«Alle Mann an Deck, alle Mann an Deck! Aufentern und klar zum Bramsegelsetzen!»
Bolitho beobachtete von der Querreling aus, wie die tropfnassen Kutter wieder einmal auf ihren Stellings festgelascht wurden. Achates hatte hier einige Stunden geankert, während die Beiboote ausgesetzt wurden, um eine Bucht zu rekognoszieren, in der sich ein Schiff hätte verstecken können. Aber wie schon all die Male zuvor waren die Leute unverrichteter Dinge zurückgekehrt.
Bolitho beschattete die Augen, um trotz der grellen Sonne das Land zu erkennen Santo Domingo lag nur wenige Meilen weiter nordwestlich; danach kam noch die Mona-Passage, und dann waren sie wieder in den nördlichen Zufahrtswegen, wo alles seinen Anfang genommen hatte.
Zwei vergeudete Wochen. Dazu der tägliche Kampf um die Ausnützung einer so leichten Brise, daß sie an Land kaum ein Pappelblatt bewegt hätte.
Nun sah er zu, wie die großen Bramsegel schlugen und sich träge füllten, bis das Schiff sich auf dem neuen Kurs leicht überlegte.
Keen kam quer übers Deck heran und wartete darauf, daß Bolitho sich zu ihm umwandte.
«Mit allem Respekt, Sir, aber ich glaube, wir sollten nach San Felipe zurückkehren.»
«Ich kenne diese Gewässer, Val«, erwiderte Bolitho.»Hier könnte man notfalls eine ganze Flotte verstecken. Sie glauben, daß ich mich geirrt habe, nicht wahr?«Er fuhr sich über das zerknitterte Hemd und lächelte Keen an.»Ich mache Ihnen daraus keinen Vorwurf, schließlich waren die letzten Wochen für uns alle eine Qual.»
«Ich sorge mich Ihretwegen, Sir«, sagte Keen.»Je länger wir warten.
Bolitho nickte.»Ich weiß. Mein Hals steckt in der Schlinge. Das war mir von Anfang an bewußt.»
Die Wanten knarrten, als die Brise etwas auffrischte und die Segel sich strafften. Hoch oben in den Masten ließen die zusätzlichen Ausguckposten die überanstrengten Augen rundum schweifen und verfluchten heimlich ihre Vorgesetzten wegen dieser Schikane.
Bolitho hörte das dumpfe Tappen von Tyrrells Holzstumpf näherkommen und wandte sich ihm grüßend zu. Keen entschuldigte sich und schlenderte zur anderen Seite hinüber. Sein Mißtrauen und sein wachsender Argwohn Tyrrell gegenüber ließen sich nicht mehr verbergen.
Tyrrell sandte ihm einen Blick nach und meinte:»Kann mich wohl nicht ausstehen, der Gute. «Aber seine Stimme klang besorgt und nicht mehr so zuversichtlich.
«Sind Sie sich Ihrer Sache immer noch so gewiß, Jethro?«fragte Bolitho.
«Sie können Gott weiß wo sein. «Er hämmerte mit der Faust auf die Reling.»Aber verschiedene Freunde haben mir gesagt, daß sie sich in einer dieser Buchten hier erholen wollen. Und von den Spaniern haben sie ja nichts zu befürchten. Außerdem kennen die längst ihre Absichten, davon bin ich überzeugt.»
Bolitho musterte Tyrrell nachdenklich.»Wir sind jetzt in spanischen Gewässern. Es gibt keine Rechtfertigung für unsere Anwesenheit, es sei denn, dieses verdammte Schiff versteckt sich wirklich hinter der spanischen Flagge.»
Keen kam zurück und sagte mit ausdruckslosem Gesicht:»Wir müssen bald wieder über Stag gehen, Sir. «Tyrrell ließ er absichtlich unbeachtet.»Und danach kommt das mühsame Aufkreuzen zur Mona-Passage. So flau der Wind ist, hat er es offenbar doch darauf abgesehen, uns das Leben schwer zu machen.»
