7

»Lucas, wie schön, dich zu sehen.« Evie und ihre Eltern waren mit dem Abendessen fertig und saßen nun seit zwanzig Minuten gekünstelt am Tisch und warteten, da Lucas ausdrücklich zum Kaffee nach dem Abendessen eingeladen worden war. Der wurde abendlichen Gästen in der Stadt immer am Küchentisch serviert, und wenn sie in ein anderes Zimmer gegangen wären, hätte das Lucas’ Aufmerksamkeit nur darauf gelenkt, dass er später erschienen war als vereinbart.

Evie sah auf, als ihr Vater Lucas in die Küche führte. Sie hatte kaum mehr als ein paar Bissen herunterbekommen und vergeblich gehofft, dass er nicht kommen würde, dass ihm etwas dazwischengekommen war, dass er einen Grund finden würde, um wegzubleiben. Aber er war hier. Sie zwang sich zu einem Lächeln und rückte widerstrebend mit ihrem Stuhl nach links, wie ihre Mutter ihr bedeutete, und Lucas setzte sich neben sie.

»Und wie geht es allen so?«, fragte er und blickte in die Runde.

»Uns geht es sehr gut, danke der Nachfrage«, antwortete Evies Mutter schnell. »Möchten Sie Kaffee? Er ist ganz frisch aufgebrüht.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, sprang sie auf, brachte geschäftig den Kaffee für Lucas, holte noch einen Keks für ihn und fragte, ob er den Apfelkuchen probieren wollte, den sie zum Nachtisch gehabt hatten. Evie hatte den Ausdruck in den Augen ihrer Mutter nicht vergessen, als die Nachricht von ihrer Verbindung mit Lucas verkündet worden war. Der Bruder war zu Evies Eltern gekommen und hatte darüber gesprochen, dass Lucas interessiert sei, ihre Tochter zu heiraten. Evie war natürlich nicht im Zimmer gewesen, sie hatte durch eine Ritze in der Tür gespäht und gelauscht, als über ihr Schicksal entschieden wurde. Die Augen der Mutter hatten aufgeleuchtet, aber nicht vor Erregung oder vor Freude, sondern vor Erleichterung, denn dann wäre sie nicht mehr verantwortlich für Evie. Zumindest deutete Evie es so. Ihr Vater war nüchterner gewesen, hatte mehr Fragen gestellt und die Antworten mit nachdenklichem Nicken bedacht. Von ihm kam auch der Vorschlag, Evie doch selbst zu fragen – natürlich nur aus Höflichkeit. Evie wusste, dass sie Ja sagen würde; sie wusste, dass sie keine Wahl hatte, aber es war trotzdem nett, dass man sie gefragt hatte. Es war nett, ihr den Eindruck zu vermitteln, dass sie irgendwie an der Entscheidung beteiligt war und nicht bloß ein Gegenstand, der herumgereicht wurde.

Lucas lehnte den Keks und den Nachtisch ab und trank seinen Kaffee schwarz. Ohne Zucker. Evie sah zu, wie er ihn trank; das heiße Getränk schien seinen Lippen nichts auszumachen, obwohl die Tasse immer noch dampfte. War er ganz und gar gefühllos?, fragte sie sich. Kamen Gefühle bei ihm einfach nicht vor? Vielleicht war er ja aus Holz. Vielleicht war er ja tatsächlich eine Maschine hinter der menschlichen Fassade. Am Nachmittag hatte sie in Lucas noch etwas ganz anderes gesehen. Das passte nicht zusammen, das verstand sie nicht recht. Doch jetzt wusste sie, dass sie sich getäuscht hatte. Er hatte den Kampf nur abgebrochen, weil er die Betrachtungen des Großen Anführers ganz präzise befolgte. Ganz logisch. Er fühlte nicht mit Mr Bridges, und er empfand auch keinen Hass gegen die Männer, die diesem so zugesetzt hatten. Er konnte ihre Wut und ihre Angst einfach nicht verstehen, weil er solche Gefühle selbst überhaupt nicht kannte.

»Und wie geht es Ihnen, Lucas?«, fragte Evies Mutter und lehnte sich erwartungsvoll vor, als wäre seine Antwort interessanter als alle anderen Neuigkeiten auf der Welt.

