Theon

Bei Pyke gab es keinen sicheren Ankerplatz, aber Theon Greyjoy wollte die Burg seines Vaters wenigstens einmal von See aus betrachtet haben, so, wie er sie zuletzt vor zehn Jahren gesehen hatte, als er auf Robert Baratheons Kriegsgaleere fortgebracht worden war, um als Mündel von Eddard Stark aufzuwachsen. An jenem Tag hatte er an der Reling gestanden und dem Platschen der Ruder und dem Schlag der Trommel gelauscht, während Pyke langsam in der Ferne verschwand. Nun wollte er miterleben, wie es größer wurde, wie es sich aus dem Meer vor ihm erhob.

Gehorsam kam die Myraham seinen Wünschen nach und rauschte durch das Wasser, die Segel knatterten, der Kapitän verfluchte den Wind und die Mannschaft und die Torheiten hochgeborener Lords. Theon zog zum Schutz vor der Gischt die Kapuze seines Mantels hoch und hielt Ausschau nach seinem Zuhause.

Die Küste bestand aus schroffen Felsen und aufragenden Klippen, und die Burg selbst schien mit ihrem Fundament zu verschmelzen, waren Türme und Mauern doch aus dem gleichen grauschwarzen Stein gehauen, naß vom gleichen Salzwasser, vom gleichen dunkelgrünen Moos überzogen, vom gleichen Kot der Seevögel gesprenkelt. Die Landspitze, auf der die Greyjoys ihre Festung errichtet hatten, hatte einst wie ein Schwert ins Meer geragt, allerdings hatten die Wellen, die hier Tag und Nacht anbrandeten, das Land bereits vor Tausenden von Jahren aufgebrochen und zerschmettert. Geblieben waren lediglich die drei kahlen und öden Inseln und ein Dutzend hohe Felstürme, die sich wie die Säulen des Tempels eines Meergottes erhoben, während um sie herum wütende Wogen schäumten.

Trostlos, düster, furchteinflößend stand Pyke auf diesen Inseln und Säulen und war beinahe zu einem Teil von ihnen geworden; die äußere Mauer trennte die Landspitze am Fuße der großen Steinbrücke ab, die oben von den Klippen bis zur größten Insel führte, die vom Großen Bergfried beherrscht wurde. Weiter draußen standen der Küchenturm und der Blutturm jeweils auf ihren eigenen Inseln. Festungstürme und Außengelände waren auf die Felssäulen darunter gebaut und konnten über überdachte Steinbrücken erreicht werden, wenn sie nahe genug waren, über lange, schwankende Stege aus Holz und Seilen, wenn nicht.

Der Seeturm erhob sich auf der vordersten Insel, an der Stelle, wo das Klippenschwert gebrochen war, und stellte den ältesten Teil der Burg dar. Er war rund und hoch und ruhte auf einer Säule, deren schroffe Front ohne Unterlaß dem Tosen der Wellen ausgesetzt war. Das Fundament war weiß von der über Jahrhunderte unablässig dagegen flutenden Salzgischt, über die darüberliegenden Stockwerke hatten sich die Flechten wie eine dicke grüne Decke gezogen, und die zinnenbesetzte Krone war schwarz vom Ruß der nächtlichen Wachfeuer.

Oben auf dem Seeturm wehte das Banner seines Vaters. Die Myraham war noch zu weit entfernt, daher konnte Theon nur die Fahne selbst erkennen, nicht aber das Wappen, das sie trug, welches er allerdings gut kannte: der goldene Krake des Hauses Greyjoy, dessen Arme sich in schwarzem Feld verschlangen. Das Banner blähte sich an einem eisernen Mast und flatterte im Wind. Und wenigstens hier wehte nicht der Schattenwolf der Starks darüber.

Einen solch bewegenden Anblick hatte Theon noch niemals zuvor gesehen. Im Himmel hinter der Burg leuchtete der Schweif des Kometen durch die dünnen Wolken. Auf dem ganzen Weg von Riverrun nach Seagard hatten die Mallisters sich über seine Bedeutung gestritten. Es ist mein Komet, dachte Theon bei sich und schob die Hand in die Tasche seines fellbesetzten Mantels, wo er das Öltuch berührte. Darin war der Brief gehüllt, den Robb Stark ihm mitgegeben hatte, ein Papier, das eine Krone wert war.

«Sieht die Burg noch so aus, wie Ihr sie in Erinnerung habt, Mylord?«fragte die Tochter des Kapitäns, indes sie sich an seinen Arm drängte.

«Sie wirkt kleiner«, gestand Theon,»aber vielleicht liegt das nur an der Entfernung. «Die Myraham war ein Handelsschiff aus Oldtown mit breitem Rumpf; es hatte Wein, Tuch und Saatgut geladen, die gegen Eisenerz getauscht werden sollten. Der Kapitän war ein dicker Kaufmann, angesichts der aufgewühlten See unterhalb der Burg hatte er kalte Füße bekommen, und deshalb hielt er sich weiter von der Küste entfernt, als es Theon lieb war. Ein Kapitän von den Iron Islands wäre mit seinem Langschiff entlang der Klippen unter der hohen Brücke hindurchgefahren, aber dieser fette Kerl aus Oldtown besaß nicht das richtige Fahrzeug, die geeignete Mannschaft oder den notwendigen Mut, um ein solches Wagnis einzugehen. Also segelten sie in großer Distanz vorbei, und damit mußte sich Theon zufrieden geben. Schon hier hatte die Myraham Mühe, von den steilen Felsen Abstand zu halten.

«Es scheint dort sehr windig zu sein«, bemerkte die Tochter des Kapitäns.

Er lachte.»Windig und kalt und feucht. Ein elend harter Ort, um der Wahrheit recht zu geben… dennoch hat mir mein Hoher Vater einst erklärt, harte Orte würden harte Männer hervorbringen, und harte Männer wiederum beherrschen die Welt.«

Das Gesicht des Kapitäns, der nun herbeieilte, war grün wie das Wasser.»Dürfen wir nun auf den Hafen zuhalten, Mylord?«fragte er.

«Ihr dürft«, antwortete Theon. Ein schwaches Lächeln spielte um seine Lippen. Die Aussicht auf Gold hatte den Mann aus Oldtown in einen schamlosen Speichellecker verwandelt. Mit dem Langschiff von den Islands wäre die Reise ganz anders verlaufen. Deren Kapitäne waren stolz und eigenwillig und empfanden niemandem gegenüber Ehrfurcht. Die Islands waren zu klein für Ehrfurcht, und ein Langschiff war noch kleiner. Wenn, wie man oft hörte, jeder Kapitän König auf seinem Schiff war, wunderte es keinen mehr, daß man seine Heimat das Land der zehntausend Könige nannte. Und hatte man seinen König einmal dabei beobachtet, wie er über die Reling schiß und grün im Gesicht wurde, vermochte man wohl kaum die Knie vor ihm zu beugen und ihn als einen Halbgott zu verehren.»Der Ertrunkene Gott erschafft Männer«, hatte der alte König Urron Rothand einst vor Tausenden von Jahren gesagt,»und die Männer sind es, die Kronen erschaffen.«

Auf einem Langschiff hätte die Überfahrt zudem nur halb so lange gedauert. Die Myraham war ein ungeschlachtes Faß von einem Schiff, und einen Sturm hätte er auf ihr nicht erleben mögen. Trotzdem fühlte sich Theon durchaus glücklich. Hier war er, ertrunken war er nicht, und die Reise hatte ihm gewisse andere Annehmlichkeiten geboten. Er legte den Arm um die Tochter des Kapitäns.»Ruft mich, wenn wir Lordsport erreicht haben«, befahl er ihrem Vater.»Wir sind unten in meiner Kabine. «Er führte das Mädchen zum Heck, während der Kapitän ihnen wortlos und verdrießlich nachsah.