Noch während er sprach, wurde das Vorbramsegel schlaff und schlug gegen die Wanten; Männer hasteten an die Brassen, um die Rah abermals neu zu trimmen.
Plötzlich sagte Tyrrell:»Mir ist etwas eingefallen. Geben Sie mir ein Boot. «Er sprach hastig, als müsse er auch eigene Vorbehalte übertönen.»Sie glauben mir nicht. Aber ich bin mir ja selbst nicht sicher.»
Sie blickten alle nach oben, als ein Ausguckposten rief:»An Deck! Segel in Nordwest!»
«Hol's der Teufel«, murmelte Keen.»Das ist bestimmt ein Patrouillenboot aus Santo Domingo!»
Tyrrell musterte ihn kalt.»Die Spanier haben Ihr schönes Schiff schon seit Tagen beobachtet, Kapitän Keen, darauf halte ich jede Wette.»
Keen wandte den Blick ab.»Ich wette nicht mit einem Glücksritter«, brummte er. Scharf befahl Bolitho:»Das reicht!»
Er blickte zum Krähennest auf. Der Tag war sonnig und klar, der Ausguckposten da oben mußte mehr erkennen können als jeder andere.
Durch die hohlen Hände schrie er hinauf:»Was für ein Schiff?»
Bolitho war sich bewußt, daß einige der in der Nähe arbeitenden Seeleute innehielten und ihn anstarrten. Ein Admiral, auch wenn er noch so jung war, und Schreien? Das mußte ihnen vorkommen wie eine Blasphemie.
Aus dem Ausguck schrie es herunter:»Eine Fregatte, Sir, wie's aussieht.»
Bolitho nickte. Also eine Fregatte. Wahrscheinlich hatte Keen mit seiner Vermutung recht, dann blieben ihnen höchstens noch zwei Stunden.
Er befahl:»Lassen Sie bitte beidrehen und einen Kutter aussetzen. Bewaffnet und unter dem Befehl eines Leutnants.»
Eifrige Rufe erklangen, hastiges Getrappel ringsum auf den von der Sonne gedörrten Planken, und dann drehte Achates zögernd in den Wind, während das Boot bereits ruckartig über das Steuerbordschanzkleid geschwungen wurde.
Knocker, der sich an Keen herangeschoben hatte, murmelte:»Die Bucht ist nicht größer als ein Dorfteich, Sir. Ein solches Schiff käme niemals da hinein.»
«So steht's in Ihrer Karte«, erwiderte Tyrrell düster.»Aber ich weiß es besser.»
Bolitho sah Scott, den Dritten Offizier, sich hastig mit dem Säbel gürten, während ihm der Messesteward mit Pistole und Zweispitz nachlief. Von trübsinniger Untätigkeit zu hektischer Betriebsamkeit — wie oft hatte Bolitho diesen Stimmungsumschwung schon erlebt, auch an sich selbst.
«Kutter liegt längsseits, Sir!»
Mit einem dumpfen Poltern landete die abgefierte Drehbrasse im Bug des Beiboots, um sofort von zwei Seeleuten geladen zu werden.
Leise fragte Bolitho:»Ist Ihnen diese kleine Bucht erst jetzt wieder eingefallen, Jethro? Oder wissen Sie schon seit zwei Wochen und länger, daß sie die richtige Stelle ist? Wir hätten im nächsten Augenblick gewendet und diese Chance für immer verspielt.»
«Sie wollten das Schiff«, antwortete Tyrrell.»Ich halte mein Wort. «Damit wandte er sich ab und hinkte zum Schanzkleid, sein Holzbein holte bei jedem Schritt in weitem Bogen aus.
Und obwohl Bolitho in diesem Augenblick die Wahrheit erkannt hatte, drängte ihn ein unerklärlicher Impuls, mit zwei, drei Schritten an die Finknetze zu eilen und Tyrrell nachzurufen:»Seien Sie vorsichtig, Jethro! Und viel Glück!»
