»Das Übel, das Alkohol anrichten kann«, sagte George mit einem stark alkoholisierten Seufzer, »läßt sich nur schwer ermessen.«
»Nicht, wenn du nüchtern wärst«, entgegnete ich.
Er starrte mich mit seinen hellblauen Augen an, sein Blick halb vorwurfsvoll, halb entrüstet. »Wann war ich das jemals nicht?« wollte er wissen.
»Seit deiner Geburt«, erklärte ich, doch als ich merkte, daß ich ihm Unrecht tat, schwächte ich meine Anmerkung rasch ab: »Seit du abgestillt wurdest.«
»Ich nehme an«, sagte George, »daß dies einer deiner fruchtlosen Anflüge von Humor sein soll.« Und in wohlbedachter Geistesabwesenheit hob er meinen Drink an die Lippen, trank davon und senkte die Hand wieder, wobei er das Glas mit eisernem Griff umklammert hielt.
Ich ließ ihn gewähren. George einen Drink wegnehmen zu wollen, war etwa so, als versuche man, einer hungrigen Bulldogge ihren Knochen zu stehlen.
Er fuhr fort: »Als ich das sagte, dachte ich an eine junge Frau, der ich einst in onkelhafter Zuneigung zugetan war und die den Namen Ishtar Mistik trug.«
»Ein ungewöhnlicher Name«, merkte ich an.
»Aber ein zutreffender, denn Ishtar ist die babylonische Göttin der Liebe, und eine wahre Liebesgöttin war auch Ishtar - potentiell zumindest.«
Ishtar Mistik [sagte George] war, was man eine höchst ansehnliche Frauengestalt nennen würde, so man über etwas angeborenes Understatement verfügte. Ihr Gesicht war im klassischen Sinne wunderschön, jedes Merkmal perfekt, und gekrönt wurde es durch einen Nimbus goldenen Haares, so fein und glänzend, daß es wie ein Heiligenschein wirkte. Ihren Körper konnte man einzig als aphrodisisch bezeichnen. Er war wogend und wunderschön, eine Kombination von Festigkeit und Nachgiebigkeit, in sanfter Perfektion vereint.
Da du zu schmutzigen Gedanken neigst, magst du dich fragen, woher ich die taktilen Aspekte ihrer Reize kenne, aber ich versichere dir, daß es sich dabei um eine reine Ferneinschätzung handelt, die mir aufgrund meiner großen Erfahrung in solchen Dingen möglich war und in diesem speziellen Fall nicht aus direkter Observation erwuchs.
Vollständig bekleidet hätte sie jedenfalls ein besseres Centerfold abgegeben als jede andere, welche man auf eine Weise abgebildet hätte, die Magazinen zur künstlerischen Darstellung solcher Dinge eigen ist. Schmale Hüften, oben und unten begrenzt von solch ausgeglichener Üppigkeit, wie du sie dir kaum vorstellen kannst, ohne sie je gesehen zu haben; lange Beine, anmutige Arme, jede einzelne Bewegung ein Anlaß zu Verzückung.
Und obgleich man kaum so unverschämt sein könnte, mehr zu verlangen als solche physische Vollkommenheit, verfügte Ishtar noch dazu über einen scharfen und wachen Verstand und hatte ihr Studium an der Columbia University summa cum laude abgeschlossen - auch wenn man gerechterweise davon ausgehen sollte, daß der durchschnittliche Collegelehrer sich beim Benoten von Ishtar Mistik bemüßigt fühlte, im Zweifelsfall zu ihren Gunsten zu entscheiden. Da auch du Lehrer an einem College bist, mein lieber Freund (und ich sage dies, ohne daß ich deine Gefühle verletzen möchte), kann ich nur die niedrigste Meinung von diesem Berufsstand haben.
