IX Wie eine Fregatte

Midshipman Piper lugte in den Kartenraum, wartete einen Moment, bis er wieder bei Atem war, und meldete:»Empfehlung von Mr. Rooke, Sir: Feind ist jetzt in Sicht.»

Mit betonter Gelassenheit hob Bolitho den Becher zum Mund und nippte. Natürlich war sein Kaffee eiskalt.

Ebenso gelassen fragte er:»Und, Mr. Piper? Weiter nichts?»

Der Knabe schluckte heftig. Er konnte sich kaum vom Anblick seines Kommandanten losreißen, den es überhaupt nicht zu berühren schien, daß die Gefahr plötzlich so nahe gerückt war.

«Drei Segel, Sir. Zwei Fregatten und ein größeres Schiff.»

«Ich komme gleich. «Er wartete, bis der Junge hinausgeeilt war, und schob dann das unberührte Frühstück vom Tisch. Mit einem Blick auf die Seekarte wurde ihm seine völlig isolierte Lage wieder bewußt. Hätte die weit vor dem Geleitzug operierende Snipe die Schiffe in irgendeiner anderen Position gesichtet, hätte er ein bißchen Optimismus aufbringen könne. Aber so — der Feind befand sich direkt in Luv und auf konvergierendem Kurs zu diesem ungünstig zusammengesetzten Konvoi. Der Gegner konnte sich Zeit lassen und sich den passendsten Moment zum Angriff aussuchen.

Er setzte den Dreispitz auf und stieg rasch aufs Achterdeck. Die Brise war noch frisch, doch die Luft schon viel wärmer. Er zwang sich dazu, langsam zur Reling zu schreiten und auf das Oberdeck hinunterzusehen, während doch jeder Nerv in seinem Körper danach schrie, hastig nach einem Teleskop zu greifen und sich den Feind genauer anzusehen.

Unter den Decksgängen warteten schweigend die Geschützbedienungen bei ihren Kanonen. Dort war das Deck mit Sand bestreut, damit die nackten Füßen der Matrosen besseren Halt fanden, wenn der Kampf erst im Gange war: neben jedem Zwölfpfünder stand ein frischgefüllter Wassereimer für den Schwabber oder zum Löschen, falls Planken oder Tauwerk, beide trocken wie Zunder, Feuer fangen sollten. Bei jedem Niedergang hielt ein MarineInfanterist mit aufgepflanztem Bajonett Wache, breitbeinig das leichte Rollen des Schiffes ausgleichend, dessen Pflicht es war, jeden vor Angst kopflosen Matrosen, dem der Kampf an Deck zu heiß wurde, daran zu hindern, daß er nach unten floh.

Endlich nahm Bolitho doch ein Teleskop und richtete es über die Finknetze. Das Sträflingsschiff taumelte massig vor der Linse vorbei, doch dann hatte er das Glas richtig eingestellt und auf einen Punkt dicht unter der Kimm fixiert, direkt auf den Backbordbug des vordersten feindlichen Schiffes. Er brauchte den Kopf nicht zu wenden, sondern wußte auch so, daß die Umstehenden ihn beobachteten. Sie hatten sich die aufkommenden Schiffe schon längst genau angesehen. Jetzt wollten sie wissen, wie er reagierte, und das würde sie entweder zuversichtlich stimmen oder verunsichern. Er biß die Zähne zusammen und versuchte, möglichst ausdruckslos dreinzublicken.

Mit vorsichtigen Bewegungen des Glases glich er das Rollen der Hyperion aus und sah die beiden Fregatten. Sie segelten so dicht beieinander und mit dem Bug fast auf sein Glas zu, daß sie tatsächlich wie ein einziges riesiges, sonderbar gebautes Fahrzeug aussahen. Das eine lag etwas voraus, hatte auch mehr Segel gesetzt, und eben entfalteten sich unter seinem Blick auch noch die Bramsegel. Sechsunddreißig Kanonen hatte sie mindestens, und die zweite Fregatte war nicht viel kleiner.

Doch weiter achteraus und auf Steuerbordbug lag ein Linienschiff. Wie die Fregatten fuhr es keine Flagge; aber der Bau des Vorschiffs, der elegante Schwung der Masten waren nicht zu verkennen: ein französischer Zweidecke r, wahrscheinlich aus einem der Mittelmeerstützpunkte ausgelaufen, um Hoods Blockade zu testen. Bolitho senkte das Glas und blickte zu den Transportern hinüber. Da haben die Franzosen gleich zu Anfang einen guten Happen, dachte er grimmig.

«Wir behalten diesen Kurs bei, Mr. Rooke«, sagte er.»Hat keinen Zweck, nach Süden auszuweichen. Der Gegner ist im Vorteil, wenn er in Luv bleibt, und südwärts«-, er lächelte flüchtig —,»liegt nur Afrika, weiter nichts.»

Rooke nickte.»Aye, Sir. Glauben Sie, daß sie angreifen werden?»

«In spätestens einer Stunde geht's los, Mr. Rooke. Der Wind könnte abflauen. Ich würde an ihrer Stelle bestimmt angreifen.»

Aus dem, was er im Teleskop gesehen hatte, versuchte er, sich ein Bild von dem französischen Zweidecker zu machen. Er war nur ein bißchen größer als die Hyperion; aber, und das schlug stark zu

Buche, er würde vermutlich schneller sein, denn er hatte ausgiebig im Hafen gelegen. Dockarbeiter und Takler hatten sich ausführlich mit ihm beschäftigen können.

Er faßte einen Entschluß.»Ruder zwei Strich Backbord. Wir beziehen Position dicht achteraus vom Geleit. Signal an die Harve-ster: >Gehen Sie sofort auf Station in Luv des Führerschiffs<.»

«Und die Snipe, Sir?«fragte Rooke gespannt.

«Die kann wohl ihre gegenwärtige Position beibehalten. «Er stellte sich das Unheil, die totale Zerstörung vor, welche die Breitseite einer Fregatte auf einem so zerbrechlichen Schiffchen anrichten mußte.

«Jetzt ist der Gegner am Zug — und das sehr bald.»

Mit rundgebraßten Rahen kreuzte die Hyperion langsam das Kielwasser der anderen Schiffe, während die Harvester, Bram- und Royalsegel wie in plötzlichem Kampfeseifer ballonartig gebläht, kühn am Heck die Justice vorbeirauschte und sich ebenso schwungvoll die Erebus, dem vordersten Transportschiff, näherte.

«Die feindlichen Fregatten sind über Stag gegangen, Sir«, rief Leutnant Dalby. Bolitho beschattete die Augen. Beide Schiffe schwangen herum und krängten stark im Wind. Nach dem Manöver mußten sie parallel zum Geleitzug laufen, mit etwa fünf Meilen Abstand. Selbst ohne Glas konnte Bolitho ausmachen, daß ihre Stückpforten noch geschlossen waren. Zweifellos konzentrierten sich die beiden Kommandanten vorerst darauf, in möglichst günstige Schußposition zu kommen.