Tyrrell hielt inne, die großen Fäuste um die Taue der Jakobsleiter gekrampft, und blickte mit Augen, die im grellen Licht tränten, zum Achterdeck hinauf. Einen Lidschlag lang standen nicht mehr die vielen Jahre zwischen ihnen, sondern sie waren wieder an Bord der Sparrow. Dann stieß sich Tyrrell von der Bordwand ab und ließ sich in den Kutter fallen, den Holzstumpf steif vorgereckt wie einen Rüssel.
Keen murmelte:»Wenn das nur gutgeht.»
Schon löste sich der Kutter vom Mutterschiff, die Riemen hoben und senkten sich in schnellem Takt, während der Bootsmann, hinter dem Leutnant stehend, aufs Land zuhielt.
Bolitho biß sich auf die Lippen.»Ich habe ihm vertraut. Aber vielleicht war es doch eine zu starke Versuchung für ihn.»
Keen schüttelte den Kopf.»Ich verstehe nicht, Sir.»
Bolitho sah dem Boot nach, das jetzt einen engen Bogen beschrieb, weil Tyrrells ausgestreckter Arm in eine neue Richtung deutete. Die Wirbel einer kleinen Flußmündung waren zu erkennen, zu deren beiden Seiten Bäume und Gebüsch bis zum Ufer wuchsen. Kaum zu glauben, daß dieses Flüßchen breiter sein sollte als auf der Karte angegeben.
Von weit her erscholl ein gedämpfter Knall, gefolgt vom lauten Ruf eines Ausguckpostens:»Die Fregatte hat gefeuert, Sir!»
«Auf diese Distanz treffen sie nicht mal den Felsen von Gibraltar«, höhnte Knocker.
Bolitho tauschte einen Blick mit Keen. War der Schuß eine Warnung, die Aufforderung, das spanische Hoheitsgebiet zu verlassen — oder sollte er einen Dritten alarmieren?
Er sagte:»Machen Sie lieber klar zum Gefecht. «Und nach einem prüfenden Blick zum Kutter hinüber, der gut vorangekommen war:
«Wir wollen uns nicht ein zweites Mal überraschen lassen.»
Die Männer in seiner Umgebung erstarrten, konnten nicht glauben, was sie soeben gehört hatten.
Aber als die Trommeln zu rasseln begannen und sich heisere Befehlsrufe durch das ganze Schiff fortpflanzten, wurden die letzten Illusionen ausgeräumt.
Keen verschränkte die Arme und ließ den Blick über sein Schiff wandern. Auf beiden Seitendecks drängten sich die Männer, stopften die zusammengerollten Hängematten als Kugelfang in die Finknetze, während Schiffsjungen zwischen den Kanonen herumrannten und das Deck mit Sand bestreuten, damit die Stückmannschaften nicht ausrutschten, wenn erst Blut die Planken bedeckte. Big Harry Rooke, der Bootsmann, schrie einen Säumigen aus seiner Crew an, die auf den untersten Rahen auslegte und Kettenschlingen ausbrachte, die gebrochene Spieren daran hindern sollten, an Deck zu stürzen. Andere schlugen unten Zwischenwände ab und verwandelten die getrennten Messen und Kammern in einen einzigen großen Raum, der den Stückmannschaften vom Bug bis zum Heck Bewegungsfreiheit gab.
Quantock blickte vom Batteriedeck herauf und tippte grüßend an seinen Hut.
«Schiff klar zum Gefecht!«meldete er. Inzwischen kannte er Keens Anforderungen.»In neun Minuten, Sir!»
Keen nickte.»Gut gemacht, Mr. Quantock.»
Aber die Spannung zwischen den beiden Männern blieb fühlbar, das kleine Kompliment entlockte keinem ein Lächeln.
