18.

In der Höhle herrschte bedrücktes Schweigen, als sie zu den Freiseglern zurückkehrten. Ein halbes Dutzend von ihnen hatte Skars Befehl befolgt und den Durchgang freigehalten, aber die anderen drängten sich in einem kleinen Bereich unmittelbar vor dem Ausgang des steinernen Gewölbes zusammen. Sie fürchteten sich, dem hinteren Teil der Höhle zu nahe zu kommen, und wahrscheinlich fürchteten sie sich auch ebenso vor ihm; vor ihm und Del, vielleicht auch vor Helth. Skar verstand gut, was in den Männern vorging. Er war nicht der einzige, der den Atem des Dronte spürte, das körperlose, unheimliche Ding, das ihnen vom See her gefolgt war und geduldig auf den Moment lauerte an dem es zuschlagen konnte. Im Grunde bewunderte er die Männer der SHAROKAAN sogar - sie waren Seeleute, Männer zwar, welche die harte Welt des offenen Meeres und all ihre Gefahren kannten, aber der Feind, mit dem sie hier konfrontiert wurden, war kein normaler Gegner. Er war verschlagen und todbringend, aber das war es nicht, was diese Männer bis auf den Grund ihrer Seelen erschreckte. Die Meere Enwors waren auch voller Gefahren und unbekannter, tödlicher Geheimnisse, und jeder einzelne von ihnen hatte sein Leben sicher schon ein Dutzend Mal gegen Piraten und Kaperschiffe verteidigen müssen; vielleicht auch gegen Ungeheuer, die Del und er sich nicht einmal vorzustellen vermochten. Aber dies hier war etwas anderes. Hätten sie einem Gegner aus Fleisch und Blut gegenübergestanden, würde sich Skar im Kreis dieser schweigsamen, harten Männer sicher gefühlt haben. Aber die schlimmste Waffe ihres Feindes waren nicht Feuer und Glut des Dronte, auch nicht die blitzenden Klingen der Eiskrieger. Es war seine Fremdartigkeit, die Aura des anderen, Nichtlebenden, die wie ein unsichtbarer Pesthauch über dieser Insel lag und langsam ihre Gedanken vergiftete, zehnmal mehr an ihren Kräften zehrte, als es die Kälte und die Entbehrungen allein gekonnt hätten. Auch Skar selbst spürte es; vielleicht stärker als sie alle. Vielleicht war die körperlose Stimme in ihm nicht sein dunkler Bruder, dieses Erbe der alten Menschen, mit dem er geschlagen war wie mit einem bösen Fluch, sondern nichts als ein Echo, die Antwort seiner eigenen Seele auf den Ruf des Dronte, seine eigene Art, mit der Furcht vor dem Fremden fertig zu werden.

Die Männer wichen zur Seite, als Skar zu seinem Lager ging und sich mit einem erschöpften Seufzen auf die zerschlissenen Decken sinken ließ. Er fror, und er fühlte sich - inmitten dieses immer noch beinahe halben Hunderts Männer - einsam, auf eine quälende, entmutigende Art allein. Die Matrosen gingen einer nach dem anderen wieder zu ihren Plätzen zurück, und Skar fiel plötzlich und mit schmerzhafter Intensität wieder auf, daß sein eigenes Lager ein Stück abseits der anderen war; nicht viel, aber doch so deutlich, daß es kein Zufall mehr sein konnte. Sie wichen vor ihm zurück, aber er spürte, daß es weniger Respekt war, der das Verhalten der Männer bestimmte, sondern vielmehr Furcht. Furcht wovor, dachte er. Vor seinen Händen, mit denen er töten konnte wie sie mit Schwert und Bogen? Kaum. Sie waren noch immer sechsunddreißig, mehr als genug, um auch mit einem Satai fertig zu werden. Oder war es vielleicht so, daß sie keinen Unterschied zwischen ihm und dem Dronte machten, daß er einfach fremd und damit ein Eindringling, vielleicht sogar ein Feind war?

Im Grunde war dies nicht ihr Kampf. Alles, was geschehen war, hatte auf die eine oder andere Weise mit ihm, mit Gowenna oder Vela zu tun. Das Schicksal der Freisegler war entschieden, als der Dronte ihr Schiff verbrannt hatte, und vielleicht war es wirklich so, wie Helth sagte: Er zögerte ihren Tod nur hinaus und verlängerte ihn um seine eigenen Qualen.