Lucas lächelte. »Mir geht es gut. Sehr gut.«

»Und Ihrer Mutter? Geht es ihr auch gut?«

»Ihr auch«, bestätigte er. Nach kurzem Zögern fuhr er fort: »Aber mein Bruder ist leider krank. Er steht unter Quarantäne. Aber ich selbst bin bei bester Gesundheit.«

Evie riss die Augen auf. Die Hitze schoss ihr in die Wangen. Raffy war krank? Was hatte er? Beschwörend starrte sie ihre Eltern an in der Hoffnung, dass sie die Frage stellten, die Evie nicht stellen durfte. Stattdessen hob Evies Mutter die Kaffeekanne hoch.

»Noch einen Kaffee, Lucas?« Er willigte ein und hielt ihr die Tasse hin. »Ist doch schön, wenn man so nette Gesellschaft hat.« Ihre Mutter war die Liebenswürdigkeit selbst. »Besonders in Zeiten wie diesen. Sie haben doch bestimmt von der Sache mit Mr Bridges gehört? Ist ja nur einen Steinwurf von hier. Eine schreckliche Geschichte. Man würde am liebsten gar nicht mehr mit den Leuten reden, wirklich. Überall schädliche Einflüsse.«

Evie drehte jäh den Kopf herum und sah, dass Lucas langsam nickte. »Ja, das ist eine schreckliche Geschichte«, pflichtete er bei. »Aber so ist die Natur des Bösen. Deswegen müssen wir immer auf der Hut sein und das Böse überall bekämpfen. Meinst du nicht auch, Evie?« Er fing ihren Blick auf und ihre Röte vertiefte sich noch. Spielte er mit ihr? Bedrohte er sie? Evie starrte zurück und die Wut machte sie mutiger. »Ich habe gehört, Mr Bridges ist angegriffen worden«, sagte sie ruhig. »Was hältst du davon?«

»Angegriffen von wohlmeinenden Leuten, die das Böse von unseren Straßen fernhalten wollen«, sagte ihre Mutter sofort. »Die Abweichler müssen wissen, dass wir sie niemals dulden werden. Dass für sie kein Platz ist bei uns.«

»Ganz recht, Delphine«, sagte Lucas. »Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich Sie Delphine nenne?«

Nun war es Evies Mutter, die errötete. »Aber ganz und gar nicht, Lucas. Ich bitte darum.« Sie lächelte unbeholfen und drückte ihm die Hand.

Evie sah voller Abscheu weg. Das war die Frau, die ihr als Kind so viel Angst eingejagt hatte, die keine Gefangenen machte, die ihr die Leviten las, wenn Evie etwas tat, womit sie nicht einverstanden war. Und hier, mit Lucas, benahm sie sich wie ein junges Mädchen. Evie fing den Blick ihres Vaters auf; seiner Miene nach zu schließen, dachte er genau dasselbe.

»Du findest also, dass Gewalt ihre Berechtigung hat?«, fragte Evie vorsichtig.

Lucas wandte sich zu ihr und lächelte, ohne dass das Lächeln seine Augen erreichte – aber schließlich erreichte bei ihm kein einziger Gesichtsausdruck seine Augen. Es war, als könnten sie nicht anders sein als kalt und stahlblau.

»Ich glaube, wir müssen verständnisvoll und nachsichtig sein gegenüber unseren Mitbürgern, die hart arbeiten und für ihre Familien sorgen und alles tun, was sie können, damit die sicher sind. Die Stadt ist ein Ort der Güte. Wenn das Böse sein Haupt erhebt, dann wird es schwierig.«

»Aber …«, begann Evie, doch dann hielt sie inne, weil ihr Vater ihr einen bedeutungsvollen Blick zuwarf. Es stand ihr nicht zu, irgendwelche Einwände zu bringen, ja sich überhaupt an dieser Unterhaltung zu beteiligen. Sie durfte Lucas nicht fragen, warum er eine Sache sagte und etwas anderes tat. Und sie konnte ihn nicht zur Rede stellen und fragen, was Mr Bridges denn eigentlich so Schreckliches getan hatte.

