Retter der Menschheit

Mit einem schwermütigen Seufzen sagte mein Freund George eines Abends zu mir: »Ich habe einen Klutz zum Freund.«

Ich nickte weise. »Gleich und gleich gesellt sich gern -von gleichem Schrot und Korn und so weiter ...» Verwundert starrte George mich an. »Was hat das denn mit Schrot zu tun? Du verfügst über die bemerkenswerte Fähigkeit, vom Thema abzulenken. Ich nehme an, das ist ein Resultat deines höchst unzureichenden Intellekts - was ich übrigens bedauernd meine, nicht tadelnd.«

»Ja, ja«, sagte ich. »Wie auch immer. Mit deinem Freund, dem Klutz, meinst du jedenfalls Azazel?«

Azazel war ein zwei Zentimeter großer Dämon oder ein außerirdisches Lebewesen (wie Sie wollen), über den George andauernd redet, was nur aufhört, wenn er auf eine direkte Frage antworten muß. Mit eisigem Blick sagte er: »Azazel ist hier nie Gesprächsthema, und ich verstehe nicht, wie du von ihm gehört haben kannst.«

»Es trug sich zu, daß ich eines Tages nur eine Meile von dir entfernt war«, erklärte ich.

George schenkte mir keine Beachtung und begann zu erzählen:

Der nicht eben wohlklingende Ausdruck »Klutz« begegnete mir im Zuge eines Gesprächs mit meinem Freund Menander Block. Du hast ihn bedauerlicherweise nie kennengelernt, da er Akademiker ist und sehr wählerisch in der Wahl seiner Bekanntschaften, wofür man ihm, gerade im Hinblick auf dich, kaum böse sein kann. Das Wort Klutz, so erklärte er mir, beschreibe eine ungeschickte, plumpe Person. »Und damit bin ich gemeint«, sagte er. »Es stammt nämlich von einem jiddischen Wort ab, das wörtlich übersetzt ein Stück Holz meint, einen Klotz oder Holzblock. Und wie du weißt, ist das mein Name - Block.«

Er stieß einen enormen Seufzer aus. »Und dennoch bin ich kein Tölpel im eigentlichen Sinne des Wortes. Es ist nichts Hölzernes, Klotziges oder Blockhaftes an mir. Ich tanze leichtfüßig wie ein Zephir und anmutig wie eine Libelle; meine Bewegungen sind grazil, und zahlreiche junge Damen würden - so ich ihnen dies gestattete - meine Fähigkeiten als Jünger der Liebeskunst bezeugen. Es ist eher so, daß ich ein Tölpel - oder Klutz - in weitläufigerem Zusammenhang bin. Ohne daß es mich selbst betrifft, wird alles um mich herum in Mitleidenschaft gezogen. Das Universum selbst scheint über seine eigenen kosmischen Füße zu stolpern. Ich denke, wenn man die Sprachen kombinieren und das Griechische mit dem Jiddischen verbinden würde, wäre ich ein >Teleklutz<.«

»Wie lange geht das schon so, Menander?« wollte ich wissen.

»Mein ganzes Leben, wenngleich ich natürlich erst als Erwachsener feststellte, welche besondere Fähigkeit mir eigen ist. Solange ich noch jung war, nahm ich einfach an, das, was mir zustieß, wäre der gewöhnliche Gang der Dinge.«

»Hast du darüber schon mit irgend jemandem gesprochen?«

»Natürlich nicht, George, alter Freund. Man hätte mich für verrückt gehalten. Kannst du dir beispielsweise einen Psychoanalytiker vorstellen, der sich mit dem Phänomen des >Teleklutzismus< auseinandersetzt? Er würde mich nach der Hälfte unserer ersten Sitzung in eine Anstalt einweisen, eine Abhandlung über diese neue Psychose publizieren und damit wahrscheinlich Millionen verdienen. Ich gehe doch nicht in die Klapsmühle, nur damit irgend so ein Psychoschmarotzer reich wird. Ich kann mit niemandem darüber reden.«

»Aber wieso erzählst du es dann mir, Menander?«

»Weil ich andererseits den Eindruck habe, daß ich es jemandem erzählen muß, um bei Verstand zu bleiben. Und du bist nun einmal der unbedeutendste Jemand, den ich kenne.«