Der Zweidecker hielt majestätisch seinen Kurs, als wolle er achteraus am Geleit vorbei, ohne es überhaupt zu beachten. Sein Kommandant tat genau das, was Bolitho ebenfalls getan hätte: er ließ die beiden Fregatten auf das Geleit los und entweder die Har-vester oder das Führerschiff angreifen — oder beide zugleich. Wollte die Hyperion näher heran, um der Harvester beizustehen, würde sie einige Zeit brauchen, um zurückzusetzen und das Geleit von achtern zu schützen; inzwischen konnte der Zweidecker bereits zugeschlagen haben. Es war die älteste Lektion in Kriegskunst: divide et impera- teile und siege.

«Kurs Nord zu Ost, Sir, voll und bei«, meldete Gossett.

«Recht so. «Er starrte zum Mastwimpel hoch.»Signal an Geleit: >Alle verfügbaren Segel setzen!<«Und Rooke befahl er scharfen

Tones:»Schnell wieder die Royals los, ich will sehen, was der Zweidecker darauf unternimmt.»

Unter Vollzeug schloß die Hyperion zu den Transportern auf, und augenblicklich reagierten die französischen Schiffe. Das Linienschiff hatte zweifellos erwartet, daß Bolitho zum Geleit aufschließen und es so gut wie möglich vor einem Zangenangriff schützen würde. Eine Flucht war unwahrscheinlich und auch nicht sinnvoll. Doch da die englischen Schiffe bereits außer Schußweite zu kommen drohten, hatten die Franzosen gar keine Wahl — sie mußten die Jagd aufnehmen.

Hauptmann Ashby atmete langsam aus.»Da — bei Gott!«Der hohe Zweidecker wendete bereits; wild flappten die Segel, als er durch den Wind ging. So schnell reagierte er auf Bolithos Taktik, daß er übermäßig krängte, als wolle seine Großrah die Wellenkämme streifen. Unter den Gischtbrettern, die das Manöver aufwarf, verschwanden die unteren Stückpforten völlig.

Der Segeldrill auf dem Franzosen war offenbar lange nicht so gut wie auf der Hyperion — wahrscheinlich weil jener mehr Zeit im Hafen als auf offener See verbracht hatte. Doch innerhalb einer Viertelstunde standen ihre Bram- und Royalsegel wie eine riesige Pyramide aus strahlend weißer Leinwand.

«Sie überholt uns, Sir«, sagte Rooke tonlos.»In einer halben Stunde ist sie gleichauf. «Doch Bolitho blickte unbewegt nach vorn und beobachtete die Justice. Sie war jetzt eine knappe Meile entfernt und konnte wie die anderen Transporter das Tempo nicht mithalten. Die beiden feindlichen Fregatten lagen näher an dem Führerschiff: angestrengt durch das Gewirr der Takelage spähend, sah er an der vordersten Fregatte eine Reihe kurzer Mündungsfeuer aufblitzen, begleitet von einer Rauchwolke.

Es schien Stunden zu dauern, bis das dumpfe Rumpeln der Kanonen an sein Ohr drang; und dann sagte Bolitho:»Sie können jetzt laden lassen, Mr. Rooke. Sorgen Sie dafür, daß die erste Breitseite ordentlich Schrapnell enthält, das bringt Glück!»

Gewöhnlich war die erste Salve auch die letzte, bei der man einigermaßen Zeit hatte, genau zu zielen. Danach war das Feuern mehr Routine — und Gefühlssache. Und im unteren Batteriedeck würde es noch schlimmer sein. Dort hatten sie kaum Platz genug zum Aufrechtstehen und feuerten in einem Inferno von Enge, erstickendem

Qualm, halber Finsternis und Grauen, das besser im Verborgenen blieb.

«Die Harvester schießt zurück, Sir!»

Bolitho nickte. Mit halbem Auge sah er, wie seine Kanoniere die mattglänzenden Kugeln von den Gestellen holten und sie in die gähnenden Rohre rammten. Erfahrenere Geschützführer prüften jede Kugel mit beinahe liebevoller Gründlichkeit. Manche waren besser gerundet als andere. Diese wählten sie für die erste Breitseite aus.

«Signal an Harvester: >Nach Belieben Feindberührung aufneh-men<. «Er mußte über die hohle Phrase beinahe lächeln. Als ob das irgend jemandem beliebte!

«Ausrennen, Sir?«fragte Rooke, der querab nach Backbord starrte: mühelos verkürzte der Franzose seinen Abstand zum Geleitzug. Der Kommandant war kaltblütig genug, um gerade noch in Luv der langsameren Hyperion zu bleiben. Brach Bolitho aus, mußte er sein verwundbares Heck der französischen Breitseite präsentieren. Auf diese kurze Entfernung reichte das aus, um aus den mittleren Decks ein Schlachthaus zu machen und die Hyperion wahrscheinlich obendrein noch zu entmasten. Behielt er seinen jetzigen Kurs bei, so würde es einen Kampf Schuß um Schuß geben, wobei der Franzose im Vorteil war und die Hyperion nach keiner Seite über Stag gehen konnte, ohne eine schwere Salve einstecken zu müssen.

«Noch nicht, Mr. Rooke. «Er hatte seine Stimme gut in der Gewalt; doch als er sah, wie sich der Schatten des anderen Schiffes über der glitzernden See hob und senkte, kam ihm die Idee, daß Rooke wahrscheinlich glaubte, er wolle kneifen — entweder aus Angst oder weil ihm einfach kein Plan einfiel, wie er sein Schiff retten konnte.

Wieder ein rascher Blick zum Masttopp. Er wagte kaum hinzusehen, weil er fürchtete, sein Auge könne ihn täuschen. Aber der Winkel des Wimpels hatte sich etwas verändert.

«Der Wind ist einen Strich ausgeschossen, nicht wahr, Mr. Gos-sett?«fragte er möglichst beiläufig.

Der Master starrte ihn an.»Ja, stimmt, Sir. Nur ein bißchen«, antwortete er anscheinend verwundert, daß das überhaupt der Rede wert sei.

Bolitho versuchte, möglichst ruhig zu überlegen. Er mußte seine ganze Willenskraft aufwenden, um nicht auf den fernen Geschützdonner der einsam kämpfenden Harvester zu hören, und auch um seine schleichende Befürchtung zu unterdrücken, daß er die Lage von Anfang an falsch beurteilt hatte.

«Na schön. Mr. Rooke, Segel kürzen! Weg mit den Royal- und Bramsegeln!«Die Toppgasten enterten auf, und er verschränkte die Hände hinterm Rücken.»Jetzt können Sie die Backbordbatterie ausrennen lassen.»