Lucas räusperte sich. »Könnte ich … einmal das Badezimmer benutzen?« Evies Mutter nickte sofort. »Natürlich … Die Treppe hinauf, gleich links. Aber das wissen Sie ja.« Sie warf ihm noch ein albernes Lächeln zu, das sofort verschwand, als er den Raum verlassen hatte und sie auf ihre Tochter losging.

»Evie«, blaffte sie wütend. »Was ist heute los mit dir? Bist du nicht fähig zu einer höflichen Unterhaltung?«

Evie schüttelte den Kopf. »Nein. Es tut mir leid. Ich habe mich nur gewundert, sonst nichts …«

»Du sollst dich nicht wundern«, sagte ihre Mutter leise und mit einem drohenden Unterton. »Stell keine schwierigen Fragen. Du hast die Aussicht auf eine ausgezeichnete Partie, junge Dame – die du gar nicht verdienst, könnte manch einer sagen. Lucas ist ein guter Mann. Aber wenn du ihn heiraten willst, musst du dich zusammenreißen.«

»Sei nicht so streng mit ihr, Delphine«, warf ihr Vater begütigend dazwischen. »Evie hat schon immer einen wachen Verstand gehabt. Vielleicht ist es ja genau das, was Lucas an ihr mag.«

Delphine blickte höhnisch drein und holte schon wieder Luft, um zu widersprechen. Doch dann überlegte sie es sich anders. »Schon möglich«, meinte sie stattdessen mit gespitzten Lippen. »Schon möglich.«

»Evie.« Ihr Vater wandte sich mit freundlichem Blick zu ihr hin. »Du könntest doch an der Treppe warten, bis er wieder herunterkommt. Vielleicht zeigst du ihm dann das Wohnzimmer. Ihr könntet ja Karten spielen, wenn du willst.«

Wieder klappte der Mund ihrer Mutter auf, und wieder huschte ein Anflug von Unwillen über ihr Gesicht, aber im letzten Moment gewann ihre Selbstbeherrschung die Oberhand, sie rang sich ein Lächeln ab und nickte knapp.

Unsicher schob Evie sich von ihrem Stuhl und schlüpfte zur Tür hinaus, drückte sich fast eine Minute lang am Fuß der Treppe herum und überlegte, was sie sagen sollte, wenn Lucas wieder auftauchte. Dann hörte sie ein Geräusch aus dem Arbeitszimmer des Vaters und überrascht tappte sie zu der geschlossenen Tür und schob sie einen Spalt auf. Im Zimmer stand Lucas.

Sie starrte ihn mit offenem Mund an. »Lucas, was machst du da drin?«

Er blickte auf, offenbar erschrocken über ihr Erscheinen.

»Evie«, stammelte er. »Entschuldige … Ich habe … ich habe nur die Sammlung deines Vaters bewundert.«

Er stand direkt neben dem Schreibtisch vor einem kleinen Schränkchen mit verschiedenen Medaillen und Pokalen. Es gab keine Wettbewerbe in der Stadt, kein Gewinnen oder Verlieren, denn diese beiden Dinge hatten den Beigeschmack der Unterwerfung, und beides führte zu Emotionen, die gefährlich sein konnten – sei es die Selbstzufriedenheit beim Siegen oder die Selbstzerstörung beim Verlieren. Stattdessen erhielten diejenigen Bürger Pokale und Medaillen, die einen bemerkenswerten und überragenden Beitrag für die Stadt geleistet hatten. Und Evies Vater Ralph hatte schon oft einen Beitrag geleistet, wie er Evie erzählt hatte, als sie noch klein war. Angefangen damit, dass er vor mehr als vier Jahrzehnten Steine für den Bau der Stadtmauer herangeschafft hatte. Zwei Jahre lang war an dem Mauerring gebaut worden, und noch viel länger an allen übrigen Häusern, Straßen und Bauernhöfen, die heute das Bild der Stadt prägten. Damals war er ein kleiner Junge gewesen, dem ein dankbares Lächeln des Großen Anführers die Kraft gab für zahllose Zwölfstundentage, wie sie damals eigentlich jeder leistete. Schon damals hatte er gewusst, dass das, was er tat, wichtig war. Hinter ihm lag nur Leid, doch vor ihm lag eine Zukunft voller Hoffnung. Als die Mauer und die übrigen Einrichtungen – baulicher wie logistischer Art – schließlich fertiggestellt waren, hatte man ihm zum Lohn für seinen Einsatz eine Stelle in der Verwaltung angeboten – in einem Büro mit Schreibtisch und eigenem Sekretär. Doch er lehnte ab und ging lieber zu den Holzarbeitern, um weiterhin mit seinen Händen Dinge zu erschaffen. Sehr zur Enttäuschung und Verärgerung von Evies Mutter, die über diesen Entschluss noch heute die Augen verdrehte und ihrem Ehemann mit Vorwürfen in den Ohren lag, er kümmere sich zu wenig um ihre Zukunft und um ihre Stellung in der Gesellschaft.