Ich konnte seiner Argumentation hier zwar nicht ganz folgen, aber ich ahnte, daß ich wieder einmal Ziel des ungewollten Vertrauens eines meiner Freunde werden würde. Das war, wie ich nur zu gut wußte, der Preis dafür, daß ich für mein Verständnis bekannt war, für meine Zuneigung und vor allem für meine verschwiegene Zurückhaltung. Kein Geheimnis, das man mir anvertraut, wird je an die Ohren eines anderen dringen - ich mache in deinem Fall eine Ausnahme, da allgemein bekannt ist, daß du eine Aufmerksamkeitsspanne von fünf Sekunden dein eigen nennst und ein noch weit kürzeres Erinnerungsvermögen.

Ich winkte nach einem weiteren Drink und bedeutete mit einem bestimmten geheimnisvollen Zeichen, das nur ich kenne, daß er auf Menanders Rechnung gehen sollte. Wer arbeitet, soll schließlich auch dafür bezahlt werden. Ich sagte: »Aber wie äußert sich denn nun dieser >Teleklutzismus<, Menander?«

»In seiner einfachsten Form und damit jener Weise, die mir zum ersten Mal bewußt auffiel, schlägt es sich in dem absonderlichen Wetter nieder, das mich auf Reisen begleitet. Ich reise nicht viel, und wenn ich es tue, fahre ich mit dem Auto, und wenn ich das tue, dann regnet es. Es ist ganz gleich, was der Wetterdienst vorhersagt; es ist egal, wie hell die Sonne scheint, wenn ich aufbreche. Die Wolken ziehen sich zusammen, werden dunkler, und es beginnt erst zu nieseln, und dann zu schütten. Wenn der Teleklutzismus besonders gut in Form ist, fallen die Temperaturen, und es gibt einen Hagelsturm.

Natürlich achte ich darauf, nicht leichtsinnig zu sein. So verzichte ich beispielsweise darauf, nach Neuengland zu fahren, bevor zumindest der März vorbei ist. Vergangenes Frühjahr fuhr ich am sechsten April nach Boston - und prompt kam es zum ersten Schneesturm in der Geschichte des Bostoner Wetterdienstes. Einmal reiste ich am 28. März nach Williamsburg, Virginia, in der Annahme, ich könnte mit ein paar gnädigen Tagen rechnen, da ich Südstaatenterritorium betrat. Ha! In Williamsburg fielen noch am gleichen Tag über zwanzig Zentimeter Schnee, und die Einheimischen verrieben ihn zwischen ihren Fingern und fragten sich, was das für ein weißes Zeug sei.

Ich habe mir oft ausgemalt, daß das Universum unter der persönlichen Leitung von Gott steht und wie Gabriel in Seine Göttliche Gegenwart gerauscht kommt und ausruft: >Allmächtiger, zwei Galaxien werden in einer unermeßlichen gewaltigen Katastrophe kollidierend und wie Gott darauf antwortet: >Stör mich jetzt nicht, Gabriel - ich bin damit beschäftigt, es über Menander regnen zu lassen.<«

»Du könntest versuchen, das Beste aus der Situation zu machen, Menander«, schlug ich vor. »Warum verdingst du dich nicht für enorme Summen als Dürrebekämpfer?«

»Daran habe ich bereits gedacht, aber der bloße Gedanke vertreibt jeglichen Regen, der auf meinen Reisen aufkommen könnte. Außerdem - käme der Regen dort, wo er gebraucht würde, gäbe es vermutlich eine Flutkatastrophe.

Es geht ja auch nicht bloß um Regen oder Staus oder das Verschwinden von Orientierungspunkten; es gibt eine Unzahl anderer Dinge. Teure Gegenstände gehen in meiner Gegenwart spontan in die Brüche oder werden von jemand anderem ohne mein Zutun fallengelassen. In Batavia, Illinois, ist ein moderner Teilchenbeschleuniger in Betrieb. Eines Tages schlug ein extrem wichtiges Experiment fehl, weil das benötigte Vakuum ausfiel, ein völlig unvorhergesehener Defekt. Ich allein wußte (und das erst einen Tag später, als ich in der Zeitung von dem Vorfall las), daß ich exakt im Augenblick des Versagens den Stadtrand Batavias in einem Reisebus passiert hatte. Natürlich im Regen.