Die Hyperion schien in ein Wellental zu sinken, als die Zugkraft der oberen Segel wegfiel. Der Bewuchs am Unterwasserschiff wirkte bremsend; Bolitho sah den Kreuztopp erzittern wie einen Baum im Wind und konnte das Vibrieren noch in den Planken unter seinen Schuhsohlen spüren.

Dann schritt er nach Backbord hinüber und beugte sich über die Reling, um zu beobachten, wie die dunkle Reihe der Stückpforten hochklappte. Sekunden später hörte er das Quietschen der Lafetten, als die schwitzenden Matrosen sich in die Züge warfen und ihre schweren Waffen gegen die Schräglage des Decks verholten. Sonnenlicht berührte die schwarzen Mündungen, als sie die offenen Pforten durchstießen, und Rooke rief:»Batterie ausgerannt, Sir!»

Mit leichtem Erschauern wandte sich Bolitho wieder dem Franzosen zu. Der stand jetzt kaum eine Kabellänge achteraus, und obwohl er ebenfalls Segel kürzte, mußte er innerhalb weniger Minuten auf gleicher Höhe sein. Für den französischen Kommandanten würde es so aussehen, als hätte Bolitho vergeblich versucht, sein Geleit unter Vollzeug in Sicherheit zu bringen, und als fiele er jetzt zurück, um die Quittung für seine Dummheit in Empfang zu nehmen.

Bolitho leckte sich die staubtrockenen Lippen. Langsam sagte er zu Gossett:»Klar zum Halsen, Mr. Gossett! In zwei Minuten will ich hart vor seinem Bug über Stag gehen!«Gossetts völlig verdutzte Miene entging ihm, denn er spähte nach dem anderen Zweidek-ker aus. Der hatte seine Steuerbordbatterie ausgerannt, und auf den Decksgängen sah er zusammengedrängte Gestalten und Sonnenreflexe auf Musketen und Entersäbeln.

Gossett hatte inzwischen die Sprache wiedergewonnen.»Aye, aye, Sir.»

«Wir segeln auf Gegenkurs zurück und greifen seine andere Seite an«, erläuterte Bolitho kurz. Ein unbewußtes starres Grinsen lag auf seinem Gesicht, und er verspürte die gleiche sinnlose Wut, die er auf Cozar mit aller Willenskraft gezügelt hatte. Rooke nickte und hob die Sprechtrompete. Unter seiner Sonnenbräune war er erbleicht, aber irgendwie brachte er die Befehle zustande.»Klar zum Halsen!»

Bei» Stützruder!«warf Gossett sein ganzes Körpergewicht mit ins Rad, um den keuchenden Rudergasten zu helfen.

Sekundenlang schien das Schiff verrückt zu werden; und als die Männer die Schoten loswarfen und der Schiffsrumpf auf den Druck des Ruders zu reagieren begann, ging im Schlagen der Segel und dem gequälten Jaulen der Takelage sogar der ferne Geschützdonner unter.

«Hol' dicht die Brassen!«Rooke tanzte fast vor verzweifelter Ungeduld.»Hol' dicht bei Großsegel!»

Was sich der Franzose bei dem verzweifelten Manöver der Hyperion denken mochten, blieb Bolitho völlig unklar; eiskalt rann ihm der Schweiß von der Stirn, als er zu dem Zweidecker hinüberstarrte. Vielleicht hatte er doch zu lange gewartet. Das feindliche Schiff schien wie eine riesige Klippe über dem Achterdeck der Hyperion aufzuragen; mühsam arbeitete sich die alte Dame herum, und es sah aus, als könne nichts den Franzosen daran hindern, sich blindlings in ihre Backbordseite zu bohren.

«Hol' dicht, ihr Hunde!«Rooke war so heiser, daß sich seine Stimme fast überschlug. Doch die Männer hingen schon fast waagrecht an den Brassen, sie stemmten die Fersen ein und zerrten wie verrückt, sie hörten und dachten überhaupt nichts mehr und sahen nichts anderes als die turmhohen, unbeweglichen Segel, die alles andere auslöschten.

Aber die Hyperion reagierte: Über der mächtig schlagenden Leinwand kamen die Rahen herum, die Segel bauschten sich wie Ballons und ächzten im Wind, das Deck krängte immer stärker dem anstürmenden Bug des Franzosen entgegen.

Bolitho klammerte sich an die Reling und brüllte:»Achtung: Geschützführer — Feuer frei! Weitersagen an die untere Batterie!«Der Schweiß machte ihn fast blind, und er zitterte vor Erregung. Irgendwie hatte die Hyperion seine unmöglich scheinenden Forderungen erfüllt und war direkt vor dem Bug des Gegners durch den

Wind gegangen. Jetzt, auf Gegenkurs, segelte sie bereits den Franzosen wieder an, der sein Stückpforten noch dicht hatte und somit noch nicht verteidigungsbereit war.

Auf dem Hauptdeck herrschte ein einziges wirbelndes Chaos: die Männer der Steuerbordbatterie rannten hinüber zur anderen Seite und schienen dort nicht gleich ihre richtigen Stationen zu finden. Der Bug der Hyperion schor an der Back des Franzosen vorbei; ihr Schatten glitt über die durcheinanderrennenden Franzosen wie ein Unheilswolke.

Leutnant Inch rannte an den Geschützen entlang; auf sein Handzeichen donnerten die ersten beiden los. Die Schiffe rauschten so schnell aneinander vorbei, daß der Effekt fast dem einer vollen Breitseite gleichkam, so rasch sprang die spitzen roten Feuerzungen aus dem Rumpf der Hyperion.

Bolitho wäre beinahe zu Boden gegangen, als sich die Achter-deck-Neunpfünder einmischten. Rundum und oben, hörte er das erregte Schreien und Fluchen von Ashbys Marine-Infanteristen; sie feuerten blindlings in die Rauchwand, die von dem Franzosen hochwuchs und hinter der eine Hölle von Tod, Blut und Zerstörung wütete. In einer Entfernung von vielleicht zwanzig Yards passierten sie die immer noch geschlossenen gegnerischen Stückpforten.

«Schluß mit dem verdammten Hurragebrüll!«schrie Bolitho.»Laden und ausrennen!«Er hatte seinen Degen in der Faust, obwohl er sich nicht erinnern konnte, wann er ihn gezogen hatte.»Backbordkarronade feuerklar!«Vom Vorschiff her starrte ihn die Bedienung des stumpfschnauzigen, niederen Geschützes an. Die Männer waren von Rauchschwaden umgeben; ihre Köpfe schienen frei im Raum zu hängen. Er wandte sich Gossett zu:»Klar zum Halsen. Jetzt kreuzen wir sein Heck; wir haben ihm den Wind we g-genommen!»

«Da, Sir! Der Vortopp fällt!»

Bolitho rieb sich die tränenden Augen und wandte sich um; mit einer Art müder Würde begann der obere Vormast des Franzosen zu wanken und brach dann ab. Er sah die winzigen Gestalten, die sich verzweifelt an die Rahen klammerten und dann wie Fallobst abgeschüttelt wurden, als die riesige Spiere mit dem ganzen Rigg und den zerfetzten Segeln nach vorn in die Rauchwand stürzte.