Aufgrund all dessen hätte man nun annehmen können, daß Ishtar sich die Männer nur auszusuchen brauchte, und daß sie ihre Wahl jeden Tag aus einem frischen Schwung hätte erneuern können. Tatsächlich war mir bereits zuweilen durch den Sinn gegangen, daß ich, sollte ihre Wahl dabei je auf mich fallen, mich bemüht hätte, die Herausforderung aus gentlemanhafter Hochachtung vor dem schönen Geschlecht anzunehmen. Aber wie ich eingestehen muß, zögerte ich, ihr diesen Umstand begreiflich zu machen.
Denn wenn Ishtar überhaupt einen winzigen Makel hatte, dann war es, daß sie eine so ehrfurchtgebietende Erscheinung war. Sie maß über einsfünfundachtzig und hatte eine Stimme, die, wenn sie sich aufregte, an einen Fanfarenstoß erinnerte. Außerdem erinnerte man sich, daß sie sich einst mit einem massigen Rowdy angelegt hatte, der unvorsichtigerweise versuchte, sich bei ihr etwas herauszunehmen, und den sie in die Höhe gehoben und quer über die Straße, die übrigens recht breit war, gegen einen Laternenmast geschleudert hatte. Er verbrachte sechs Monate im Krankenhaus.
Daher herrschte eine gewisse Abneigung auf seiten der männlichen Bevölkerung, ihr gegenüber irgendwelche Avancen zu unternehmen, und seien es die ehrfürchtigsten gewesen. Der unleugbare Impuls, dies zu tun, unterlag zumeist der eingehenden Erwägung, ob es körperlich sicher war, den Versuch überhaupt zu unternehmen. Selbst ich -wie du weißt, tapfer wie ein Löwe - ertappte mich dabei, daß ich die Möglichkeit gebrochener Knochen bedachte. Um einen weisen Spruch zu prägen: Das Gewissen macht Feiglinge aus uns allen.
Ishtar war sich dieser Situation indes nur zu bewußt, und sie beschwerte sich bei mir bitterlich darüber. An eine solche Gelegenheit erinnere ich mich noch gut. Es war ein prächtiger Frühlingstag, und wir saßen zusammen auf einer Bank im Central Park. Wie ich mich weiter entsinne, versäumten bei diesem Anlaß nicht weniger als drei Jogger, einer Wegbiegung zu folgen, da sie die Köpfe nach Ishtar drehten, und endeten mit den Nasen an der Borke eines Baumes.
»Wahrscheinlich muß ich bis an mein Lebensende eine Jungfrau bleiben«, beklagte sie sich, wobei ihre delikat geschwungene Unterlippe bebte. »Niemand scheint sich für mich zu interessieren, kein einziger. Dabei werde ich bald schon fünfundzwanzig.«
»Du mußt verstehen, meine ... meine Liebe«, entgegnete ich und griff vorsichtig zu ihr hinüber, um ihr die Hand zu tätscheln, »daß die jungen Männer aufgrund deiner physischen Erscheinung voller Scheu sind und sich deiner nicht würdig fühlen.«
»Das ist doch lächerlich«, rief sie so laut, daß sich Passanten umdrehten und in unsere Richtung schauten. »Was du sagen willst ist, daß sie sich vor Angst in die Hosen machen. Etwas in der Art, wie diese albernen kleinen Dinger zu mir aufschauen, wenn wir einander vorgestellt werden, und wie sie sich die Fingerknöchel reiben, nachdem wir uns die Hände geschüttelt haben, sagt mir, daß da nie etwas passieren wird. Sie sagen lediglich: »Freut mich, Sie kennenzulernen und machen, daß sie fortkommen.«
»Du mußt sie ermutigen, Ishtar, meine Liebe. Du mußt einen Mann als fragile Blume betrachten, die erst unter deinem warmen Lächeln aufzublühen vermag. Irgendwie mußt du ihm signalisieren, daß du empfänglich für seine Annäherungen bist und davon absehen wirst, ihn an Jackenkragen und Hosenboden zu packen und mit dem Kopf gegen eine Wand zu donnern.«
»Das habe ich nie getan«, sagte sie empört. »Fast nie. Und wie, denkst du, soll ich signalisieren, daß ich empfänglich bin? Ich lächle doch schon und sage >Wie geht's?<, und dann sage ich immer noch >Was für ein schöner Tag<, selbst wenn das gar nicht stimmt.«
