Arya

Während sie am Stamm hinaufkletterte, konnte Arya die Schornsteine zwischen den Bäumen aufragen sehen. Strohdächer standen entlang des Seeufers, und zwischen ihnen floß ein kleiner Bach hindurch. Ein hölzerner Anlegesteg erstreckte sich neben einem schiefergedeckten Gebäude ins Wasser.

Sie stieg weiter nach oben, bis ein Ast unter ihrem Gewicht nachgab. Am Steg lagen keine Boote, dennoch ringelten sich aus den Schornsteinen dünne Rauchfäden in die Luft, und halb verdeckt stand ein Wagen hinter einem Stall.

Dort ist jemand. Arya biß sich auf die Unterlippe. Alle anderen Orte, durch die sie bisher gekommen waren, hatten sie leer und verlassen vorgefunden. Bauernhöfe, Dörfer, Burgen, Septen, Scheunen, ganz gleich was. Wenn etwas brennen konnte, hatten die Lannisters es angezündet; wenn etwas sterben konnte, hatten sie es getötet. Sogar die Wälder hatten sie dort, wo es ging, in Brand gesetzt, aber das Laub war grün und das Holz naß von den jüngsten Regenfällen, und deshalb hatte sich das Feuer nicht ausgebreitet.»Sie würden auch den See anstecken, wenn es möglich wäre«, hatte Gendry gesagt, und Arya wußte, damit hatte er recht. In der Nacht ihrer Flucht hatten die Flammen so hell auf dem Wasser geglänzt, daß es aussah, als würde der See tatsächlich brennen.

In der folgenden Nacht hatten sie endlich den Mut aufgebracht, in die Ruinen zurückzukehren, doch hatten sie nur rußgeschwärzte Steine, leere Hülsen von Häusern und Leichen gefunden. An manchen Stellen stieg noch immer schwacher Rauch aus der Asche auf. Heiße Pastete hatte sie angefleht, nicht dorthin zurückzugehen, und Lommy nannte sie Dummköpfe und schwor, Ser Armory werde sie erwischen und ebenfalls töten, aber Lorch und seine Männer waren zu diesem Zeitpunkt schon längst wieder abgezogen. Die Tore waren eingerissen, die Mauern teilweise geschleift, und überall lagen unbestattete Tote. Ein Blick genügte Gendry.»Sie haben alle umgebracht«, sagte er.»Und die Hunde haben auch schon an ihnen genagt.«

«Oder Wölfe.«

«Hunde, Wölfe, welche Rolle spielt das? Hier gibt es nichts mehr.«

Arya hingegen wollte nicht gehen, bis sie Yoren gefunden hatten. Ihn konnten sie nicht umgebracht haben, redete sie sich ein, er war so hart und zäh, und außerdem ein Bruder von der Nachtwache. Das sagte sie auch zu Gendry, während sie zwischen den Leichen nach ihm suchten.

Der Axthieb, der ihn das Leben gekostet hatte, hatte ihm den Schädel in zwei Teile gespalten, aber der graue verfilzte Bart konnte keinem anderen gehören, oder das Gewand, ausgeblichen und lange schon eher grau denn schwarz. Ser Armory Lorch hatte sich auch mit der Bestattung seiner eigenen Gefallenen nicht abgegeben, und die Leichen von vier Männern der Lannisters lagen um Yoren herum. Arya fragte sich, wie viele Gegner wohl notwendig gewesen waren, um ihn zu töten.

Er wollte mich nach Hause bringen, dachte sie, derweil sie eine Grube für den Alten aushoben. Es waren zu viele Tote, um sie alle zu beerdigen, doch wenigstens Yoren sollte ein Grab bekommen. Darauf bestand Arya. Er wollte mich sicher nach Winterfell bringen, das hat er versprochen. Einerseits hätte sie am liebsten geweint. Andererseits hätte sie ihn am liebsten getreten.

Es war Gendry, dem das Turmhaus und die drei einfielen, die es hatten halten sollen. Auch sie waren angegriffen worden, doch der runde Turm hatte nur einen einzigen Eingang, eine

Tür im zweiten Stock, die nur über eine Leiter zu erreichen war. War diese eingezogen, konnte kein Feind hinein. Die Lannisters hatten um die Grundmauern des Turms herum Reisig aufgestapelt und es angezündet, aber Stein brannte nicht, und Lorch hatte es an der Geduld gemangelt, die drei auszuhungern. Curjack öffnete auf Gendry s Ruf hin die Tür, und Kurtz schlug vor, es sei besser, nach Norden weiterzuziehen. Erneut klammerte sich Arya an die Hoffnung, Winterfell doch noch zu erreichen.

Nun, diese Ortschaft, die da vor ihr lag, war nicht Winterfell, immerhin versprachen die Strohdächer ein wenig Wärme und Schutz, und möglicherweise würden sie sogar etwas zu essen finden. Solange es nicht Lorch ist, der sich dort aufhält. Er hat Pferde; damit kommt er schneller voran als wir.

Lange Zeit hielt sie Ausschau, um vielleicht etwas Wichtiges zu entdecken; einen Mann, ein Pferd, ein Banner, was immer ihr Gewißheit verschaffen könnte. Ein paarmal glaubte sie, eine Bewegung zu sehen, aber die Gebäude waren weit entfernt, und möglicherweise täuschte sie sich. Einmal hörte sie jedoch das Wiehern eines Pferdes.

