheon. Er wird sein Versprechen halten. «Noch während Davos dies aussprach, dachte er: Welche Hoffnung kann man für diese Welt noch hegen, wenn sich Schmuggler von niederer Geburt für die Ehre von Königen verbürgen müssen.

«Das hat er wieder und wieder beteuert. Und deshalb sage ich: Gehen wir frisch ans Werk. Nicht einmal diese Weintrauben könnten reifer sein als jene Stadt, meiner alter Freund.«

Das Mädchen kehrte mit dem Bier zurück. Davos gab ihr ein Kupferstück.»Möglicherweise könnten wir King's Landing tatsächlich so leicht einnehmen, wie Ihr meint«, sagte er und hob den Krug,»aber wie lange würden wir es halten können? Tywin Lannister steht mit einem großen Heer in Harrenhal, und Lord Renly…«

«Ach, ja, der jüngere Bruder«, unterbrach ihn Salladhor Saan.»Dieser Teil der Geschichte gefällt mir nicht so gut, mein Freund. König Renly hat sich ebenfalls in Marsch gesetzt. O nein, hier heißt es >Lord< Renly, vergebt mir. Bei so vielen Königen wird die Zunge dieses Wortes müde. Der Bruder Renly hat mit seiner jungen blonden Königin Highgarden verlassen, und seine blumigen Lords und strahlenden Ritter und ein mächtiges Heer von Fußvolk begleiten ihn. Er marschiert Eure Straße der Rosen entlang auf eben jene Stadt zu, von der wir gerade sprechen.«

«Er hat seine Braut mitgenommen?«

Sein Gegenüber zuckte mit den Schultern.»Den Grund dafür hat er mir nicht verraten. Vielleicht kann er es ohne die warme Zuflucht zwischen ihren Schenkeln nicht aushalten, auch nicht für eine Nacht. Oder er ist sich seines Sieges sehr gewiß.«

«Das muß der König erfahren.«

«Ich habe mich bereits darum gekümmert, werter Ser. Obwohl Seine Gnaden stets, sobald ich vor ihn trete, die Stirn so bedrohlich furcht, daß ich zu zittern beginne. Glaubt Ihr, er könnte mich besser leiden, wenn ich ein härenes Gewand anlegen und niemals lächeln würde? Nun, das werde ich nicht tun. Ich bin ein ehrlicher Mann, und er muß mich in Samt und Seide ertragen. Sonst führe ich meine Schiffe dorthin, wo man mich herzlicher willkommen heißt. Dieses Schwert war nicht Lightbringer, mein Freund.«

Der abrupte Wechsel des Themas behagte Davos nicht.»Schwert?«

«Ein Schwert, das aus dem Feuer geholt wurde, ja. Man erzählt mir vieles, das liegt an meinem freundlichen Lächeln.

Auf welche Weise soll ein verbranntes Schwert Stannis dienen?«

«Ein brennendes Schwert«, berichtigte Davos.

«Verbrannt«, beharrte Sallador Saan,»und darüber bin ich froh, mein Freund. Kennt Ihr die Geschichte, wie Lightbringer geschmiedet wurde? Ich werde sie Euch erzählen. Einst gab es eine Zeit, da die Welt in Finsternis gehüllt war. Um die Dunkelheit zu vertreiben, mußte der Held die Klinge eines Helden besitzen, oh, eine Klinge, wie man sie nie zuvor gesehen hatte. Und daher mühte sich Azor Ahai dreißig Tage und dreißig Nächte ohne Schlaf im Tempel und schmiedete ein Schwert im heiligen Feuer. Erhitzen und hämmern, erhitzen und hämmern, bis die Waffe vollendet war. Dennoch, als er sie zum Härten ins Wasser tauchte, barst der Stahl.

Ihm als Held war es nicht möglich, daraufhin mit den Achseln zu zucken und sich solche Weintrauben zu holen wie diese hier, sondern er begann von neuem. Beim zweiten Mal brauchte er fünfzig Tage und fünfzig Nächte, und dieses Schwert war sogar noch edler. Azor Ahai fing einen Löwen, in dessen rotem Herzen er die Klinge härten wollte, doch abermals barst der Stahl. Groß war sein Kummer, groß war sein Schmerz, denn nun wußte er, was er zu tun hatte.

