Ansichtssache

George und ich saßen auf einer Bank an der Hafenpromenade und ließen die Blicke über den breiten Strand und das funkelnde Meer in der Ferne schweifen. Ich gab mich dem unschuldigen Vergnügen hin, die jungen Damen in ihren Bikinis zu beobachten und fragte mich, ob das Leben für sie auch nur die Hälfte der Schönheit bereithielt, die sie selbst spendeten.

Da ich George gut kannte, ging ich davon aus, daß seine eigenen Gedanken längst nicht von derlei edlen, rein ästhetischen Motiven beherrscht sein würden wie die meinen. Ich war überzeugt, daß sie um nützlichere Dinge kreisen würden, denen man diese jungen Damen zuführen konnte.

Daher war meine Überraschung nicht eben gering, als ich ihn sagen hörte: »Alter Freund, hier sitzen wir und genießen die Schönheit der Natur in Form des göttlichen weiblichen Körpers - um einen treffenden Ausdruck zu prägen -, und doch kann wahre Schönheit gewiß nicht so offenkundig sein. Schließlich ist wahre Schönheit so kostbar, daß sie vor den Augen trivialer Beobachter verborgen sein muß. Hast du daran jemals gedacht?«

»Nein«, sagte ich, »daran habe ich nie gedacht, und jetzt, wo du es erwähnst, denke ich eigentlich immer noch nicht daran. Darüber hinaus glaube ich nicht, daß du jemals daran gedacht hast.«

George seufzte. »Mit dir zu reden, alter Freund, ist so, als würde man in Molasse schwimmen - sehr wenig Lohn für große Anstrengung. Ich habe gesehen, wie du diese hochgewachsene Göttin dort beobachtet hast, deren hauchdünne Textilstreifen kaum jene wenigen Quadratzentimeter verbergen, die sie vorgeblich bedecken sollen. Dir ist doch gewiß bewußt, daß sie damit nur rein Oberflächliches zur Schau stellt.«

»Ich habe nie viel vom Leben erwartet«, sagte ich auf die mir eigene bescheidene Weise. »Ich gebe mich durchaus mit derlei Oberflächlichkeiten zufrieden.«

»Stell dir vor, um wieviel schöner eine auch nur mittelmäßig mit Reizen ausgestattete junge Frau selbst für das ungeübte Auge eines Menschen wie dir sein müßte, wenn sie über Eigenschaften wie Güte, Selbstlosigkeit, Fröhlichkeit, Fleiß und Mitgefühl für andere verfügen würde - kurzum, alle Tugenden, die einer Frau Anmut und Würde verleihen.«

»Ich glaube allmählich, George«, sagte ich, »daß du betrunken bist. Was, um alles in der Welt, kannst du schon von derlei Tugenden wissen?«

»Ich bin bestens mit ihnen vertraut«, antwortete George gekränkt, »da ich sie ununterbrochen und in großem Maße praktiziere.«

»Zweifellos«, sagte ich, »nur in der Abgeschiedenheit deiner eigenen vier Wände und im Dunkeln.«

Deine unhöfliche Bemerkung will ich überhört haben [sagte George], muß aber dennoch erklären, daß ich diese Tugenden, selbst wenn ich sie nicht aus persönlicher Erfahrung kennen würde, durch meine Bekanntschaft mit einer jungen Frau namens Melisandc Ott, geborene Meli-sande Renn, kennengelernt hätte, die von ihrem liebevollen Ehemann Octavius nur Maggie genannt wird. Ich kannte sie ebenfalls als Maggie, denn sie war die Tochter eines guten Freundes von mir, der mittlerweile leider verschieden ist, und sie betrachtete mich stets als ihren Onkel George.

