16.

Der Abend dämmerte schon, als sie die Ebene hinter sich hatten. Die Sonne hockte wie ein gewaltiges, loderndes böses Auge über dem Horizont und überschüttete das Land mit flüssigem Gold und der Illusion von Wärme, und über den zerschrundenen Gipfeln der Berge führten Elmsfeuer einen stummen wirbelnden Tanz auf wie kleine, glühende Feen, die die Ankunft der Nacht begrüßen. Der Wind war noch kälter als an den Tagen zuvor, und in seinem Heulen und Wimmern schwangen geheimnisvolle Worte mit; und ein Lachen, ebenso fremd wie bösartig.

Zwanzig Meilen, dachte Skar. Vielleicht ein paar mehr, vielleicht weniger. Aber Gowennas Schätzung war annähernd richtig gewesen. Kein Wunder, bedachte man, daß die Schätzung keine Schätzung war. Fünfzigtausend Schritte, von denen sie jeder einzelne tiefer in diese weiße, kälteklirrende Hölle hineingeführt hatte.

Sie waren noch zweiundvierzig, als sie sich über die ersten vereisten Buckel quälten und auf die zerrissenen Flanken der Berge zuwankten. Waren es überhaupt Berge? Skar blieb stehen, legte den Kopf in den Nacken und hob schützend die Hand über die Augen, als ihn das rote Licht der untergehenden Sonne, von den vereisten Felsen wie von einem gewaltigen, vielfach gebrochenen Spiegel reflektiert und verstärkt, blendete. Die dunklen, von glitzerndem Eis wie von einem schimmernden Panzer eingehüllten Mauern zogen sich in beide Richtungen bis zum Horizont dahin, einer imaginären Linie folgend, die die Insel in zwei Hälften teilte. Ihre Konturen schienen ihm fast zu regelmäßig, zerschrunden und rissig zwar, aber trotzdem einer eigenen, schwer zu fassenden Geometrie folgend. Das Bild verschwamm vor seinen Augen, als er einige Sekunden hingesehen hatte.

Er drehte sich um, zum vielleicht hundertsten Male, seit sie losmarschiert waren, und ließ den Blick über die zerrissene Linie grauer Gestalten streifen, die hinter ihm über das Eis wankten. Sie hatten einen hohen Preis gezahlt. Achtzehn von ihnen waren tot; zwei in einem Schlaf, aus dem sie nicht wieder aufwachen würden, in der Ruine draußen auf dem Eis zurückgeblieben, die übrigen einer nach dem anderen unterwegs zusammengebrochen.

Einer pro Meile, dachte er. Aber vielleicht war das auch der Tribut, den sie diesem Land zollen mußten, den es dafür forderte, von etwas Lebendem besudelt zu werden.

Der Gedanke ließ ihn nicht mehr los, auch nicht, als er weiterging und das Gelände schwieriger wurde. Die Mauer, die die Welt vor ihnen begrenzte, war nicht sehr hoch. Siebzig, an manchen Stellen vielleicht hundert Fuß, da und dort auch weniger als die Hälfte, nicht viel höher als ein normaler, von Menschen geschaffener Festungswall, aber das Eis schliff jeden Vorsprung und jede Kante glatt, machte aus sanft ansteigenden Hängen unübersteigbare, tödliche Rutschbahnen und ließ kaum meterhohe Hindernisse zu unüberwindlichen Barrieren werden, die sie immer wieder zu Umwegen oder ebenso kräftezehrenden wie gefährlichen Klettereien zwangen. Es wurde dunkler, und gleichzeitig fiel die Temperatur weiter. Der Wind nahm zu wie am Abend vorher, und die Luft roch durchdringend nach Schnee. Die Sturmböen brachen sich heulend an den Felsen, und selbst dieses Geräusch klang kalt.

Jemand berührte ihn an der Schulter. Er blieb stehen, drehte sich um und starrte in das eingefallene graue Gesicht unter der Kapuze. Helth. Er war während des gesamten Marsches in seiner Nähe geblieben. »Sie sind immer noch da«, murmelte er.

Skar blickte nach Westen. Natürlich sah er die Gestalten nicht. Die Dunkelheit hatte sie vollends verschluckt, und er hätte sie selbst mit seinem Fernrohr jetzt nicht mehr ausmachen können. Aber er wußte, daß sie da waren. Er fühlte ihre Anwesenheit wie einen üblen, durchdringenden Hauch. Es war das Böse. Etwas, das dem Ding in seinem Inneren mehr verwandt war, als er zugeben wollte. Es war, als schrie etwas in seiner Seele diesen weißen, eisgepanzerten Gestalten eine stumme Herausforderung entgegen. Oder ein Willkommen.

»Und?« fragte er. Seine Lippen waren taub vor Kälte, und seine eigene Stimme kam ihm fremd vor.

»Wir müssen etwas tun«, fuhr Helth fort. Seine Finger spielten nervös mit dem Ende seines Gürtels, und seine Stimme klang nicht mehr wie die eines stolzen Veden. Er war endgültig zu dem geworden, was er eigentlich die ganze Zeit über gewesen war. Ein Kind, dachte Skar, das einen Erwachsenen um Hilfe bittet.