Eigentlich gehörte die Kabine ihrem Vater, für die Fahrt von Seagard hierher war sie allerdings Theon überlassen worden. Die Tochter des Kapitäns war ihm dagegen nicht ausdrücklich überlassen worden, aber sie war willig in sein Bett gestiegen. Ein Kelch Wein, ein paar geflüsterte Worte, und schon war das Ziel erreicht. Das Mädchen war ein wenig zu dick für seinen Geschmack, ihre Haut war unrein und fleckig, doch ihre Brüste lagen wunderbar in seinen Händen, und sie war noch Jungfrau gewesen, als er sie das erste Mal genommen hatte. Das überraschte ihn angesichts ihres Alters, trotzdem fand er es unterhaltsam. Gewiß war der Kapitän nicht davon erbaut, was Theon ebenfalls amüsierte, denn der alte Mann kämpfte sichtlich damit, seinen Zorn zu schlucken, während er dem hohen Lord die gebührende Höflichkeit erwies. Niemals vergaß er den wohlgefüllten Beutel Gold, der ihm versprochen worden war.

Während Theon den nassen Mantel ablegte, sagte das Mädchen:»Ihr müßt so glücklich sein, Eure Heimat wiederzusehen, Mylord. Wie viele Jahre wart Ihr in der Fremde?«

«Zehn, oder fast zehn, was spielt es für eine Rolle«, erklärte er ihr.»Ich war gerade zehn Jahre alt, als ich als Mündel von Eddard Stark nach Winterfell gebracht wurde. «Ein Mündel dem Namen nach, in Wahrheit eine Geisel. Die Hälfte seines Lebens war er eine Geisel gewesen… aber damit hatte es ein Ende. Er gehörte wieder sich selbst, und weit und breit war nirgends ein Stark zu entdecken. Er zog die Kapitänstochter zu sich heran und küßte sie aufs Ohr.»Leg deinen Mantel ab.«

Sie schlug, plötzlich von Scham erfüllt, die Augen nieder, fügte sich jedoch seinem Begehr. Nachdem das von der Gischt feuchte Kleidungsstück von ihren Schultern zu Boden gerutscht war, verneigte sie sich ein wenig und lächelte ängstlich. Sie sah ziemlich dümmlich aus, wenn sie lächelte, allerdings verlangte er von einer Frau keinen großen Verstand.»Komm zu mir«, befahl er.

Sie gehorchte.»Auf den Iron Islands war ich noch nie.«

«Schätze dich glücklich. «Theon strich ihr durchs Haar. Es war fein und schwarz und vom Wind zerzaust.»Die Inseln sind ein strenger, steiniger Ort, der wenig Annehmlichkeiten bietet und noch weniger Aussichten für die Zukunft. Der Tod lauert hinter jeder Ecke, und das Leben ist armselig und heimtückisch. Die Männer verbringen die Nächte beim Bier und streiten sich darüber, wer schlimmer dran sei, das

Fischervolk, das gegen das Meer ankämpft, oder die Bauern, die ihre Ernte dem kargen Boden abringen. In Wahrheit sind die Arbeiter in den Minen die Bedauernswertesten, sie schinden sich in der Finsternis. Und wofür? Eisen, Zinn, Blei, das sind unsere Schätze. Wen wundert's, daß die Männer früher lieber auf Raubzug gegangen sind.«

Das Mädchen schien ihm nicht zuzuhören.»Ich könnte mit Euch an Land gehen, Mylord. Wenn ich Euch gefallen würde ich… «

«Du könntest an Land gehen«, stimmte Theon zu und drückte ihre Brust,»aber nicht mit mir, fürchte ich.«

«Ich würde in Eurer Burg arbeiten, Mylord. Ich kann Fisch ausnehmen und Brot backen und Butter stampfen. Vater sagt, mein Pfefferkrabbentopf sei der beste, den er je gekostet hat. Ihr könntet einen Platz in der Küche für mich finden, und ich würde für Euch Pfefferkrabbentopf kochen.«

«Und des Nachts mein Bett wärmen?«Er langte nach den Bändern ihres Mieders und schnürte sie mit geschickten und geübten Fingern auf.»Einst hätte ich dich vielleicht als Beute nach Hause gebracht und dich zum Weib genommen, ob du wolltest oder nicht. Die alten Eisenmänner haben es so gehalten. Ein Mann hatte sein Felsweib, seine wahre Gemahlin, die wie er von den Iron Islands stammte, und seine Salzweiber, die er auf seinen Beutezügen erobert hatte.«

Sie riß die Augen auf, und nicht nur, weil er gerade ihren Busen entblößt hatte.»Ich würde gern Euer Salzweib sein, Mylord.«

«Ich fürchte, jene Zeiten sind vorbei. «Theons Finger kreiste um eine der schweren Brüste, und näherte sich der großen braunen Warze.»Heute folgen wir nicht mehr dem Wind mit Feuer und Schwert und nehmen uns, was uns gefällt. Heute scharren wir in der Erde und werfen Netze ins Meer wie andere Männer auch, und wir schätzen uns glücklich, wenn wir genug gesalzenen Fisch und Haferbrei haben, um den Winter zu überstehen. «Er nahm die Brustwarze in den Mund und biß darauf, bis sie aufstöhnte.

«Ihr könnt es wieder in mich hineintun, wenn Ihr möchtet«, flüsterte sie, während er sog.

Als er den Kopf von ihrer Brust hob, war die Haut rot, wo er sie gezeichnet hatte.»Es würde mir gefallen, dir etwas Neues beizubringen. Schnür meine Hose auf und liebkose mich mit dem Mund.«

«Mit dem Mund?«

Er strich sanft über ihre vollen Lippen.»Dafür wurden diese Lippen geschaffen, Süße. Wenn du mein Salzweib wärst, würdest du tun, was ich dir befehle.«

Zunächst war sie zaghaft, lernte jedoch schnell für ein solch dummes Ding, was ihn erfreute. Ihr Mund war ebenso feucht und angenehm wie ihre Scham, und auf diese Weise brauchte er ihr sinnloses Geschwätz nicht über sich ergehen zu lassen. Einst hätte ich sie wirklich zu meinem Salzweib genommen, dachte er bei sich, derweil seine Hände in ihrem Haar wühlten. Einst. Als wir noch nach den alten Sitten lebten, von der Axt, nicht von der Hacke, und nahmen, was wir wollten, ob es nun Reichtümer, Frauen oder Ruhm waren. In jenen Tagen hatten die Männer von den Inseln nicht in Minen geschuftet; das war Arbeit für die Gefangenen, und das galt auch für den Ackerbau und das Hüten der Ziegen und Schafe. Des Eisenmannes Handwerk war der Krieg. Der Ertrunkene Gott hatte sie zum Plündern und zum Schänden geschaffen, dazu, sich Königreiche zu schaffen und ihre Namen in ihrer Schrift aus Feuer und Blut und in Liedern zu hinterlassen.

Aegon der Drache hatte diesem Leben ein Ende bereitet, als er Harren verbrannt und sein Königreich dem schwächlichen Volk der Flußlande zurückgegeben hatte. Er hatte die Iron Islands zu einem unbedeutenden Außenposten eines riesigen

Reiches herabgewürdigt. Dennoch gingen die alten Geschichten weiter an den Treibholzfeuern um, in den verräucherten Hütten auf den Inseln, sogar in den hohen Steinhallen von Pyke. Theons Vater hatte seinen Titeln auch den alten des Lords Schnitter hinzugefügt, und die Worte der Greyjoys verkündeten stolz: Wir Säen Nicht.