Ich muß gestehen, es gibt da einen Teil in mir, der, genau wie du, die diskrete Schönheit dessen, was du »Oberflächlichkeiten« nennst, zu schätzen weiß. - Ja, alter Knabe, ich weiß, daß ich diesen Ausdruck zuerst benutzt habe, aber wir kommen nicht weiter, wenn du mich ständig wegen derlei Nebensächlichkeiten unterbrichst.

Aufgrund dieser meiner kleinen Schwäche muß ich ebenfalls zugeben, daß meine Freude, wenn sie bei meinen Anblick in einen Rausch des Entzückens geriet und quietschte und die Arme um mich schlang, fraglos nicht ganz so groß war, als sie hätte sein können, wäre die junge Dame etwas wohlproportionierter gewesen. Sie war recht dünn und auf eine fast schmerzhafte Weise knochig. Ihre Nase war lang, das Kinn fliehend, ihr Haar recht strähnig und lang und mausfarben; ihre Augen hatten eine undefinierbar graugrüne Farbe. Ihre Wangenknochen waren breit, so daß sie einem Backenhörnchen glich, das sich gerade tüchtig mit Nüssen und Kernen vollgestopft hat. Kurz gesagt, sie gehörte nicht zu dem Typ Frau, bei deren Erscheinen alle anwesenden jungen Männer schwerer atmen und versuchen, in ihre Nähe zu gelangen.

Aber sie hatte ein gutes Herz. Mit einem wehmütigen Lächeln ertrug sie es, wenn junge Männer, die sie zum ersten Mal sahen, plötzlich gequält zusammenzuckten. Und sie stand ihren sämtlichen Freundinnen nacheinander mit demselben wehmütigen Lächeln als Brautjungfer zur Seite. Unzähligen Kindern war sie Taufpatin, anderen Babysitterin, und sie gab ihnen so geübt und versiert das Fläsch-chen, wie man es in einem langen Monat voller Sonntage nicht besser sehen könnte.

Sie brachte den bedürftigen Armen warme Suppe, ebenso den unbedürftigen, auch wenn manche behaupteten, daß gerade die unbedürftigen ihre Suppe eher verdient gehabt hätten. Sie versah diverse Tätigkeiten in der hiesigen Kirche - einmal für sich und jeweils einmal für ihre sämtlichen Freundinnen, die dem billigen Nervenkitzel der Kinos den Vorzug vor aufopfernder, selbstloser Arbeit gaben. Sie unterrichtete Kinder in der Sonntagsschule und hielt sie bei Laune, indem sie ihnen (wie sie glaubten) komische Gesichter schnitt. Hin und wieder ließ sie sie auch alle die neun Gebote aufsagen. (Das über Ehebruch ließ sie aus, denn die Erfahrung hatte sie gelehrt, daß das unweigerlich zu peinlichen Fragen führte.) Außerdem arbeitete sie ehrenamtlich in der öffentlichen Bibliothek.

Natürlich hatte sie irgendwann in dem Alter, dem schon eine Vier vorangestellt ist, alle Hoffnung aufgegeben, je zu heiraten. Schon im Alter von zehn Jahren schien ihr selbst die Chance auf eine beiläufige Affäre mit dem anderen Geschlecht ein unerfüllbarer Traum zu sein.

Es kam häufig vor, daß sie zu mir sagte: »Ich bin nicht unglücklich, Onkel George. Die Welt der Männer bleibt mir verschlossen, ja, ausgenommen du und mein unglückseliger verstorbener Papa, aber wenn man Gutes tut, macht einen das doch viel glücklicher.«

Danach besuchte sie die Insassen der örtlichen Haftanstalt, um dort die Rückkehr auf den rechten Weg und gute Taten zu predigen. Nur ein oder zwei der übleren Sorte flehten an den Tagen, wenn sie ihren Besuch angekündigt hatte, um Einzelhaft.