»Vielleicht finden wir hier irgendwo eine Höhle oder einen Felsvorsprung, der uns Schutz gewährt«, wollte ihn Skar beruhigen. »Ein paar Stunden Schlaf werden den Männern guttun.« Er versuchte zu lächeln, aber die Kälte hatte sein Gesicht gelähmt und machte eine Grimasse daraus.

»Die Männer werden sie sehen, wenn die Sonne aufgeht«, beharrte Helth, als hätte er seine Worte gar nicht gehört. »Wir müssen etwas tun, Skar.«

»Sie sind Meilen hinter uns«, antwortete Skar widerwillig. »Niemand wird sie sehen. Und wir können nichts tun.«

»Wir müssen sie vernichten.«

Skar schüttelte den Kopf. Der Unterton in Helth' Stimme warnte ihn, aber er war viel zu müde, um noch mehr als ein paar Worte zu sprechen. »Es geht nicht.«

Helth starrte fast eine Minute lang im schwächer werdenden Licht nach Westen, und fuhr dann mit einer abrupten Bewegung herum, als hätten Skars Worte so lange gebraucht, ihn zu erreichen.

»Und warum nicht? Sie werden uns folgen. Wenn wir ihnen einen Hinterhalt legen...«

»Und fünf oder zehn Männer in einem Kampf verlieren, der vollkommen sinnlos ist«, fiel ihm Skar ins Wort. »Sei vernünftig, Helth. Was deine Männer brauchen, ist Ruhe, Schlaf und ein wenig Wärme. Wir suchen uns eine Höhle oder eine windgeschützte Schlucht, und Del und ich werden, abwechselnd Wache halten.«

Aber es ist doch gar nicht die Kälte, die sie tötet, flüsterte es in ihm. Du weißt es doch schon lange. Warum willst du es nicht zugeben ? Es ist dieses Land, das sie umbringt. Laß sie schlafen, und die Hälfte von ihnen wird nicht mehr erwachen.

»Vielleicht wäre das besser«, flüsterte Skar.

Helth sah verwirrt auf. »Was?«

Skar schüttelte hastig den Kopf und nahm dem Veden das Fernrohr aus der Hand. »Nichts«, sagte er in bewußt beiläufigem Tonfall. »Ich führe Selbstgespräche. Das kommt vor, wenn man alt wird.« Er setzte das Glas an und sah zur Küste zurück. Das Meer war noch immer zu erkennen, wenn auch nur als dünne graue Linie vor dem allmählich verblassenden Rosa des Sonnenunterganges. Die lodernde Glut über dem See war erloschen. Vom Dronte war keine Spur mehr zu sehen. Er schob das Glas wieder zusammen, gab es Helth zurück und schloß für einen Moment die Augen. Sein Herz pochte, und die Geräusche des Windes steigerten sich in seinen Ohren für einen Moment zu einem höhnischen, bösen Lachen. Was ist das? dachte er erschrocken. Werde ich allmählich verrückt? Es war keine Einbildung. Es war dieses Land. Es saugte das Leben aus ihnen heraus. Es war tot, und es tötete jeden, der sich in ihm aufhielt.

Helth schüttelte auch diesmal den Kopf, als hätte Skar den Gedanken laut ausgesprochen, lächelte traurig und ging weiter. Seine Gestalt verschmolz mit den tanzenden Schatten der Dämmerung.

Auch Skar löste sich nach kurzem Zögern von seinem Platz und schleppte sich weiter. Das Eis knirschte unter seinen Stiefeln, und tief unter dem milchigen Weiß glaubte er die Konturen von Gebäuden und Straßen zu erkennen, obwohl das Licht dazu nicht ausgereicht hätte, selbst wenn es so gewesen wäre, glaubte für einen Moment, das dumpfe Raunen von Stimmen zu hören, Lachen, Schreien, Rufen, die Geräusche der Wesen, die einmal hier gelebt hatten, bevor der Tod seine weiße Hand über dieses Land legte. Dels Worte fielen ihm ein: wenn sie jemals gelebt hatten.

»Das habe ich nicht gemeint, Satai«, sagte Helth plötzlich. Skar sah, beinahe erschrocken, auf und bemerkte erst jetzt, daß der Vede erneut stehengeblieben war und auf ihn wartete. Jetzt knüpfte er an seine letzten Worte an, als wäre dazwischen niemals eine Pause gewesen. »Sie brauchen Schlaf und Wärme, aber was sie noch dringender brauchen, sind ein paar Worte von dir.«

»Ein paar Worte«, wiederholte er tonlos. Noch ein paar Lügen? Wieder glitt sein Blick an der senkrechten schwarzen Wand vor ihnen empor, und wieder fragte er sich, ob es wirklich Berge waren, und wenn, ob sie nicht nur die Gipfel eines gewaltigen, zerklüfteten Gebirges sahen, die Häupter mächtiger steinerner Riesen, deren Leiber unter einer vielleicht meilenhohen Eisschicht begraben lagen. Da und dort glaubte er eine Linie zu erkennen, die zu gerade, eine Kante, die zu stark geglättet, eine Rundung, die zu perfekt war.

