XII Nachtgefecht

Sie brauchten über eine Stunde, um das ruhigere Wasser zwischen den beiden Landzungen zu erreichen, und dann keuchten die Ruderer vor Erschöpfung. Da sie ständig lenzen und sich an den Riemen regelmäßig ablösen mußten, kam kein zügiges Rudern zustande; Piper konnte weiter nichts tun, als einen möglichst steten Kurs zu halten und aufzupassen, daß sie nicht allzusehr aus dem Takt kamen oder laut wurden.

Bolitho spähte nach achtern und sah die dunkle Form der Gig etwa fünfzig Fuß entfernt. Leutnant Fowler hatte mehr Männer an den Riemen, aber dafür war sein Boot auch entsprechend schwerer, und zweifellos starrte er sich die Augen nach seinem Kommandanten aus dem Kopf und betete um eine kleine Ruhepause.

Aber die Strecke war noch weit, das Boot schlingerte und stampfte plötzlich im Sog einer ablandigen Strömung, und Bolitho fragte sich, wie Rooke und seine Abteilung wohl vorankamen. Als sie zwischen den Landzungen in die Bucht einfuhren, hatte er den schwachen Umriß des niedrigen weißen Leuchtturms gesehen, der wie ein Gespenst oben auf der Klippe stand, und hatte inständig gehofft, daß Rooke sie einnehmen konnte, ohne Alarm auszulösen. Er hatte auch Inch und seinen Kutter gesehen, doch nur ein paar Sekunden, dann war er in einer winzigen Seitenbucht der südlichen Landzunge verschwunden. Die Männer in der Jolle hatten Zeit und Atem gefunden, um zu fluchen und Inchs Abteilung zu beneiden. Die konnten sich wenigstens jetzt über die Riemen beugen und ausruhen, während der Kutter ankerte und auf den Moment seines Eingreifens wartete.

Der Bugmann stieß ein scharfes Zischen aus.»Da ist sie, Cap' n!»

Er deutete mit dem Bootshaken voraus. Seine gebeugten Schultern hoben sich scharf wie eine Galionsfigur gegen das dunkle Wasser ab.»Die Sperre, Sir.»

«Stopp, Jungs!«befahl Bolitho.»Bootshaken klar!«Etwa zwei Sekunden lang öffnete Allday die Blende seiner Laterne und richtete sie nach achtern. Die umwickelten Riemen der Gig hoben sich tropfend und verstummten. Lautlos glitten die beiden Boote an die behelfsmäßige Sperre heran, und die Männer im Bug setzten die Haken sorgfältig ein. Die Sperre bestand aus einem dicken Kabel, das sich in schwarzem Halbkreis in der Finsternis verlor. In rege l-mäßigen Abständen wurde es von großen Fässern an der Wasseroberfläche gehalten; obwohl in aller Eile zusammengebaut, reichte diese Sperre doch völlig aus, um ein Schiff am Einlaufen zu hindern.

Bolitho kletterte über die eingezogenen Riemen nach vorn und stützte sich auf die Schultern der keuchenden Matrosen. Das Kabel hatte sich vollgesaugt und war mit schleimigen Algen behangen, und er konnte sehen, daß es sich zu beiden Seiten unter dem Druck der Strömung ausbuchtete. So hatte er es auch erhofft und erwartet. Der andauernde heftige Regen, selten genug in diesen Breiten, hatte den kleinen Fluß auf den doppelten Wasserstand anschwellen lassen, so daß er sich nun brausend von den Bergen in die wartende See ergoß.

Überrascht schaute Bolitho hoch — der Regen hatte aufgehört. Selbst die Wolken kamen ihm dünner, nicht mehr so drohend vor, und sekundenlang überfiel ihn Panik. Dann schlug die ferne Kirchturmuhr einmal. Es war also entweder ein oder halb zwei Uhr; der Klang gab ihm die Ruhe wieder, und ohne etwas zu sagen, kletterte er zurück. Es blieb noch viel Zeit, seine Männer mußten sich ausruhen. Leutnant Fowler beugte sich aus der Gig und flüsterte gepreßt:»Kommen wir hinüber, Sir?»

Bolitho nickte.»Wir zuerst. Sie folgen, sobald wir klar sind. Das Kabel hängt zwischen den Bojen tief durch, es wird nicht schwierig.»

Dann erstarrte er, denn ein Matrose keuchte:»Sir — Boot in Steuerbord voraus!»

Sie saßen stocksteif. Die Matrosen hielten die Boote voneinander ab, um die Geräusche zu dämpfen. Erst unbestimmt und fern, dann deutlicher und näher hörten sie das Spritzen und Knirschen von Riemen.

«Wachboot«, flüsterte Bolitho. Wegen der kabbeligen Wellen war es unmöglich, das Boot selbst auszumachen, aber der regelmäßige Schlag der Riemen, der flache weiße Gischtschnurrbart um den Bug waren genug. Bolitho hörte einen Mann leise pfeifen und, völlig unerwartet und dadurch doppelt erschreckend, ein lautes zufriedenes Gähnen.

«Sie patrouillieren an der Sperre, Sir«, flüsterte Piper. Er zitterte heftig, ob aus Angst oder Kälte, blieb Bolitho unklar.

Er hörte, wie das Boot vor ihnen mit spritzenden Riemen vorbeizog; bei jedem Schlag wurde das Geräusch unbestimmter. Natürlich hielt der französische Bootssteurer bei dieser Strömung reichlich Abstand von der Sperre, auch würde die Besatzung ohne ausdrücklichen Befehl nicht allzu scharf Ausschau halten, wenn die ganze Sperre noch intakt war. Schließlich konnte kein Schiff darüber hinweg, und da sie an beiden Enden bewacht war, mußte man es sofort merken, falls sie zerschnitten wurde.

