3.

Er hatte schlecht geschlafen. Sein Rücken schmerzte, und in seinem Kopf war ein dumpfer, an- und abschwellender Druck, nicht wirklich unangenehm, aber doch beinahe quälender als echter Schmerz, der ihn aufstöhnen und spontan die Hände an die Schläfen heben ließ. Er schlug die Augen auf, starrte einen Herzschlag lang die niedrige Decke über sich an und setzte sich dann mit einem Ruck auf. Die Bewegung jagte eine neue Welle von Übelkeit durch seinen Schädel. Das Schiff vibrierte. Das Deck über ihm hallte wider vom hastigen Trappeln zahlreicher Füße, und von irgendwoher drang aufgeregtes Stimmengewirr an sein Ohr. Er verstand die Worte nicht, aber er spürte, daß irgend etwas geschehen sein mußte. Die SHAROKAAN schien wie ein lebendes Wesen vor Erregung zu zittern. Es war, als hätte sich der Pulsschlag des Schiffes beschleunigt.

Skar wartete, bis der dumpfe Druck hinter seinen Schläfen abgeklungen war und das Schwindelgefühl wich. Seine Zunge fühlte sich pelzig an, und seine Augenlider brannten und schienen geschwollen; ein Gefühl, gleich dem, das sich einstellte, wenn man viel zu kurz oder viel zu lange geschlafen hatte. Er atmete ein paarmal bewußt ein, sog die eisige Luft tief in seine Lungen und sah sich um. Die meisten Lager waren verlassen; die Kajüte war fast leer. Die Kohlebecken an den Wänden waren heruntergebrannt, und das Licht war zu einer trüben, unsicheren Helligkeit herabgesunken, die die Umrisse der Dinge im Raum verschwimmen und alles seltsam unwirklich erscheinen ließ. Gleichzeitig war es empfindlich kälter geworden. An den Wänden und der Decke sammelte sich Feuchtigkeit und lief in dünnen, glitzernden Rinnsalen zu Boden. Sein Atem bildete eine feine Dampfwolke vor seinem Gesicht.

Auch Gowennas Schlafplatz war leer, aber als er aufstand, bewegte sich einer der Lumpenhaufen neben ihm. Die Decken wurden auseinandergezogen, und eine dürre Hand, bleich und so abgemagert, daß sich die Knochen unter der Pergamenthaut abzeichneten, wühlte sich ins Freie. Ein schmales, erschöpftes Gesicht erschien zwischen den zerschlissenen Stoffbahnen, dunkle Augen, in denen sich Müdigkeit und Angst und noch etwas anderes, Fremdes spiegelten, starrten zu ihm hinauf. Skar kannte den Mann nicht mit Namen, aber er hatte gesehen, wie er am Vorabend vom Mast gestürzt war und sich schwer verletzt hatte. Wahrscheinlich würde er sterben.

Skar lächelte ihm flüchtig zu, unterdrückte ein Gähnen und reckte sich. Seine Gelenke knackten leise, und die vom langen Liegen steifen Muskeln reagierten mit stechenden Schmerzen auf die plötzliche Bewegung. Sein Kopf dröhnte noch immer, aber der Schlaf hatte ihm merklich gutgetan, und er spürte neue Kraft durch seine Glieder strömen.

Das Gefühl war nicht echt, das wußte er. Schon eine halbe Stunde an Deck würde genügen, um sich wieder so müde und erschöpft zu fühlen wie zuvor. Aber das vage Bewußtsein seiner Stärke brachte ihm auch etwas von seinem normalen Optimismus zurück, und er schob die innere Unruhe einfach von sich. Damit würde er sich auseinandersetzen, wenn es soweit war. Für einen Moment spielte er mit dem Gedanken, nach Del und Vela zu sehen, aber dann hörte er wieder die Schritte über sich und die Stimmen, und seine Neugier erwachte erneut.

Sein Blick streifte Rayans Truhe. Die große, mit bronzenen Riegeln und Schlössern gesicherte Seekiste war das einzige wirklich massive Möbelstück im Raum, sah man von dem festgeschraubten Tisch und den dazugehörigen ebenfalls am Boden befestigten Schemeln ab. Für einen Moment überlegte er ernsthaft, einfach hinüberzugehen und seine Waffen an sich zu nehmen. Die Vorstellung war verlockend - ein schneller Griff, und er würde wieder Satai sein, kein Mann mit einer leeren Schwertscheide am Gürtel. Die altersschwachen Schlösser würden einem ernstgemeinten Versuch, sie aufzubrechen, kaum standhalten, und das vertraute Gewicht der Waffe an seiner Seite würde ihm viel von seiner verlorenen Sicherheit und Ruhe zurückgeben.