Die Luft war voller Vögel, vor allem Krähen. Aus der Ferne waren sie nicht größer als Fliegen, die über den Strohdächern kreisten. Im Osten bildete das God's Eye eine blaue, gleißende Fläche, welche die halbe Welt einzunehmen schien. An manchen Tagen, während sie langsam am schlammigen Ufer entlangzogen (Gendry wollte alle Straßen vermeiden, und sogar Heiße Pastete und Lommy sahen das ein), lockte Arya der See sehr. Zu gern wäre sie in das stille Blau gesprungen, um sich endlich einmal wieder sauber zu fühlen, um zu schwimmen und in der Sonne zu baden. Aber sie wagte nicht, ihre Kleider abzulegen, solange die anderen dabei waren, nicht einmal zum Waschen. Am Ende eines Tages saß sie oft auf einem Felsen und ließ die Füße ins kalte Wasser hängen. Ihre verschlissenen und verrotteten Schuhe hatte sie schließlich weggeworfen. Zuerst war es schwer, barfuß zu gehen, irgendwann waren die Blasen allerdings aufgeplatzt und schließlich verheilt, und inzwischen hatten sich ihre Sohlen in Leder verwandelt. Der Schlamm war weich zwischen den Zehen, und sie genoß es, beim Gehen die Erde unter den Füßen zu spüren.

Von hier oben konnte sie ein kleines bewaldetes Inselchen im Nordosten sehen. Dreißig Meter vor dem Ufer glitten drei schwarze Schwäne gelassen über das Wasser… ihnen hatte niemand erzählt, daß der Krieg ins Land gekommen war, und die verbrannten Städte und die niedergemetzelten Menschen waren ihnen gleichgültig. Sehnsuchtsvoll beobachtete sie die Tiere. Gern wäre sie selbst ein Schwan gewesen. Aber genauso gern hätte sie einen gegessen. Zum Frühstück hatte es zerstampfte Eicheln und ein paar Käfer gegeben. Käfer schmeckten gar nicht so schlecht, wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hatte. Würmer waren schlimmer, aber trotzdem besser als der Schmerz im Bauch nach Tagen ohne Essen. Außerdem waren Käfer leichter zu finden, man brauchte nur einen Stein umzudrehen. Als Kind hatte Arya einmal einen Käfer gegessen, nur um Sansa zu erschrecken, und deshalb fiel es ihr nun nicht so schwer, einen weiteren zu schlucken. Wiesel hatte damit auch keine Probleme, doch Heiße Pastete hatte seinen ersten Käfer wieder hochgewürgt, und Lommy und Gendry hatten es gar nicht erst probiert. Gestern hatte Gendry einen Frosch gefangen und ihn sich mit Lommy geteilt, und vor ein paar Tagen hatte Heiße Pastete Brombeeren gefunden und den Busch leergepflückt. Im wesentlichen lebten sie jedoch von Wasser und Eicheln. Kurtz hatte ihnen gezeigt, wie man die Eicheln zwischen zwei Steinen zu einem Brei zerquetschte. Es schmeckte widerlich.

Sie wünschte nur, Kurtz, der Wilddieb, wäre nicht gestorben. Er hatte sich im Wald ausgekannt, nur leider hatte ihn im Bergfried ein Pfeil in die Schulter getroffen, während er die

Leiter einzog. Tarber hatte die Wunde mit Schlamm und Moos bedeckt, und ein oder zwei Tage hatte Kurtz geschworen, die Verletzung sei nur ein lächerlicher Kratzer, obwohl das Fleisch am Hals dunkel wurde, derweil rote Striemen zum Kinn zogen und von dort zur Brust hinunter. Eines Morgens fehlte ihm die Kraft, aufzustehen, und am nächsten war er tot.

Sie begruben ihn unter Steinen, und Cutjack hatte sein Schwert und sein Jagdhorn für sich beansprucht, Tarber hatte sich den Bogen, die Stiefel und das Messer genommen. Sie hatten alles mitgenommen, als sie aufbrachen. Zuerst glaubten Arya und die anderen, die beiden wären auf der Jagd und würden bald mit Wild zurückkehren. So warteten und warteten sie, bis Gendry sie schließlich weiterscheuchte. Vielleicht dachten Tarber und Cutjack, sie hätten ohne eine Schar Waisenjungen bessere Chancen, sich durchzuschlagen. Vermutlich stimmte das sogar, allerdings besänftigte das kaum ihren Haß auf die zwei.

Unten auf dem Boden bellte Heiße Pastete wie ein Hund. Kurtz hatte die Idee gehabt, sich mit Tierlauten untereinander zu verständigen. Das sei ein alter Wilderertrick, hatte er gesagt, nur war er leider gestorben, ehe er ihnen beibringen konnte, wie man diese Laute richtig nachahmte. Die Vogelschreie von Heiße Pastete waren fürchterlich. Sein Hund war besser, wenn auch nicht viel.

Arya hüpfte auf einen tieferen Ast und streckte die Hände aus, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Eine Wassertänzerin stürzt niemals. Ihre Zehen klammerten sich um den Ast, sie ging ein paar Schritte, sprang auf den nächst tieferen, kräftigeren und hangelte sich dann durch die Blätter bis zum Stamm. Die Rinde fühlte sich rauh unter ihren Fingern und Zehen an. Rasch kletterte sie hinunter, sprang die letzten zwei Meter und rollte sich bei der Landung ab.

Gendry reichte ihr die Hand und zog sie auf die Beine.»Du warst lange dort oben. Was hast du gesehen?«

«Ein kleines Fischerdorf am Ufer im Norden. Sechsundzwanzig Strohdächer, und eins mit Schiefer. Und einen Wagen habe ich auch entdeckt. Dort ist jemand.«

Beim Klang ihrer Stimme kroch Wiesel aus dem Gebüsch hervor. Lommy hatte sie so genannt. Er meinte, die Kleine sähe aus wie ein Wiesel, was nicht stimmte, aber sie konnten sie doch nicht mehr» weinendes Mädchen «nennen, nachdem sie zu weinen aufgehört hatte. Ihr Mund war dreckig. Hoffentlich hatte sie nicht wieder Schlamm gegessen.