Und deshalb hatte sich Lord Balon bisher auch aus der großen Rebellion herausgehalten, nicht um der leeren Eitelkeit willen, sondern um die alten Sitten wiederherzustellen. Robert Baratheon hatte diese Hoffnung für seinen Vater begraben, gemeinsam mit Eddard Stark, aber beide Männer waren inzwischen tot. Halbwüchsige Knaben regierten an ihrer Statt, und das Reich, welches Aegon der Eroberer einst zusammengeschmiedet hatte, war nahe am Auseinanderbrechen. Dies ist die richtige Jahreszeit, dachte Theon, derweil die Tochter des Kapitäns mit ihren Lippen ihr Bestes gab, die richtige Jahreszeit, das richtige Jahr, der richtige Tag — und ich bin der richtige Mann. Er lächelte schief und fragte sich, was wohl sein Vater sagen würde, wenn Theon ihm erklärte, daß er, der jüngste Sohn, das vollbracht hatte, woran Lord Balon selbst gescheitert war.

Der Höhepunkt überkam ihn wie ein Sturm, und er füllte dem Mädchen den Mund mit seinem Samen. Erschrocken versuchte sie sich ihm zu entziehen, doch Theon hielt sie an den Haaren fest. Anschließend kroch sie zu ihm hinauf.»Habe ich Euch zufriedengestellt, Mylord?«»Gewiß, gewiß«, erwiderte er.

«Es schmeckt salzig«, murmelte sie.»Wie das Meer?«Sie nickte.»Ich habe das Meer immer gemocht, Mylord.«

«Ich auch«, antwortete er und rollte ihre Brustwarze zwischen seinen Fingern. Es stimmte. Das Meer bedeutete für die Männer von den Iron Islands die Freiheit. Das hatte er vergessen, bis die Myraham bei Seagard in See gestochen war. Die Geräusche an Bord weckten die alten Gefühle; die gebrüllten Befehle des Kapitäns, das Knattern der Segel, das Ächzen von Holz und Tauwerk, dies alles war ihm so vertraut wie der Schlag seines eigenen Herzens, und dazu ebenso tröstlich. Das muß ich mir merken, dachte er, niemals mehr darf ich mich weit vom Meer entfernen.

«Nehmt mich mit, Mylord«, bettelte die Tochter des Kapitäns.»Ich brauche ja nicht auf die Burg mitzukommen. Ich kann auch in der Stadt bleiben und Euer Salzweib sein. «Sie streckte die Hand aus und streichelte seine Wange.

Theon Greyjoy stieß ihren Arm zur Seite und stieg aus der Koje.»Mein Platz ist in Pyke, und deiner ist auf diesem Schiff.«

«Ich kann jetzt nicht mehr hierbleiben.«

Er schnürte seine Hose zu.»Warum nicht?«

«Mein Vater«, erklärte sie.»Wenn Ihr fort seid, wird er mich bestrafen, Mylord, mich verprügeln und beschimpfen.«

Theon riß seinen Mantel vom Haken und legte ihn sich um die Schultern.»So sind Väter eben«, meinte er, derweil er die Aufschläge mit einer silbernen Schnalle schloß.»Sag ihm, er soll sich freuen. So oft, wie ich bei dir geschlafen habe, trägst du vermutlich mein Kind. Und nicht jeder Mann darf sich der Ehre rühmen, den Bastard eines Königs aufzuziehen. «Sie blickte ihn dümmlich an, und so ließ er sie zurück.

Die Myraham umrundete soeben eine bewaldete Landspitze. Unterhalb der Steilküste zogen ein Dutzend Fischerboote die Netze ein. Die große Kogge umschiffte sie in weitem Abstand. Theon ging zum Bug, wo er einen besseren Ausblick hatte. Er sah zuerst die Burg, die Feste der Botleys. Früher war es ein Fachwerkbau gewesen, den Robert Baratheon jedoch bis auf die Grundmauern geschleift hatte. Lord Sawane hatte sie mit Stein wiederaufgebaut, und jetzt krönte ein viereckiger Bergfried den Hügel. Hellgrüne Flaggen wehten über den niedrigeren Ecktürmen, und auf jeder erkannte er einen

Schwarm silbriger Fische.

Unterhalb der Burg lag das Dorf Lordsport, in dessen Hafen sich die Schiffe drängten. Als er den Ort zuletzt gesehen hatte, war es eine rauchende Ödnis gewesen, wo die Skelette verbrannter Langschiffe und zerschellter Galeeren auf der felsigen Küste lagen wie Knochen toter Seeungeheuer. Die Häuser hatten nur noch aus geborstenen Steinmauern und Asche bestanden. Nach zehn Jahren waren die Spuren des Krieges größtenteils beseitigt. Das gemeine Volk hatte seine Hütten mit den Steinen der alten wiederaufgebaut und frische Grassoden für die Dächer gestochen. Ein neues Gasthaus war am Anleger errichtet worden; es war doppelt so groß wie das frühere. Das untere Stockwerk hatte man aus Stein gebaut, die beiden oberen aus Holz. Die Septe dahinter war nicht erneuert worden; nur das siebeneckige Fundament erinnerte an die Stelle, die sie einst eingenommen hatte. Robert Baratheons Zorn hatte den Eisenmännern die neuen Götter vergällt, schien es.

Theon interessierte sich mehr für die Schiffe, als für die Götter. Zwischen den Masten der vielen Fischerboote entdeckte er eine Handelsgaleere der Tyroshi, die gerade entladen wurde, und daneben eine Kogge mit schwarz geteertem Rumpf aus Ibben. Eine große Anzahl Langschiffe, mindestens fünfzig oder sechzig, lagen im Wasser oder auf dem Kiesstrand im Norden. Einige der Segel zeigten die Wappen von anderen Inseln; den Blutmond von Wynch, Lord Goodbrothers schwarzes Kriegshorn, Harlaws silberne Sichel. Theon suchte nach der Schweigen seines Onkels Euron. Dieses schlanke, furchterregende Schiff vermochte er nicht zu entdecken, aber die Großer Krake seines Vaters war da, den Bug mit einer Eisenramme versehen, welche in Gestalt ihres Namensgebers geformt war.

Erwartete Lord Balon ihn und hatte daher zu den Fahnen der Greyjoys gerufen? Er griff erneut in die Tasche seines Mantels und strich über das Wachstuch. Niemand außer Robb Stark wußte von diesem Brief; er war kein Narr, der seine Geheimnisse Vögeln anvertraute. Dennoch war auch Lord Balon nicht dumm. Er könnte geahnt haben, aus welchem Grund sein Sohn heimkehrte, und entsprechende Vorkehrungen getroffen haben.

Der Gedanke behagte ihm nicht. Seines Vaters Krieg war lange vorbei, und verloren obendrein. Diese Stunde gehörte Theon — es war sein Plan, sein Ruhm und bald seine Krone. Und dennoch, all die Langschiffe…

Vielleicht war es nur Vorsicht, wenn er es sich recht überlegte. Eine Verteidigungsmaßnahme, falls der Krieg sich über das Meer hinweg ausbreiten sollte. Alte Männer waren von Natur aus argwöhnisch. Und sein Vater war mittlerweile alt, ebenso wie sein Onkel Victarion, der die Eisenflotte befehligte. Sein Onkel Euron war aus anderem Metall geschmiedet, aber die Schweigen lag nicht im Hafen. Das gereicht mir nur zum Besten, redete sich Theon ein. Auf diese Weise kann ich nur noch schneller zuschlagen.

Während die Myraham aufs Land zuhielt, schritt Theon ruhelos auf und ab und suchte mit den Blicken die Küste ab. Er hatte nicht erwartet, Lord Balon persönlich am Pier vorzufinden, gewiß jedoch hatte sein Vater jemanden geschickt, der ihn abholen sollte. Sylas Sauermaul, den Verwalter, Lord Botley, oder vielleicht sogar Dagmer Spaltkinn. Es wäre schön, das scheußliche Gesicht des alten Dagmer wiederzusehen. Schließlich war es ja nicht so, daß sie keine Nachricht von seiner Ankunft erhalten hätten. Robb hatte Raben von Riverrun ausgesandt, und nachdem sie in Seagard kein Langschiff gefunden hatten, hatte Jason Mallister selbst Vögel nach Pyke geschickt, da er annahm, Robbs seien nicht angekommen.

