George starrte düster in sein Glas, das meinen Drink enthielt (in dem Sinne, daß ich gewiß dafür würde zahlen müssen) und sagte: »Allein Prinzipien sind dafür verantwortlich, daß ich heute ein armer Mann bin.«
Daraufhin förderte er einen tiefen Seufzer aus der Gegend seines Nabels empor und fuhr fort: »Wenn ich >Prinzipien< erwähne, muß ich mich dafür entschuldigen, daß ich einen Ausdruck verwende, der dir unbekannt sein dürfte, außer vielleicht als Titel eines Prinzipals an der Grundschule, die du fast abgeschlossen hättest. Tatsächlich bin ich selbst ein Mann von Prinzipien.«
»Tatsächlich?« bemerkte ich. »Da du das nie zuvor und in niemandes Gegenwart hast durchscheinen lassen, nehme ich an, daß dir dieser Charakterzug vor gerade mal zwei Minuten von Azazel verliehen wurde?«
George sah mich betrübt an. Azazel ist der zwei Zentimeter große Dämon mit den erstaunlichen magischen Fähigkeiten, den allein George willentlich heraufzubeschwören in der Lage ist. »Ich kann mir nicht vorstellen, wo du von Azazel gehört haben solltest«, sagte er.
»Das ist mir ebenfalls ein großes Rätsel«, stimmte ich zu. »Oder wäre es zumindest, wenn er nicht dieser Tage dein alleiniges Gesprächsthema bildete.«
»Sei nicht albern«, erwiderte George. »Ich erwähne ihn niemals.«
Gottlieb Jones [sagte George] war ebenfalls ein Mann von Prinzipien. Man hätte das für eine völlige Unmöglichkeit halten können, zog man seinen Beruf als Werbetexter in Betracht, aber er erhob sich mit solcher Inbrunst über sein schändliches Gewerbe, daß es ein Genuß war, ihn dabei zu beobachten.
Immer wieder bekundete er mir über einem freundschaftlichen Hamburger und einem Teller Pommes Frites: »George, Worte können die Greuel meines Jobs nicht beschreiben, die Verzweiflung, die mich bei dem Gedanken daran befallt, daß ich mit überzeugenden Argumenten Produkte an den Mann bringen muß, von denen mir jedes Gefühl sagt, daß die Menschheit ohne sie besser dran wäre. Gerade gestern mußte ich helfen, eine neue Sorte Insekten-vernichter zu verkaufen, der Moskitos erwiesenermaßen hochfrequente Entzückensschreie entlockt, während sie sich aus meilenweiter Entfernung daraufstürzen. >Sei kein Moskito-Fraß - verwende Schnaken-Haß<, lautete mein Slogan.«
»Schnaken-Haß?« wiederholte ich mit einem Schaudern.
Gottlieb bedeckte die Augen mit einer Hand. Sicher hätte er beide genommen, wenn er nicht mit der anderen Pommes Frites in seinen Mund geschaufelt hätte. »Ich lebe mit dieser Schmach, George, und irgendwann werde ich den Job hinschmeißen müssen. Er vergewaltigt meine Geschäftsmoral und meine schöpferischen Ideale, und dabei bin ich doch ein Mann von Prinzipien.«
»Er bringt dir fünfzigtausend jährlich ein, Gottlieb«, gab ich höflich zu bedenken, »und du hast eine junge und wundervolle Frau und ein kleines Kind zu versorgen.«
»Geld ist Schmutz!« entgegnete Gottlieb heftig. »Ein wertloser Bestechungsversuch, damit ein Mann seine Seele verkauft. Ich lehne es ab, George; ich weise es voller Verachtung von mir; ich möchte nichts damit zu tun haben.«
»Aber Gottlieb, ganz gewiß tust du nichts dergleichen. Du akzeptierst dein Gehalt doch, oder nicht?« Ich gebe zu, daß ich für einen unangenehmen Moment einen mittellosen Gottlieb vor mir sah und die Anzahl von Mittagessen, die für uns beide zu bezahlen ihm seine Tugendhaftigkeit unmöglich gemacht hatte.