«Hast du Menschen gesehen?«erkundigte sich Gendry.

«Vor allem Dächer«, gestand Arya ein,»immerhin kam aus ein paar Schornsteinen Rauch, und ein Pferd hat gewiehert. «Wiesel schlang die Arme um ihr Bein und klammerte sich fest. Das tat sie in letzter Zeit häufiger.

«Wo Menschen sind, gibt es auch etwas zu essen«, sagte Heiße Pastete, viel zu laut. Gendry versuchte ihm ständig einzuschärfen, leiser zu sein, jedoch ohne Erfolg.»Vielleicht teilen sie mit uns.«

«Vielleicht bringen sie uns auch um«, erwiderte Gendry.

«Nicht, wenn wir uns ergeben«, meinte Heiße Pastete voller Hoffnung.

«Jetzt hörst du dich schon an wie Lommy. «Lommy Grünhand saß zwischen zwei dicken Wurzeln einer Eiche. Beim Kampf am Bergfried hatte ihn ein Speer in die Wade getroffen. Am Ende des nächsten Tages mußte er, von Gendry gestützt, auf einem Bein humpeln, und jetzt konnte er nicht einmal mehr das. Sie hatten Äste von Bäumen gehackt und eine Bahre für ihn gebaut, kamen aber auf diese Weise nur langsam voran, außerdem war es harte Arbeit für sie, und Lommy jammerte bei jeder kleinen Erschütterung.

«Wir müssen uns ihnen ergeben«, schlug Lommy vor.»Das hätte Yoren auch tun sollen. Er hätte ihnen die Tore öffnen sollen.«

Arya hatte Lommys Gerede darüber, was Yoren hätte tun sollen, satt. Wenn sie ihn trugen, kannte er stets nur ein Gesprächsthema: die Schmerzen in seinem Bein und seinen leeren Bauch.

Heiße Pastete freilich stimmte Lommy zu.»Sie haben Yoren aufgefordert, die Tore zu öffnen, im Namen des Königs. Dann muß man auch gehorchen. Das war alles die Schuld dieses stinkenden alten Kerls. Wenn er sich ergeben hätte, härten sie uns auch in Ruhe gelassen.«

Gendry runzelte die Stirn.»Ritter und Lords nehmen sich gegenseitig als Gefangene und verlangen Lösegelder. Ob sich jemand wie du ergibt, ist ihnen gleichgültig. «Er drehte sich zu Arya um.»Was hast du sonst noch entdeckt?«

«Wenn es ein Fischerdorf ist, verkaufen sie uns Fische, wette ich«, mischte sich Heiße Pastete ein. Im See schien es von Fischen nur so zu wimmeln, allerdings hatten sie nichts, womit sie sie hätten fangen können. Arya hatte es mit den Händen versucht, wie sie es bei Koss beobachtet hatte, aber Fische waren schneller als Tauben, und das Wasser spielte ihren Augen außerdem Streiche.

«Von Fischen weiß ich nichts. «Arya zupfte an Wiesels verfilztem Haar und dachte, man solle es am besten abschneiden.»Am Wasser sind Krähen. Da muß etwas Totes liegen.«

«Fische, die angespült wurden«, meinte Heiße Pastete.»Wenn die Krähen sie fressen, können wir's auch, wetten?«

«Wir sollten lieber Krähen fangen und die essen«, sagte Lommy.»Über einem Feuer könnte man sie wie Hühner rösten.«

Gendry sah mit seiner finsteren Miene furchteinflößend aus. Sein Bart war dicht geworden und kohlrabenschwarz.»Ich habe gesagt, kein Feuer.«

«Lommy hat Hunger«, jammerte Heiße Pastete,»und ich auch.«»Wir haben alle Hunger«, gab Arya zurück.»Du nicht. «Lommy spuckte aus.»Würmerfresser.«

Arya hätte ihm am liebsten gegen die Wunde getreten.»Ich habe dir angeboten, auch für dich Würmer auszubuddeln. Du brauchst es nur zu sagen.«

Lommy verzog angewidert das Gesicht.»Wenn mein Bein nicht wäre, würde ich uns ein paar Wildschweine jagen.«

«Ein paar Wildschweine«, höhnte sie.»Um Wildschweine zu jagen, braucht man einen Schweinespeer und Pferde und Hunde und Männer, die das Schwein aus dem Gebüsch scheuchen. «Ihr Vater hatte im Wolfswald mit Robb und Jon Keiler gejagt. Einmal hatte er sogar Bran mitgenommen, bloß Arya nicht, obwohl sie älter war. Septa Mordane hatte immer gesagt, Wildschweinjagd sei nichts für Damen, und Mutter hatte ihr einen eigenen Falken versprochen, wenn sie ein bißchen älter wäre. Jetzt war sie älter, aber hätte sie einen Falken gehabt, hätte sie ihn gegessen.

«Was weißt du denn schon von der Wildschweinjagd?«wollte Heiße Pastete wissen.

«Mehr als du.«

Gendry war nicht in der Stimmung, sich solches Gerede anzuhören.»Ruhe, und zwar beide. Ich muß darüber nachdenken, was wir unternehmen sollen. «Er machte immer ein so gequältes Gesicht, wenn er grübelte, es schien ihm regelrecht weh zu tun.

«Ergeben«, wiederholte Lommy.