Bolitho entspannte sich ein wenig, als das Wachboot in der Finsternis verschwand. Es würde vermutlich am anderen Ende eine Weile pausieren, ehe es wieder zurückruderte, bei einigem Glück eine Viertelstunde lang. Und inzwischen. Er wandte sich um und befahl kurz:»Also dann, Jungs! Hinüber!»

Quietschend und scheuernd, von flachen Riemenschlägen getrieben, rutschten die beiden Boote über das durchhängende Kabel und glitten in den Hafen hinein. Ein direkt hinter ihnen liegendes Faß sprang im Wasser hoch, und Bolitho erwartete fast einen plötzlichen Anruf oder ein Lichtsignal, daß sie entdeckt waren. Doch nichts geschah, und mit frischer Energie legten sich die Männer wieder im die Riemen. Als es vom Kirchturm zwei Uhr schlug, kämpften sie sich mitten im enger werdenden Fahrwasser voran. Mit jeder mühseligen Minute wurde der Gegenstrom stärker.

Selbst in der Finsternis konnte man die weißgekalkten Häuser zu beiden Seiten des Hafens ausmachen. Sie standen terrassenförmig am Hang; die unteren Fenster der hinteren Reihe blickten jeweils über die Dächer der vorderen. Genau wie ein Fischerhafen zu Hause in Cornwall, dachte Bolitho. Leicht konnte er sich die steilen engen Gassen vorstellen, welche die Terrassen miteinander verbanden, die zum Trocknen aufgehängten Netze, den Geruch nach Fisch und Teer.

Heiser sagte Allday:»Da ist sie, Captain. Die Saphir.».

Der Rumpf des Zweideckers war nur ein dunklerer Schatten, aber vor den helleren Häusern hoben sich seine Masten und Rahen wie schwarzes Spinngewebe ab. Allday legte ganz leicht Ruder; gefolgt von der Gig, glitten sie weiter in die Fahrwassermitte und von dem schlafenden Schiff weg.

Der scharfe Geruch nach verkohltem Holz und verbrannter Farbe, den der Wind herantrug, erinnerte Bolitho an das Gefecht. Hier und da konnte er an Bord eine Blendlaterne ausmachen, auch den sanften Schimmer des Oberlichts auf der Back. Doch kein Anruf ließ sich hören, kein plötzlicher alarmierender Schrei.

Die eroberte Schaluppe Fairfax lag zwei Kabellängen hinter dem Franzosen in flacherem Wasser. Sie schwojte unruhig in der Strömung, den schlanken Bug landeinwärts gerichtet. Bolitho musterte sie genau, während die beiden Boote vorüberglitten. Sein erstes Kommando war eine Schaluppe gewesen, und auf einmal verspürte er Mitgefühl für die kleine Fairfax. Ein Schiff in Feindeshand stimmt einen stets irgendwie traurig, dachte er. Ohne ihre gewohnte Besatzung, ohne Schiffsführung in der Muttersprache, mit neuem Namen und nach den Bedürfnissen des Siegers umgerüstet, blieb sie trotz allem doch dasselbe Schiff.

«Die Brücke, Sir!«flüsterte Piper. Es war nicht viel mehr zu sehen als ein grauer Buckel, aber Bolitho wußte, daß sie das Ende des Hafens erreicht hatten; und wie zur Bestätigung seiner Berechnungen schlug die Kirchturmuhr dreimal. Beim Aufblicken sah er, daß jetzt durch Risse in den Wolken hier und da ein Stern blinkte. Also war der Sturm vorbei.

Unvermittelt kam der Augenblick der Entscheidung. Seine Männer konnten nicht mehr rudern; unter der Brücke rauschte die Strömung wie ein Wildwasser, und für die müden, schwitzenden Ruderer gab es deshalb keine Rastchance.

Rasch blickte er sich im Boot um.»So, Jungs. Wir lassen uns jetzt also wie besprochen vom Strom treiben. Wir nehmen die Großrüsten; Mr. Fowler entert über die Back auf. «Leise zog er seinen Degen und deutete über Bord.»Abfallen, Allday! Bleiben

Sie klar von der Gig — wir wollen Mr. Fowler nicht in die Quere kommen, er hat genug zu tun.»

Allday drückte die Pinne herum, die Riemen wurden leise eingezogen, und das Boot nahm direkten Kurs auf die schlanke Schaluppe. Alle hielten den Atem an, als das Wasser an der Außenhaut, das Kratzen von gezogenem Stahl erschreckend laut klangen. Selbst das Bilgewasser unter den Bodenbrettern schwappte so vernehmlich, daß mancher Mann erschrocken zusammenfuhr.

Plötzlich dräute die Fairfax über ihnen. Fast schienen die Masten mit den angeschlagenen Segeln an die Sterne zu rühren. Dann, als Allday die Pinne noch stärker umlegte und die Jolle schwerfällig auf die Rüsten zuschwang, zerriß eine Stimme direkt über ihnen die

Stille.

«Qui v a lä?»

Schwarz hoben sich Kopf und Schultern des Mannes vom festgemachten Großsegel ab. Mit einer zügigen Bewegung riß Bolitho Midshipman Seton hoch und zischte:»Los, Junge! Antworte ihm!»

Seton fühlte sich noch schlapp von der Seekrankheit, und in der plötzlichen Stille klang seine Stimme gebrochen und schwankend. »Le patrouilleur.«Er würgte, als Bolitho ihn nochmals rüttelte. »L'oficier de garde!»

Bolitho fühlte sich krampfhaft grinsen und flüsterte:»Gut gemacht!«Von oben her war ein Gemurmel zu hören, das nun, da alles in Ordnung schien, eher ärgerlich als besorgt klang.

