XIV Schwere Entscheidungen

Die Rückkehr der Hyperion nach St. Clar verursachte wenig Erregung oder Interesse, und als sie achtern vom Flaggschiff vor Anker ging, merkte Bolitho bald, daß die Bürger andere Sorgen hatten als die Ankunft dieses Schiffes, auch wenn es seinerzeit eine Folge von Ereignissen ausgelöst hatte, die sie jetzt nicht mehr beeinflussen konnten.

Die royalistischen Flaggen wehten immer noch tapfer von den Häusern und auf der Landspitze, aber die Luft in den engen Gassen war schwer und dick von Spekulationen und Spannung. Manchmal blieben die Leute stehen und brachen ihre Unterhaltungen ab, wenn ferner Kanonendonner oder ein schnell vorbeifahrendes Lafettengeschütz sie plötzlich daran erinnerte, wie nahe sie den Krieg auf dem Hals hatten.

Wenige Minuten nach dem Ankern war eine Barkasse längsseit gekommen, und Fanshawe, Pomfrets vielgeplagter Adjutant, brachte Cheney Seton an Land.

Auf der langsamen Überfahrt von Cozar hatte Bolitho nur kurz mit ihr besprochen, was zu tun war. Er wollte sich und ihr den Frieden ihres neugefundenen Glückes nicht verderben, und als sie sich trennten, war er immer noch dagegen, daß sie die ganze Last auf sich nehmen und Pomfret allein gegenübertreten wollte. Aber darin war sie unnachgiebig. Es schmerzte regelrecht, als er sie ins

Boot steigen sah, und nur mit Mühe konnte er sich davon zurückhalten, ihr zu folgen.

Das war nun drei Tage her. Geschäftig hatte er an der Verbesserung der Hafenverteidigung mitgearbeitet und in jeder Minute erwartet, etwas von Pomfret zu hören. Es gab viel zu tun. Besatzungen für eine hastig zusammengestellte Flottille von Fischerbooten und Luggern mußten auf getrieben werden, welche die zahllosen kleinen Grotten und Buchten um die Einfahrt patrouillieren sollte, damit nicht feindliche Kräfte unbemerkt einsickern und überraschend angreifen konnten. Auch Cobbans Feldwachen und die weit umherstreifende spanische Kavallerie paßten scharf auf.

Die Nachrichten waren wenig ermutigend. Längs der Landstraße ins Binnenland sollte schwere Artillerie gesichtet worden sein, und kaum ein Tag verging ohne Zusammenstoß mit feindlichen Patrouillen. Eine Schule der Stadt wurde als Feldlazarett eingerichtet, und es sollte bereits Pläne zur Lebensmittelrationierung geben für den Fall einer regelrechten Belagerung.

Jeden Tag, sobald Bolitho in die Stille seiner Kajüte zurückkehrte, erwartete er, eine Nachricht von Pomfret vorzufinden. Wenn dann alles auf dem Schiff ruhig war und es wieder Nacht wurde, nahm er den Brief vor, den er von Cheney bekommen hatte, und las ihn immer wieder wie zum erstenmal. Sie wohnte nicht in Pomfrets Hauptquartier, sondern beim Bürgermeister und seiner Familie, wenigstens fürs erste. Der Brief schloß mit den Worten:». und von meinem Fenster aus kann ich Dein Schiff sehen. Dort, bei Dir, ist mein Herz.»

Bolitho hielt es für richtig, daß sie sich jetzt nicht sahen. Vermutlich war die Kunde von seinem Wagnis bereits in der ganzen Hafenstadt verbreitet, aber es hatte keinen Sinn, dem Feuer, das Pom-fret unter ihm anzünden würde, noch mehr Brennstoff zuzuführen.

Am dritten Tag kam die Aufforderung:»Alle Kommandanten und Truppenoffiziere sofort im Hauptquartier melden!»

Im Nachmittagssonnenschein wirkte das Haus nicht so imposant; und es fiel Bolitho auf, daß sich die Marine-Infanteristen am Tor Passanten gegenüber nicht mehr so gleichmütig verhielten, sondern ihre Musketen mit den aufgepflanzten Bajonetten aktionsbereit trugen und sich in der Nähe der Wachstube hielten. Man wollte gehört haben, daß viele Bürger bereits in die Berge geflohen seien, entweder aus Sorge um die Sicherheit ihrer Familien oder um die geeignete Zeit für einen Frontenwechsel abzuwarten. Bolitho konnte sie deswegen nicht verurteilen. Pomfret hatte einen zu tiefen Graben zwischen seinen Streitkräften und der Bevölkerung von St. Clar gezogen. Aus deren berechtigtem Ressentiment würde bestimmt noch Schlimmeres werden, wenn nicht bald bessere Nachrichten von der Front kamen.

Beim Eintreten sah Bolitho einige Diener Porzellan und Glas in Kisten verpacken — anscheinend wollte der rechtmäßige Besitzer des Hauses seine Habe in Sicherheit bringen, ehe es zu spät war.