Er dachte wieder an Rayan, und er wußte jetzt, daß der Freisegler recht damit tat, ihm das Kommando über seine Männer zu übertragen und nicht Helth; zumindest von seinem Standpunkt aus. Hätte der Vede die Männer geführt, wäre er es gewesen, der sie hierher, ans Ende der Welt und ans Ende jeder Hoffnung brachte, säße er jetzt statt seiner hier und würde ihre Furcht und ihre Ablehnung spüren. Rayan mußte gewußt haben, daß es keine Rettung mehr für sie gab. Und er hatte nicht seinen Sohn, sondern ihn zum Schuldigen gemacht.

Skar sah auf, als Del sich mit überkreuzten Beinen neben ihn auf das Lager sinken ließ und den Kopf gegen die Wand lehnte.

»Was hast du?« fragte der junge Satai. »Du siehst aus, als würde dich etwas bedrücken.« Er lächelte.

Es hatte eine Zeit gegeben, da hätte er Dels gutmütigen Spott als die Aufmunterung empfunden, als die es gemeint war, und es hätte sogar funktioniert. Jetzt war es nichts als Gewohnheit, daß er sein Lächeln erwiderte.

»Es ist nichts«, murmelte er. »Ich übe mich ein bißchen in Selbstmitleid, das ist alles.«

»Selbstmitleid?« Dels linke Augenbraue zuckte ein Stück in die Höhe. »Ich erinnere mich an einen Mann, der mir stundenlange Vorträge darüber gehalten hat, wie wenig nutzbringend es ist, über Dinge zu jammern, die geschehen sind und sich nicht mehr rückgängig machen lassen. Was ist mit ihm geschehen?«

Skar antwortete nicht, aber Dels Worte übten eine eigenartige Wirkung auf ihn aus. War es das? Del hatte es schon einmal gesagt, aber damals hatte er nicht begriffen, was der junge Satai wirklich damit meinte; er hatte nicht darüber nachgedacht, vielleicht nicht einmal darüber nachdenken wollen, weil er da schon spürte, daß Del sich im Recht und er sich im Unrecht befand. Waren es vielleicht gar nicht Del und Gowenna, die sich verändert hatten, sondern er?

Er erschrak. Als hätte die Frage eine unsichtbare Barriere in seinen Gedanken niedergerissen, fielen ihm noch einmal die tausend Dinge ein, die seither geschehen waren, Belanglosigkeiten zumeist, die Unterschiede, die er bei Del zu sehen geglaubt hatte und die vielleicht in Wirklichkeit bei ihm lagen.

»Im Ernst, Skar«, fuhr Del fort, als ihm nach einer Weile klar wurde, daß Skar nicht von sich aus antworten würde. »Wir müssen etwas unternehmen.«

»Und was?« fragte Skar.

Dels Blick verhärtete sich. Seine Augen glitzerten wie kleine polierte Stahlkugeln im Halbdunkel der Höhle. »Was soll das, Skar?« fragte er leise. »Seit wann gibst du auf? Seit wann legst du die Hände in den Schoß und resignierst? Ich dachte, das wäre etwas für Männer wie Helth.«

Skar überging den lauernden Ton in seiner Stimme. »Ich weiß einfach nicht weiter«, bekannte er und starrte an Del vorbei in die tanzenden Schatten, die sich wieder wie ein Vorhang zwischen sie und die glatte Eiswand im hinteren Drittel der Höhle geschoben hatten. Die Männer waren - mit wenigen Ausnahmen - wieder zu ihren Lagern zurückgekehrt, aber keiner von ihnen schien zu schlafen. Da und dort hatten sich kleine Gruppen zusammengefunden; einige redeten miteinander, die meisten saßen nur da und starrten dumpf vor sich hin, sie waren nicht zusammen, um zu reden, sondern nur, um nicht allein sein zu müssen. Angst lag wie etwas Spürbares, Finsteres in der Luft. »Irgend jemand spielt mit uns«, murmelte er. »Aber ich weiß nicht, wer, und ich weiß nicht, warum.« Er ballte die Faust, wie um sich damit auf die Schenkel zu schlagen, und ließ die Hand dann mit einem kraftlosen Kopfschütteln wieder sinken. »Verdammt, Del, ich kann nicht gegen einen Gegner kämpfen, den ich nicht kenne. Ich kann keinen Kampf gewinnen, von dem ich nicht einmal weiß, worum es geht.«