»Das reicht noch nicht, meine Liebe. Du mußt den Arm des Mannes ergreifen und sanft unter den deinen klemmen. Du könntest ihm in die Wange kneifen, ihm übers Haar streichen, ein wenig an seinen Fingerspitzen knabbern. Kleine Zeichen wie diese signalisieren ein gewisses Interesse, eine bestimmte Gewilltheit deinerseits, sich in freundschaftlichen Umarmungen und Küssen zu ergehen.«
Ishtar machte ein erschrockenes Gesicht. »Das könnte ich nie tun. Ich könnte es einfach nicht. Ich wurde auf die strengste nur vorstellbare Weise erzogen. Es ist mir nicht möglich, mich auf eine andere als die korrekteste Art zu verhalten. Die Annäherung muß vom Mann ausgehen, und selbst dann noch muß ich mich so stark wie möglich zurückhalten. Das hat mich meine Mutter gelehrt.«
»Aber Ishtar. Tu es doch einfach, wenn sie es nicht mitbekommt.«
»Ich kann nicht. Ich bin einfach ... zu gehemmt. Warum kann ein Mann nicht einfach ... einfach kommen?« Sie errötete bei einem Gedanken, der ihr bei diesen Worten durch den Kopf zu gehen schien, und griff mit ihrer großen, aber perfekt geformten Hand nach ihrem Herz. (Ich fragte mich müßig, ob sie wußte, wie privilegiert ihre Hand in Momenten wie diesem war.)
Ich denke, es war das Wort »gehemmt«, das mich auf die Idee brachte. Ich sagte: »Ishtar, mein Kind, ich hab's. Du mußt dich alkoholischen Getränken hingeben. Es gibt eine ganze Reihe, die durchaus wohlschmeckend sind und auf heilsame Weise beleben können. Wenn du einen jungen Mann einlädst, trink ein paar Grasshoppers mit ihm oder Margaritas oder irgendeines von dem runden Dutzend anderer Getränke, die ich jetzt aufzählen könnte, und du wirst feststellen, daß deine Hemmungen ebenso rasch dahinschwinden werden wie die seinen. Er würde sich ermutigt fühlen, dir Dinge zu unterbreiten, die kein Gentleman einer Dame unterbreiten sollte, und du würdest ermutigt werden, darüber zu kichern und vorzuschlagen, gemeinsam ein dir bekanntes Hotel aufzusuchen, wo deine Mutter dich nie finden wird.«
Ishtar seufzte und erwiderte: »Das wäre wunderbar, aber es würde nicht funktionieren.«
»Natürlich würde es das. Nahezu jeder Mann wäre glücklich, mit dir einen Drink nehmen zu dürfen. Sollte er zögern, biete an, die Rechnung zu übernehmen. Kein Mann, der auch nur irgend etwas wert ist, würde ablehnen, wenn eine Frau offeriert, .«
Sie unterbrach mich. »Das ist es nicht. Das Problem liegt bei mir. Ich kann nicht trinken.«
So etwas hatte ich noch nie gehört. »Du öffnest einfach deinen Mund, meine Liebe .«
»Das weiß ich. Natürlich kann ich trinken - ich meine, das Zeug herunterschlucken. Es ist vielmehr die Wirkung, die es auf mich hat. Es macht mich total benebelt.«
»Du mußt ja nicht gleich so viel trinken, du .«
»Ein Drink setzt mich außer Gefecht, es sei denn, mir wird übel und ich muß mich übergeben. Ich habe es so oft versucht, ich kann einfach nicht mehr als einen Drink zu mir nehmen, und wenn ich das getan habe, bin ich nicht mehr in der Stimmung für ... du weißt schon. Ich glaube, es ist ein Defekt in meinem Stoffwechsel, wenngleich meine Mutter behauptet, es sei ein Geschenk des Himmels, um mich tugendhaft den Tricks böser Männer widerstehen zu lassen, die mir meine Reinheit rauben wollen.«
Ich muß zugeben, daß ich für einen Moment sprachlos war bei dem Gedanken daran, daß es tatsächlich jemand verdienstvoll finden sollte, sich nicht den Freuden der Rebe hingeben zu können. Aber die Vorstellung einer solchen Perversion verstärkte nur meine Entschlossenheit und versetzte mich in eine derartige Gleichgültigkeit gegenüber jeder Gefahr, daß ich tatsächlich ihren elastischen Oberarm drückte und ausrief: »Mein Kind, überlaß das mir. Ich werde alles arrangieren.«
Ich wußte genau, was ich zu tun hatte.