Dumpf stieß der Bootssteven gegen den Schiffsrumpf, die Enterhaken flogen über das Schanzkleid. Bolitho sprang in die Rüsten, der Degen baumelte ihm vom Handgelenk, irritiert von den ungewohnten Aufbauten zog er sich hoch und über die Schanz. In der Dunkelheit hörte er unter sich einen scharfen Schrei und den scheußlichen Laut, mit dem sich ein Entermesser in Fleisch und Knochen grub. Dann war außer schwerem Atmen und dem Klatschen nackter Füße an Deck nichts mehr zu hören.

«Allday! Nehmen Sie mit zehn Mann das Logisdeck! Wahrscheinlich schlafen sie alle, verlassen sich auf die Ankerwache. «Bolitho deutete mit dem Degen zum Niedergang.

Unten in Höhe des Wasserstags war jetzt das Aneinanderschla-gen von Riemen und ein ärgerlicher Ruf zu hören; Bolitho eilte über das finstere Deck und sah Fowlers Leute auf der Back, die gerade den Festmacher der Gig belegten.

«Still da! Was, zum Donnerwetter, fällt euch ein?«zischte er.

Ungeschickt kletterte Fowler über den Kranbalken und keuchte:»Tut mir leid, Sir! Einer ist auf mich gefallen. Geht alles klar, Sir?»

Trotz seiner nervösen Spannung mußte Bolitho grinsen.»Sieht so aus, Mr. Fowler. «Er wandte sich um, denn ein riesiger Ire namens O' Neil kam eben übers Deck und tippte sich grüßend an Stirn.»Was ist?»

«In der Kapitänskajüte is' keiner, Sir. Aber Ihr Bootsmann hat unten 'n paar Franzmänner gefunden. «Er deutete zum Niedergang und wiegte dabei unternehmend das Entermesser in der mächtigen Hand.»Vielleicht sollt' man sie erledigen?»

«Kommt nicht in Frage, O'Neil«, sagte Bolitho scharf und wandte sich wieder Fowler zu.»Gehen Sie mit Ihren Männern sofort an die Arbeit. Jedes Stück Tuch, jede Spiere, überhaupt alles Brennbare, am Vormast aufstapeln!»

Fowler erschauerte leicht und blickte über Bord, als die Schaluppe zur Strommitte hin schwojte.»Aye, aye, Sir. Ein paar Männer schaffen schon das Öl aus der Gig herauf. Mein Gott, das Schiff wird bei diesem Wind wie ne Fackel brennen!»

«Ich weiß«, nickte Bolitho.»Schlimm. Ich tu's wahrhaftig nicht gern.»

Schon kamen die Männer mit den kleinen Ölkanistern vom Bug herbeigeeilt.»Muß es denn wirklich sein?«fragte Fowler.

«Das Schiff ist nicht so viel wert wie das Leben unserer Leute, Mr. Fowler. Vorausgesetzt, daß der Wind nicht umschlägt, können wir die Trosse kappen und es auf die Saphir zutreiben lassen. «Er ließ den Degen in die Scheide gleiten und schloß:»Nichts richtet solche Panik an wie ein Brander.»

Midshipman Piper spähte aus dem Niedergang zu ihm hoch, seine Augen glitzerten vor Erregung.»Sir — da unten!«Anscheinend war er so durcheinander, daß ihm die Worte fehlten.»Allday hat was gefunden…«Er brach ab, denn eben kam der Bootssteurer raschen Schrittes an den geschäftigen Matrosen vorbei, einen kleinen Mann, der ein flatterndes Hemd und nicht viel mehr am Leibe trug, hinter sich herziehend.

«Wer ist dieser Mann?«fragte Bolitho scharf.

Allday starrte kurz den wachsenden Haufen Zunder beim Vormast an und antwortete dann gelassen:»Er ist der Steuermannsmaat, der hier die Aufsicht hatte, Captain. «Er atmete tief.»Aber um ihn geht's nicht. Da unten liegen über dreißig verwundete Franzosen. Der junge Mr. Seton spricht jetzt mit ihnen und beruhigt sie, so gut es geht.»

Bolitho drehte sich um und blickte zu der fernen Saphir hinüber.»Schwer verwundet?«fragte er schließlich.

«Aye, Captain. Anscheinend Leute von der Saphir. Mr. Seton sagt, sie wollten morgen in See gehen und versuchen, die Blockade von Marseille zu durchbrechen. «Er schüttelte den Kopf.»Aber ich glaube, manche werden den Morgen nicht mehr erleben.»

Erregt stieß Fowler hervor:»Also, das ist nicht zu ändern. Sie hätten ja bei den Breitseiten ebenfalls sterben können. Verbrennen ist ein ziemlich schneller Tod.»

Bolitho versuchte, seine rasenden Gedanken zu ordnen. Alldays Entdeckung kam wie ein Schlag ins Gesicht. Er hatte mit allem nur Menschenmöglichen gerechnet: daß sie sich den Weg an Bord erkämpfen mußten, daß eine tüchtige Ankerwache oder Patrouille sie abschlug. Dann hätte die Gig von der anderen Flanke her eingreifen müssen oder hätte zumindest die Überlebenden in Sicherheit oder schlimmstenfalls in Gefangenschaft gebracht. Nun starrte er ratlos auf die emsig arbeitenden Matrosen. Der Magen drehte sich ihm um.

Fowlers Worte über die verwundeten Matrosen hatten ebenso etwas für sich wie seine eigenen:». nicht so wertvoll wie das Leben unserer Leute«, hatte er gesagt. Der Plan, das wußte er, hätte geklappt. Wenn die Schaluppe erst einmal brannte, wäre sie wie ein Bote der Hölle auf den schlafenden Zweidecker zugetrieben. Die Saphir hätte ebenfalls in Brand geraten müssen, beide Schiffe wären bis zur Wasserlinie heruntergebrannt, und die Gefahr für Pom-frets Landung wäre beseitigt gewesen. Die Mannschaft der Saphir hatte Mut und Geschick im Gefecht bewiesen; aber müde Männer, die im sicheren Hafen erwachten, ihre Welt in Flammen stehen sahen und wußten, wenn das Feuer das Magazin erreichte, würden sie allesamt in die Luft fliegen, solche Männer konnten kaum noch Kampfeswillen aufbringen.