Eine Ordonnanz wies Bolitho in ein dunkelgetäfeltes Arbeitszimmer, wo bereits eine Anzahl Offiziere versammelt waren. Wie er sah, waren alle Kommandanten außer jenen der beiden Schaluppen anwesend. Die Schaluppen hielten an der nördlichen Zufahrt ein wachsames Auge auf die Küstenstraße, wo sich feindliche Truppen im Falle eines größeren Angriffs nähern mußten.

Pomfret stand neben dem Schreibtisch und sprach mit Oberst Cobban und einem großen, schlanken, hochmütig aussehenden Spanier, vermutlich Don Joaquin Salgado, dem Ranghöchsten ihrer Verbündeten. Sonst waren noch mehrere Heeresoffiziere sowie zwei oder drei von der Marine-Infanterie anwesend. Zu wenig, um standzuhalten, wenn die Franzosen mit gesammelter Kraft angriffen, dachte Bolitho grimmig.

Fanshawe flüsterte Pomfret etwas zu, und dieser sah kurz zu Bo-litho herüber. Nur eine Sekunde lang — und bei diesem kurzen Blickwechsel las Bolitho nichts, gar nichts in Pomfrets blassen, vorstehenden Augen.

«Nehmen Sie Platz, meine Herren«, sagte der Admiral knapp. Ungeduldig tippte er mit der Fingerspitze auf, bis das Scharren und Murmeln vorbei war.»Vor drei Tagen hat mir die Hyperion Depeschen aus Cozar überbracht. «Wieder ein flüchtiger Blick, eiskalt und fremd.»Anscheinend bekommen wir die Verstärkung, auf die wir gezählt haben, noch nicht.»

Ein Gemurmel stieg auf; Pomfret wartete, bis es vorbei war, und fuhr dann fort:»Aber sie kommt, meine Herren, sie kommt bestimmt. «Er fuhr mit der Hand über seine Landkarte.»Diese Aktion in St.Clar kann der erste Schritt zu unserem Einzug in Paris sein! Haben wir mehr Schiffe und Soldaten zur Verfügung, dann können wir so tief in den weichen Unterleib Frankreichs stoßen, daß der Feind um Frieden bettelt!«Blitzend fuhr sein Blick durch den Raum.»Aber den werden wir ihm nicht bewilligen. Diesmal gibt es weder Frieden noch Ve rhandlungen, sondern nur den Sieg, den totalen Sieg!»

«Sehr richtig«, sagte jemand; aber abgesehen von dieser einsamen Stimme herrschte völlige Stille.

Bolitho wandte sich zum nächsten Fenster. Die staubigen Scheiben blinkten in der Sonne, große Insekten summten um die gepflegten Blumenbeete. In Cornwall dachte man jetzt wohl bereits an den Winter und legte Vorräte von Brennholz und Viehfutter an. Auf dem Lande war der Winter ein Feind, den man in Schach halten mußte, und zwar mit nicht weniger Entschlossenheit, als sie hier in St. Clar brauchten. Plötzlich fiel ihm Cheney ein. Was würde sie für ein Gesicht machen, wenn er sie in dem alten grauen Herrenhaus unterhalb der Festung herumführte? Mit ihr konnte das Haus wieder lebendig werden. Es würde nicht mehr eine bloße Stätte der Erinnerung sein, sondern ein Heim werden.

Pomfret sprach bereits weiter.»Der Patrouillendienst muß ständig aufrechterhalten werden, aber keinesfalls darf ein größeres Gefecht gesucht werden, ehe wir mehr Truppen und Artillerie haben; es sei denn, es gibt keine Alternative.»

Er nickte Cobban zu und ließ sich dann in einen hochlehnigen Stuhl mit vergoldeter Lehne fallen. Sein Blick war abwesend und grüblerisch. Cobban stand auf; seine Stiefel knarrten auf dem prächtigen Teppich.»Habe dem nicht viel hinzuzufügen«, sagte er.»Meine Männer sind ausgeruht und kampfbereit. Wir erlitten bereits ein paar Verluste, aber das war zu erwarten. Spähen und Wachen lautet die Devise, meine Herren. Wir halten diesen Hafen, und der Feind soll noch wünschen, er wäre nie gegen uns angetreten!»

Ohne aufzublicken, bemerkte Don Salgado beiläufig:»Sehr schöne Worte, Colonel. Aber ich bin nicht sonderlich beeindruckt. «Anscheinend tief in Gedanken versunken, spielte er mit dem reichen Besatz seines gelben Uniformrocks.»Ich bin Kavallerist und es nicht gewohnt, hinter Hecken zu lauern und mich von irgendwelchen zerlumpten Flintenmännern beschießen zu lassen, die ich nicht einmal sehen kann!»

Cobban musterte ihn wütend, weil er seine wohlgesetzte Rede so brüsk unterbrochen hatte. Arrogant erwiderte er:»Das ist aber, wenn ich so sagen darf, nicht Ihre Angelegenheit!»