«Ich habe dir gesagt, du sollst den Mund halten. Wir wissen nicht einmal, wer dort in dem Dorf ist. Vielleicht können wir etwas zu essen stehlen.«

«Lommy könnte stehlen, wenn sein Bein in Ordnung wäre«, sagte Heiße Pastete.»In der Stadt war er ein Dieb.«

«Ein schlechter Dieb«, warf Arya ein.»Sonst hätte man ihn

nicht erwischt.«

Gendry blinzelte in die Sonne.»Die beste Zeit, ein wenig herumzuschnüffeln, ist bei Einbruch der Dunkelheit. Ich werde ein wenig kundschaften, sobald es dunkel ist.«

«Nein, ich gehe«, widersprach Arya.»Du machst zu viel Lärm.«

Gendry bekam plötzlich diesen seltsamen Ausdruck in den Augen.»Wir gehen zusammen.«

«Arry sollte gehen«, meinte Lommy.»Er kann besser schleichen.«

«Wir gehen zusammen, habe ich gesagt.«

«Und wenn ihr nicht zurückkommt? Heiße Pastete kann mich allein nicht tragen, das weißt du ganz genau…«

«Und es gibt Wölfe hier«, ergänzte Heiße Pastete.»Letzte Nacht habe ich sie gehört, als ich Wache hatte. Sie waren gar nicht weit entfernt.«

Arya hatte sie ebenfalls gehört. Sie hatte im Geäst einer Ulme geschlafen, aber das Geheul hatte sie geweckt. Eine gute Stunde hatte sie dagesessen und ihnen gelauscht, wobei ihr wieder und wieder eine Gänsehaut über den Rücken gekrochen war.

«Und wir dürfen nicht einmal ein Feuer anzünden, um sie uns vom Leib zu halten«, sagte Heiße Pastete.»Das ist doch nicht gerecht, uns mit den Wölfen ganz allein zu lassen.«

«Niemand läßt euch allein«, entgegnete Gendry empört.»Lommy hat seinen Speer, wenn die Wölfe kommen, und du bist schließlich auch dabei. Wir gehen nur kurz nachschauen; dann kommen wir wieder.«

«Wer immer dort ist, ihr solltet euch ihnen ergeben«, jammerte Lommy.»Ich brauche Medizin für mein Bein, die Schmerzen sind unerträglich.«

«Falls wir irgendwelche Beinmedizin finden, bringen wir sie

mit«, versprach Gendry.»Arry, machen wir uns auf den Weg. Ich möchte so nah wie möglich bei dem Dorf sein, bevor die Sonne untergeht. Heiße Pastete, du behältst Wiesel bei dir. Sie darf uns auf keinen Fall folgen.«

«Letztes Mal hat sie mich getreten.«

«Ich trete dich auch, wenn du sie nicht hier behältst. «Ohne eine Antwort abzuwarten, setzte Gendry seinen Helm auf und marschierte los.

Arya mußte sich beeilen, um nicht zurückzubleiben. Gendry war fünf Jahre älter und einen Fuß größer als sie, und lange Beine hatte er außerdem. Eine Weile lang sagte er nichts, sondern stürmte nur mit verärgerter Miene zwischen den Bäumen hindurch. Schließlich blieb er stehen.»Ich glaube, Lommy wird sterben.«

Es überraschte sie nicht. Kurtz war auch an seiner Wunde gestorben, und er war viel kräftiger gewesen. Wann immer Arya an der Reihe gewesen war, Lommy zu tragen, hatte sie die Hitze seiner Haut gespürt und den Gestank gerochen, der von seinem Bein ausging.»Vielleicht finden wir einen Maester… «

«Maester gibt es nur in Burgen, und selbst wenn wir zufällig auf einen stoßen, würde der sich vermutlich nicht die Hände an jemandem wie Lommy beschmutzen. «Gendry duckte sich unter einem niedrigen Ast hindurch.

«Das stimmt nicht. «Maester Luwin half bestimmt jedem, der zu ihm kam, da war sie sich ganz sicher.

«Er wird sterben und je eher, desto besser für uns andere. Wir sollten ihn einfach zurücklassen, wie er es sagt. Wenn du oder ich an seiner Stelle wären, würde er das auch tun, das weißt du. «Sie stiegen einen steilen Hang hinauf und hielten sich auf der anderen Seite an Wurzeln fest, als es wieder hinunterging.»Ich habe es satt, ihn zu tragen, und ich habe sein Gerede darüber, wir sollten uns ergeben, ebenfalls satt. Wenn er stehen könnte, würde ich ihm die Zähne einschlagen. Lommy ist zu nichts zu gebrauchen. Und das weinende Mädchen auch nicht.«

«Laß bloß Wiesel in Ruhe, sie hat nur Angst und Hunger. «Arya blickte sich über die Schulter um, aber dieses eine Mal folgte das Mädchen ihnen nicht. Heiße Pastete paßte anscheinend auf sie auf, wie Gendry ihm aufgetragen hatte.

«Sie nutzt uns gar nichts«, wiederholte Gendry stur.»Sie und Heiße Pastete und Lommy halten uns nur auf, und am Ende werden wir ihretwegen noch getötet werden. Du bist der einzige in dem ganzen Haufen, mit dem man etwas anfangen kann. Auch wenn du ein Mädchen bist.«

Arya blieb abrupt stehen.»Ich bin kein Mädchen!«

«Doch, das bist du. Glaubst du, ich wäre genauso dumm wie die anderen?«

«Nein, du bist noch dümmer. Die Nachtwache nimmt keine Mädchen, das weiß doch jeder.«

«Stimmt. Mir ist zwar auch schleierhaft, weshalb Yoren dich mitgenommen hat, aber er hat sicherlich einen Grund gehabt. Trotzdem bist du ein Mädchen.«

«Bin ich nicht!«

«Dann hol deinen Pimmel raus und piß. Na los!«»Ich muß gerade nicht pissen. Wenn ich wollte, könnte ich aber.«»Lügner. Du kannst deinen Pimmel nicht rausholen, weil du keinen hast. Als wir noch dreißig Mann waren, ist es mir nicht aufgefallen, jetzt aber schon. Du gehst immer in den Wald, wenn du pinkelst. Heiße Pastete oder ich tun das nicht. Wenn du kein Mädchen bist, dann bist du ein Eunuch.«»Du bist selbst ein Eunuch.«»Du weißt ganz genau, daß das nicht stimmt. «Gendry lächelte.