»Du kannst nicht gegen die ganze Welt kämpfen, Skar«, murmelte Del. »Es wird Zeit, daß du das begreifst. Du wirst dir Verbündete suchen müssen.«

»Wie -«

»Frag mich nicht, wie ich das gemeint habe«, entgegnete Del scharf. Seine Augen waren noch immer geschlossen; sein Kopf lehnte entspannt am Felsen. Aber seine Worte straften die Haltung Lügen. »Du weißt es ganz genau, Skar.« Er lachte ganz leise. »Sieh dich doch um. Diese Männer hier - sie sind nicht deine Verbündeten. Es sind nicht einmal deine Männer. Ich glaube, im Grunde fürchtest du dich sogar vor ihnen.« Er schwieg einen Moment, setzte sich wieder auf und blickte an Skar vorbei zum Höhlenausgang. Vor dem niedrigen Halbrund begann sich das erste Grau der Dämmerung abzuzeichnen. »Helth?« fuhr er fort und lachte wieder. »Über ihn brauchen wir nicht zu reden. Und was ist mit mir?«

»Du -«

Wieder unterbrach ihn Del, und diesmal war etwas in seiner Stimme, was Skar alarmiert aufhorchen ließ. »Ich beginne mich zu fragen, ob es nicht ein Fehler war, zu dir zurückzukehren, Skar«, sagte er. »Man sagt, daß ein Satai spürt, wenn seine Ausbildung beendet ist und er allein weiterziehen muß. Vielleicht habe ich diesen Zeitpunkt verpaßt. Vielleicht hätte ich nie einen Fuß auf dieses Schiff setzen sollen.«

»Bitte, Del«, murmelte Skar. »Ich... ich habe nicht die Kraft, mich jetzt auch noch mit dir zu streiten.«

»Genau das ist es«, erwiderte Del ruhig. »Ich will nicht mit dir streiten, Skar. Ich will nur mit dir reden, mehr nicht. Wir waren einmal Freunde.«

»Sind wir das nicht mehr?«

»Ich weiß es nicht«, entgegnete Del. Seine Stimme klang plötzlich sehr ernst. »Ich weiß, daß es der schlechteste Moment ist, um darüber zu reden, aber...«

»Warum tust du es dann?«

»Vielleicht, weil es der letzte mögliche Moment ist, Skar. Vielleicht, weil wir morgen sterben werden, und weil ich wissen möchte, ob ich neben einem Freund oder einem Fremden kämpfe, Skar. Ist es wegen ... Vela?« Er lächelte bitter. »Ich habe sie geliebt, ich weiß, aber es ist vorbei. Die Frau, die sie einmal war -«

»Existiert nicht mehr, ich weiß«, unterbrach ihn Skar verärgert. »Weißt du eigentlich, wie oft ich diesen Satz in den letzten Tagen gehört habe?«

»Vielleicht sollte ich statt dessen sagen, daß der Mann, den ich einmal gekannt habe, nicht mehr existiert«, verbesserte sich Del. Plötzlich schwang ein neuer, aggressiver Ton in seinen Worten. »Was ist mit dir, Skar? Du hast dich verändert, seit...« er zögerte, »seit ich dich verlassen habe, damals in Cosh. Ist es das? Hast du es nicht verwunden, daß ich dich im Stich gelassen habe, einer Frau wegen?«

Skar schüttelte den Kopf. Nein. Das war es nicht gewesen. Aber Del war der Antwort nahe, vielleicht näher, als er selbst ahnte.

»Vielleicht frage ich mich, wer du bist, Del«, murmelte er. »Vielleicht weiß ich nicht, wer aus den Sümpfen von Cosh zurückgekehrt ist. Hineingebracht haben sie dich.« Deinen Leichnam, fügte er in Gedanken hinzu.

Del zog die Beine an, beugte den Oberkörper vor und legte die verschränkten Arme auf die Knie. »Das ist es also«, murmelte er. »Sie haben mich gewarnt, weißt du das?« Skar schwieg, aber Del erwartete auch nicht wirklich eine Antwort. »El-tra hat mir gesagt, daß es besser sei, wenn ich verschweigen würde, was mir... zugestoßen ist. Aber ich dachte nicht, daß du...«

»Das ist es nicht allein«, sagte Skar, aber Del sprach weiter, als hätte er seine Worte gar nicht gehört. »Gerade du, Skar? Weißt du nicht am besten, wie es ist? Hast du nicht selbst schon an der Schwelle gestanden, damals in Went?«

Skar hatte gewußt, daß Del dies sagen würde. Und es war einer der Gründe gewesen, weshalb er vor der Aussprache, die Del ihm so offensichtlich aufzwingen wollte, zurückgeschreckt war. Seltsamerweise schmerzten seine Worte nicht halb so sehr, wie er befürchtet hatte.