Langsam hob der Spanier die dunklen Augen und heftete sie auf Cobbans rotes Gesicht.»Tapfere Worte. Aber vielleicht haben Sie einen wichtigen Punkt übersehen? Ich befehlige nämlich die Hälfte unserer Streitkräfte, und nicht Sie. «Seine Stimme biß wie ein Degenstich.»Es war ausgemacht, daß ich meine Infanterie und Kavallerie Ihrem Oberbefehl unterstelle, vorausgesetzt — «, das Wort hing reglos in der Luft —,»vorausgesetzt, daß die Engländer Verstärkung schicken. «Vielsagend hob er die Schultern.»Ihr Admiral Hood vermag in Toulon mit zwei Regimentern nichts auszurichten. Wie also können Sie hoffen, mit einer Handvoll Infanteristen mehr zu erreichen?«Er lächelte kühl.»Hoffentlich werden Sie daran denken, wenn Sie mir wieder einmal erzählen, was hier meine Pflicht ist.»

Pomfret schien aus seiner Trance zu erwachen.»Das genügt, meine Herren! Die Stadt ist vom Feind umgeben. Wir haben noch schwere Zeiten vor uns. Aber ich bin sicher, daß bereits jetzt, während Sie hier sitzen und sich streiten wie alte Weiber, starke Hilfskräfte unterwegs sind.»

Bolitho beobachtete ihn genau. Wenn Pomfret log, um die bedrückte und gespannte Stimmung zu heben, so tat er es sehr überzeugend. Mit plötzlicher Klarheit erinnerte er sich an eine Äußerung Herricks über Pomfrets Vergangenheit und an die Bedeutung, die dieser ganze Feldzug für ihn haben mußte. Er mußte einfach Erfolg haben und würde keine Einmischung und keine Unsicherheit dulden. Bolitho dachte auch an Sir William Moresby, der unter der Batterie von Cozar auf dem Achterdeck der Hyperion gefallen war. Sir William hatte zwar gewußt, was seine Pflicht war; jedoch in allem, was darüber hinausging, war er unsicher gewesen. Pomfret dagegen war zielstrebig und von sich überzeugt bis zum Fanatismus.

«Anscheinend«, sagte der Admiral abschließend,»hat jeder gesagt, was er zu sagen hatte. Sonst noch Fragen?»

Kapitän Greig von der Fregatte Bat stand auf.»Aber wenn die Verstärkung ausbleibt, Sir, dann sehe ich nicht, wie.»

Weiter kam er nicht. Pomfret mußte sich schon seit einiger Zeit zurückgehalten haben; die Skepsis des jungen Kommandanten war der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte.

«Hören Sie um Gottes willen auf zu jammern, Mann!«Seine Stimme überschlug sich, er fing an zu schreien, doch das schien ihm gleich zu sein.»Was, im Namen des Allmächtigen, wissen denn Sie davon? Ihr jungen Fregattenkapitäne seid alle gleich, seht nicht über einen kurzen Konflikt hinaus, oder ihr seid nur auf der Jagd nach Prisengeldern. «Anklagend wies er mit dem Finger auf Greig, der ganz blaß geworden war.»Schließlich war es Ihr Schiff, das die Saphir in den Hafen gelassen hat! Wenn Sie sie gesichtet hätten, wenn Sie sich bemüht hätten, Ihren Sold zu verdienen, statt wie ein liebeskranker Bauernjunge zu träumen und zu trödeln, dann wäre es vielleicht gar nicht so weit gekommen.»

Greig erwiderte gepreßt:»Ich habe meine Station nicht verlassen, weil Sie mir befohlen hatten, mich nördlich der Einfahrt zu halten.»

«Seien Sie still!«kreischte Pomfret.»Wie können Sie es wagen, meine Worte anzuzweifeln? Noch einen Mucks von Ihnen, Sie Wurm, und ich bringe Sie vors Kriegsgericht, verstanden?«Schwitzend vor Wut wandte er sich den anderen zu.»Ich sage es zum letztenmal, und das gilt für alle!«Er schlug mit der Faust auf die Landkarte.»Hier sind wir, und hier bleiben wir! Wir haben Befehl, diesen Hafen zu halten, bis wir den Kampf ins Binnenland tragen können. Und genau das ist meine Absicht!»

Bolitho sah sehr deutlich, was für eine Wirkung Pomfrets Worte auf die schweigenden Offiziere hatten. Sie schienen von seinem Ausbruch wie gelähmt zu sein. Dash von der Tenacious schien verwirrt und verlegen, nur der spanische Oberst war anscheinend unbeeindruckt. Wie er dasaß und auf seine Stiefel blickte, schien er fast zu lächeln.

Cobban räusperte sich unsicher.»Das ist alles, meine Herren. «Er begann, seine Papiere aufzunehmen, ließ sie aber wieder fallen.

Pomfret hatte sich wieder in seinen vergoldeten Sessel gesetzt, und als die Offiziere sich zum Hinausgehen anschickten, nahm er einen Messingzirkel vom Tisch und stach damit in die Luft.»Ein Wort noch, Captain Bolitho!»

Bolitho hörte die Tür hinter den anderen zufallen und stand reglos am Tisch. Cobban war schwer atmend wie nach einem raschen Lauf an ein Fenster getreten. Seine Anwesenheit schien Pomfret nicht zu stören, aber Fanshawe, der noch in Papieren kramte, blaffte er an:»Raus!»