Just in dieser Sekunde, mein lieber Freund, wird ein Teil der erlesenen, ganz jungen Weine, die in Kunststoff im Keller dieses erlesenen Etablissements reifen, sauer. Jemand, der in diesem Augenblick an unserem Tisch vorübereilt, wird, wenn er zuhause ankommt, feststellen, daß die Rohre in seinem Keller exakt in jenem Moment geplatzt sind, als er an mir vorbeikam - wenngleich er nicht wissen wird, wann genau er das tat und daß diese Begegnung verantwortlich für den Rohrbruch ist. Und so wird es mit einer ganzen Reihe von Unfällen weitergehen -beziehungsweise mit etwas, das man für Unfälle halten wird.«

Ich empfand Mitleid für meinen jungen Freund. Und mir gefror das Blut in den Adern bei dem Gedanken, daß ich ja direkt neben ihm saß und während meiner gemächlichen Überlegungen die unvorstellbarsten Katastrophen eintreten konnten.

»Kurzum, du bist ein Unheilbringer«, sagte ich.

Menander warf seinen Kopf zurück und starrte mich an seinen Nasenflügeln vorbei auf eine sehr unangenehme Weise an. »Unheilbringer«, sagte er, »ist der gebräuchliche Ausdruck. Teleklutz ist der wissenschaftliche.«

»Ganz gleich ob nun Unglückbringer oder Teleklutz -was wäre, wenn ich dir sagen würde, daß ich dich unter Umständen von deinem Fluch befreien kann?«

»Fluch ist das richtige Wort«, stellte Menander düster fest. »Ich habe oft darüber nachgegrübelt, ob nicht bei meiner Geburt eine böswillige Fee, erbost darüber, daß sie nicht zur Taufe eingeladen wurde ... Willst du mir etwa weismachen, du könntest Flüche außer Kraft setzen, weil du eine gute Fee bist?«

»Ich bin ganz gewiß keine Fee«, sagte ich streng. »Nimm einfach an, ich könnte dich von diesem Flu. von diesem Zustand befreien.«

»Wie zum Teufel willst du das anstellen?«

»Nicht unbedingt mit dem Teufel«, antwortete ich. »Aber wie wär's?«

»Was hättest du davon?« wollte er mißtrauisch wissen.

»Das herzerwärmende Gefühl, geholfen zu haben, einem Freund ein gräßliches Leben zu ersparen.«

Menander dachte einen Augenblick darüber nach, dann schüttelte er bestimmt den Kopf. »Das reicht nicht.«

»Nun, solltest du mir natürlich eine bescheidene Summe dafür anbieten wollen ...«

»Nein, nein. Nie würde mir einfallen, dich auf diese Weise zu beleidigen. Einem Freund einen Geldbetrag anbieten? Eine Freundschaft in finanziellem Wert messen? Wie kannst du das nur von mir denken, George? Was ich meinte, ist, daß die Entfernung des Teleklutzismus nicht genug wäre.«

»Was könnte ich noch mehr tun?«

»Denk nach! Mein ganzes Leben hindurch war ich verantwortlich für alles mögliche, von Unannehmlichkeiten bis hin zu Katastrophen, vielleicht für Millionen unschuldiger Menschen. Auch wenn ich von nun an keinem einzigen Menschen mehr Pech brächte, ist doch das Unheil, das ich bisher verursacht habe - auch wenn nichts davon freiwillig geschah oder in irgendeiner Weise mir zugerechnet wird -, mehr, als ich ertragen kann. Das alles muß wieder gutgemacht werden.«

»Wie zum Beispiel?«

»Ich muß die Möglichkeit erhalten, die Menschheit zu retten.«

»Die Menschheit zu retten?«

»Was sonst könnte den unermeßlichen Schaden ausgleichen, den ich angerichtet habe? George, ich bestehe darauf: Wenn du den Fluch von mir nimmst, ersetze ihn durch die Fähigkeit, die Menschheit aus einer großen Krise zu erlösen.«