Bolitho richtete ein Teleskop auf den fernen Kutter. Er konnte nur raten, was Leutnant Scott und die Bootsgasten jetzt dachten, während Achates unter dem Wirbel der Trommeln gefechtsklar machte und sie sich mit jedem Riemenschlag weiter von ihrem Schiff entfernten.
Er hörte Allday sich diskret neben ihm räuspern und ließ sich in den bereitgehaltenen Uniformrock helfen, während Ozzard mit dem alten Säbel herbeitrippelte. Auch Adam stand plötzlich bei ihnen, mit glänzenden Augen, unglaublich jung und eifrig.
«Befehle, Sir?»
Bolitho hob leicht die Arme, damit Allday ihm den Säbelgurt umschnallen konnte, und bemerkte betrübt Adams Förmlichkeit.»Tut mir leid, Adam«, sagte er.»Ich hätte es besser wissen müssen.
Es war dein gutes Recht, stolz darauf zu sein. An deiner Stelle hätte ich genauso empfunden.»
Der junge Leutnant machte einen halben Schritt auf ihn zu.»Ich würde mir eher die Hand abhacken, als Sie zu verletzen, Sir. Es war nur.»
«Es war nur so, daß du mich an deiner Freude teilhaben lassen wolltest und ich zu beschäftigt war, um dir zuzuhören. «Keen sagte:»Alles klar, Sir.»
Erleichtert blickte er von einem zum anderen. Dann suchte er All-days Blick, aber der zuckte mit keiner Wimper. Keen mußte lächeln; was war Allday doch für ein alter Fuchs!
«Also gut. «Bolitho sah zu seiner Flagge im Vormasttopp auf.»Setzt die Gefechtsflagge. Und dann, Mr. Bolitho, bitte folgendes Signal: Feind in Sicht!«Er sah die Verblüffung auf Adams Gesicht schnellem Begreifen weichen und fügte für die Umstehenden erklärend hinzu:»Schließlich kann es nichts schaden, wenn wir sie glauben machen, daß wir nicht ganz allein sind, wie?»
Und zu Keen sagte er:»Also fangen wir an.»
Aber angenommen, da drüben lag gar kein Schiff? Angenommen, er hatte sich in Tyrrell und in allem anderen geirrt? Dann wurde er jetzt zum Gespött seiner Leute.
Signalfähnrich Ferrier und der kleine Evans von Sparrowhawk machten sich mit ihren Gehilfen eifrig an den Flaggleinen zu schaffen, bis die bunten Stoffbällchen zügig zur Signalrah emporstiegen und in der leichten Brise auswehten, begrüßt vom aufgeregten Hurrageschrei der Stückmannschaften an den Achtzehnpfündern des Oberdecks.
Die meisten von ihnen konnten eine Signalflagge nicht von der anderen unterscheiden, aber die bunten Wimpel bedeuteten ihnen mehr als Worte: Sie waren ein Symbol.
Keen beobachtete Bolitho und unterdrückte einen Seufzer. Ich hätte damit rechnen müssen, dachte er.
Es knallte einmal scharf, dann riefen mehrere Stimmen zugleich:»Sie feuern auf den Kutter, die Schweine!»
Jubel schlug um in Wut.
Bolitho hob schnell das Glas und sah den Kutter gerade noch einen Haken schlagen; vorübergehend aus dem Takt gebracht, zögerten die Riemen über dem in bösartigen kleinen Fontänen aufspritzenden Wasser. Ein schlaffer Körper wurde rücksichtslos über das Dollbord gerollt, damit die Rudergasten mehr Platz gewannen. Mit einem trockenen Krachen feuerte die Drehbrasse des Kutters und bestrich das Ufergehölz mit ihrer Kartätschenladung.
Keen rief zum Batteriedeck hinunter:»Vielleicht müssen wir den Kutter sich selbst überlassen, Mr. Quantock! Aber signalisieren Sie Mr. Scott für alle Fälle, so schnell wie möglich zurückzukehren!»