Trotzdem sah er keine bekannten Gesichter und keine Ehrengarde, die ihn von Lordsport nach Pyke eskortieren sollte, nur das gemeine Volk, das seinen gemeinen Geschäften nachging. Hafenarbeiter rollten Weinfässer von dem Handelsschiff hinunter, Fischer priesen lauthals ihren Fang an, Kinder tollten im Spiel umher. Ein Priester in der Robe des Ertrunkenen Gottes führte zwei Pferde über den Kiesstrand, derweil sich eine Hure oben aus dem Fenster des Gasthauses lehnte und einigen vorbeigehenden ibbenesischen Seeleuten etwas zurief.

Ein paar Kaufleute aus Lordsport hatten sich versammelt und erwarteten das Schiff. Sie schrien dem Kapitän ihre Fragen zu, während die Myraham anlegte.»Wir sind aus Oldtown«, antwortete dieser,»und haben Äpfel und Orangen geladen, Wein vom Arbor, Federn von den Summer Isles. Pfeffer, Leder, einen Ballen Seide aus Myr, Spiegel für die Damen, zwei Holzharfen aus Oldtown, die so süß klingen, wie Ihr es noch nie gehört habt. «Die Laufplanke landete mit Knirschen und Krachen auf dem Pier.»Und außerdem bringe ich Euch Euren Thronfolger zurück.«

Die Männer aus Lordsport starrten Theon erstaunt an, und nun begriff er, daß sie nicht wußten, wer er war. Das erfüllte ihn mit Zorn. Er drückte dem Kapitän einen Golddrachen in die Hand.»Sagt Euren Männern, sie sollen mein Gepäck an Land tragen. «Ohne die Antwort abzuwarten, schritt er die Laufplanke hinunter.»Gastwirt!«brüllte er.»Ich brauche ein Pferd.«

«Wie Ihr befehlt, M'lord«, erwiderte der Kerl ohne auch nur die Andeutung einer Verneigung. Theon hatte vergessen, wie unverfroren die Eisenmänner sein konnten.»Zufällig hätte ich eins. Wohin wollt Ihr denn reiten, M'lord?«

«Nach Pyke. «Der Dummkopf erkannte ihn immer noch nicht. Er hätte sein gutes Wams anziehen sollen, das mit dem aufgestickten Kraken.

«Gewiß wollt Ihr bald aufbrechen, um Pyke vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen«, sagte der Gastwirt.»Mein Junge wird Euch begleiten, damit Ihr den Weg findet.«

«Euer Junge wird nicht gebraucht«, rief eine tiefe Stimme,»und auch Euer Pferd nicht! Ich werde meinen Neffen selbst zum Haus seines Vater geleiten.«

Der Sprecher war der Priester, welcher die Pferde am Strand entlanggeführt hatte. Während der Mann näher kam, beugte das Volk das Knie, und Theon hörte den Gastwirt murmeln:»Feuchthaar.«

Der hakennasige Priester war groß und dünn, seine schwarzen Augen funkelten, und gekleidet war er in eine grau und grün und blau gesprenkelte Robe, die Meerwasserrobe des Ertrunkenen Gottes. Unter seinem Arm hing ein Wasserschlauch an einem Lederriemen, und in das hüftlange Haar und den ungeschnittenen Bart hatte er getrockneten Seetang geflochten.

Langsam kam es Theon wieder ins Gedächtnis. In einem seiner seltenen und stets kurzgefaßten Briefe hatte Lord Balon berichtet, sein jüngster Bruder habe bei einem Sturm Schiffbruch erlitten und sich zum Heiligen Mann gewandelt, nachdem er lebend Land erreicht hatte.»Onkel Aeron?«fragte er zweifelnd.

«Mein Neffe Theon«, antwortete der Priester.»Dein Hoher Vater bat mich, dich abzuholen. Komm.«

«Einen Augenblick, Onkel. «Er drehte sich zur Myraham um.»Mein Gepäck!«rief er dem Kapitän zu.

Ein Seemann brachte den langen Eibenholzbogen und den Köcher mit den Pfeilen, aber es war die Tochter des Kapitäns, welche sein Bündel mit Kleidung anschleppte.»Mylord. «Ihre Augen waren rot. Als er ihr das Bündel abnahm, schien sie ihn umarmen zu wollen, hier, vor ihrem eigenen Vater, vor seinem priesterlichen Onkel und der halben Insel.

Ungerührt wandte er sich ab.»Ich danke dir.«

«Bitte«, flehte sie,»ich liebe Euch, Mylord.«

«Ich muß gehen. «Er eilte hinter seinem Onkel her, der sich bereits dem Ende des Anlegers näherte, und mit einem Dutzend langer Schritte erreichte er ihn.»Nach Euch habe ich gar nicht Ausschau gehalten, Onkel. Ich dachte, da ich zehn Jahre fort war, würden mein Hoher Vater und meine Hohe Mutter persönlich kommen, oder zumindest Dagmer mit einer Ehreneskorte schicken.«

«Es steht dir nicht zu, die Befehle des Lords Schnitter von Pyke in Frage zu stellen. «Das Benehmen des Priesters ließ Theon frösteln, so hatte er den Mann gar nicht in Erinnerung. Aeron Greyjoy war der freundlichste seiner Onkel gewesen, zu nichts zu gebrauchen, doch er lachte viel, liebte Lieder, Bier und hübsche Frauen.»Was Dagmer betrifft, so ist das Spaltkinn auf Geheiß deines Vaters nach Old Wyk aufgebrochen, um die Stonehouses und die Drumms zu holen.«

«Wozu? Warum liegen so viele Langschiffe im Hafen?«

«Warum wohl?«Sein Onkel hatte die Pferde angebunden vor dem Gasthaus zurückgelassen. Als sie dort ankamen, drehte er sich zu Theon um.»Sag mir die Wahrheit, Neffe. Betest du zu den Göttern der Wölfe?«

Theon betete überhaupt selten, allerdings wollte er das einem Priester gegenüber nicht eingestehen, selbst vor dem Bruder seines Vaters nicht.»Ned Stark hat einen Baum angebetet. Nein, mit den Göttern der Starks habe ich nichts zu schaffen.«

«Gut. Knie dich hin.«

Der Boden war steinig und schlammig.»Onkel, ich — «

«Knie dich hin. Oder bist du zu stolz, weil du als Lord aus den grünen Landen zu uns kommst.«

Theon ließ sich auf die Knie nieder. Er wollte einen Plan verwirklichen, und vielleicht war er dabei irgendwann auf Aerons Hilfe angewiesen. Eine Krone ist ein wenig Dreck und

Pferdescheiße an der Hose wert, dachte er bei sich.