«Oder soll ich meinen Pimmel rausholen und es dir beweisen? Ich habe nichts zu verstecken.«

«Doch«, platzte Arya heraus, weil sie verzweifelt das Thema wechseln wollte.»Diese Goldröcke bei dem Gasthaus, die waren hinter dir her, und du hast uns nicht verraten, warum.«

«Ich wünschte, ich hätte selbst eine Ahnung. Yoren wußte es, aber er hat es mir nicht erzählt. Warum, glaubst du, haben sie mich gejagt?«

Arya biß sich auf die Lippen. Sie erinnerte sich daran, was Yoren zu ihr gesagt hatte, an dem Tag, an dem er ihr Haar geschoren hatte. Die Hälfte dieses Haufens würde dich so rasch an die Königin verraten, wie Spucke im Feuer verdampft, für eine Begnadigung und vielleicht ein paar Silberstücke. Und die andere Hälfte würde das gleiche tun, sich allerdings vorher an dir vergehen. Nur Gendry war anders, denn auch ihn wollte die Königin haben.»Ich verrate dir mein Geheimnis, wenn du mir deins anvertraust«, schlug sie vorsichtig vor.

«Ich wollte, ich wüßte es, Arry… heißt du wirklich so, oder hast du einen richtigen Mädchennamen?«

Arya starrte die knorrige Wurzel neben ihren Füßen an. Mit ihrer Verstellung hatte es jetzt ein Ende. Gendry wußte Bescheid, und in ihrer Hose würde sie nichts finden, um ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Nun konnte sie entweder Needle ziehen und ihn töten oder ihm vertrauen. Sie war nicht überzeugt, ob sie ihn wirklich besiegen könnte; er hatte ebenfalls ein Schwert, und er war viel stärker. Blieb also nur die Wahrheit.»Lommy und Heiße Pastete dürfen es nicht erfahren.«

«Werden sie nicht«, schwor er,»nicht von mir.«

«Arya. «Sie hob den Blick und sah ihn an.»Ich heiße Arya. Aus dem Hause Stark.«

«Aus dem Hause…«Es dauerte einen Moment lang, bis er hinzufügte:»Des Königs Rechte Hand hieß Stark. Den sie als Hochverräter hingerichtet haben.«

«Er war kein Hochverräter. Er war mein Vater.«

Gendry riß die Augen auf.»Deshalb hast du also gedacht…«Sie nickte.»Yoren wollte mich nach Winterfell bringen.«»Wenn… du hochgeboren bist… äh… dann seid Ihr ja eine Lady.«

Arya sah an ihrer zerlumpten Kleidung hinunter bis zu den nackten Füßen. Sie betrachtete den Dreck unter ihren Fingernägeln, die verschorften Ellbogen, die zerkratzten Hände. Sepia Mordane würde mich nicht einmal erkennen, möchte ich wetten. Sansa vielleicht, aber sie würde tun, als ob sie mich nicht kennt.»Meine Mutter ist eine Lady, und meine Schwester auch, aber ich war niemals eine.«

«Doch, wart Ihr. Ihr wart die Tochter eines Lords, und Ihr habt in einer Burg gelebt, nicht wahr? Und Ihr… bei den guten Göttern, ich habe nie…«Plötzlich wurde Gendry unsicher, beinahe ängstlich.»Das mit dem Pimmel, das hätte ich nicht sagen sollen und gepißt habe ich auch vor Euch, und all so was. Ich… ich bitte um Verzeihung, M'lady.«

«Hör auf damit!«zischte Arya. Wollte er sie verspotten?» Ich weiß mich höflich zu benehmen, M'lady«, antwortete Gendry, stur wie immer.»Immer wenn hochgeborene Mädchen mit ihren Vätern in den Laden kamen, hat mir mein Meister befohlen, ich solle mich verneigen und nur sprechen, wenn sie mit mir sprachen, und sie M'lady nennen.«

«Wenn du mich weiter M'lady nennst, wird es selbst Heiße Pastete merken. Und mit dem Pissen kannst du es ruhig weiterhin so halten wie bisher.«»Wie M'lady befiehlt.«

Arya stieß ihm mit beiden Händen vor die Brust. Er stolperte über einen Stein und setzte sich mit einem Plumps auf den Allerwertesten.»Was für eines Lords Tochter seid Ihr denn?«fragte er und lachte.

«So eine. «Sie trat ihm in die Seite, aber daraufhin lachte er nur noch lauter.»Lach du nur. Ich werde jedenfalls in den Ort gehen und nachschauen, wer dort ist.«

Die Sonne war bereits tief gesunken; bald würde es zu dämmern beginnen. Und endlich einmal mußte Gendry ihr hinterherlaufe«.»Riechst du das?«

Er schnupperte.»Verfaulter Fisch?«

«Das glaubst du doch selbst nicht.«

«Wir sollten lieber vorsichtig sein. Ich schlage einen Bogen nach Westen und schaue nach, ob es da eine Straße gibt. Muß es schließlich, wenn du einen Wagen gesehen hast. Du nimmst den Weg am Ufer entlang. Falls du Hilfe brauchst, bellst du wie ein Hund.«

«Das ist doch albern. Wenn ich Hilfe brauche, schrei ich Hilfe. «Sie rannte los, ihre nackten Füße verursachten kein Geräusch im Gras. Dann warf sie einen Blick über die Schulter, und er stand immer noch dort und hatte wieder diesen schmerzlichen Ausdruck im Gesicht, der bedeutete, daß er nachdachte. Vermutlich überlegt er sich gerade, daß es nicht fein ist, M'lady Essen stehlen zu lassen. Irgendwie ahnte sie es. Er würde etwas Dummes anstellen.