»Das war... etwas anderes«, sagte er ausweichend.

»Nein! Das war dasselbe«, antwortete Del grob. »Du warst tot, nachdem dich der Khtaám angefallen und gebissen hatte, Skar. Dein Herz schlug nicht mehr, und dein Körper war kalt. Du warst gestorben.«

»Unsinn«, widersprach Skar. »Du weißt, daß das nicht stimmt.«

»So wenig wie bei mir.« Del schüttelte den Kopf, seufzte tief und legte das Kinn auf die Arme. »Natürlich weiß ich, daß es anders war«, sagte er leise. »Ein Mensch hört nicht auf zu leben, wenn sein Herz nicht mehr schlägt. Du weißt es, und ich weiß es. Wir haben es erlebt; beide.« Er sah auf; lächelte. »Ist das nicht sonderbar? Je mehr wir zu ergründen versuchen, was uns trennt, desto mehr Gemeinsames finden wir.«

»Das ist es nicht allein«, sinnierte Skar halblaut. Es fiel ihm immer schwerer, Dels Blick standzuhalten. »Ich...« Er lächelte nervös. »Ich frage mich ernsthaft, ob ich langsam verrückt werde.«

Del nickte, als hätte er diese Antwort erwartet. »Nicht nur du allein, Skar«, sagte er. »Glaubst du, mir geht es besser? Mir oder« - er machte eine hastige, fahrige Geste in die Höhle hinein - »irgendeinem dieser Männer? Schiffe, die sich in Ungeheuer verwandeln. Krieger aus Eis! Bei allen Göttern, Skar - wenn es das ist, was dich bedrückt, dann...«

»Das ist es nicht«, unterbrach ihn Skar, und diesmal auf eine Art, die Del abrupt verstummen und ihn beinahe erschrocken anstarren ließ. Für einen Moment war er nahe daran gewesen, ihm von seinem Fluch zu erzählen, der Stimme in seinem Inneren, die wieder erwacht war und ihn langsam, aber unerbittlich in den Wahnsinn trieb.

Aber natürlich tat er es nicht.

Er spürte, daß Del nicht weiterreden würde, aber er war nicht erleichtert darüber, sondern beinahe enttäuscht. Nun, was hatte er erwartet? Eine große, melodramatische Aussprache, nach der sie sich in die Arme schließen und wieder die unzertrennlichen Freunde sein würden, die sie gewesen waren? Narr.

Del wollte aufstehen und gehen, aber Skar hielt ihn zurück. »Warte.« Del zögerte, machte noch einen halben Schritt und ließ sich widerwillig noch einmal auf die durchnäßten Decken sinken.

»Wir müssen weiter«, erklärte Skar. »Die Sonne geht auf. Wenn wir im Schutz der Berge bleiben, erreichen wir vielleicht bis zum Abend die Küste. Und wir müssen Gowenna suchen«, fügte er nach einer winzigen Pause hinzu.

Del runzelte die Stirn. »Suchen? Hier?« Er schüttelte den Kopf, sah zum Ausgang und seufzte übertrieben. »Glaubst du wirklich, daß das Sinn hat?« fragte er.

»Sinn oder nicht, wir müssen es tun«, antwortete Skar, plötzlich beinahe krampfhaft darum bemüht weiterzureden, als könne er damit das, was sie vorher besprochen hatten, rechtfertigen, vielleicht auch ungeschehen machen.

»Ihr werdet sie nicht finden, Satai.«

Skar sah auf und starrte Helth einen Herzschlag lang böse an. Er hatte nicht gehört, wie der Vede näher gekommen war, und er wußte auch nicht, wieviel von ihrem Gespräch er belauscht hatte. Aber er schluckte die wütende Entgegnung, die ihm auf der Zunge lag, hinunter. Wieder einmal.

»Woher willst du das wissen?« fragte Del ungerührt.

»Sie hat uns benutzt, dich und deinen Freund und uns«, fuhr Helth fort. Skar hatte den Eindruck, daß er Dels Frage bewußt ignorierte und nur auf einen Moment gewartet hatte, sich in ihr Gespräch zu mischen. Es war kein Zufall. Helth war aus einem ganz bestimmten Grund zu ihnen gekommen.