Aber die Hyperion schwang schon wieder herum. Die Männer an den Brassen keuchten und husteten, als die Geschütze erneut feuerten. Der Lärm und Qualm des Kampfes machten sie taub und blind. Bolitho eilte übers Deck, ohne drüben die rauchumwehten, durchlöcherten, in Fetzen hängenden Segel aus den Augen zu lassen, denn jetzt passierte die Hyperion das Heck des Feindes. Eine Fallbö brachte etwas bessere Sicht; die Heckaufbauten lagen, knapp fünfzig Fuß vor dem eigenen Bug, frei im Schußfeld. Er unterschied die hohen Kajütfenster, das wohlbekannte, hufeisenförmige Heck, das die französische Schiffskonstrukteure so liebten, und die Männer, die sich über dem Schiffsnamen Saphir zusammendrängten. Sie schossen mit Musketen, und er sah einige seiner Vorschiffmatrosen fallen und sich in Qualen winden; der Geschützdonner übertönte ihre Schreie.

Aber dann, als der Bugspriet der Hyperion seinen schwarzen Schatten über den Streifen sichtbaren Wassers warf, feuerte die Karronade. Einen Sekundenbruchteil, bevor der Rauch wieder über das Wasser wirbelte, sah Bolitho, daß die Reihe der Heckfenster wie unter einem wilden Windstoß barst, und er konnte sich das Blutbad im überfüllten unteren Batteriedeck der Saphir vorstellen — vom Heck zum Bug war die geballte Ladung durch den ganzen Rumpf geflogen. In einem engen Raum voller Matrosen, die von der schnellen Rache der Hyperion schon halb betäubt gewesen waren, mußte die Hölle ausgebrochen sein.

Er zwang sich, nicht mehr daran zu denken, sondern sich auf das Oberdeck der Hyperion zu konzentrieren. Als das Schiff gewichtig das Heck des Feindes rundete, konnte die Backbordbatterie nur halb so viele Schüsse lösen wie beim ersten Angriff. Die ängstliche Spannung, unter der die Männer gestanden hatten, als die Saphir so selbstbewußt herankam, hatte sich in rauschartige Erregung verwandelt; Bolitho sah, als er durch die Rauchwolken spähte, mehr als einen Kanonier, der, statt sich um seinen Dienst zu kümmern, entzückt hoch in die Luft sprang, weil er von den Schrecknissen dort drüben, jenseits des schmalen Streifens Wasser, auch etwas sehen wollte.

Bolitho legte die hohlen Hände an den Mund und brüllte:»Mr. Inch! Backbordgeschütze doppelt laden! Durchsagen an Unterdeck: ebenfalls!»

Inch nickte heftig. Sein Dreispitz saß schief, sein langes Gesicht war von Pulverrauch geschwärzt.

Die Saphir krängte leicht nach Backbord; der ins Wasser gefallene Mast wirkte wie ein großer Treibanker, so daß es ein paar kostbare Minuten länger dauerte, ihr Heck zu runden. Obgleich die Hyperion nun praktisch wieder in Lee stand, hatte die Saphir mit ihren zerschossenen Spieren und Segeln keinen Vorteil von der Luvposition. Als der Bugspriet der Hyperion scharf an der hohen Kampanje des Franzosen vorbeischnitt und die Buggeschütze mit erneuter Wut ihre Ladung ausspuckten, sah Bolitho große Stücke Holz aus dem Schanzkleid hochfliegen; in einem Funkenregen riß eines der feindlichen Geschütze aus der Halterung und rutschte seitlich auf die Bedienungsmannschaft, deren Todesschreie die britischen Kanoniere nur zu größeren Anstrengungen anspornten.

Dann, als beide Schiffe quer durch den Qualm pflügten, feuerte die obere Batterie der Saphir zum erstenmal. Es war eine stotternde Salve, deren Flammenzungen jetzt durch den treibenden Rauch stießen. Ihre Detonationen mischten sich mit denen der Breitseite der Hyperion. Die Distanz hatte sich wieder verringert, und beide Schiffe lagen jetzt knapp dreißig Fuß auseinander. Die Kanoniere der Saphir hatten gefeuert, als das Schiff im Wellental lag, und Bolitho spürte das Deck unter sich erzittern, als eine Kugel nach der anderen in den massigen Rumpf seines Schiffes einschlug oder jaulend in die unsichtbare Welt jenseits der Rauchwolken flog. Aus den Masten des Franzosen kamen Musketenschüsse, und Bolitho erhaschte einen kurzen Blick auf einen Offizier, der mit seinem Degen auf ihn deutete, als wolle er den Schützen das Ziel weisen. Musketenkugeln schlugen dumpf in die Finknetze neben ihm, und er sah einen Matrosen entgeistert auf seine Hand starren: ein Querschläger hatte ihm einen Finger abgeschnitten, so sauber wie mit der Axt.

Unter gebrüllten Beschimpfungen erwiderten Ashbys Seesoldaten das Feuer, und bald hing mehr als ein Franzose leblos im Rigg, als Zeichen ihrer Treffsicherheit.

Wieder kam eine unregelmäßige Salve aus den oberen Stückpforten der Saphir, doch die Masten der Hyperion blieben unbeschädigt. Zwar waren die Segel ziemlich durchlöchert, aber nur wenige Blöcke und Spieren baumelten frei oder fielen in die Netze, die er zum Schutz der Kanoniere hatte aufriggen lassen. Eben rannte ein kleiner Schiffsjunge übers Deck, gebeugt unter einer Last Pulver aus dem Magazin. Ein Kanonier wurde von seinem Zwölfpfünder weg durch die Luft geschleudert und fiel mit aufgerissenem Leib, aus dem die Eingeweide hingen, dem Jungen vor die Füße. Der hielt nur einen Moment inne und rannte dann blindlings weiter an sein Geschütz, zu entgeistert, um überhaupt auf das Ding zu achten, unter dessen Todeszuckungen die Decksplanken sich immer roter färbten.

Oben im Qualm sah Bolitho die französische Flagge an der Gaffel wehen. Das weiße Tuch mit der blau-weiß-roten Gösch wirkte seltsam sauber und schien mit der irrsinnigen Hölle unten kaum etwas zu tun zu haben; Bolitho hatte gerade noch Zeit, sich zu fragen, wer sich wohl die Mühe gemacht hatte, die Flagge noch zu hissen.

«Ihr Großmars hat's weggerissen, Sir«, brüllte Gossett heiser und schüttelte vor lauter Begeisterung den Rudergänger im Takt zu seinen Worten.»Mein Gott, sehen Sie sich das arme Luder bloß an!»