»Ich bin mir nicht sicher, ob ich das kann.«

»Versuch es, George. Schreck nicht vor der Herausforderung zurück. Ich sage immer: Wenn du einen Job machst, dann mach ihn anständig. Denk an die Menschheit, alter Freund.«

»Warte mal einen Augenblick«, sagte ich alarmiert. »Du lädst gerade die ganze Sache auf meine Schultern.«

»Natürlich tue ich das, George«, entgegnete Menander herzlich. »Auf breite Schultern! Gute Schultern! Geschaffen dafür, Bürden zu tragen! Geh nach Hause, George, und mach dich daran, den Fluch von mir zu nehmen. Eine dankbare Menschheit wird dich mit ihren Segnungen überhäufen - oder auch nicht, da sie natürlich niemals davon erfahren wird, denn ich werde es niemandem verraten. Deine noble Tat wird nie durch Aufdeckung entehrt werden, verlaß dich auf mich, ich werde sie nie kundtun.«

Selbstlose Freundschaft ist etwas Wundervolles, dem nichts auf der Welt gleichkommt. Ich erhob mich sogleich, um mich an meine Aufgabe zu machen, und entfernte mich so rasch, daß ich versäumte, meinen Teil der Dinnerrechnung zu begleichen. Glücklicherweise bemerkte Menander es nicht, bevor ich das Restaurant bereits verlassen hatte.

Ich hatte einige Probleme, mit Azazel in Kontakt zu treten, und als es mir endlich gelang, schien er darüber nicht sonderlich erfreut. Sein zwei Zentimeter großer Körper war in einen rosafarbenen Schimmer gehüllt, und mit seiner schrillen Stimme rief er: »Ist dir je in den Sinn gekommen, daß ich gerade eine Dusche nehmen könnte?«

Tatsächlich ging ein leichter Geruch nach Ammoniak von ihm aus.

Demütig sagte ich: »Es handelt sich um einen dringenden Notfall, oh Mächtiger-für-den-Worte-nicht-ausreichen.«

»Nun gut, erzähl mir davon - aber denk daran: Laß es nicht den ganzen Tag dauern.«

»Sicher!« entgegnete ich und umriß die Angelegenheit in bewundernswerter Knappheit.

»Hmm«, sagte Azazel. »Ausnahmsweise hast du mir ein interessantes Problem präsentiert.«

»Habe ich das? Du meinst, es gibt tatsächlich so etwas wie Teleklutzismus?«

»Oh ja. Siehst du, durch die Quantenmechanik wissen wir, daß die Eigenschaften des Universums zu einem gewissen Grad vom Betrachter abhängen. Ebenso wie das Universum den Betrachter beeinflußt, so beeinflußt auch der Betrachter das Universum. Manche Betrachter beeinflussen das Universum auf widrige Weise, oder zumindest auf eine Weise, die sich auf andere Betrachter widrig auswirkt. So mag ein Betrachter die Entwicklung eines Sterns zur Supernova beschleunigen, was zu Irritationen bei anderen Betrachtern führen kann, die sich zu diesem Zeitpunkt unangenehm dicht bei diesem Stern befinden.«

»Ich verstehe. Nun, dann kannst du also meinem Freund Menander helfen und diesen quantenbeeinflussenden Effekt von ihm nehmen?«

»Oh, selbstverständlich! Leicht! Es wird mich zehn Sekunden kosten, und dann kann ich unter meine Dusche zurückkehren, zum Ritual des Laskorati, das ich mit zwei Samini von unvorstellbarer Lieblichkeit abzuhalten gedenke.«

»Warte! Warte! Das reicht nicht.«

»Sei nicht albern. Zwei Samini sind mehr als ausreichend. Nur ein Wüstling würde sich drei wünschen.«

»Ich meine, den Teleklutzismus zu entfernen reicht nicht. Menander will außerdem die Möglichkeit, die Menschheit zu retten.«

Für eine Minute glaubte ich, Azazel würde unsere lange Freundschaft und all das vergessen, was ich für ihn getan hatte, indem ich ihn mit interessanten Problemen versorgte, die seinen Verstand und seine magischen Fähigkeiten trainierten. Ich verstand nicht viel von dem, was er sagte, da die meisten der Worte aus seiner eigenen Sprache stammten, aber sie klangen sehr wie Sägeblätter, die über rostige Nägel kratzten.