Doch dann traf sie Octavius Ott, einen neuen Nachbarn und jungen Elektriker mit einem verantwortungsvollen Posten beim Elektrizitätswerk. Er war ein redlicher junger Mann -ernst, arbeitsam, standhaft, mutig, ehrlich und anständig -, aber er war nicht das, was wir beide hübsch nennen würden. Ich möchte es wirklich nicht übertreiben, aber offen gestanden hätte vermutlich niemand in der gesamten Menschheitsgeschichte ihn als hübsch bezeichnet.

Er hatte schütteres Haar - nein, um die Wahrheit zu sagen, es war schon mehr als schütter, man konnte eigentlich fast nur noch in der Vergangenheitsform davon sprechen -, eine gewölbte Stirn, Stupsnase, dünne Lippen, abstehende Ohren und einen vorspringenden Adamsapfel, der nie richtig zur Ruhe kam. Die wenigen tatsächlich noch verbliebenen Haare hatten einen rostigen Farbton, und Gesicht und Arme waren gänzlich mit unregelmäßigen Sommersprossen bedeckt.

Es begab sich, daß Maggie und Octavius einander zum ersten Mal auf der Straße begegneten. Beide waren gleichermaßen unvorbereitet, und beide reagierten wie zwei nervöse Pferde, die sich unvermittelt zwölf Clowns mit schockfarbenen Perücken gegenübersahen, die alle gleichzeitig in ihre Trillerpfeifen pusteten. Ich rechnete fast damit, daß sowohl Maggie wie auch Octavius scheuen und wiehern würden.

Aber der Augenblick ging vorüber und beide rangen den Panikanfall, der sich ankündigte, erfolgreich nieder. Sie legte lediglich die Hand auf die Brust, als wollte sie verhindern, daß ihr Herz auf der Suche nach einem sichereren Versteck aus dem Brustkorb sprang, während er sich über die Stirn strich, als wollte er eine gräßliche Erinnerung tilgen.

Ich hatte Octavius schon einige Tage vorher kennengelernt und konnte sie daher einander vorstellen. Beide streckten zaghaft die Hand aus, als wären sie sich nicht sicher, ob ihre Visionen tatsächlich Substanz besaßen.

Am späten Nachmittag brach Maggie dann endlich ihr langes Schweigen. »Dieser Mr. Ott scheint mir ein recht sonderbarer junger Mann zu sein«, sagte sie.

Ich antwortete mit jener originellen Metapher, die sich bei all meinen Freunden großer Beliebtheit erfreut. »Du darfst ein Buch nicht nach seinem Einband beurteilen.«

»Aber der Einband existiert nun einmal, Onkel George«, sagte sie ernst, »und wir dürfen das nicht außer acht lassen. Ich wage zu sagen, das die normale, frivole und gefühllose Frau nichts mit Mr. Ott zu tun haben möchte. Von daher wäre es ein Akt der Barmherzigkeit, ihm zu zeigen, daß nicht alle jungen Frauen vollkommen überheblich sind, sondern daß es wenigstens eine gibt, die sich nicht von einem jungen Mann abwendet, nur weil er so eine bedauerliche Ähnlichkeit hat mit - mit -«

Sie machte eine Pause, da ihr kein passendes Mitglied des Tierreichs einzufallen schien, so daß sie kleinlaut, aber vergnügt fortfahren mußte: »- womit er eben Ähnlichkeit hat. Ich muß gütig zu ihm sein.«

Ich weiß nicht, ob Octavius einen Vertrauten hatte, bei dem er seinem Herzen in derselben Weise Luft machen konnte. Vermutlich nicht, denn wenn überhaupt, dann sind nur die wenigsten von uns mit einem Onkel George gesegnet. Dennoch wage ich im Lichte späterer Ereignisse die Prognose, daß ihm genau dieselben Gedanken durch den Kopf gingen - natürlich in umgekehrter Weise.

