30. Oktober

BELGRAVIA — LONDON

Nach dem Motto Gefahr erkannt, Gefahr gebannt hatte Lynley die beiden Tage nach dem Gespräch mit Hillier und Fairclough mit Recherchen über den Mann, seine Familie und seine Lebensumstände zugebracht. Er hatte nicht die Absicht, blind in diese verdeckte Ermittlung zu stolpern, und es stellte sich heraus, dass es eine ganze Menge an Informationen über Fairclough gab. Er war nicht als Bernard Fairclough geboren, sondern als Bernie Dexter aus Barrow-in-Furness. Das Licht der Welt hatte er in einem zweistöckigen Reihenhaus in der Blake Street erblickt. Das Domizil der Familie Dexter lag in der Nähe der Eisenbahnlinie, in einer Armeleutegegend.

Wie Bernie Dexter sich in Bernard Fairclough, Baron von Ireleth, verwandelt hatte, war die Art Geschichte, die Sonntagszeitungen als Existenzberechtigung dienten. Im Alter von fünfzehn Jahren hatte Bernie Dexter die Schule abgeschlossen und bei Fairclough Industries als Hilfsarbeiter angefangen, und zwar in der Packerei, wo er acht Stunden täglich verchromte Armaturen in Kisten verpackt hatte. Es war ein Job, der jedem normalen Arbeiter alles an Hoffnung und Ehrgeiz ausgetrieben hätte, aber Bernie Dexter aus der Blake Street war kein normaler Arbeiter. Er war schon immer dreist, so hatte seine Frau Valerie ihn in einem Interview charakterisiert, kurz nachdem er zum Ritter geschlagen worden war, und sie musste es wissen, denn sie war eine geborene Fairclough, die Urenkelin des Firmengründers. Sie hatte den Fünfzehnjährigen kennengelernt, als sie selbst achtzehn war und er eine Rolle im Krippenspiel der Firma übernommen hatte. Für sie war die Anwesenheit auf der Weihnachtsfeier eine Pflichtübung, für ihn pures Vergnügen. Forsch nahm er seinen Weihnachtsbonus entgegen und erklärte Valerie mit einem kecken Augenzwinkern, er werde sie heiraten.»Eine echte Schönheit«, sagte er.»Ich werde dafür sorgen, dass du bis an dein Lebensende versorgt bist. «Letzteres verkündete er im Brustton der Überzeugung, als wäre Valerie Fairclough nicht schon durch ihre adelige Geburt lebenslang versorgt.

Und er hatte Wort gehalten, denn er hatte absolut keine Hemmungen, Valeries Vater direkt anzusprechen und ihm zu erklären:»Wenn Sie mir eine Chance geben, kann ich Ihrer Firma zu viel größerem Erfolg verhelfen. «Und das hatte er getan. Natürlich nicht auf einen Schlag, sondern ganz allmählich, und mit der Zeit war es ihm ebenfalls gelungen, Valerie mit seiner beharrlichen Verehrung zu beeindrucken. Außerdem hatte er die junge Frau geschwängert, als diese fünfundzwanzig Jahre alt war, woraufhin die beiden durchgebrannt waren und heimlich geheiratet hatten. Wenig später hatte Bernie ihren Familiennamen angenommen, die Effizienz der Firma verbessert, ihre Produkte modernisiert, darunter — ausgerechnet — eine ganze Serie topmoderner Toiletten, die ihm ein eindrucksvolles Vermögen eingebracht hatten.

Bernies Sohn Nicholas war von Anfang an der Schandfleck im ansonsten perfekten Leben des Bernie Dexter gewesen. Lynley fand stapelweise Informationen über den jungen Mann. Denn immer wenn Nicholas Fairclough wieder einmal auf Abwege geriet, dann tat er das vor den Augen der Öffentlichkeit. Trinkgelage, Schlägereien, Einbrüche, Rowdytum auf Fußballplätzen, Trunkenheit am Steuer, Autodiebstahl, Brandstiftung, Exhibitionismus unter dem Einfluss von Drogen … Der Mann hatte eine Vergangenheit, die sich las wie die Geschichte vom verlorenen Sohn auf Anabolika. Er hatte seinen Verfall vor den Augen Gottes, der Allgemeinheit und vor allem der Presse in Cumbria zelebriert, und die Artikel, die die Lokalblättchen über ihn gebracht hatten, hatten die Aufmerksamkeit der landesweit vertriebenen Boulevardblätter erregt, die ständig auf der Suche waren nach irgendeiner Sensation für ihre Aufmacher. Vor allem wenn die Sensation von einem Spross aus namhaftem Hause verursacht wurde.

Menschen, die ein Leben führten wie Nicholas Fairclough, wurden für gewöhnlich in jungen Jahren vom Tod ereilt, er aber war von der Liebe errettet worden, die ihm in Gestalt einer jungen Argentinierin mit dem eindrucksvollen Namen Alatea Vasquez del Torres begegnet war. Nach einer erneuten Entziehungskur war Nicholas nach Park City in Utah gefahren, um sich wie üblich auf Kosten seines verzweifelten Vaters eine angemessene Reha zu gönnen. Das ehemalige Bergarbeiterstädtchen eignete sich hervorragend für einen Entspannungsurlaub, denn es lag in einem hübschen Tal in den Wasatch Mountains und zog jedes Jahr von November bis April begeisterte Skiläufer an sowie Scharen von jungen Frauen und Männern, die als Servicepersonal eingestellt wurden.