»Nun ja, das tue ich. Meine liebe Frau, Marilyn, hat die beunruhigende Angewohnheit, in Gesprächen von ansonsten gänzlich intellektueller Natur plötzlich ihr Haushaltsgeld zum Thema zu machen, gar nicht zu reden von der müßigen Erwähnung zahlreicher Einkäufe, die sie unbedacht in Kleiderboutiquen oder Ausstattungsläden tätigt. Dies übt einen mäßigenden Einfluß auf meine Pläne aus. Was den kleinen Gottlieb junior angeht, der gerade sechs Monate alt ist, so ist er noch nicht weit genug, die völlige Bedeutungslosigkeit von Geld zu erkennen -wenngleich ich ihm zugute halten muß, daß er mich noch nie um welches angepumpt hat.«
Er bekreuzigte sich, und ich seufzte mit ihm. Ich hatte bereits mehrfach vom unkooperativen Wesen von Frauen und Kindern in bezug auf finanzielle Dinge gehört, und dies ist einer der maßgeblichen Gründe, warum ich in dieser Hinsicht ein langes Leben hindurch ungebunden geblieben bin, wiewohl mein unwiderstehlicher Charme immer wieder dafür gesorgt hat, daß mir Reihen wundervoller Frauen heftig nachstellten.
Gottlieb Jones unterbrach unwissentlich diverse angenehme Erinnerungen, denen ich mich unschuldig hingab, indem er sagte: »Weißt du, was mein geheimer Traum ist, George?«
Für einen Moment trat ein so schlüpfriges Leuchten in seine Augen, daß ich leicht zusammenschrak und fürchtete, er könnte irgendwie meine Gedanken gelesen haben.
»Mein Traum ist es, Schriftsteller zu werden«, fuhr er dessen ungeachtet fort. »Schneidende Enthüllungen über die bebenden Tiefen der menschlichen Seele zu verfassen und sie der Menschheit vor äugen zu halten, auf daß sie zugleich erschauere und sich delektiere an der herrlichen Komplexität menschlicher Befindlichkeit; meinen Namen in großen, unauslöschlichen Lettern im Feld der klassischen Literatur zu verewigen und über die Generationen hinweg fortzubestehen neben solchen Männern und Frauen wie Aischylos, Shakespeare und Ellison.«
Wir hatten unser Mahl beendet, und ich wartete angespannt auf die Rechnung, um in exakt jenem Augenblick meiner Aufmerksamkeit kurz zu gestatten, sich von etwas anderem ablenken zu lassen. Der Ober, schätzte die Angelegenheit mit der scharfen Auffassungsgabe ein, die seiner Profession eigen ist, und reichte sie Gottlieb.
Ich entspannte mich und sagte: »Lieber Gottlieb, erwäge die Konsequenzen, die möglicherweise folgen würden. Erst kürzlich las ich in einer Zeitung von höchster Glaubwürdigkeit, die ein Gentleman neben mir in der Hand hielt, daß es in den Vereinigten Staaten fünfunddreißigtausend publizierte Schriftsteller gibt; von diesen leben gerade einmal siebenhundert von ihrer Arbeit, und fünfzig - nur fünfzig, mein Freund - sind reich. Verglichen damit ist dein gegenwärtiges Gehalt ...«
»Pah«, machte Gottlieb. »Es ist nicht von Bedeutung für mich, ob ich Geld verdiene oder nicht, wenn es mir gelingt, Unsterblichkeit zu erlangen und allen kommenden Generationen ein unschätzbares Geschenk aus Einsicht und Verständnis zu hinterlassen. Leicht könnte ich die Unbequemlichkeit ertragen, daß Marilyn einen Job als Kellnerin oder eine andere einfache Tätigkeit annehmen müßte.
Ich bin mir sicher, daß sie es als Privileg erachten würde oder zumindest sollte, bei Tag zu arbeiten und sich des Nachts um Gottlieb junior zu kümmern, auf daß das Künstlertum freie Bahn habe. Lediglich ...« Er hielt inne.
»Lediglich?« forderte ich ihn auf.
»Nun, ich weiß nicht, woran es liegt, George«, erklärte er, und ein gereizter Ton bemächtigte sich seiner Stimme. »Aber es gibt eine Kleinigkeit, die mir noch im Wege steht. Es scheint, als könnte ich es nicht. Mein Hirn wimmelt vor Einfällen von ungeheurer Tragweite. Szenen, Dialogfetzen, Situationen von außerordentlicher Lebendigkeit strömen ohne Unterlaß durch meinen Verstand. Lediglich die unbedeutende Kleinigkeit, sie tatsächlich in passende Worte zu kleiden, will mir nicht gelingen. Es kann nur ein unbedeutendes Problem sein, denn jeder unfähige Schreiberling, so wie dein Freund mit dem merkwürdigen Namen, scheint keine Schwierigkeiten damit zu haben, Bücher zu Hunderten zu produzieren. Ich habe lediglich den Trick noch nicht durchschaut.«
(Gewiß meinte er dich, mein lieber Freund, so zutreffend, wie der Ausdruck >unfähiger Schreiberling< ist. Natürlich wollte ich dich verteidigen, aber ich fühlte, daß ich auf verlorenem Posten gestanden hätte.)
