Catelyn

Catelyn schlief inmitten des hügeligen Graslandes und träumte, daß Bran wieder gesund war, daß Arya und Sansa sich an den Händen hielten, daß Rickon noch als Säugling an ihrer Brust lag. Robb spielte ohne Krone auf dem Kopf mit einem Holzschwert, und nachdem endlich alle schliefen, fand sie Ned lächelnd in ihrem Bett vor.

Süß war der Traum, süß und viel zu rasch vorüber. Die Dämmerung nahte ohne Erbarmen, wie ein Dolch aus Licht. Einsam und erschöpft erwachte sie; erschöpft vom Ritt, erschöpft vom Schmerz, erschöpft von der Pflicht. Ich möchte weinen. Ich möchte Trost. So leid bin ich es, stark zu sein. Ich möchte einmal töricht sein und mich fürchten dürfen. Nur für eine Weile, das ist alles… einen Tag lang… eine Stunde…

Vor ihrem Zelt waren die Männer bereits wach. Sie hörte das Wiehern der Pferde, Shadd, der sich über seinen steifen Rücken beschwerte, Ser Wendel, der nach seinem Bogen verlangte. Catelyn wünschte, sie würden alle verschwinden. Gute Männer waren sie, treu dazu, und dennoch war sie ihrer Gegenwart müde. Sie sehnte sich nach ihren Kindern. Eines Tages, versprach sie sich, würde sie sich gestatten, weniger stark zu sein.

Aber nicht heute. Heute durfte es nicht sein.

Ihre Finger kamen ihr noch ungeschickter vor als gewöhnlich, während sie ihre Kleider anlegte. Eigentlich mußte sie schon dankbar sein, daß sie ihre Hände überhaupt gebrauchen konnte, dachte sie. Der Dolch war aus valyrischem Stahl geschmiedet gewesen, und valyrischer Stahl schnitt tief. Man brauchte sich nur die Narben anzuschauen.

Draußen rührte Shadd Haferbrei in einem Kessel, derweil Ser Manderly dasaß und die Sehne seines Bogens spannte.

«Mylady«, grüßte er, als Catelyn heraustrat.»Im Gras halten sich Vögel versteckt. Wäre Euch eine gegrillte Wachtel zum Frühstück recht?«

«Haferbrei und Brot werden genügen… für uns alle, denke ich. Wir haben noch viele Meilen vor uns, Ser Wendel.«

«Wie Ihr wünscht, Mylady. «Auf dem Mondgesicht des Ritters erschien der Ausdruck von Niedergeschlagenheit, die Spitzen seines großen Walroßschnurrbarts zuckten vor Enttäuschung.»Haferbrei und Brot, was könnte besser sein?«Er war einer der fettesten Männer, die Catelyn je kennengelernt hatte, doch wie sehr er gutes Essen auch genoß, seine Ehre war ihm wichtiger.

«Habe ein paar Nesseln gefunden und Tee gekocht«, verkündete Shadd.»Möchten Mylady einen Becher?«»Ja, gern, danke.«

Sie hielt den Tee in den vernarbten Händen und blies darauf, um ihn abzukühlen. Shadd stammte aus Winterfell. Robb hatte ihr zwanzig seiner besten Männer mitgegeben, damit sie Renly sicher erreichte, und außerdem fünf Lords, deren Namen und hohe Geburt ihrer Mission mehr Gewicht und Ehre verleihen würden. Auf dem Weg nach Süden mieden sie Städte und Burgen, dennoch hatten sie bereits häufiger Banden von gepanzerten Kriegern gesehen und in der Ferne am östlichen Horizont Rauch entdeckt. Bislang hatte es allerdings niemand gewagt, sie zu belästigen. Sie waren zu wenige, um eine Bedrohung darzustellen, zu viele für eine leichte Beute. Hätten sie erst den Blackwater erreicht, läge das schlimmste hinter ihnen. In den vergangenen vier Tagen waren sie auf keine Spuren des Krieges mehr gestoßen.

Catelyn hatte diese Reise nicht gewollt. Das hatte sie Robb auch gesagt, noch in Riverrun.»Als ich Renly das letzte Mal gesehen habe, war er so alt wie Bran. Ich kenne ihn gar nicht. Schickt jemand anderes. Mein Platz ist hier, an der Seite

meines Vaters, denn viel Zeit bleibt ihm nicht mehr.«

Ihr Sohn hatte ihr unglücklich in die Augen geschaut.»Es gibt niemanden außer Euch, den ich entsenden kann. Ich selbst kann nicht gehen. Euer Vater ist zu krank. Der Blackfish ist mein Auge und Ohr, ich wage es nicht, ihn zu schicken. Euren Bruder brauche ich, damit er Riverrun hält, wenn wir uns in Marsch setzen… «

«In Marsch setzen?«Niemand hatte ihr darüber auch nur ein Sterbenswörtchen gesagt.

«Ich kann nicht hier in Riverrun sitzen und auf Frieden warten. Dadurch erwecke ich den Eindruck, ich würde mich vor der Schlacht fürchten. Sobald es keine Schlachten zu schlagen gibt, denken die Männer an ihr Heim und ihre Ernte, das hat mir Vater beigebracht. Selbst meine Nordmannen werden unruhig.«

Meine Nordmannen, dachte sie. Jetzt redet er schon wie ein König.»Noch nie ist jemand an Unruhe gestorben, aber überstürzt zu handeln, ist etwas anderes. Wir haben die Saat ausgebracht, lassen wir sie aufgehen.«

Robb schüttelte stur den Kopf.»Wir haben ein paar Samen in den Wind gestreut, mehr nicht. Wenn Eure Schwester Lysa uns zu Hilfe kommen wollte, hätte sie uns darüber längst in Kenntnis gesetzt. Wie viele Vögel haben wir bereits zur Eyrie geschickt, vier? Auch ich möchte Frieden, doch weshalb sollten mir die Lannisters irgend etwas schenken, während ich hier herumsitze und meine Armee dahinschmilzt wie der Sommerschnee?«

«Anstatt den Eindruck eines Feiglings zu machen, tanzt Ihr lieber nach Lord Tywins Pfeife?«hielt sie ihm entgegen.»Er will, daß Ihr nach Harrenhal marschiert, fragt nur Euren Onkel Brynden — «

«Ich habe nicht von Harrenhal gesprochen«, unterbrach sie Robb.»Also, geht Ihr nun für mich zu Renly, oder muß ich den