Evie schlüpfte ins Arbeitszimmer und schloss die Tür. »Du wolltest seine Medaillen anschauen? Aber die hast du doch bestimmt schon gesehen.«

Sie wusste sehr wohl, dass Lucas schon einmal im Arbeitszimmer des Vaters gewesen war. Hier hatten sie sich unterhalten, als die Verbindung beschlossen worden war; als Evies Vater seine Einwilligung gegeben hatte.

»Das habe ich«, Lucas lächelte lässig, »aber in Gegenwart deines Vaters schien es mir nicht angemessen, sie mir genauer anzusehen. Dein Vater ist ein bescheidener Mann.« Er sprach ruhig, aber Evie spürte, dass er nicht wirklich entspannt war. Ganz und gar nicht. Und das ermutigte sie. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie das Gefühl, dass sie sagen konnte, was sie dachte. Lucas war irgendwo, wo er nicht sein sollte, und das wusste er, und sie war entschlossen, diesen Vorteil zu nutzen.

»Was ist mit Raffy?« Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihm direkt in die Augen.

»Er ist krank«, antwortete Lucas gleichmütig. »Eine ansteckende Krankheit.«

»Die muss aber sehr plötzlich ausgebrochen sein«, erwiderte Evie und wunderte sich, wie furchtlos sie klang, wie unangemessen ihr Ton war und ihre Fragen. Doch sie erkannte auch, dass sie mit Lucas längst darüber hinaus war, was angemessen war und was nicht. Er hatte sie durchschaut und sie konnte endlich sie selbst sein.

»So ist es«, meinte er und erwiderte ihren Blick, als wollte er sie herausfordern, ihn auszufragen; ihm vorzuwerfen, dass er log und dass er alles tat, um Raffy von ihr fernzuhalten.

Evie legte sich gerade den richtigen Satz zurecht, um genau das zu tun, als sie beide durch das Geräusch von Schritten aufgeschreckt wurden. Zu Evies Verwunderung glomm auch in Lucas’ Blick kurz ein Funke von Furcht auf. Beide drehten sich zur Tür und Evies Vater erschien. Er sah bestürzt aus, dass sie hier in seinem Arbeitszimmer waren, und ihm fehlten im ersten Moment die Worte. Das Arbeitszimmer war sein Reich, sein Reich ganz allein. Evie und ihre Mutter kamen nur herein, wenn er zu Hause war, und auch dann nur mit seiner Erlaubnis.

»Lucas wollte mich etwas fragen. Etwas sehr Persönliches. Etwas Wichtiges«, sagte Evie schnell und schämte sich sofort dafür, wie leicht ihr die Lüge über die Lippen gekommen war. »Ich wollte nicht, dass wir im Wohnzimmer gestört werden … von Mutter …«

Ihre Blicke trafen sich, und als er ihre bedeutungsvolle Miene sah, blitzte Verständnis in seinen Augen auf. »Natürlich«, unterbrach ihr Vater sie lächelnd und sah von ihr zu Lucas und wieder zurück. Er hatte die Schlussfolgerung gezogen, die Evie erhofft hatte. »Entschuldigt bitte. Ich bin in der Küche, wenn ihr mich braucht.«

Er lächelte ihr noch kurz zu, dann ging er. Lucas sah Evie fragend an, schloss eine Sekunde lang die Augen und öffnete sie wieder. »Ich danke dir, Evie. Es war richtig, durchblicken zu lassen, dass wir über persönliche Dinge gesprochen haben. Sonst hätte dein Vater vielleicht falsche Schlüsse gezogen.«

»Das hätte er vielleicht«, entgegnete Evie. »Aber falsche Schlüsse hat er trotzdem gezogen, oder? Er denkt, du setzt das Datum für unsere Hochzeit fest.«

»Das mag wohl sein, ja«, meinte Lucas vorsichtig.

