2. November

BRYANBARROW — CUMBRIA

So früh am Nachmittag hatte Zed Benjamin noch einen guten Tisch im Willow & Well ergattern können. Schon seit knapp einer Stunde saß er hier und schaute aus dem Fenster in der Hoffnung, dass etwas passierte. Die Kälte zog durch die Ritzen herein wie ein Vorbote des Todesengels, aber solange er an diesem zugigen Platz hocken blieb, würde niemand etwas gegen die wollene Skimütze sagen, die er auf dem Kopf trug. Die Mütze hatte er sich angeschafft, damit die Leute sich nicht so leicht an ihn erinnerten, denn darunter konnte er sein feuerrotes Haar komplett verschwinden lassen. An seiner Größe konnte er leider nichts ändern, außer sich möglichst krumm zu halten, wenn es nötig war.

Und genau das tat er. Anfangs hatte er sich über sein Bierglas gebeugt, dann war er auf seinem Stuhl nach unten gerutscht, hatte die Beine unterm Tisch ausgestreckt, bis ihm der Hintern eingeschlafen war, hatte sich mal so, mal so hingesetzt, während sich in dem Teil des Dorfes Bryanbarrow, den er durch das Fenster einsehen konnte, nichts Erhellendes ereignete.

Seit drei Tagen war er jetzt in Cumbria, seit drei Tagen suchte er nach etwas, das seine Story über Nicholas Fairclough sexy machte und Rodney Aronson davon abhielt, sie in die Tonne zu treten. Bisher hatte er leider nichts weiter zu Papier gebracht als die ersten fünfzehn Zeilen eines Gedichts, das er allerdings auf keinen Fall erwähnen würde, wenn sein verhasster Chef sich bei ihm meldete. Tag für Tag rief Aronson an, um sich bedeutungsvoll bei Zed zu erkundigen, wie er vorankam, und ihn daran zu erinnern, dass diese Aktion voll und ganz auf seine eigenen Kosten ging. Als könnte er das vergessen, dachte Zed. Als hätte er sich nicht im billigsten Bed & Breakfast einquartiert, das er hatte finden können, als würde er nicht in einem winzigen Dachzimmer in einem der unzähligen Reihenhäuser hausen, die praktisch jede Straße in Windermere säumten, in diesem Fall in der Broad Street, in Fußnähe der öffentlichen Bibliothek. Er musste den Kopf einziehen, um sein Zimmer zu betreten, und praktisch den Limbo tanzen, wenn er sich darin bewegen wollte. Das Klo lag ein Stockwerk tiefer, und die Bude wurde nur durch die Wärme geheizt, die von unten hochstieg. Aber deswegen stimmte eben auch der Preis, und er hatte sofort zugeschlagen. Wie um die zahlreichen Unannehmlichkeiten wettzumachen, setzte ihm die Hauswirtin ein üppiges Frühstück vor, das von Porridge bis hin zu Backpflaumen alles umfasste, was man sich wünschen konnte, so dass Zed seit seiner Ankunft noch keinmal ein Mittagessen gebraucht hatte. Und das war gut so, weil er auf die Weise die Zeit nutzte, um herauszufinden, wer außer ihm selbst im Dorf herumschlich, um etwas über Ian Cresswells Tod in Erfahrung zu bringen. Aber wenn tatsächlich ein Detective von Scotland Yard hier oben in Cumbria war, um zu ermitteln, auf welche Weise der glücklose Vetter von Nicholas Fairclough ertrunken war, so hatte Zed ihn noch nicht aufgespürt. Und solange er ihn nicht zu Gesicht bekam, konnte er Das neunte Leben nicht in Neun Leben und ein Tod umschreiben, so wie Rodney Aronson es von ihm erwartete.

Natürlich wusste Aronson genau, wer der Detective von Scotland Yard war. Darauf hätte Zed einen Wochenlohn gewettet. Und er würde einen weiteren Wochenlohn darauf verwetten, dass Aronson vorhatte, Zed zu feuern, falls er diesen Detective nicht aufspürte. Oder falls es ihm nicht gelang, seine Geschichte sexy zu machen. Nur darum ging es bei dieser ganzen Sache: Rodney konnte nicht damit umgehen, dass Zed eine höhere Bildung und künstlerische Ambitionen hatte.

Nicht dass er bisher mit seinen Ambitionen weit gekommen wäre oder in Zukunft weit damit kommen würde. Sicher, Gedichte zu schreiben, war persönlich befriedigend, aber die Poesie verschaffte einem nun mal kein Dach über dem Kopf.

Dieser Gedanke erinnerte Zed an das Dach, das er zur Zeit in London über dem Kopf hatte. Und es erinnerte ihn an die Menschen, die sich unter diesem Dach aufhielten. Und an die Absichten dieser beiden Frauen, vor allem die Absichten seiner Mutter.

Gott sei Dank musste er sich im Moment darüber keine Gedanken machen, dachte Zed. Wenige Tage nach Yaffa Shaws Einzug — der so schnell erfolgt war, dass sogar seine Mutter gestaunt hatte — hatte die junge Frau ihm vor dem Bad aufgelauert, das sie zu teilen gezwungen waren. Verschwörerisch hatte sie ihm zugeraunt:»Keine Sorge, Zed. Okay?«Zed hatte angenommen, sie meinte die vor ihm liegende Reise in den Lake District. Doch dann dämmerte ihm, dass Yaffa über die kupplerischen Absichten seiner Mutter redete.

Zed sagte» Hä?«und fummelte am Gürtel seines Morgenmantels herum. Der Morgenmantel war ihm ebenso wie seine Schlafanzughose zu kurz, und da er nie Pantoffeln fand, die ihm passten, trug er wie üblich am frühen Morgen zwei verschiedene Socken an den Füßen. Er kam sich vor wie ein tapsiger Riese im Vergleich zu Yaffa, die schlank und adrett und in einer Farbe gekleidet war, die ihre Haut- und Augenfarbe betonte.

Yaffa drehte sich um und schaute in Richtung Küche, von wo Geschirrklappern zu hören war.»Hör zu, Zed«, sagte sie leise.»Ich habe einen Freund in Tel Aviv. Er studiert dort Medizin. Du brauchst dir also keine Sorgen zu machen. «Sie schob sich eine Strähne aus dem Gesicht und schaute ihn mit einem spitzbübischen Funkeln in den Augen an.»Das hab ich ihr nicht gesagt«, flüsterte sie.»Auf diese Weise«— sie deutete mit einer Kopfbewegung auf die Tür zu dem Zimmer, das sie bewohnte —»spare ich eine Menge Geld. Und das bedeutet, dass ich nicht so viel arbeiten muss und einen zusätzlichen Kurs an der Uni belegen kann. Und wenn ich das in jedem Semester so machen kann, bin ich eher mit dem Studium fertig, und umso schneller bin ich wieder zu Hause bei Micah.«

«Ah«, sagte Zed.

«Als deine Mutter uns einander vorgestellt hat — also, dich und mich —, da war mir sofort klar, was sie im Schilde führt. Deshalb hab ich meinen Freund lieber nicht erwähnt. Ich brauchte das Zimmer — ich brauche ein Zimmer —, und ich bin bereit mitzuspielen, wenn du es auch bist.«

«Was?«Anscheinend war er nicht in der Lage, im Gespräch mit dieser jungen Frau jeweils mehr als ein Wort herauszubringen, und er war sich nicht ganz sicher, was das zu bedeuten hatte.

Sie sagte:»Wir spielen ihr eben ein bisschen Theater vor.«

«Theater?«

«Wir tun so, als würden wir einander mögen. Als würden wir uns ineinander verlieben. Und dann, irgendwann, wenn wir genug davon haben, breche ich dir das Herz. Oder du mir meins. Es spielt eigentlich keine Rolle, aber mit Rücksicht auf deine Mutter würde ich vorschlagen, dass ich dir deins breche. Wahrscheinlich müssen wir irgendwie am Telefon miteinander turteln, während du in Cumbria bist. Je länger wir das durchhalten, umso mehr Geld könnte ich sparen, und du hättest eine Weile Ruhe vor deiner Mutter. Natürlich müssten wir ab und zu auch ein bisschen rumschmusen oder so, aber dafür bräuchtest du nicht mit mir zu schlafen. Denn ich würde mich selbstverständlich weigern, deiner Mutter gegenüber so respektlos zu sein und es zu tun, solange ich unter ihrem Dach wohne und wir nicht verheiratet sind. Also, ich glaube, es könnte funktionieren. Was meinst du?«

Er nickte.»Ich verstehe. «Zwei Wörter. Ein Fortschritt.

«Und?«, fragte sie.»Bist du einverstanden?«

«Ja. «Dann der Durchbruch — vier Wörter:»Wann fangen wir an?«

«Beim Frühstück.«

Als Yaffa ihn dann beim Frühstück bat, ihr von der Geschichte zu erzählen, für die er in Cumbria recherchieren musste, ließ er sich auf das Spiel ein. Zu seiner Überraschung stellte sie sehr kluge Fragen, und seine Mutter warf ihm, beglückt über Yaffas gespieltes Interesse an seinen Angelegenheiten, einen bedeutungsvollen Blick zu. Zum Abschied hatte seine Mutter ihn enthusiastisch umarmt und ihm ins Ohr geflüstert:»Siehst du? Siehst du, mein Junge?«, und Yaffa hatte ihm unauffällig einen Zettel in die Jackentasche gesteckt, den er im Zug gelesen hatte:»Warte sechsunddreißig Stunden, dann ruf zu Hause an, und sag deiner Mutter, dass du mich sprechen möchtest. Und während sie unser Gespräch belauscht, geb ich dir meine Handynummer. Viel Erfolg in Cumbria, mein Freund. «Nach exakt sechsunddreißig Stunden hatte er daheim angerufen, und auch diesmal hatte es ihn überrascht, wie viel Spaß ihm das kurze Gespräch mit Yaffa gemacht hatte. Das lag wahrscheinlich daran, dass sie mit offenen Karten spielten. Es gab keinen Druck. Und je weniger Druck man ihm machte, umso besser funktionierte er.