Greatjon schicken?«

Bei dieser Erinnerung stahl sich ein mattes Lächeln auf ihr Gesicht. Solch ein offensichtliches Spiel, und trotzdem durchtrieben für einen fünfzehnjährigen Knaben. Robb wußte genau, wie ungeeignet Greatjon Umber war, um mit Renly zu verhandeln, und ihm war auch klar, daß sie dies auch wußte. Was konnte sie tun, außer zuzustimmen und dafür zu sorgen, ihren Vater bei ihrer Rückkehr noch lebend vorzufinden? Hätte sich Lord Hoster besserer Gesundheit erfreut, wäre er selbst gereist. Und so fiel ihr der Abschied schwer, wahrlich schwer. Er erkannte sie nicht einmal, als sie kam, um ihm Lebewohl zu sagen.»Minisa«, nannte er sie,»wo sind die Kinder? Meine kleine Cat, meine süße Lysa…«Catelyn küßte ihn auf die Stirn und versicherte ihm, seine Lieben seien wohlauf.»Wartet auf mich, Mylord«, fügte sie hinzu, als er die Augen schloß.»Ich habe schon sooft auf Euch gewartet. Jetzt müßt Ihr das gleiche einmal für mich tun.«

Das Schicksal treibt mich wieder und wieder nach Süden, schoß es Catelyn durch den Kopf. Sie hatte Bran und Rickon geschrieben, an ihrem letzten Abend in Riverrun. Ich habe euch nicht vergessen, meine Lieblinge, das müßt ihr mir glauben. Aber euer Bruder braucht mich jetzt mehr. Sie nippte an dem bitteren Tee, und Shadd füllte ihr Haferbrei auf.»Lord Renly ist nicht mehr weit entfernt, wenn die Gerüchte stimmen.«

Und was soll ich ihm sagen, wenn ich ihn finde? Daß mein Sohn ihn nicht als den wahren König anerkennt? Sie freute sich nicht auf dieses Treffen. Gewiß brauchten sie Freunde und keine weiteren Feinde, aber Robb würde niemals das Knie vor einem Mann beugen, der seiner Ansicht nach keinen berechtigten Anspruch auf den Thron hatte.

Ihre Schüssel war leer, obwohl sie sich kaum daran erinnern konnte, den Haferbrei gegessen zu haben. Sie stellte sie zur Seite.»Zeit zum Aufbruch. «Je eher sie mit Renly sprach, desto früher konnte sie nach Hause zurückkehren. Sie saß als erste im Sattel und gab das Tempo der Kolonne vor. Hal Mollen ritt neben ihr und trug das Banner des Hauses Stark, den grauen Schattenwolf auf eisweißem Feld.

Einen halben Tagesritt vor Renlys Lager wurden sie entdeckt. Robin Flint, der ihre Vorhut bildete, kehrte im Galopp zurück und berichtete, er habe einen Wachposten auf dem Dach einer Windmühle in der Ferne gesehen. Als Catelyns Trupp bei der Mühle ankam, war der Mann längst verschwunden. Sie setzten ihren Marsch fort und hatten kaum eine Meile hinter sich gebracht, da tauchten Renlys Vorreiter vor ihnen auf, zwanzig Mann in Rüstung, die von einem graubärtigen Ritter angeführt wurden, dessen Überrock mit Blauhähern verziert war.

Nachdem dieser ihre Banner gesehen hatte, trabte er allein heran.»Mylady«, rief er,»ich bin Ser Colen von Greenpools. Ihr reist durch ein gefährliches Gebiet.«

«Wir kommen in einer dringenden Angelegenheit zu Euch«, antwortete sie.»Ich bin die Gesandte meines Sohns, Robb Stark, König des Nordens, um mit Renly Baratheon, dem König des Südens, zu verhandeln.«

«König Renly wurde zum König aller Sieben Königslande gekrönt und gesalbt, Mylady«, gab Ser Colen zurück, wenn auch höflich.»Seine Gnaden lagert mit seinem Heer bei Bitterbridge, wo die Roseroad den Mander kreuzt. Es wäre mir eine große Ehre, Euch zu ihm zu geleiten. «Der Ritter hob eine gepanzerte Hand, und seine Männer bildeten eine doppelte Reihe an den Flanken von Catelyn und ihrer Eskorte. Geleiten oder gefangennehmen? fragte sie sich. Doch mußte sie wohl oder übel auf Ser Colens Ehre und die Lord Renlys vertrauen.

Den Rauch der Feuer bemerkten sie bereits eine Stunde, bevor sie den Fluß erreichten. Dann vernahmen sie den Lärm, ein undeutliches Rauschen wie das eines fernen Meeres, das über die Bauernhöfe und Felder und die hügelige Ebene hinweggrollte und lauter wurde, je näher sie kamen. Als sie schließlich vor dem schlammigen braunen Wasser des Manders standen, der in der Sonne glitzerte, konnten sie Stimmen von Männern ausmachen, Rasseln von Stahl, Wiehern von Pferden. Dennoch hatten weder Rauch noch Lärm sie auf das Heer selbst vorbereitet.

Tausende von Feuern füllten die Luft mit einem bleichen Dunst. Die Reihen der angepflockten Pferde erstreckten sich über Meilen. Gewiß hatte man für die vielen Fahnenstangen einen ganzen Wald gefällt. Große Belagerungsmaschinen standen entlang des Grassaums der Roseroad, Katapulte verschiedener Art und Sturmböcke auf Rollen. Die stählernen Spitzen von Piken flammten rot im Sonnenlicht auf, als wären sie bereits mit Blut beschmiert, während sich die Pavillons der Ritter und hohen Lords aus dem Gras erhoben wie seidene Pilze. Sie sah Männer mit Speeren und Männer mit Schwertern, Männer, die Stahlhelme und Kettenhemd trugen, Lagerhuren, die ihre Verführungskünste aufboten, Pfeilmacher, Fuhrleute auf Wagen, Schweinehirten, die ihre Tiere hüteten, Pagen, die Botschaften hin und her trugen, Knappen, die Schwerter wetzten, Ritter auf Zeltern, Stallburschen, die sich mit widerspenstigen Schlachtrössern abmühten.»Was für ein furchterregender Haufen«, bemerkte Ser Wendel Manderly, während sie die alte Steinbrücke überquerten, die Bitterbridge seinen Namen verlieh.»In der Tat«, stimmte Catelyn zu.