Skar schwieg weiter, aber Del schürzte die Lippen und gab ein leises, abfälliges Lachen von sich. »Das hast du schon einmal gesagt, Vede«, stellte er ruhig fest. »Ist das dein Lieblingssatz, oder kannst du nur den einen?«

Helth' Miene erstarrte. Skar setzte dazu an, Del zur Ruhe zu mahnen, tat es aber dann doch nicht. Vielleicht hatte Del recht. Früher oder später würde Helth einen Zusammenstoß provozieren. Und vielleicht würden die Umstände später günstiger sein; für ihn.

Aber der erwartete Wutausbruch blieb aus. Helth beschränkte sich darauf, Del länger als eine halbe Minute wortlos anzustarren, und wenn er das stumme Duell auch nicht gewann, so senkte er doch auch nicht den Blick. Skar spannte sich unmerklich. Helth war sehr aufgeregt, aber auch von einer Entschlossenheit, die neu an ihm war. Wie durch Zufall streifte sein Blick den linken Arm des Veden. Die Wunde, die ihm während des Kampfes zugefügt worden war, schien noch immer zu bluten; sein Hemd war bis zum Ellbogen hinauf dunkel und feucht.

»Wir haben keinen Beweis, daß es wirklich Gowenna war, die Del niedergeschlagen und den Matrosen ermordet hat«, versuchte er richtigzustellen.

Helth schnaubte. »Wer denn sonst, Satai? Sie hat das alles von Anfang an geplant. Sie brauchte uns, damit wir sie und die Errish sicher hierherbringen.«

»Natürlich«, sagte Del ernsthaft. »Und sie hat auch den Dronte herbeigelockt, nicht wahr? Und später hat sie die Eiskrieger erschaffen und ihnen mittels Gedankenübertragung den Befehl gegeben, uns draußen eine Falle zu stellen.«

Helth wurde sichtlich blaß. Seine Hand spannte sich um den Schwertgriff, und Skar sah, wie er auf dem glatten Höhlenboden nach festem Halt suchte.

»Nicht, Del«, sagte Skar begütigend. »Es nutzt nichts, wenn wir uns jetzt auch noch untereinander bekämpfen.« Er stand auf, trat auf den Veden zu und legte ihm die Hand auf die Schulter, aber Helth schlug seinen Arm mit einer wütenden Bewegung zur Seite und wich gleichzeitig einen Schritt zurück. Auch Del erhob sich und trat wie zufällig, halb hinter den Veden.

»Statt uns zu streiten, sollten wir lieber einen Plan fassen, wie wir hier herauskommen«, bemerkte Skar, um Zeit zu gewinnen.

Aber er hätte ebensogut gegen die Wand reden können. Helth wollte seine Worte gar nicht hören. »Einen Plan!« zischte er. »Was für einen Plan, Satai ? Es gibt nichts, wohin wir fliehen könnten, das weißt du so gut wie ich! Wir -«

»Wenn es wirklich Gowenna war«, unterbrach ihn Skar sanft, »dann hat sie auch vorgesorgt, lebend von hier zu entkommen. Ginge es ihr nur darum, Vela zu töten, so hätte sie es ein Dutzend Mal leichter und mit geringerem Risiko tun können, Helth. Wir warten, bis die Sonne vollends aufgegangen ist, und dann verfolgen wir sie. Ihr Vorsprung ist nicht groß.«

»Nein, Satai«, widersprach Helth. »Das werden wir nicht tun.« Seine Stimme klang plötzlich ganz ruhig, aber in seinen Augen war ein Flackern, das Skar warnte. Seine Hände strichen jetzt nicht mehr nervös über seine Kleider, sondern lagen flach nebeneinander auf seiner Gürtelschnalle.