Helth schwieg, wich aber nicht mehr von seiner Seite. Sie schleppten sich weiter, tiefer in die zerrissenen Flanken der Eisbarriere hinein und gleichzeitig höher. Der Wind gewann an Kraft, als es später wurde, und die Dämmerung schien endlos zu dauern. Das Eis fing das schwache Licht der Sonne auf und reflektierte es, so daß es aussah, als lodere das Land in dunkler, roter Glut. Die Felsen wurden nach und nach zu gewaltigen finsteren Schatten, den Mauern eines tödlichen Labyrinths, aus denen sie keinen Ausweg mehr finden würden, und die Dunkelheit ließ Spalten und Risse, denen sie noch vor wenigen Augenblicken hätten ausweichen können, zu todbringenden Fallgruben werden, die warnungslos vor ihnen aufklafften. So wie dieses Land tot war, schienen die Berge plötzlich zu eigenständigem Leben erwacht zu sein: Giganten, die von einem bösen, lauernden Geist beseelt waren, der alles in seiner Macht Stehende tun würde, sie zu vernichten. Irgendwo in der Dunkelheit vor Skar erscholl ein spitzer abgehackter Schrei, gefolgt von einem dumpfen Schlag und einem lang anhaltenden Bersten und Poltern.

Neunzehn, dachte er. Er versuchte vergeblich, die Laute, die er gehört hatte, mit dem Bild eines Menschen in Zusammenhang zu bringen, aber es gelang ihm nicht. Er war abgestumpft, unfähig, noch irgend etwas zu empfinden, und auch das war eine Auswirkung dieses Landes, der Atem des Todes, der wie eine drückende Last über allem lag. Er tötete die Sinne. Erst die Gefühle, die Empfindungen, dann würde er vielleicht aufhören, Schmerzen zu fühlen. Zum Schluß würde seine Seele sterben und dann, kurz danach, sein Körper. Alles wurde irreal, verschwamm, und für einen kurzen Moment hatte er Mühe, sich darauf zu besinnen, wo er war.

Jemand berührte ihn an der Schulter, und er wußte, noch bevor er den Kopf wandte, daß es Del war. Wie Helth war der junge Satai den ganzen Tag über nicht aus seiner Nähe gewichen, hatte sich aber trotzdem im Hintergrund gehalten.

»Du bist krank, Skar«, sagte Del sanft.

Skar schlug seine Hand mit einer übertrieben heftigen Bewegung zur Seite und zog eine Grimasse. »Das bin ich nicht«, verneinte er rauh. Seine Stimme zitterte.

»Du brauchst Ruhe«, widersprach Del, ohne seine Worte zu beachten. »Du bist nicht so stark, wie du glaubst. Nicht mehr.«

Es fiel Skar schwer, Dels Worten zu folgen. Wieder begann das Bild vor seinen Augen zu verschwimmen, und er mußte sich an der Schulter des jungen Satai festhalten, um nicht auf dem glatten Boden das Gleichgewicht zu verlieren und zu stürzen. Del hob die Hand und berührte ihn im Gesicht. »Du hast Fieber«, stellte er fest. Seine Finger fühlten sich kühl und trocken an; wie Schlangenhaut. Es waren nicht Dels Finger, die nicht in Ordnung waren, sondern er. Aber die Berührung gab ihm auch Kraft, beinahe, als hätte Del ihm damit etwas von seiner Jugend und Stärke übertragen.

»Einer der Freisegler hat eine Höhle entdeckt«, sagte Del. »Wir können die Nacht dort verbringen.«

Skar nickte stumm. Er hatte nicht mehr die Kraft zu widersprechen. Del ergriff ihn am Arm und führte ihn mit sanftem Druck neben sich her.

Sie bewegten sich tiefer in den Schatten der Berge hinein, wichen ein Stück von ihrem bisherigen Kurs ab und betraten eine schmale, mit Geröll und Eistrümmern angefüllte Schlucht. Meilen entfernt, wie es Skar vorkam, glomm das trübe Licht einer Fackel. In ihrem Schein war der Eingang einer Höhle zu erkennen.

Skar befreite sich aus Dels Griff und ging die letzten Schritte aus eigener Kraft. Er war kaum in der Position, sich noch Stolz leisten zu können, aber er wollte nicht, daß die Freisegler sahen, wie schwach er wirklich war. Manchmal, dachte er bitter, war es nicht leicht, ein Vorbild sein zu müssen.

Vorsichtig ging er zwischen den kreuz und quer daliegenden Felsen hindurch, stieg, die Arme wie ein Seiltänzer ausgebreitet, um das Gleichgewicht zu halten, über titanische Eisschollen, die wie Glas vom Himmel gestürzt waren, und bückte sich, um in die Höhle hineinsehen zu können.

Im ersten Moment sah er nichts. Die einzelne Fackel, die einer der Männer entzündet und in einen Riß direkt neben dem Eingang gesteckt hatte, spendete kaum genug Licht, um mehr als vage Schatten erkennen zu können, und aus der Tiefe der Höhle wogte Dunkelheit wie eine körperlose schwarze Welle heran. Skar richtete sich auf, sah zurück und lehnte sich gegen die Wand, um seine Schwäche zu verbergen. Die Männer schleppten sich in einer weit auseinandergezogenen Kette an ihm vorbei und verschwanden gebückt oder auf Händen und Knien kriechend im Inneren des Berges.