Er wünschte nur, dasselbe gälte für seine verdammte Story. Er wusste nicht, wie er diesen Detective von Scotland Yard ausfindig machen sollte. Er konnte nichts weiter tun, als sich in Bryanbarrow herumzutreiben und abzuwarten, wer an die Tür von Ian Cresswells Haus klopfte, um etwas über den vorzeitigen Tod des Mannes herauszufinden.

Nachdem Zed schon über eine Stunde auf seinem Posten saß und sich an seinem Bierglas festhielt, tat sich plötzlich etwas da draußen. Allerdings nicht an dem alten Herrenhaus, sondern an dem kleinen, halb verfallenen Cottage gleich daneben. Ein Mann und ein halbwüchsiger Junge traten aus der Tür und gingen ein paar Schritte weiter auf den mit Eichenlaub übersäten Dorfrasen zu, in dessen Mitte der Mann eine Fußbank abstellte. Dann setzte er sich auf die Fußbank und sagte irgendetwas zu dem Jungen, der einen alten Schuhkarton und etwas, das aussah wie ein altes Bettlaken, unterm Arm trug. Das Laken legte er dem Mann um die Schultern, anschließend entnahm er dem Schuhkarton eine Schere, einen Kamm und einen Handspiegel. Der Mann nahm seine Tweedmütze vom Kopf und nickte, woraufhin der Junge begann, ihm die Haare zu schneiden.

Das musste George Cowley mit seinem Sohn Daniel sein, dachte Zed. Es kam niemand anders in Frage. Er wusste, dass auch der Tote einen Sohn gehabt hatte, aber da Ian Cresswell tot war, nahm er nicht an, dass dessen Sohn sich auf der Farm aufhielt, und noch weniger, dass er einem Pächter die Haare schnitt. Warum das Ganze mitten auf dem Dorfplatz stattfand, war eine interessante Frage, dachte Zed. Auf jeden Fall machte es das anschließende Saubermachen einfacher.

Zed trank sein Bier aus, das inzwischen warm und schal war. Dann verließ er den Pub und ging auf den Dorfplatz zu. Es war kühl und windig draußen, und es roch nach Holzfeuer und Kuhmist. Hinter der Bryan Beck Farm blökten Schafe, und wie zur Antwort quakten ein paar Enten ungewöhnlich laut vom Bach her, den Zed am Dorfrand rauschen hören, aber nicht sehen konnte.

«Guten Tag. «Zed nickte zum Gruß.»Sie sind Mr. Cowley, wie ich höre. «Das wusste er, weil er sich während der ersten Stunde, die er auf seinem Beobachtungsposten im Pub verbracht hatte, ausführlich mit dem Wirt unterhalten hatte. Der Wirt hielt Zed für einen der zahllosen Wanderer, die regelmäßig in den Lake District kamen, um entweder das zu entdecken, was Wordsworth in seinen Werken beschrieben hatte, oder um die Urtümlichkeit der Gegend zu bestaunen — Letzteres war Beatrix Potter zu verdanken, die mit dem Erlös aus Peter Rabbit den Landstrich vor der Bauwut ihrer Zeitgenossen bewahrt hatte. Der Mann hatte Zed begeistert über den» echten Lake District «aufgeklärt und ihn mit reichlich Klatsch über dessen Einwohner versorgt, die großenteils» echte Originale «waren, wie zum Beispiel George Cowley.»Ein absolutes Schlitzohr, der gute alte George«, hatte der Wirt gesagt.»Und nachtragend bis ins Grab. Wenn Typen wie er sich nicht mit irgendeinem anlegen, langweilen sie sich. Sein Junge tut mir aufrichtig leid, denn das Einzige, wofür George sich interessiert, sind seine kleinen Fehden, und das Einzige, was er liebt, ist sein verdammter Köter. «Sein verdammter Köter war ein Border Collie, der George und seinen Sohn bis zur Hecke begleitet hatte, als die beiden auf den Dorfrasen gegangen waren. Auf ein Wort von George hin hatte der Hund sich brav an der Hecke hingelegt. Dort lag er immer noch und verfolgte aufmerksam das Geschehen.

Cowley beäugte Zed ausgesprochen misstrauisch. Sein Sohn hielt die Schere noch hoch, hatte aber aufgehört, seinem Vater die Haare zu schneiden. George drehte sich zu ihm um.»Mach weiter, Dan«, befahl er. So viel zum Thema freundliches Gespräch, dachte Zed.

«Hübsche Farm haben Sie da«, sagte Zed.»Ungewöhnlich, dass sie so mitten im Dorf liegt. So was hab ich noch nie gesehen.«

«Ist nicht meine«, bemerkte George säuerlich.

«Aber Sie bewirtschaften sie doch, oder? Ist das nicht fast so, als würde sie Ihnen gehören?«

George bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick.»Wohl kaum. Und was geht das Sie überhaupt an?«

Zed schaute den Sohn an. Der errötete.»Eigentlich nichts«, sagte Zed.»Sieht einfach interessant aus. Das große Haus und die ganze Anlage. Ich interessiere mich für alte Häuser. Das ist ein altes Herrenhaus, nicht wahr? Das große, meine ich.«

Cowley sah ihn finster an.»Kann schon sein. Dan, machst du jetzt weiter oder nicht? Ich hab keine Lust, den ganzen Tag hier in der Kälte rumzusitzen. Wir müssen noch ein paar Sachen erledigen.«

«Es ist elisabethanisch«, sagte Dan zu Zed.»Wir haben früher in dem großen Haus gewohnt.«

«Dan!«

«Sorry. «Der Junge widmete sich wieder dem Haareschneiden. Nach dem Geschick zu urteilen, das er dabei an den Tag legte, machte er das schon seit Jahren.

«Wer sind Sie überhaupt, und warum wollen Sie das alles wissen?«, sagte Cowley zu Zed.

«Wie?«

«Das Haus. Die Farm. Warum fragen Sie danach? Wieso interessieren Sie sich dafür? Haben Sie geschäftlich hier im Dorf zu tun?«

«Äh …«Zed überlegte, auf welche Weise er möglichst viele Informationen bekommen konnte, ohne selbst allzu viel preisgeben zu müssen.»Ich interessiere mich einfach für die Geschichte der Orte, die ich besuche. Der Wirt im Pub hat mir erzählt, das Herrenhaus ist das älteste Gebäude des Dorfs.«

«Da irrt er sich. Das Cottage ist noch hundert Jahre älter.«

«Wirklich? In so einem Haus spukt’s wahrscheinlich.«

«Sind Sie deswegen hier? Sind Sie auf der Suche nach Gespenstern? Oder …«, fügte er in scharfem Ton hinzu,»… suchen Sie was ganz anderes?«

Gott, war der Mann misstrauisch, dachte Zed. Womöglich hatte der Typ das Familiensilber in seinem Kamin versteckt und fürchtete, dass Zed gekommen war, um seine Hütte auszubaldowern.»Nein, nein«, sagte er liebenswürdig.»Ich bin nur ein Tourist. Ich wollte Ihnen nicht auf die Nerven gehen.«

«Sie gehen mir nicht auf die Nerven. Ich kann schon auf Dan und mich aufpassen.«

«Selbstverständlich. «Zed bemühte sich um einen munteren Ton.»Wahrscheinlich kommen nicht viele Leute her, die Sie mit Fragen zu der Farm löchern. Das heißt, vermutlich kommen überhaupt nicht viele Leute hierher, vor allem um diese Jahreszeit, ob sie nun Fragen stellen oder nicht. «Er wand sich innerlich. Er musste unbedingt lernen, ein bisschen subtiler vorzugehen.

«Wenn Sie sich für Geschichte interessieren«, sagte Cowley,»damit kann ich dienen. «Doch dann verschränkte er unter dem Laken, das seine Kleidung vor den abgeschnittenen Haaren schützte, die Arme vor der Brust, wie um zu demonstrieren, dass er nicht vorhatte, irgendetwas von sich zu geben.

«Dad«, sagte Daniel in einem Ton, der Zed dazu veranlasste, sich zu fragen, ob es ein guter Rat oder eine Warnung war.

«Ich hab nichts gesagt«, knurrte Cowley.

«Es ist nur …«

«Sieh einfach zu, dass du fertig wirst. «Cowley wandte sich ab und betrachtete das Herrenhaus hinter der Mauer. Es war aus Stein erbaut, sauber geweißelt bis zu den Schornsteinen, und das Dach sah aus, als wäre es erst kürzlich neu gedeckt worden.»Das«, sagte er,»hätte mir gehören sollen. Aber die haben es mir vor der Nase weggeschnappt, und zwar heimlich, so dass es erst rausgekommen ist, als der Handel perfekt war. Und sehen Sie sich an, was passiert ist, was passieren musste. So läuft das nun mal. Und wen wundert’s? Aber am Ende muss jeder seinen Preis bezahlen.«

Zed schaute den Mann verwirrt an. Mit» was passiert ist«, so vermutete er, meinte Cowley den Tod von Ian Cresswell, der ja in dem Herrenhaus gewohnt hatte.»Seinen Preis?«, fragte er, während er sich den Kopf darüber zerbrach, was der Mann da faselte.