Plötzlich mußte er an Rooke und die Abteilung am Leuchtfeuer denken. Es mußte inzwischen in ihrer Hand sein, sonst wäre Alarm gegeben worden. Rooke würde schon nach Flammen Ausschau halten. Unterhalb der Landspitze warteten Inch und seine Männer, um die Sperre zu kappen. Dessen Aufgabe wäre die leichteste gewesen, denn kein Wachboot patrouillierte im Hafen, wenn das eigene Schiff verbrannte.

Tonlos sagte er:»Ich schicke keinen Menschen in einen solchen Tod. «Er sah Allday an.»Wie stark war die Ankerwache?»

«Sieben Mann, Captain«, entgegnete Allday.»Ich hab' sie wie befohlen gefesselt, nur einen mußten wir niederschlagen. «Unsicher fuhr er fort:»Niemand kann Ihnen einen Vorwurf machen, Captain. Wenn' s andersrum wäre — bestimmt würden die Sie lebendig braten.»

Ernst blickte Bolitho ihn an.»Solche Vermutungen helfen mir wenig. «Er sah zum Himmel auf. Es klarte rasch auf, und nach Osten zu standen die Sterne wie ein Stickereimuster überm Horizont. Irgendwo da draußen kreuzte Herrick und hielt sorgenvoll Ausschau nach dem Leuchtfeuer, das ihn in den Hafen leiten sollte, ehe der Morgen graute; denn sobald es hell wurde, war er nackt und schutzlos.

Er faßte einen Entschluß.»Schafft die Leute an Deck. Die Schaluppe hat zwei Boote, und wir nehmen auch noch eins von unseren. «Er sprach sehr rasch, wie um sich selbst zu überzeugen.»Schont sie soweit wie möglich, aber beeilt euch, um Gottes willen!«Er erwischte Piper beim Ärmel.»Sie, mein Junge, haben die Aufsicht beim Ausbooten. Auf der Hyperion haben Sie das oft genug gemacht; aber diesmal muß es ohne jedes Geräusch vor sich gehen!»

Piper nickte und rief im Wegeilen ein paar Namen. Bolitho sah ihm nach, bis die Finsternis den kleinen Kerl verschluckt hatte, und fühlte sich seltsam bewegt. Dann riß er sich aus seiner Bedrücktheit und wandte sich an Fowler. Es hatte keinen Zeck, in Midshipmen nur sechzehnjährige Knaben zu sehen. Sie waren Offiziere des Königs, und es war weder möglich noch zweckmäßig, sie anders zu behandeln.»Wenn die Franzmänner drüben nicht stocktaub sind«, bemerkte Fowler sachlich,»dann müssen sie merken, daß irgendwas in Gange ist, Sir. «Bitter fügte er hinzu:»Vielleicht hatte dieser Charlois doch recht!»

Nachdenklich blickte Bolitho ihn an.»Würden Sie das Schiff mit all diesen hilflosen Menschen da unten in Brand stecken?»

Fowler trat von einem Fuß auf den anderen und entgegnete schließlich:»Wenn es mir befohlen wird — ja.»

«Danach habe ich nicht gefragt«, erwiderte Bolitho kalt.»Befehle auszuführen, ist immer leichter, als sie zu erteilen. Wenn Sie so lange leben, daß Sie selbst kommandieren, werden Sie sich daran erinnern.»

Betreten murmelte der Leutnant:»Entschuldigung, Sir.»

Ein dumpfes Geräusch, ein Schmerzensschrei, und der erste Verwundete wurde durch den Niedergang heraufgeschafft. Bolitho vernahm Setons Stimme; besänftigend, beschwörend, versuchte er, den Ausbruch einer Panik unter den erschreckten Franzosen zu verhindern. Bolitho verstand nicht recht, was der Junge sagte, aber er schien Erfolg zu haben, denn der Mann lag jetzt ganz still beim Schanzkleid, als das erste Boot aus seinen Halterungen gehoben und an knarrenden Taljen ausgeschwenkt wurde. Piper tanzte fast vor Aufregung:»Leise! Hol an!«Und als das Boot über der Reling verschwand, krächzte er:»Fier ab — sachte!»

«Nehmen Sie die Gig«, sagte Bolitho,»und machen Sie sie achtern fest. Wir müssen die Jolle zur Küste schicken, fürchte ich.»

«Sie war schon vorher überladen«, sagte Fowler.»Wenn jetzt noch Ihre Abteilung dazukommt.»

Allday rannte heran.»Bloß noch drei Mann, Sir. Einer ist tot, den lasse ich liegen.»

Das zweite Boot klatschte längsseit ins Meer, und die Matrosen der Hyperion begannen, die Verwundeten über die Reling zu heben. Gefesselt, verängstigt, von mehreren Bewaffneten bewacht, stand die französische Ankerwache am Großmast, und ihr toter Kamerad lag noch an der Schanz als Warnung für jeden, der etwa an Widerstand dachte.

Die Männer arbeiteten rasch und leise, doch mit der Zeit wurde die Spannung unerträglich. Bolitho versuchte, nicht zum Himmel aufzusehen, denn der war jedesmal heller.»Mr. Seton«, sagte er,»machen Sie diesen Franzosen klar, daß sie in den Booten mausestill zu sein haben! Ein Laut, und ich spicke sie mit Schrapnell, ehe sie eine halbe Kabellänge weg sind!»

«Aye, aye, Sir«, nickte Seton, schwankend vor Erschöpfung und Schrecken.»T-tut mir leid, daß es nicht l-leiser ging, Sir.»