Zweifellos habe ich dir gegenüber nie meinen Freund Azazel erwähnt, da ich in dieser Hinsicht absolut diskret bin - ich sehe, du willst widersprechen und behaupten, du habest sehr wohl von ihm gehört, aber in Anbetracht dessen, daß du, wie allseits bekannt, ein Verächter der Wahrheit bist (ich erwähne dies, ohne dich in Verlegenheit bringen zu Wollen), überrascht mich das kaum.
Azazel ist ein Dämon, der magische Fähigkeiten besitzt. Ein kleiner Dämon. Tatsächlich ist er nur zwei Zentimeter groß. Das ist allerdings von Vorteil, da es ihn begierig macht, jemandem wie mir, den er als niederes Wesen zu bezeichnen beliebt, seinen Wert und seine Fähigkeiten zu demonstrieren.
Wie stets reagierte er auf meine Anrufung, wobei du nicht zu erwarten brauchst, daß ich dir Details des Rituals verrate, mit dem ich seine Anwesenheit herbeiführe. Dein kümmerlicher Verstand (keine Beleidigung) wäre ohnehin überfordert damit, ihn zu kontrollieren.
Er erschien in schlechter Laune. Offensichtlich hatte er etwas in der Art einer Sportveranstaltung beobachtet, auf deren Ausgang er annähernd hunderttausend Zakinis gesetzt hatte, und er wirkte recht ungehalten, weil er das Finale nun nicht miterleben konnte. Ich betonte, daß Geld Schmutz und er ins Universum gesetzt worden sei, um bedürftigen Intelligenzen zu helfen und nicht, um wertlose Zakinis anzuhäufen, die er, vorausgesetzt, er gewänne sie -was höchst zweifelhaft erschien -, bei der nächsten Wette gleich wieder verlieren würde.
Diese rationalen und unangreifbaren Argumente trugen zunächst nicht dazu bei, das unglückliche Geschöpf zu beruhigen, dessen herausragender Wesenszug eine abstoßende Neigung zur Selbstsucht ist, daher bot ich ihm einen Vierteldollar an. Aluminium ist das in seiner Dimension gängige Währungsmedium, und wenngleich es nicht in meiner Absicht lag, ihn zu ermutigen, für seine geringfügige Unterstützung materielle Entlohnungen zu erwarten, schätzte ich, daß der Vierteldollar für ihn weit über hunderttausend Zakinis wert sein mußte, weswegen er anschließend ganz zahm eingestand, daß meine Belange dann doch wichtiger seien als die seinen. Wie ich immer sage, setzt sich die Macht der Vernunft letztlich eben immer durch.
Ich umriß Ishtars Problem, und Azazel sagte: »Ausnahmsweise mal ein zumutbares Problem, das du da für mich hast.«
»Natürlich«, entgegnete ich. Wie du weißt, bin ich kein unmäßiger Mensch. Ich wünsche mir lediglich auf meine eigene Weise Bestätigung.