Alatea Vasquez del Torres gehörte zu der letzteren Gruppe, und laut einem besonders reißerischen Artikel haben sich die beiden zum ersten Mal an der Kasse eines Schnellrestaurants in die Augen geblickt. Es kam, wie es kommen musste. Es folgte ein stürmisches Liebeswerben, die standesamtliche Trauung in Salt Lake City, ein letzter Absturz in den Drogensumpf — seltsame Art, eine Hochzeit zu feiern, dachte Lynley. Aber Nicholas erhob sich wie Phoenix aus der Asche und überwand seine Sucht, als seine junge Frau ihn knapp zwei Monate nach der Hochzeit verlassen hatte.

«Ich würde alles für sie tun«, hatte Fairclough später erklärt.»Ich würde für sie sterben. Ihr zuliebe eine Entziehungskur zu machen, war ein Kinderspiel.«

Sie war zu ihm zurückgekehrt, er war clean geblieben, und alle waren glücklich. Das zumindest legten sämtliche Berichte nahe, deren Lynley innerhalb der ersten vierundzwanzig Stunden seiner Nachforschungen über die Familie Fairclough habhaft werden konnte. Falls Nicholas also auf irgendeine Weise in den Tod seines Vetters verwickelt war, wäre das merkwürdig. Denn es war kaum davon auszugehen, dass seine Frau einem Mörder treu zur Seite stehen würde.

Lynley suchte nach Informationen über die anderen Familienmitglieder, aber das wenige, das er fand, ließ sie im Vergleich zu Lord Faircloughs Sohn ziemlich langweilig erscheinen. Eine Schwester geschieden, eine andere eine alte Jungfer, ein Vetter — vermutlich der Tote — der Hüter des Vermögens der Faircloughs, die Frau des Vetters Hausfrau, die beiden Kinder brav … Die Faircloughs waren extrem unterschiedlich, aber auf den ersten Blick wirkten sie alle unbescholten.

Am Ende des zweiten Tages seiner Nachforschungen stand Lynley am Fenster seiner Bibliothek in Eton Terrace und schaute auf die Straße hinaus. Hinter ihm brannte das Gasfeuer im Kamin. Ihm war nicht wohl bei der ganzen Sache, aber er wusste auch nicht, wie er etwas daran ändern sollte. Seine Aufgabe als Polizist war es, Beweise für die Schuld eines Menschen zusammenzutragen, und nicht Beweise für jemandes Unschuld zu sammeln. Wenn der Gerichtsmediziner einen Unfall als Todesursache festgestellt hatte, dann bestand eigentlich kein Grund, die Sache weiterzuverfolgen. Denn Gerichtsmediziner wussten, was sie taten. Sie verfügten über Beweise und Zeugenaussagen, auf die sie ihre Befunde stützten. Dass der Gerichtsmediziner Ian Cresswells Tod auf einen Unfall zurückgeführt hatte — bedauerlich und zur Unzeit wie alle Unfälle —, hätte allen zumindest ein gewisser Trost sein müssen.

Es war interessant, dachte Lynley, dass Bernard Fairclough sich nicht damit abfinden wollte. Dass Fairclough trotz allem immer noch seine Zweifel hatte, legte den Verdacht nahe, dass er mehr wusste, als er bei ihrem Gespräch im Twins Club zugegeben hatte. Was wiederum den Verdacht nahelegte, dass hinter Ian Cresswells Tod mehr steckte, als auf den ersten Blick erkennbar war.

Lynley fragte sich, ob Fairclough Näheres über die Ermittlungsergebnisse im Todesfall seines Neffen wusste. Und er fragte sich, ob Fairclough von sich aus mit einem Polizisten vor Ort geredet hatte.

Lynley wandte sich vom Fenster ab und betrachtete seinen Schreibtisch, auf dem neben seinem Laptop seine Notizen und alle möglichen Computerausdrucke lagen. Vermutlich musste er andere Mittel und Wege finden, um an weitere Informationen über den Tod von Ian Cresswell zu gelangen. Gerade wollte er nach dem Hörer greifen, als das Telefon klingelte. Er überlegte kurz, ob er den Anrufbeantworter anspringen lassen sollte — seit Monaten seine übliche Reaktion, wenn das Telefon läutete —, entschloss sich jedoch, das Gespräch anzunehmen.»Wo in aller Welt steckst du eigentlich, Tommie?«, fragte Isabelle.»Warum kommst du nicht zur Arbeit?«

Er hatte angenommen, Hillier würde sich um dieses Detail kümmern. Da hatte er sich offenbar geirrt.