Als er sich schließlich wieder auf ein gedämpftes Rot abgekühlt hatte, sagte er: »Und wie soll ich das anstellen?«

»Könnte dem Apostel der Unglaublichkeit irgend etwas zu schwierig sein?«

»Worauf du wetten kannst! Aber laß mal sehen ...« Er dachte eine Weile nach, dann platzte er heraus: »Wer im ganzen Universum würde denn die Menschheit retten wollen? Wo läge der Nutzen darin? Ihr verschmutzt doch diese ganze Gegend . Nun, nun, ich denke, es könnte klappen.«

Es dauerte keine zehn Sekunden. Es dauerte eine halbe Stunde, und eine äußerst unbehagliche halbe Stunde noch dazu, denn Azazel stöhnte einen guten Teil der Zeit, und in der restlichen hielt er immer wieder inne, um sich zu fragen, ob die Samini auch auf ihn warten würden.

Schließlich war er fertig, und natürlich hieß das für mich, daß ich den Erfolg der Angelegenheit bei Menander Block nachprüfen mußte.

Als ich Menander das nächste Mal sah, rief ich: »Du bist geheilt!«

Er starrte mich feindselig an. »Ist dir bewußt, daß du mich gestern abend mit der Dinnerrechnung hast sitzen lassen?«

»Gewiß eine Nebensächlichkeit, verglichen mit der Tatsache, daß du geheilt bist.«

»Ich fühle mich nicht geheilt.«

»Na, dann komm. Laß uns eine Ausfahrt machen. Du fährst.«

»Aber es sieht schon bewölkt aus. Tolle Heilung!«

»Fahr! Was haben wir zu verlieren?«

Er rangierte seinen Wagen rückwärts aus der Garage. Ein Mann, der auf der anderen Straßenseite vorüberkam, stolperte nicht über einen übervollen Abfallbehälter.

Menander steuerte die Straße hinunter. Die Ampel sprang nicht auf rot um, als er heranrollte, und zwei Autos, die an der nächsten Kreuzung aufeinander zuschlitterten, verfehlten sich um ein gutes Stück.

Als wir die Brücke erreichten, hatten sich die Wolken verzogen, und die Sonne leuchtete warm auf den Wagen herab. Seine Augen dagegen leuchteten nicht.

Schließlich kamen wir wieder bei ihm zuhause an, wo er ohne Scham zu weinen begann, so daß ich den Wagen für ihn einparken mußte. Ich fuhr eine leichte Schramme hinein, aber schließlich war ja auch nicht ich vom Teleklutzismus geheilt worden. Außerdem hätte es schlimmer kommen können. Ich hätte meinen eigenen Wagen demolieren können.

In den nächsten Tagen suchte er mich ständig auf. Schließlich war ich der einzige, der das Wunder zu würdigen wußte, das ihm widerfahren war.

So erzählte er: »Ich war tanzen, und nicht ein einziges Paar stolperte über seine eigenen Füße, stürzte und brach sich ein Schlüsselbein oder zwei. Ich konnte tanzen wie eine Sylphe, mit ganzer Hingabe, ohne daß meiner Partnerin schlecht wurde, obwohl sie höchst unvorsichtig gegessen hatte.«

Oder: »Auf der Arbeit installierten sie eine neue Klimaanlage, und kein einziges Mal fiel einem der Arbeiter ein Bauteil auf die Zehen, um sie unheilbar zu brechen.«

Oder gar: »Ich besuchte einen Freund im Krankenhaus -etwas, wovon ich niemals auch nur geträumt hätte -, und in keinem der Zimmer, die ich passierte, rutschte eine Nadel aus einer Vene. Keine einzige Injektion verfehlte ihr Ziel.«

Manchmal jedoch fragte er mich geknickt: »Bist du sicher, daß ich eine Chance erhalten werde, die Menschheit zu retten?«