Bolitho legte ihm die Hand auf die Schulter.»Sie haben das sehr gut gemacht, mein Junge! Ich bin stolz auf Sie.»

Allday trat zur Seite, als Seton an ihm vorüberrannte, und meinte gelassen:»Der ist gar nicht so übel, Captain.»

«So sagten Sie schon. «Die Kirchturmuhr schlug vier, und Bo-litho schob den Hut zurück.»Es wird spät, Allday. Wie viele noch?»

Der Bootsführer blickte übers Deck.»Nur noch die beiden da an der Schanz. Ich schaff' sie hinunter. «Doch als er herzutrat, geriet einer der beiden Hilflosen ins Rollen und stieß einen schrillen Schmerzensschrei aus, so plötzlich und unerwartet, daß alle erstarrten. Doch dann warf sich Allday über ihn, preßte die Hände auf den Mund des armen Kerls, und der Schrei riß ab, als sei eine Tür zugeschlagen worden.

«Tot, Captain«, sagte Allday leise und stand auf. Bolitho beobachtete die vor Anker liegende Saphir. Auf ihrem Achterdeck waren einige schattenhafte Gestalten erschienen. Laternen bewegten sich.»Spielt keine Rolle mehr, Allday«, entgegnete er.»Er hat sie geweckt.»

Alle versteinerten, als von drüben der schneidende Ton einer Trompete über das schwarze Wasser schallte; und gleich darauf wirbelte eine Trommel. Überall im Hafen wurden Fenster hell. Hunde bellten, Seevögel schrien verschlafen.

Als Bolitho sich umwandte, sah er, daß seine Leute zu ihm aufsahen; seine Verzweiflung wich einer verzehrenden, bitteren Wut. Diese Männer hatten ihm vertraut, hatten seinen Befehlen ohne zu fragen gehorcht, auch angesichts des überwältigenden Risikos. Nun standen sie da und warteten, während man dort, jenseits des Wassers auf dem französischen Schiff zu den Waffen griff. Aus dem Augenwinkel sah er, wie einer aus seiner Bootsmannschaft sich bekreuzigte; ein anderer lehnte an der Reling und starrte zum Land hinüber, als sähe er es zum letztenmal. Irgend etwas hakte in Bo-litho aus; und als er sprach, erkannte er seine Stimme selbst kaum wieder:»Stoßen Sie die Boote ab, Allday!«Und zu Fowler:»Fertig zum Kabelkappen; und sagen Sie Piper, er soll die Gig übernehmen!«Doch Fowler starrte ihn nur wortlos an; da packte Bolitho ihn beim Handgelenk.»Wir sind nicht von so weit gekommen, um jetzt so schnell aufzugeben. «Er wandte sich an die stumm dastehenden Matrosen:»Na, Jungs — kämpfen oder schwimmen wir?»

Wie auf Signal schien die Betäubung zu weichen; sie rannten zur Back, und jemand rief:»Los, Leute! Wir braten diese Hunde, ehe sie uns vollspucken!»

Ein dumpfes Krachen, und eine schlecht gezielte Kugel hüpfte fünfzig Yards vor dem Bug übers Wasser. Jemand auf der Saphir hatte offenbar ein Buggeschütz bemannt; aber da beide Schiffe in Wind und Strom heftig schwojten, blieb das eine leere Geste.

Der letzte der französischen Ankerwache sprang über die Reling, das Boot warf die Leinen los, und Fowler schrie:»Vorn alles klar,

Sir!»

«Kappen!«brüllte Bolitho.

Mit einem Knall brach das steife Ankertau und schnellte peitschengleich über den Bug. Das kleine Schiff trieb sofort ab, krängte steil in seiner plötzlichen Freiheit.

«Anzünden, Captain?«schrie Allday.

Doch Bolitho spähte über den Bug zu dem anderen Schiff hinüber. Er konnte heisere Kommandos hören, das Rumpeln der aufgehenden Stückpforten, das beredte Knarren und Quietschen ausfahrender Lafetten.

«Noch nicht!»

Wahrscheinlich dachte der Kommandant der Saphir, daß es sich um einen Überfall handelte, mit dem die Engländer die Fairfax befreien wollten. Was es auch später kosten mochte, er mußte sie möglichst lange in diesem Glauben halten.

Allday schluckte und griff nach seinem Entermesser. Der Wind drückte die Schaluppe weiter in die Strommitte, und Bolitho sah die Doppelreihe der feindlichen Geschützpforten. Einige standen schon offen, andere öffneten sich jetzt, denn immer mehr Männer gehorchten dem fordernden Ton der Trompete und eilten auf Gefechtsstationen.

Der ganze Hafen war jetzt hell, als hätte ein einziger Blitz alle Lampen angezündet. Der erste Salve krachte und hallte zwischen den Berghängen wider. Hohe Wassersäulen stiegen rechts und links empor; Bolitho sah etwas Helles, Deformiertes an der Bordwand der Sloop entlangreiben; Schreie brachen unvermittelt ab, als das zerschmetterte Boot kenterte und sank. Eine Kugel mußte es getroffen und entzweigeschlagen haben, gerade als die freigelassenen Franzosen versuchten, ihre Verwundeten an Land zu rudern.

Noch mehr Geschütze brüllten auf, und der Widerschein ihrer langen, orangeroten Feuerzungen auf dem Wasser sah aus wie eine zweite Batterie. Bolitho fühlte, wie sich der Schiffsrumpf unter ihm hob, und hörte das splitternde Krachen aufgerissener Planken, als die schweren Kugeln durch das untere Deck pflügten, als wollten sie der Schaluppe das Herz aus dem Leibe reißen.

Ein Mann schrie:»Der Großtopp kommt von oben! In Deckung!»