Hundert Tage und hundert Nächte arbeitete er an der dritten Klinge, und während sie weißglühend im heiligen Feuer ruhte, rief er seine Gemahlin. >Nissa Nissa<, sprach er zu ihr, denn so lautete ihr Name, >entblöße deine Brust und glaube mir, daß ich dich mehr liebe als alles andere auf der Welt.< Sie folgte seinem Wunsch, aus welchem Grund, vermag ich nicht zu sagen, und Azor Ahai stieß die rauchende Klinge durch ihr lebendiges Herz. Es heißt, ihr gequälter, ekstatischer Schrei habe die Oberfläche des Mondes gespalten, aber ihr Blut und ihre Seele, ihre Kraft und ihr Mut gingen in den Stahl über. Das ist die Geschichte, wie Lightbringer, das Rote Schwert der Helden, erschaffen wurde.

Versteht Ihr nun, was ich meine? Freut Euch, daß es nur ein verbranntes Schwert war, das Seine Gnaden aus dem Feuer gezogen hat. Zuviel Licht kann die Augen blenden, mein Freund, und Feuer versengt. «Salladhor Saan aß die letzte Traube und schnalzte mit den Lippen.»Wann glaubt Ihr, wird der König den Befehl geben, in See zu stechen, guter Freund?«

«Bald, glaube ich«, meinte Davos,»falls es sein Gott so wünscht.«

«Sein Gott, Ser Freund? Nicht der Eure? Wo ist der Gott von Ser Davos, Ritter des Zwiebelschiffs?«

Davos nippte an seinem Bier, weil er darüber einen Augenblick lang nachdenken mußte. Das Gasthaus ist gut besucht, und du bist nicht Salladhor Saan, rief er sich in Erinnerung. Hüte deine Zunge.»König Stannis ist mein Gott. Er hat mich erschaffen und mit seinem Vertrauen gesegnet.«

«Das werde ich mir merken. «Salladhor Saan erhob sich.»Entschuldigt mich. Diese Weintrauben haben mich hungrig gemacht, und an Bord der Valyria erwartet mich das Abendessen. Gehacktes Lamm mit Pfeffer und gegrillte Möwe, mit Pilzen und Fenchel und Zwiebeln gefüllt. Bald werden wir gemeinsam in King's Landing speisen, ja? Im Red Keep werden wir tafeln, während der Zwerg ein fröhliches Lied für uns singt. Wenn Ihr mit König Stannis sprecht, richtet ihm aus, er schulde mir weitere dreißigtausend Drachen, sobald der Mond wieder schwarz geworden ist. Er hätte mir diese Götter geben sollen. Sie waren zu schön, um sie zu verbrennen, und sie hätten mir in Pentos oder Myr einen hübschen Preis eingebracht. Nun, wenn er mir Königin Cersei für eine Nacht überläßt, werde ich ihm vergeben. «Der Lyseni klopfte Davos auf die Schulter und stolzierte aus der Schenke hinaus, als gehörte sie ihm.

Ser Davos Seaworth blieb noch eine Weile grübelnd vor seinem Krug sitzen. Vor anderthalb Jahren war er mit Stannis in King's Landing gewesen, als König Robert ein Turnier zu Ehren seines Sohnes Prinz Joffrey ausgerichtet hatte. Er erinnerte sich an den roten Priester Thoros von Myr und das flammende Schwert, das der Mann im Kampf geführt hatte. Der Priester hatte einen spektakulären Anblick geboten in seiner weiten roten Robe und mit seiner Klinge, die von hellgrünen Flammen eingehüllt war, doch jeder wußte, dabei war keine wahre Magie im Spiel, und am Ende war das Feuer erloschen und Bronze Yohn Royce hatte ihn mit einem gewöhnlichen Morgenstern besiegt.

Ein wahres Schwert aus Feuer wäre ein wirkliches Wunder. Dennoch, zu welchem Preis… Er dachte an Nissa Nissa und sah seine eigene Marya vor Augen, eine gutmütige rundliche Frau mit hängenden Brüsten und einem gütigen Lächeln. Die beste Frau der Welt. Er versuchte sich vorzustellen, wie er sie mit dem Schwert durchbohrte, und erschauerte. Ich bin nicht aus dem Stoff gemacht, aus dem Helden sind, entschied er. Falls der Preis für ein magisches Schwert so hoch lag, war das mehr, als er je bezahlen würde.

Davos trank sein Bier aus, schob den Krug zur Seite und verließ die Schenke. Auf dem Weg nach draußen tätschelte er dem Steinungeheuer den Kopf und murmelte:»Glück. «Sie alle würden es brauchen.