»Sicher hast du es einfach noch nicht mit dem nötigen Ernst probiert«, vermutete ich.
»Und ob ich das habe! Ich habe hunderte Seiten Papier, und auf jeder befindet sich der erste Absatz eines wunderbaren Romans - der erste Absatz und nichts sonst. Hunderte verschiedener erster Absätze für Hunderte verschiedener Romane. Der Stolperstein bei jedem einzelnen ist der zweite Absatz.«
Ein brillanter Einfall kam mir, doch das überraschte mich nicht. Mein Verstand brütet die ganze Zeit über brillante Einfälle aus.
»Gottlieb«, sagte ich. »Ich kann dieses Problem für dich lösen. Ich kann einen Schriftsteller aus dir machen. Ich kann dich reich machen.«
Er sah mich mit einem unschönen Anflug von Skepsis an. »Du kannst das?« erkundigte er sich mit einer höchst unschmeichelhaften Betonung des Pronoms.
Wir waren aufgestanden und hatten das Restaurant verlassen. Ich registrierte, daß Gottlieb vergessen hatte, Trinkgeld zu hinterlassen, aber ich erachtete es als nicht sehr diplomatisch, ihn darauf aufmerksam zu machen, da er sonst auf die erschreckende Eingebung hätte kommen können, ich solle mich darum kümmern.
»Mein Freund«, sagte ich. »Ich kenne das Geheimnis des zweiten Absatzes, und aus diesem Grund kann ich dich reich und berühmt machen.«
»Ha! Was ist das Geheimnis?«
Sanft sagte ich (und nun dringen wir zu dem brillanten Einfall vor, der mir gekommen war): »Gottlieb, wer arbeitet, soll auch bezahlt werden.«
Gottlieb lachte kurz. »Mein Vertrauen in dich ist dergestalt, George, daß ich keinerlei Bedenken habe, dir die Hälfte all meiner Einkünfte zuzusichern, wenn du mich zu einem reichen und berühmten Schriftsteller machen kannst - abzüglich aller Geschäftsausgaben, versteht sich.«
Nochmals sanfter entgegnete ich: »Ich weiß, daß du ein Mann von Prinzipien bist, Gottlieb, folglich wird dich dein bloßes Wort an unsere Vereinbarung binden wie Ringe aus feinstem Stahl, aber würdest du nicht, nur so zum Spaß -ha, ha - zustimmen, diese Vereinbarung in schriftlicher Form niederzulegen, sie zu unterschreiben und - noch mehr zum Spaß, ha, ha - notariell beglaubigen zu lassen? Wir könnten jeder ein Exemplar davon behalten.«
Die kleine Transaktion nahm lediglich eine halbe Stunde in Anspruch, da es dafür nur eines öffentlichen Notars bedurfte, der nebenbei noch als Schreibkraft arbeitete und ein Freund von mir war.
Ich steckte mein Exemplar des kostbaren Papiers vorsichtig in meinen Geldbeutel und sagte: »Ich kann dir das Geheimnis nicht sofort zugänglich machen, aber sobald ich alles in die Wege geleitet habe, gebe ich dir Bescheid. Dann kannst du versuchen, einen Roman zu schreiben, und wirst feststellen, daß du keine Schwierigkeiten mit dem zweiten Absatz mehr haben wirst - und auch nicht mit dem tausendundzweiten. Natürlich schuldest du mir nichts, bis der erste Vorschuß hereinkommt - ein sehr hoher, dafür bürge ich.«
»Das will ich hoffen«, sagte Gottlieb gehässig.
Noch am selben Abend hielt ich das Ritual ab und rief Azazel herbei. Er ist nur zwei Zentimeter groß und in seiner Welt eine Persönlichkeit ohne großes Ansehen. Das ist der einzige Grund, weshalb er willens ist, mir bei verschiedenen Kleinigkeiten auszuhelfen. Dadurch kann er sich wichtig fühlen.