Wild fuhr alles auseinander, als die gesplitterte Stenge mit ihrer Rah auf das Achterdeck niederdonnerte und die gerissenen Leinen wie mit Klauen nach den Männern hieben und einen sogar über Bord rissen.

Wieder eine Reihe von Blitzen, diesmal aber näher und besser gezielt. Die Fairfax schüttelte sich wie im Krampf, Planken und Decksbalken bogen sich aufwärts — es war, als verfluche das Schiff die Männer, die es tatenlos zugrunde gehen ließen.

Bolitho krallte sich an der Reling fest; eine Kugel durchschlug die Steuerbordschanz und zerfetzte zwei Matrosen, die eben einen Verwundeten wegschleiften. Er war dankbar für die Finsternis, obwohl sie die formlose, zuckende Menschenmasse weder ganz verhüllen, noch das gräßliche Schreien und Winseln ersticken konnte.

Er wappnete sein Bewußtsein dagegen und brüllte:»Legt Feuer!»

Geduckt schleuderte ein Matrose eine Laterne in den Stapel aus Tuch und Holz, und sekundenlang sah Bolitho im Gesicht des Mannes, der hier seinem Zorn freien Lauf ließ, eine unbeschreibliche Maske des Hasses und der Rachsucht.

Die Entfernung zwischen den beiden Schiffen betrug nur noch knapp siebzig Yards, und zunächst dachte Bolitho, es sei schon zu spät. Er konnte auf dem Decksgang der Saphir bereits Männer sehen, die zu der Stelle rannten, wo die beiden Schiffe einander berühren würden. Er konnte ihr triumphierendes Geschrei hören — wie das Kläffen eines wilden Rudels kurz vor dem Reißen der Beute.

Flammen huschten über das Deck wie Funken einer Lunte, und als sie den ölgetränkten Stapel erreichten, schien die ganze Schaluppe in Flammen aufzugehen, so daß die Männer zurücktaumelten und die Augen mit den Händen schützten, fasziniert und erschüttert von dem, was sie da angerichtet hatten. Wieder schlug eine Salve ein; unter Deck hörte Bolitho Wasser gurgeln und Schotts einreißen — die See wollte ihren Sieg vollenden.

Der Wind trieb den Rauch von der Back nach achtern, und Bo-litho hustete heftig. Er rieb sich die Tränen aus den Augen. Vormast und Vorbramrah flammten auf wie ein riesiges brennendes Kruzifix. Das Feuer verbreitete sich mit phantastischer Schnelligkeit. An Bord der Saphir verwandelte sich der Jubel bereits in Schreckensrufe. Jemand zog die Reißleine eines Schwenkgeschützes; Schrot hagelte an Bolithos Gesicht vorbei und schlug gegenüber ins Deck. Ein Matrose wurde von den Füßen gerissen; noch in der Luft brach sein Schrei ab, und er fiel als zuckendes Bündel an Deck zurück, wo sein Todeskampf eine Blutspur auf die Planken zeichnete.

Bolitho sah Seton geduckt, die Hand vor dem Mund, nach achtern rennen, und mußte ihn mehrmals beim Namen rufen, ehe er ein Zeichen des Verstehens erkannte.

«In die Gig, Mr. Seton! Alles von Bord!«Jenseits der Flammen sah er die hohe Bordwand des Zweideckers; jedes Geschützrohr glänzte in seiner Pforte wie in hellem Sonnenlicht, als der Brander immer nähertrieb.

«Kommen Sie, Captain!«brüllte Allday.»Wir sind gleich…»

Wieder fegte ein Schrotschuß übers Deck, jagte aus den Flammen Funken hoch und riß mehrere Männer nieder, die Fowler nach achtern trieb.

Seton faßte nach seiner Schulter und sagte schwach:»Ich bin getroffen, Sir!«Dann sank er um. Und gerade, als ein Matrose zu ihm hineilte, stieß der angekohlte Bugspriet der Fairfax wie eine Lanze ins Klüvergeschirr der Saphir.

«Zurück, Sir!«brüllte Fowler.»Schnell, sie entern uns!»

Schon sprangen Franzosen aufs Deck der Schaluppe, einige rannten zu den Flammen, andere tasteten sich durch den Rauch, feuerten mit Pistolen, hieben mit Entermessern nach Todwunden und Lebenden.

Bolitho sah einen französischen Matrosen auf sich zukommen und spürte den Luftzug einer Kugel an der Wange, ehe er die Pistole aus dem Gürtel riß. Aber dann zuckte die Waffe in seiner Hand auch schon im Rückstoß, der Mann taumelte, schrie auf, griff an die Brust und fiel zurück in den Qualm. Bolitho schleuderte die leergeschossene Pistole einem anderen Gegner ins Gesicht und zog den Degen. Immer mehr Gestalten erschienen auf dem Achterdeck, tasteten sich wie Blinde mit ausgestreckten Armen durch den treibenden Vorhang aus Qualm und Flugasche. Undeutlich hörte Bo-litho die Kirchturmuhr schlagen, doch jetzt aus einer anderen Richtung — daran merkte er, daß beide Schiffe zusammen abtrieben. Jemand an Bord der Saphir hatte noch die Ankertrosse gekappt; doch als eine Bö sekundenlang den Rauch teilte, sah er, daß es bereits zu spät war: Flammenzungen liefen die Takelage hinauf, das Schiff brannte unrettbar.

Dann ballte sich der Rauch wieder zu einer erstickenden Wolke zusammen. Heulend trieb der Wind die Flammen über das Deck der Schaluppe, Funkengeysire zischten himmelwärts, noch über den Masttopp hinaus. Um ihn herum fochten Männer; das scharfe Klirren von Stahl auf Stahl und vereinzelte Pistolenschüsse setzten spitze Akzente im dumpfen Kampfeslärm. Er fühlte das Deck unter seinen Füßen absacken, die Planken vibrierten im einströmenden Wasser. Es war ein Wettrennen zwischen dem Feuer und der See. Die Fairfax hatte ihre Aufgabe vollbracht; jetzt konnte sie unter die Wasseroberfläche gleiten, sei es auch nur, um ihren elenden Zustand zu verbergen.