Fast die gesamte Ritterschaft des Südens war Renlys Ruf gefolgt. Überall sah man die goldene Rose von Highgarden: auf der rechten Brust von Kriegern und Dienern, auf grünen Seidenbannern, die Lanzen und Piken zierten, auf den Schilden, die vor den Pavillons der Söhne und Brüder und Vettern und Onkels des Hauses Tyrell hingen. Auch den Fuchs und die Blumen des Hauses Florent erspähte Catelyn, die roten und grünen Äpfel der Fossoways, Lord Tarlys schreitenden

Jägersmann, Eichenblätter für Oakheart, Kraniche für Crane, eine Wolke schwarz-orangefarbener Schmetterlinge für die Mullendores.

Jenseits des Manders hatten die Sturmlords ihre Standarten aufgepflanzt — Renlys eigentliche Vasallen, die dem Hause Baratheon und Storm's End verschworen waren. Catelyn entdeckte Bryce Carons Nachtigallen, die Federkiele von Penrose und Lord Estermonts Meeresschildkröte, grün auf grün. Und für jeden Schild, den sie kannte, gab es ein Dutzend ihr fremde, die von kleineren Lords getragen wurden, welche wiederum den Vasallen den Treueeid geleistet hatten, dazu landlose Ritter, die in Scharen herbeigeeilt waren, um Renly Baratheons Anspruch auf den Königstitel die nötige Rückendeckung zu verleihen.

Hoch über allen anderen flatterte Renlys Banner im Wind. Auf dem höchsten Belagerungsturm, einem riesigen, fahrbaren Ungeheuer aus Eichenholz, wehte die größte Fahne, die Catelyn je zu Gesicht bekommen hatte — ein Tuch, das den Boden mancher Halle wie ein Teppich bedeckt hätte. Es schimmerte golden und war mit dem gekrönten schwarzen Hirsch der Baratheons geschmückt, der sich stolz zu seiner vollen Größe erhob.

«Mylady, hört Ihr den Lärm?«fragte Hallis Mollen und ritt zu ihr heran.»Was ist das?«

Sie lauschte. Rufe, Wiehern von Pferden, Krachen von Stahl und — »Jubel«, antwortete sie. Bisher waren sie einen sanften Hügel hinauf auf eine Reihe von Pavillons zugeritten. Als sie diese jetzt passierten, wurde das Gedränge dichter und der Lärm lauter. Dann sah sie es.

Vor den steinernen Mauern einer kleinen Burg war ein Turnier im Gange.

Auf einem Feld hatte man eine Kampfbahn und Tribünen errichtet. Hunderte von Zuschauern hatten sich versammelt, vielleicht Tausende. Der aufgewühlten und von zersplitterten Lanzen übersäten Erde nach zu urteilen, fanden die Tjosts bereits seit gestern statt, aber jetzt war das Ende anscheinend nah. Nur etwa zwanzig Ritter saßen noch auf den Pferden und maßen sich im Zweikampf, während Beobachter und ausgeschiedene Wettbewerber ihnen zujubelten. Zwei Streitrösser in voller Rüstung krachten gerade gegeneinander und gingen in einem Wirrwarr von Stahl und Pferdefleisch zu Boden.»Ein Turnier«, erkannte Hal Mollen. Er hatte eine Vorliebe dafür, das Offensichtliche laut zu verkünden.

«Oh, ausgezeichnet«, lobte Ser Wendel Manderly, als ein Ritter mit regenbogenfarbig gestreiftem Mantel herumfuhr und einen Rückhandhieb mit einer langen Axt austeilte, der den Schild seines Verfolgers spaltete.

Das Gedränge erschwerte ihnen das Vorankommen.»Lady Stark«, sagte Ser Colen,»wenn Eure Männer so gut wären und hier warten, könnte ich Euch zum König bringen.«

«Wie Ihr meint. «Sie gab den entsprechenden Befehl und mußte die Stimme heben, damit man sie über den Tumult des Turniers hinweg verstand. Ser Colen drängte sein Pferd langsam durch die Menge, und Catelyn folgte ihm. Ein Beifallssturm wurde laut, als ein helmloser rotbärtiger Mann mit einem Greif auf dem Schild von einem großen Ritter in blauer Rüstung aus dem Sattel gestoßen wurde. Sein Stahl schimmerte kobaltblau, auch der stumpfe Morgenstern, den er mit solch tödlicher Wucht schwang, und sein Pferd trug auf der Schabracke das geviertelte Sonne-und-Mond-Wappen des Hauses Tarth.

«Der Rote Ronnet ist gefallen, verdammt und bei den Göttern«, fluchte ein Mann.

«Loras wird sich schon um diese blaue — «antwortete sein Gefährte, doch der Rest seiner Worte ging im Brüllen der Menge unter. Der nächste Recke fiel und blieb unter seinem verletzten Pferd liegen. Beide, Mann und Tier, schrien vor Schmerzen. Knappen eilten zu Hilfe.

Das ist doch Irrsinn, dachte Catelyn. Auf allen Seiten lauern Feinde, das halbe Reich steht in Flammen, und Renly sitzt hier und spielt Krieg wie ein Knabe mit seinem ersten Holzschwert.

Die Lords und Ladys auf der Tribüne waren vom Turniergeschehen ebenso gefesselt wie die anderen Zuschauer. Catelyn erkannte viele von ihnen. Ihr Vater hatte oft mit den Lords des Südens zu tun gehabt, und nicht wenige hatten Riverrun besucht. Dort saß Lord Mathis Rowan, der noch dicker und röter war als früher und dessen goldener Baum sein weißes Wams bedeckte. Unterhalb von ihm entdeckte sie die kleine, zarte Lady Oakheart, und zu ihrer Linken Lord Randyll Tarly von Horn Hill, dessen Großschwert Heartsbane hinter seiner Stuhllehne aufragte. Andere erkannte sie an ihren Wappen, manche jedoch überhaupt nicht.

In ihrer Mitte, seine junge Königin an der Seite, saß lachend ein Gespenst mit goldener Krone.

Wen wundert es, daß sich die Lords mit solcher Leidenschaft um ihn versammeln; er ist der wiedergeborene Robert. Renly war ebenso stattlich, wie es einst Robert gewesen war; langgliedrig und breitschultrig, mit dem gleichen kohlrabenschwarzen, feinen und glatten Haar, denselben tiefblauen Augen, demselben unbeschwerten Lächeln. Der schmale Reif auf seiner Stirn schien ihm gut zu passen. Er war aus weichem Gold geschmiedet, ein fein gearbeiteter Kranz aus Rosen; vorn erhob sich ein Hirschkopf aus grüner Jade, dessen Augen und Geweih aus Gold gefertigt waren.