Natürlich kann ich ihn nicht davon überzeugen, irgend etwas zu unternehmen, das mich auf direkte Weise reich machen würde. Das kleine Geschöpf besteht darauf, daß dies eine inakzeptable Kommerzialisierung seiner Kunst wäre. Auch von meiner Versicherung, alles, was er tue, werde auf absolut selbstlose Weise zum Wohl der Welt eingesetzt, läßt er sich nicht überzeugen. Als ich ihm dies mitteilte, stieß er einen seltsamen Laut aus, dessen Bedeutung ich nicht verstand und von dem er behauptete, er habe ihn von einem Einheimischen der Bronx gelernt.
Aus diesem Grund erklärte ich ihm auch nicht die Hintergründe meiner Abmachung mit Gottlieb Jones. Nicht Azazel würde mich reich machen. Gottlieb würde mich reich machen, nachdem Azazel ihn reich gemacht hatte -aber ich hegte keine Hoffnung, daß Azazel diesen feinen Unterschied begreifen würde.
Azazel war wie üblich etwas gereizt darüber, herbeigerufen zu werden. Sein kleiner Kopf war mit etwas geschmückt, das aussah wie winzige Wedel Seegras, und seinen recht unzusammenhängenden Aussagen entnahm ich, daß er sich gerade noch mitten in einer akademischen Zeremonie befunden hatte, in deren Verlauf ihm irgendeine Ehrung zuteil werden sollte. Da er in seiner Welt nicht wirklich von Bedeutung war, wie ich zuvor erwähnte, tendierte er dazu, solchen Ereignissen viel zu viel Bedeutung beizumessen, weswegen seine Reaktion verbittert ausfiel.
Ich tat sie mit einem Achselzucken ab und sagte: »Du kannst dich doch meines unbedeutenden Anliegens annehmen und anschließend zu exakt jenem Zeitpunkt zurückkehren, den du verlassen hast. Niemand wird bemerken, daß du überhaupt fort warst.«
Er murrte noch ein wenig, mußte aber zugeben, daß ich recht hatte, worauf die Luft in seiner unmittelbaren Umgebung von winzigen Blitzen durchzuckt wurde.
»Also, was willst du?« erkundigte er sich.
Ich erläuterte es ihm »Sein Geschäft ist die Vermittlung von Ideen, richtig?« begann Azazel daraufhin. »Das Umsetzen von Ideen in Worte, wie bei deinem Freund mit dem komischen Namen?«
»Das trifft zu, aber er wünscht sich, das mit einer gesteigerten Effizienz zu tun und diejenigen, mit denen er zu tun hat, zufriedenzustellen, auf daß ihm großer Beifall zuteil werde - und auch Reichtum, wenngleich er diesen eher als meßbaren Beleg für seinen Ruhm wünscht, denn Geld an sich verachtet er.«
»Ich verstehe. Auch in unserer Welt haben wir Wörterschmiede, und einer wie der andere suchen sie ausschließlich Ruhm und Ehre und würden nie auch nur den kleinsten Betrag in handfester Währung akzeptieren, es sei denn als meßbaren Beleg für ihren Ruhm.«
Ich lachte nachsichtig. »Eine Schwäche dieses Berufsstandes. Du und ich können uns glücklich schätzen, über solchen Dingen zu stehen.«
»Nun«, sagte Azazel. »Ich kann hier nicht für den Rest des Jahres bleiben, oder es würde mir schwerfallen, den exakten Zeitpunkt für meine Rückkehr zu treffen. Ist dein Freund in mentaler Reichweite?«
Wir hatten Mühe, ihn ausfindig zu machen, obwohl ich die Lage seiner Werbeagentur auf einer Karte bestimmte und auf die mir eigene eloquente und akkurate Weise eine Beschreibung des Mannes abgab - aber ich will dich nicht mit nebensächlichen Details langweilen.
Schließlich war Gottlieb aufgespürt, und nach einer kurzen Untersuchung sagte Azazel: »Ein absonderliches Gemüt, wie es jedoch unter eurer unerfreulichen Spezies häufig vorkommt. Weich wie Gummi, und gleichzeitig zerbrechlich. Ich erkenne den Wörterschmied-Schaltkreis, aber er ist verknotet und uneben - kein Wunder, daß er Probleme hat. Ich kann den hinderlichen Teil entfernen, aber das könnte die Stabilität seines Verstandes gefährden. Ich glaube es zwar nicht, denn ich bin geschickt genug, aber eine gewisses Restrisiko bleibt immer. Denkst du, er wäre bereit, dieses Risiko einzugehen?«
»Oh, ohne jeden Zweifel!« entgegnete ich. »Er ist versessen auf Ruhm und darauf, der Welt durch seine Kunst zu dienen. Er würde nicht eine Sekunde zögern, das Risiko einzugehen.«
»Ja, aber wie ich annehme, bist du sein ergebener Freund. Er ist möglicherweise geblendet von seinem eigenen Ehrgeiz und seinem Drang, Gutes zu tun, doch du siehst die Dinge möglicherweise etwas klarer. Bist du der Ansicht, er sollte diese Chance wahrnehmen?«
»Mein einziges Ziel«, entgegnete ich, »ist, ihn glücklich zu machen, rang schon an, hack es weg, so vorsichtig du kannst, und sollte etwas schiefgehen - nun, dann geschah es für eine gute Sache.« (Und um eine solche handelte es sich natürlich, denn wenn alles glatt ging, würde ich die Hälfte der Einkünfte erhalten.)