Wie auch immer, beide bemühten sich, freundlich zueinander zu sein, anfangs noch zaghaft und zögerlich, aber dann herzlich und zuletzt leidenschaftlich. Aus zufälligen Begegnungen in der Bibliothek wurden Besuche im Zoo, dann ein Abend im Kino, dann Tanzveranstaltungen, bis man die Zusammentreffen nur noch als -wenn du den Ausdruck verzeihen magst - Stelldichein bezeichnen konnte.

Die Leute gingen davon aus, daß der andere nicht weit sein konnte, wenn sie einen der beiden sahen, denn sie waren ein unzertrennliches Paar geworden. Einige in der Nachbarschaft beschwerten sich bitterlich, daß Maggie und Octavius zusammen mehr waren, als das menschliche Auge ertragen konnte, und mehr als ein elitärer Hochnäsiger investierte in Sonnenbrillen.

Ich will nicht sagen, daß es mir gänzlich an Verständnis für derlei Standpunkte gebrach, aber andere - toleranter und vermutlich vernünftiger - wiesen darauf hin, daß die Züge des einen durch einen sonderbaren Zufall genau komplementär zu den entsprechenden Zügen des anderen seien. Wenn man die beiden zusammen sah, schienen sich die Wirkungen gegenseitig aufzuheben, so daß man sie gemeinschaftlich leichter ertragen konnte als jeden für sich. Wenigstens behaupteten das einige.

Schließlich kam der Tag, an dem Maggie zu mir hereinplatzte. »Onkel George, Octavius ist das Licht meines Lebens. Er ist stark, unbeirrbar, liebenswert und entschlossen. Er ist ein wunderbarer Mann.«

»Innerlich, meine Liebe«, sagte ich, »ist er das alles ganz gewiß. Aber seine äußere Erscheinung -«

»Bewundernswert«, sagte sie stark, unbeirrbar, liebenswert und entschlossen. »Onkel George, er empfindet so für mich, wie ich für ihn, und wir werden heiraten.«

»Du und Otto?« entgegnete ich kläglich. Unwillkürlich sah ich die möglichen Nachkommen dieser Verbindung vor mir, und da wurde mir ganz plümerant.

»Ja«, antwortete sie. »Er sagte mir, daß ich die Sonne seines Entzückens und der Mond seiner Freude bin. Und, fügte er hinzu, all seine Glückssterne obendrein. Er ist ein sehr poetischer Mann.«

»Offenbar«, sagte ich nicht ohne Zweifel. »Wann werdet ihr denn heiraten?«

»So schnell wie möglich«, sagte sie.

Mir blieb nichts anderes übrig, als die Zähne zusammenzubeißen. Das Aufgebot wurde bestellt, die Vorbereitungen getroffen, die Hochzeit fand statt, und ich selbst führte die Braut. Alle aus der Nachbarschaft nahmen aus reiner Fassungslosigkeit teil. Selbst der Priester konnte einen Augenblick seine Fassungslosigkeit nicht verbergen.

Und keiner schien einen fröhlichen Blick für das junge Paar übrig zu haben. Die ganze Feierlichkeit über betrachteten die Anwesenden ihre jeweiligen Knie. Außer dem Priester. Der richtete den Blick starr auf das Rosettenfenster über der Tür.

Kurze Zeit danach zog ich aus dem Viertel fort in einen anderen Stadtteil und verlor Maggie aus den Augen. Elf Jahre später allerdings hatte ich Gelegenheit, dorthin zurückzukehren, um aufgrund meines angeeigneten Wissens, was die Eigenschaften von Rennpferden betraf, zusammen mit einem Freund gewisse Investitionen zu tätigen. Ich nutzte die Gelegenheit, um Maggie zu besuchen, die, neben ihren anderen verborgenen Qualitäten, eine ausgezeichnete Köchin war.

Ich traf zur Mittagszeit dort ein. Octavius war zur Arbeit, doch das spielte keine Rolle. Ich bin kein Egoist und nahm es auf mich, zusätzlich zu meiner auch seine Portion aufzuessen.