«Den Preis für seine Sünden«, sagte Daniel leise.»Jeder muss für seine Sünden bezahlen.«

«Ganz genau«, sagte George Cowley.»Er hat für seine Sünden bezahlt, ja, das hat er. Tja, so sieht’s aus. Und wenn alles geregelt ist und das Haus wieder zum Verkauf steht, dann werden wir da sein, und diesmal werden wir keinen Fehler machen. Die Bryan Beck Farm ist für uns bestimmt, und wir haben uns nicht ein Lebtag die Butter vom Brot gespart, um sie uns ein zweites Mal vor der Nase wegschnappen zu lassen.«

Daraus schloss Zed, dass Ian Cresswells Sünde darin bestanden hatte, das Haus zu kaufen, ehe George Cowley dazu gekommen war. Was bedeutete — und das war doch eine sehr brauchbare Information —, dass Cowley ein Motiv gehabt hatte, Cresswell umzubringen. Und das wiederum bedeutete, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis New Scotland Yard auf der Bildfläche erschien, und er folglich nur zu warten brauchte, bis ihm besagter Detective vor die Linse lief. Dann hätte er die nötigen Zutaten, um seine Story sexy zu machen, und anschließend konnte er nach London zurückfahren und sein normales Leben wieder aufnehmen. Das sah doch alles gar nicht so schlecht aus.

Er sagte:»Ich nehme an, Sie spielen darauf an, dass Mr. Cresswell die Farm gekauft hat.«

Cowley sah ihn an, als hätte er nicht alle Tassen im Schrank.»Die Farm gekauft?«

«Sie sprachen doch von dem Preis für seine Sünden. Daraus habe ich geschlossen, dass der Kauf der Farm eine Sünde war.«

«Pah! Das war nicht in Ordnung, und es hat Dan und mich in die Situation gebracht, in der wir jetzt sind. Aber eine Immobilie zu kaufen ist schließlich keine Sünde. «Die letzten Worte hatte er voller Hohn ausgesprochen, doch er schien den Eindruck zu haben, dass Zed noch immer nicht kapiert hatte.»Sittenlos war das, wie er hier mit seinem arabischen Untermieter zusammengelebt hat. Und was hatten seine Kinder immer noch da zu suchen? Das ist die Frage, die ich stelle, aber niemand gibt mir eine Antwort. Also, das gehört sich ebenfalls nicht. Und eins sage ich Ihnen: Es werden noch mehr Leute bezahlen müssen, und nicht zu wenig. Verlassen Sie sich drauf!«

SWARTHMOOR — CUMBRIA

Tim Cresswell hasste die Margaret Fox School, aber er fand sich damit ab, denn so brauchte er nicht auf eine Schule zu gehen, wo man von ihm erwarten würde, dass er Freundschaften schloss, was so ziemlich das Letzte war, was er wollte. Früher hatte er Freunde gehabt, doch die hatten nur hämisch gegrinst, als sie gecheckt hatten, was bei ihm zu Hause ablief. Und jedes Mal, wenn er im Schulflur an ihnen vorbeiging, hatte er sich ihr Getuschel anhören müssen. Tatsache war, dass es ihm am Arsch vorbeiging, ob er je wieder Freunde hatte, denn seine alten Freunde hatten ihn fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel, als sein Vater die Familie hatte sitzen lassen, um eine iranische Schwuchtel zu ficken. Das hatte sich in kürzester Zeit herumgesprochen, weil seine Mutter zu blöd gewesen war, ihre Empörung für sich zu behalten, vor allem, nachdem sie rausgefunden hatte, dass sie die Arschkarte abgekriegt hatte. Und das hatte sie auf jeden Fall. Es hatte sich nämlich herausgestellt, dass sein Vater schon seit Jahren Männer gefickt hatte, dass er Niamh beschmutzt und erniedrigt und nicht nur ansteckenden Krankheiten, sondern auch dem Gespött und der Verachtung der Leute ausgesetzt hatte. Und sie war es nicht müde geworden, das jedem unter die Nase zu reiben, vor allem ihrem Sohn Tim. Daraufhin hatte Tim ein paar Dinge zerschlagen, ein paar Sachen abgefackelt, ein paar Leute verprügelt, einem Kätzchen die Beine abgehackt — okay, es war schon tot gewesen. Seitdem ging er auf die Margaret Fox School außerhalb von Ulverston, nicht weit von Swarthmoor Hall, wo Mrs. Fox, nach der die Schule benannt war, gewohnt hatte. Hier wollte Tim bleiben. Und damit das klappte, musste er sich gerade gut genug benehmen, um als kooperativ zu gelten, aber nicht so gut, dass man ihn in das System zurückschickte, wo die Normalos die Schulbank drückten.

Die meisten Kinder und Jugendlichen kamen auf das Margaret Fox Internat, weil sie so gestört waren, dass sie nicht bei ihrer Familie bleiben konnten. Es gab allerdings auch externe Schüler, und Niamh Cresswell hatte dafür gesorgt, dass Tim dazugehörte. So waren sein Vater oder Kaveh Mehran gezwungen, ihn jeden Tag von Bryanbarrow nach Ulverston zu fahren und wieder abzuholen, eine Fahrt, die ewig dauerte, ihnen von ihrer gemeinsamen Zeit abging und sie dafür bestrafte, dass sie Niamh gedemütigt hatten. Tim machte das alles mit, weil er dadurch weit weg war von allen, die wussten, was mit der Ehe seiner Eltern passiert war, und das waren so ziemlich alle in Grange-over-Sands.

Aber etwas, was er an der Margaret Fox School auf den Tod nicht ausstehen konnte, waren die bescheuerten AGs. Jeder Schüler musste zusätzlich zum normalen Unterricht drei AGs belegen, je eine aus einem wissenschaftlichen, einem musisch-künstlerischen und einem sportlichen Bereich. Die Philosophie dahinter war, dass die AGs die komplett durchgeknallten Schüler der Margaret Fox School zu halbwegs normalem Verhalten erziehen, sie irgendwie dazu bringen würde, sich so zu benehmen, als könnten sie jenseits der hohen Mauern der Institution funktionieren. Tim hasste die AGs, denn sie zwangen ihn zum Kontakt mit den anderen Schülern, aber er hatte sich drei ausgesucht, bei denen sich der Kontakt auf ein Minimum beschränken ließ. Er hatte sich bei den Wandervögeln, den Zeichnern und den Philatelisten angemeldet, weil alle dort verlangten Aufgaben auch allein erledigt werden konnten. Man brauchte mit niemandem zu reden und sich nur anzuhören, was der jeweilige Lehrer zum Thema zu sagen hatte.

Genau wie jetzt beim wöchentlichen Treffen der Wandervögel. Quincy Arnold gab sein übliches Blabla nach der Nachmittagswanderung zum Besten. Sie waren ein bisschen über den öffentlichen Fußweg von Mansrigg nach Mansrigg Hall und von dort rauf bis zur Town Bank Road getrippelt, wo ein Schulbus sie abgeholt hatte. Echt ein Witz. Aber so wie Q. A. sich darüber ausließ, sollte man meinen, sie hätten gerade das Matterhorn bezwungen. Der große Hit war die Aussicht auf Ben Cragg gewesen — schon lange keinen dermaßen tollen Sandsteinfelsen mehr gesehen, hatte Tim nur höhnisch gedacht —, aber eigentlich waren diese ganzen Nachmittagswanderungen nur die Vorbereitung auf das, was Q. A. das große Abenteuer auf dem Scout Scar nannte. Das besagte Abenteuer sollte im kommenden Frühjahr stattfinden, und bis dahin sollten sie sich schon mal innerlich auf das großartige Ereignis einstellen, bla, bla, bla. Q. A. war der größte Schwätzer von allen, und er konnte regelrecht ausflippen über Sandsteinschichten und — Gott, wie aufregend — Findlinge aus der Glazialzeit. Das alles klang etwa so interessant wie die Idee, sich von einem Blinden die chinesischen Schriftzeichen beibringen zu lassen, aber Tim wusste, dass es sich lohnte, Q. A. ab und zu anzusehen, wenn er da vorne laberte. Allerdings gab er sich dabei stets gelangweilt bis gleichgültig, um nur ja nicht den Eindruck zu erwecken, er sei auf dem Weg der Besserung.

Er musste aufs Klo. Er hätte das draußen erledigen sollen, ehe sie in den Bus gestiegen waren, der sie zurück zur Schule brachte. Aber er hasste es, seinen Schwanz in der Öffentlichkeit rauszuholen, weil man nie wissen konnte, wie die Heinis, mit denen er wandern ging, darauf reagieren würden. Deswegen musste er sich jetzt mit dem Harndrang herumquälen, während Q. A. sich über ihren abenteuerlichen Ausflug ausließ. Als sie endlich auf dem Schulhof hielten, sprang er aus dem Bus und rannte auf die nächste Toilette. Beim Pinkeln sorgte er dafür, dass etwas daneben ging und etwas auf seinem Hosenbein landete. Als er fertig war, betrachtete er sich im Spiegel und kratzte sich einen Pickel auf der Stirn auf. Es blutete ein bisschen — das kam immer gut. Dann ging er sein Handy holen.

Die waren natürlich in der Schule verboten. Die Externen durften zwar ein Handy mitbringen, mussten es aber jeden Morgen im Vorzimmer des Direktors abgeben, wo es in eine Liste eingetragen wurde. Wenn man es nachmittags wiederhaben wollte, musste man erst zum Schulleiter hoch, sich dort einen Abholzettel ausstellen lassen und damit zum Schulkiosk gehen, wo die Handys in einem Schließfach hinter der Kasse aufbewahrt wurden.