Er sagte:»Ich muss etwas erledigen, um das Hillier mich gebeten hat. Keine große Sache. Ich dachte, er hätte dir Bescheid gesagt.«

«Hillier? Was für eine Sache?«Isabelle klang überrascht. Er und Hillier verkehrten nicht gerade auf freundschaftlicher Ebene, und wenn es hart auf hart kam, war Lynley sicherlich der Letzte, an den Hillier sich um Hilfe wenden würde.

«Es ist vertraulich«, sagte er zu ihr.»Ich darf nicht darüber …«

«Was geht da vor?«

Er antwortete nicht gleich. Er überlegte, wie er ihr erklären konnte, was er tat, ohne ihr genau zu sagen, was er tat, aber offenbar hielt sie sein Zögern für ein Ausweichmanöver, denn sie sagte schnippisch:»Ah, verstehe. Hat es mit dem zu tun, was neulich vorgefallen ist?«

«Womit?«

«Ich bitte dich. Stell dich nicht dumm. Du weißt genau, wovon ich rede. Das mit Bob. Vor meiner Wohnung. Dass wir uns seitdem nicht mehr gesehen haben …«

«Gott, nein. Es hat überhaupt nichts damit zu tun«, fiel er ihr ins Wort, obwohl er sich insgeheim eingestehen musste, dass er sich da gar nicht so sicher war.

«Wenn nicht, warum gehst du mir dann aus dem Weg?«

«Ich gehe dir nicht aus dem Weg.«

Schweigen. Er fragte sich, wo sie war. Um die Uhrzeit müsste sie eigentlich noch im Yard sein, vermutlich in ihrem Büro. Er stellte sich vor, wie sie an ihrem Schreibtisch saß, den Kopf beim Telefonieren leicht gesenkt, ihr blondes Haar hinter ein Ohr geschoben, so dass ein unscheinbarer, aber modischer Ohrring zu sehen war. Vielleicht hatte sie einen Schuh abgestreift und beugte sich vor, um sich die Wade zu kratzen, während sie überlegte, was sie als Nächstes sagen sollte.

Was sie sagte, überraschte ihn.»Tommy, ich habe es Bob gestern gesagt. Nicht, mit wem genau ich ein Verhältnis habe, denn er würde es, wie gesagt, irgendwann gegen mich verwenden, wenn er den Eindruck hätte, dass ich mein Leben nicht in den Griff bekomme. Aber ich habe ihm gesagt, dass ich einen Geliebten habe.«

«Ach?«

«Und ich habe ihm erzählt, dass du gekommen bist, als er mit Sandra da war. Dass ich dich weggeschickt habe, weil ich dachte, die Jungs wären noch nicht so weit … schließlich waren sie zum ersten Mal bei mir in London zu Besuch, und sie müssen sich ja erst mal daran gewöhnen, dass ich in London wohne. Sie müssen sich an die Wohnung gewöhnen und alles, was dazu gehört. Wenn dann auch noch ein Mann da gewesen wäre … Ich habe ihm gesagt, dass ich das für verfrüht hielte und dich gebeten habe zu gehen. Aber er sollte wissen, dass es dich gibt.«

«Ach Isabelle. «Lynley wusste, wie viel Überwindung sie das gekostet hatte: ihrem Exmann, der so viel Macht über ihr Leben hatte, von ihm zu erzählen, und jetzt ihm davon zu berichten. Er wusste nur zu gut, was für eine stolze Frau sie war.

«Du fehlst mir, Tommy. Ich möchte, dass zwischen uns wieder alles gut wird.«

«Es ist alles gut zwischen uns.«

«Wirklich?«

«Wirklich.«

Wieder Schweigen. Vielleicht war sie ja zu Hause, dachte er, saß auf der Bettkante in ihrem winzigen Schlafzimmer mit nur einem einzigen Fenster, das sich nicht öffnen ließ, und dem viel zu schmalen Bett, in dem sie unmöglich eine ganze Nacht lang gemeinsam schlafen konnten. Was vielleicht sogar Absicht war, überlegte er.

«Das Leben ist einfach kompliziert«, sagte er.»Aber das ist es immer, nicht wahr?«

«Ab einem gewissen Alter ja. Jeder schleppt so viel Gepäck mit sich rum. «Sie holte tief Luft.»Ich möchte dich heute Abend sehen, Tommy. Kommst du zu mir?«Dann fügte sie zu seinem großen Erstaunen hinzu:»Hast du Zeit?«

Er hätte ihr gern gesagt, dass es keine Frage der Zeit war. Dass es damit zu tun hatte, wie er sich fühlte. Aber auch das war kompliziert. Also sagte er:»Das weiß ich jetzt noch nicht.«

«Wegen dieser Sache, um die Hillier dich gebeten hat. Ich hoffe, dir ist aufgefallen, dass ich nicht darauf bestehe zu erfahren, was da los ist. Und das werde ich auch nicht tun. Das verspreche ich dir. Auch hinterher nicht, und du weißt ja, was das bedeutet, denn ich kenne dich und weiß, wie du hinterher bist. Manchmal denke ich, hinterher könnte ich alles aus dir rauskriegen.«

«Und warum tust du es nicht?«

«Na ja, das wäre irgendwie unfair, meinst du nicht? Außerdem bilde ich mir ein, dass ich nicht so bin. Ich trickse nicht. Jedenfalls nicht viel.«

«Trickst du jetzt?«

«Nur, um dich rumzukriegen, aber wenn ich’s zugebe, ist es kein Tricksen mehr, oder?«

Er musste lächeln. Er spürte, wie ihm das Herz aufging, und das lag daran, dass er sie begehrte, obwohl ihre Affäre zu einem unmöglichen Zeitpunkt angefangen hatte, obwohl sie überhaupt nicht zusammenpassten und das auch nie tun würden. Er begehrte sie. Immer noch und trotz allem.