Aber mir entging nicht, daß Maggie ein klein wenig bekümmert wirkte. »Bist du unglücklich, Maggie?« fragte ich beim Kaffee. »Steht es nicht gut um deine Ehe?«

»Oh nein, Onkel George«, sagte sie mit Nachdruck, »unsere Ehe ist der Himmel auf Erden. Wir haben zwar keine Kinder, empfinden aber soviel füreinander, daß wir das kaum als Verlust sehen. Wir leben in einem Meer nicht enden wollender Wonne und können vom Universum kaum mehr verlangen.«

»Verstehe«, antwortete ich und konnte mich nur mühsam zurückhalten. »Und warum dann diese Spur von Kummer, die ich an dir bemerke?«

Sie zögerte. »Oh, Onkel George«, platzte sie dann heraus, »du bist so ein feinfühliger Mensch. Es gibt eines, das ein klein wenig Sand in das Getriebe unseres vollkommenen Glücks streut.«

»Und das wäre?«

»Mein Aussehen.«

»Dein Aussehen? Was ist denn mit deinem -« ich schluckte und konnte die Frage nicht zu Ende sprechen.

»Ich bin nicht schön«, sagte Maggie, als würde sie mir ein wohlgehütetes Geheimnis anvertrauen.

»Aha!« sagte ich.

»Ich wünschte mir aber, ich wäre es - für Octavius. Ich möchte nur für ihn liebreizend sein.«

»Beschwert er sich denn über dein Äußeres?« fragte ich.

»Octavius? Aber keineswegs! Er erträgt sein Leid in würdevollem Schweigen.«

»Woher weißt du dann, daß er leidet?«

»Das sagt mir mein weibliches Herz.«

»Aber, Maggie, Octavius ist ja nun selbst - also - auch nicht gerade eine Schönheit.«

»Wie kannst du das sagen?« fragte Maggie gekränkt. »Er ist ein Gott.«

»Aber vielleicht hält er dich auch für eine Göttin.«

»Oh nein«, antwortete Maggie, »wie könnte er das denken?«

»Interessiert er sich denn für andere Frauen?«

»Onkel George!« sagte Maggie schockiert. »Was für ein schändlicher Gedanke! Ich kann es nicht fassen. Octavius hat nur Augen für mich.«

»Was spielt es dann für eine Rolle, ob du schön bist oder nicht?«

»Es ist wegen ihm«, sagte sie. »Ach, Onkel George, ich möchte für ihn schön sein.«

Dann sprang sie höchst unerwartet und unbeholfen auf meinen Schoß und benetzte mein Revers mit ihren Tränen. Es war regelrecht durchnäßt, als sie fertig war.

Da hatte ich natürlich schon Azazel kennengelernt, den zwei Zentimeter großen Dämon, den ich vielleicht das eine oder andere Mal schon erwähnt ... Also wirklich, Alter Freund, du hast keinen Grund, so hochnäsig »bis zum Erbrechen« zu murmeln. Jeder, der seinen Lebensunterhalt mit der Schriftstellerei verdient, sollte sieh schämen, das Wort Erbrechen ganz gleich in welchem Zusammenhang zu benutzen.

Wie auch immer, ich beschwörte Azazel.

Azazel schlief, als er eintrat. Ein Beutel aus einem grünlichen Material bedeckte seinen winzigen Kopf, und nur die gedämpften Laute eines rapiden Sopranschnarchens aus dem Inneren verriet, daß er am Leben war. Und die Tatsache, daß hin und wieder sein winzigkleiner Schwanz zuckte und erstarrte.

Ich wartete mehrere Minuten, ob er von selbst aufwachen würde und nahm ihm schließlich, da er keinerlei Anstalten traf, die winzige Haube mit einer Pinzette ab. Er schlug langsam die Augen auf, sah mich an und gab einen resignierten Seufzer von sich.