Auch das grüne Samtgewand des Königs zierte der gekrönte Hirsch; mit Goldfaden gestickt bildete er das Wappen der Baratheons in den Farben von Highgarden. Das Mädchen, welches den Ehrenplatz mit ihm teilte, stammte ebenfalls aus Highgarden: die junge Königin Margaery, die Tochter von

Lord Mace Tyrell. Ihre Heirat war der Mörtel, der das große Bündnis des Südens zusammenhielt. Renly war einundzwanzig, das Mädchen etwa in Robbs Alter, sehr hübsch anzuschauen mit seinen Rehaugen und der lockigen braunen Mähne. Schüchtern lächelte sie lieblich.

Draußen auf dem Feld wurde ein weiterer Recke von dem Ritter im Regenbogenmantel aus dem Sattel gestoßen, und der König fiel in den Beifall der anderen ein.»Loras!«hörte sie ihn rufen.»Loras! Highgarden!«Die Königin klatschte entzückt in die Hände.

Catelyn wandte sich den letzten Kämpfen zu. Vier Mann waren noch übrig, und es gab keinen Zweifel, wem die Gunst des Königs und des gemeinen Volkes galt.

Zwei der restlichen Kontrahenten machten gemeinsame Sache. Sie sprengten auf den Ritter in der kobaltblauen Rüstung zu. Als sie ihn erreicht hatten, zügelte dieser sein Pferd hart, schlug einem der beiden seinen zersplitterten Schild ins Gesicht, während sich sein Streitroß aufbäumte und mit eisenbeschlagenen Hufen nach dem anderen trat. Im Nu lag der eine Rivale am Boden, derweil der andere wankte. Der blaue Ritter ließ den zertrümmerten Schild fallen, damit er den linken Arm frei hatte, und dann griff ihn der Ritter der Blumen an. Das Gewicht des Stahls schien Ser Loras' Grazie und Behendigkeit nicht zu mindern, und sein Regenbogenmantel blähte sich.

Das weiße und das schwarze Pferd drehten sich im Kreis wie Liebende beim Erntetanz, allerdings schenkten die Reiter sich gegenseitig Hiebe statt Küsse. Die lange Axt blitzte auf, der Morgenstern wirbelte. Beide Waffen waren stumpf, dennoch prallten sie mit schrecklichem Krachen aufeinander. Ohne Schild traf es den blauen Ritter härter. Ser Loras ließ Hiebe auf Kopf und Schultern seines Gegners hageln, und die Menge brüllte:»Highgarden!«Der andere wehrte sich mit dem Morgenstern, aber wann immer die Kugel ihr Ziel suchte, blockte Ser Loras sie mit seinem verbeulten grünen Schild ab, auf welchem drei goldene Rosen graviert waren. Dann verhakte sich die Landaxt mit dem Morgenstern, und dem blauen Ritter wurde die Waffe aus der Hand gerissen. Der Ritter der Blumen holte zum letzten Schlag aus.

Der blaue Recke preschte mitten hinein. Die Hengste prallten aufeinander, der stumpfe Axtkopf krachte auf den geborstenen blauen Brustpanzer… aber irgendwie gelang es dem blauen Ritter, das Heft zu packen. Er zerrte Ser Loras die Waffe aus der Hand, die beiden rangen im Sattel, bis beide fielen. Als die Pferde sich voneinander lösten, krachten die Kontrahenten auf den Boden. Loras Tyrell kam unten zu liegen. Der blaue Ritter zog einen langen Dolch und schob Tyrells Visier hoch. Im Geschrei der Menge hörte Catelyn nicht, was Ser Loras sagte, doch konnte sie es von seinen blutigen Lippen ablesen. Ich ergebe mich.

Der Blaue erhob sich taumelnd, wandte sich Renly zu und reckte den Dolch zum Gruß des Siegers an seinen König in die Höhe. Knappen liefen herbei und halfen dem bezwungenen Ritter auf. Nachdem sie diesem den Helm abgenommen hatten, sah Catelyn verblüfft, daß es sich um einen jungen Mann handelte, der kaum zwei Jahre älter als Robb war. Der Junge mochte ebenso gut aussehen wie seine Schwester, doch angesichts der aufgeplatzten Lippe, des leeren Blicks und des Blutes im verfilzten Haar war das schwer zu erkennen.

«Tretet näher!«rief König Renly dem Sieger zu.

Dieser humpelte zur Tribüne. Von nahem betrachtet, wirkte die blaue Rüstung keineswegs mehr so prachtvoll; Brustpanzer und Helm waren mit Beulen und Rissen übersät, die Schwerter und Kriegshämmer und Keulen hinterlassen hatten. Sein Mantel war zerfetzt. Ein paar Zuschauer bejubelten ihn mit» Tarth!«und eigentümlicherweise auch» Die Schöne! Die Schöne!«, doch die meisten schwiegen. Der blaue Ritter kniete vor dem König nieder.»Euer Gnaden«, sagte er, wobei seine

Stimme durch den zerschundenen Helm gedämpft wurde.

«Ihr seid wirklich so gut, wie Euer Vater behauptet hat. «Renly war auf dem ganzen Feld zu verstehen.»Ich habe es bisher nur ein- oder zweimal erlebt, daß jemand Ser Loras aus dem Sattel geworfen hat… jedoch niemals auf diese Weise.«

«Das war ein hinterhältiger Trick«, beschwerte sich ein betrunkener Bogenschütze, der die Rose der Tyrells auf dem Wams trug,»man zieht nicht einfach jemandem vom Pferd.«

Das Gedränge begann sich langsam aufzulösen.»Ser Colen«, sagte Catelyn zu ihrem Begleiter,»wer ist dieser Mann, und weshalb ist er so unbeliebt?«

Ser Colen runzelte die Stirn.»Weil er kein Mann ist, Mylady. Das ist Brienne von Tarth, die Tochter von Lord Selwyn dem Abendstern.«

«Tochter?«fragte Catelyn entsetzt.

«>Brienne die Schöne< wird sie genannt… obwohl ihr das niemand ins Gesicht sagt, denn sonst müßte er ihr dafür im Zweikampf Rede und Antwort stehen.«

König Renly erklärte Lady Brienne von Tarth zur Siegerin des Buhurt in Bitterbridge, da sie als letzte von einhundertsechzehn Rittern noch im Sattel gesessen hatte.»Als Sieger dürft Ihr mir gegenüber einen Wunsch äußern. Falls es in meiner Macht steht, werde ich ihn erfüllen.«

«Euer Gnaden«, antwortete Brienne,»ich bitte um die Ehre, in Eure Regenbogengarde aufgenommen zu werden. Ich möchte einer der Sieben sein und Euch bis in den Tod dienen, Euch folgen, an Eurer Seite reiten und Euch vor allen Gefahren und Bedrohungen schützen.«

«Euer Wunsch ist erfüllt«, sagte er.»Erhebt Euch und nehmt den Helm ab.«

Sie tat wie befohlen. Und nachdem sie den Helm abgesetzt hatte, begriff Catelyn, was Ser Colen gemeint hatte.