»Ja«, fuhr Azazel fort. »Deine erbärmliche Spezies kann Alkohol nicht wirksam umwandeln, weswegen sich zugeführte Produkte im Blutkreislauf ansammeln und all die diversen unerwünschten Symptome hervorrufen, die gemeinhin mit Intoxikation assoziiert werden - einem Wort, das, wie mir meine Studien eurer Wörterbücher verraten, treffend aus dem Griechischen abgeleitet wurde und so viel bedeutet wie >Gift im Innern«.«
Ich grinste höhnisch. Wie du weißt, mischen die modernen Griechen ihren Wein mit Harz, während die alten Griechen ihren mit Wasser verdünnten. Kein Wunder, daß sie von >Gift im Innern« sprachen, wenn sie ihren Wein selbst vergifteten, bevor sie ihn überhaupt tranken.
»Es wird notwendig sein«, fuhr Azazel fort, »ihre Enzyme entsprechend einzustellen, so daß sie den Alkohol rasch und unfehlbar abbauen und bis zur Stufe einfacher Kohlenstoffverbindungen umwandeln kann, welche die Bausteine für Fett, Kohlehydrate und Proteine sind, so daß sich keinerlei Anzeichen einer Intoxikation einstellen werden. So wird Alkohol zu nahrhafter Speise für sie werden.«
»Aber wir brauchen eine gewisse Intoxikation, Azazel; gerade genug, um eine gesunde Gleichgültigkeit gegenüber den närrischen Grundsätzen herbeizuführen, die sie auf dem Schoß ihrer Mutter gelernt hat.«
Er schien mich sofort zu verstehen. »Ach ja. Ich kenne Mütter. Ich weiß noch, wie meine dritte Mutter zu mir sagte: >Azazel, klatsche niemals vor einer jungen Malobe mit deinen Blinzelmembranen«, dabei kannst du doch nur so .«
Ich unterbrach ihn von neuem. »Kannst du nicht eine klitzekleine Anhäufung des Zugeführten zulassen, um ein winziges bißchen Heiterkeit zu bewirken?«
»Kein Problem«, antwortete Azazel und streichelte in einem unschönen Anflug von Gier den Vierteldollar, den ich ihm gegeben hatte, und der, auf die Kante gestellt, höher war als er selbst.
Erst eine Woche später konnte ich Ishtar auf die Probe stellen. Es begab sich in einer Hotelbar im Stadtzentrum, wo sie mit ihrer strahlenden Erscheinung mehrere Stammgäste zum Aufsetzen von Sonnenbrillen und starren Blicken animierte.
Sie kicherte. »Was tun wir hier? Du weißt doch, daß ich nichts trinken kann.«
»Dies hier ist kein Drink, liebes Mädchen, kein Drink jedenfalls. Es Ist ein Pfefferminz-Shake. Du wirst ihn mögen.« Ich hatte bereits alles vorbereitet und einen Grasshopper für sie bestellt.
Sie nippte geziert daran und sagte: »Oh, der ist gut.« Dann lehnte sie sich zurück und kippte sich das Glas hemmungslos die Kehle hinunter. Sie leckte sich mit der Spitze ihrer bezaubernden Zunge über die ebenfalls bezaubernden Lippen und fragte: »Kann ich noch einen haben?«
»Aber natürlich«, sagte ich freundlich. »Das heißt, du könntest noch einen bekommen, hätte ich nicht dummerweise meinen Geldbeutel daheim liegengelassen .«
»Oh, ich werde zahlen. Ich habe massig Geld.«
Ich sage immer: Eine wunderbare Frau ist am großartigsten, wenn sie sich bückt, um ihr Portemonnaie aus der Tasche zwischen ihre Füßen zu holen.
Unter den gegebenen Umständen tranken wir haltlos. Sie zumindest. Sie nahm einen weiteren Grasshopper, danach einen Wodka, einen doppelten Whiskey mit Soda sowie einige weitere Getränke. Als alles ausgetrunken war, zeigte sie keinerlei Anzeichen eines Rausches, wenngleich ihr liebreizendes Lächeln berauschender war als alles, was sie gebechert hatte. Sie sagte: »Ich fühle mich so gut und warm und so bereit, wenn du verstehst, was ich meine?«
Ich glaubte, daß ich das sehr wohl tat, dennoch vermied ich voreilige Rückschlüsse. »Ich glaube nicht, daß deiner Mutter das behagen würde.« (Test, Test.)