Weit nach Einbruch der Dunkelheit kam Devan zur Schwarze Betha und rührte einen schneeweißen Zelter am Zügel.»Mein Hoher Vater«, verkündete er,»Seine Gnaden befiehlt Euch, Euch im Saal mit der Bemalten Tafel einzufinden. Ihr sollt das Pferd nehmen und sofort losreiten.«

Devon bot ein prächtiges Bild im Gewand des Knappen, dennoch war Davos beunruhigt, weil man ihn so spät noch rief. Wird er endlich den Befehl geben, in See zu stechen? fragte er sich. Salladhor Saan war nicht der einzige Kapitän, der King's Landing für eine reife Frucht hielt, aber ein Schmuggler mußte sich vor allem in Geduld üben. Wir dürfen nicht hoffen, den

Sieg davonzutragen. Das habe ich bereits Maester Cressen gesagt, an dem Tag, an dem ich nach Dragonstone zurückkehrte, und seitdem hat sich nichts geändert. Wir sind zu wenige, die Feinde zu viele. Wenn wir losrudern, werden wir sterben. Nichtsdestotrotz stieg er aufs Pferd.

Bei seiner Ankunft an der Steintrommel verließen gerade ein Dutzend hochgeborener Ritter und hoher Vasallen den Turm. Lord Celtigar und Lord Velaryon nickten ihm knapp zu und gingen weiter, derweil die anderen ihn einfach ignorierten, und nur Ser Axell Florent blieb auf ein Wort bei ihm stehen.

Der Onkel von Königin Selyse war ein Faß von einem Mann, mit dicken Armen und krummen Beinen. Er hatte die abstehenden Ohren der Florents, und sie waren sogar noch größer als die seiner Nichte. Die borstigen Haare, die aus ihnen sprossen, hinderten ihn nicht daran, fast alles zu hören, was in der Burg gesprochen wurde. Zehn Jahre lang war Ser Axell der Kastellan von Dragonstone gewesen, während Stannis in Roberts Rat in King's Landing saß, aber in letzter Zeit war er einer der wichtigsten Getreuen der Königin.»Ser Davos, wie immer freue ich mich, Euch zu treffen.«

«Ganz meinerseits, Mylord.«

«Heute morgen habe ich Euch gesehen. Die falschen Götter haben munter gebrannt, nicht wahr?«

«Sie brannten hell. «Trotz Axells Höflichkeit traute er dem Mann nicht. Das Haus Florent hatte sich auf Renlys Seite gestellt.

«Die Lady Melisandre sagt, R'hllor gewähre seinen gläubigen Dienern durch die Flammen gelegentlich einen Blick in die Zukunft. Mir scheint es, ich hätte heute morgen im Feuer ein Dutzend Tänzerinnen von erlesener Schönheit gesehen, Jungfrauen, die sich in gelber Seide vor einem großen König drehten. Das war gewiß eine wahre Vision. Eine Vorahnung des Ruhms, den Seine Gnaden ernten wird, nachdem wir

King's Landing und den Thron erobert haben, der rechtmäßig ihm zusteht.«

Stannis findet an solchem Tanz bestimmt keinen Gefallen, dachte Davos, wagte es jedoch nicht, den Onkel der Königin zu beleidigen.»Ich habe nur das Feuer gesehen«, erwiderte er,»und der Rauch ließ meine Augen tränen. Verzeiht mir, Ser, der König erwartet mich. «Er schob sich an ihm vorbei und fragte sich, warum Ser Axell sich mit ihm befaßt hatte. Er ist ein Mann der Königin — und ich einer des Königs.

Stannis saß an der Bemalten Tafel, neben ihm Maester Pylos, der einen Stapel Papier vor sich hatte.»Ser«, begrüßte der König Davos bei seinem Eintritt,»kommt und schaut Euch diesen Brief an.«

Gehorsam zog er wahllos ein Blatt Papier aus dem Stoß.»Es sieht wirklich prachtvoll aus, Euer Gnaden, nur leider kann ich die Worte nicht entziffern. «Davos konnte Karten ebensogut lesen wie jeder andere, doch Briefe und derlei Schreiben überstiegen seine Fähigkeiten. Aber mein Devan hat Lesen gelernt, und Steffon und Stannis auch.