Fowler war jetzt wieder neben Bolitho; sein Degen blitzte im Feuerschein, als er die Klingen der immer noch aus Rauch und Aschenregen anstürmenden Franzosen parierte.

«Wir müssen die Verwundeten zurücklassen, Sir!«überbrüllte er den Kampfeslärm. Er machte einen Ausfall, und ein Gegner taumelte schreiend gegen das Schanzkleid. Bei dem Fall schien sich das Deck unter seinem Rücken zu öffnen, Flammen sprühten zwischen verkohlten Planken hoch, so daß der Mann sich krümmte wie eine arme Seele im Höllenpfuhl; seine Haare brannten, seine Schreie gingen unter im furchtbaren Brausen der Flammen, die jetzt aus dem Schiffsrumpf schossen.

Bolitho stolperte vorwärts und fand Seton noch an der Reling liegen, den Kopf wie im Schlaf auf dem gebogenen Arm. Der Matrose, der ihn in die Gig schaffen sollte, war geflohen oder tot; mit fast wahnsinniger Wut stellte Bolitho sich breitbeinig über den Jungen, hieb einen Angreifer nieder und erwischte mit dem gleichen Schwung einen anderen, der beim Ruder gegen Allday kämpfte.

Aber es wurde immer gefährlicher. Lange konnte es nicht mehr dauern. Die Franzosen schienen so von Sinnen vor Wut und Verzweiflung, daß sie mehr danach trachteten, die Handvoll britischer Matrosen zu vernichten, als ihr eigenes Schiff zu retten.

Fowler ließ den Degen fallen und schlug die Hände vors Gesicht.»O Jesus, o mein Gott!«brüllte er. Im Licht der flackernden Flammen glitzerte sein Blut, das ihm über Hals und Brust strömte, wie schwarzes Glas. Gurgelnd brach er in die Knie, und ein französischer Leutnant, barhaupt, den Uniformrock in verkohlten Fetzen, riß den Degen hoch, um Fowlers ungeschützten Schädel zu spalten. Bolitho sprang nach vorn, blieb mit dem Fuß an einer gesplitterten Planke hängen und sah, wie die Klinge des Franzosen die Richtung wechselte und sausend die Luft durchschnitt. Mit letzter Kraft hielt er sich im Gleichgewicht und hob instinktiv den linken Arm zum Schutz. Die Klinge fuhr in seinen Unterarm; er fühlte einen betäubenden Schmerz. Aber der französische Leutnant rutschte aus, die Wucht seines Angriffs warf ihn fast um; sein Gesicht glühte im Feuer wie eine Maske aus Metall, mit funkelnden Augen starrte er Bolithos Degen entgegen, der über Setons Körper eine Finte schlug — dann stach die rasiermesserscharfe Klinge zu. Der Franzose schrie nicht einmal auf, sondern taumelte zurück, die Finger in die Brust gekrallt, den Rücken wie in grotesker Verneigung gekrümmt.

«Sie sinkt, Captain!«brüllte Allday. Bolitho blinzelte und versuchte, sich den Schweiß aus den Augen zu wischen. Aber sein Arm hing wie tot herab, und mit ungläubigem Schrecken sah er, daß Blut an seiner Seite niederrann, sein Hosenbein durchfeuchtete und an Deck tropfte. Betäubt schüttelte er den Kopf und starrte zum Bug. Die hohe Flammenwand hatte sich auf die Saphir verlagert, wo aufgegeite Segel und geteerte Leinen als peitschende Flammenschnüre davonflogen; kleinere Feuerherde huschten, vom Wind getrieben, zum Achterschiff und setzten alles in Brand, was sie unterwegs berührten. Durch die verlassenen Stückpforten konnte er sehen, daß das Schiff auch innen wie ein Schmelzofen brannte. Blindlings sprangen Männer über Bord und schrien furchtbar, wenn sie zwischen die brennenden Rümpfe gerieten und zu einem blutigen Brei zerquetscht wurden. Aber das Deck der Schaluppe kippte nun schnell ab. Unten strömte die See ein und erstickte die Flammen mit triumphierendem Zischen. Der Fockmast war ganz über Bord gegangen; das hatte Bolitho in dem Chaos aus Tod und Vernichtung überhaupt nicht gemerkt. Leichen rollten die Deckschräge abwärts, einige Verwundete krochen wimmernd von den Flammen weg oder versuchten mit letzter Kraft, das Achterdeck zu erreichen.

«Gig ist klar!«brüllte Allday.»Los, Captain, ich helfe Ihnen!»

Bolitho blickte sich noch immer um, als erwarte er den nächsten Angriff. Aber außer ihm waren nur noch Tote an Bord.

«Keiner mehr da«, schrie Allday.»Sie haben alle erledigt!«Dann sah er Bolithos Arm.»Hier, Captain, meine Hand!«Sie gerieten beide ins Taumeln, denn die Sloop legte sich schwerfällig auf die Seite, die leichten Deckgeschütze rissen sich aus ihren Halterungen, rutschten polternd zum Schanzkleid oder stürzten zischend in den feurigen Krater.

Bolitho sprach mit zusammengebissenen Zähnen, denn der Schmerz wühlte in seinem Arm wie mit glühenden Zangen.»Der Junge! Hol ihn, Allday!«Mühsam schob er die blutverklebte Klinge in die Scheide und zog sich mit dem gesunden Arm zur Heckreling, während Allday den bewußtlosen Seton aufnahm und über die Schulter warf.