Und so wurde die Tat vollbracht. Azazel machte wie stets ein großes Theater darum, lag ein Weile keuchend auf dem Boden und murmelte etwas von unzumutbaren Wünschen, aber ich erinnerte ihn an die Freude, die er Millionen von Menschen bringen würde und daran, dal?, er in dieser Situation nicht nur an sich denken dürfe. Nach diesen erbaulichen Worten ging es ihm besser, und er verabschiedete sich, um seine Ehrung entgegenzunehmen, um was immer es sich dabei handelte.
Etwa eine Woche später suchte ich Gottlieb Jones auf. Ich hatte es nicht darauf angelegt, ihn früher wiederzusehen, da ich dachte, er brauche vielleicht eine gewisse Weile, um sich an sein neues Hirn zu gewöhnen. Zudem hatte ich es vorgezogen, zunächst auf indirektem Wege Erkundigungen über ihn einzuholen, um sicherzugehen, daß sein Verstand nicht während des Eingriffs geschädigt worden war. In diesem Fall hätte ich von einem Treffen abgesehen. Mein Verlust - und der seine selbstverständlich - hätte ein Wiedersehen zu quälend gemacht.
Doch ich hörte diesbezüglich nichts Widriges, und als ich ihn schließlich beim Verlassen des Gebäudes, in dem seine Agentur ihren Sitz hatte, traf, wirkte er ebenfalls ganz normal. Ich bemerkte jedoch sogleich die Atmosphäre tief sitzender Melancholie, die ihn umgab. Aber sie ist seinem Berufsstand eigen, denke ich, vielleicht wegen des ständigen Kontakts mit Herausgebern.
»Ach, George«, sagte er matt.
»Gottlieb, wie schön, dich zu sehen«, erwiderte ich. »Du siehst besser aus als je zuvor.« (Tatsächlich ist er, wie alle Schreiber, ziemlich häßlich, aber man muß ja höflich sein.) »In letzter Zeit mal versucht, einen Roman zu schreiben?«
»Nein, habe ich nicht.« Dann, als würde er sich gerade an etwas erinnern, fügte er hinzu: »Warum? Wirst du mir endlich das Geheimnis des zweiten Absatzes verraten?«
Ich war erleichtert, daß er sich daran erinnerte, war dies doch ein weiteres Anzeichen dafür, daß sein Gehirn so funktionstüchtig war wie eh und je.
»Aber es wurde doch bereits alles erledigt, mein lieber Freund«, erklärte ich ihm. »Es bestand keine Notwenigkeit, dir etwas zu erklären. Ich verfüge über subtilere Methoden als das. Du mußt lediglich nach Hause gehen und dich an deine Schreibmaschine setzen, und du wirst sehen, daß du schreibst wie ein Engel. Sei beruhigt, denn deine Schwierigkeiten sind vorüber, und Romane werden mühelos aus deiner Schreibmaschine purzeln. Schreib zwei Kapitel und eine Zusammenfassung dessen, was im Rest des Buches passiert, und ich bin absolut sicher, daß jeder Verleger, dem du dies vorlegst, Freudenschreie ausstoßen und dir augenblicklich einen dicken Scheck ausstellen wird, von dem jeder einzelne Cent zur Hälfte dir gehört.«
»Pah!« schnaubte Gottlieb.