Ashby schritt über das Achterdeck, die Breeches blutbespritzt, der Degen baumelte an einer Goldschnur von seinem Handgelenk. Er faßte grüßend an den Hut, unbekümmert um die jaulenden Musketenkugeln und das Schmerzgebrüll, das jetzt auf beiden Schiffen ertönte.»Sobald Sie befehlen, können wir entern, Sir! Ein ordentlicher Ansturm, und wir hauen ihnen das Rückgrat aus dem Leib!«Dabei grinste er tatsächlich.

Ein Seesoldat, die Hände vors Gesicht geschlagen, fiel rücklings aus den Netzen und lag reglos an Deck. Eine Musketenkugel hatte ihm den Schädel fast auseinandergerissen. Wie Porridge war sein Hirn auf den Planken verschmiert.

Bolitho blickte weg.»Nein, Captain, so gern ich sie als Prise hätte — ich muß zuerst an das Geleit denken. «Er sah einen hochgewachsenen französischen Matrosen drüben an den Finknetzen stehen und seine Muskete genau auf ihn richten. Der Mann hob sich scharf von der Rauchwand ab, unbekümmert um alle Gefahr, nur von dem Drang beseelt, den britischen Kapitän zu töten. Seltsamerweise konnte Bolitho einfach dastehen und es sich wie ein Zuschauer ansehen: hell blitzte die Muskete auf, der Knall ging unter im Donnern der schweren Geschütze, während die Hyperion vom Rückstoß der Breitseite bockte. Bolitho spürte, wie die Kugel ihn am Ärmel zupfte — nicht stärker als eines Mannes Finger. Hinter sich hörte er einen schrillen Aufschrei, und ohne aufzusehen wußte er, daß die Kugel doch noch ein Opfer gefunden hatte. Aber sein Blick hing an dem unbekannten Schützen. Der mußte ein tapferer Mann sein, oder das Schicksal seines Schiffes hatte ihn in eine so irre Wut versetzt, daß er seiner eigenen Sicherheit nicht achtete. Er stand noch auf dem Schandeck, da riß ihn ein Neunpfün-dergeschoß der Hyperion mitten auseinander, so daß der Oberkörper mit wild schlagenden Armen längsseit ins schäumende Wasser stürzte, während die gespreizten Beine noch sekundenlang fest und entschlossen stehenblieben.

Mit der Saphir sah es übel aus. Die Segel waren schwärzliche Fetzen, nur Klüver und Besanuntersegel schienen noch intakt. Dünne rote Blutströme rannen aus ihren Speigatten und zu Seiten der Pforten herab. Bolitho konnte den Umfang der Zerstörung nur raten. Bezeichnenderweise griff die untere Batterie des Feindes überhaupt nicht in den Kampf ein, die mächtigen Vierundzwanzig-pfünder blieben stumm und ohnmächtig. Ein Wunder, daß das ganze Schiff noch nicht in Flammen aufgegangen war. Doch er wußte aus böser Erfahrung, daß solche Äußerlichkeiten täuschen konnten. Die Saphir mochte immer noch zum Kampf fähig sein, und ein einziger, genau gezielten Schuß konnte die Hyperion so lange außer Gefecht setzen, daß sie den schwer errungenen Vorteil wieder einbüßte.

«Mr. Rooke!«rief er.»Royal- und Bramsegel setzen!«Unten an Deck blieb den Matrosen der Mund vor Erstaunen offen, denn sie3 konnten nicht glauben, daß Bolitho den schwer angeschlagenen Zweidecker entkommen lassen wollte.»Danach die Steuerbordgeschütze ausrennen!«Und zu Gossett:»Nehmen Sie Kurs auf den Geleitzug! Wir luven an und sehen dann, wie weit wir kommen.»

Die Deckoffiziere trieben bereits die vom Kampf erschöpften Matrosen an die Brassen; Bolitho wandte sich um und sah den Franzosen rauchumhüllt achteraus bleiben. Beinahe vergnügt fing die Hyperion den Wind in ihren pockennarbigen Segeln und nahm Kurs auf die anderen Schiffe.

Ein halbnackter Geschützführer, dessen muskulöser Oberkörper vom Rauch so schwarz und blank wie der eines Negers war, sprang auf seine Lafette, schrie:»Ein Hurra auf den Cap'n, Jungs!«, und geriet fast außer sich, als sich die Männer in einem wilden Hurraschreien und Armeschwenken abreagierten. Ein Kanonier verließ sogar seine Gefechtsstation und tanzte auf und ab, die nackten Füße klatschten auf dem blutüberströmten Deck, und sein Zopf flog im Takt zu seinem wilden Hüpfen.

Ashby grinste.»Kann man ihnen nicht übelnehmen, Sir!«Er winkte den Männern zu, um sich für Bolithos grimmige Miene zu entschuldigen.»Das war 'n herrlicher Trick vorhin! Bei Gott, Sie haben sie gesegelt wie eine Fregatte. Hätte nie geglaubt, daß so was möglich wäre.»

Bolitho sah ihn ernst an.»Zu jeder anderen Zeit wäre ich dankbar, das zu hören, Captain Ashby. Aber jetzt scheuchen Sie um Gottes willen die Leute an die Arbeit!«Eilig schritt er nach Luv hinüber. Fast wäre er in einer glänzenden Blutlache ausgerutscht, als er das Fernglas hob, um nach dem Geleit auszuschauen.

Endlich kam die Hyperion von der treibenden Rauchwolke frei, und er konnte die Justice sehen. Sie lag ziemlich weit hinter den anderen Schiffen und dem heißen Gefecht dort vorn, das diese ebenfalls in eine Wolke wirbelnden Rauches hüllte. Darüber konnte er die Bramsegel die Harvester ausmachen — sie standen also noch, so unwahrscheinlich ihm das vorkam. Ihre meisten anderen Segel waren weg, und eine französische Fregatte schien fast längsseit zu liegen, Rah an Rah.

Dann wurde ihm beinahe schlecht: eine stetig wachsende Flammenwand erhob sich zwischen den beiden Fregatten, und als eine kurze Bö den Rauch wie einen Vorhang teilte, sah er die kleine Snipe brennend und wie eine Fackel hilflos vor dem Wind treiben. Sie war entmastet und hatte schon gefährlich Schlagseite. Die tiefen Geschoßspuren auf ihrem flachen Deck, die mit dem Seegang rollenden Leichen neben den zerschossenen, umgestürzten Kanonen verrieten ihm, daß sie bei diesem Gefecht nicht untätig zugeschaut hatte.

Die Transporter schienen, da sie von der kämpfenden Harvester geschützt wurden, noch intakt zu sein; doch als der Rauch sich wieder einmal lichtete, schor die zweite französische Fregatte aus und nahm deutlich Kurs auf die Vanessa. Die Fregatte hatte zwar ihren Besantopp eingebüßt, aber dem schwerfälligen Kauffahrer war sie noch mehr als gewachsen. Zwei Buggeschütze auf ihrem Vorschiff hatten das Feuer eröffnet; unbewegt sah Bolitho, wie von dem prunkvollen Heck der Vanessa Holzstücke absplitterten und hochflogen wie vom Wind gepflückt.