«Neige den Kopf. «Sein Onkel hob den Wasserschlauch, zog den Stöpsel und richtete den dünnen Strahl auf Theons Kopf. Das Meerwasser durchtränkte sein Haar und rann ihm über die Stirn in die Augen, floß seine Wannen entlang, und ein Rinnsal kroch unter seinen Mantel und sein Wams und lief ihm dann wie ein kalter Finger den Rücken hinunter. Das Salz brannte in seinen Augen, am liebsten hätte er aufgeschrien. Er schmeckte den Ozean auf seinen Lippen.»Lasse Theon, deinen Diener, aus dem Meer wiedergeboren werden, wie es auch dir widerfuhr«, sang Aeron Greyjoy.»Segne ihn mit Salz, segne ihn mit Stein, segne ihn mit Stahl. Neffe, erinnerst du dich noch an die Worte?«»Was tot ist, kann niemals sterben«, antwortete Theon.»Was tot ist, kann niemals sterben«, wiederholte sein Onkel,»doch erhebt es sich von neuem, härter, stärker. Steh auf.«

Theon stand auf und kniff seine vom Salz brennenden Augen zu, um die Tränen und das Salz zurückzudrängen. Wortlos verschloß sein Onkel den Schlauch, band sein Pferd los und saß auf. Theon stieg ebenfalls in den Sattel. Gemeinsam ritten sie davon, ließen das Gasthaus und den Hafen hinter sich und passierten Lord Botleys Burg. Von dort aus ging es in die felsigen Hügel hinauf. Der Priester sagte kein weiteres Wort.

«Mein halbes Leben habe ich fern der Heimat verbracht«, wagte sich Theon schließlich vor.»Werde ich die Inseln verändert vorfinden?«

«Männer fischen im Meer, graben in der Erde und sterben. Frauen gebären Kinder in Blut und Schmerz und sterben. Die Nacht folgt dem Tag. Der Wind und die Gezeiten bleiben. Die Inseln sind so, wie unser Gott sie geschaffen hat.«

Bei den Göttern, ist er bitter geworden, dachte Theon.»Halten sich meine Hohe Mutter und meine Schwester in Pyke auf?«

«Nein. Deine Mutter weilt auf Harlaw bei ihrer Schwester. Dort ist das Klima nicht so rauh, und ihr Husten macht ihr zu schaffen. Deine Schwester ist mit der Schwarzer Wind nach Great Wyk in See gestochen und überbringt Briefe deines Hohen Vaters. Sie wird bald zurückkehren.«

Daß die Schwarzer Wind Ashas Langschiff war, brauchte man ihm nicht erst zu sagen. Zwar hatte er seine Schwester seit zehn Jahren nicht gesehen, doch soviel wußte er. Eigentümlich war allerdings, daß sie das Schiff so benannt hatte; Robb Stark hatte seinem Wolf den Namen Grey Wind, Grauer Wind, gegeben.»Stark ist grau, Greyjoy ist schwarz«, murmelte er und lächelte,»aber offensichtlich sind wir beide windig.«

Der Priester hatte darauf nichts zu erwidern.

«Und was ist mit Euch, Onkel?«fragte Theon.»Als man mich von Pyke fortbrachte, wart Ihr noch kein Priester. Ich kann mich erinnern, wie Ihr die alten Lieder gesungen und mit einem Horn voll Bier auf dem Tisch getanzt habt.«

«Jung war ich und eingebildet«, sagte Aeron Greyjoy,»aber das Meer hat meine Torheit und Eitelkeit fortgespült. Jener Mann ist ertrunken, Neffe. Seine Lungen haben sich mit Salzwasser gefüllt, und die Fische haben ihm die Schuppen von den Augen gefressen. Als ich wieder auftauchte, sah ich klar.«

Er ist ebenso verrückt wie griesgrämig. Der alte Aeron Greyjoy hatte Theon besser gefallen.»Onkel, warum hat mein Vater zu den Schwertern und zu den Segeln gerufen?«

«Zweifelsohne wird er dir das in Pyke erklären.«

«Ich würde seine Pläne gern jetzt schon kennen.«

«Von mir wirst du nichts erfahren. Uns wurde befohlen, darüber zu keinem anderen Mann zu sprechen.«

«Selbst nicht zu mir?«Theons Zorn flammte auf. Er hatte Soldaten in den Krieg geführt, war mit einem König auf die Jagd gegangen, war an der Seite von Brynden Blackfish und

Greatjon Umber geritten, hatte im Flüsterwald gekämpft, hatte mehr Mädchen in sein Bett geholt, als er zu zählen vermochte, und dennoch behandelte ihn sein Onkel wie ein zehnjähriges Kind.»Falls mein Vater Kriegspläne schmiedet, muß ich es wissen. Ich bin >kein anderer Mann<, ich bin der Erbe von Pyke und den Iron Islands.«

«Was das betrifft«, sagte sein Onkel,»so wird man sehen.«

Die Worte trafen ihn wie ein Schlag ins Gesicht.»Man wird sehen? Meine Brüder sind beide tot. Ich bin der einzige lebende Sohn meines Vaters!«

«Deine Schwester lebt auch noch. «Asha, dachte er verwirrt. Sie war drei Jahre älter, aber dennoch…»Eine Frau darf die Nachfolge nur dann antreten, wenn es keinen männlichen Erben mehr in der Linie gibt«, beharrte er laut.»Ich lasse mich meiner Rechte nicht berauben, ich warne Euch.«

Sein Onkel grunzte.»Du warnst einen Diener des Ertrunkenen Gottes, Junge? Du hast zu vieles vergessen. Und du bist ein großer Narr, wenn du glaubst, dein Hoher Vater würde diese heiligen Inseln jemals in die Hände eines Stark legen. Jetzt schweig. Der Ritt ist weit genug, auch ohne dein unaufhörliches Geschwätz.«

Theon hielt den Mund, doch fiel ihm das nicht leicht. So steht es also, dachte er. Als hätten ihn zehn Jahre in Winterfell zu einem Stark gemacht. Lord Eddard hatte ihn zusammen mit seinem eigenen Sohn aufgezogen, allein: Theon war nie einer von ihnen gewesen. Die ganze Burg, von Lady Stark bis zur niedrigsten Küchenmagd, hatte gewußt, daß er eine Geisel war, und ihn entsprechend behandelt. Selbst dem Bastard Jon Snow war mehr Ehre zugestanden worden.

Von Zeit zu Zeit hatte Lord Eddard versucht, den Vater für ihn zu spielen, aber für Theon war er stets der Mann geblieben, der Pyke mit Feuer und Blut überzogen und ihn aus seiner Heimat verschleppt hatte. Seine ganze Jugend über hatte er in

Angst vor Starks strenger Miene und seinem großen, dunklen Schwert gelebt. Und seine Gemahlin hatte sich ihm gegenüber noch distanzierter und mißtrauischer verhalten.

Was die Kinder betraf, so waren die jüngeren während der meisten seiner Jahre auf Winterfell quengelnde Kleinkinder gewesen. Nur Robb und sein unehelicher Halbbruder Jon Snow waren alt genug, um seiner Aufmerksamkeit wert zu sein. Der Bastard war ein mürrischer Knabe, schnell gekränkt und neidisch auf Theons hohe Abstammung und Robbs ihm gegenüber. Was Robb betraf, brachte Theon ihm durchaus eine gewisse Zuneigung entgegen, wie einem jüngeren Bruder… allerdings sollte er das besser nicht erwähnen. In Pyke, so schien es, wurde der alte Krieg noch immer ausgefochten. Das sollte ihn nicht überraschen. Die Iron Islands lebten in der Vergangenheit; die Gegenwart war zu hart und bitter, um sie zu ertragen. Außerdem waren sein Vater und sein Onkel alt, und alte Lords legten nun einmal ein solches Gebaren an den Tag; sie nahmen ihre verstaubten Fehden mit ins Grab, vergaßen nichts und verziehen noch weniger.

Mit den Mallisters, seinen Gefährten auf dem Ritt von Riverrun nach Seagard, hatte es sich ähnlich verhalten. Patrek Mallister war kein schlechter Kerl; sie teilten die Vorliebe für Mädchen, Wein und Falkenjagd. Aber als der alte Lord Jason die wachsende Zuneigung seines Erben für Theon bemerkte, hatte er Patrek zur Seite genommen und ihn daran erinnert, daß Seagard allein zum Schutz der Küste vor den Plünderern von den Iron Islands gebaut worden war, deren oberste die Greyjoys von Pyke waren. Hatte man den Dröhnenden Turm nicht nach der riesigen Bronzeglocke benannt, die seit alten Zeiten geläutet wurde, um die Stadtbewohner und Bauern in die Burg zu rufen, sobald Langschiffe am westlichen Horizont auftauchten.