Evie wollte ihn schütteln, ihn anschreien, um ihn zu irgendeiner Reaktion zu bewegen. Aber sie wusste, dass er zu so etwas nicht fähig war. Wie Raffy gesagt hatte – er war eine Maschine. Ein seltsamer, gefühlloser Maschinenmensch. Also würde sie sich auf das konzentrieren, was wichtig war: darauf, warum sie ihren Vater angelogen hatte.

»Sag mir die Wahrheit über Raffy«, verlangte sie. »Was hast du mit ihm gemacht? Er ist nicht krank. Ich weiß, dass er nicht krank ist. Sag es mir, oder ich erzähle meinem Vater, dass du hier herumgeschnüffelt hast. Spionierst du ihm nach? Dann verschwendest du deine Zeit. Er ist ein guter Mensch. Mein Vater ist Schlüsselhüter.«

Lucas ging auf sie zu, bis sie nur noch ein kleines Stück voneinander entfernt waren. Evie konnte keine Spur von Angst mehr in seinen Augen sehen; da war wieder nichts als Blau. »Ich weiß, dass dein Vater ein guter Mensch ist. Deshalb hat er auch so viele Medaillen. Und deswegen bin ich auch hier, wenn du dich erinnerst. Ich schnüffle nicht herum, ich bewundere nur seine Medaillen«, sagte er sanft. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass er allzu beunruhigt ist. Ich habe vielleicht meine guten Manieren vergessen, vielleicht gegen eine Benimmregel verstoßen, aber ich glaube, dein Vater würde das verstehen. Ob er auch so viel Verständnis dafür hätte, dass du nächtliche Besuche von meinem Bruder bekommst, ist etwas ganz anderes.«

Sie trat einen Schritt zurück. Sie zitterte. Sie hatte sich so stark gefühlt, so schlau, und jetzt war das alles wie weggeblasen, schon beim ersten Windhauch. Sie sah zu Lucas auf und wusste, dass sie ihn mehr hasste, als sie je für möglich gehalten hätte, dass man jemanden hassen könnte, auch wenn er ein A war. Gerade weil er ein A war. As sollten doch gute Menschen sein – die besten Menschen –, aber Lucas … Sie atmete tief aus. Raffy hatte recht. Die Stadt war verdreht. Oder, was wahrscheinlicher war, sie selbst war verdreht. Jedenfalls war sie sich sicher, dass sie sich unter lauter Ds bedeutend wohler fühlen würde.

»Du musst meinem Vater irgendetwas sagen«, meinte sie und wandte sich ab. Sie hatte verloren, aber sie war entschlossen, es sich nicht anmerken zu lassen. »Er erwartet es.«

»Ich werde ihm erklären, dass diese Dinge Zeit brauchen«, stimmte er zu und ging zur Tür. »Danke, Evie. Wir müssen das wieder tun.«

Und mit diesen Worten verließ er das Arbeitszimmer. Sie hörte, dass er noch kurz mit ihren Eltern sprach, dann war er fort.

»Hattet ihr ein gutes Gespräch?«, fragte ihr Vater. Evie fuhr zusammen vor Schreck, als er zurück ins Arbeitszimmer kam.

Evie nickte, weil sie ihrer Stimme nicht traute.

»Gut«, antwortete er. »Aber nächstes Mal nicht in meinem Arbeitszimmer, Evie. Lucas gehört noch nicht zur Familie.«

»Ja, Vater. Es tut mir leid.« Sie sah zu Boden und ging dann langsam und schwerfällig die Treppe hinauf und ins Bett.


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