«Es kann aber ziemlich spät werden«, sagte er.

«Das ist egal. Kommst du heute Abend, Tommy?«

«Ja.«

CHELSEA — LONDON

Aber zuerst musste er ein paar Dinge regeln. Das hätte er telefonisch erledigen können, doch er zog es vor, persönlich mit seinen Freunden zu reden, um einschätzen zu können, ob es ihnen widerstrebte, ihm den Gefallen zu tun, um den er sie bitten wollte. Denn sagen würden sie es ihm nie.

Die Tatsache, dass es sich nicht um eine offizielle polizeiliche Ermittlung handelte, behinderte ihn beträchtlich. Er musste ziemlich viel tricksen, um die Sache geheim zu halten.

Natürlich hätte er darauf bestehen können, dass Hillier ihm einen Kollegen zur Seite stellte, aber die einzigen Kollegen, mit denen er bereit war zusammenzuarbeiten, waren für eine heimliche Schnüffeltour in Cumbria kaum zu gebrauchen. Mit seinen eins neunzig und einer Hautfarbe wie extrem starker Tee würde DS Winston Nkata im Lake District auffallen wie ein bunter Hund. Und DS Barbara Havers, die trotz ihrer nervtötenden Angewohnheiten unter normalen Umständen seine erste Wahl wäre … Die Vorstellung, Barbara würde streitlustig und kettenrauchend durch Cumbria trampeln und sich als Naturliebhaberin auf Wanderurlaub ausgeben, war einfach lachhaft. Sie war eine hervorragende Polizistin, aber Fingerspitzengefühl war nicht gerade ihre Stärke. Wäre Helen noch am Leben, wäre sie genau die Richtige für diese Aufgabe gewesen. Und es hätte ihr großen Spaß gemacht. Tommy, Liebling, wir werden inkognito reisen! Wie aufregend! Von so etwas hab ich schon als Kind geträumt! Doch Helen war nicht mehr am Leben. Der Gedanke an Helen ließ ihn fluchtartig das Haus verlassen.

Er fuhr über die King’s Road nach Chelsea. Es war die direkte Strecke zur Cheyne Row, wenn auch nicht die schnellste, da die enge Straße durch das beliebte Einkaufsviertel führte, wo sich Boutiquen, Schuhgeschäfte, Antiquitätenläden, Pubs und Restaurants aneinanderreihten. Wie immer wimmelte es von Menschen, und ihr Anblick, vor allem ihre Jugend, machte ihn wehmütig, obwohl er gar nicht so recht wusste, warum. Und er hatte auch keine Lust, darüber nachzudenken.

Er parkte in der Lawrence Street in der Nähe des Lordship Place. Dann ging er den Weg zurück, den er gekommen war, aber nicht ganz bis zur Cheyne Row, sondern zum Garteneingang des großen Backsteinhauses, das an der Straßenecke stand.

Der Garten leuchtete in allen Herbstfarben und machte sich bereit für den Winter. Der Rasen war übersät mit Laub, das zusammengeharkt werden musste, und die Blumen in den Beeten am Rand waren längst verblüht, ihre Stängel beugten sich unter der Last der verwelkten Blüten. Die Gartenmöbel aus Korbgeflecht waren mit Schutzhüllen bedeckt. Moos wuchs zwischen den Backsteinen, mit denen der Gartenweg gepflastert war. Lynley folgte dem Weg bis zu den Stufen, die in die Küche im Souterrain führten, wo schon Licht brannte. Durch die beschlagene Fensterscheibe sah er drinnen jemanden hin und her gehen.

Er klopfte zweimal kräftig, und als der Hund bellte, öffnete er die Tür und sagte:»Ich bin’s, Joseph. Ich bin durch den Garten gekommen.«

«Tommy?«Das war nicht die Stimme, die Lynley erwartet hatte, sondern die von Josephs Tochter.»Bist du unter die Klinkenputzer gegangen?«

Sie folgte dem Hund, einem Langhaardackel mit dem unpassenden Namen Peach, zur Tür. Peach bellte und sprang aufgeregt an Lynley hoch. Das Tier war so unerzogen wie immer, der lebende Beweis für das, was Deborah St. James oft genug behauptet hatte: dass sie einen Hund brauchte, den sie auf den Arm nehmen konnte, weil sie unfähig sei, irgendeinem Wesen irgendetwas beizubringen.