»Ich versichere es dir«, sagte ich und legte eine Hand auf mein Herz, das, wie du weißt, im übertragenen Sinn so groß ist, daß es meinen gesamten Brustraum ausfüllt. »In Wahrheit denke ich sogar, es wäre völlig angebracht, diesen schmutzigen Job hier aufzugeben, damit er in keiner Weise das reine Material infizieren kann, das aus deiner Schreibmaschine quellen wird. Du mußt es nur versuchen, Gottlieb, und du wirst mir zustimmen, daß ich mir meine Hälfte redlich verdient habe.«
»Du meinst also, ich soll meinen Job kündigen?«
»Genau!«
»Das kann ich nicht.«
»Natürlich kannst du das. Kehre dieser schändlichen Stellung den Rücken. Wende dich ab von der verdummenden Aufgabe kommerzieller Marktschreierei.«
»Ich sage dir doch, ich kann nicht kündigen. Ich bin gerade gefeuert worden.«
»Gefeuert?«
»Ja. Und zwar unter Beschimpfungen, die ein derartiges Fehlen von Wertschätzung erkennen ließen, daß ich nicht die Absicht habe, sie je zu verzeihen.«
Wir wandten uns ab und liefen auf den kleinen und günstigen Laden zu, wo wir gewöhnlich zu Mittag aßen.
Über einem Pastramisandwich begann er mürrisch zu erzählen. »Als ich gerade an einer Anzeige für einen Lufterfrischer saß, wurde ich plötzlich von der Vornehmheit des Themas überwältigt. Wir konnten nicht einfach das Wort >Geruch< verwenden. Plötzlich hatte ich das Gefühl, meine Gedanken frei äußern zu müssen. Wenn wir diesen verdammten Müll schon bewerben mußten, wieso dann nicht ordentlich? Also schrieb ich oben über den heiklen Entwurf Luft ohne Duft, unten auf das Blatt Krieg dem Mief, und schickte es ohne Zögern per Eilbote dem Kunden, ohne es vorher noch einmal jemandem zu zeigen.
Nachdem ich es weggeschickt hatte, dachte ich Warum nicht?< und sandte meinem Chef ein Memo, der daraufhin einen sehr lauten Anfall hatte, der ihn gefährlich nahe an einen Infarkt brachte. Er rief mich zu sich und teilte mir mit, daß ich gefeuert sei, und zwar vermittels einer Reihe wüster Ausdrücke, die er gewiß nicht auf dem Schoß seiner Mutter gelernt hatte - es sei denn, es wäre eine sehr ungewöhnliche Mutter gewesen. Und hier bin ich jetzt, arbeitslos.«
Er sah mich mit einer feindseligen Grimasse an. »Ich nehme an, du sagst mir jetzt, daß du hinter all dem steckst.«
»Natürlich tue ich das«, antwortete ich. »Du hast getan, wovon du unbewußt ahntest, daß es das Richtige ist. Du hast gezielt dafür gesorgt, daß sie dich rauswarfen, um endlich deine ganze Zeit der wahren Kunst widmen zu können. Gottlieb, mein Freund, geh jetzt nach Hause. Schreib deinen Roman und achte darauf, daß der Vorschuß nicht unter hunderttausend Dollar liegt. Da keine Geschäftsausgaben zu verrechnen sein werden, ausgenommen ein paar Cent für Schreibmaschinenpapier, mußt du nichts davon abziehen und kannst fünfzigtausend behalten.«
»Du bist verrückt«, sagte er.
»Ich bin nur zuversichtlich«, widersprach ich. »Und um das zu beweisen, werde ich unser Mittagessen bezahlen.«
»Du bist verrückt«, wiederholte er mit irgendwie ehrfürchtiger Stimme und ließ mich tatsächlich die Rechnung zahlen, obwohl er doch gewußt haben mußte, daß mein Angebot lediglich rhetorischer Natur gewesen war.
Am folgenden Abend rief ich ihn an. Normalerweise hätte ich länger damit gewartet. Ich wollte ihn nicht drängen. Aber ich hatte mittlerweile finanziell in ihn investiert. Das Mittagessen hatte mich elf Dollar gekostet, von dem Vierteldollar Trinkgeld, den ich gegeben hatte, gar nicht zu reden, und logischerweise war ich ruhelos. Du verstehst das.