Zustimmung heischend sah er sich nach Bolitho um, doch der stand drüben an den Finknetzen und starrte gebannt zu der halbverborgenen Flußmündung hinüber, als erwarte er dort jeden Augenblick eine Reaktion.
Der Kutter war langsamer geworden, woraus Bolitho schloß, daß doch mehrere Männer getroffen worden waren, wahrscheinlich von Musketenkugeln. An der Pinne stand jetzt Tyrrell und fuchtelte mit der Faust, um die Rudergasten zu größerer Anstrengung zu bewegen.
Das Großbramsegel füllte sich knallend mit Wind.
Bolitho sagte:»Halten Sie sich bereit, das Schiff wieder in Fahrt zu bringen, Mr. Knocker. Uns bleiben nur noch wenige Minuten.»
Quantock meldete:»Die Fregatte behält ihren Kurs bei, Sir.»
Bolithos Mund wurde plötzlich trocken, als er hinter den Wipfeln einer Baumreihe am Ufer eine Bewegung entdeckte: wie eine Schlange, die rot und gelb im Sonnenlicht leuchtete. Es war der Toppwimpel eines großen Schiffes, das, hinter den Bäumen versteckt, auf dem unsichtbaren Flüßchen langsam dem offenen Wasser zustrebte.
Dann schob sich ihr hochaufragender Bugspriet ins Freie, gefolgt von der golden glänzenden Galionsfigur, der Back und dem noch an seiner Rah aufgetuchten Vorbramsegel; aber die Breitfock war gesetzt und killte leicht, als das Schiff ins gleißende Licht hinausglitt.
Nur noch wenige Minuten, und es wäre unbemerkt geblieben. Wahrscheinlich hatten sie in ihrem Flußversteck den Atem angehalten, als Achates draußen vorbeisegelte, hatten über diese dilettantische Suchaktion gelacht. Unter seinen Rockschößen ballte Bolitho die Fäuste. Das Lachen wollte er ihnen bald austreiben.
Der Kutter war jetzt nur noch eine Kabellänge entfernt, und Keen befahl:»Klar bei Wurfanker! Wir haben keine Zeit, ihn an Bord zu nehmen.»
Gewaltsam mußte er den Blick von dem anderen Schiff losreißen, das seine Deckung jetzt verlassen hatte und im Nähergleiten immer größer wurde, bis es das Ufer ganz zu verdecken schien.
«Hol mich der Teufel, aber das ist sie wirklich!»
Bolitho zog den alten Säbel probeweise zwei Zoll aus der Scheide und stieß ihn wieder zurück.
«Endlich, Kapitän Keen, habe ich Sie überzeugt.»
Mit viel Geschrei wurden die Bootsgasten aus dem Kutter über das Schanzkleid gehievt. Dann legte sich Achates unter dem Winddruck etwas stärker über und schob das aufgegebene Beiboot wie ein Stück Treibholz beiseite. Immer noch stand Tyrrell an der Pinne, ihm zu Füßen lag als einziger Begleiter ein toter Seemann.
Bolitho rief:»Werft ihm eine Leine zu! Ich lasse ihn nicht zurück!»
Irgend etwas sagte ihm, daß Tyrrell im Kutter bleiben und sich mit der Strömung abtreiben lassen wollte. Absichtlich hatte er Achates in die Irre geführt, von einer falschen Spur zur anderen, und zum Schluß hatte er sogar vorgeschlagen, daß die Boote eine Bucht absuchen sollten, die dicht neben dem wirklichen Versteck des Spaniers lag. Niemand hätte jemals die Wahrheit erfahren. Und doch hatte ihn etwas im letzten Augenblick anderen Sinnes werden lassen.
Nun war er entlarvt und hatte noch Glück, wenn er für seinen Verrat nicht mit dem Leben bezahlen mußte.
Bolitho sah eine Talje über dem treibenden Boot schwingen, bemerkte Tyrrells furchtsames Zögern, ehe er schließlich das Ende ergriff und zweimal um die Drehbrasse schlang.