Das Schwindelgefühl in seinem Kopf verging allmählich. Der Schwächeanfall war vorüber, aber Skar wußte, daß er wiederkommen würde. Das, was er gespürt hatte, war eine erste Warnung gewesen, mehr nicht; ein erstes, noch zaghaftes Anklopfen der Erschöpfung. Einen weiteren Tag würde er nicht durchstehen, er nicht und die anderen auch nicht. Nicht einmal Del. Die Entscheidung würde morgen fallen, so oder so.

Er wartete, bis der letzte Mann die Höhle betreten hatte, ließ sich dann auf Hände und Knie sinken und kroch ebenfalls durch den Eingang. Der Fels war sehr dick; sieben, vielleicht acht Meter; der Höhleneingang war eher ein Tunnel. Er kroch bis zum Ende des Stollens, richtete sich auf, hielt sich mit der Linken an der Wand fest und sah sich im flackernden roten Licht der Fackel um. Selbst hier, im Inneren des Berges, war überall Eis. Aber es war spürbar wärmer als draußen, und sie fanden Schutz vor dem Wind. Die meisten Männer schliefen bereits. Ein paar saßen in kleinen Gruppen zusammen und aßen, hier und da hörte er Fetzen eines Gespräches, und als er, behutsam zwischen den kreuz und quer daliegenden Männern hindurchgehend, tiefer in das niedrige steinerne Gewölbe eindrang, glaubte er fast so etwas wie Gesang zu hören. Aber es waren nur die Laute der Schlafenden: Atemzüge, ein gedämpftes Stöhnen und Raunen, Laute, die sich in seiner Phantasie zu einem düsteren Todesgesang vereinten.

Er entdeckte Gowenna allein im Hintergrund der Höhle und arbeitete sich gebückt zu ihr durch. Die Decke war hier so niedrig, daß er vornübergebeugt gehen mußte und selbst dann noch gegen den Fels stieß. Eisige Luft wehte aus dem dunklen Teil der Höhle zu ihnen heraus. Die Katakomben mußten gewaltig sein. Der Fels knisterte über seinem Kopf, als würde er leben, und irgendwo weiter hinten löste sich etwas mit dumpfem Poltern von der Decke und fiel zu Boden. Er setzte sich, griff wortlos nach dem Beutel mit Gowennas Vorräten und nahm eine Handvoll der bitter schmeckenden Caba-Nüsse hervor. Ihre Schalen zersprangen wie sprödes Glas, als er die Faust darum schloß. Das Fruchtfleisch erschien ihm bitterer als sonst und so salzig, daß er beinahe augenblicklich Durst bekam.

Gowenna hockte auf einem Felsen, die Ellbogen auf den Knien abgestützt und das Haar wie einen verfilzten schwarzen Schleier vor dem Gesicht hängend. Auch sie war sichtlich am Ende ihrer Kräfte. Der Anblick erfüllte Skar beinahe mit Zufriedenheit. Er hatte schon angefangen zu glauben, daß diese Frau überhaupt keine Erschöpfung kannte.

Er kaute, langsam und sorgfältig, spülte mit einem Schluck geschmacklosem, von winzigen schwebenden Eisklümpchen durchsetztem Wasser nach, nahm sich eine weitere Handvoll Nüsse. Sie hatten nichts anderes. Die Laderäume der SHAROKAAN waren voll gewesen mit Lebensmitteln, aber sie durften trotzdem nur diese Nüsse mitnehmen. Die hartschaligen braunen Früchte waren unglaublich nahrhaft, und ein Mann vermochte von der Menge, die er problemlos tragen konnte, mehrere Wochen zu leben. Aber sie trockneten den Körper auch aus. Wenn man wie sie ausschließlich davon lebte, litt man praktisch ununterbrochen unter Durst.

»Warum schläfst du nicht?« fragte er nach einer Weile.

Gowenna sah auf, strich sich das Haar aus der Stirn und sah an ihm vorbei zu den reglos daliegenden Männern hinüber. Von Del und Vela war keine Spur zu sehen; Helth hockte mit angezogenen Knien auf der anderen Seite der Höhle, nicht inmitten seiner Männer, wie Skar erwartet hatte, sondern allein. Er wirkte sehr einsam. Seine Haltung war verkrampft, und wieder fragte sich Skar, ob er Schmerzen hatte. »Wir sollten Wachen aufstellen«, schlug Gowenna vor, seine Frage ignorierend. »Und vielleicht eine Patrouille aussenden.«

Skar lachte leise. »Hat dich Helth jetzt schon angesteckt?« fragte er. »Aber du hast recht - ich werde das Heer bei Sonnenaufgang antreten lassen. Die Reiterei in der Mitte und an den Flanken die Fußtruppen. Das beste wird sein, wir schicken zusätzlich tausend Bogenschützen auf die Berge hinauf.« Er brach ab, zerknackte eine Nuß und spielte einen Moment mit der Schale. »Du solltest schlafen. Del und ich werden abwechselnd wachen.«

Gowenna schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht müde«, behauptete sie.