«Das hatte ich vergessen. «Gereizt runzelte der König die Stirn.»Pylos, lest es ihm vor.«

«Euer Gnaden. «Der Maester nahm eines der Pergamente zur Hand und räusperte sich.»Wie allseits bekannt, bin ich der Sohn von Steffon Baratheon, Lord von Storm's End und seiner Hohen Gemahlin Cassana aus dem Hause Estermont. Ich erkläre hiermit bei der Ehre meines Hauses, daß mein geliebter Bruder Robert, unser verstorbener König, keine rechtmäßigen Erben hinterließ und daß der Knabe Joffrey, der Knabe Tommen und das Mädchen Myrcella aus dem verabscheuungswürdigen Inzest zwischen Cersei Lannister und ihrem Bruder Jaime, dem Königsmörder, hervorgegangen sind. Gemäß dem Recht von Gesetz und Blut erhebe ich daher Anspruch auf den Eisernen Thron der Sieben Königslande von

Westeros. Alle aufrechten Männer mögen mir die Treue schwören. Erlassen im Lichte des Herrn, gezeichnet mit Wappen und Siegel von Stannis aus dem Hause Baratheon, dem Ersten Seines Namens, König der Andalen, Rhoynar und Ersten Menschen, und Herr der Sieben Königslande.« Das Pergament raschelte, als Pylos es niederlegte.

«Schreibt von nun an Ser Jaime der Königsmörder«, sagte Stannis.»Was auch immer dieser Mann ist, er bleibt ein Ritter. Ich weiß zudem nicht, ob wir Robert meinen geliebten Bruder nennen sollen. Wir haben einander nicht mehr Liebe entgegengebracht, als unbedingt notwendig war.«

«Eine harmlose Floskel, Euer Gnaden«, rechtfertigte sich Pylos.

«Eine Lüge. Streicht es. «Stannis wandte sich an Davos.»Der Maester teilte mir mit, daß uns einhundertsiebzehn Raben zur Verfügung stehen. Einhundertsiebzehn Raben können ebenso viele Abschriften meines Briefes in jede Ecke des Reiches tragen, vom Arbor bis zur Mauer. Vielleicht werden sich hundert von ihnen gegen Stürme und Falken und Pfeile behaupten. Falls dem so ist, werden hundert Maester meine Worte ebenso vielen Lords in ihren Solaren und Schlafgemächern vorlesen… und daraufhin werden die Briefe vermutlich im Kamin enden und die Lippen mit Schwüren versiegelt werden. Diese großen Lords lieben Joffrey oder Renly oder Robb Stark. Ich bin ihr rechtmäßiger König, und doch werden sie sich mir widersetzen, wenn es ihnen irgend möglich ist. Deswegen brauche ich Euch.«

«Ich stehe zu Euren Diensten, mein König. Wie stets.«

Stannis nickte.»Ich wünsche, daß ihr mit der Schwarze Betha in Richtung Norden aufbrecht, nach Gulltown, den Fingers und den Three Sisters, sogar nach White Harbor. Euer Sohn Dale wird mit der Gespenst nach Süden in See stechen, und am Cape Wrath und dem Broken Arm vorbei die Küste entlang über Dorne bis zum Arbor segeln. Jeder von Euch wird eine Truhe mit Briefen mit sich führen, und in jedem Hafen und jeder Feste und jedem Fischerdorf werdet Ihr sie an die Türen der Septen und Gasthäuser nageln, damit ein jeder Mann, der des Lesens kundig ist, sie sehen kann.«

«Das wären immer noch sehr wenige«, sagte Davos.

«Da hat Ser Davos recht, Euer Gnaden«, stimmte Maester Pylos zu.»Es wäre besser, die Briefe laut vorzutragen.«

«Besser, aber auch gefährlicher«, wandte Stannis ein.»Diese Worte werden kaum auf wohlwollende Ohren treffen.«

«Gebt mir Ritter, die sie vorlesen«, schlug Davos vor.»Das würde der Botschaft mehr Gewicht verleihen als alles, was ich sage.«

Dieser Gedanke schien Stannis zu gefallen.»Ja, solche Männer sollt Ihr bekommen. Ich habe hundert Ritter, die sich besser aufs Wort denn aufs Schwert verstehen. Zeigt Euch in aller Offenheit, wo immer Ihr könnt, und haltet Euch verborgen, falls es notwendig ist. Benutzt Eure alten Schliche, setzt schwarze Segel und lauft versteckte Buchten an. Falls Euch die Briefe ausgehen, nehmt einige Septone gefangen und laßt sie weitere Abschriften anfertigen. Euren zweiten Sohn werde ich ebenfalls entsenden. Er wird mit der Lady Marya über die Meerenge nach Braavos und den anderen Freien Städten fahren und weitere Briefe an die dortigen Herrscher überbringen. Die Welt soll von meinem Anspruch und Cerseis Niedertracht erfahren.«

Ihr mögt es ihnen mitteilen, dachte Davos, aber werden Sie Euch Glauben schenken? Bedeutungsvoll starrte er Maester Pylos an. Dem König entging sein Blick nicht.»Maester, vielleicht solltet Ihr Euch nun wieder an die Schreibarbeit begeben. Wir werden viele Briefe benötigen, und das schon bald.«

«Wie Ihr wünscht«, Pylos verneigte sich und ging hinaus.