Aber er verwarf den Gedanken augenblicklich wieder. Es hatte keinen Zweck, zusätzlich zu allem anderen auch noch eine direkte Konfrontation mit Rayan und seinen Wachhunden zu provozieren.

Skar drehte sich mit einem lautlosen Seufzer herum und ging zur Treppe. Es wurde Zeit, von diesem Schiff herunterzukommen. Gedanken wie die, die ihm jetzt im Kopf herumspukten, paßten vielleicht zu Del, aber kaum zu ihm. Er zwang sich, schneller zu gehen.

Die Tür am oberen Ende der Treppe stand offen, und der Sturm schlug mit eisigen Krallen nach ihm, als er auf das Deck hinaustrat. Skar blinzelte überrascht. Die Sonne stand dicht über dem Horizont - aber sie stand im Osten, und das bedeutete, daß es wieder Morgen war und er den Rest des Tages und die ganze Nacht durchgeschlafen hatte. Er wankte, betroffen von der Wut, mit der der Eissturm über das Deck pfiff, klammerte sich am Türpfosten fest und verzog das Gesicht. Von der unnatürlichen Ruhe, die während der letzten Tage an Bord des Schiffes geherrscht hatte, war nichts mehr geblieben. Das Schiff befand sich in heller Aufregung. Der größte Teil der Besatzung drängte sich an der Backbordreling und starrte aufgeregt nach Osten. Andere liefen wild schreiend und gestikulierend über das Deck oder kletterten behende wie Baumaffen an der Takelage empor, um über die Köpfe der Gaffenden hinwegsehen zu können. Skar blickte instinktiv nach Osten. Aber der dunkle Punkt war noch hinter ihnen, näher als am Tag zuvor, aber hinter ihnen. Die Aufregung mußte einen anderen Grund haben.

Skar griff sich den erstbesten Mann, der vorüberkam, und hielt ihn grob an der Schulter fest. »Was ist los?« fragte er.

»Was los ist?« echote der Matrose verblüfft. »Du...« Er schluckte, sah Skar eine halbe Sekunde lang erschrocken an und verbesserte sich hastig. »Ihr wißt es nicht?«

»Dann würde ich nicht fragen«, antwortete Skar verärgert. Er verstärkte den Druck seiner Hand ein wenig. »Also?«

Ein schmerzhaftes Zucken lief über das Gesicht des Matrosen. »Land«, keuchte er. »Wir haben Land voraus!«

Skar ließ den Freisegler so abrupt los, daß der Mann das Gleichgewicht verlor und auf dem spiegelglatten Boden ausglitt. Mit ein paar raschen Schritten war er an der Reling und bahnte sich einen Weg durch die dreifach gestaffelte Reihe der Seeleute. Ein Ellenbogen traf schmerzhaft seine Rippen, so hart, daß es sicher kein unglücklicher Zufall mehr, sondern Absicht war, und ein harter Stiefel bohrte sich in seine nackten Waden, aber er achtete nicht darauf.

Über dem Horizont, vielleicht noch zehn, zwölf Meilen entfernt, war eine dünne weiße Linie sichtbar geworden; nicht viel mehr als ein Strich, der auf die Trennlinie zwischen Ozean und Himmel gemalt war, aber ein Strich von zu kräftiger Farbe für tiefhängende Wolken und zu kantiger Form für eine Nebelbank. Land! Land oder wenigstens Eis, das vielleicht einer Küste oder einer größeren Insel vorgelagert war.

Skar drehte sich um und hielt nach Rayan Ausschau.

Im ersten Moment konnte er ihn in dem Gedränge nirgends sehen - die gesamte Mannschaft schien auf dieser Seite des Schiffes zusammengelaufen zu sein. Aber dann entdeckte er einen der hochgewachsenen Veden und mit ihm Rayan. Der glatzköpfige Freisegler stand vorne am Bug und war in eine hitzige Diskussion mit Del und einem seiner Offiziere verwickelt. Seine beiden Veden-Leibwächter standen stumm dabei und verfolgten die Szene mit unbewegten Gesichtern. Ihre Haltung wirkte angespannt.