Skar lachte rauh. »Man sieht es. Du siehst aus wie das blühende Leben. Warum läufst du nicht ein paarmal um den Berg herum, um deine überschüssigen Energien loszuwerden?«

»Und du?« fragte Gowenna dagegen. »Warum schläfst du nicht? Glaubst du immer noch, du müßtest auf mich aufpassen?« Skar verzichtete auf eine Antwort, und Gowenna fuhr erregt fort: »Du mißtraust mir noch immer, wie? Was soll ich noch tun? Ich habe dir gesagt, was ich weiß.«

Das stimmte. Skar wußte, daß Gowenna ihm die Wahrheit gesagt hatte, was den Dronte und diese Insel hier anging. Aber gleichzeitig wußte er auch, daß sie ihm etwas verschwieg. Sie hatte ihm ein kleines Geheimnis verraten, um von einem großen abzulenken; ein uralter Kunstgriff. Und sie gab sich nicht einmal sonderliche Mühe, sehr überzeugend zu wirken. Eigentlich hätte er zornig sein müssen. »Die Berge sind unwegsam«, sagte Gowenna plötzlich. »Vielleicht können wir diese Kreaturen irgendwie abschütteln. In die Irre führen.«

Die Sprunghaftigkeit ihrer Gedanken überraschte Skar kaum mehr. Sie waren alle zu erschöpft, um sich noch mit Überflüssigem zu belasten. Sie hatte keine Kraft mehr für wohlklingende Worte und gedrechselte Überleitungen.

»Wir könnten ihnen einen Hinterhalt legen«, murmelte Skar, obwohl er so gut wie sie wußte, wie unsinnig dieser Vorschlag war. Die Wesen, gegen die sie kämpften, waren keine Menschen.

Er lehnte sich zurück an die kalte Felswand und schwieg einen Moment. Die Dunkelheit schien sich zu vertiefen, während er so dalag und die Decke anstarrte. Es war, als kröche das Licht der Fackel Schritt für Schritt zurück, verlöre den Boden, den es gewonnen hatte, ganz langsam wieder an die vorrückende Finsternis. Müde drehte er den Kopf und sah nach hinten, in den dunklen Teil der Höhle. Er hätte nachsehen müssen, was dort war, fühlte sich aber zu müde dazu. Und er spürte, daß keine Gefahr bestand. Es gab auf dieser Insel nichts Lebendes, nichts außer ihm, Vela und Gowenna und diesen Männern. Vielleicht war es das erste Mal seit Äonen, daß lebende Wesen ihren Fuß auf das Eis dieser bizarren weißen Welt gesetzt hatten.

»Dein Auftritt vorhin«, fragte Gowenna nach einer Weile. »Was sollte das?«

»Was meinst du?« murmelte Skar. Ohne daß er es gemerkt hatte, war er halbwegs eingeschlafen. Er gähnte, stemmte sich auf die Ellbogen hoch und fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen.

Gowenna lächelte. »Die flammende Rede, die du Helth gehalten hast«, erklärte sie. »Ich gebe zu, daß sie eindrucksvoll war - aber warum?«

»Warum? Nun -« Skar blinzelte, schwieg einen Moment und schüttelte den Kopf. Warum. Wie sollte er es ihr erklären? Wie sollte er ihr klarmachen, daß diese Worte weniger Helth oder Del oder gar den Freiseglern gegolten hatten, sondern mehr sich selbst? Gowennas Frage war eine deutliche Warnung: Er begann, sein Handeln von Dingen bestimmen zu lassen, von denen weder sie noch einer der anderen wissen konnte.

»Mir war gerade nach einem kleinen dramatischen Auftritt«, murmelte er.

»Und das ist der ganze Grund?« Sie sah ihn scharf an.

»Sollte es einen anderen geben?«

Gowenna setzte dazu an, etwas zu sagen. Aber sie tat es nicht. Ihre Hand fuhr in einer unbewußten, raschen Bewegung über ihr Haar. Skar fiel auf, daß eine dreifingerbreite Strähne über dem verbrannten Teil ihres Gesichtes weiß geworden war, und er versuchte sich zu erinnern, wie lange es schon so war. Es gelang ihm nicht.

»Was tun wir hier eigentlich?« fragte er leise.

Gowenna sah auf. »Wir versuchen zu überleben, Skar.«

»Das meine ich nicht.« Er überlegte, ob er überhaupt weitersprechen sollte, lächelte unsicher und setzte sich vollends auf. »Dieser ganze Kampf, diese...« Er zögerte. »Auseinandersetzung? Ist es das?«

»Ich glaube nicht, daß ich verstehe, was du meinst«, sagte Gowenna leise.

»Ich wäre froh, wenn ich es selbst wüßte«, gestand Skar. »Ich frage mich, welcher Sinn dahintersteckt. Du und ich, wir... wir gehören zusammen, Gowenna.«

Ihre Miene verfinsterte sich. »Fang nicht schon wieder an, Skar«, bat sie. »Es ist vorbei.«

Skar schüttelte den Kopf und legte die Hand auf ihre Schulter. Sie streifte sie ab. »Das meine ich nicht, Gowenna. Es gibt etwas, das uns verbindet, und ich glaube, du weißt das ebensogut wie ich. Etwas, das schon bestand, bevor wir uns kannten. Glaubst du wirklich, daß es Zufall war, daß Vela ausgerechnet dich ausgewählt hat, um ihre Vertraute zu sein?«

Gowenna antwortete nicht. Skars Worte schienen sie nicht einmal zu überraschen.