Die Schöne wurde sie genannt… welch grausamer Hohn. Ihr Haar war ein Rattennest aus schmutzigem Stroh, und ihr Gesicht… Briennes Augen waren groß und sehr blau, voller Vertrauen und frei von Argwohn, doch der Rest… ihre Züge waren flach und grobschlächtig, die Lippen so fleischig, daß sie aufgequollen wirkten. Tausende von Sommersprossen bedeckten Wangen und Stirn, und die Nase war ihr mehr als einmal gebrochen worden. Mitleid erfüllte Catelyns Herz. Gibt es ein unglücklicheres Wesen als eine häßliche Frau?

Und dennoch, als Renly ihr nun den zerrissenen Umhang abnahm und ihn durch einen regenbogenfarbenen ersetzte, machte Brienne von Tarth keineswegs einen unglücklichen Eindruck. Sie lächelte über das ganze Gesicht, und in ihrer Stimme schwang Stolz mit, als sie verkündete:»Mein Leben werde ich für Euch geben, Euer Gnaden. Von heute an bin ich Euer Schild, das schwöre ich bei den alten Göttern und den neuen. «Es war schmerzlich anzusehen, wie sie den König anblickte — nein, eigentlich, auf ihn hinunterblickte, war sie doch mindestens eine Handbreit größer als Renly, der immerhin so hochgewachsen war wie sein Bruder.

«Euer Gnaden!«Ser Colen von Greenpools schwang sich aus dem Sattel und trat an die Tribüne.»Wenn Ihr erlaubt. «Er beugte das Knie.»Ich bringe Euch Lady Catelyn Stark, die Gesandte ihres Sohnes Robb, Lord von Winterfell.«

«Lord von Winterfell und König des Nordens, Ser«, berichtigte Catelyn ihn. Sie stieg ab und trat neben Ser Colen.

König Renly schien überrascht.»Lady Catelyn? Wir sind höchst erfreut. «Er wandte sich an seine junge Königin.»Margaery, meine Holde, dies ist Lady Catelyn Stark von Winterfell.«

«Ich heiße Euch aufs Herzlichste willkommen, Lady Stark«, sagte das Mädchen sanft und höflich.»Mein Beileid für Euren Verlust.«

«Ihr seid sehr freundlich«, erwiderte Catelyn.»Mylady, ich schwöre Euch, daß sich die Lannisters für den Mord an Eurem Gemahl verantworten werden. Dafür werde ich Sorge tragen«, verkündete der König.»Sobald ich King's Landing eingenommen habe, schicke ich Euch Cerseis Kopf.«

Und bringt mir das meinen Ned zurück? dachte sie.»Es soll reichen, wenn der Gerechtigkeit Genüge getan wird, Mylord.«

«Euer Gnaden!«berichtigte Brienne die Blaue sie scharf.»Und Ihr solltet nieder knien, wenn Ihr vor den König tretet.«

«Der Unterschied zwischen Mylord und Euer Gnaden ist gering, Mylady«, erwiderte Catelyn.»Lord Renly trägt eine Krone, wie auch mein Sohn. Wenn Ihr wünscht, können wir hier im Schlamm stehen und darüber debattieren, welche Titel wem rechtmäßig zustehen, aber ich glaube, es gibt wichtigere Angelegenheiten zu besprechen.«

Einige von Renlys Lords murrten über ihre Worte, doch der König selbst lachte nur.»Wohl gesprochen, Mylady. Für Ehrenbezeugungen bleibt noch genug Zeit, wenn diese Kriege ein Ende gefunden haben. Sagt mir, wann will Euer Sohn gegen Harrenhal ziehen?«

Solange sie nicht wußte, ob dieser König Freund oder Feind war, würde Catelyn ihm nichts über Robbs Pläne verraten.»Ich sitze nicht im Kriegsrat meines Sohnes, Mylord.«

«Solange er mir ein paar Lannisters übrig läßt, werde ich mich nicht beschweren. Was hat er mit dem Königsmörder gemacht?«

«Jaime Lannister ist Gefangener auf Riverrun.«

«Er lebt noch?«Lord Mathis Rowan war bestürzt.

Nachdenklich sagte Renly:»Der Schattenwolf ist wohl gnädiger als der Löwe.«

«Gnädiger als die Lannisters«, murmelte Lady Oakheart und lächelte verbittert,»bedeutet doch nur trockener als das Meer.«

«Ich würde es Schwäche nennen. «Lord Randyll Tarly hatte einen kurzen, borstigen grauen Bart und den Ruf, mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg zu halten.»Bei allem Respekt, Lady Stark, aber wäre es nicht angebrachter gewesen, wenn Lord Robb dem König persönlich gehuldigt hätte, anstatt sich hinter den Röcken seiner Mutter zu verstecken?«

«König Robb führt Krieg, Mylord«, entgegnete Catelyn eisig.»Er hat keine Zeit für Turnierspiele.«

Renly grinste.»Immer sachte, Lord Randyll, ich fürchte, Ihr habt Euch die falsche Gegnerin ausgesucht. «Er rief einen Pagen in der Livree von Storm's End heran.»Such ein Quartier für die Begleiter der Lady und sorg dafür, daß es ihnen an nichts mangelt. Lady Catelyn soll meinen eigenen Pavillon bewohnen. Da mir Lord Caswell freundlicherweise seine Burg zur Verfügung gestellt hat, brauche ich das Zelt nicht. Mylady, nachdem Ihr geruht habt, würden wir uns geehrt fühlen, wenn Ihr heute abend bei Lord Caswells Fest Fleisch und Met mit uns teilen würdet. Ein Abschiedsfest. Ich fürchte, seine Lordschaft kann es kaum erwarten, meine hungrige Horde endlich abziehen zu sehen.«

«Ganz gewiß nicht, Euer Gnaden«, protestierte ein schmächtiger junger Mann, bei dem es sich offenbar um Caswell handelte.»Was mein ist, gehört auch Euch.«

«Wann immer jemand das zu meinem Bruder Robert sagte, hat er ihn beim Wort genommen«, sagte Renly.»Habt Ihr Töchter?«»Ja, Euer Gnaden. Zwei.«

«Dann dankt den Göttern, daß ich nicht Robert bin. Meine holde Königin ist die einzige Frau, die ich begehre. «Er reichte Margaery die Hand, um ihr beim Aufstehen behilflich zu sein.»Wir werden unser Gespräch fortsetzen, wenn Ihr Euch erfrischt habt, Lady Catelyn.«

Renly führte seine Braut auf die Burg zu, während der Page Catelyn zum grünen Seidenpavillon des Königs geleitete.