«Sie wünschen, Sir?«fragte Bolitho dienstlich.

Der Admiral hatte sich im Stuhl zurückgelehnt und musterte ihn, während sein Zirkel einen kleinen Wirbel auf die Tischplatte schlug. Er sprach jetzt wieder vollkommen gelassen.»Nach Dash sind Sie hier der dienstälteste Kapitän. Es ist nicht ausgeschlossen, daß der Feind versuchen wird, uns von See her anzugreifen oder zumindest unseren Nachschub abzuschneiden. «Tapp, tapp, tapp machte der Zirkel.»Sie werden daher morgen früh bei Sonnenaufgang mit der Hyperion auslaufen und nördlich der Einfahrt patrouillieren.»

Unbewegt blickte Bolitho ihm ins Gesicht.»Bis wann, Sir?»

«Bis ich etwas anderes anordne. «Pomfret warf den Zirkel auf den Tisch.»Ich brauche mein Flaggschiff hier im Hafen, falls sich diese schlappschwänzigen Fischer ebenso dumm anstellen wie dieser Narr Greig.»

«Aha. «Bolitho spürte, wie Hitze in seinem verwundeten Arm hochstieg, und die Kehle wurde ihm plötzlich trocken, als er begriff, was Pomfrets Worte bedeuteten.

Pomfret ließ ihm keine Zeit zu einem Einwand. Fast beiläufig fuhr er fort:»Übrigens, da mich Miss Seton über ihren neuen Status informiert hat, halte ich es für angebracht, daß sie mit dem ersten verfügbaren Schiff die Stadt verläßt.»

Gepreßt erwiderte Bolitho:»Ich verstehe Ihre Gefühle, Sir, aber sie können kein Grund dafür sein, Miss Seton noch mehr Unbequemlichkeiten und Strapazen auszusetzen.»

«Was Sie nicht sagen!«Pomfret tupfte sich die Stirn mit einem seidenen Taschentuch.»Sie haben vielleicht übersehen, daß Miss Seton auf meine Veranlassung hier ist. Als englische Staatsangehörige steht sie unter meinem Schutz. «Seine Stimme wurde lauter.»Und als Flaggoffizier und Oberbefehlshaber beabsichtige ich, diese Protektion unverzüglich und vollständig auszuüben.»

«Ist das Ihr letztes Wort, Sir?«Jedes Verständnis, jedes Mitgefühl, das er für Pomfrets unglückliche Lage empfunden haben mochte, war ihm nun vergangen. Es konnte Wochen dauern, bis ein Schiff verfügbar war, das Cheney Seton nach England oder einem anderen sicheren Hafen bringen konnte. Und in der Zwischenzeit, während die Situation in und um St. Clar immer bedrohlicher wurde und die Belagerung sich zum offenen Krieg ausweitete, würde sie unter Feinden allein sein, während er draußen isoliert patrouillierte und sie weder sehen noch unterstützen konnte.

«Jawohl, mein letztes Wort. «Pomfrets Augen waren ausdrucksund mitleidslos.»Ich mag Sie nicht, Bolitho, denn ich kann es nicht vertragen, wenn man sich von Gefühlen leiten läßt. Seien Sie also gewarnt!«Heftig stand er auf und trat zum Fenster.»Sie können gehen!»

Bolitho hieb sich den Dreispitz auf den Kopf und stürmte durch die Tür, ohne recht zu wissen, was er tat. Er mußte sofort zu Cheney. Es war immer noch Zeit, etwas zu arrangieren.

Unten an der Treppe sah er Seton und Piper sich leise miteinander unterhalten und blieb stehen.»Was machen Sie hier?»

Piper faßte an seinen Hut und sagte finster:»Ich habe Seton im Boot an Land gebracht, Sir. «Sein Affengesicht war ganz schwer vor Traurigkeit.»Er sollte sich sofort hier melden, Sir.»

Bolitho blickte Seton an.»Wissen Sie den Grund, mein Junge?»

«J-jawohl, Sir. Auf Sir Edmunds Befehl soll ich als. «Er hielt verlegen inne, und Piper schaltete sich ein:»Er wird als Signaloffizier zur Armee abgeordnet, Sir.»

Bolitho schluckte seine kalte Wut hinunter und sagte ruhig:»Wenn alles vorbei ist, werde ich mich freuen, Sie wieder an Bord zu haben, Mr. Seton. Sie haben sich gut, sogar sehr gut gehalten, und ich bin sicher, daß Sie auch in Ihrem neuen Dienst dem Schiff Ehre machen werden.»

Setons Lider zuckten.»D-danke sehr, S-sir.»

Es war nichts Ungewöhnliches, daß Midshipmen für solche Zwecke eingesetzt wurden; aber die Tatsache, daß Pomfret nichts davon erwähnt hatte, war für Bolitho ein Beweis, daß es sich hier um keine normale Abkommandierung handelte. Jedoch — das Leben eines Knaben als Mittel zur Rache zu benutzen, dazu konnte eigentlich niemand, nicht einmal Pomfret fähig sein. Dann fiel ihm wieder ein, mit welch plötzlicher Wut der Admiral den jungen Greig zusammengestaucht hatte, und es lief ihm kalt den Rücken hinunter.