»Gottlieb«, begann ich, »wie geht der Roman von der Hand?«
»Prima«, antwortete er. »Keine Probleme. Ich habe zwanzig Seiten runtergetippt, und guten Stoff noch dazu.«
Er sagte das jedoch gleichgültig, als gehe ihm noch etwas anderes im Kopf herum. Ich fragte ihn: »Warum machst du dann keine Luftsprünge vor Freude?«
»Wegen des Romans? Sei nicht albern. Feinberg, Saltzberg und Rosenberg riefen vorhin an.«
»Deine Werbe. deine Ex-Werbeagentur?«
»Ja. Natürlich nicht alle von ihnen, nur Mister Feinberg. Er will mich wieder einstellen.«
»Ich bin sicher, Gottlieb, daß du ihm klar zu verstehen gegeben hast, daß er dich am ...«
Doch Gottlieb ließ mich nicht ausreden. »Offenbar ist der Lufterfrischerkunde wegen meiner Anzeige ausgeflippt. Er will sie verwenden und dazu die Genehmigung haben, sie für eine Werbeoffensive, sowohl im Fernsehen als auch in Printmedien, zu verwenden, und sie wollen den Texter des Slogans, um die Kampagne zu leiten. Der Kunde sagt, was ich gemacht habe, sei kühn und zielsicher und treffe perfekt den Nerv der Achtziger. Er sagt, sie wollen Werbung machen, die erfolgreich wird wie noch keine zuvor, und dafür brauchen sie mich. Klar, daß ich gesagt habe, ich würde es mir überlegen.«
»Das ist ein Fehler, Gottlieb.«
»Es sollte mir gelingen, ihnen eine Gehaltserhöhung abzuringen, und zwar eine erhebliche. Ich habe nämlich die Worte nicht vergessen, die Feinberg mir hinterherwarf -einige davon auf Jiddisch.«
»Geld ist Schmutz, Gottlieb.«
»Natürlich, George, aber ich möchte doch gerne schauen, wieviel Schmutz im Spiel ist.«
Ich war nicht wirklich besorgt. Ich wußte, wie sehr die Aufgabe, Werbetexte zu verfassen, an Gottliebs sensibler Seele kratzte, und ich wußte, wie verlockend die Leichtigkeit sich anfühlen würde, mit der er jetzt einen Roman verfassen konnte. Das einzige, was ich tun mußte, war zu warten und (um einen weisen Satz zu prägen) den Dingen ihren Lauf zu lassen.
Dann jedoch kamen die Lufterfrischeranzeigen heraus, und sie schlugen in der Bevölkerung augenblicklich ein. »Krieg dem Mief« wurde zu einem geflügelten Wort für die Jugend Amerikas, und jedes Mal, wenn es benutzt wurde, war das, gewollt oder nicht, Werbung für das Produkt.
Ich kann mir vorstellen, daß du dich an dieses Modewort erinnern wirst - natürlich tust du das, denn ich hörte, daß Ablehnungsschreiben mit diesem Wortlaut bei den Zeitschriften, für die du zu schreiben versuchst, gang und gebe wurden, und dort dürftest du ihm häufig begegnet sein.
Weitere Anzeigen ähnlichen Wortlauts wurden veröffentlicht, und sie waren ähnlich erfolgreich.
Und plötzlich verstand ich: Azazel war es gelungen, Gottlieb jene Geistesverfassung zu schenken, die es ihm ermöglichte, die Masse mit seinen Texten anzusprechen, doch da er klein war und ohne großen Einfluß, war er unfähig gewesen, Gottliebs Verstand feinzujustieren und seine Gabe ausschließlich auf Romane auszurichten. Möglicherweise wußte Azazel auch einfach nicht, was ein Roman überhaupt war.
Aber machte das einen Unterschied?
Ich kann nicht behaupten, daß Gottlieb ausdrücklich begeistert war, als er mich beim Nachhausekommen auf seiner Türschwelle antraf, aber er war auch nicht so ehrlos zu versäumen, mich hereinzubitten. Tatsächlich stellte ich mit gewisser Genugtuung fest, daß er gar nicht anders konnte, als mich einzulassen, wenngleich er diese Freude zu schmälern suchte (vorsätzlich, wie ich glaube), indem er mich Gottlieb junior eine ganze Weile halten ließ. Es war eine fürchterliche Erfahrung.
Anschließend, als wir allein im Eßzimmer waren, erkundigte ich mich: »Und, wieviel Schmutz hast du angehäuft, Gottlieb?«
Er sah mich tadelnd an. »Nenn es nicht Schmutz, George. Das ist respektlos. Fünfzigtausend im Jahr sind Schmutz, da stimme ich dir zu, aber hunderttausend jährlich, plus einige höchst befriedigende Nebeneinkünfte, sind ein finanzieller Status.