»Warum sind wir nicht ehrlich zueinander?« fragte er leise.

»Ehrlich?« Gowenna lächelte. »Was würde das nutzen, Skar? Du würdest mir nicht glauben, wenn ich es wäre.«

»Versuche es.«

»Wer sagt dir, daß ich es nicht bin?« antwortete Gowenna. Plötzlich schüttelte sie den Kopf, rückte ein Stück näher an ihn heran und berührte ihn ihrerseits am Arm. Ihr Griff war warm und fest. Stark wie der eines Mannes. »Was muß noch geschehen, bis du begreifst, daß ich nicht dein Feind bin, Skar? Du hast es selbst gesagt - wir gehören zusammen. Nicht als Mann und Frau. Das haben wir versucht, aber ich glaube nicht, daß ein zweiter Versuch viel Sinn hätte. Er... würde uns nur weh tun, uns beiden. Aber wir stehen auf der gleichen Seite.«

»Wirklich?«

Sie nickte.

»Warum bist du dann nicht endlich ehrlich zu mir?« fragte Skar. »So wie du zu mir?«

Skar lächelte bitter. »Ich habe dir gesagt, daß ich dir nicht traue.«

»Sicher - wenn du das mit dem Wort Ehrlichkeit bezeichnest...« Sie zuckte mit den Achseln und zog die Hand zurück. Plötzlich mußte Skar mit aller Gewalt gegen den Impuls angehen, sie an sich zu reißen und festzuhalten. »Du warst in Elay«, fuhr Gowenna fort. »Du hast die Verbotene Stadt gesehen, und du hast ihre Macht gespürt, Skar. Du hast die Margoi gesprochen.« Das hatte er. Er war der Frau begegnet, die Vela auf dem Thron, den sie sich für wenige Wochen angeeignet hatte, gefolgt war, und obwohl es nur wenige Augenblicke gewesen waren und er nicht einmal ihr Gesicht gesehen hatte, war etwas in ihm vor der Ausstrahlung dieser Frau zurückgeschreckt. Es war... ja, jetzt, als er Gowenna so dicht wie selten zuvor in den letzten Monaten gegenübersaß und an die Margoi dachte, spürte er es deutlich: Es war das gleiche Gefühl gewesen, das er in ihrer Nähe hatte, nur ungleich stärker. »Glaubst du wirklich, ich könnte sie betrügen?« fuhr Gowenna fort. »Ich könnte dich betrügen, Del - vielleicht sogar die Sumpfleute, obwohl ich mir da nicht sicher bin. Aber sie nicht. Ich bin in ihrem Auftrag hier, und was ich tue, entspricht ihrem Willen. Sie vertraut mir, Skar.«

»Entspricht es auch dem Willen der Margoi, daß du Vela quälst?«

»Tue ich das?« Sie drehte den Kopf und sah in die Richtung, in der Vela irgendwo in der Dunkelheit lag und schlief.

Skar machte eine unwillige Geste. »Spiel nicht mit mir«, sagte er. »Du hast es getan.«

»Vielleicht hat es so ausgesehen, in deinen Augen, aber...«

»Dann sag endlich die Wahrheit!« unterbrach Skar sie zornig. »Verdammt, Gowenna, wir werden wahrscheinlich sterben, wir alle. Keiner von uns hat noch die Kraft, einen weiteren Tag in dieser Hölle durchzustehen. Sag mir, was hinter diesen Bergen auf uns wartet. Du weißt es.«

»Ich... kann es nicht«, murmelte Gowenna. »Ich... es geht nicht. Ich kann dich nur bitten, mir zu vertrauen.«

»Ist es das Kind?« fragte Skar. Er sah, wie Gowenna unter seinen Worten wie unter einem Hieb zusammenzuckte. »Ist es das?«

»Du -«

»Ich habe es dir nie gesagt«, fuhr er fort, »aber Vela hat mir von diesem Kind erzählt. Sie sagte, es würde meine Macht erben, und es würde hundertmal stärker sein als ich. Ich habe ihren Worten damals keine Bedeutung zugemessen, aber vielleicht hätte ich es tun sollen. Ist es das?«

»Nein«, sagte Gowenna. Sie sprach ein wenig zu laut und ein wenig zu hastig, als daß er ihr glaubte.

»Wenn es so ist, wäre es besser, wir würden zusammenhalten, statt uns zu bekämpfen«, fuhr er ungerührt fort. »Es wird nämlich sterben, wenn nicht ein Wunder geschieht.«

»Vielleicht wäre es das beste«, murmelte Gowenna. Sie sah auf. Ihr Gesicht wirkte mit einem Mal maskenhaft und starr, und er wußte, daß seine Worte ihren Widerstand eher noch gestärkt hatten. »Du hast recht, Skar«, pflichtete sie ihm bei, plötzlich wieder ganz ruhig. »Die Männer halten keinen weiteren Tag durch, und auch wir nicht. Die Entscheidung wird morgen fallen. Deshalb solltest du versuchen zu schlafen. Ich gebe dir mein Wort, daß ich mich Vela nicht einmal nähern werde.«

Sie sprach nicht weiter, und nach einer Weile ließ sich Skar wieder zurücksinken und starrte von neuem die niedrige, feuchtglitzernde Decke an. Schatten und die Illusion von Wärme begannen ihn einzulullen. Er wehrte sich nicht dagegen, obwohl er Angst hatte einzuschlafen. Er wußte, daß die Träume wiederkommen würden, Träume, die mehr als normaler Alpdruck waren, eine Botschaft, die er nicht zu interpretieren wußte. Er wußte nicht einmal, ob sie ihm galt oder diesem Ding in ihm.