Der Geruch wurde stärker, je näher sie der Ortschaft kam. Nein, das roch nicht nach verfaultem Fisch. Dieser Gestank war stechender, schlimmer. Sie rümpfte die Nase.

Wo der Wald sich lichtete, nutzte sie das Unterholz als Deckung und schlich von Busch zu Busch, leise wie ein Schatten. Alle paar Meter hielt sie an und lauschte. Beim dritten Mal hörte sie Pferde und die Stimme eines Mannes. Und der Gestank wurde noch schlimmer. So riechen tote Menschen. Während sie mit Yoren und den anderen zusammen durchs Land gezogen war, hatte sie mit diesem Geruch Bekanntschaft gemacht.

Südlich der Ortschaft wuchs ein dichtes Brombeergebüsch. Als sie dort ankam, verloren die langen Schatten, welche die untergehende Sonne warf, ihre Konturen, und die ersten Leuchtkäfer wagten sich hervor. Sie konnte die Strohdächer hinter der Hecke erkennen. Also schlich sie daran entlang, fand eine Lücke, und kroch auf dem Bauch durch die Sträucher, bis sie entdeckte, was den Gestank verursachte.

Neben dem sanft wogenden Wasser des God's Eye war aus rohem, frischem Holz ein langer Galgen errichtet worden, und daran baumelten Wesen, die einst Menschen gewesen waren; die Füße in Ketten, während die Krähen an ihrem Fleisch pickten und von Leiche zu Leiche flatterten. Für jede Krähe waren hundert Fliegen am Werk. Als sich der Wind vom See erhob, schwankte die vorderste Leiche an ihrer Kette. Die Vögel hatten den größten Teil des Gesichts gefressen, und auch ein größeres Tier hatte sich hier gütlich getan. Kehle und Brust waren aufgerissen, und glänzende Gedärme und Sehnen hingen aus dem offenen Bauch. Ein Arm war von der rechten Schulter abgetrennt; die abgenagten, vom Fleisch gesäuberten und aufgebrochenen Knochen erblickte Arya ein paar Meter entfernt.

Sie zwang sich, den nächsten Mann anzuschauen, dann den dahinter und den danach, und sie redete sich ein, sie sei hart wie Stein. Angesichts der zerfetzten und verfaulten Leichen dauerte es einen Augenblick, bis ihr auffiel, daß man sie vor dem Hängen ausgezogen hatte. Sie sahen nicht aus wie nackte Menschen; ja, sie erinnerten kaum mehr an Menschen. Die Krähen hatten ihnen die Augen ausgepickt und das Gesichtsfleisch gefressen. Vom sechsten der langen Reihe war nur ein einziges Bein geblieben, das immer noch in der Kette hing und von jedem Windhauch hin und her bewegt wurde.

Angst schneidet tiefer als Schwerter. Tote Männer konnten ihr nichts tun, aber wer immer sie umgebracht hatte, war dazu durchaus in der Lage. Ein Stück hinter dem Galgen lehnten zwei Männer in Kettenhemden auf ihren Speeren vor einem langen niedrigen Gebäude am Wasser, dem mit dem Schieferdach. Zwei hohe Stangen waren davor in den Boden gebohrt worden, und von jeder hing ein Banner. Eins war rot, das andere heller, weiß oder gelb vielleicht, aber beide hingen schlaff herunter, und in der Dämmerung war sich Arya nicht einmal sicher, ob es sich um das tiefe Rot der Lannisters handelte. Ich brauche den Löwen nicht zu sehen; bei all den Leichen, wer sollte das sonst sein, außer den Lannisters? Dann hörte sie einen Ruf.

Die beiden Speerträger drehten sich um, und ein dritter Mann kam in Sicht, der einen Gefangenen vor sich herschob. Es war inzwischen zu dunkel, um die Gesichter zu erkennen, doch trug der Gefangene einen glänzenden Stahlhelm, und als Arya die Hörner sah, wußte sie, daß es Gendry war. Du blöder, blöder, BLÖDER Kerl! dachte sie. Wenn er hier gewesen wäre, hätte sie ihn gleich noch einmal getreten.

Zwar sprachen die Wachen laut miteinander, trotzdem waren sie zu weit entfernt, und so konnte Arya nichts verstehen, vor allem auch, weil die Krähen laut krächzten und flatterten. Einer der Speerträger riß Gendry den Helm vom Kopf und stellte ihm eine Frage. Die Antwort schien ihm nicht zu gefallen; er schlug mit dem Speerschaft zu und stieß Aryas Freund zu Boden. Der Mann, der ihn gebracht hatte, versetzte ihm einen Tritt, während der dritte den Helm aufprobierte. Schließlich zerrten sie Gendry auf die Beine und marschierten mit ihm zum Lagerhaus hinüber. Als sie die schwere Holztür öffneten, kam ein kleiner Junge herausgeschossen, den eine der Wachen am Arm packte und wieder ins Innere schleuderte. Arya hörte ein Schluchzen und dann einen lauten Schmerzensschrei, bei dem sie sich vor Schreck auf die Lippen biß.

Die Wachen stießen Gendry hinein und verriegelten die Tür hinter ihm. In diesem Augenblick wehte ein Wind vom See herüber, und die Banner blähten sich. Das eine trug tatsächlich den goldenen Löwen, wie sie befürchtet hatte. Auf dem anderen zeichneten sich drei schlanke schwarze Formen in buttergelbem Feld ab. Hunde, dachte sie. Irgendwo hatte sie die schon einmal gesehen, aber wo?

Das war im Augenblick nicht wichtig. Wichtig war nur, daß sie Gendry geschnappt hatten. Mochte er noch so stur und blöd sein, sie mußte ihn dort herausholen. Ob sie wohl wußten, daß die Königin hinter ihm her war?