Diesmal war Tim der Letzte, der sein Handy abholte. Als Erstes überprüfte er seinen SMS-Eingang. Nichts. Es kribbelte ihm in den Fingern. Am liebsten hätte er das Handy irgendjemandem an den Kopf geworfen. Er ging den Weg hinunter zu der Stelle, wo er und die anderen Externen nach Schulschluss abgeholt wurden. Natürlich durften sie nur mit Leuten mitfahren, die offiziell bei der Schule eingetragen waren. Bei Tim waren es drei, aber jetzt, wo sein Vater tot war, waren es nur noch zwei, was eigentlich bedeutete, dass es nur noch einer war, denn seine Mutter käme nie im Leben auf die Idee, ihn von der Schule abzuholen. Kaveh war bisher der lästigen Pflicht brav nachgekommen, weil ihm nichts anderes übrig blieb und er noch nicht wusste, wie er sich davon befreien sollte.

Das juckte Tim nicht. Es war ihm egal, wer ihn abholte. Im Moment interessierte ihn nur der Deal, den er mit Toy4You vereinbart hatte, und die Tatsache, dass auf seine letzte Nachricht, die er am Morgen auf dem Weg zur Schule abgeschickt hatte, keine Reaktion gekommen war. Er schrieb eine SMS:

wo bist du?

Einen Augenblick später kam die Antwort:

Hier

du hast nicht geantwortet

wann?

du weißt was ich meine wir waren uns einig

quatsch

du hast es mir versprochen

geht nicht

wieso

nicht per handy

du hast es versprochen

wir müssen reden

Tim ließ das Handy sinken. Er wollte nicht reden. Er wollte, dass endlich etwas passierte. Er hatte seinen Teil der Vereinbarung eingehalten, und es war nur fair, dass Toy4You den seinen auch einhielt. Es lief immer gleich ab, dachte er grimmig. Jeder versuchte, jeden reinzulegen, und er hatte die Schnauze gestrichen voll davon. Aber was sollte er machen? Er konnte sich was anderes suchen, aber dazu hatte er keine Lust. Es hatte lange genug gedauert, bis er Toy4You gefunden hatte.

Er tippte seine Antwort ein.

Wo?

selbe Stelle

heute

heute abend

ok

Er klappte das Handy zu und steckte es in seine Hosentasche. Ein dickes Mädchen, dessen Namen er nicht kannte, beobachtete ihn von einer Bank aus. Als ihre Blicke sich begegneten, hob sie ihren Schulrock an. Spreizte die Beine. Sie hatte keine Unterhose an. Er hätte kotzen können. Er suchte sich eine Bank in einiger Entfernung und wartete darauf, dass er abgeholt wurde. Während er überlegte, wie er Kaveh auf der langen Fahrt ärgern konnte, fiel ihm ein, dass er sich die Hose bepisst hatte. Das würde Kaveh richtig auf die Palme bringen, dachte er schadenfroh.

ARNSIDE — CUMBRIA

Alatea Fairclough war immer wieder völlig fasziniert von der Morecambe Bay. So etwas hatte sie zuvor noch nie gesehen. Die Ebbe hatte mehr als dreihundert Quadratkilometer Watt freigelegt. Aber das Watt war so gefährlich, dass sich nur Leichtsinnige, die einheimischen Fischer oder der Wattführer zu Fuß dort hinauswagten. Wer ohne Führer ins Watt ging — und das machten viele Leute —, lief Gefahr, sein irdisches Dasein zu beenden, indem er im Treibsand versank, der sich für das ungeübte Auge in nichts von festem Boden unterschied. Manche blieben auch weit draußen in der Bucht zu lange auf einem Sandhügel stehen, der ihnen sicher erschien, wie eine Art Insel, nur um festzustellen, dass die Flut sie erst vom Festland abschnitt und ihnen dann den Sand unter den Füßen wegspülte. Denn wenn die Flutwellen wie galoppierende Pferde auf das Land zustürmten, wurde alles in kürzester Zeit vom Wasser verschlungen. Genau das fand Alatea so hypnotisierend an den Flutwellen. Sie schienen aus dem Nichts zu kommen, und die Schnelligkeit, mit der sie kamen, sprach von einer Gewalt, die sich der Kontrolle des Menschen entzog. Und doch gab ihr der Gedanke Frieden: dass es eine Macht gab, die der Mensch nicht kontrollieren konnte, und dass sie diese Macht um Trost bitten konnte, wenn sie ihn am dringendsten brauchte.

Sie fand es großartig, dass dieses Haus — ein Geschenk ihres Schwiegervaters zur Hochzeit des einzigen Sohnes — direkt oberhalb des Kent Channel lag, einer vom Meerwasser in die Morecambe-Bucht gegrabenen Vertiefung. In ein warmes Schultertuch gewickelt konnte sie vom Ende des Grundstücks aus zuzusehen, wie die Flut hereinkam. Und sich einbilden, sie verstünde etwas davon, wie die Strudel sich bildeten.

Auch an diesem Novembernachmittag stand sie hier. Die Dunkelheit setzte bereits ein, und eine Wolkenbank im Westen über dem Humphrey Head Point kündigte Regen an, aber das machte ihr nichts aus. Im Gegensatz zu so vielen Menschen in ihrer Wahlheimat freute sie sich immer über den Regen, der Wachstum und Erneuerung versprach. Trotzdem war sie beunruhigt. Der Grund war ihr Mann.

Sie hatte nichts von ihm gehört. Nachdem sie bei Fairclough Industries angerufen und erfahren hatte, dass er nicht zur Arbeit erschienen war, hatte sie versucht, ihn auf seinem Handy zu erreichen. Den Anruf in der Firma hatte sie gegen elf Uhr getätigt, als er eigentlich noch hätte dort sein müssen. Für gewöhnlich fuhr er erst eine Stunde später zu dem Wehrturm-Projekt in Middlebarrow, wo er neuerdings den halben Arbeitstag verbrachte. Anfangs hatte sie angenommen, er sei früher als üblich dorthin aufgebrochen, und hatte es auf seinem Handy versucht. Aber sie hatte nur eine Nachricht hinterlassen können. Das hatte sie jetzt schon dreimal getan. Dass Nicholas sich nicht meldete, beunruhigte sie zutiefst.

Der plötzliche Tod seines Vetters überschattete ihr Leben. Alatea wollte lieber gar nicht darüber nachdenken. Der Tod eines Menschen, den man kannte, erschütterte einen immer, aber Ians Tod und die Umstände seines Todes erfüllten sie mit einer Angst, die sie nur mit allergrößter Mühe verbergen konnte. Dass Ian ertrunken war, hatte die Familie hart getroffen, vor allem Nicholas’ Vater. Anfangs war er derart am Boden zerstört gewesen, dass Alatea sich gefragt hatte, was für ein Verhältnis er eigentlich zu Ian gehabt hatte. Doch erst als Bernard angefangen hatte, sich von Nicholas zu distanzieren, hatte Alatea gespürt, dass hinter der Trauer des Alten noch mehr steckte.

Nicholas hatte nichts mit Ians Tod zu tun. Das wusste Alatea aus tausend Gründen, aber vor allem, weil sie ihren Mann kannte. Wegen seiner Vergangenheit hielten die Leute ihn für schwach, was er ganz und gar nicht war. Für sie war er der Fels in der Brandung, und das wäre er auch für viele andere, wenn sie ihm eine Chance gäben. Das Wehrturmprojekt in Middlebarrow hatte Nicholas so stark gemacht.

Heute war er allerdings auch nicht in Middlebarrow gewesen. Denn wenn er dort gewesen wäre, hätte er sein Handy eingeschaltet. Er wusste schließlich, wie wichtig es ihr war, ihn jederzeit erreichen zu können, und er hatte nichts dagegen, dass sie ihn hin und wieder anrief. Anfangs hatte er gefragt:»Vertraust du mir nicht, Allie? Ich meine, wenn ich rückfällig werde, werde ich so oder so rückfällig. Davon wirst du mich mit einem Anruf nicht abhalten können. «Aber das war nicht der Grund, warum sie stets in engem Kontakt mit ihm sein wollte.

Immer, wenn er nicht bei ihr war, fürchtete sie, dass ihm etwas zustoßen könnte. Ein Autounfall, ein Stein, der von dem alten Wehrturm fiel und ihn am Kopf traf, irgendein blöder Unfall … genau wie das, was Ian passiert war. Doch an Ian wollte sie jetzt nicht denken. Sie musste über zu viele andere Dinge nachdenken.

Sie wandte sich vom Anblick der Flut ab, die den Kent Channel wieder füllte. Am oberen Ende der weitläufigen Rasenfläche lag Arnside House. Einen Moment lang durchströmten sie Glücksgefühle beim Betrachten des Anwesens. Das Haus bot ihr eine Aufgabe, auf die sie all ihre Energie lenken konnte, und dafür war sie dankbar. Ob Bernard das gewusst hatte, fragte sie sich, als er es ihnen bei ihrer Rückkehr nach England geschenkt hatte?