Trotzdem schlief er ein, aber es war kein richtiger Schlaf, sondern nur ein Dämmern, in dem er alle Geräusche und Bewegungen in seiner Umgebung weiter registrierte und nur sein Körper ruhte.

Irgendwann, nach Stunden, vielleicht auch nur Minuten, rüttelte ihn jemand an der Schulter. Er öffnete widerwillig die Augen und blinzelte in Dels Gesicht.

»Dort draußen ist etwas.«

»Ja«, murmelte Skar verschlafen. »Eis und Schnee und noch mehr Eis. Weck mich, wenn du eine Oase siehst.«

Del verzog verärgert das Gesicht, packte ihn - wesentlich unsanfter als beim ersten Mal - bei den Schultern und riß ihn grob von seinem Lager hoch. Skar streifte seine Hand ab, blieb einen Herzschlag lang benommen sitzen und stemmte sich dann vollends auf die Füße. Die Fackel neben dem Eingang war fast heruntergebrannt. Er mußte vier oder fünf Stunden geruht haben. Nicht viel. Aber es war doch mehr, als er zu hoffen gewagt hatte. Automatisch drehte er den Kopf und sah sich nach Gowenna um. Sie war nicht mehr da, nur ihre Decken lagen noch neben ihm.

Skar zweifelte keine Sekunde an Dels Worten. Aber es fiel ihm seltsam schwer, ihre wahre Bedeutung zu erfassen, und so wenig, wie er bisher wirklich geschlafen hatte, gelang es ihm jetzt, wirklich wach zu werden. Er schüttelte ein paarmal den Kopf, um das taube Gefühl zwischen seinen Schläfen zu vertreiben, hob seinen Mantel auf und ging auf unsicheren Beinen hinter Del zum Ausgang.

Der Himmel war jetzt grau, nicht mehr schwarz, und es konnte nicht mehr lange dauern, bis sich der erste Schimmer der Dämmerung über dem Meer zeigte. Er blieb einen Moment neben der Höhle stehen, nahm eine Handvoll verharschten Schnee auf und fuhr sich damit durch das Gesicht. Die Kälte half ihm, ein wenig klarer zu werden. Aber er fühlte sich noch immer benommen.

»Wo?« fragte er.

Del wies nach vorne, zum Ende der Schlucht, der einzig möglichen Richtung, in der sie sich bewegen konnten. Skar lauschte, hörte aber nichts außer dem ewig gleichbleibenden Geräusch des Windes und dem Hämmern seines eigenen Herzens. Ein vages Gefühl von Furcht begann sich in seiner Seele zu rühren. Es wurde stärker, im gleichen Maße, in dem er die Benommenheit überwand und sich seine Gedanken weiter klärten. Wenn es jetzt soweit war, wenn der Dronte bis zu diesem Moment gewartet hatte, um seine Opfer zu schlagen, dann bestand für sie kaum eine Chance. Die Höhle, in die er die Männer geführt hatte, war nicht nur Schutz. Sie war auch eine Falle. Und trotzdem war er auf eine aberwitzige Art beinahe froh, daß es so kam. Noch vor wenigen Stunden hatten ihn die gleichen Worte, aus Helth' Mund gesprochen, in Zorn versetzt. Aber plötzlich wünschte er sich nichts mehr, als im Kampf zu sterben. Schnell und schmerzlos.

»Gut«, erklärte er. »Du wirst mich begleiten. Wecke Gowenna. Sie und Helth werden hier auf uns warten. Wenn wir bis Sonnenaufgang nicht zurück sind, dann sollen sie ohne uns weiterziehen.«

Del drehte sich wortlos um und verschwand in der Höhle, und Skar wartete geduldig, bis er zurückkam. Der junge Satai hatte das zerbrochene Tschekal, das bisher in der Scheide an seinem Gürtel stak, gegen eine Waffe der Freisegler eingetauscht. Ein Schwert - ein bizarres gekrümmtes Ding mit zwei Schneiden und zahlreichen, wie Widerhaken nach hinten gekrümmten Spitzen. Keine Waffe für einen ehrenhaften Kampf, sondern ein Werkzeug zum Morden und Reißen und Schlachten. Über dem Arm trug er ein zusammengefaltetes Tuch, das Skar erst nach Augenblicken als seinen eigenen Mantel erkannte.

»Ich dachte, daß du das haben wolltest«, sagte Del.