»Und was schlägst du statt dessen vor?« erkundigte sich Del ruhig. »Ich schlage nichts vor«, antwortete Helth, ohne Skar und Del dabei aus den Augen zu lassen. »Ich bin nicht gekommen, um mit euch zu diskutieren, Satai. Wir haben geredet und geredet, seit wir diese verfluchte Insel betreten haben, und das einzige, was dabei herausgekommen ist, sind ein halbes Dutzend Tote. Männer, die mein Vater euch anvertraut hat, Satai. Er hat ihr Leben in eure Hand gelegt, aber ihr habt versagt. Bleibt von mir aus hier und redet weiter miteinander, aber wir gehen zurück.«

»Wir?« fragte Skar betont. »Wer ist das, wir?«

Helth machte eine weit ausholende Geste mit der Linken. Seine andere Hand rutschte ein Stück näher an den Schwertgriff heran, berührte ihn aber noch nicht. »Wir alle, Skar«, antwortete er. »Mein Vater hat dir die Verantwortung über diese Männer gegeben, und ich nehme sie dir wieder.«

»Die Verantwortung für drei Dutzend Menschenleben, Helth?« fragte Del belustigt. »Deine Schultern sind zu schmal dafür, Junge.« Helth ignorierte ihn. Sein Blick bohrte sich in den Skars.

»Das ist Wahnsinn, Helth«, gab ihm Skar kopfschüttelnd zu bedenken. Einige Männer waren aufgestanden und blickten zu ihnen herüber. Helth hatte laut genug gesprochen, daß seine Worte überall in der Höhle zu hören gewesen waren; wahrscheinlich absichtlich. »Wie weit würdet ihr kommen? Fünf Meilen? Zehn?«

»Weit genug«, antwortete Helth. »Wir sind hierhergekommen, wir schaffen auch den Weg zurück.«

»Und dann?« fragte Del. »Was macht ihr dann?«

»Das, was wir von Anfang an hätten tun sollen, Satai. Wir werden uns zum Kampf stellen, wie es aufrechten Männern gebührt. Wir haben den Dronte schon zweimal fast besiegt.«

Skar nickte. »Du sagst es selbst, Helth: fast. Aber dicht daneben ist auch vorbei, weißt du? Vergiß diesen verrückten Plan. Keiner deiner Männer würde einen Angriff auf diese Bestie überleben. Und selbst wenn, würdet ihr umkommen. Die SHAROKAAN ist verbrannt, hast du das vergessen? Ihr hättet keine Möglichkeit mehr, von hier fort zu kommen. Wenn wir Gowenna folgen, haben wir wenigstens eine Chance.«

Helth lachte, aber es hörte sich eher wie ein schlecht unterdrückter Aufschrei an. »Eine Chance!« wiederholte er. »Eine Chance gegen Hexenkunst und schwarze Magie, Satai? Wir sind Krieger, keine Magier. Eine Chance hattest auch du, als du zusammen mit Brad auf die Eiswand gestiegen bist, um den Dronte anzugreifen. Du hast sie vertan.«

»Und ich bin allein zurückgekommen«, sagte Skar ruhig. »Sprich es ruhig aus, Helth. Du machst mich für den Tod deines Bruders verantwortlich.« Er hob die Stimme; eine Winzigkeit nur, aber deutlich. »Du suchst in Wirklichkeit keinen ehrenvollen Tod, Helth«, sagte er. »Du willst Rache. Du kannst es nicht verwinden, daß du einen Kampf verloren hast, und Del und ich sind dir gerade gut genug, um dafür...«

»Es reicht«, unterbrach ihn Helth. Seine Stimme bebte, und seine Hand lag jetzt auf dem Schwert, nicht mehr daneben. »Ich will nichts mehr hören, Skar. Ich habe genug von deinem Gerede, und -« Einer der Männer stieß einen krächzenden Schrei aus und deutete zum Eingang. Skar, Del und der Vede fuhren gleichzeitig herum. Im ersten Moment erkannte er nur einen zusammengekrümmten Schatten; ein formloses Etwas, das unter dem Eingang der Höhle erschienen war, als hätte es die Dämmerung ausgespien. Dann bewegte er sich, wurde zu einer Gestalt, die sich mühsam, mit qualvollen, unendlich langsamen Bewegungen durch den Tunnel schleppte.

Skar hatte plötzlich das Gefühl, von einer eisigen, körperlosen Hand gestreift zu werden. Er wollte sich bewegen, aber er konnte es nicht, auch als die Gestalt liegenblieb und mit einem schrecklichen, röchelnden Laut den Kopf hob. Er war gelähmt, zum ersten Mal, solange er sich erinnern konnte, betäubt von ungläubigem, tödlichem Schrecken. Gowennas Gesicht glitzerte im schwachen Licht der Fackeln wie eine grausige Totenmaske aus rotem, halb geronnenem Blut. Er stand noch immer wie gelähmt da, auch als Del endlich aus seiner Erstarrung erwachte und mit einem Satz neben Gowenna niederkniete.

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