»Einen Moment dachte ich, ich hätte nur einen Alptraum«, sagte er. »Mit dir habe ich nicht gerechnet!«

Ich schenkte seinem kindischen Quengeln keine weitere Beachtung. »Ich muß dich um einen Gefallen bitten«, sagte ich.

»Na klar doch«, sagte Azazel griesgrämig. »Du gehst nicht davon aus, daß ich erwarten würde, du könntest etwas für mich tun.«

»Das würde ich jederzeit sofort tun«, antwortete ich einschmeichelnd, »wenn ich mit meinen bescheidenen Fähigkeiten irgend etwas ausrichten könnte, das für jemanden deiner Persönlichkeit und Statur auch nur ansatzweise nützlich wäre.«

»Wohl war«, antwortete Azazel besänftigt.

Ich möchte hinzufügen, daß es wahrhaftig abstoßend ist, wie anfällig manche Leute für Schmeicheleien sind. Mir ist zum Beispiel nicht entgangen, daß du geradezu außer dir bist vor eitler Freude, wenn dich jemand um ein Autogramm bittet. Aber zurück zu meiner Geschichte ...

»Worum geht es?« fragte Azazel.

»Ich möchte, daß du eine junge Frau schön machst.«

Azazel erschauerte. »Ich bin nicht sicher, ob ich das fertigbringe. Die Schönheitsmaßstäbe deiner aufgedunsenen und jämmerlichen Gattung sind abscheulich.«

»Aber es sind die unseren. Ich sage dir, was du machen mußt.«

»Du sagst mir, was ich machen muß!« kreischte er und erschauerte vor Entrüstung. »Du willst mir sagen, wie man Haarfollikel stimuliert und modifiziert, wie man Muskeln kräftigt, wie man Knochen wachsen läßt oder auflöst? Ha! Du willst mir das alles sagen?«

»Keineswegs«, antwortete ich demütig. »Die Einzelheiten der Mechanismen solcher Vorgehensweisen kann ausschließlich ein Wesen mit deinen überragenden Fähigkeiten durchschauen. Laß mich dir aber wenigstens die oberflächliche Wirkung beschreiben, die erzielt werden soll.«

Azazel zeigte sich abermals besänftigt, so daß wir uns in Ruhe den Einzelheiten der Angelegenheit widmen konnten.

»Vergiß nicht«, sagte ich, »die Wirkung sollte über einen Zeitraum von mindestens sechzig Tagen hinweg eintreten. Eine allzu plötzliche Veränderung könnte zu Gerede führen.«

»Meinst du damit«, fragte Azazel, »ich soll sechzig Tage eurer Zeitrechnung damit verbringen, anzupassen und zu verbessern? Ist meine Zeit deiner Meinung nach gar nichts wert?«

»Ah, aber du könntest einen Artikel für eine der biologischen Fachzeitschriften deiner Welt darüber schreiben. Nicht viele in deiner Welt werden die Möglichkeit oder die Geduld haben, so etwas zu vollbringen. In der Folge dürfte dir große Bewunderung zuteil werden.«

Azazel nickte nachdenklich. »Natürlich verabscheue ich billigen Ruhm«, sagte er, »aber ich muß wohl minderen Exemplaren meiner Gattung ein leuchtendes Vorbild sein.«

Er seufzte mit einem schrillen, pfeifenden Laut. »Es ist lästig und peinlich, aber es ist geradezu meine Pflicht.«

Auch ich hatte eine Pflicht. Ich dachte mir, daß ich während des Zeitraums der Veränderung in der Gegend bleiben müßte. Mein Freund mit den Pferdewetten nahm mich bei sich auf und durfte als Gegenleistung Nutznießer meiner Expertise und Beratung hinsichtlich bestimmter Testläufe sein, wodurch er nur sehr wenig Geld verlor.