»Ganz sicher«, entgegnete ich. »Das ist Bestandteil der Heilung.«

Doch dann kam der Tag, da er mich mit finsterem Blick aufsuchte. »Hör zu«, begann er. »Ich war gerade auf der Bank, um mich über meinen Kontostand zu informieren, der momentan etwas niedriger ist als er sein sollte, da du dich gerne aus Restaurants verabschiedest, bevor die Rechnung bezahlt ist. Aber ich konnte keine Auskunft bekommen, da das Computersystem just in dem Moment ausfiel, als ich hereinkam. Alle waren ganz durcheinander. Läßt die Heilung etwa nach?«

»Sie kann nicht nachlassen«, erklärte ich. »Vielleicht hatte das ja gar nichts mit dir zu tun. Möglicherweise war nur ein anderer Teleklutz in der Nähe, der noch nicht geheilt ist. Er kam vielleicht im gleichen Moment wie du herein.«

Aber das war es nicht. Der Computer der Bank stürzte zwei weitere Male ab, als er versuchte, seinen Kontostand in Erfahrung zu bringen. (Seine Nervosität bezüglich der armseligen Summe, die ich zu begleichen versäumt hatte, war für einen erwachsenen Mann ekelhaft.) Als schließlich das Computersystem in seiner Firma abstürzte, während er an dem Raum vorbeilief, wo es stationiert war, suchte er mich in einem Zustand auf, den ich nur als Panik beschreiben kann.

»Es ist wieder da, ich sage es dir! Es ist zurück!« schrie er. »Dieses Mal halte ich es nicht aus. Jetzt, da ich mich an das Normalsein gewöhnt habe, kann ich nicht mehr zu meiner alten Lebensweise zurückkehren. Ich muß mich umbringen.«

»Nein, nein, Menander. Das geht zu weit.«

Er schien einen weiteren Schrei im Ansatz zu unterdrücken und dachte über meinen Einwurf nach. »Du hast recht«, sagte er dann. »Das geht zu weit. Vielleicht sollte ich statt dessen dich umbringen. Dich wird schließlich niemand vermissen, und ich würde mich wenigstens ein bißchen besser fühlen.«

Ich verstand seinen Standpunkt, wenngleich nur zu einem gewissen Grad. So sagte ich: »Bevor du irgend etwas unternimmst, laß mich der Sache nachgehen. Hab Geduld, Menander. Immerhin ist es bisher nur mit Computern passiert, und wen interessieren Computer?«

Ich verließ ihn rasch, bevor er mir die Frage stellen konnte, wie er sich unverzüglich einen Kontoauszug besorgen sollte, wenn die Rechner in seiner Gegenwart stets abstürzten. Er war in dieser Hinsicht wirklich fanatisch.

Ähnlich verhielt es sich mit Azazel, allerdings hinsichtlich eines anderen Themas. Dieses Mal schien er mitten in das verstrickt, was er mit den beiden Samini anstellte, und als er Gestalt annahm, schlug er noch immer Purzelbäume. Bis zum heutigen Tag habe ich keine Ahnung, was die Purzelbäume mit der Sache zu tun hatten.

Ich glaube, er beruhigte sich nicht wesentlich, aber er war in der Lage, mir auseinanderzusetzen, was geschehen war, und mir oblag es anschließend, dies Menander zu erklären.

Ich bestand darauf, ihn im Park zu treffen. Ich wählte einen recht gut besuchten Abschnitt, da ich mich auf rasche Hilfe verlassen mußte, sollte er im übertragenen Sinne den Kopf verlieren und danach trachten, mich meinen im wörtlichen Sinne verlieren zu lassen.

»Menander«, hob ich an. »Dein Teleklutzismus ist noch aktiv, wirkt aber lediglich auf Computer. Nur auf Computer. Du hast mein Wort darauf. Hinsichtlich alles sonstigen bist du für immer geheilt.«

»Na, dann heile mich auch, was Computer angeht.«

»Wie die Dinge liegen, Menander, ist das unmöglich. Was Computer angeht, bist du nicht geheilt, ebenfalls für immer.« Die letzten Worte flüsterte ich, aber er verstand mich dennoch.