Der eine Speerträger nahm seinen Helm ab und setzte statt dessen Gendrys auf. Bei diesem Anblick stieg Wut in ihr auf, nur leider konnte sie rein gar nichts dagegen tun. Sie meinte, weitere Schreie aus dem fensterlosen Lagerhaus zu hören, die durch das Mauerwerk gedämpft wurden, doch war sie sich dessen nicht sicher.

Also blieb sie lange genug, um den Wachwechsel zu beobachten, und darüber hinaus einiges mehr. Männer kamen und gingen. Sie führten Pferde hinunter zum Bach und tränkten sie. Eine Jagdgesellschaft kehrte aus dem Wald zurück und brachte einen Hirsch mit, der an einer Stange hing. Sie sah zu, wie sie das Tier säuberten und ausweideten und auf der anderen Seite des Bachs ein Feuer anzündeten. Der Duft des bratenden Fleisches vermischte sich eigentümlich mit dem Verwesungsgestank. Ihr leerer Bauch rumorte, und sie fürchtete schon, sie müsse sich übergeben. Die Aussicht auf Essen lockte weitere Männer an, die alle Kettenhemden oder Harnische aus Leder trugen. Nachdem der Hirsch zubereitet war, wurden die besten Stücke in eines der Häuser getragen. Sie überlegte, ob sie im Schutze der Dunkelheit vielleicht zu Gendry schleichen und ihn befreien könnte, aber die Wachen steckten am Feuer Fackeln an. Ein Knappe brachte den beiden, die vor dem Lagerhaus standen, Fleisch und Brot; später gesellten sich zwei andere Kerle zu ihnen, und ein Weinschlauch wurde von Hand zu Hand gereicht. Als er geleert war, verschwanden die beiden Männer, die Wachen jedoch blieben auf ihrem Posten und lehnten sich auf ihre Speere.

Mit steifen Armen und Beinen kroch Arya schließlich unter den Brombeeren hervor und schlüpfte in die Dunkelheit des

Waldes. Heute nacht konnte man kaum die Hand vor Augen sehen, weil nur eine schmale Mondsichel am Himmel stand, die zudem immer wieder von Wolken verdeckt wurde. Leise wie ein Schatten, schärfte sie sich ein, während sie zwischen den Bäumen hindurchging. In dieser Finsternis wagte sie nicht zu laufen, aus Angst, über eine Wurzel zu stolpern oder sich zu verirren. Zur Linken leckte das God's Eye still und sanft an seinen Ufern. Auf der anderen Seite strich der Wind seufzend durch die Zweige und ließ das Laub rascheln. Aus der Ferne hörte sie das Geheul von Wölfen. Lommy und Heiße Pastete machten sich beinahe in die Hose, als sie aus dem Wald hinter ihnen trat.»Still!«forderte sie die beiden auf und legte den Arm um Wiesel, die auf sie zugelaufen kam.

Heiße Pastete starrte sie mit großen Augen an.»Wir dachten, ihr hättet uns im Stich gelassen. «Er hielt das Kurzschwert in der Hand, das Yoren dem Goldrock abgenommen hatte.»Ich hatte schon Angst, du wärst ein Wolf.«

«Wo ist der Bulle?«fragte Lommy.

«Sie haben ihn erwischt«, flüsterte Arya.»Wir müssen ihn befreien. Heiße Pastete, du mußt mir helfen. Nachdem wir uns rangeschlichen haben, töten wir die Wachen, und dann mache ich die Tür auf.«

Heiße Pastete und Lommy wechselten einen Blick.»Wie viele sind es?«

«Ich konnte sie nicht zählen«, gestand Arya ein.»Mindestens zwanzig, aber nur zwei vor der Tür.«

Heiße Pastete sah aus, als würde er im nächsten Moment zu heulen anfangen.»Gegen zwanzig kommen wir nicht an.«

«Du brauchst nur einen zu erledigen. Ich übernehme den anderen, und dann holen wir Gendry raus und geben Fersengeld.«

«Wir sollten uns ergeben«, meinte Lommy.»Einfach zu ihnen gehen und uns ergeben.«

Stur schüttelte Arya den Kopf.

«Dann laß ihn doch einfach da«, flehte Lommy.»Von uns anderen wissen sie nichts. Wenn wir uns verstecken, ziehen sie ab, ganz bestimmt. Ist doch nicht unsere Schuld, daß sie Gendry geschnappt haben.«

«Du bist dumm, Lommy«, hielt ihm Arya wütend entgegen.»Du wirst sterben, wenn wir Gendry nicht befreien. Wer soll dich denn tragen?«

«Heiße Pastete und du.«

«Die ganze Zeit, und ohne Hilfe? Das schaffen wir nie. Gendry ist der kräftigste von uns. Außerdem ist es mir gleichgültig, was du sagst, ich werde zurückgehen. «Sie blickte Heiße Pastete an.»Kommst du mit?«

Heiße Pastete sah erst Lommy, dann Arya und wieder Lommy an.»Ich komme mit«, sagte er widerwillig.

«Lommy, du behältst Wiesel hier.«

Er packte das kleine Mädchen an der Hand und zog es zu sich heran.»Und wenn die Wölfe kommen?«

«Ergib dich«, schlug Arya vor.

Der Rückweg zum Dorf schien Stunden zu dauern. Heiße Pastete stolperte im Dunkeln ununterbrochen und kam vom Weg ab, so daß Arya ständig auf ihn warten mußte. Am Ende nahm sie seine Hand und führte ihn durch den Wald.»Sei einfach nur leise und folge mir. «Als sie den ersten Widerschein der Feuer in der Siedlung am Himmel bemerkten, sagte sie:»Auf der anderen Seite der Hecke hängen tote Männer am Galgen, aber vor denen brauchst du dich nicht zu fürchten. Vergiß nicht: Angst schneidet tiefer als Schwerter. Wir müssen ganz leise und vorsichtig sein. «Heiße Pastete nickte.