Skar drängte sich zu ihnen durch, tauschte einen raschen Blick mit Rayan und legte Del die Hand auf die Schulter.

»Was ist los?« fragte er. »Und was machst du hier an Deck? Wer ist vorne bei Vela?«

Der junge Satai fuhr herum. Ein zufriedener Ausdruck huschte über sein Gesicht, als er Skar erkannte. »Gut, daß du kommst«, sagte er, ohne auch nur anzudeuten, daß er Skars Fragen überhaupt gehört hatte. Er wirkte aufgebracht. »Dieses verdammte Fischgesicht« - damit deutete er auf Rayan, der die Beleidigung mit einem ärgerlichen Schnauben quittierte - »weigert sich, den Kurs zu ändern.«

»Mit gutem Grund«, gab der Freisegler gereizt zurück. »Das dort drüben ist Eis, kein Land..., sieh selbst!« Er zerrte sein Fernrohr unter dem Gürtel hervor, fuchtelte wild damit in der Luft herum und hielt es Skar mit einer wütenden Bewegung hin.

Skar nahm das Glas entgegen und drehte es einen Moment unschlüssig in den Händen. Rayans aufgeregter Tonfall überraschte ihn. Er hatte den Freisegler bisher stets als ruhigen und überlegten Mann kennengelernt, selbst in extremen Situationen. Aber schließlich war er lange genug mit Del zusammen, um zu wissen, daß der junge Satai jeden aus der Ruhe bringen konnte. Und meistens war er es, der hinterher die Wogen glätten mußte - so wie jetzt. So rasch, wie er in das Gespräch geplatzt war, sah er sich auch schon als Mittelpunkt des Streites. Sowohl Del als auch der Freisegler schienen zu erwarten, daß er ihre jeweilige Partei ergriff. »Ich... glaube dir«, sagte er. »Aber meiner Meinung nach...«

»Papperlapapp«, unterbrach ihn Rayan wütend. »Ich habe dir ein wenig mehr Intelligenz zugetraut, Skar. Auf dem offenen Meer sind wir dem Dronte noch einen Tag und die Nacht und vielleicht sogar noch einen Tag voraus. Wenn ich jetzt den Kurs ändere, dann verschenken wir unseren Vorsprung!«

Skar sah den Freisegler verwirrt an. Er war nicht einmal dazu gekommen, wirklich etwas zu sagen, aber Rayan schien das auch nicht erwartet zu haben. Er war wohl froh, jemanden gefunden zu haben, auf den er seinen Zorn entladen konnte. Aus irgendeinem Grund war ihm Del dazu wohl nicht geeignet erschienen. »Verdammt, Skar«, fuhr er fort, »ich weiß, wieviel ihr euch darauf einbildet, Satai zu sein, und in der Arena und auf dem Schlachtfeld mag dies durchaus seine Berechtigung haben. Aber das hier ist die offene See, und da gelten andere Gesetze!«

»Aber ich habe doch gar nicht -«, begann Skar, wurde aber schon wieder von Rayan unterbrochen.

»Dieser junge Narr« - Rayan stach mit dem Zeigefinger wie mit einem Dolch in Dels Richtung - »verlangt allen Ernstes von mir, daß ich beidrehe und dort hinübersegle. Bring ihn zur Räson, oder ich vergesse mich!«

Del grunzte trotzig und verschränkte die Arme vor der Brust. Hätte er dabei nicht vor Kälte gezittert, würde es vielleicht sogar beeindruckend gewirkt haben.

»Ich weiß«, sagte Skar rasch, bevor Del antworten und vielleicht noch Öl ins Feuer gießen konnte, »du bist der Seemann, Rayan. Trotzdem glaube ich nicht, daß wir dem Dronte noch lange davonlaufen können.« Er wies, das Fernglas als Zeigestock haltend, über die Köpfe der Matrosen hinweg nach Westen. Die Entfernung zwischen dem Dronte und der SHAROKAAN war sichtlich geschrumpft. Das hatte er schon vorhin bemerkt. Aber er sah jetzt erst, wie sehr. Der schwarze Schatten tauchte jetzt nicht mehr unter den Horizont, sondern blieb, abwechselnd größer und kleiner werdend, sichtbar. Es sah aus, als führe der schwarze Dämon einen Tanz auf den Wellen auf, um sie damit zu verhöhnen. Sie mußten während der Nacht noch mehr von ihrem Vorsprung verloren haben.