»Warum? Was bist du bloß für ein hasenhirniges, idiotisches, erbärmliches, omniklutzistisches Hinterteil eines toten Trampeltiers?«

»So wie du fragst, klingt es, als gäbe es da mehrere Varianten, Menander, und das ergibt wenig Sinn. Verstehst du denn nicht - du wolltest die Welt retten, deswegen ist alles so gekommen.«

»Nein, das verstehe ich nicht. Erklär es mir, und lass dir Zeit. Du hast fünfzehn Sekunden.«

»Sei vernünftig! Die Menschheit geht einer regelrechten Computer-Explosion entgegen. Computer werden immer vielseitiger, leistungsfähiger und intelligenter. Die Menschen werden in zunehmendem Maße abhängig von ihnen. Eines Tages wird ein Computer gebaut werden, der die Weltherrschaft ergreifen wird, und dann wird die Menschheit nichts mehr zu melden haben. Möglicherweise wird er sich überlegen, die überflüssigen Menschen auszulöschen. Natürlich reden wir uns selbstgefällig ein, wir könnten jederzeit >den Stecker ziehen<, aber du weißt, daß wir das nicht könnten. Ein Computer, der intelligent genug wäre, die Arbeit der ganzen Welt ohne uns zu erledigen, wäre in der Lage, seinen Stecker auf eigene Faust zu verteidigen und damit den Strom, den er benötigt.

Er wird unzerstörbar sein und die Menschheit dem Untergang geweiht. Und nun, mein Freund, kommst du ins Spiel: Du wirst in seine unmittelbare Umgebung gebracht werden, oder vielleicht wirst du auch nur einige Meilen entfernt vorüberlaufen, worauf er augenblicklich abstürzen wird, und die Menschheit ist gerettet! Die Menschheit ist gerettet! Stell dir das vor! Stell dir das vor!«

Menander stellte es sich vor. Und er sah nicht glücklich aus dabei. »Aber so lange kann ich keinem Computer zu nahe kommen«, erkannte er.

»Nun, der Computer-Klutzismus mußte natürlich fixiert und absolut beständig gemacht werden, damit wir sichergehen konnten, daß nichts schief geht, wenn es soweit ist, und daß sich der Computer deiner nicht irgendwie erwehren kann. Das ist der Preis, den du für das großartige Geschenk der Menschheitsrettung zahlen mußt, die du dir gewünscht hast und für die du auf alle Zeit geehrt werden wirst.«

»Ach?« sagte er. »Und wann wird diese Menschheitsrettung stattfinden?«

»Laut Azaz- ... laut meinen Quellen sollte das in etwa sechzig Jahren passieren«, erklärte ich. »Aber sieh es mal so: Jetzt weißt du, daß du mindestens neunzig Jahre alt werden wirst.«

»Und in der Zwischenzeit«, sagte Menander laut, ohne sich um all die Menschen um uns herum zu scheren, die uns schon anzustarren begannen, »in der Zwischenzeit wird die Welt immer computerisierter werden, und ich werde mich immer mehr Orten nicht mehr nähern können. Ich werde immer weniger in der Lage sein, bestimmte Dinge zu tun, und schließlich komplett in einem selbstgewählten Gefängnis festsitzen .«

»Aber am Ende wirst du die Menschheit retten! Das ist es doch, was du wolltest!«

»Zur Hölle mit der Menschheit!« kreischte Menander, sprang hoch und warf sich auf mich.

Es gelang mir nur, rechtzeitig zu entweichen, weil Passanten den armen Gesellen ergriffen und festhielten.

Heute befindet sich Menander in tiefenpsychologischer Behandlung bei einem Freudschen Psychiater von der überzeugtesten Sorte. Sie kostet ihn fraglos ein Vermögen und wird ihm - natürlich - nichts nützen.

Nachdem George seine Erzählung beendet hatte, starrte er in den Bierkrug, von dem ich wußte, daß ich ihn würde bezahlen müssen.

»Diese Geschichte hat eine Moral«, sagte er.

»Und die wäre?«

»Die Menschen sind einfach undankbar!«

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