Skar lächelte dankbar. Er warf das schmuddelige Wollcape, das er zum Schutz vor der Kälte übergestreift hatte, zu Boden und schlug sich statt dessen den viel dünneren schwarzen Satai-Umhang um die Schultern. Eine überflüssige und in dieser Umgebung vielleicht sogar alberne Geste, denn das Cape schützte kaum gegen den Wind und noch viel weniger gegen die Kälte. Trotzdem erfüllte es ihn mit einer beinahe kindlichen Freude, das Kleidungsstück nach so langer Zeit wieder auf der Haut zu fühlen.

Vorsichtig löste er die Handlappen, bewegte ein paarmal prüfend die Finger und zog das Schwert aus dem Gürtel. Wie Del hatte er seine Satai-Waffe verloren, und wie Del mußte er sich jetzt mit einem Schwert der Freisegler begnügen: eine schlanke, rapierähnliche Waffe aus gehärtetem Stahl, die gut in der Hand lag und fast nichts wog. Der Griff war trotz der darumgewickelten Lederriemen so kalt, daß es beinahe schmerzte. Er schob die Waffe zurück, schloß die schmale silberne Spange, die seinen Umhang zusammenhielt, und sah Del an. Als sie losgehen wollten, vertrat ihnen eine Gestalt den Weg. Skar fuhr erschrocken zusammen und legte unwillkürlich die Hand auf den Schwertgriff, dann erkannte er Helth. Mit einem hörbaren Seufzer der Erleichterung ließ er die Waffe los. Der Vede mußte die Höhle schon vor ihnen verlassen haben. Er hatte die ganze Zeit reglos irgendwo im Schatten gestanden. Skar spürte Zorn. Er haßte es, belauscht zu werden.

»Was willst du?« fragte er grob.

Helth machte eine vage Geste zum Ende der Schlucht hin. »Ich begleite euch.«

Skar schüttelte unwillig den Kopf. Er sah, daß der Vede seine Waffe umgeschnallt hatte und - wie er - die zerschlissenen, aber warmen Lumpen, die er bisher trug, gegen den schwarzen Zeremonienmantel seiner Kaste eingetauscht hatte. Unwillkürlich fragte er sich, ob er selbst wohl ebenso albern aussehen mochte wie Helth, der Mühe hatte, in dem dünnen Kleidungsstück nicht vor Kälte zu zittern. »Und warum nicht?« fragte Helth finster. »Ich bin so gut wie einer von euch. Gibt es einen Grund, weshalb ich nicht mitkommen könnte? Vielleicht«, fügte er nach einer winzigen Pause hinzu, »etwas, was ich nicht wissen soll?«

»Es gibt viele Gründe, warum du hierbleiben mußt«, erwiderte Skar, und die Stimme in seinen Gedanken fügte hinzu: Sechsunddreißig. Die sechsunddreißig Schwerter, die du brauchst.

»Du wirst hier benötigt. Jemand muß bei den Männern sein, falls uns etwas zustößt«, sagte Del.

Helth schnaubte. »Ich bin kein Kind, Satai, also versuche nicht, mich so zu behandeln. Wenn wir auf einen Gegner treffen, den wir mit vereinten Kräften nicht schlagen können, dann sind die Männer so oder so verloren.«

Skar schwieg einen Moment. »Vielleicht hast du recht«, murmelte er dann.

Del wandte verwundert den Kopf und sah ihn an, schwieg aber. »Welcher von deinen Männern ist der zuverlässigste?« fuhr Skar nach einer Weile fort.

»Sie sind alle zuverlässig. Warum?«

»Wenn du uns begleitest«, sagte Skar langsam, »dann wird auch Gowenna mit uns kommen. Ich lasse sie nicht allein zurück. Einer deiner Männer muß auf Vela achtgeben.«

Helth blinzelte verwundert, ging aber nicht weiter darauf ein. »Wie du meinst«, sagte er. »Dann werde ich eine Wache abstellen, die sich um die Errish kümmert. Und Gowenna holen. Sonst keinen?«

»Sonst keinen«, bestätigte Skar. »Du hast es selbst gesagt - wenn wir auf eine Gefahr stoßen, mit der wir vier nicht fertig werden, dann rettet die Männer ohnehin nichts mehr.«

Helth nickte, ließ sich auf Hände und Knie herab und verschwand kriechend in der Höhle.

Del wartete, bis er außer Hörweite war. »Bist du sicher, daß es klug ist, ihn mitzunehmen?« fragte er.

»Ich bin ziemlich sicher, daß es nicht klug ist«, antwortete er. »Aber ich will einfach keine weitere Kraftprobe mehr. Und mir ist wohler, wenn Gowenna bei uns ist. Was hast du gehört?«

Del hatte Mühe, dem plötzlichen Gedankensprung zu folgen.

»Nicht... viel«, sagte er stockend. »Schritte, aber ich bin nicht sicher. Ein paar Steine sind...« Er brach mitten im Satz ab und runzelte verärgert die Stirn. »Verdammt, muß ich dir erklären, wie man spürt, wenn etwas nicht in Ordnung ist?«

»Nein«, sagte Skar leise. »Das mußt du nicht. Verzeih, Del.« Er drehte sich um, blickte zu dem schmalen Spalt, den sie am Ende der Schlucht erkennen konnten, und wartete ungeduldig auf Helth und Gowenna.

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