»Was weiß meine Mutter denn davon?« erwiderte sie. »Nichts.« Sie blickte mich abwägend an, dann lehnte sie sich nach vorne und hob meine Hand an ihre vollkommenen Lippen. »Wohin können wir gehen?« hauchte sie.
Nun, mein Freund, ich denke, du kennst meine Einstellung zu solchen Dingen. Ich widerspreche üblicherweise keiner Dame, die mich mit sehnsuchtsvoller Höflichkeit um eine simple Gefälligkeit bittet. Ich bin als Gentleman erzogen worden. In diesem Fall jedoch kamen mir diverse Bedenken.
Zunächst einmal habe ich, auch wenn dir dies wahrscheinlich kaum auffallen würde, meine besten Tage ein kleines bißchen - eine Winzigkeit - hinter mir gelassen, und eine so junge und starke Frau wie Ishtar zufriedenzustellen, würde fraglos eine ganze Weile brauchen, wenn du verstehst, was ich meine. Außerdem könnten die Konsequenzen unbequem ausfallen, wenn sie sich im Nachhinein an das Geschehene erinnern und es bereuen oder gar denken sollte, ich hätte sie ausgenutzt. Sie war ein impulsives Wesen und mochte mir eine Handvoll Knochen brechen, bevor ich auch nur die Zeit hätte, alles zu erklären.
Folglich schlug ich vor, zu meiner Wohnung zu laufen, und wählte den langen Weg. Die frische Abendluft kühlte die milde Wärme in ihrem Kopf ab, und ich war in Sicherheit.
Andere waren das nicht. Mehr als einmal kam ein junger Mann zu mir, um mir von Ishtar zu erzählen, da, wie du weißt, etwas an der gütigen Würde meines Betragens Vertrauensseligkeit weckt. Leider geschah dies nie in einer Bar, denn es schien, als mieden die in Rede stehenden Männer Bars, zumindest für eine gewisse Zeit. Für gewöhnlich hatten sie nämlich versucht, es Ishtar Drink für Drink gleichzutun - mit unglücklichen Folgen.
»Ich bin mir absolut sicher«, sagte einer von ihnen, »daß sie einen verborgenen Schlauch hatte, der von ihrem Mundwinkel bis hinunter zu einem Faß unter dem Tisch führte, aber ich konnte ihn nicht entdecken. Doch wenn du glaubst, das sei schon außergewöhnlich gewesen, hättest du erst mal später dabei sein müssen.«
Der arme Bursche war ausgemergelt von den Schrecknissen seiner Erfahrung. Er versuchte, mir davon zu erzählen, aber es war recht unzusammenhängend. »Diese Ansprüche«, murmelte er immer und immer wieder. »Unersättlich! Unersättlich!«
Ich war froh, daß ich hellsichtig genug gewesen war, etwas zu vermeiden, was Männer in ihren besten Jahren nur mit Mühe überlebt hatten.
In dieser Zeit sah ich Ishtar kaum, wenn du verstehst. Sie war sehr beschäftigt - soweit ich es mitbekam, verbrauchte sie den Vorrat heiratsfähiger Männer in beängstigendem Tempo. Früher oder später würde sie ihren Einflußbereich erweitern müssen. Es geschah früher.
Eines Morgens begegnete sie mir, als sie gerade auf dem Weg zum Flughafen war. Sie stand besser im Saft als je zuvor, pneumatischer, noch aufsehenerregender in allen möglichen Ausmaßen. Nichts von dem, was sie durchgemacht hatte, schien Einfluß auf sie genommen zu haben, außer in positivem Sinne.