«Falls Ihr etwas benötigt, braucht Ihr nur danach zu verlangen, Mylady.«

Catelyn konnte sich nichts vorstellen, was sie noch brauchen könnte. Der Pavillon war größer als der Schankraum vieler Gasthäuser und luxuriös ausgestattet: Federmatratzen und Felldecken, eine Holzbadewanne, die groß genug für zwei Personen war, Kohlebecken, die die nächtliche Kälte vertrieben, zusammenklappbare Lederstühle, ein Schreibtisch mit Feder und Tinte, Schalen mit Pfirsichen, Pflaumen und Birnen, eine Karaffe mit Wein und ein passendes Silbergeschirr, Zedernholztruhen mit Renlys Kleidern, Bücher, Karten, Spielbretter, eine Harfe, ein großer Bogen und ein Köcher mit Pfeilen, zwei rotschwänzige Jagdfalken und dazu eine ansehnliche Sammlung feinster Waffen. Geizig ist er nicht, dieser Renly, dachte sie, nachdem sie sich umgeschaut hatte. Kein Wunder, daß sein Heer so langsam vorwärtskommt.

Neben dem Eingang stand die Rüstung des Königs Wache; ein waldgrüner Harnisch, dessen Gelenke vergoldet waren. Den Helm krönte ein großes, goldenes Geweih. Der Stahl war auf Hochglanz poliert, und sie konnte in dem Brustpanzer ihr Spiegelbild sehen, das sie wie aus einem tiefen grünen Teich anstarrte. Das Gesicht einer ertrunkenen Frau. Kann man im Kummer ertrinken? Abrupt wandte sie sich ab und ärgerte sich über ihre Schwäche. Sie mußte sich den Staub aus dem Haar waschen und sich ein passendes Kleid für das Festmahl eines Königs anziehen.

Ser Wendel Manderly, Lucas Blackwood, Ser Perwyn Frey und der Rest ihrer hochgeborenen Eskorte begleiteten sie zur Burg. Die Große Halle von Lord Caswells Bergfried konnte man allenfalls der Höflichkeit wegen als solche bezeichnen, dennoch fand sich auf den dicht gefüllten Bänken Platz für Catelyns Männer zwischen Renlys Rittern. Catelyn wurde auf dem Podest zwischen den rotgesichtigen Lord Mathis Rowan und den liebenswürdigen Ser Jon Fossoway von den

Grünapfel-Fossoways plaziert. Ser Jon unterhielt sie mit Scherzen, derweil Lord Mathis sich freundlich nach der Gesundheit ihres Vaters, ihres Bruders und ihrer Kinder erkundigte.

Brienne von Tarth saß am anderen Ende des hohen Tisches. Sie hatte sich nicht wie eine Dame gekleidet, sondern das Festgewand eines Ritter gewählt, ein Samtwams in rosa und azurblau, dazu Hose und Stiefel und einen edlen Schwertgürtel. Ihr neuer Regenbogenmantel hing über ihren Schultern. Keine Kleidung konnte hingegen ihre Unansehnlichkeit verhüllen; die riesigen sommersprossigen Hände, das breite, flache Gesicht, die vorstehenden Zähne. Ohne Rüstung wirkte ihr Körper ungelenk, mit breiten Hüften, dicken Schenkeln und muskulösen Schultern, doch ohne nennenswerten Busen. Und aus jeder ihrer Handlungen wurde deutlich, daß sie darum wußte und darunter litt. Sie sprach nur, wenn man sie etwas fragte, und hob selten den Blick von ihrem Teller.

Zu speisen gab es reichlich. Dem sagenhaften Reichtum Highgardens hatte der Krieg noch nichts anhaben können. Während Sänger ihre Lieder vortrugen und Akrobaten ihre Kunststücke zeigten, brachte man zuerst Birnen in Wein, worauf winzige, sehr schmackhafte, in Salz eingelegte Fischröllchen folgten, danach mit Zwiebeln und Pilzen gefüllte Kapaune. Große Laibe Brot wurden serviert, Berge von Steckrüben und süßem Mais und Erbsen, riesige Schinken und gebratene Gänse und Platten voller Wildbret. Als Süßspeisen trugen Lord Caswells Diener Küchlein aus der Burgküche auf, Schwäne aus Sahne und Einhörner aus Zuckerwerk, Zitronentörtchen in Form von Rosen, Honigplätzchen und Brombeertorten, Backäpfel und Butterkäse.

Von dem schweren Essen wurde Catelyn fast übel, doch würde sie niemals Schwäche zeigen, wenn so viel von ihrer Stärke abhing. Sie aß in Maßen und beobachtete diesen Mann, der König sein wollte. Renly saß zwischen seiner jungen

Königin und ihrem Bruder. Abgesehen von einem weißen Leinenverband um die Stirn schien Ser Loras am heutigen Tag keine großen Schäden davongetragen zu haben. Er sah tatsächlich so gut aus, wie Catelyn vermutet hatte. Seine Augen funkelten lebhaft und klug, sein Haar hing in braunen Locken herab, um die ihn viele junge Frauen beneidet hätten. Er hatte seinen zerrissenen Mantel nach dem Turnier durch einen neuen ersetzt, aus der gleichen glänzenden, gestreiften Seide von Renlys Regenbogengarde, und ihn mit der goldenen Rose von Highgarden am Hals verschlossen.

Von Zeit zu Zeit steckte König Renly Margaery mit der Dolchspitze einen besonders erlesenen Bissen in den Mund, oder er beugte sich zu ihr hinüber und hauchte ihr einen Kuß auf die Wange, dabei unterhielt er sich jedoch fast ausschließlich mit Ser Loras. Der König genoß Speis und Trank, das war kein Geheimnis, dennoch erwies er sich weder als Vielfraß noch als Trunkenbold. Oft lachte er laut auf, und er sprach gleichermaßen liebenswürdig zu hochgeborenen Lords und gemeinen Dienstmädchen.