Jeden Tag suchte ich Maggie unter irgendeinem Vorwand auf, und allmählich konnte man erste Ergebnisse wahrnehmen. Ihr Haar wuchs voller und fiel voll Anmut und Spannkraft. Ein rotgoldenes Funkeln verlieh ihm zusätzliche Fülle.

Nach und nach wurde ihr Kiefer markanter, die Wangenknochen zierlicher und höher. Ihre Augen sahen nun eindeutig blau aus und wurden jeden Tag leuchtender, bis sie fast violett wirkten. Die Lider entwickelten den Hauch einer orientalischen Schräge. Ihre Ohren wurden spitzer und bekamen längere Läppchen. Ihre Figur wurde nach und nach üppiger und rundlicher, ihre Taille schmaler.

Die Leute waren verwirrt. Ich hörte sie selbst. »Maggie«, sagten sie, »was hast du nur mit dir gemacht? Dein Haar ist einfach wunderbar. Du siehst zehn Jahre jünger aus.«

»Ich habe gar nichts gemacht«, pflegte Maggie zu antworten. Sie war so verwirrt wie alle anderen. Außer mir natürlich.

»Fallen dir irgendwelche Veränderungen an mir auf, Onkel George?« fragte sie mich.

»Du siehst bezaubernd aus, aber für mich hast du stets bezaubernd ausgesehen, Maggie«, sagte ich.

»Vielleicht«, sagte sie, »aber ich selbst fand bis vor kurzem nicht, daß ich bezaubernd aussehe. Ich begreife es nicht. Gestern drehte sich ein bildhübscher junger Mann nach mir um. Normalerweise sind sie immer hastig an mir vorbeigegangen und haben die Augen abgewendet. Der hat mir sage und schreibe zugeblinzelt. Ich war so überrascht, daß ich sogar zurückgelächelt habe.«

Eine Woche später begegnete ich ihrem Mann Octavius in einem Restaurant, wo ich die Speisekarte im Schaufenster studierte. Da er eintreten und etwas essen wollte, dauerte es für ihn nicht lang, mich einzuladen, und ich sagte nicht weniger schnell zu.

»Du siehst unglücklich aus, Octavius«, bemerkte ich mitfühlend.

»Ich bin unglücklich«, antwortete er, »ich weiß nicht, was jüngst in Maggie gefahren ist. Sie wirkt so abgelenkt, daß sie mich die halbe Zeit gar nicht zur Kenntnis nimmt. Andauernd möchte sie Leute um sich haben. Und gestern ...« Ein Ausdruck derartig jämmerlichen Elends huschte über sein Gesicht, daß sich gewiß jeder geschämt hätte, darüber zu lachen.

»Gestern?« fragte ich. »Was war gestern?«

»Gestern bat sie mich, sie Melisande zu nennen. Ich kann Maggie nicht mit einem lächerlichen Namen wie Melisande ansprechen.«

»Warum nicht? Das ist ihr Taufname.«

»Aber sie ist meine Maggie. Melisande ist eine Fremde.«

»Na ja, sie hat sich ein wenig verändert«, sagte ich. »Ist dir nicht aufgefallen, daß sie in letzter Zeit viel hübscher aussieht?«

»Doch«, entgegnete Octavius brüsk.

»Ist das denn nicht gut?«

»Nein«, sagte er noch schroffer. »Ich will meine einfache, durchschnittliche Maggie wiederhaben. Diese neue Melisande bürstet sich andauernd das Haar, trägt unterschiedlichen Lidschatten auf, probiert neue Kleider und größere Büstenhalter an und hat kaum noch einen Blick für mich übrig.«

Das Mittagessen endete in niedergeschlagenem Schweigen seinerseits.

Ich dachte mir, daß ich Maggie aufsuchen und mich ausgiebig mit ihr unterhalten sollte.

»Maggie«, sagte ich.

»Bitte nenn mich Melisande«, bat sie.