«Hallo«, sagte Deborah zu Lynley.»Was für eine angenehme Überraschung!«Sie schob Peach aus dem Weg, umarmte Lynley und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.»Du bleibst zum Essen«, verkündete sie.»Aus allen möglichen Gründen, aber vor allem, weil ich heute koche.«

«Großer Gott. Wo ist denn dein Vater?«

«In Southampton. Der Jahrestag. Diesmal wollte er nicht, dass ich mitfahre. Ich nehme an, weil es der zwanzigste ist.«

«Ah. «Er wusste, dass Deborah nicht mehr zu dem Thema sagen würde. Nicht, weil es sie traurig machte, über den Tod ihrer Mutter zu sprechen, die gestorben war, als Deborah sieben Jahre alt war, sondern seinetwegen, um bei ihm keine schmerzvollen Erinnerungen zu wecken.

«Morgen kommt er wieder zurück«, sagte Deborah.»Aber bis dahin ist der arme Simon leider meinen Kochkünsten ausgeliefert. Bist du hergekommen, um mit ihm zu reden? Er ist oben.«

«Ich möchte mit euch beiden reden. Was kochst du denn?«

«Shepherd’s Pie. Aus einer Fertigpackung. Das krieg ich so gerade hin. Außerdem, Kartoffeln sind Kartoffeln, oder? Dazu gibt’s Brokkoli nach Mittelmeerart mit Olivenöl und Knoblauch. Und vorher einen Salat, auch mit Olivenöl und Knoblauch. Bleibst du zum Essen? Du musst! Wenn’s ungenießbar ist, kannst du ja flunkern und behaupten, es schmeckt wie Ambrosia. Ich merke es dir sowieso an, wenn du lügst. Aber das darfst du ruhig, denn wenn du das Essen lobst, muss Simon es auch tun. Ach ja, und Nachtisch gibt’s auch.«

«Dann wird der den Ausschlag geben.«

«Ah. Siehst du, schon hab ich dich bei einer Lüge ertappt! Aber ich spiele mit. Es ist eine französische Tarte. Genauer gesagt, eine Apfel-Birnen-Tarte.«

«Wie kann ich da widerstehen?«Lynley schaute zur Treppe, die nach oben führte.»Ist er …?«

«In seinem Arbeitszimmer. Geh nur rauf. Ich schaue noch mal kurz in den Ofen, dann komme ich nach.«

Im Erdgeschoss ging er den Flur hinunter. Er hörte Simon St. James’ Stimme aus dem Arbeitszimmer im vorderen Teil des Hauses. An drei Wänden des Zimmers standen überquellende Bücherregale, die bis zur Decke reichten, an der vierten hingen Deborahs Fotos. Als Lynley eintrat, saß sein Freund am Schreibtisch, und die Art, wie er den Kopf gesenkt hielt und sich beim Telefonieren mit der Hand durchs Haar fuhr, sagte Lynley, dass Simon sich mit irgendeinem Problem herumschlug.

«Ja, das dachte ich auch, David«, sagte St. James gerade.»Und ich glaube es immer noch. Soweit ich das beurteilen kann, ist es die Lösung, die wir suchen … Ja, ja. Das verstehe ich voll und ganz … Ich werde noch mal mit ihr reden … Wie lange genau? … Wann könnten wir sie treffen? … Ja, verstehe. «Er blickte auf, sah Lynley und nickte zum Gruß.»Also gut. Grüß Mutter und die deinen«, sagte er, dann legte er auf. Er hatte also mit seinem ältesten Bruder David gesprochen, dachte Lynley.

St. James erhob sich mühsam, schob sich vom Schreibtisch weg, um sich darauf abstützen zu können, behindert durch die Beinschiene, die er seit Jahren tragen musste. Er begrüßte Lynley und trat an den Getränkewagen vor dem Fenster.»Ich brauche einen Whiskey«, sagte er zu Lynley.»Doppelt und pur. Du auch?«

«Gern«, sagte Lynley.»Ärger?«

«Mein Bruder David hat in Southampton eine junge Frau kennengelernt, die ihr Kind zur Adoption freigeben will. Ein Notar regelt die ganze Sache.«

«Das sind ja großartige Neuigkeiten, Simon«, sagte Lynley.»Was für ein Glück, nach all den Jahren.«

«Unter normalen Umständen, ja. Es ist ein Geschenk, mit dem wir nicht gerechnet haben. «Er öffnete eine Flasche Lagavulin und schenkte ihnen beiden ein. Lynley hob die Brauen, als St. James ihm ein Glas reichte.»Den haben wir uns verdient«, sagte St. James.»Ich zumindest, und ich nehme an, du ebenfalls. «Er zeigte auf die Ledersessel vor dem offenen Kamin. Sie waren alt und rissig, genau richtig, um hineinzusinken und sich zu betrinken.

«Und wie sind die Umstände?«, fragte Lynley.