Einige Gäste hingegen mäßigten sich weniger. Sie tranken zuviel und prahlten zu laut, jedenfalls für Catelyns Geschmack. Lord Willums Söhne Josua und Elyas stritten heftig darüber, wer von ihnen zuerst auf den Mauern von King's Landing stehen würde. Lord Varner zog eine Magd auf seinen Schoß und küßte sie auf den Hals, während seine Hand erforschte, was unter ihrem Mieder verborgen lag. Guyard der Grüne, der sich selbst einen Sänger nannte, schlug die Harfe an und gab einen Vers darüber zum Besten, wie man einen Knoten in den Schwanz des Löwen machte; ein paar seiner Zeilen reimten sich sogar. Ser Mark Mullendore hatte einen schwarzweißen Affen mitgebracht und fütterte ihn von seinem Teller, Ser Tanton von den Rotapfel-Fossoways stieg auf einen Tisch und schwor, er würde Sandor Clegane im Zweikampf besiegen. Das Gelöbnis hätte vermutlich feierlicher gewirkt, wenn Ser Tanton dabei nicht mit einem Fuß in einer Soßenschüssel gestanden hätte.

Der Höhepunkt an Torheit war erreicht, als ein dicker Narr mit einem Löwenkopf aus Stoff einen Zwerg um die Tische jagte und ihn wieder und wieder mit einer aufgeblasenen Schweinsblase auf den Kopf schlug. Schließlich wollte der König wissen, weshalb er seinen Bruder prügele.»Aber Euer Gnaden, ich bin doch der Kind-und-Kegel-Mörder«, antwortete der Narr.

«Er heißt der Königsmörder, Narr aller Narren«, sagte Renly, und die Gäste brachen in lautes Gelächter aus.

Lord Rowan nahm an der ganzen Fröhlichkeit nicht teil.»Sie sind alle so jung«, sagte er zu Catelyn.

Das war allerdings wahr. Der Ritter der Blume hatte vermutlich noch nicht einmal seinen zweiten Namenstag erreicht, als Robert Prinz Rhaegar am Trident besiegte. Die wenigsten waren viel älter. Während der Plünderung von King's Landing waren sie Kleinkinder gewesen, und höchstens Knaben, als sich Balon Greyjoy auf den Iron Islands zur Rebellion erhob. Sie sind noch unschuldig, dachte Catelyn, derweil sie Lord Bryce beobachtete, der Ser Robar dazu anstachelte, mit zwei Dolchen zu jonglieren. Für sie ist das ein Spiel, ein großes Turnier, und sie sehen darin lediglich die Chance, sich Ruhm und Ehre und Reichtümer zu erwerben. Betrunkene Knaben sind sie, und wie alle Knaben glauben sie von sich, sie seien unsterblich.

«Der Krieg wird sie erwachsen machen«, erwiderte Catelyn,»so wie uns. «Als Robert und Ned und Jon Arryn gegen Aerys Targaryen gezogen waren, war sie ein junges Mädchen gewesen, als die Kämpfe hingegen vorüber waren, eine Frau.»Sie tun mir leid.«

«Weshalb?«fragte Lord Rowan.»Schaut sie Euch an. Sie sind jung und voller Kraft, voller Leben, und sie lachen. Und die Fleischeslust hat sie gepackt, doch wissen sie nicht, wie sie diese ausleben sollen. Heute nacht wird manch ein Bastard gezeugt werden, das verspreche ich Euch. Warum tun sie Euch leid?«

«Weil es nicht von Dauer sein wird«, antwortete Catelyn traurig.»Weil sie Ritter des Sommers sind und der Winter naht.«

«Lady Catelyn, damit habt Ihr unrecht. «Brienne betrachtete sie mit Augen, die so blau wie ihre Rüstung waren.»Für uns wird der Winter niemals kommen. Sterben wir in der Schlacht, wird man Lieder über uns singen, und in den Liedern ist immer Sommer. In den Liedern sind die Ritter edel, die Jungfrauen schön, und stets scheint die Sonne.«

Der Winter kommt für uns alle, dachte Catelyn. Für mich kam er mit Neds Tod. Für Euch, Kind, wird er auch bald da sein, und früher, als Ihr es Euch wünscht. Sie brachte es nicht übers Herz, es laut auszusprechen.

Der König erlöste sie.»Lady Catelyn«, rief Renly ihr zu,»ich würde gern ein wenig frische Luft schnappen. Möchtet Ihr mich begleiten?«

Sofort erhob sich Catelyn.»Ich fühle mich geehrt.«

Brienne stand ebenfalls auf.»Euer Gnaden, laßt mir einen Moment Zeit, damit ich meine Rüstung anlegen kann. Ihr solltet nicht ohne Schutz sein.«

König Renly lächelte.»Wenn ich inmitten von Lord Caswells Burg nicht sicher bin, während mein eigenes Heer um mich versammelt ist, wird ein einziges Schwert daran nichts ändern… nicht einmal Euer Schwert, Brienne. Bleibt sitzen und eßt. Wenn ich Euch brauche, lasse ich Euch rufen.«

Seine Worte trafen die junge Frau anscheinend härter als alle Hiebe, die sie am Nachmittag erhalten hatte.»Wie Ihr wünscht, Euer Gnaden. «Sie setzte sich und schlug die Augen nieder. Renly nahm Catelyns Arm und führte sie aus der Halle. Der

Wachposten davor, der halb gedöst hatte, richtete sich so überstürzt auf, daß ihm fast der Speer aus der Hand fiel. Renly klopfte dem Mann auf die Schulter und machte einen Scherz darüber.

«Hier entlang, Mylady. «Der König trat durch eine niedrige Tür in einen Treppenturm. Auf dem Weg nach oben sagte er:»Ist vielleicht Ser Barristan Selmy bei Eurem Sohn auf Riverrun?«

«Nein«, fragte sie verblüfft zurück.»Ist er nicht mehr bei Joffrey? Er war Lord Commander der Königsgarde.«

Renly schüttelte den Kopf.»Die Lannisters haben ihm gesagt, er sei zu alt, und so haben sie seinen Rock an den Bluthund weitergereicht. Mir wurde berichtet, er habe King's Landing mit dem Schwur verlassen, dem rechtmäßigen König zu dienen. Der Mantel, den sich Brienne heute verdient hat, war derjenige, den ich für Selmy aufgehoben habe, weil ich hoffte, er würde mir sein Schwert anbieten. Da er in Highgarden nicht erschienen ist, dachte ich, vielleicht sei er statt dessen nach Riverrun gezogen.«

«Uns hat er nicht aufgesucht.«

«Er war alt, gewiß, aber dennoch ein guter Mann. Ich hoffe nur, ihm ist nichts zugestoßen. Die Lannisters sind große Narren. «Sie stiegen die letzten Stufen hinauf.»In der Nacht von Roberts Tod habe ich Eurem Gemahl einhundert Männer angeboten und ihn gedrängt, Joffrey in seine Gewalt zu bringen. Hätte er auf mich gehört, wäre er heute Regent, und ich wäre nicht gezwungen, den Thron für mich zu beanspruchen.«

«Ned hat abgelehnt. «Das brauchte man ihr nicht zu sagen.