Rayan grunzte, stemmte die Arme in die Hüften und starrte ihn feindselig an. »Wenn ich jetzt den Kurs ändere und diesen verdammten Eisberg ansteuere, kann ich genausogut die Segel streichen und hier auf den Dronte warten«, schrie er aufgebracht. »Du kennst diese verdammten schwimmenden Eisinseln nicht, Skar...«

»Aber du, wie?« höhnte Del. Rayan ignorierte ihn.

»Ich habe genug über sie gehört«, fuhr er wütend fort. »Sie sind teuflisch. Das, was du da siehst, ist nur ein kleiner Teil - die Hauptmasse liegt unter der Wasseroberfläche verborgen. Komm ihnen zu nahe, und du wirst aufgeschlitzt, schneller, als du ein Stoßgebet zu deinen Ahnen geschickt hast.« Er hob die linke Hand, legte die Finger zu einer Imitation eines Schiffsrumpfes zusammen und schlug mit der Faust hinein. »Nein!« Er schüttelte wütend den Kopf. »In Küstennähe würde ich es riskieren. Gib mir Festland, und ich manövriere diesen schwarzen Aasgeier aus, daß ihm die Augen aus seinem Schädel fallen. Aber das da ist Selbstmord!«

Del schnaubte erregt. »Der Kerl hat doch nur Angst um sein kostbares Schiff«, bemerkte er bissig. Er fuhr herum, trat an die Reling heran und starrte die weiße Linie über dem Horizont an. »Was glaubt er, wie lange er ihnen noch davonsegeln kann?« fragte er, ohne Rayan dabei anzusehen. Skar schluckte einen Fluch herunter und warf ihm einen beinahe flehenden Blick zu. Del sprach absichtlich in der dritten Person von Rayan, um ihn zu beleidigen und noch mehr zu reizen. »Wahrscheinlich laden sie bereits die Katapulte. Wäre er vor drei Tagen nicht zu feige gewesen, sich zum Kampf zu stellen, dann wären wir jetzt nicht in dieser Lage. Sie werden uns noch vor Sonnenuntergang einholen.«

Einer der beiden Veden hinter Rayan spannte sich. Seine Hand glitt zum Gürtel und legte sich um den Griff des wuchtigen Breitschwertes, aber Rayan hielt ihn mit einer raschen Bewegung zurück. »Vielleicht«, antwortete er gelassen. »Aber ich bin bereit, dieses Risiko einzugehen.«

Del wandte sich wieder um und funkelte wütend auf den zwei Köpfe kleineren Freisegler herunter. »Du vielleicht«, zischte er, »aber ich nicht.«

»Noch bin ich der Kapitän der SHAROKAAN«, antwortete Rayan eisig. »Und noch entscheide ich, was wir tun. Wir haben noch viele Stunden, in denen sich eine Möglichkeit ergeben kann, ihn abzuschütteln. Land. Eine Insel. Was weiß ich.«

Skar zog das Fernrohr auseinander und setzte es an. Es war ein wirklich gutes Glas - die dünne weiße Linie wuchs mit einem Mal zu einer mächtigen glitzernden Mauer heran, scheinbar nur wenige Steinwürfe entfernt. Rayan und Del stritten sich weiter, aber er achtete nicht mehr darauf. Del war trotz allem klug genug, seine Grenzen zu kennen und es nicht auf eine offene Konfrontation ankommen zu lassen. Minutenlang stand Skar reglos da, schwenkte das Glas von rechts nach links und wieder zurück und betrachtete die schimmernde Barriere vor dem Horizont. Sein Mut sank, als er erkannte, wie recht Rayan mit seiner Prophezeiung hatte. Das Eis bildete eine mächtige gläserne Wand, die hundertfünfzig, zweihundert Fuß oder mehr senkrecht aus dem Meer emporwuchs, als hätte ein zorniger Gott hier eine endgültige Sperre errichtet, um ihrem Vordringen ein Ende zu setzen. Das Wasser an ihrem Fuß war von trügerischer Ruhe, aber an vielen Stellen schimmerte es weiß durch die grüngrauen Wogen, und manchmal brachen sich die Wellen mit schaumiger Gischt, lange bevor sie gegen die schimmernde Mauer trafen. Eis, das bis dicht unter die Wasseroberfläche herangewachsen war und nun wie eine Phalanx kleiner heimtückischer Seeungeheuer auf den leichtsinnigen Segler wartete, der ihnen in die Fänge lief. Eine Todesfalle, selbst für einen so erfahrenen Seemann wie Rayan.