«Nach dem Krieg diente es eine Zeitlang als Erholungsheim für Soldaten«, hatte er ihr erklärt, als er einen ersten Rundgang mit ihr gemacht hatte,»und dann war es ungefähr dreißig Jahre lang ein Mädcheninternat. Danach haben zwei Eigentümer es ein bisschen restauriert, um es wieder in seinen ursprünglichen Zustand zu versetzen. Leider hat es zuletzt ein paar Jahre leer gestanden. Trotzdem hat es etwas ganz Besonderes, meine Liebe. Ich finde, das Haus hat es verdient, dass eine Familie darin lebt, dass Kinder darin herumtollen. Ja, mehr noch, es hat jemanden verdient wie dich, der ihm eine persönliche Note verleiht. «Die ganze Zeit hatte seine Hand sanft auf ihrem Rücken gelegen, während er mit ihr durch das Haus gegangen war. Er hatte eine Art, sie anzusehen, die sie ein bisschen irritierte. Manchmal schaute er erst Nicholas, dann sie, dann wieder Nicholas an, als könnte er nicht verstehen, was die beiden miteinander verband, weder, wo es herkam, noch, wie es überdauern sollte.

Aber das störte Alatea nicht. Ihr war nur wichtig, dass Bernard sie akzeptierte, und das tat er. Anscheinend glaubte er sie im Besitz irgendeiner geheimnisvollen Macht, die Nicholas beschützte, vielleicht eine Art Hexerei. Und die Blicke, mit denen er sie von Kopf bis Fuß musterte, sagten ihr, dass er eine ziemlich genaue Vorstellung davon hatte, worin diese Hexerei bestand.

Sie ging über das terrassenförmig angelegte Grundstück auf das Haus zu. Vorsichtig stieg sie ein paar moosbewachsene steinerne Stufen hoch, dann überquerte sie den Rasen zu einem Seiteneingang des Hauses. Sie öffnete die Tür und betrat das Wohnzimmer, dessen blassgelbe Wände selbst an grauen Tagen die Illusion von Sonnenlicht erzeugten.

Dieses Zimmer hatten sie als erstes renoviert. Von seinen Fenstern aus hatte man einen Blick auf die Terrasse, auf den Rasen und auf den Kent Channel. Wenn es dunkel war, konnte man sogar die Lichter von Grange-over-Sands oben auf dem Hügel sehen. Abends saß sie hier mit Nicholas am Kamin, dessen Flammen lange Schatten auf den Fußboden zauberten.

Es war noch ein bisschen früh für ein Feuer, aber sie zündete es trotzdem an, um sich zu trösten und sich zu wärmen. Dann trat sie an den Anrufbeantworter in der Hoffnung, dass ihr Mann eine Nachricht hinterlassen hatte, und als sie sah, dass das rote Lämpchen nicht blinkte, beschloss sie, ihn noch einmal anzurufen. Langsam tippte sie die Nummer ein, so wie man es macht, wenn man hofft, dass eine eben noch besetzte Leitung endlich frei ist. Doch noch bevor sie die komplette Nummer eingegeben hatte, hörte sie seine Schritte im Flur.

Sie hatte weder sein Auto vorfahren hören, noch, wie er das Haus betreten hatte. Aber sie wusste, dass es Nicholas war, ebenso wie sie an seinem leichten Schritt erkannte, in welcher Stimmung er war. Sie ließ das Handy in ihre Tasche gleiten. Als Nicholas nach ihr rief, antwortete sie:»Hier, Liebling!«, und im nächsten Augenblick war er auch schon bei ihr.

Er blieb in der Tür stehen. In dem weichen Licht wirkte er wie ein Engel, wie eine übergroße Putte aus einem Renaissance-Gemälde, das runde Gesicht von blonden Locken eingerahmt. Er sagte:»Du bist eine umwerfend schöne Frau. Ich hoffe, ich habe mich nicht im Haus geirrt. «Dann kam er auf sie zu. Ausnahmsweise trug sie flache Schuhe, so dass sie gleich groß waren: beide fast eins achtzig. So war es leichter für ihn, sie zu küssen, was er leidenschaftlich tat. Er legte die Hände auf ihren Hintern und zog sie an sich. Schließlich sagte er lachend:»Ich fühle mich, als könnte ich Bäume ausreißen!«, und einen schrecklichen Moment lang fürchtete sie, er hätte Drogen genommen. Doch dann zog er die Klammern und Kämme aus ihrem Haar, so dass es ihr auf die Schultern fiel, und begann, ihre Bluse aufzuknöpfen, während er atemlos von» Schwimmern «berichtete,»Millionen, Allie, und die sind topfit und warten nur auf ihren Einsatz. Wann ist noch dein Eisprung?«Er küsste ihren Nacken und öffnete ungeduldig ihren BH.»Ach, vergiss es, es ist mir egal.«

Ihr Körper reagierte, obwohl ihre Gedanken in eine ganz andere Richtung gingen. Sie sank auf den Teppich vor dem Kamin, zog Nicholas mit sich und begann, ihn auszuziehen. Er war kein Mann, der wortlos Liebe machte.»Gott, dich zu fühlen!«, stöhnte er und» Ach, Allie «und» Ja, ja, genauso«, und deshalb bekam sie genau mit, wie seine Erregung sich steigerte.

So wie die ihre. Und obwohl ihre Gedanken wie immer zuerst zu einem anderen Ort wanderten, in eine andere Zeit, zu anderen Männern, landeten sie schließlich bei diesem Mann hier. Ihre Körper verschmolzen miteinander, und sie verschafften einander eine aus purem Genuss geborene Erleichterung, die alles andere unbedeutend erscheinen ließ.

Und das genügte ihr. Nein, für sie war es mehr als genug. Genug war für sie schon, dass Nicholas sie liebte und beschützte. Und dass sie darüber hinaus einen Mann gefunden hatte, mit dem sie sich im Bett so gut verstand, dass alle Erinnerungen und alle Ängste verblassten … Dass so etwas möglich war, hätte sie sich an jenem Nachmittag an der Kasse einer Cafeteria auf einem Berg in Utah niemals träumen lassen.

Nachdem er am nächsten Tag und die beiden Tage danach wiedergekommen war und bei ihr bezahlt hatte, hatte er sie gefragt, ob er sie am Nachmittag auf einen Kaffee einladen dürfe. Und hinzugefügt, er trinke keinen Alkohol, er habe gerade eine Entziehungskur wegen seiner Crystal-Meth-Sucht hinter sich, er sei Engländer und werde bald nach England zurückkehren und seinen Eltern beweisen, dass er die Teufel, die ihn so lange Jahre geritten hatten, endlich besiegt hatte, dass er … Er hatte gar nicht bemerkt, dass sich hinter ihm eine lange Schlange gebildet hatte. Sie dagegen schon, und um ihn zum Weitergehen zu bewegen, hatte sie gesagt:»Okay, wir können uns auf einen Kaffee treffen. Unten im Dorf gibt es ein Café, direkt gegenüber dem Skilift. Es heißt …«Er war ihr ins Wort gefallen:»Ich finde es, keine Sorge. «Und er hatte es gefunden.

Jetzt lagen sie nebeneinander auf dem Teppich vor dem Kaminfeuer. Er sagte:»Du solltest deine Hüften ein bisschen kippen, Allie. Meine kleinen Schwimmer sind topfit, aber abwärts schwimmen sie noch schneller. «Er stützte sich auf einen Ellbogen und schaute sie an.»Ich war in Lancaster«, sagte er.»Hast du versucht, mich anzurufen? Ich hab mein Handy abgeschaltet, weil ich wusste, dass ich dich nicht würde anlügen können.«

«Nicky …«Sie hörte selbst, wie geknickt sie klang. Sie wünschte, sie hätte ihre Enttäuschung verbergen können, aber noch schlimmer wäre es gewesen, sich die Angst einzugestehen, die sie plötzlich überkommen hatte.

«Nein, Liebling, hör zu. Ich musste den Test machen, einfach, um mir Gewissheit zu verschaffen. Ich habe meinen Körper über so viele Jahre regelrecht vergiftet … ich wollte es einfach wissen. Ich meine, hättest du das nicht auch gemacht an meiner Stelle? Zumal, wo immer noch nichts passiert ist?«

Sie drehte sich auch auf die Seite, einen Arm ausgestreckt, so dass sie den Kopf darauf ablegen konnte. Aber sie schaute an ihm vorbei nach draußen. Der Regen hatte eingesetzt und schlug gegen das Erkerfenster. Sie sagte:»Ich bin keine Gebärmaschine, Nicky. Oder wie heißen die Dinger?«

«Brutkasten«, sagte er.»Ich weiß, dass du kein Brutkasten bist. Und so habe ich dich noch nie betrachtet. Aber es ist doch verständlich … Ich meine, wir sind jetzt schon seit zwei Jahren verheiratet … und wir wollen es doch beide unbedingt …«Er streichelte ihr über den Kopf. Ihr Haar war nicht weich und glatt, so dass man mit den Fingern durchfahren konnte. Es war kraus und wild, das Geschenk eines ihrer Vorfahren — von welchem aus dieser unglaublichen Vielfalt an Ethnien, die sich in ihrem Land vermischt hatten, das wusste Gott allein.

«Genau das ist es ja, Nicky«, sagte sie.»In meiner Elternzeitschrift steht, dass schon allein der intensive Kinderwunsch es schwierig machen kann.«

«Das verstehe ich. Wirklich, mein Schatz. Aber es könnte ja auch etwas anderes sein, und dann ist es doch besser, man weiß Bescheid, oder? Deswegen hab ich den Test gemacht, und jetzt kannst du …«

«Nein. «Sie schob seine Hand von ihrem Haar weg und setzte sich auf.