Er streckte die Hand aus, und Seton drückte sie krampfhaft.»Ich werde dafür sorgen, daß Ihre Schwester gut nach Hause kommt.»

Es war merkwürdig, fast erschütternd, daß ihm dieser schmächtige Midshipman jetzt so nahestand wie einst sein eigener Bruder. Und als er in das bleiche Gesicht des Knaben sah, wußte er, daß er ihm noch viel näherstehen würde.

«Ich freue mich aufrichtig, daß es mit Ihnen und meiner Schwester so gekommen ist, Sir«, sagte Seton und schritt rasch ins Haus; erst auf dem Marktplatz wurde es Bolitho klar, daß der Junge bei seinem letzten Satz nicht gestottert hatte.

Unten an der Landungsbrücke fragte Piper:»Glauben Sie, daß er's schaffen wird, Sir?«Er mußte sich in Trab setzen, um mit Bolithos weitausgreifenden Schritten mitzukommen.»Ich meine, Sir, wenn ich nicht auf ihn aufpasse, ist er doch verraten und verkauft.»

Bolitho blieb am Boot stehen und sah auf Piper hinunter.»Bestimmt wird er das, Mr. Piper. Er hatte ja einen guten Lehrmeister. «Und als er ins Boot sprang, versuchte er, sich einzureden, daß seine Worte keine Lüge gewesen waren.

Mit dem ersten Licht des nächsten Tages ging die Hyperion Anker auf und segelte, die Rahen rundgebraßt, um die schwache nordwestliche Brise voll auszunutzen, langsam an den schützenden Armen der Hafeneinfahrt vorbei und hinaus auf die offene See.

Das Städtchen schien noch zu schlafen; abgesehen von den Wachtposten und ein paar müden Matrosen waren Landungsbrücke und Uferstraße verlassen und still.

Herrick stand an der Achterdeckreling, die Hände in den Hüften, und blickte kritisch zu den in den Masten arbeitenden Männern empor, deren nackte Arme im steigenden Sonnenlicht golden glänzten. Ein paar Unbeschäftigte standen auf den Decksgängen und starrten zum langsam vorbeigleitenden Panorama der Hügel und Häuser hinüber; und bei den ausgerichteten Rudern stand Piper mit der Jollenbesatzung, welche die letzten Zurrings klarierte, ehe das Schiff die offene See erreichte. Der Midshipman starrte, die Augen mit der Hand beschattend, nach Backbord; wahrscheinlich dachte er immer noch an seinen Freund.

Als Herrick sich von der Reling abwandte, merkte er, daß Bolitho ebenfalls starr nach achtern blickte; mit dem gesunden Arm stützte er ein Teleskop auf die Netze.

«Anker ist verstaut, Sir, Schiff seeklar«, meldete Herrick.

Bolitho ließ das Glas sinken. Die niedrigen Hügel der Landzunge verdeckten jetzt die Sicht auf die Stadt. In den endlosen Minuten, als das Schiff langsam auf die Hafenausfahrt zusegelte, hatte er sie noch sehen können, hatte ihre schlanke Gestalt bis zum allerletzten Moment im Teleskop behalten. Sie stand auf einem kleinen Balkon direkt über dem Wasser; hell hob sich ihr Kleid vom offenen Fenster ab, und ihr Gesicht war so nah und klar, daß er beinahe glaubte, sie berühren zu können. Als er das Glas sinken ließ, verschwanden Häuser und ankernde Schiffe; schon war die Verbindung abgerissen.

Er wandte das Gesicht in den Wind und erschauerte leicht, als er durch das offene Hemd an seine Brust berührte.

Gimlett hatte ihn vor Sonnenaufgang geweckt, aber er hatte noch minutenlang reglos in seiner Koje gelegen. Ganz leicht konnte er ihre Nähe, die Berührung ihrer Hand, sogar den Duft ihres Haares spüren. Es war ein hastiger Abschied im Hause Labourets gewesen. Als er danach in seiner Koje lag, waren ihm die warmen Decken wie ihre Umarmung vorgekommen, und als er aufgestanden war und sich vor seinem Spiegel rasierte, dachte er an ihre Hand, die ihn gestreichelt hatte.

«Mr. Herrick«, sagte er unvermittelt,»sobald wir klar von Land sind, lassen Sie Fock, Besan- und Großsegel setzen. Wir steuern Nordost und nutzen diesen ablandigen Wind aus.»

Herrick nickte.»In der Südsee habe ich mir geschworen, ich würde niemals mehr um Wind beten. Aber selbst die Nordsee im Winter ist besser als diese Flaute.»

Bolithos Blick war abwesend.»Ich weiß. Ein scharfer Wind, der einem gefrierenden Gischt ins Gesicht treibt, verjagt die trüben Gedanken, oder wenigstens tun sie dann nicht mehr so weh.»