St. James schaute zur Tür, um anzudeuten, dass das Gespräch ohne Deborahs Wissen stattfand.»Die Mutter will eine offene Adoption. Und zwar soll nicht nur sie selbst am Leben des Kindes teilnehmen, sondern auch der Vater. Sie ist sechzehn, er ist fünfzehn.«

«Ah. Verstehe.«

«Deborah hat sofort gesagt, sie will kein Kind, das sie mit anderen teilen muss.«

«Klingt doch irgendwie vernünftig, oder?«

«Und vor allem«, fuhr St. James fort,»will sie ihr Kind nicht mit zwei Teenagern teilen. Sie sagt, das wäre, als würden wir nicht ein Kind adoptieren, sondern gleich drei. Außerdem ist da ja noch die Verwandtschaft auf beiden Seiten, die will auch berücksichtigt sein.«

«Also, eigentlich«, sagte Lynley,»kann ich ihre Argumente gut verstehen.«

«Ich auch. Die Situation ist alles andere als ideal. Andererseits scheint es … Na ja, sie hat die Ergebnisse der letzten Tests, und es steht endgültig fest, Tommy. Sie wird kein Kind austragen können.«

Das wusste Lynley. Er wusste es seit über einem Jahr, und anscheinend hatte Deborah ihrem Mann endlich die Wahrheit gesagt, die sie ein ganzes Jahr lang mit sich herumgetragen hatte. Balancierte Translokation nannte sich das. Eine Anomalie der Chromosomen. Wenn die beiden also Kinder wollten, blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich nach Alternativen umzusehen.

Lynley sagte nichts. Die beiden Männer sinnierten über ihrem Whisky. Das Scharren von Hundefüßen auf Holz kündigte an, dass Peach im Anmarsch war, zweifellos in Begleitung ihres Frauchens.»Deborah hat mich eingeladen, zum Abendessen zu bleiben«, sagte Lynley leise,»aber ich kann mir eine Ausrede einfallen lassen, wenn es heute ungünstig ist.«

«Gott, nein«, erwiderte St. James.»Mir wäre es lieber, du bleibst. Du kennst mich ja. Mir ist alles recht, um ein schwieriges Gespräch mit der Frau, die ich liebe, zu vermeiden.«

«Ich habe uns ein bisschen was zum Knabbern mitgebracht«, verkündete Deborah, als sie das Zimmer betrat.»Käsestangen. Peach hat sich schon eine einverleibt, sie scheinen also sehr lecker zu sein, zumindest für Hundegaumen. Bleib sitzen, Simon, ich hole mir selbst einen Sherry. «Sie stellte den Teller mit den Käsestangen auf die Ottomane, die zwischen den beiden Sesseln stand, scheuchte den Dackel davon weg und ging zum Getränkewagen.»Tommy sagt, er möchte mit uns beiden reden. Ich schätze, es handelt sich entweder um was Geschäftliches oder um eine Ankündigung oder um beides. Und falls es etwas mit dem Healey Elliott zu tun hat, schlage ich vor, dass wir ihm den Wagen auf der Stelle abkaufen.«

«Das kannst du getrost vergessen«, sagte Lynley.»Mit dem Wagen wird man mich beerdigen müssen.«

«Verdammt. «St. James grinste.

«Ich hab’s immerhin versucht«, sagte seine Frau. Sie setzte sich neben St. James auf die Sessellehne und sagte zu Lynley:»Also, worum geht’s, Tommy?«

Er überlegte, wie er das Thema angehen sollte. Schließlich sagte er:»Ich wollte euch fragen, ob ihr Lust auf einen Herbstausflug in den Lake District hättet.«

CHELSEA — LONDON

Sie bürstete sich immer das Haar, ehe sie ins Bett kam. Manchmal tat er das für sie, und manchmal sah er ihr dabei zu. Ihr Haar war lang und kräftig und kraus und leuchtend rot und überaus widerspenstig, und genau darum liebte er es. Er lag im Bett und schaute ihr zu. Sie stand vor ihrer Kommode, und im Spiegel sah sie, dass er sie beobachtete.

«Bist du sicher, dass du es dir leisten kannst, dir ein paar Tage freizunehmen?«, fragte sie.

«Es ist ja nur für ein paar Tage. Die Frage ist, willst du es denn überhaupt?«

«Du meinst, ich bin keine gute Schauspielerin?«Sie legte ihre Bürste ab und kam zum Bett. Sie trug ein dünnes Baumwollnachthemd, das sie wie üblich auszog, ehe sie zu ihm unter die Decke kroch. Es gefiel ihm, dass sie nackt schlief. Es gefiel ihm, sie neben sich zu spüren, warm und weich, wenn er sich im Schlaf umdrehte.»Helen wäre begeistert gewesen von so einer Aktion«, sagte sie.»Dass Tommy nicht daran gedacht hat …«

«Vielleicht hat er das ja.«

«Hmm. Ja. Auf jeden Fall will ich Tommy helfen, soweit ich kann. Als Aufhänger könnte ich bei Nicholas Fairclough doch etwas in der Art anbringen: ›Nachdem ich in diesem Zeitschriftenartikel über den Formschnittgarten Ihrer Eltern von Ihnen und Ihrem Projekt erfahren habe …‹ Und so weiter und so fort. Das könnte zumindest jemanden interessieren, der einen Dokumentarfilm drehen will. Wenn das nicht wäre, wüsste ich überhaupt nicht, wo und wie ich anfangen sollte. Und wie sieht’s bei dir aus?«