«Und wenn schon«, hatte Patrek hinterher zu Theon gesagt, während er ihm über einem Becher Grünapfelwein die

Vorbehalte seines Vaters anvertraute,»diese Glocke wurde in den vergangenen dreihundert Jahren nur ein einziges Mal geläutet.«

«Als mein Bruder Seagard angriff«, erwiderte Theon. Lord Jason hatte Rodrik Greyjoy vor den Mauern der Burg getötet und die Eisenmänner aufs Meer zurückgejagt.»Falls Lord Jason glaubt, ich würde ihm das noch immer nachtragen, dann nur, weil er Rodrik nicht kannte.«

Darüber hatten sie gelacht, während sie zu einer Müllersfrau, einer Liebschaft von Patrek, unterwegs waren. Wäre Patrek nur hier bei mir. Mallister oder nicht, er war ein umgänglicherer Gefährte als dieser griesgrämige alte Priester, in den sein Onkel Aeron sich verwandelt hatte.

Der Pfad wand sich höher und höher in die kahlen, steinigen Hügel. Bald geriet das Meer außer Sicht, wenngleich der scharfe Salzgeruch weiterhin in der feuchten Luft hing. Sie ritten in gleichmäßigem Tempo dahin, an einer Schafweide und einer aufgegebenen Mine vorbei. Dieser neue, heilige Aeron Greyjoy hatte nicht viel fürs Reden übrig. Düsteres Schweigen begleitete sie. Schließlich ertrug Theon es nicht länger.»Robb Stark ist jetzt Lord von Winterfell.«

Aeron ritt weiter.»Ein Wolf ist wie der andere.«»Robb hat dem Eisernen Thron die Gefolgschaftstreue aufgekündigt und sich zum König des Nordens gekrönt. Es herrscht Krieg.«

«Die Raben der Maester fliegen über Salz und über Fels. Diese Neuigkeit ist alt und kalt.«

«Sie verkündet den Anbruch eines neuen Tages.«»Jeden Morgen bricht ein neuer Tag an, der dem alten sehr ähnelt.«

«In Riverrun würden sie dir etwas anderes erzählen. Sie behaupten, der rote Komet sei der Herold eines neuen Zeitalters. Ein Bote der Götter.«

«Ein Zeichen ist er fürwahr«, stimmte der Priester zu,»jedoch von unserem Gott, nicht ihrem. Eine Fackel ist er, wie sie unser Volk in alten Zeiten trug. Er ist die Flamme, die der Ertrunkene Gott aus dem Meer brachte, und er verkündet eine steigende Flut. Die Zeit ist gekommen, daß wir die Segel setzen und mit Feuer und Schwert in die Welt zurückkehren, wie wir es einst taten. «Theon lächelte.»Dem stimme ich zu.«

«Des Menschen Zustimmung bedeutet dem Gott soviel wie die Zustimmung eines Regentropfens dem Sturm.«

Dieser Regentropfen wird eines Tages König sein, alter Mann. Theon hatte genug von der schlechten Laune seines Onkels. Er gab seinem Pferd die Sporen und ritt grinsend voraus.

Es war bereits kurz vor Sonnenuntergang, als sie die Mauer von Pyke erreichten, die sichelförmig aufgeschichteten dunklen Steine, die sich von Klippe zu Klippe erstreckten und nur von dem Torhaus in der Mitte und jeweils drei viereckigen Türmen auf jeder Seite unterbrochen wurden. Noch immer waren die Narben zu erkennen, die Robert Baratheons Katapulte hinterlassen hatten. Ein neuer Südturm war auf den Ruinen des alten errichtet worden, sein Mauerwerk war ein wenig heller und bislang noch nicht von Flechten überzogen. Dort hatte Robert die Bresche geschlagen und war mit der Streitaxt in der Hand und Ned Stark an seiner Seite über Trümmer und Tote in die Burg gestürmt. Theon hatte aus der Sicherheit des Seeturms zugeschaut, und manchmal verfolgten ihn die Fackeln und das dumpfe Grollen der berstenden Mauern noch immer in seinen Träumen.

Das Tor stand für ihn offen, das verrostete Eisengatter war hochgezogen. Die Wachen oben auf den Zinnen betrachteten ihn wie einen Fremden, ihn, Theon Greyjoy, der endlich heimkehrte.

Die Außenmauer umfaßte ein halbes Hundert Morgen Land, begrenzt vom Meer und vom Himmel. Dort befanden sich die Stallungen, die Zwinger und ein Wirrwarr von anderen

Nebengebäuden. Schafe und Schweine drängten sich in den Pferchen, derweil die Burghunde frei herumliefen. Im Süden lagen die Klippen und die breite Steinbrücke hinüber zum Großen Bergfried. Zum Tosen der Brandung schwang sich Theon aus dem Sattel. Ein Stallbursche lief herbei und nahm ihm das Pferd ab. Zwei verhärmte Kinder und einige Hörige starrten ihn stumpfsinnig an, doch von seinem Hohen Vater oder sonst jemandem, an den er sich aus seiner Kindheit erinnerte, war keine Spur zu sehen. Eine trostlose, bittere Heimkehr, dachte er bei sich.

Der Priester war nicht abgestiegen.»Bleibt Ihr nicht über Nacht und teilt Fleisch und Met mit uns, Onkel?«

«Dich herzubringen, wurde mir aufgetragen. Hier bist du. Jetzt werde ich mich wieder unserem Gott widmen. «Aeron Greyjoy wendete das Pferd und ritt langsam unter den schlammigen Spitzen des Fallgatters hindurch.

Ein verhutzeltes altes Weib in einem unförmigem grauen Kleid näherte sich ihm mißtrauisch.»M'lord, ich soll Euch Eure Gemächer zeigen.«

«Auf wessen Wunsch?«

«Auf den Eures Hohen Vaters, M'lord.«

Theon streifte sich die Handschuhe ab.»Ihr kennt mich also. Warum ist mein Vater nicht hier, um mich zu begrüßen?«

«Er erwartet Euch im Seeturm, M'lord. Nachdem Ihr Euch von der Reise ausgeruht habt.«

Und ich habe Ned Stark für einen kaltherzigen Mann gehalten.»Und wer bist du?«

«Helya. Ich verwalte die Burg für Euren Hohen Vater.«

«Früher war Sylas der Haushofmeister. Sauermaul haben sie ihn genannt. «Theon erinnerte sich an den ständigen Weingeruch im Atem des alten Mannes.

«Jetzt ist er schon fünf Jahre tot, M'lord.«

«Und Maester Qalen? Wo ist der?«

«Ruht im Meer. Wendamyr hütet nun die Raben.«

Es ist, als wäre ich ein Fremder, ging es Theon durch den Kopf. Nichts hat sich verändert, und dennoch ist alles anders.»Bring mich in meine Gemächer, Weib«, befahl er. Sie verneigte sich steif und führte ihn über die Landzunge zur Brücke. Zumindest diese war noch so, wie er sie in Erinnerung hatte; die alten Steine glänzten von der Gischt und waren an vielen Stellen mit Flechten überzogen, das Meer schäumte unter ihren Füßen wie eine große wilde Bestie, und der salzige Wind zerrte an Theons Kleidern.