Keen wartete noch ab, bis Tyrrell und die Drehbrasse von den an der Pforte wartenden Helfern gepackt wurden, dann gab er seine Befehle und hetzte die Mannschaften in die Masten, wo sie die Brams egel setzten, um den auffrischenden Wind voll zu nutzen.
Bolitho spürte ein leichtes Beben unter seinen Füßen, hörte Blöcke klappern und Wanten knirschen, als Achates auf den steigenden Winddruck reagierte.
Keen starrte ihn an.»Was hatte dieser verdammte Narr eigentlich vor?«fragte er.»Verspricht er sich etwa. «Aber die Worte wurden ihm durch das Krachen einer Breitseite vom Mund gerissen.
Schon ruckten in der Bordwand des anderen Schiffes die Rohre wieder binnenbords, während durch Achates Takelage plötzlich ein tödlicher Eisenhagel fuhr. In den prallen Segeln klafften auf einmal
Löcher, und Bolitho spürte die schon vertraute Erschütterung unter seinen Sohlen, die schwere Treffer im Rumpf anzeigte.
Doch Knockers Steuerleute fingen sich wieder, und der Bugspriet begann sich, langsam zuerst und dann immer zielbewußter, zum Land hin zu drehen. Wie mit unsichtbarer Hand half die frische Brise nach. Aber das gegnerische Schiff folgte Achates' Manöver und profitierte genauso vom Wind.
Hätte Bolitho Keen in die Mona-Passage beordert, angespornt durch das nun günstigere Wetter, wären sie erst viel später nach San Felipe zurückgekehrt. Das Schiff, mit dem sie nun fast Bug an Bug lagen, während es sich von den Untiefen freikämpfte, wäre ihnen um Tage zuvorgekommen. Die kleine Brigg Electra hätte ihm gewiß bis zum bitteren Ende Widerstand geleistet, aber am Schicksal der Insel nichts mehr ändern können.
Keen hob den Arm.»Langsam, Mr. Knocker! Aufkommen!»
Noch drehte Achates weiter, ihre Segel begannen sich auf dem neuen Bug zu füllen, während die Seeleute mit aller Kraft an den Brassen hievten, um die herumschwingenden Rahen richtig zu trimmen. Aber der Master grunzte etwas über seine Schulter, und die Rudergasten bremsten die wirbelnden Speichen des großen Rades ab.
«Recht so!»
«West zu Nord liegt an, Sir!»
Bolitho befeuchtete sich die Lippen. Die Stückpforten des Feindes lagen jetzt in zu spitzem Winkel vor ihnen, als daß er sie unter Feuer nehmen konnte. Er hatte seinen Eröffnungszug zu früh gemacht. Aber trotzdem, die Schiffsführung drüben verstand ihr Handwerk, die Wende klappte, und fast alle Segel standen wieder voll.
«Steuerbordbatterie!«In einer einzigen, zischenden Bewegung zog Keen seinen Säbel.»Feuer in der Aufwärtsbewegung!»
Auf beiden Decks spähten die Stückmeister durch ihre Luken, die Abrißleinen straff gespannt in der Faust, und warteten darauf, daß das Ziel vor ihre Mündungen glitt.
Dann hieb die Schneide blitzend nach unten, ein sekundenlanger Donnerschlag brach los, und die Rohre der Achtzehn- und Vierund-zwanzigpfünder fuhren, von ihren Taljen abgefangen, wieder binnenbords.
Rauch trieb nach vorn davon und erlaubte einen Blick auf die Takelage des Feindes, die im Kugelhagel einen Höllentanz aufzuführen schien. An der Wasserlinie stiegen hohe Fontänen auf, wo andere Kugeln den Rumpf getroffen hatten. Doch obwohl der Fremde sein Manöver noch nicht ganz beendet hatte, erwiderte er sofort das Feuer.
Wiede r spürte Bolitho dieses schreckliche Aufbäumen des Decks und hörte einen schrillen Aufschrei am mittleren Luk.