Was noch dazukommt: Ich werde demnächst mein eigenes Unternehmen gründen und Multimillionär werden, ein Niveau, ab dem Geld zu einer Tugend wird - oder zu Macht, was natürlich im Grunde dasselbe ist. Mit dieser Macht werde ich unter anderem in der Lage sein, Feinberg aus dem Geschäft zu drängen. Das wird ihn lehren, mir gegenüber Worte zu verwenden, mit denen kein Gentleman einen anderen bedenken sollte. Bei der Gelegenheit - weißt du zufällig, was >Schmendrick< bedeutet, George?«
Diesbezüglich konnte ich ihm nicht weiterhelfen. Ich bin in einer ganzen Reihe von Sprachen bewandert, aber Urdu ist nicht darunter. »Also bist du reich geworden«, stellte ich fest.
»Und ich plane, noch weitaus reicher zu werden.«
»In diesem Fall, Gottlieb, darf ich darauf hinweisen, daß dies erst passiert ist, nachdem ich zugestimmt hatte, dich reich zu machen, woraufhin du mir deinerseits die Hälfte deiner Einkünfte zusagtest.«
Gottliebs Augenbrauen zogen sich mißbilligend zusammen. »Tatest du das? Tat ich das?«
»Nun, ja. Ich gebe zu, es ist eines jener Dinge, die man schnell vergißt, aber glücklicherweise wurde alles schriftlich festgehalten - >in Vergütung erstatteter Dienste<, Unterschrift, notarielles Siegel und so weiter. Und ganz zufallig habe ich eine Kopie dieser Vereinbarung bei mir.«
»Aha. Könnte ich sie wohl einmal sehen?«
»Selbstverständlich, aber ich darf betonen, daß es sich lediglich um eine Fotokopie handelt. Solltest du sie also in deinem Eifer, sie genau zu begutachten, zufällig in kleine Stücke zerreißen, befindet sich das Original immer noch in meinem Besitz.«
»Ein weises Vorgehen, George, aber hab keine Angst. Wenn sich alles so verhält, wie du sagst, dann wird dir kein Bißchen, kein Quentchen, ja: kein einziger Penny vorenthalten bleiben. Ich bin ein Mann von Prinzipien, und ich halte mich wortgetreu an alle Abmachungen.«
Ich gab ihm die Kopie, und er studierte sie aufmerksam. »Ach ja«, sagte er dann. »Ich erinnere mich. Natürlich. Da wäre lediglich eine Kleinigkeit .«
»Was?« wollte ich wissen.
»Nun, diese Vereinbarung bezieht sich auf meine Einkünfte als Schriftsteller. Ich bin kein Schriftsteller, George.«
»Du wolltest einer sein, und du kannst es sein, wann immer du dich an die Schreibmaschine setzt.«
»Aber ich will das gar nicht mehr, George, und ich denke nicht, daß ich mich noch einmal an die Schreibmaschine setzen werde.«
»Aber große Romane bedeuten unsterblichen Ruhm. Was können dir deine idiotischen Werbesprüche schon bieten?«
»Massen von Geld, George, plus eine riesige Firma, dir mir gehören wird und in der unzählige jämmerliche Texter beschäftigt sein werden, deren Leben ich dann in meiner Hand halte. Hatte Tolstoi je etwas Vergleichbares? Oder del Rey?«
Ich konnte es nicht glauben. »Und nach allem, was ich für dich getan habe, weigerst du dich, mir auch nur einen roten Heller abzugeben, einzig aufgrund eines einzelnen Wortes in unserer ehrbaren Abmachung?«
»Hast du dich gar auch schon am Schreiben versucht, George? Ich hätte die Situation nämlich nicht treffender und prägnanter in Worte fassen können. Meine Grundsätze binden mich an den Wortlaut unseres Vertrages, und ich bin ein Mann von Prinzipien.«
Von dieser Position war er nicht abzubringen, und ich ahnte, daß es der Sache nicht zuträglich sein würde, die Sprache auf die elf Dollar zu bringen, die ich für unser letztes gemeinsames Mittagessen bezahlt hatte.
Von dem Vierteldollar Trinkgeld gar nicht zu reden.
George erhob sich und ging, und das in einem Zustand derart theatralischer Verzweiflung, daß ich davon absah, ihn zu bitten, daß er doch vorher seinen Anteil der Getränke zahlen solle. Ich ließ mir die Rechnung bringen, und als sie kam, stellte ich fest, daß sie genau zweiundzwanzig Dollar betrug.
Ich bewunderte die ausgeklügelte Rechenkunst, mit der George sich selbst seine Auslage zurückerstattet hatte, und fühlte mich genötigt, einen halben Dollar Trinkgeld zu hinterlassen.