Wann immer er sich seine Heimkehr vorgestellt hatte, so hatte er sich ein behagliches Zimmer im Seeturm ausgemalt, wo er als Kind geschlafen hatte. Statt dessen führte ihn die alte Frau zum Blutturm. Dessen Zimmer waren größer und mit besseren Möbeln ausgestattet, dafür aber auch kühler und feuchter. Theon bekam eine Flucht kalter Räume angewiesen, deren hohe Decken sich im Dämmerlicht verloren. Er wäre wahrscheinlich beeindruckter gewesen, hätte er nicht gewußt, daß eben diese Zimmer dem Turm seinen Namen gegeben hatten. Vor tausend Jahren waren die Söhne des Flußkönigs hier ermordet worden. Man hatte sie in Stücke gehackt und die Stücke ihrer Leiber ihrem Vater aufs Festland geschickt.

Aber Greyjoys waren in Pyke nie ermordet worden, außer einmal, von ihren eigenen Brüdern. Theons Brüder waren allerdings beide schon tot. Daher schaute er sich jetzt keineswegs aus Angst vor Geistern so angewidert um. Die Wandbehänge waren grün, angeschimmelt, die Matratzen waren durchgelegen und rochen muffig, die Binsen waren alt und trocken. Jahre waren vergangen, seit diese Zimmer zum letzten Mal betreten worden waren. Die Feuchtigkeit kroch einem sofort in die Knochen.»Ich wünsche ein Becken mit heißem Wasser und ein Feuer im Kamin«, sagte er zu dem alten Weib.»Und in den anderen Räumen sollen

Kohlenpfannen angezündet werden, um die Kälte zu vertreiben. Bei den Göttern, vor allem hol sofort jemanden, der diese Binsen erneuert.«

«Ja, M'lord. Wie Ihr befehlt. «Damit eilte sie davon.

Nach einiger Zeit brachte man das heiße Wasser, um das er gebeten hatte. Es war nur lauwarm, bald wieder abgekühlt und außerdem Meerwasser, dennoch genügte es, den Staub des langen Rittes von Gesicht, Haar und Händen zu waschen. Während zwei Hörige die Kohlenpfannen in Brand setzten, legte Theon seine schmutzige Reisekleidung ab und zog sich frische Kleider an, damit er seinem Vater entgegentreten konnte. Er wählte Stiefel aus geschmeidigem schwarzem Leder, eine weiche silbergraue Schafswollhose und ein schwarzes Samtwams, auf dessen Brust der goldene Krake der Greyjoys gestickt war. Um den Hals hängte er sich eine feine Goldkette, um die Hüfte schnallte er sich einen Gürtel aus weißem Leder. Daran befestigte er an einer Seite einen Dolch, an der anderen ein Langschwert, beide in schwarz-golden gestreiften Scheiden. Er zog den Dolch, prüfte die Schneide, holte den Wetzstein aus seinem Beutel und fuhr damit ein paarmal über die Klinge. Er war stolz darauf, daß er seine Waffen stets scharf hielt.»Wenn ich zurückkomme, erwarte ich ein warmes Zimmer und frische Binsen«, warnte er die Hörigen, während er sich ein Paar schwarze Handschuhe überstreifte, deren Seide mit filigranen Schneckenmustern aus Goldfäden verziert waren.

Über eine überdachte Steinbrücke ging Theon nun hinüber zum Großen Bergfried. Der Widerhall seiner Schritte vermischte sich mit dem unaufhörlichen Grollen der See unter ihm. Um den Seeturm zu erreichen, mußte er drei weitere Brücken überqueren, jede schmaler als die vorherige. Die letzte bestand nur noch aus Tauwerk und Holz, und im feuchten, salzigen Wind schwankte sie unter seinen Füßen. Als Theon in der Mitte anlangte, schlug ihm das Herz schon bis zum Hals.

Tief unter ihm spritzte die Gischt auf, wenn die Wellen gegen den Fels brandeten. In seiner Kindheit war er über diese Brücke gerannt, selbst in finsterster Nacht. Ein Knabe glaubt, ihm könne nichts geschehen, flüsterte ihm eine zweifelnde Stimme ein, ein erwachsener Mann weiß es besser.

Die graue Holztür war mit Eisen beschlagen und von innen verriegelt. Theon hämmerte mit der Faust dagegen und fluchte, als ein Splitter seinen Handschuh aufriß. Das Holz schimmelte, und die Eisenbeschläge rosteten.

Einen Augenblick später wurde die Tür von einer Wache in schwarzem Brustharnisch und Helm geöffnet.»Seid Ihr der Sohn?«

«Aus dem Weg, oder ich zeige Euch, wer ich bin. «Der Mann trat zur Seite. Theon stieg die Wendeltreppe zum Solar hinauf. Dort fand er seinen Vater, der neben einer Kohlenpfanne saß. Sein muffiger Mantel aus Seehundfell hüllte ihn von Kopf bis Fuß ein. Als er die Schritte auf den Steinplatten vernahm, blickte der Lord der Iron Islands auf und musterte seinen letzten verbliebenen Sohn. Er war kleiner, als Theon ihn in Erinnerung hatte. Und so hager. Balon Greyjoy war stets dünn gewesen, aber jetzt erweckte er den Eindruck, die Götter hätten ihn in einen Kessel gesteckt und jede überflüssige Unze Fleisch aus ihm herausgekocht, bis allein Haut und Knochen geblieben waren. Ja, knochendürr und knochenhart war er, sein Gesicht hätte aus Feuerstein gemeißelt sein können. Auch seine Augen ähnelten diesem Stein, so schwarz und scharf blickten sie ihn an, aber die Jahre und der Salzwind hatten sein Haar mit dem Grau des winterlichen Meeres gefärbt, mit weißen Schaumkronen durchsetzt. Offen hing es ihm über den Rücken.

«Neun Jahre, nicht wahr?«sagte Lord Balon schließlich.

«Zehn«, antwortete Theon und zog sich die zerrissenen Handschuhe aus.

«Einen Jungen haben sie mir genommen«, sagte sein Vater.»Was bist du jetzt?«

«Ein Mann«, erwiderte Theon,»Euer Blut und Euer Erbe.«

Lord Balon grunzte.»Man wird sehen.«

«Das werdet Ihr gewiß.«

«Zehn Jahre, sagst du. Stark hatte dich ebenso lange wie ich. Und nun kommst du als sein Gesandter.«

«Nicht als seiner«, entgegnete Theon.»Lord Eddard ist tot, er wurde von der Lannister-Königin enthauptet.«

«Beide sind tot, Stark und dieser Robert, der meine Mauern mit seinen Steinen gebrochen hat. Ich habe geschworen, den Tag zu erleben, an dem man sie zu Grabe trägt, und tatsächlich ist es so gekommen. «Er schnitt eine Grimasse.»Dennoch lassen Kälte und Feuchtigkeit meine Gelenke schmerzen, genauso wie vor ihrem Tod. Was hat es mir also eingebracht?«

«Es bringt uns großen Nutzen ein. «Theon trat näher.»Ich trage einen Brief bei mir — «

«Hat Ned Stark dich in diese Kleider gesteckt?«fiel ihm sein Vater ins Wort.»Fand er Gefallen daran, dich in Samt und Seide zu hüllen und zu seiner süßen Tochter zu machen?«

Theon spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg.»Ich bin keines Mannes Tochter. Falls Euch meine Kleidung mißfällt, werde ich andere anlegen.«

«Das wirst du. «Lord Balon warf den Mantel ab, stemmte sich hoch und stand auf. In Theons Erinnerung war sein Vater größer gewesen.»Dieser Flitter um deinen Hals — hast du ihn mit Gold oder mit Eisen bezahlt?«

Theon berührte die Kette. Er hatte es vergessen. So lange ist es her… Nach den alten Sitten durfte sich eine Frau mit gekauftem Schmuck behängen, ein Krieger hingegen trug nur die Edelsteine, die er den Leichen der von seiner Hand gefallenen Feinde abnahm. Den eisernen Preis bezahlen,

nannte man das.