«Ein Strich Backbord!«befahl er heiser, und der Bugspriet der Hyperion fuhr suchend an der Reihe ferner Schiffe entlang wie ein stöbernder Jagdhund — hatte der Feind nicht bemerkt, daß sie sich von der Saphir gelöst hatten?

Erst als die Fregatte beinahe das Heck des Transporters gekreuzt hatte, wurde es drüben unruhig. Doch da war es bereits zu spät. Wegen der hilflosen Vanessa konnte sie nicht zurück, und wegen des Windes konnte sie nicht wenden. Verzweifelt holte sie die Brassen dichter, und mit fast mitschiffs gebraßten Rahen krängte sie in der frischen Brise so stark, daß die Beobachter an Deck der Hyperion das kupfern beschlagene Unterwasserschiff im dunstigen Sonnenlicht wie Gold glänzen sahen.

Zielbewußt strebte die Hyperion an den Heckaufbauten der Vanessa vorbei; ungerührt starrte das Titanenhaupt ihrer Galionsfigur zu dem rauchgeschwärzten Transporter hinüber.

Bolitho hob den Degen; seine Stimme hielt gerade noch einen übereifrigen Geschützführer zurück, der schon an seiner Reißleine zupfte.»Erst beim Abwärtsrollen feuern!«Die Klinge blinkte in der Sonne, und für manchen an Bord der verzweifelten Fregatte drüben war es das letzte, was er auf dieser Welt sah.»Jetzt!«Der Degen fuhr blitzend nieder, und als die Hyperion schwer in ein Wellental glitt und die Doppelreihe der Mündungen sich leicht der See zuneigte, barst die Luft unter einer wütenden Breitseite. Es war die erste Salve der Steuerbordbatterie, und die Wucht der Doppelladungen schmetterte mit der zerstörenden Kraft einer Lawine in den ungeschützten Rumpf der Fregatte.

Das feindliche Schiff schien sich taumelnd erheben zu wollen; Vor- und Hauptmast fielen gleichzeitig unter einem wüsten Gewirr von laufendem Gut und weiß aufsplitternden Spieren.

Nur wenige Minuten würde es dauern, bis die Vanessa hinderlich zwischen der Hyperion und der Fregatte liegen mußte, aber die Geschützbedienungen brauchten kein Antreiben. Als der Bugspriet mit flatterndem Klüver das zerschossene Heck des Transporters passierte, feuerte die gesamte Backbordbatterie nochmals; im Hagel der Geschosse fiel der letzte Mast des Franzosen, und damit war der niedrige Rumpf nur noch ein schwimmendes Wrack.

Wieder brüllten die Männer Hurra, und die Matrosen auf dem Achterdeck der Vanessa stimmten ein. Diese war, als die letzte Breitseite an ihr vorüberrauschte, etwas zurückgefallen. Mancher an Bord mußte befürchtet haben, die Hyperion könne in ihrer Kampfeswut nicht mehr zwischen Freund und Feind unterscheiden. Inzwischen kletterten ihre Matrosen in die Luvwanten und winkten schreiend herüber; und als der alte Zweidecker langsam aufkam und seine Leute zurückwinkten und — schrien, weinte mancher hemmungslos.

Bolitho verschränkte die Finger fest hinterm Rücken, damit sie nicht so stark zitterten.»Signal an die Justice: >Mehr Segel setzen und auf Station gehen! <»

Noch halb betäubt nickte Caswell, aber trotz seiner Benommenheit war er fähig, seine Signalgasten an die Leinen zu rufen.

«An Deck! Die andere Fregatte dreht ab, Sir!«schrie der Ausgucker schien ebenso wild wie die anderen zu sein. Caswell senkte sein Glas und bestätigte die Meldung.»Die Harvester signalisiert, Sir. Sie kann die Verfolgung nicht aufnehmen, Segel und Rigg zu stark beschädigt.»

Bolitho nickte. Kein Wunder. Der Kapitän der Harvester hatte sich mit zwei Fregatten gleichzeitig geschlagen, ohne andere Unterstützung als die winzige Snipe. Er hatte Glück gehabt, daß er noch lebte.

«Signalisieren Sie der Harvester folgendes, Mr. Caswell«, sagte er und runzelte nachdenklich die Stirn; der Text durfte nicht banal oder gleichgültig klingen, denn die Männer der Harvester hatten gezeigt, was sie konnten. Langsam fuhr er fort:»>Sie haben reiche Ernte[8] gehalten. Gute Arbeit<.»

Eifrig kritzelte Caswell auf seiner Schiefertafel.»Und Sie können ruhig jedes einzelne Wort ausbuchstabieren!«schloß Bolitho. Er beschattete die Augen, als die ausgebrannte Snipe kenterte und mit dumpfem Zischen sank. Treibgut markierte die Stelle wie Pockennarben.

Heiser sagte Gossett:»Die Erebus hat Boote ausgesetzt und sucht nach Überlebenden, Sir.»

Bolitho antwortete nicht. Selten machte ein Matrose sich die Mühe, schwimmen zu lernen. Bestimmt waren kaum noch welche übrig, die vom letzten großen Gefecht der Snipe erzählen konnten.

Mühsam sagte er:»Ich wünsche einen ausführlichen Bericht über Verluste und Schäden, Mr. Rooke.»

Der Leutnant starrte immer noch auf die feindlichen Schiffe. Dwars von ihnen rollte die entmastete Fregatte hilflos in den Wellen, und es würde noch lange dauern, bis sie ins Schlepptau genommen werden konnte. Eher war damit zu rechnen, daß sie an Ort und Stelle sank. Die andere Fregatte holte zu dem zerstörten Zweidecker auf; über dem treibenden Rauch gingen Signale hoch, bunt und geschäftig.

Bolitho sagte:»Wir müssen uns um unser Geleit kümmern. Die beiden da können auf die Endabrechnung noch warten. «Er sprach laut und vernehmlich und es schien, als spräche er mit seinem

Schiff.

Caswell rief:»Die Justice hat bestätigt, Sir!«Dann grinste er:»Die Harvester auch. «Er blickte in die geschwärzten Gesichter der Untenstehenden.»>Habe Aktion eingestellt«, signalisiert sie.»

Schmerzhaft spürte Bolitho, wie sich seine ausgetrockneten Lippen zu einem Lächeln verzogen. Diese dienstlich-formelle Antwort Leachs sprach Bände über die Zähigkeit des Mannes.»Bestätigen!»

Unten an der Achterdecksleiter stand ein Sanitätsmaat, die Arme bis zu den Ellbogen voll Blut. Bei diesem Anblick empfand Bolitho wieder jene vertraute Verzweiflung über das Leiden, die Wunden, die den Sieg so bitter machten.

«Was ist?»