«Nicht! Bleib liegen! Sonst …«

Sie sah ihn an.»Bei uns in Argentinien gibt man den Frauen nicht das Gefühl, dass sie nur zu einem Zweck auf der Welt sind.«

«Aber das denke ich doch gar nicht.«

«Diese Dinge brauchen Zeit. Da, wo ich herkomme, wissen wir das. Und ein Kind muss man lieben, es kann nicht …«Sie zögerte und wandte sich ab. Sie kannte die Wahrheit, die nichts mit dem zu tun hatte, was ihr Körper leistete oder nicht. Und die Wahrheit musste ausgesprochen werden.»Ein Kind«, sagte sie schließlich,»kann nicht dazu dienen, die Anerkennung deines Vaters zu gewinnen, Nicky.«

Ein anderer Mann hätte vielleicht mit Empörung oder Leugnen reagiert, aber so war Nicholas nicht. Und seine unbedingte Ehrlichkeit, so erstaunlich für einen Mann, der jahrelang drogenabhängig gewesen war, war ein Grund, warum sie ihn so sehr liebte. Er sagte:»Da hast du vollkommen recht. Das ist tatsächlich einer der Gründe, warum ich mir ein Kind wünsche. Das bin ich ihm schuldig nach allem, was ich ihm angetan habe. Er sehnt sich nach einem Enkelkind, und da meine Schwestern ihm keins geschenkt haben, kann ich das wenigstens für ihn tun. Wir können es für ihn tun.«

«Du siehst also …«

«Aber das ist nicht der einzige Grund, Allie. Ich möchte ein Kind mit dir. Weil ich dich liebe und weil es uns gibt.«

«Und wenn ich diese Tests machen lasse und sich herausstellt, dass ich … keine Kinder bekommen kann?«Sie schwieg eine Weile. In der Stille, die eintrat, konnte sie spüren, wie seine Muskeln sich total anspannten. Sie wusste nicht, was das zu bedeuten hatte, und dieses Nichtwissen verursachte ihr ein Kribbeln in den Fingern, so dass sie sich bewegen musste. Sie stand auf.

Er sprang ebenfalls auf.»Glaubst du das denn?«, fragte er.

«Wie soll ich etwas anderes glauben …«Sie zeigte auf den Teppich, wo sie sich vor dem Feuer geliebt hatten.»… wenn all das nur dem Kinderkriegen dient. Deine kleinen Schwimmer, wie du sie nennst, wie fit sie sind und wie schnell, und wie ich mich danach hinlegen soll, damit sie ihre Aufgabe erfüllen können. Was glaubst du wohl, wie ich mich fühle, wenn du darauf bestehst, dass ich zu einem Arzt gehe und die Beine spreize und ihn mit Instrumenten in mir herumfuhrwerken lasse und weiß der Teufel sonst noch alles?«

Sie war immer lauter geworden. Wütend hob sie ihre Sachen auf und zog sich an.»Den ganzen Tag«, sagte sie,»hast du mir so gefehlt. Ich habe mir Sorgen gemacht, als ich dich nicht erreichen konnte und du dich nicht gemeldet hast. Ich sehne mich nach dir, weil ich mit dir zusammen sein will, während du …«

«Dasselbe gilt für mich. Das weißt du.«

«Ich weiß überhaupt nichts.«

Sie ließ ihn stehen. Sie eilte durch den langen Flur, durch die Eingangshalle und durch das Esszimmer zur Küche, die auf der anderen Seite des Hauses lag. Sie begann mit den Vorbereitungen für das Abendessen. Eigentlich war es dafür noch viel zu früh, aber sie musste ihre Hände beschäftigen. Sie war gerade dabei, Zwiebeln zu hacken, als Nicholas in die Küche kam. Er hatte sich auch angezogen, sein Hemd allerdings falsch zugeknöpft, so dass es ganz schief hing, und der Anblick machte sie wieder weich. Ohne sie war er ein einsamer kleiner Junge, das wusste sie, genauso wie sie ohne ihn völlig verloren wäre.

«Tut mir leid«, sagte er.»Dass du dir vorkommst wie ein Brutkasten. Das ist wirklich das Letzte, was ich möchte.«

«Ich nehme die Vitaminpräparate«, sagte sie.»Und all die anderen Pillen. Ich messe meine Temperatur. Ich achte auf meine Ernährung. Ich tue alles, was hilft …«Sie brach ab, denn sie hatte angefangen zu weinen. Sie wischte sich mit dem Unterarm die Tränen aus dem Gesicht.

«Allie …«Er fasste sie an den Schultern und drehte sie zu sich um.

Sie umarmten einander und blieben ein paar Minuten so stehen. Schließlich sagte er:»Allein, dich so in den Armen zu halten, erfüllt mich mit Ehrfurcht. Weißt du überhaupt, was für ein Glück ich habe? Ich weiß es, Allie.«

Sie nickte und löste sich von ihm. Er nahm ihr Gesicht mit beiden Händen und betrachtete es auf diese für ihn typische Weise. Und wie bei anderen Gelegenheiten hatte sie auch jetzt das Gefühl, dass alles, was sie ihm verschwiegen hatte, offen vor ihm lag und er in ihrem Gesicht lesen konnte wie in einem Buch. Aber er fragte nur:»Verzeihst du mir?«

«Natürlich. Und ich tue, worum du mich gebeten hast. Aber noch nicht. Bitte, Nicky. Lass uns noch ein paar Monate warten.«

Er nickte. Dann sagte er grinsend:»Bis dahin lassen wir die kleinen Schwimmer ein bisschen trainieren, okay? Sorgen wir dafür, dass sie ihren Orientierungssinn ein bisschen schulen.«

Sie lächelte.»Abgemacht.«

«Gut. Und jetzt verrat mir doch mal, warum du so einen Berg Zwiebeln hackst, denn meine Augen brennen wie der Teufel. Was kochst du?«

Sie betrachtete die Zwiebeln.»Keine Ahnung.«

Er lachte.»Du bist verrückt. «Er nahm sich die Post des Tages vor, die säuberlich gestapelt neben dem Küchentelefon auf der Anrichte lag.

Sie hatten sich vertragen und waren wieder vollkommen entspannt. Sie plauderten über dies und das, bis Nicholas den Zettel mit der Nachricht fand, die Alatea notiert und dann total vergessen hatte, vor lauter Bestreben, das Gespräch über Kinder, Ärzte in Lancaster und Nicholas’ Erwartungen hinter sich zu bringen.

«Was ist das hier?«, fragte Nicholas und hielt den Zettel hoch, den sie am Morgen aus ihrem Notizheft gerissen hatte.

«Ach. Da hat jemand für dich angerufen. Eine Frau. Es geht um einen Fernsehfilm, über den sie gern mit dir reden würde. Sie ist … Ich glaube, sie hat gesagt, sie ist für die Recherche zuständig.«

Er runzelte die Stirn.»Was denn für ein Film?«

«Alternative Behandlungsmethoden bei Drogenabhängigkeit. Ein Dokumentarfilm, sagt sie. Sie machen Interviews mit Süchtigen und Ärzten und Sozialarbeitern. Ein Kamerateam und jemand — ein Prominenter oder ein Moderator, was weiß ich —, der die Fragen stellt. Ich hab ihr gesagt, dass du wahrscheinlich nicht daran interessiert bist, aber …«

«Wieso?«

«Wieso was?«

«Wieso hast du ihr das gesagt?«

Sie nahm eins ihrer Kochbücher aus dem Regal über der Arbeitsfläche, das Nicholas für sie gebaut hatte, und blätterte darin herum auf der Suche nach einer Idee, was sie mit all den gehackten Zwiebeln machen sollte.»Solche Dinge befriedigen nur das Ego, Nicky«, sagte sie.»Darüber haben wir uns doch ausführlich unterhalten. Das führt zu nichts Gutem, und es rüttelt viel zu viel auf.«

«Ja, ja. Aber es geht nicht um mich, Allie. «Er hielt den Zettel immer noch in der Hand.»Wo kommt die Frau her? Und wo kommen die Leute her, die den Film machen?«

«Das hab ich nicht gefragt. Ich hatte nicht angenommen …«Sie betrachtete den Deckel des Kochbuchs und überlegte, wie sie ihm erklären sollte, was sie meinte.»Nicky«, sagte sie,»mit solchen Dingen musst du vorsichtig sein. Du sagst doch selbst immer, dass du lieber im Hintergrund agierst, hinter den Kulissen. Das ist das Beste.«

«Geld aufzutreiben für das Projekt ist das Beste«, entgegnete er.»Das könnte genau das sein, was wir brauchen, um das Projekt zu verwirklichen.«

«Und wenn nicht?«

«Wie meinst du das?«

«Na ja … dieser Zeitungsmensch, der so oft hier war … Was ist dabei rausgekommen? Nichts. All die Stunden, die du mit ihm verbracht hast, die langen Gespräche, die Führungen. Du hast ihn sogar am Turm mitarbeiten lassen. Und was ist passiert? Nichts. Er verspricht, einen ausführlichen Artikel über dein Projekt zu schreiben. Und? Wieder nichts. Ich möchte nicht schon wieder die Enttäuschung in deinem Gesicht sehen«, sagte sie. Weil man nie wusste, wo das hinführen konnte, würde er jetzt bestimmt denken, aber daran ließ sich nichts ändern.