An der Reling stand O'Neil, nackt bis zum Gürtel, und wickelte sein Hemd um Fowlers Gesicht, wobei der Leutnant hin und her schwankte und zu sprechen versuchte, aber Stoff und Blut erstickten seine Worte.

«Hab' getan, was ich konnte«, sagte der Ire und duckte sich, als eins der Geschütze in der Hitze explodierte, wie von unsichtbarer Hand abgefeuert.»Der arme Kerl hat fast kein Gesicht mehr!»

Bolitho konnte nur krächzen.»Da ist die Gig! Wir müssen springen!«Er fühlte kaum den Sprung, spürte aber Salzwasser in seinen Lungen kratzen und kühle Luft im Gesicht, als er wieder an die Oberfläche kam. Turmhoch erschien ihm die Gig, aber da war Piper, das kleine Affengesicht rauchgeschwärzt; er gestikulierte mit seinem Dolch und kreischte:»Da ist der Captain! Helft ihm, Jungs!»

Bolitho packte das Dollbord und keuchte:»Holt Fowler und Se-ton!«Wie kalt das Wasser ist, fuhr es ihm durch den Kopf; und als er aufblickte, war der Himmel über der Rauchwolke schon bleich und sternenleer, und die Möwen, die mit wütendem Geschrei hoch über dem Hafen kreisten, schimmerten golden. Nicht vom Feuerschein, sondern in der Morgensonne. Während Männer starben und Schiffe verbrannten, war die Morgenröte über den Horizont gestiegen. Als er den Kopf hob, wunderte er sich noch mehr, denn dort, wo er den Kirchturm erwartet hatte, lag jetzt die Steilküste; und darauf schimmerte hell unter seiner Laterne der Leuchtturm.

Bolitho biß vor Schmerz die Zähne zusammen, als mehrere Hände ihn packten und ins Boot hoben, wo er keuchend neben Allday und den anderen liegenblieb. Er wollte die Augen schließen, sich dem heranschwebenden schwarzen Vorhang überlassen, der schon darauf wartete, seine wachsenden Schmerzen zu lindern; und das Krachen des explodierenden Schießpulvers, das Prasseln der fallenden Spieren, mit dem sich die Saphir zum Sinken anschickte, zu betäuben. Schon war das Wasser bis an die Stückpforten gestiegen, und das Hauptdeck brannte in ganzer Ausdehnung.

«Wie viele haben wir verloren?«Er klammerte sich an Alldays Knie, während Piper versuchte, das Blut seiner Armwunde zu stillen.»Sagen Sie doch, Mann!»

Alldays grobes Gesicht glänzte in dem schwachen Sonnenlicht; als er Bolitho so ansah, kam er diesem irgendwie fern und unzerstörbar vor. Ruhig entgegnete er:»Lassen Sie nur, Captain. Was es auch gekostet hat — dieser Anblick ist es wert. «Und mit Pipers Hilfe stützte er Bolitho etwas, damit er über das Dollbord sehen konnte. Die Matrosen lagen über ihren Riemen und blickten fast scheu zu Bolitho herüber.

Die Saphir war verloren — von dem einst so stolzen Schiff war kaum noch etwas übrig. Bord an Bord mit der Schaluppe war sie durch den ganzen Hafen gedriftet, und jetzt saß sie völlig ausgebrannt dicht unterhalb des eroberten Leuchtturms auf Grund.

Doch Bolitho hatte weder Augen für sie noch für das Treibgut, welches die Stelle markierte, wo die Fairfax gesunken war. Denn mitten in der Einfahrt lief nur unter Bramsegeln und Klüver sein Schiff, seine alte Hyperion, in den Hafen ein. Ihre Stückpforten standen offen, und als sie sich leicht dem Ankerplatz zuwandte, spielte die Morgensonne auf der Doppelreihe der Geschütze und ließ die Rundung ihres Rumpfes golden aufglänzen.

Bolitho leckte sich die trockenen Lippen und versuchte zu lächeln, als er Ashbys Seesoldaten im Karree auf dem Achterdeck angetreten sah und die schwachen Klänge der kleinen Bordkapelle vernahm. Schwach waren sie, weil von Hurrarufen übertönt. Die Matrosen in der Takelage und am Ankerspill, die Geschützführer mit ihren bunten Kopftüchern und die Scharfschützen in den Masten, sie jubelten alle.

Als der alte Vierundsiebziger die gekappte Sperre passierte, wartete Inch hutschwenkend im Kutter; seine Stimme verlor sich auf die Distanz, doch sein Stolz war um so augenfälliger.

Leise sagte Allday:»Sehen Sie da, Captain!«, und zeigte zum Land, wo die Brustwehr der Küstenbatterie über Steinen, blanker Erde und nassem Gras herüberdrohte.

Eine Flagge wehte über den unsichtbaren Kanonen, aber es war nicht die Trikolore: hell und leicht stand sie im abflauenden Wind, so daß man im Sonnenlicht deutlich die goldenen Lilien erkannte.

«Sie haben ihnen das Signal gegeben, das sie brauchten, Cap-tain«, sagte Allday.»Und da ist ihre Antwort an Sie.»

Undeutlich murmelte Fowler unter dem durchgebluteten Verband:»Mein Gesicht — Jesus, mein Gesicht!»

Doch Bolitho spähte wieder nach seinem Schiff aus, das jetzt majestätisch in den Wind ging. Die Segel wehten aus wie Banner, als der Anker dort ins Wasser klatschte, wo die Saphir gelegen hatte. Vorsichtig näherten sich ein paar Boote von Land, jedes führte die königstreue Flagge und war voll winkender, jubelnder Stadtbewohner.

«Rudert an, zugleich!«kommandierte Allday und fügte für die Ohren der gesamten Bootsbesatzung noch hinzu:»Die wollen unseren Captain sehen, Jungs!«Lächelnd blickte er auf Bolitho hinab.»Und das sollen sie auch.»

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