«Er hatte geschworen, Roberts Kinder zu beschützen«, fuhr Renly fort.»Mir allein mangelte es an der nötigen Stärke, um zu handeln, als Lord Eddard mich also abwies, blieb mir nur eine Wahl: die Flucht. Wäre ich geblieben, hätte die Königin

dafür gesorgt, daß ich meinen Bruder nicht lange überlebe.«

Wäret Ihr geblieben und hättet Ned unterstützt, würde er vielleicht noch leben, dachte Catelyn verbittert.

«Ich habe Euren Gemahl gern gemocht, Mylady. Er war Roberts treuergebener Freund, ich weiß… aber er wollte auf niemanden hören und sich nicht beugen. Hier, ich möchte Euch etwas zeigen. «Sie waren oben angekommen. Renly schob eine Holztür auf, und sie traten hinaus aufs Dach.

Lord Caswells Bergfried war kaum hoch genug, um ihn einen Turm zu nennen, doch das Land war eben und flach, und Catelyn konnte meilenweit in jede Richtung schauen. Wohin sie auch blickte, überall sah sie Lagerfeuer. Sie bedeckten die Erde wie gefallene Sterne, und den Sternen gleich nahmen sie kein Ende.»Zählt sie, wenn Ihr wollt, Mylady«, schlug Renly ihr leise vor.»Freilich werdet Ihr damit noch nicht fertig sein, wenn die Dämmerung im Osten aufzieht. Wie viele Feuer brennen heute nacht um Riverrun?«

Catelyn hörte leise die Musik aus der Großen Halle. Sie wagte es nicht, die Sterne zu zählen.

«Mir wurde mitgeteilt, Euer Sohn habe den Neck mit zwanzigtausend Mann hinter sich überquert«, sagte Renly.»Inzwischen haben sich ihm vielleicht die Lords vom Trident angeschlossen, also könnten es auch vierzigtausend sein.«

Nein, nicht annähernd so viele, wir haben Männer in der Schlacht verloren und andere an die Ernte.

«Ich habe die doppelte Anzahl hier versammelt«, erklärte Renly,»und das ist nur ein Teil meiner Streitmacht. Mace Tyrell bleibt mit weiteren zehntausend in Highgarden, dazu kommt noch die starke Garnison in Storm's End, und bald wird sich Dorne mit mir verbünden. Und vergeßt meinen Bruder Stannis nicht, der auf Dragonstone sitzt und den Befehl über die Lords der Meerenge hat.«

«Mir möchte eher scheinen, Ihr seid derjenige, der in

Hinsicht auf Stannis etwas Wichtiges vergessen hat«, wandte Catelyn schärfer als beabsichtigt ein.

«Seinen Anspruch auf den Thron, meint Ihr?«Renly lachte.»Reden wir offen, Mylady. Stannis würde einen entsetzlichen König abgeben. Und außerdem wird er wohl auch keiner werden. Die Menschen respektieren Stannis, sie fürchten ihn gar, aber nur sehr wenige haben ihn je geliebt.«

«Trotzdem ist er der ältere Bruder. Falls einer von Euch beiden einen rechtmäßigen Anspruch auf den Eisernen Thron hat, dann Lord Stannis.«

Renly zuckte mit den Schultern.»Sagt mir, welches Anrecht mein Bruder Robert auf den Eisernen Thron hatte?«Er wartete ihre Antwort nicht ab.»O ja, dieses Gerede über die Blutsbande zwischen Baratheon und Targaryen, die von Heiraten vor Hunderten von Jahren herrührten, von zweiten Söhnen und ältesten Töchtern. Um solche Geschichten scheren sich allenfalls die Maester. Robert hat sich den Thron mit seinem Streithammer erobert. «Er umfaßte die Feuer, die von Horizont zu Horizont aufflammten, mit einer weiten Geste.»Nun, hier ist mein Recht. Es ist ebenso gut wie das Roberts. Falls Euer Sohn mich auf die gleiche Weise unterstützt, in der sein Vater Robert die Treue hielt, werde ich mich großzügig zeigen. Mit Freuden werde ich ihm all seine Ländereien und Titel und Ehren belassen. Er kann in Winterfell herrschen. Meinetwegen soll er sich sogar König des Nordens nennen, solange er das Knie vor mir beugt und mich als seinen Lehnsherrn anerkennt. König ist nur ein Wort, aber Treue, Loyalität und Dienst… die fordere ich ein.«

«Und wenn er sie Euch nicht zugesteht, Mylord?«

«Ich will König werden, Mylady, und zwar nicht in einem zerbrochenen Reich. Deutlicher kann ich es nicht zum Ausdruck bringen. Vor dreihundert Jahren hat ein Stark das Knie vor Aegon dem Drachen gebeugt, weil er keine Chance mehr sah, sich zu behaupten. Ein weiser Entschluß. Euer Sohn muß genauso weise sein. Wenn er sich mir erst angeschlossen hat, ist dieser Krieg so gut wie vorüber. Wir — «Renly unterbrach sich plötzlich.»Was ist das?«

Das Rasseln von Ketten verkündete, daß das Fallgatter hochgezogen wurde. Unten im Hof trieb ein Reiter mit geflügeltem Helm sein schaumbedecktes Pferd unter dem Gatter hindurch.»Ruft den König!«forderte er.

Renly stellte sich zwischen zwei Zinnen.»Ich bin hier oben, Ser.«

«Euer Gnaden. «Der Mann trieb sein Pferd heran.»Ich bin geritten so schnell ich konnte. Von Storm's End. Wir werden belagert, Euer Gnaden. Ser Cortnay leistet Widerstand, aber…«

«Also… das ist unmöglich. Man hätte mich davon in Kenntnis gesetzt, wenn Lord Tywin von Harrenhal losmarschiert wäre.«

«Es sind nicht die Lannisters, mein Lehnsherr. Vor Euren Toren steht Lord Stannis. König Stannis nennt er sich jetzt.«

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