Sein Gesichtsausdruck änderte sich, aber er sah nicht verkniffen aus. Im Gegenteil, er strahlte sie an, und dieses Strahlen war Ausdruck seiner Liebe.»Allie, mein Schatz«, sagte er.»Mach dir keine Sorgen. Ich weiß, was Tag für Tag für mich auf dem Spiel steht. «Er nahm das Telefon in die Hand.»Es geht nicht um mein Ego. Es geht darum, Leben zu retten. So wie meins gerettet wurde.«

«Du sagst doch immer, ich hätte dir das Leben gerettet.«

«Nein«, erwiderte er.»Du hast mein Leben wieder lebenswert gemacht. Ich möchte wissen, was es mit diesem Film auf sich hat. «Er hielt das Telefon hoch.»Aber ich rufe nur an, wenn du einverstanden bist.«

Sie sah keinen anderen Ausweg. Er bat sie so selten um etwas. Nach allem, was er für sie getan hatte, blieb ihr nichts anderes übrig, als zu sagen:»Also gut, Nicky. Aber sei vorsichtig.«

«Super. «Er las die Nummer von dem Zettel ab, und während er sie eintippte, fragte er:»Wie war noch der Name? Ich kann das nicht lesen.«

Sie schaute über seine Schulter auf den Zettel.»St. James«, sagte sie.

GREAT URSWICK — CUMBRIA

Als die Tore der Margaret Fox School sich öffneten, atmete Manette Fairclough McGhie erleichtert auf. Sie hatte befürchtet, dass Niamh Cresswell vergessen hatte, bei der Schule anzurufen und Bescheid zu geben, dass ihr Sohn heute von jemandem abgeholt wurde, der nicht auf der offiziellen Liste stand. Das wäre zumindest typisch für Niamh gewesen. Sie wusste, dass Manette und Ian sich nahegestanden hatten, was Manette in Niamhs Augen zu einer Post-Scheidungs-Feindin machte. Aber anscheinend war Ians Exfrau zu dem Schluss gekommen, dass die Annehmlichkeit, noch jemanden zu haben, der bereit war, ihren Sohn von der Schule abzuholen, ihr Bedürfnis überwog, sich für alle echte und vermeintliche Schmach zu rächen, die man ihr angetan hatte. Niamh hatte gesagt:»Ich werde es Gracie sagen, damit sie sich keine Sorgen zu machen braucht, wenn Tim nicht zur üblichen Zeit nach Hause kommt«, so dass Manette sich schon fast verpflichtet fühlte, nicht nur Tim, sondern auch Gracie für den Tag zu sich zu nehmen. Heute allerdings wollte sie mit Tim allein reden, denn das Gesicht, das er auf der Beerdigung seines Vaters gemacht hatte, verfolgte Manette bis in ihre Träume. Es würde ihr zehnter Versuch werden, zu dem Sohn ihres verstorbenen Vetters durchzudringen. Sie hatte es beim Totenkaffee versucht. Sie hatte es mit Anrufen versucht. Sie hatte es mit E-Mails versucht. Und jetzt wollte sie es im direkten Gespräch versuchen. Schließlich konnte Tim ihr schlecht aus dem Weg gehen, wenn er bei ihr im Auto saß.

Sie hatte heute früher Feierabend gemacht und noch schnell bei Freddie vorbeigeschaut, um sich zu verabschieden und ihm zu sagen, dass sie später nach Hause kommen würde.»Ich hole Tim ab«, hatte sie gesagt.»Ich dachte, es macht ihm vielleicht Spaß, einen Abend mit uns zu verbringen. Abendessen und dann eine DVD. Du weißt schon. Vielleicht hat er ja auch Lust, über Nacht zu bleiben. «Freddies Antwort hatte sie ziemlich überrascht. Anstatt ein abwesendes» In Ordnung, Manette «zu murmeln, hatte ihr ehemaliger Lebensgefährte ihr sein von einem Sonnenbrand knallrotes Gesicht zugewandt und gesagt:»Ach so, äh …«, und nach weiterem untypischen Gestammel schließlich herausgebracht:»Ich hab heute Abend eine Verabredung, Manette.«

«Oh«, hatte sie geantwortet und sich bemüht, ihre Verblüffung zu verbergen.

«Ich finde, es ist allmählich an der Zeit«, hatte er hinzugefügt.»Wahrscheinlich hätte ich es dir eher sagen sollen, aber ich wusste nicht so richtig, wie ich es rüberbringen sollte.«

Manette gefielen die Gefühle nicht, die das alles in ihr auslöste. Sie rang sich ein Lächeln ab.»Das freut mich für dich, Freddie. Jemand, den ich kenne?«

«Nein, nein, natürlich nicht. Nur eine …«

«Wie habt ihr euch denn kennengelernt?«

Er schob sich von seinem Schreibtisch weg. Auf dem Monitor hinter ihm sah sie ein Diagramm. Sie fragte sich, woran er gerade arbeitete. Wahrscheinlich an der Einnahmen-Überschuss-Rechnung. Er musste auch noch die Gehälter und Prämien ermitteln. Ganz zu schweigen von der schwierigen Aufgabe, nach Ians Tod eine Bilanz zu erstellen. Wann hatte Freddie die Zeit gefunden, eine Frau kennenzulernen? Er sagte:»Darüber möchte ich jetzt nicht reden. Es ist mir irgendwie unangenehm.«

«Ach so. Verstehe. «Manette nickte. Er sah sie ernst an, offenbar gespannt auf ihre Reaktion, deshalb sagte sie leichthin:»Dann bring sie doch einfach mal mit nach Hause. Mal sehen, ob sie mir gefällt. Du wirst ja sicher nicht schon wieder einen Fehler machen wollen.«

«Du warst kein Fehler«, sagte er.

«Hm. Danke, dass du das sagst. «Sie kramte ihre Autoschlüssel aus ihrer Handtasche.»Du bist also noch immer mein bester Freund?«

«Noch immer und für immer.«

Was er nicht aussprach, war etwas, das sie auch so wusste: Sie konnten nicht ewig so weitermachen wie jetzt. Obwohl sie geschieden waren, lebten sie weiter so wie immer, mit dem einzigen Unterschied, dass sie kein gemeinsames Schlafzimmer mehr hatten und nicht mehr miteinander schliefen. Geblieben war die tiefe Freundschaft, die sie schon immer miteinander verbunden hatte und die letztlich die Wurzel des Problems war. Seit dem Tag, an dem sie sich entschlossen hatten, sich scheiden zu lassen, hatte Manette oft gedacht, dass vielleicht alles anders gekommen wäre, wenn sie Kinder gehabt hätten. Dann wäre ihre Beziehung vermutlich nicht an den Punkt gelangt, wo sie nur noch über die Vor- und Nachteile einer selbstreinigenden und selbstdeodorisierenden Toilette hatten reden können — und wie man so ein Produkt am besten vermarktete. Wenn man es so weit kommen ließ, brauchte man sich nicht zu wundern, wenn irgendwann der Zauber weg war. Eine einvernehmliche Scheidung war ihnen als die beste Lösung erschienen.

Ihr war natürlich klar gewesen, dass Freddie irgendwann eine Neue haben würde. Sie selbst hatte auch nicht vor, ewig allein zu bleiben. Sie hatte nur nicht damit gerechnet, dass es so bald passieren würde. Und jetzt fragte sie sich, ob sie insgeheim gehofft hatte, dass es gar nicht passieren würde.

Vorsichtig fuhr sie durch das Tor der Margaret Fox School. Sie war noch nie hier gewesen, aber Niamh hatte ihr erklärt, wo sie Tim finden würde. Es gebe einen beaufsichtigten Wartebereich in der Nähe des Verwaltungsgebäudes, hatte sie gesagt. Manettes Name würde auf einer Liste von Personen stehen, die Tim abholen durften. Sie solle ihren Ausweis mitnehmen. Oder noch besser ihren Pass, falls sie einen habe.

Sie fand Tim ohne Probleme, da die Einfahrt zur Schule direkt auf das Verwaltungsgebäude zuführte. Der Sohn ihres Vetters saß vornübergebeugt auf einer Bank, seinen Rucksack neben sich auf dem Boden. Er tat das, was nach Manettes Erfahrung die meisten Teenager heutzutage in jeder freien Minute taten — er verschickte eine SMS.

Sie hielt am Bordstein, aber Tim war so auf sein Handy konzentriert, dass er nicht einmal aufblickte. Das gab Manette Gelegenheit, ihn einen Moment lang zu beobachten. Nicht zum ersten Mal staunte sie darüber, welchen Aufwand Tim betrieb, um die Ähnlichkeit mit seinem Vater zu verbergen. Ebenso wie Ian war er spät in die Pubertät gekommen, und er befand sich immer noch mitten in einem Wachstumsschub. Er war also ziemlich klein für sein Alter, und ohne die Schuluniform wirkte er noch kleiner, da er nur unglaublich weite Sachen trug, die ihm um den schmächtigen Körper schlackerten. Selbst seine Baseballmütze schien ihm zu groß zu sein. Seine Haare, die er ewig nicht hatte schneiden lassen, hingen ihm bis über die Augen. Die musste er natürlich besonders verstecken, denn sie waren genauso groß und braun und klar wie die seines Vaters — und sie waren wie diese der perfekte Spiegel seiner Seele.

Manette sah, dass er ärgerlich die Brauen zusammenzog. Offenbar gefiel ihm nicht, was er als Antwort auf seine SMS erhalten hatte. Er riss an seinen Fingern und biss dabei die Zähne so heftig zusammen, dass Manette es nicht mitansehen konnte. Sie sprang aus dem Auto und rief seinen Namen. Er blickte auf. Einen Augenblick lang wirkte er überrascht — Manette hätte gern gedacht freudig überrascht, aber das war sicherlich Wunschdenken —, dann war der finstere Blick wieder da. Er rührte sich nicht von seiner Bank weg.

«Hey, komm schon«, rief sie.»Heute bin ich deine Chauffeuse. Ich brauche deine Hilfe.«

«Ich hab schon was vor«, erwiderte er trotzig und gab eine neue SMS ein — oder tat zumindest so.