»Melisande«, sagte ich, »mir will scheinen, als ob Octavius ein wenig unglücklich wäre.«

»Das bin ich auch«, entgegnete sie schnippisch. »Octavius wird mir immer langweiliger. Er will nicht ausgehen. Er will keinen Spaß haben. Er hat etwas gegen meine Kleidung und mein Make-up. Für wen, um alles in der Welt, hält der sich?«

»Du hast ihn doch einst für den König unter den Männern gehalten.«

»Schön blöd. Er ist nur ein häßlicher kleiner Kerl, und mir ist es peinlich, mit ihm gesehen zu werden.«

»Du wolltest doch nur für ihn schön sein.«

»Was meinst du damit, ich wollte schön sein? Ich bin schön. Ich war immer schön. Ich mußte nur erst die passende Frisur finden und mich richtig schminken. Ich kann nicht zulassen, daß mir Octavius im Weg steht.«

Und das ließ sie auch nicht zu. Ein halbes Jahr später ließen sie und Octavius sich scheiden, ein weiteres halbes fahr später heiratete Maggie - oder Melisande - einen Mann mit blendendem Aussehen und einem üblen Charakter. Ich ging einmal mit ihm essen, und da wartete er so lange, bis er die Rechnung zahlte, daß ich schon befürchtete, ich müßte sie selbst begleichen.

Octavius sah ich etwa ein Jahr nach der Scheidung wieder. Er hatte natürlich nicht wieder geheiratet, denn er sah so komisch aus wie eh und je - in seiner Gegenwart wäre immer noch die Milch sauer geworden. Wir saßen in seinem Apartment, das voll von Fotos von Maggie war, der alten Maggie, eines abscheulicher anzusehen als das andere.

»Sie fehlt dir offenbar immer noch, Octavius«, sagte ich.

»Schrecklich!« antwortete er. »Ich hoffe nur, sie ist glücklich.«

»Soweit ich weiß ist sie das nicht«, sagte ich. »Vielleicht kommt sie ja zu dir zurück.«

Er schüttelte traurig den Kopf. »Maggie kann niemals zu mir zurückkommen. Eine Frau namens Melisande könnte diesen Wunsch verspüren, aber ich könnte sie nicht aufnehmen. Sie ist nicht Maggie - meine bezaubernde Maggie.«

»Melisande«, sagte ich, »ist viel schöner als Maggie.«

Er sah mich lange Zeit an. »Wer ist dieser Ansicht?« fragte er. »Ich ganz sicher nicht.«

Ich habe keinen der beiden je wiedergesehen.

Ich blieb einen Moment schweigend sitzen, dann sagte ich: »Du erstaunst mich, George. Ich kann es einfach nicht fassen.«

Das war die falsche Wortwahl. »Dabei fallt mir ein, alter Freund«, sagte George, »könnte ich wohl fünf Dollar bei dir abfassen, etwa eine Woche? Höchstens zehn Tage.«

Ich griff nach einem Fünfdollarschein, zögerte und sagte: »Hier! Das war die Geschichte wert. Sie sind ein Geschenk. Sie gehören dir.« (Warum nicht? De facto ist alles, was ich George leihe, ein Geschenk.)

George nahm den Geldschein kommentarlos entgegen und steckte ihn in seine abgenutzte Brieftasche. (Sie muß schon abgenutzt gewesen sein, als er sie gekauft hat, denn er benutzt sie nie.) »Um noch einmal zum Thema zu kommen. Könnte ich etwa eine Woche fünf Dollar bei dir abfassen? Höchstens zehn Tage.«

»Aber du hast fünf Dollar«, sagte er.

»Das ist mein Geld«, antwortete George, »und geht dich nichts an. Mache ich etwa Bemerkungen über deine finanzielle Situation, wenn du dir Geld von mir leihst?«

»Aber ich habe nie -« begann ich, dann seufzte ich und gab ihm noch einmal fünf Dollar.

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