«Die Ergebnisse der Obduktion dürften kein Problem darstellen. Die forensischen Daten auch nicht. Was den Rest angeht, bin ich mir nicht so sicher. Die Situation ist ziemlich merkwürdig, egal, wie man das Ganze wendet. «Apropos merkwürdige Situationen, dachte er. Da gab es noch etwas. Er sagte:»David hat angerufen. Ich unterhielt mich gerade mit ihm, als Tommy kam.«

St. James konnte regelrecht spüren, wie sie sich veränderte. Sie holte tief Luft und hielt dann eine ganze Weile den Atem an. Er sagte:»Die junge Frau würde sich gern mit uns treffen, Deborah. Ihre Eltern und der junge Mann würden auch dabei sein. Sie möchte es so, und der Anwalt sagt …«

«Ich kann das nicht«, sagte Deborah.»Ich habe darüber nachgedacht, Simon. Ich hab es aus jedem denkbaren Blickwinkel betrachtet. Ehrlich. Das musst du mir glauben. Aber egal, wie ich es drehe und wende, ich komme immer wieder zu dem Schluss, dass die Nachteile die Vorteile überwiegen.«

«Es ist ungewöhnlich, doch andere Leute kommen damit auch zurecht.«

«Das mag ja sein, aber ich bin nicht andere Leute. Wir müssten ein Kind mit seiner leiblichen Mutter, seinem leiblichen Vater, den leiblichen Großeltern und Gott weiß wem sonst noch alles teilen, und ich weiß, dass das alles fortschrittlich und modern ist, doch ich möchte es nicht. Ich kann mich einfach nicht dazu überwinden, so etwas für mich zu akzeptieren.«

«Womöglich verlieren die leiblichen Eltern mit der Zeit das Interesse an dem Kind«, wandte St. James ein.»Sie sind immerhin noch sehr jung.«

Deborah, die neben ihm im Bett saß, schaute ihn fassungslos an.»Sie könnten das Interesse verlieren? Wir reden hier von einem Kind, nicht von einem Welpen. Sie werden das Interesse nicht verlieren. Könntest du dir das für dich vorstellen?«

«Nein, aber ich bin auch kein Fünfzehnjähriger. Außerdem würde es Absprachen geben. Die würde der Anwalt ausarbeiten.«

«Nein«, sagte sie.»Bitte frag mich nicht wieder. Ich kann das nicht.«

Er schwieg. Sie hatte sich abgewandt. Ihr Haar fiel ihr über den Rücken bis fast an die Taille. Er berührte eine Strähne, sah, wie sie sich von allein um seinen Finger wickelte. Er sagte:»Würdest du wenigstens noch ein bisschen darüber nachdenken, ehe du eine endgültige Entscheidung triffst? Wie gesagt, die junge Frau würde sich gern mit uns treffen. Das könnten wir wenigstens machen. Vielleicht magst du sie ja. Und den Jungen und die Eltern. Weißt du, die Tatsache, dass sie in Kontakt mit dem Kind bleiben will … Das ist doch eigentlich nicht schlecht, Deborah.«

«Wie meinst du das?«Sie wandte sich ihm wieder zu.

«Es lässt auf ein gewisses Verantwortungsbewusstsein schließen. Sie will das Kind nicht einfach nur schnellstmöglich loswerden und weiterleben, als sei nichts geschehen. Auf ihre Weise möchte sie für das Kind sorgen, für es da sein, falls es ihr irgendwann Fragen stellen möchte.«

«Fragen können wir genauso gut beantworten. Das weißt du genau. Und warum in aller Welt — wenn sie sich unbedingt um ihr Kind kümmern will — will sie ausgerechnet ein Ehepaar aus London als Adoptiveltern, anstatt ein Paar aus Southampton? Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn. Sie ist doch aus Southampton, oder?«

«Ja.«

«Also.«

Er vermutete, dass sie keine weitere Enttäuschung verkraften würde, und er konnte es ihr nicht verübeln. Aber wenn sie nicht weitermachten, wenn sie nicht jeder Gelegenheit nachgingen, die sich ihnen bot, konnte es gut passieren, dass sie eine Chance verpassten, und wenn sie ein Kind wollten, wenn sie wirklich ein Kind haben wollten …

Das war natürlich die Kernfrage. Aber wenn er sie stellte, würde er sich auf ein Minenfeld begeben, und er war lange genug mit Deborah verheiratet, um zu wissen, dass es einige Minenfelder gab, die allzu gefährlich waren. Dennoch fragte er:»Hast du denn eine bessere Idee? Weißt du eine andere Möglichkeit?«

Sie antwortete nicht gleich. Er hatte jedoch das Gefühl, dass sie tatsächlich eine Idee hatte, etwas, das sie sich nicht auszusprechen traute. Als er seine Frage wiederholte, antwortete sie:»Leihmutterschaft.«