Gossett spähte nach dem fernen Leuchtturm aus. Automatisch berechnete er im Kopf Abdrift und Kompaßkurs.»Klar zum Halsen,

Sir.»

Zögernd fragte Herrick:»Ist alles gutgegangen, Sir? Ich meine, haben Sie alles arrangieren können?»

Bolitho seufzte.»Zum Teil, Thomas. Labouret wird tun, was er kann, das hat er mir versprochen. Und dann habe ich in Captain Ashby einen guten Verbündeten. Unter diesen Umständen bin ich jedenfalls froh, daß er an Land bleibt.»

Jetzt kam das Schiff klar von der Landspitze und überließ sich bereitwillig der wartenden Dünung. Das Sonnenlicht schoß durch das straffe Rigg und spielte auf der Krone des Titanenhauptes unterm Bugspriet.

Bolitho riß sich aus seinen trüben Gedanken.»Klar zur Halse, bitte!«Herrick wartete ab, bis der Befehl wiederholt und ausgepfiffen war, und fragte dann:»Noch Befehle, Sir?»

Plötzlich fiel Bolitho der frischgebrühte Kaffee in seiner Kajüte ein. Vorhin hätte er ihn nicht anrühren mögen; jetzt brauchte er ihn, und sei es auch nur, um allein zu sein.»Wir exerzieren um acht Glasen mit der unteren Batterie, Mr. Herrick«, sagte er.»Ich will nicht, daß die Geschütze rosten, nur weil sie nicht benutzt werden.»

Lächelnd sah Herrick ihm nach, als er unter den Kampanje verschwand. Er macht das Beste daraus, dachte er. Und er hat ganz recht, wenn er Schiff und Mannschaft gerade jetzt scharf hernimmt. Die Kommandeure der Hyperion kamen und gingen, aber sie selbst mußte gesegelt und in Betrieb gehalten werden, und dazu waren die Männer da, die auf ihr Dienst taten.

Er nahm seine Sprechtrompete auf.»Mr. Pearse: Untere Batterie exerziert um acht Glasen! Und ich bitte mir aus, daß Sie bis zur Feuerbereitschaft zwei Minuten weniger brauchen als letztesmal!»

Der Stückmeister nickte, und Herrick begann, auf dem Achterdeck auf und ab zu gehen. Ich rede schon wie Bolitho, dachte er. Diese Erkenntnis freute ihn, und er beschleunigte seine Schritte.

Die Nacht erreichte die Hyperion gut zwanzig Meilen nordöstlich von St. dar. Fast reglos hingen ihre Segel, sie dümpelte träge in der hohen, ablandigen Dünung. Die Luft in Bolithos Kajüte war stickig, die anwesenden Offiziere drängten sich nach Möglichkeit unter dem offenen Skylight zusammen, und ihre Gesichter glänzten feucht im Licht der schwingenden Lampen.

Stumm, mit dem Rücken zum Heckfenster, sah Bolitho Gimlett zu, der nervös hin und her huschte, die Gläser der Offiziere nachfüllte und den Pfeifentabak herumreichte. Hier hinter dem Schott war es ungewöhnlich ruhig, nur das ums Ruderblatt gurgelnde Wasser und das Knarren der Ruderzüge tönten herein, gerade laut genug, um zu unterstreichen, wie wenig Fahrt sie machten. Aber das spielt gar keine Rolle, dachte Bolitho bitter. Bei seiner Patrouille kam es weder auf Schnelligkeit noch auf den Kurs an. Das Schiff mußte lediglich da sein. Nur hatten seine Leute bei diesem Schleichtempo, dieser langweiligen Routine, zu wenig Beschäftigung und zu viel Zeit, um über die Zwecklosigkeit ihres Auftrags nachzugrübeln. Was auch geschah, er mußte dafür sorgen, daß sie nicht unter der Isolierung zu leiden hatten, die Pomfret ihm aufzwang. Er hatte seine Offiziere zu einem außerdienstlichen Zusammensein gebeten, als ersten Schritt eines psychologischen Feldzugs, der konsequent weitergeführt werden mußte, wenn nicht die sorgfältig aufgebaute Kampfmoral vor seinen Augen verrotten sollte.