Der König wartete, bis er den Raum verlassen hatte.»Was wolltet Ihr in Gegenwart meines Maesters nicht sagen, Davos?«

«Mein Lehnsherr, gewiß ist Pylos ein angenehmer Zeitgenosse, doch wann immer ich seine Kette sehe, befällt mich die Trauer um Maester Cressen.«

«War der Tod des alten Mannes seine Schuld?«Stannis schaute ins Feuer.»Ich wollte auf Cressens Anwesenheit bei diesem Fest verzichten. Er hat mich verärgert ja, er hat mir schlechten Rat gegeben, aber seinen Tod wollte ich bestimmt nicht. Ich hoffte vielmehr, ihm wären noch einige sorgenfreie Jahre vergönnt. Die zumindest hatte er sich redlich verdient, aber«- er biß die Zähne zusammen — ,»aber er ist gestorben. Und Pylos dient mir gut.«

«Mit Pylos hat es nur sehr wenig zu tun. Der Brief… Was halten Eure Lords davon, frage ich mich.«

Stannis schnaubte.»Celtigar bekundete seine Bewunderung. Aber er würde sich gleichermaßen begeistert zeigen, wenn ich ihm meine Hinterlassenschaften im Abtritt zeigte. Die anderen haben nur wie eine Schar Gänse genickt, bis auf Velaryon, der sagte, daß in dieser Frage der Stahl entscheiden werde und nicht irgendwelche Worte auf Pergament. Als wüßte ich das nicht selbst. Mögen die Anderen meine Lords holen, ich will Eure Sicht der Dinge hören.«

«Ihr sprecht sehr offen.«

«Und ich spreche die Wahrheit.«

«Die Wahrheit, ja. Dennoch habt Ihr, genau wie vor einem Jahr, keinen Beweis für diese Inzucht.«

«In Storm's End gibt es einen solchen Beweis. Roberts Bastard. Der Sohn, den er in meiner Hochzeitsnacht gezeugt hat, in jenem Bett, welches man für mich und meine Braut bereitet hatte. Delena war eine Florent und zudem noch Jungfrau, deswegen hat Robert den Säugling anerkannt. Edric

Storm nannten sie ihn. Es heißt, er gleiche meinem Bruder wie ein Ei dem anderen. Wer ihn sieht und dann einen Blick auf Joffrey und Tommen wirft, wird nicht umhin können, sich sehr zu wundern, möchte ich meinen.«

«Nur, wie sollen die Menschen ihn zu Gesicht bekommen, wenn er sich auf Storm's End aufhält?«

Stannis trommelte mit den Fingern auf die Bemalte Tafel.»Das ist eine Schwierigkeit. Eine von vielen. «Er sah auf.»Ihr wollt doch noch etwas zu dem Brief anmerken. Nun, fahrt fort. Ich habe Euch nicht zum Ritter geschlagen, damit Ihr mir leere Floskeln vorbetet. Dafür habe ich meine Lords. Nur heraus mit dem, was Euch auf der Seele liegt.«

Davos neigte den Kopf.»Dieser Satz am Ende, wie lautete er noch? Erlassen im Lichte des Herrn… «

«Ja. «Die Kiefermuskeln des Königs spannten sich.

«Eurem Volke werden diese Worte nicht gefallen.«

«Und Euch behagen sie ebenfalls nicht?«fragte Stannis scharf.

«Wenn Ihr statt dessen schreiben würdet: Erlassen im Angesicht der Götter und Menschen, oder Von der Gnade der alten und neuen Götter..