«Tja, ich weiß nicht, wie du von hier wegkommen willst«, entgegnete sie,»denn ich bin die Einzige mit einem fahrbaren Untersatz, die dir heute ihre Dienste anbieten wird.«

«Und wo ist Kaveh?«

«Was hat Kaveh denn damit zu tun?«

Tim blickte von seinem Handy auf und schnaubte verächtlich. Das Schnauben galt natürlich ihr, es war seine Art, blöde Kuh zu sagen, ohne es auszusprechen. Vierzehnjährige Jungs waren dermaßen leicht zu durchschauen …

«Komm schon, Tim«, sagte sie.»Lass uns fahren. Deine Mutter hat hier angerufen, und die Schule wird dich heute mit niemand anderem fahren lassen.«

Er wusste doch, wie das ablief. Und dass es keinen Zweck hatte, sich zu widersetzen. Er murmelte irgendetwas vor sich hin, raffte sich schließlich auf und schlurfte, den Rucksack hinter sich her ziehend, zum Auto. Dann ließ er sich mit so viel Wucht auf den Beifahrersitz fallen, dass das ganze Auto wackelte.»Immer mit der Ruhe«, sagte Manette.»Und anschnallen bitte. «Sie wartete, bis er ihrer Aufforderung nachkam.

Tim tat ihr leid. Das war alles zu viel für ihn gewesen. Er war im denkbar ungünstigsten Alter gewesen, als sein Vater die Familie verlassen hatte, ganz unabhängig davon, aus welchem Grund das geschehen war. Aber dass sein Vater sich als Homosexueller geoutet hatte und mit seinem Freund zusammengezogen war, hatte Tims ganze Welt auf den Kopf gestellt. Wie sollte er sich in solch einer Situation verhalten, und wie sollte er da seine eigene gerade erwachende Sexualität verstehen? In Manettes Augen war es kein Wunder, dass er verhaltensauffällig geworden war und jetzt die Sonderschule für verhaltensgestörte Kinder und Jugendliche besuchte. Denn er war tatsächlich gestört. Wer wäre das an seiner Stelle nicht?

Vorsichtig fuhr sie vom Schulgelände und bog auf die Straße ein.»Im Handschuhfach liegen CDs«, sagte sie zu Tim.»Du könntest uns ein bisschen Musik auflegen.«

«Du hast sowieso nichts, was mir gefällt. «Er schaute aus dem Fenster.

«Wetten, dass ich doch was hab? Sieh doch einfach mal nach.«

«Ich bin verabredet«, sagte er.

«Mit wem?«

«Mit jemand.«

Wieder dieses verächtliche Schnauben. Er murmelte sich etwas in den Bart. Als sie ihn bat, es zu wiederholen, sagte er:»Vergiss es«, und betrachtete die Landschaft.

Dabei gab es weiß Gott nichts Faszinierendes zu sehen. Zwischen Ulverston und Great Urswick im Süden fuhr man durch eine weite, hügelige Landschaft, vorbei an Äckern, die durch Hecken oder Bruchsteinmauern von der Straße abgeschirmt waren, an Viehweiden, auf denen die allgegenwärtigen Schafe grasten, und an vereinzelten Erlen- und Birkenwäldchen.

Es war keine lange Fahrt. Manette wohnte in Great Urswick und damit näher an der Margaret Fox School als Tims andere Verwandten. Eigentlich, dachte Margaret nicht zum ersten Mal, wäre es nur logisch, wenn Tim während der Schulzeit bei ihr wohnen würde, und das hatte sie Ian und Niamh auch vorgeschlagen, kurz nachdem sie den Jungen auf der Schule angemeldet hatten. Doch Niamh hatte nichts davon wissen wollen. Sie müssten auch an Gracie denken, hatte sie gesagt. Das Mädchen wäre untröstlich, wenn sie die Nachmittage ohne ihren Bruder verbringen müsste. Margaret vermutete, dass noch etwas ganz anderes dahintersteckte, aber sie hatte nicht insistiert, sondern sich einfach vorgenommen, den Jungen so oft wie möglich zu sich zu holen.

Great Urswick war kaum mehr als eine Ansammlung von Häusern, die an einer Stelle entstanden waren, wo sich zwischen Bardsea und Morecambe mehrere Landstraßen kreuzten. Es gab einen Pub, eine Poststelle, ein Restaurant, zwei Kirchen und eine Grundschule, und das Dorf hatte den Vorteil, dass es an einem kleinen See lag. Die Häuser am Seeufer mit ihren weitläufigen Wassergrundstücken bildeten das Nobelviertel, wie Manette und Freddie sich gern ausdrückten.

Manette hielt vor einem dieser Häuser und sagte zu Tim:»Komm mal mit. Ich zeige dir, wobei ich deine Hilfe brauche.«

«Wieso hilft Freddie dir nicht?«, fragte Tim und machte keine Anstalten, aus dem Auto zu steigen.

«Freddie?«Manette lachte.»Unmöglich. Da müsste er ja erst einmal die Anleitung studieren, und das traue ich ihm nicht zu. Wir machen es folgendermaßen: Ich lese vor, und du baust das Ding auf. Hinterher machen wir uns Hamburger mit Fritten.«

«Aufbauen? Was denn? Das kann ich nicht.«

«O doch, das kannst du. Wart’s ab«, entgegnete sie.»Wir müssen hinters Haus gehen. Komm. «Sie ging los, ohne abzuwarten, ob Tim sich abschnallte.

Es handelte sich um ein Zelt. Natürlich hätte sie es selbst aufbauen können, mit oder ohne Hilfe. Aber es ging ihr in erster Linie darum, Tim zu beschäftigen und zum Reden zu bringen oder ihn zumindest dazu zu bringen, dass er etwas lockerer wurde.

Sie packte das Zelt aus und breitete es auf dem Rasen aus. Es war ziemlich groß, eher für eine vierköpfige Familie geeignet als für das, was Manette vorhatte, aber Zelte kaufte man in der Regel nicht im Herbst, und sie hatte sich mit dem zufriedengeben müssen, was im Angebot war. Als sie gerade dabei war, die diversen Heringe und Schnüre zu sortieren, hörte sie Tim ums Haus kommen.»Ah, da bist du ja«, sagte sie.»Möchtest du ein Häppchen essen, ehe wir anfangen?«

Er schüttelte den Kopf. Sein Blick wanderte vom Zelt zu Manette und dann zum See.»Wozu willst du das denn aufbauen?«, fragte er.

«Ach, das ist nur zum Üben«, antwortete sie.»Wenn wir den Dreh erst mal raushaben, fahren wir zum Scout Scar rauf.«

«Und was machen wir da?«

«Na, zelten natürlich. Was denn sonst? Deine Mutter hat mir erzählt, dass du neuerdings da oben wandern gehst, und da ich auch für mein Leben gern in den Bergen wandere, dachte ich, wir könnten mal zusammen losziehen, wenn du fit genug bist.«

«Du gehst doch gar nicht in den Bergen wandern.«

«Hast du eine Ahnung. Ich treibe jede Menge Sport. Und Freddie möchte nicht, dass ich am Straßenrand entlangjogge. Er hat Angst, dass ich irgendwann überfahren werde. Also los, worauf warten wir noch? Willst du wirklich nichts essen? Vanillekekse? Jaffa Cakes? Eine Banane? Toast mit Marmite?«

«Ich hab Nein gesagt!«, fauchte er.»Außerdem hab ich dir gesagt, dass ich ’ne Verabredung hab.«

«Wo?«

«Es ist wichtig. Ich hab versprochen, dass ich komme.«

«Wo?«

«Windermere.«

«Windermere? Mit wem zum Teufel triffst du dich denn in Windermere? Weiß deine Mutter davon?«Sie stand auf.»Was ist los, Tim? Hast du irgendwas vor, wovon du lieber die Finger lassen solltest?«

«Was soll das denn heißen?«

«Das weißt du ganz genau. Drogen, Alkohol, irgendwas Unsinniges, das …«

«Nein! Hör zu, ich muss dahin. Wirklich

Sie hörte die Verzweiflung in seiner Stimme, auch wenn sie keine Ahnung hatte, was der Grund dafür war. Alles, was ihr als Erklärung einfiel, beunruhigte sie. Aber in seinen Augen lag etwas Gequältes, etwas, das sie um Hilfe anflehte. Sie sagte:»Ich kann dich da nicht hinbringen, ohne vorher mit deiner Mutter zu sprechen. «Sie ging in Richtung Haus.»Ich werde sie anrufen und …«

«Nein!«

«Warum nicht? Tim, was ist los?«

«Das interessiert die doch sowieso nicht. Sie weiß nichts davon. Es spielt keine Rolle. Wenn du sie anrufst … Scheiße, Scheiße, Scheiße!«Er trampelte über das ausgebreitete Zelt und ging zum Steg hinunter. Dort lag ein Boot, doch er stieg nicht ein, sondern ließ sich auf die Planken fallen und verbarg das Gesicht in den Händen.

Manette sah, dass er weinte. Es brach ihr das Herz. Sie ging zu ihm und hockte sich neben ihn.»Tim, ich weiß, dass du es im Moment schwer hast. Dass das alles ganz schlimm für dich ist. Aber das geht vorbei. Das verspreche ich dir. Es geht vorbei, weil …«

«Du weißt überhaupt nichts!«Er sprang auf und schubste sie so heftig, dass sie umfiel.»Du weißt einen Scheißdreck!«Er trat auf sie ein. Ein stechender Schmerz fuhr ihr in die Niere. Sie wollte seinen Namen rufen, aber ehe sie dazu kam, trat er wieder zu.

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