Langsam blickte er im Kreis der Gesichter umher, und dabei wurde ihm wieder einmal klar, daß sein Offizierskorps nicht nur zahlenmäßig kleiner geworden war, sondern auch wesentliche personelle Veränderungen erlitten hatte. Quarme und Dalby waren tot; die beiden Marine-Infanteristen und der junge Seton waren in St. Clar geblieben. Und die noch Anwesenden wirkten durch die unaufhörliche dienstliche Überbeanspruchung müde und erschöpft. Fast jeder Seemann schimpfte ständig über sein schweres Los; aber diese hier hatten auch allen Grund dazu. Der junge Piper zum Beispiel war gerade sechzehn, war mit dreizehn Jahren an Bord gekommen und hatte bis zu diesem Tag kaum jemals den Fuß an Land gesetzt, allenfalls hatte er mit seiner geliebten Jolle kleine Aufträge ausgeführt. Den meisten anderen in diesem überfüllten Schiff ging es ähnlich. Das harte Leben war bei der Marine etwas ganz Selbstverständliches; und so brauchte man sich nicht zu wundern, daß die Landbewohner die Preßkommandos[11] fürchteten wie die Pest und schon beim bloßen Anblick einer Marineuniform Angst bekamen. Und doch waren diese Männer, die neben ihren Geschützen lebten, sie jeden Tag sahen, sobald sie nur erwachten, unschlagbar im Gefecht, und anscheinend war auch ihr Kampfgeist nicht zu brechen. Oft genug mußten sie hungern, wenn der Kommandant ein Geizkragen, oder wurden ausgepeitscht wie Tiere, wenn er ein Tyrann war. Doch sobald sie zum Kampf gerufen wurden, versagten sie kaum jemals. Das konnte Bolitho nie ganz verstehen. Manche sagten, sie wären aus Angst so tapfer; andere meinten, Tradition und Disziplin der Marine seien die wirklichen Gründe. Er jedoch glaubte, daß die Ursachen tiefer lagen. Ein Kriegs-

schiff war eine Lebensgemeinschaft. Vaterland und Flagge standen oft genug erst an zweiter Stelle. Die Männer in den vollgestopften Decks kämpften, um einander zu schützen, um alte Kameraden zu rächen, und sie kämpften um ihr Schiff.

Mit ruhiger Stimme begann er zu sprechen.»Ich habe Sie hergebeten, meine Herren, damit Sie die Schwierigkeiten, die auf uns zukommen, klar erkennen. Es kann Wochen dauern, bis wir zurückgerufen werden. Niemand weiß, was die Franzosen planen und auszuführen imstande sind. Aber angesichts dieser Umstände ist unser Platz die hohe See. Was der Feind auch für Siege in Europa erringt, er kann den Krieg nicht gewinnen, solange unsere Schiffe bereit sind, ihn zu bekämpfen. «Er bemerkte, daß Herrick sachlich nickte und der junge Caswell sich auf die Lippen biß.»Wir werden täglich exerzieren. Aber wir müssen noch weitergehen. Versuchen Sie zu erreichen, daß die Leute sich nicht zu viel mit sich selbst beschäftigen. Arrangieren Sie Wettkämpfe, ganz egal wie banal und unbeträchtlich; tun Sie Ihr Bestes, um ihnen Mut zu machen. Was vorher an Gutem oder Schlechtem unbemerkt geblieben ist, bricht hervor, wenn wir mit Langeweile und Einsamkeit nicht fertig werden. «Er hob sein Glas.»In diesem Sinne meine Herren, trinken wir auf unser Schiff. Gott segne es!»

Die Gläser klangen, und die Offiziere warteten darauf, daß Bo-litho weitersprach. Etwas schärfer fuhr er fort:»Da sich unsere Anzahl verringert hat, befördere ich Midshipman Gordon zum Vizeleutnant. Er wird Mr. Rooke bei der unteren Batterie assistieren.»

Er hielt inne, denn die anderen Midshipmen hieben Gordon auf die Schultern; dessen Gesicht, eine einzige Ansammlung von Sommersprossen, spaltete sich zu einem überraschten Grinsen. Bolitho warf Rooke einen schnellen Blick zu; der sagte nichts, nickte aber. Es war eine wohldurchdachte Entscheidung, denn Gordon war bei der Erstürmung des Leuchtfeuers von St. Clar anscheinend sehr gut mit Rooke ausgekommen; vermutlich weil sie beide aus alter, einflußreicher Familie stammten. Gordons Onkel war Konteradmiral, und wahrscheinlich hielt Rooke deswegen sein unangenehmes Temperament etwas im Zaum.

«Außerdem«, fuhr Bolitho fort, und das Stimmengewirr erstarb,

«meine ich, einer der Steuermannsmaaten könnte als Wachoffizier Dienst tun, bis Mr. Fowler wieder gesund ist.»

Inch sah auf.»Darf ich Bunce vorschlagen, Sir? Ein sehr verläßlicher Mann.»

«Sie dürfen, Mr. Inch. Sagen Sie es ihm gleich nachher. «Inch nickte und nahm einen Zug aus seinem Glas. Er hatte sich vielleicht am meisten von allen verändert. Vom Fünften und jüngsten Offizier war er zum Vierten aufgestiegen, aber was noch wichtiger war, er hatte auch das dazugehörige Selbstvertrauen gewonnen.

Plötzlich richteten sich aller Augen auf das Skylight, denn von dort erklang ein gedämpfter Ruf:»Halt! Mensch, was machst du denn, zum Teufel?«Es folgten das Geräusch rennender Füße und dann dieselbe Stimme, jedoch laut und schallend:»Achtung — Mann über Bord!»

Die Offiziere eilten an Deck, und Gossett brüllte:» Kreuzmarssegel back! Kutter zu Wasser!»