Sie zog eine kleine Flasche aus ihrer Handtasche. »Rum«, erklärte sie. »Das trinken sie unten in der Karibik, es ist ein sehr mildes und sehr angenehmes Getränk.«
»Fliegst du denn in die Karibik, meine Liebe?«
»Oh ja, und auch an andere Orte. Die Männer daheim scheinen von ärmlicher Ausdauer und schwachem Geist zu sein. Ich bin sehr enttäuscht von ihnen, obwohl es abenteuerliche Momente gab. Ich bin dir sehr dankbar, George, daß du das möglich gemacht hast. Alles scheint begonnen zu haben, als du mich zum ersten Mal mit diesem Pfefferminz-Shake bekanntmachtest. Es ist eine Schande, daß wir beide nicht auch .«
»Unsinn, mein liebes Kind. Ich diene der Menschheit, wie du weißt. An mich selbst denke ich dabei nie.«
Sie hauchte mir einen Kuß auf die Wange, der brannte wie Schwefelsäure, und war fort. Mit einiger Erleichterung strich ich mir über die Braue, schmeichelte mir jedoch auch damit, daß meine Beschwörung Azazels wenigstens einmal glücklich ausgegangen war, denn Ishtar, die als Erbin unabhängig und wohlhabend war, konnte nun ohne Einschränkung oder Schaden ihrer Neigung zur naiven Verehrung alkoholischer und männlicher Freuden nachkommen.
Zumindest dachte ich das.
Erst als bereits über ein Jahr verstrichen war, hörte ich wieder von ihr. Sie war zurück in der Stadt und rief mich an. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, wer sie war. Sie war hysterisch.
»Mein Leben ist vorbei«, schrie sie mich an. »Nicht einmal meine Mutter liebt mich mehr. Ich verstehe nicht, wie das passieren konnte, aber ich bin sicher, daß du schuld daran bist. Hättest du mir nicht diesen Pfefferminz-Shake aufgedrängt, wäre nichts dergleichen je passiert, das weiß ich genau.«
»Aber was ist denn geschehen, meine Liebe?« wollte ich zitternd wissen. Eine Ishtar, die mir grollte, war keine Ishtar, der man sich noch gefahrlos nähern konnte.
»Komm her. Dann zeige ich es dir.«
Meine Neugier wird eines Tages noch mein Untergang sein. Bei diesem Anlaß war sie es beinahe. Denn ich konnte nicht widerstehen, zu ihrer Villa am Stadtrand hinauszugehen. In weiser Voraussicht ließ ich die Vordertür hinter mir offen. Als sie mit einem Schlachtermesser in der Hand auf mich zukam, drehte ich mich um und floh mit einem Tempo, auf das ich in jungen Jahren stolz gewesen wäre. Glücklicherweise war sie angesichts ihres Zustandes nicht in der Lage, mir zu folgen.
Kurz darauf reiste sie wieder ab, und soweit ich weiß, ist sie seitdem nicht zurückgekommen. Ich lebe in der Furcht, daß das eines Tages geschehen könnte. Die Ishtar Mistiks dieser Welt vergessen nicht.
George schien der Ansicht, das Ende seiner Erzählung erreicht zu haben.
»Aber was war geschehen?« wollte ich wissen.
»Verstehst du es denn nicht? Die Funktionen ihres Körpers waren so eingestellt worden, daß er den Alkohol höchst effektiv in einfache Kohlenstoffverbindungen umwandelte, die Bausteine für Fett, Kohlehydrate und Proteine waren. Alkohol war ihr eine nahrhafte Speise geworden. Und sie soff wie ein mannsgroßer Schwamm -unglaublich. Alles davon rutschte die Stoffwechselkette hinunter, bis es zu den Grundbausteinen wurde, und dann wieder hinauf, bis es Fett war. In einem Wort, sie war korpulent geworden. Oder in zwei Worten: ungeheuerlich fett. All ihre prächtige Schönheit hatte sich ausgedehnt und war zu Lagen über Lagen Speck explodiert.«
George schüttelte in einer Mischung aus Schrecken und Bedauern den Kopf. »Das Übel, das Alkohol anrichten kann, läßt sich nur schwer ermessen«, sagte er.