«Du errötest wie eine Jungfrau, Theon. Ich habe dir eine Frage gestellt. Hast du dafür den goldenen oder den eisernen Preis gezahlt.«

«Den goldenen«, gestand Theon ein.

Sein Vater packte die Kette und zerrte mit einem so heftigen Ruck daran, daß er Theon fast den Kopf abgerissen hätte, wenn das Metall nicht zuerst nachgegeben hätte.»Meine Tochter hat eine Axt zu ihrem Geliebten gemacht«, sagte Lord Balon.»Und mein Sohn soll sich nicht einer Hure gleich aufputzen. «Er warf die Kette in die Kohlenpfanne, wo sie in die Glut rutschte.»Eben das habe ich befürchtet. In den grünen Landen bist du verweichlicht, und die Starks haben dich zu einem der ihren gemacht.«

«Ihr habt unrecht. Ned Stark war mein Kerkermeister, doch in meinem Blut fließen Salz und Eisen.«

Lord Balon drehte sich um und wärmte seine knochigen Hände über der Kohlenpfanne.»Dennoch schickt dich der Stark zu mir wie einen gut abgerichteten Raben, der seine kleine Botschaft fest umklammert.«

«Der Brief, den ich Euch bringe, enthält gewißlich keine Kleinigkeiten«, erwiderte Theon,»und das Angebot, das er Euch unterbreitet, habe ich ihm vorgeschlagen.«

«Der Wolfskönig hört demnach auf deinen Rat?«Dieser Gedanke schien Lord Balon zu amüsieren.

«Ja, er vertraut mir. Ich habe mit ihm gejagt, habe mit ihm das Fechten geübt, habe Fleisch und Met mit ihm geteilt, bin an seiner Seite in den Krieg gezogen. Ich habe mir sein Vertrauen verdient. Er betrachtet mich wie seinen älteren Bruder, er — «

«Nein. «Anklagend richtete sein Vater den Zeigefinger auf ihn.»Nicht hier, nicht in Pyke, nicht vor meinen Ohren. Wage es nicht, ihn Bruder zu nennen, diesen Sohn jenes Mannes, der deine wahren Brüder mit dem Schwert getötet hat. Oder hast du Rodrik und Maron vergessen, in deren Adern das gleiche Blut floß wie in den deinen?«

«Ich vergesse nichts. «Ned Stark hatte keinen seiner Brüder getötet, wenn man bei der Wahrheit blieb. Rodrik war von Lord Jason Mallister in Seagard erschlagen worden, Maron war zermalmt worden, als der alte Südturm einstürzte… aber zweifelsohne hätte Stark es getan, wenn der Sturm der Schlacht sie zusammengeführt hätte.»Ich erinnere mich sehr wohl an meine Brüder«, betonte Theon erneut. Hauptsächlich an Rodriks trunkene Schläge und Marons grausamen Spott und endlose Lügen.»Ich erinnere mich zudem an die Zeit, als mein Vater ein König war. «Er zog Robbs Brief vor und hielt ihn Lord Balon hin.»Lest… Euer Gnaden.«

Sein Vater brach das Siegel und entfaltete das Pergament. Seine schwarzen Augen zuckten hin und her.»Da will mir der Junge also wieder eine Krone schenken«, sagte er,»und dafür brauche ich nur seine Feinde zu vernichten. «Die dünnen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln.

«Inzwischen ist Robb am Golden Tooth angekommen«, erläuterte Theon.»Nachdem er ihn eingenommen hat, wird er innerhalb eines Tages die Berge hinter sich gelassen haben. Lord Tywins Heer steht bei Harrenhal und ist vom Westen abgeschnitten. Der Königsmörder wird in Riverrun gefangengehalten. Nur Ser Stafford Lannister und seine unerfahrenen Rekruten können sich Robb im Westen entgegenstellen. Ser Stafford wird sich zwischen Robbs Armee und Lannisport werfen, demzufolge wird die Stadt unbewacht sein, wenn wir von See her angreifen. Falls die Götter mit uns sind, könnte sogar Casterly Rock selbst gefallen sein, bevor die Lannisters überhaupt bemerkt haben, daß wir über sie gekommen sind.«

Lord Balon grunzte.»Casterly Rock ist noch nie eingenommen worden.«

«Bis heute. «Theon lächelte. Welch süßer Sieg das sein wird.

Sein Vater erwiderte das Lächeln nicht.»Deshalb hat dich Robb also nach so langer Zeit zu mir zurückgeschickt. Damit du meine Zustimmung zu seinem Plan einholst?«

«Es ist mein Plan, nicht Robbs«, verkündete Theon stolz. Meiner, und auch der Sieg wird mein sein, und in kurzer Zeit zudem die Krone.»Ich werde den Angriff persönlich führen, wenn es Euch gefällt. Zur Belohnung würde ich mir Casterly Rock als Sitz erbitten, nachdem wir es den Lannisters abgenommen haben. «Mit Casterly Rock könnte er Lannisport und die goldenen Lande des Westens halten. Das Haus Greyjoy würde Wohlstand und Macht erlangen, wie es sie noch nie in seiner Geschichte besessen hatte.

«Für eine Idee und ein paar wenige Zeilen entlohnst du dich recht stattlich. «Abermals las sein Vater den Brief.»Der Welpe sagt nichts über eine Belohnung. Nur, daß du in seinem Namen sprichst, ich auf dich hören und ihm meine Segel und meine Schwerter geben soll, wofür er mir im Gegenzug eine Krone zugestehen wird. «Sein unbeugsamer Blick suchte den seines Sohnes.»Er wird mir eine Krone zugestehen«, wiederholte er mit schneidender Stimme.

«Gewiß, die Wörter sind schlecht gewählt, gemeint ist jedoch — «

«Gemeint ist, was gesagt ist. Der Junge will mir eine Krone zugestehen. Was zugestanden wurde, kann man aber aberkennen. «Lord Balon warf den Brief in die Kohlenpfanne an der Kette. Das Pergament wellte sich, verfärbte sich schwarz und flammte auf.

Theon konnte es nicht fassen.»Seid Ihr verrückt geworden?«

Sein Vater schlug ihm hart ins Gesicht.»Halte deine Zunge im Zaum. Du bist nicht mehr in Winterfell, und ich bin nicht Robb, der Knabe. Ich bin der Greyjoy, Lord Schnitter von Pyke, König von Salz und Fels, Sohn des Seewinds, und kein

Mann gesteht mir eine Krone zu. Ich zahle den eisernen Preis. Ich nehme mir meine Krone, wie es Urron Rothand vor fünftausend Jahren tat.«

Theon wich vor der plötzlichen Wut in der Stimme seines Vaters zurück.»Dann nehmt sie«, fauchte er. Seine Wange brannte.»Nennt Euch König der Iron Islands, niemand wird sich darum scheren… bis der Krieg vorbei ist und der Sieger sich umschaut und den alten Narren erspäht, der mit einer eisernen Krone auf dem Kopf an seiner Küste hockt.«

Lord Balon lachte.»Wenigstens bist du kein Feigling. Genausowenig, wie ich ein Narr bin. Glaubst du, ich hätte meine Schiffe versammelt, um mir anzusehen, wie sie friedlich im Wasser schaukeln? Ich werde mir ein Königreich mit Feuer und Schwert holen… aber nicht im Westen, und auch nicht, indem ich dem Knaben Robb zu Gefallen bin. Casterly Rock ist zu mächtig, und Lord Tywin ist zu hinterlistig. Ja, wir könnten Lannisport erobern, aber halten würden wir es nie. Nein. Mir steht der Sinn nach einer anderen Traube… gewiß ist ihr Saft nicht so süß, doch hängt sie reif da, und zudem ungeschützt.«

Wo? Theon hätte die Frage laut aussprechen können, doch er kannte die Antwort längst.

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