«Seid Ihr plötzlich fromm geworden, Schmuggler?«

«Diese Frage wollte ich Euch gerade stellen, mein Lehnsherr.«

«Tatsächlich? So, wie Ihr Euch anhört, mögt Ihr meinen neuen Gott ebensowenig wie meinen neuen Maester.«

«Ich kenne diesen Herrn des Lichts nicht«, gestand Davos ein,»aber ich kannte die Götter, die wir heute morgen verbrannt haben. Der Schmied hat stets über meine Schiffe gewacht, und die Mutter schenkte mir sieben kräftige Söhne.«

«Die sieben kräftigen Söhne bekamt Ihr von Eurer Gemahlin. Betet Ihr sie an? Heute morgen haben wir Holz

verbrannt.«

«Vielleicht stimmt das«, sagte Davos,»aber in meiner Kindheit habe ich oft in Flea Bottom gebettelt, und manchmal habe ich von den Septonen eine warme Mahlzeit bekommen.«

«Jetzt speist Ihr an meiner Tafel.«

«Ihr habt mir einen Ehrenplatz daran zugewiesen. Und als Gegenleistung dafür bekommt Ihr von mir die Wahrheit zu hören. Euer Volk wird Euch nicht lieben, wenn Ihr ihm die Götter nehmt, die es seit Ewigkeiten verehrt, und sie durch einen fremdartigen Namen ersetzt, den seine Zungen kaum aussprechen können.«

Jäh erhob sich Stannis.»R'hllor. Was ist daran so schwierig? Mein Volk wird mich nicht lieben, sagt Ihr? Wann hat es mich je geliebt? Wie kann ich etwas verlieren, das ich niemals besessen habe?«Er trat ans Südfenster und blickte hinaus auf das mondbeschienene Meer.»An jenem Tag, an dem die Windstolz in der Bucht sank, habe ich meinen Glauben an die Götter verloren. Götter, die so grausam sein können, daß sie meine Mutter und meinen Vater ertrinken lassen, würde ich niemals anbeten, schwor ich mir. In King's Landing hat mir der Hohe Septon einen Vortrag über die Gerechtigkeit und die Güte der Sieben gehalten, aber alles Gute und Gerechtigkeit, die ich in meinem Leben gesehen habe, kam von den Menschen.«

«Wenn Ihr nicht an die Götter glaubt — «

«- warum sollte ich mich dann um diesen neuen scheren?«unterbrach ihn Stannis.»Ich habe mich das schon selbst gefragt. Ich weiß wenig über Götter und hege kein Interesse für sie, doch die rote Priesterin verfügt über Macht.«

Ja, aber was für eine Macht?» Cressen verfügte über große Weisheit.«

«Ich habe seiner Weisheit und Eurer List vertraut, und was haben sie mir eingebracht, Schmuggler? Die Sturmlords haben

Euch hinausgeworfen. Einem Bettler gleich bin ich zu ihnen gekommen, und sie haben mich ausgelacht. Es wird kein Betteln und kein Gelächter mehr geben. Der Eiserne Thron gehört von Rechts wegen mir, doch wie soll ich ihn besteigen? Im Reich zählt man vier Könige, und drei von ihnen haben nicht mehr Männer und Gold zur Verfügung als ich. Ich habe Schiffe… und ich habe sie. Die rote Frau. Die Hälfte meiner Ritter wagt es nicht einmal, ihren Namen auszusprechen, wußtet Ihr das? Auch wenn sie zu nichts sonst in der Lage ist, eine Zauberin, die solches Entsetzen in den Herzen erwachsener Männer säen kann, darf man nicht verschmähen. Ein ängstlicher Mann ist ein besiegter Mann. Und vielleicht hat sie noch andere Fähigkeiten. Ich habe die Absicht, das herauszufinden.

Als Junge habe ich einmal ein verletztes Habichtweibchen gefunden und es aufgepäppelt. Stolzschwinge nannte ich es. Der Vogel flatterte mir von Zimmer zu Zimmer hinterher und fraß mir aus der Hand, doch in den Himmel aufsteigen wollte er nicht. Von Zeit zu Zeit habe ich sie mit auf die Falkenjagd genommen, und sie flog nie über die Wipfel der Bäume hinaus. Robert nannte sie Schlaffschwinge. Er besaß einen Gerfalken namens Donnerschlag, der seine Beute nie verfehlte. Eines Tages hat mir mein Großonkel Ser Harbert empfohlen, ich solle es doch einmal mit einem anderen Vogel versuchen. Mit Stolzschwinge würde ich mich zum Narren machen, meinte er, und recht hatte er damit. «Stannis Baratheon wandte sich vom Fenster und den Geistern draußen auf dem südlichen Meer ab.»Die Sieben haben mir nicht mal einen Sperling eingebracht. Es ist an der Zeit, einen anderen Falken auszuprobieren, Davos. Einen roten Falken.«

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