Unsicher sah der Mann sich an Deck um, staunte anscheinend, daß es noch einigermaßen ganz war. Unter der Wasserlinie, wenn der Schiffsrumpf unter den Rückstößen und Einschlägen schwankte und zitterte, die schreienden Verwundeten zu versorgen, war bestimmt keine leichte Arbeit.»Schiffsarzt läßt melden, Sir, Mr. Dal-by hat's erwischt; er möchte Sie sprechen, Sir.»

Bolitho zuckte zusammen. Dalby, undeutlich erinnerte er sich an das Gesicht des Leutnants, wie er es zuletzt gesehen hatte.»Schwer?«fragte er.

Der Mann schüttelte bedauernd den Kopf.»Nur noch Minuten,

Sir.»

«Übernehmen Sie, Mr. Rooke. Signalisieren Sie dem Geleit, sie sollen ihre alten Stationen wieder einnehmen, sobald die Erebus ihre Boote wieder eingeholt hat.»

Rooke faßte an den Dreispitz.»Aye, aye, Sir.»

Bolitho kletterte die Leiter hinunter und merkte plötzlich, wie steif seine Beine waren und daß ihn die Kiefer vor Anstrengung schmerzten. Hier und dort streckte ein Matrose, der tapferer war als die anderen, die Hand aus, um ihn zu berühren, und einer rief sogar:»Gott segne Sie, Cap' n!»

Bolitho hörte nichts. Er brauchte alle seine Kraft, um weiterzugehen, und er wußte nur eins: sie hatten gewonnen, aber wie immer waren die Kosten des Sieges nicht zu ermessen.

Bolitho duckte sich unter den niederen Decksbalken und tastete sich durch das Halbdunkel des Orlopdecks.[9] Im Vergleich hierzu war die Luft auf dem Achterdeck frisch und rein, selbst auf dem Höhepunkt einer Seeschlacht; denn hier, tief im Bauch des Schiffes, gab es nur wenig Ventilation, und sein Magen rebellierte gegen den Gestank nach Bilgewasser, Rum und Blut.

Rowlstone, der Arzt, wußte schon lange, daß sein winziges Lazarett völlig unzureichend für die vielen Verwundeten von den oberen Decks war; und als Bolitho in den Lichtkreis der schwingenden Laternen trat, sah er, daß das ganze Revier vor dem säulendicken Mastfuß voller Verwundeter lag. Die Hyperion stampfte heftig in einer von achtern anrollenden See, so daß die Laternen irre, unberechenbare Kreise zogen und seltsame, tanzende Schatten auf die gewölbte Bordwand warfen oder sekundenlang kleine Bildausschnitte wie Teilstücke eines alten, nachgedunkelten Gemäldes hervorhoben.

Über dem Knarren der Planken und dem dumpfen Anprall der See vernahm Bolitho ein stetiges Stimmengewirr, hier und da ein Wimmern oder einen scharfen Schmerzensschrei. Aber die meisten Verwundeten lagen ganz still da, nur ihre Augen folgten dem Licht der kreisenden Laternen oder starrten stumpf auf die kleine Gruppe um den blank gescheuerten Tisch, wo Rowlstone, das blasse, talgi-

ge Gesicht verzerrt vor Konzentration, an einem Matrosen arbeitete, den zwei Santitätsmaaten festhielten. Der Mann hatte wie jeder Schwerverwundete eine kräftige Portion Rum bekommen. Und doch rollte, während Rowlstones Säge gnadenlos durch sein Bein zog, sein Kopf hin und her; der Lederriemen zwischen seinen Zähnen erstickte sein Schmerzensgeheul, Rum und Erbrochenes ertränkten seine verzweifelten Proteste. Geschäftig sägte Rowlstone, die Hände ebenso blutig wie die schwere Schürze, die ihn vom Kinn bis zu den Zehen bedeckte. Endlich gab er seinen Maaten ein Zeichen; ohne weitere Umstände hoben sie den Matrosen vom Tisch und schafften ihn in das barmherzige Dunkel jenseits der Laternen.

Der Arzt blickte auf und sah Bolitho. Inmitten der Verwundeten und Verstümmelten wirkte der stattliche Kapitän plötzlich klein und verletzlich.

Leise fragte Bolitho:»Wieviele?»

«Zehn Tote, Sir. «Der Arzt wischte sich die Stirn mit dem Unterarm, was einen roten Strich über dem rechten Auge hinterließ.»Bis jetzt. «Er blickte über die Schulter, denn zwei seiner Assistenten schleppten soeben einen neuen Mann zum Tisch. Wie es im Seegefecht oft passierte, war er von Holzsplittern getroffen; und als die Sanitätsmaaten ihm die blutbefleckte Hose herunterzogen, sah Bolitho den großen, gezackten Holzzahn unterhalb des Magens im Fleisch stecken. Sekundenlang starrte Rowlstone ohne zu blinzeln den Mann an. Dann sagte er ausdruckslos:»Dreißig Schwerverwundete, Sir. Etwa die Hälfte davon könnte durchkommen.»

Ein Sanitäter goß dem Verwundeten Rum in den offenen Mund. Der konnte den schieren Sprit anscheinend nicht schnell genug schlucken, und dabei wichen seine Augen, Schrecken und zugleich Hoffnung geweitet, nicht von Rowlstones Händen.

Der Chirurg griff nach seinem Messer und deutete seitwärts.»Mr. Dalby liegt da drüben, Sir. «Fast verzweifelt blickte er auf den Verwundeten und fuhr dann fort:»Wie die meisten ist er im unteren Batteriedeck verwundet worden.»

Bolitho trat zur Seite, denn der Arzt beugte sich jetzt über den nackten Körper auf dem Tisch. Der Verwundete wurde augenblicklich starr, und Bolitho glaubte, den ersten Schnitt des Messers am eigenen Leibe zu fühlen.

Dalby lehnte halb sitzend, die Schultern gegen eine der starken Rippen des Schiffes gestützt, auf einer Matratze. Bis auf einen breiten, durchgebluteten Verband um den Leib war er nackt, und bei jedem seiner offenbar schmerzhaften Atemzüge sickerte Blut durch die dicke Binde. Als Kommandeur der unteren Batterie war er bei der ersten französischen Breitseite verwundet worden. Trotz seiner Wunde sah er jetzt, als er die Augen öffnete und seinen Kommandanten anstarrte, fast erleichtert aus.

Bolitho kniete sich neben ihn.»Kann ich etwas für Sie tun?»

Dalby schluckte mühsam, und ein paar Tropfen Blut glitzerten auf seinen Lippen.»Wollte Sie sprechen, Sir. «Er faßte die Matratzenkanten fester und hielt den Atem an.»Muß Ihnen sagen…»

«Nicht sprechen, Mr. Dalby. «Bolitho sah sich nach sauberem Verbandszeug um, fand nichts und tupfte dem Leutnant die Lippen mit seinem eigenen Taschentuch ab.