Sie kroch unter dem Brombeergebüsch hindurch und wartete geduckt auf der anderen Seite auf ihn. Heiße Pastete tauchte schließlich bleich und keuchend auf, Gesicht und Arme waren blutig gekratzt. Er wollte etwas sagen, doch Arya legte ihm den Zeigefinger auf die Lippen. Auf Händen und Knien krabbelten sie am Galgen entlang, unter den baumelnden Toten hindurch. Heiße Pastete blickte nicht einmal nach oben und gab auch keinen Laut von sich.

Bis eine Krähe auf seinem Rücken landete, und er vor Schreck keuchte.»Wer ist da?«brüllte plötzlich eine Stimme aus der Dunkelheit.

Heiße Pastete sprang auf.»Ich ergebe mich!«Er warf sein Schwert fort, während Dutzende von Krähen unwillig kreischten und um die Leichen herumflatterten. Arya packte sein Bein und versuchte, ihn wieder hinunterzuziehen, aber er riß sich los, rannte vor und fuchtelte mit den Armen:»Ich ergebe mich, ich ergebe mich.«

Sie fuhr hoch und zog Needle; inzwischen jedoch war sie von Männern eingekreist. Entschlossen schlug sie auf den ersten ein, doch der blockte ihren Hieb mit dem stahlgeschützten Arm ab, und jemand anders warf sich auf sie und zerrte sie zu Boden. Ein dritter riß ihr das Schwert aus der Hand. Als sie zu beißen versuchte, spürte sie das kalte, dreckige Eisen eines Kettenhemdes zwischen den Zähnen.»Oho, ein ganz Wilder«, sagte der Mann und lachte. Der Hieb seiner gepanzerten Faust riß ihr fast den Kopf ab.

Sie standen über ihr und unterhielten sich, während sie voller Schmerzen dalag und die Worte nicht verstehen konnte. Ihr dröhnten die Ohren. Als sie versuchte, davonzukrabbeln, schwankte der Boden unter ihr. Sie haben Needle genommen. Die Schande war schlimmer als der Schmerz. Jon hatte ihr das Schwert geschenkt. Syrio hatte ihr beigebracht, wie man damit umging.

Dann packte jemand sie vorn am Wams und zerrte sie auf die Knie. Heiße Pastete kniete ebenfalls, vor dem größten

Mann, den Arya je gesehen hatte, einem Ungeheuer, wie aus einer von Old Nans Geschichten. Woher der Riese aufgetaucht war, hatte sie nicht gesehen. Drei schwarze Hunde zierten seinen verschlissenen gelben Überrock, und sein Gesicht wirkte wie aus Stein gehauen. Plötzlich wußte Arya, wo ihr diese Hunde schon einmal aufgefallen waren. In der Nacht des Turniers in King's Landing hatten alle Ritter ihre Schilde vor ihren Pavillons aufgehängt.»Das da gehört dem Bruder des Bluthundes«, hatte Sansa ihr erklärt, als sie an den schwarzen Hunden in gelbem Feld vorbeigegangen waren.»Er ist noch größer als Hodor, du wirst es sehen. Sie nennen ihn den Reitenden Berg.«

Arya ließ den Kopf sinken, sie war sich nur halb dessen bewußt, was um sie herum vor sich ging. Heiße Pastete ergab sich noch einmal. Der Berg sagte:»Du führst uns jetzt zu den anderen«, und marschierte davon. Dann stolperte sie an den toten Männern am Galgen vorbei, während Heiße Pastete ihren Peinigern erklärte, er würde Pasteten und Torten für sie backen, wenn sie ihm nichts täten. Vier Männer begleiteten sie. Einer trug eine Fackel, einer ein Langschwert; zwei hatten Speere.

Sie fanden Lommy dort, wo sie ihn zurückgelassen hatten, unter der Eiche.»Ich ergebe mich«, rief er sofort. Er warf seinen Speer zur Seite und hob die Hände, die selbst nach so langer Zeit noch vom Färben grün gesprenkelt waren.»Ich ergebe mich. Bitte!«

Der Mann mit der Fackel suchte unter den Bäumen herum.»Bist du der letzte? Der Bäckerjunge sagte, da wäre noch ein Mädchen.«

«Die ist davongelaufen, als sie Euch gehört hat«, berichtete Lommy.»Ihr habt viel Lärm gemacht. «Und Arya dachte: Lauf, Wiesel lauf, so weit du kannst, lauf und versteck dich und komm nie wieder zurück.

«Sag uns, wo wir diesen Hurensohn Dondarrion finden, und du bekommst was Warmes zu essen.«

«Wen?«fragte Lommy verdutzt.

«Ich habe es euch doch gesagt, dieser Haufen weiß auch nicht mehr, als die Weiber im Dorf. Verdammte Zeitverschwendung.«

Einer der Speerträger trat zu Lommy.»Stimmt was nicht mit deinem Bein, Junge?«

«Es ist verletzt.«

«Kannst du gehen?«Er klang besorgt.

«Nein«, erwiderte Lommy,»Ihr müßt mich tragen.«

«Meinst du?«Der Mann hob beiläufig den Speer und trieb die Spitze durch den weichen Hals des Jungen. Lommy bekam keine Gelegenheit, sich abermals zu ergeben. Er zuckte einmal zusammen, und das war alles. Nachdem der Kerl seinen Speer herausgezogen hatte, sprudelte das Blut wie eine Fontäne hervor.»Wir müssen ihn tragen, hat er gesagt«, murmelte er vor sich hin und kicherte.

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