«Großer Gott, Deborah, das ist aber …«

«Keine Eispenderin, Simon, eine Leihmutter. Unser Embryo, unser Kind und eine Frau, die bereit ist, es auszutragen. Es wäre nicht ihr Kind. Sie hätte keine Bindung zu ihm. Oder zumindest hätte sie kein Recht dazu.«

Ihn verließ der Mut. Er fragte sich, wie etwas, das für andere Leute das Natürlichste auf der Welt war, sich für sie beide zu einem derartigen Sumpf aus Enttäuschungen, Arztbesuchen, Spezialisten, Prozeduren, Anwälten, Fragen, Antworten und noch mehr Fragen hatte entwickeln können. Und jetzt das? Monate würden vergehen, bis eine Leihmutter gefunden wäre, die dann auf Herz und Nieren überprüft werden müsste, während Deborah Gott weiß welche Medikamente nahm, um Eier heranreifen zu lassen, die dann — was? — geerntet werden konnten, während er mit einem Behälter in der Hand auf die Toilette geschickt wurde, um seinen notwendigen Teil beizusteuern. Und all das, um — vielleicht, wenn sie Glück hatten und nichts schiefging — ein leibliches Kind zu bekommen? Das Ganze erschien ihm fürchterlich kompliziert, auf unmenschliche Weise mechanisiert und nur bedingt erfolgversprechend.

Er atmete tief aus.»Deborah«, sagte er und wusste zugleich, dass sie aus seinem Ton eine Skepsis heraushören würde, die ihr nicht gefiel. Dass es ihm vor allem darum ging, sie zu schützen, würde ihr nicht in den Sinn kommen. Und das war in Ordnung, dachte er, denn sie konnte es nicht ausstehen, dass er sie vor dem Leben zu schützen versuchte, auch wenn sie dazu neigte, sich alles viel zu sehr zu Herzen zu nehmen.

«Ich weiß, was du denkst«, sagte sie leise.»Und das bringt uns in eine ausweglose Situation, nicht wahr?«

«Wir haben nur unterschiedliche Ansichten. Wir nähern uns den Dingen aus verschiedenen Richtungen. Wo einer von uns eine Möglichkeit sieht, sieht der andere nur unüberwindliche Schwierigkeiten.«

Sie dachte darüber nach. Dann sagte sie langsam:»Wie seltsam. Dann kann man wohl nichts machen.«

Sie legte sich hin, kehrte ihm jedoch den Rücken zu. Er schaltete das Licht aus und legte eine Hand auf ihre Hüfte. Sie reagierte nicht.

WANDSWORTH — LONDON

Es war fast Mitternacht, als Lynley eintraf. Obwohl er es ihr versprochen hatte, hätte er besser nach Hause fahren und sich hinlegen sollen. Stattdessen stieg er die Stufen zu Isabelles Wohnung hinunter und schloss die Tür auf.

Sie kam ihm entgegen. Er hatte angenommen, sie sei längst schlafen gegangen, und zuerst sah es auch so aus, als käme sie aus dem Bett. Aber neben dem Sofa in ihrem Wohnzimmer war eine Lampe an, und er sah eine aufgeschlagene Zeitschrift dort liegen, die sie offenbar weggelegt hatte, als sie den Schlüssel im Schloss gehört hatte. Auch ihren Morgenmantel hatte sie auf dem Sofa liegen lassen, und sie kam nackt auf ihn zu, und als er die Tür hinter sich zudrückte, schmiegte sie sich in seine Arme und küsste ihn.

Sie schmeckte nach Zitrone. Einen Moment lang überlegte er, was der Geschmack bedeutete. Konnte es sein, dass sie wieder angefangen hatte zu trinken und ihm das zu verheimlichen versuchte? Aber als seine Hände von ihren Hüften über ihre Taille zu ihren Brüsten wanderten, war ihm das nicht mehr wichtig.

Sie begann, ihn auszuziehen.»Das ist ganz schlecht, weißt du das?«, murmelte sie.

«Was?«

«Dass ich den ganzen Tag an fast nichts anderes denken konnte. «Sein Jackett fiel zu Boden, und sie knöpfte sein Hemd auf. Er beugte sich zu ihr und küsste ihren Nacken, ihre Brüste.

«Das«, sagte er,»ist in deinem Beruf wirklich ganz schlecht.«

«In deinem auch.«

«Aber ich bin disziplinierter.«

«Tatsächlich?«

«Allerdings.«

«Und wenn ich dich hier berühre? So?«Er lächelte.»Wie ist es dann um deine Disziplin bestellt?«

«Dasselbe, fürchte ich, was mit deiner passiert, wenn ich dich hier küsse, und wenn ich mit meiner Zunge … so etwas mache.«

Sie atmete scharf ein. Sie kicherte.»Sie sind ja ein ganz Schlimmer, Herr Inspector. Aber ich bin durchaus in der Lage, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. «Sie zog ihm die Hose herunter, machte ihn so nackt, wie sie selber war, und drückte sich aufreizend gegen ihn.

Er spürte, dass sie genauso gierig war wie er.»Ins Schlafzimmer?«, fragte er.

«Nein, heute nicht, Tommy.«

«Also hier?«

«Ja, hier.«

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