Aber Dalby, dessen Augen plötzlich zu glänzen begannen, beugte sich mühsam vor.»Hat mich ganz verrückt gemacht, Sir. Dieses Geldlich hab's genommen. «Mit schlaffem Mund sank er gegen die Bordwand.»Quarme hatte nichts damit zu tun. Ich brauchte es unbedingt, wissen Sie. Unbedingt!»

Traurig blickte Bolitho ihn an. Es spielte gar keine Rolle mehr, wer das Geld genommen hatte. Quarme war tot, und Dalby würde ihm schon bald folgen.

«Schon gut, Mr. Dalby. Das ist jetzt vorbei.»

Dalby erschauerte heftig; plötzlich troffen ihm Brust und Arme vor Schweiß. Doch als Bolitho ihn berührte, fühlte er sich eiskalt und klamm an, schon wie ein Leichnam.

Undeutlich murmelte er:»Hatte Schulden. Alles verspielt. «Er starrte Bolitho an, doch seine Augen fanden kein rechtes Ziel mehr.»Ich hätt' s Ihnen gesagt, aber…»

Hinter Bolitho schrie ein Mann auf. Der Ton drang Bolitho direkt ins Hirn, aber er beugte sich vor, um zu hören, was Dalby ihm noch sagen wollte. Diesem strömte das Blut jetzt stärker aus dem Mund; verzweifelt blickte Bolitho sich um und rief einen Midshipman an, der sich über einem nackten bandagierten Verwundeten beugte.»He — bringen Sie mir eine frische Binde!»

Der Midshipman wandte sich um und eilte herzu, eine saubere Binde in der ausgestreckten Hand. Entsetzt und überrascht starrte

Bolitho hoch.»Aber um Gottes willen, Miss Seton, was machen Sie hier?»

Das Mädchen antwortete nicht gleich, sondern kniete sich neben Dalby hin und tupfte ihm Blut und Speichel von Gesicht und Brust. Selbst noch im gelben Laternenschein schien Bolithos Irrtum begreiflich: In Uniformrock und weißer Kniehose, das starke kastanienbraune Haar im Nacken zusammengebunden, war Cheney Seton leicht für einen Jüngling zu halten.

Dalby starrte sie an und versuchte zu lächeln.»Kein Kanonenboot, Miss. >Linienschiff< heißt das bei der Marine…«Sein Kopf sank zur Seite, und er war tot.

Bolitho sagte:»Ich hatte doch angeordnet, daß Sie bis auf weiteres in der Fähnrichsmesse bleiben sollten!«Er fühlte sich auf einmal nicht mehr erschöpft und verzweifelt, sondern eher ärgerlich.»Hier ist keineswegs der rechte Ort für Sie!«Ihre Uniform und das am Hals offene Hemd waren blutbefleckt.

Ernsthaft, betroffen und anteilnehmend blickte sie ihm ins Gesicht.»Sie brauchen sich um mich keine Sorgen zu machen. Auf Jamaika habe ich viele Menschen sterben sehen. «Sie wischte sich eine Haarsträhne aus den Augen.»Als das Gefecht anfing, wollte ich helfen. «Sie blickte auf Dalby nieder.»Ich mußte einfach helfen. «Dann sah sie wieder Bolitho an, und ihre Augen hatten einen fast flehenden Ausdruck.»Verstehen Sie das nicht?«fragte sie, streckte die Hand aus und faßte seinen Ärmel.»Bitte seien Sie nicht böse. «Lange sah sich Bolitho auf dem wüsten Orlopdeck um. Die nackten Körper der Verwundeten und Toten lagen durcheinander, wie makabre Skulpturen, und Rowlstone operierte an seinem Tisch mit einer Selbstverständlichkeit, als existiere für ihn nur, was vor ihm im schwankenden Lichtkreis der Laterne lag. Ruhig entgegnete Bolitho:»Ich bin nicht böse. Wahrscheinlich hatte ich nur Angst um Sie. Jetzt haben Sie mich beschämt. «Er wollte aufstehen, war aber zu keiner Bewegung fähig.

Sie antwortete:»Ich horchte auf den Kanonendonner und fühlte das Schiff beben, als würde es auseinandergerissen. Und die ganze Zeit dachte ich an Sie dort oben — so ungeschützt.»

Bolitho beobachtete schweigend ihre ausdrucksvollen Hände, das Heben und Senken ihrer Brust, während sie das Furchtbare aufs neue durchlebte.

«Da wollte ich diesen Männern hier unten helfen«, fuhr sie fort.»Ich dachte, sie würden es mir verübeln, daß ich am Leben und noch heil war. «Sie senkte die Augen, und er sah ihre Lippen zittern.»Geflucht und geschimpft haben sie weiß Gott genug, aber keiner hat sich beklagt, nicht einer!«Wieder sah sie ihm in die Augen, diesmal beinahe mit Stolz.»Und als sie hörten, Sie würden herunterkommen, haben sie tatsächlich versucht, Hurra zu rufen!»

Bolitho stand auf und half Cheney auf die Füße. Sie weinte jetzt, fast tränenlos, und widerstrebte nicht, als er sie durch die tiefhängenden Laternen zum Niedergang führte.

An Deck überraschte es ihn, daß die Sonne immer noch so hell schien, daß die Schiffe weitersegelten, unbekümmert um das, was achteraus lag, und um die Männer, die sie trugen. Er schritt über das Achterdeck mit seinen großen roten Flecken und den zersplitterten Planken, vorbei an den Rudergasten, die genau auf den Kompaß und den Stand jedes einzelnen pockennarbigen Segels achteten. An der Kajütentür sagte er leise:»Versprechen Sie mir, daß Sie sich hinlegen.»

Sie wandte sich um und blickte ihm forschend in die Augen.»Müssen Sie schon gehen?«Doch dann zuckte sie leicht die Schultern, oder vielleicht war sie auch nur erschauert.»Das war eine dumme Frage. Ich weiß ja, was Sie zu tun haben. Alle oben warten auf Sie. «Ihre Geste bei diesen Worten umfaßte das ganze Schiff und jeden Mann an Bord. Schüchtern berührte sie seinen Arm und schloß:»Ich habe vorhin den Ausdruck Ihrer Augen gesehen und verstehe Sie jetzt besser.»

Von oben hörten sie einen Ruf:»Captain, Sir, die Harvester bittet um Erlaubnis, für die Bestattungen beizudrehen!»

«Erteilt!«rief Bolitho zurück. Sein Blick war noch immer auf das Gesicht des Mädchens gerichtet, und sein Verstand wehrte sich dagegen, an die tausend Dinge zu denken, die seiner harrten. Endlich sagte er:»Sie haben uns heute sehr geholfen. Ich werde das nicht vergessen.»

Er wandte sich um, der Sonne zu, und hörte noch ihre leise Erwiderung:»Ich auch nicht, Captain!»

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