Das Achterdeck lag ganz im Finstern, kein Stern war durch die reglosen Wolken zu sehen. Dunkle Gestalten liefen die Decksgänge entlang, und achtern hörte Bolitho, wie die Männer der Kutterbesatzung, vom Alarmruf aufgeschreckt, sich gegenseitig umrannten.»Was ist los, Gossett?«rief Bolitho,»Wie war das möglich?»

Bunce, der untersetzte Steuermannsmaat, den Inch vorhin erwähnt hatte, schob sich durch die eilenden Männer.»Hab's gesehen, Sir«, erklärte er mit dienstlichem Gruß.»Ich stand am Ruder, weil einer meiner Leute gerade die Kompaßlampen auswechselte. «Er schauerte.»Als ich hochsehe, Sir, glotzt mich plötzlich sein Gesicht an! Herrgott, war das scheußlich — ich bete zu meinem Schöpfer, daß ich so was nicht noch mal sehen muß!»

Das backgestellte Segel schlug donnernd, das Schiff rollte wie betrunken, und irgendwo jenseits der Kampanje hörte Bolitho das Platschen von Riemen im Wasser und die Befehlsrufe des Bootsmanns im Kutter.»Mr. Fowler war's, Sir«, berichtete Bunce weiter.»Er hatte sich die Verbände abgerissen, hielt einen Spiegel in der Hand und weinte wie ein kleines Kind. Die ganze Zeit starrte er dabei sein Gesicht im Spiegel an!»

«Stimmt, Sir«, kam eine Stimme aus dem Dunkel.»Es war alles zerfetzt von den Augen bis zum Kinn, und überhaupt keine Nase mehr!»

Langsam schritt Bolitho zu den Netzen. Der arme Fowler… Er war ein schmucker Leutnant gewesen, bis er, von einem Degenhieb gefällt, mit zerfetztem Gesicht neben ihm auf die Planken gesunken war.

«Ich wollt' ihn noch aufhalten, Sir«, sagte Bunce zu Herrick,»aber er war ja wie verrückt. Und beinahe nackt; ich könnt' ihn einfach nich' zu fassen kriegen. «Wieder überlief ihn ein Schauer.»Rannte los und sprang über Bord, ehe wir ihn erwischten.»

Bolitho sah das Boot auf dem ebenholzschwarzen Wasser tanzen, die Riemen zogen phosphoreszierendes Meeresleuchten nach.

«Kann nichts sehn, Sir«, schrie der Bootsmaat herauf, der aufrecht im Kutter stand.

«Rufen Sie das Boot zurück, Mr. Herrick«, befahl Bolitho knapp.»Und nehmen Sie wieder Fahrt auf!»

Er ging an den stummen Gestalten vorbei, die ihn anstarrten, und sah noch, wie Inch den Midshipman Lory tröstete, der mit Fowler eng befreundet gewesen war.»Mr. Inch«, sagte er,»Sie sind jetzt Dritter Offizier. Hoffentlich ist das für einige Zeit die letzte Beförderung aus diesen Anlässen.»

Steifbeinig ging er in seine Kajüte und starrte auf die herumstehenden Weingläser. Er versuchte, den Stöpsel aus einer Karaffe zu ziehen, aber er stak zu fest; und da er sie mit seinem verwundeten Arm nicht entkorken konnte, knallte er die Karaffe wütend auf den Tisch.»Gimlett!«brüllte er. Angstvoll stürzte der Steward in die Kajüte.»Ein Glas Wein, aber schnell!«Als er es an die Lippen setzte, zitterte seine Hand heftig, aber er konnte sie nicht beherrschen. Diesmal war es nicht das Fieber — Wut und Verzweiflung stiegen wie eine Flutwelle so hoch in ihm, daß er das leere Glas fast an die Wand geworfen hätte. Hätte er Fowler auf der brennenden Fairfax gelassen, würde er jetzt als tapferer Seemann im Gedächtnis der Besatzung fortleben und nicht als armseliger, irrer Selbstmörder. Warum hatte er so ohne Würde sterben müssen? Wie konnte es sein, daß ein Mann, den er kannte, dessen Gewohnheiten ihm so geläufig waren wie seine eigenen, in Sekunden zu einer leeren Menschenhülle geworden war?

Er knallte das Glas auf den Tisch.»Nachfüllen!»

Und eben hatte er noch den Offizieren Vorträge darüber gehalten, wie gewisse Vorkommnisse der Moral schaden konnten! War Fow-ler schon kein Mensch mehr, sondern ein Vorkommnis?

Er dachte an Pomfret und daran, was dieser ihm antat, ihm und dem ganzen Schiff.»Hol dich der Teufel! Zur Hölle mit dir, du Elender!«Seine Stimme bebte so vor Wut, daß Gimlett sich wie ein geprügelter Hund in die Ecke drückte.

Schließlich riß sich Bolitho mit einem Ruck zusammen.»Ist schon gut, Gimlett. Keine Angst. «Er hob den Becher ans Licht der Lampe und wartete, bis der Wein still und blutrot im Glas stand.»Sie habe ich nicht gemeint, Gimlett. Sie können jetzt gehen.»

Als Bolitho wieder allein war, zog er Cheneys Brief aus der Brusttasche und begann zu lesen.

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