Er schwenkte das Fernrohr weiter, aber der Anblick war überall gleich: eine fugenlose Wand, glatt und poliert wie Glas, hier und da gerissen und zu bizarren Mustern gesprungen, aber trotzdem von undurchdringlicher Härte. Nicht einmal ein einzelner Mann hätte dort Zuflucht finden können, geschweige denn ein ganzes Schiff.

»Was ist das da?« fragte Del leise. »Dort vorne?«

Skar setzte das Glas ab, sah den jungen Satai fragend an und blinzelte mit bloßen Augen zum Horizont. Er konnte nichts Außergewöhnliches erkennen. »Was meinst du?«

»Direkt vor uns. Siehst du es nicht?«

Skar hob das Glas erneut an die Augen und starrte in die Richtung, in die Dels Arm wies. Im ersten Moment sah er nichts als schimmerndes Weiß und monotone Glätte, aber dann gewahrte er ein flüchtiges Aufblitzen, das Spiegeln von Licht auf einer gebrochenen Eisfläche, nur sichtbar, wenn sich die SHAROKAAN auf dem Rücken einer Woge befand und kurz davor war, ins nächste Wellental hinabzustürzen. Wortlos setzte er das Fernrohr ab und gab es Rayan zurück. »Del hat recht. Sieh selbst.«

Der Freisegler griff wütend nach dem Instrument, preßte die Lippen aufeinander und starrte Skar an. Aber schließlich hob er das Glas und blickte sekundenlang durch die Linse.

»Siehst du es?« fragte Skar.

Rayan nickte widerwillig. »Den Einschnitt?«

»Die Durchfahrt«, verbesserte Skar. »Dahinter muß ein See liegen. Siehst du, wie sich das Sonnenlicht auf dem Wasser bricht?«

Rayan antwortete nicht. Sein Gesicht verriet Anspannung, und Skar konnte den lautlosen Kampf, der hinter seiner Stirn tobte, fast sehen. Seine Kiefer mahlten in einer unbewußten, kraftvollen Bewegung. »Ich sehe es, aber...«

Skar brachte ihn mit einer knappen, aber energischen Geste zum Verstummen. Der Anblick der senkrechten, wie mit einer gewaltigen Axt in das Eis gehauenen Bresche ließ einen verzweifelten Plan in ihm Gestalt annehmen. »Was glaubst du?« fragte er langsam. »Ist der Kanal breit genug für die SHAROKAAN?«

Rayan ließ das Glas sinken und starrte Skar an, als zweifle er ernsthaft an seinem Verstand. »Vielleicht«, sagte er. »Auf diese Entfernung kann ich das nicht sagen. Und wenn er breit genug ist, heißt das noch lange nicht, daß er auch genug Tiefgang hat. Warum? Du glaubst doch nicht ernsthaft, daß ich mein Schiff dort hineinmanövriere? Selbst wenn wir hindurchkommen, ohne uns den Rumpf aufzuschlitzen oder wie ein Korken in einem Flaschenhals hängenzubleiben - woher willst du wissen, was dahinter ist? Es kann offenes Meer sein, aber genausogut ein See, aus dem wir nie wieder herauskommen.«

Skar tauschte einen langen Blick mit Del. Sein Gesicht blieb starr, aber er schien den gleichen Gedanken nachzuhängen wie er. Er nahm Rayan das Glas aus der Hand, blickte erneut die Eiswand an und drehte sich herum, um in die entgegengesetzte Richtung zu sehen. Durch das Fernrohr betrachtet, war der Dronte bereits erschreckend nahe gekommen; ein schwarzes Ungeheuer, dessen gewaltiges Hauptsegel das Sonnenlicht aufzusaugen schien. Hinter der niedrigen Reling war nicht das geringste Zeichen von Leben auszumachen, aber Skar war sicher, daß man dort drüben jede Bewegung an Deck der SHAROKAAN mißtrauisch verfolgte.

Skar senkte das Glas, schob es mit einer bedächtigen Bewegung zusammen und begann Rayan mit knappen Sätzen seinen Plan zu erklären.

Загрузка...