Die Stückmannschaften arbeiteten wie die Wilden mit Schwämmen, Ladestöcken und Kartuschen, bis sie endlich die schwarz schimmernden Eisenkugeln in die Rohre gerammt hatten. Die Crews wetteiferten miteinander, welche ihre Kanone als erste feuerbereit melden konnte. Sowie alle Stückmeister mit erhobenen Händen dastanden, erklang wieder Keens heiserer Schrei:»Breitseite — Feuer!»
Diesmal gab es keine Fehlschüsse. Bei einer Distanz von knapp zwei Kabellängen konnten sie den Rumpf des Feindes unter den Treffern erzittern sehen. Das Seitendeck barst und riß einen Teil der Be-santakelage in die Tiefe.
Aber auch drüben hatten sie inzwischen nachgeladen, und die viel schwereren Zweiunddreißigpfünder reckten schon wieder ihre Rüssel aus den Stückpforten. Abermals schossen die Feuerzungen aus der Bordwand, und ein schreckliches Krachen und Rumpeln zeugte davon, daß viele Kugeln auf Achates ihr Ziel gefunden hatten.
Das Gesicht eine blutige Maske, wurde ein Kanonier von seiner Lafette weggerissen. Aber Bolitho sah auch, daß Midshipman Evans steif und starr dastand und das andere Schiff nicht aus den Augen ließ. Wenn ihn das Schlachtgetöse erschreckte, so merkte man es ihm nicht an. Bolitho begriff, wie der Feind in den Augen des Jungen aussehen mußte: der Mörder seines ersten Schiffes, das er brennend und zerschmettert in die Tiefe geschickt hatte, während Duncan neben ihm verblutete.
Bolitho rief:»Bewegen Sie sich, Mr. Evans!«Und als der Junge ihm einen verständnislosen Blick zuwarf:»Auch wenn Sie klein sind, geben Sie doch ein gutes Ziel ab!»
Über Evans' Gesicht glitt das Gespenst eines Lächelns, dann wandte er sich um und ging zu dem gefallenen Kanonier.
Wieder rollten die Kanonen im Rückstoß nach hinten, Explosionen erschütterten die Luft, keuchend und hustend rangen die Männer im
Pulverrauch nach Atem, während ihnen noch die Splitter vom letzten Beschuß um die Ohren flogen.
Hallowes, der Vierte Offizier, schritt hinter der vorderen Batterie auf und ab; den Degen auf der Schulter, beobachtete er seine Abteilung und gab in schneller Folge Kommandos.
«Zündloch stopfen!»
«Auswischen!»
Die Männer auf dem Batteriedeck duckten sich, als einige Finknetze an der Reling unter dem Beschuß zerplatzten und Fetzen der Hängematten durch die Luft flogen. Die Kugeln fällten zwei Seeleute, ein dritter konnte noch davonhinken und sich wie ein scheues Tier unter der Gangway verkriechen.
«Laden!»
Hallowes deutete mit dem Säbel auf den zusammengekauerten Mann und schrie:»Zurück an deinen Platz — sofort!«Und dann:»Ausrennen!»
Wieder rumpelten und quietschten die Lafetten, als das Schiff Kanone um Kanone dem Feind seine Breitseite präsentierte. Dieser lag nach einem leichten Richtungswechsel jetzt auf konvergierendem Kurs mit Achates und feuerte pausenlos weiter.
Bolitho sah Keen zur anderen Seite des Achterdecks hinübergehen. Neue Treffer hämmerten in den Rumpf, ein vielstimmiger Aufschrei aus dem unteren Batteriedeck verriet Bolitho, daß ein Vierundzwan-zigpfünder umgestürzt sein mußte oder — noch schlimmer — sich aus seinen Taljen losgerissen hatte.
Beide Schiffe waren der Bewaffnung nach ebenbürtig. Achates hatte zwar mehr Kanonen, aber die schwereren Kaliber des Feindes forderten einen schrecklichen Blutzoll. Ein einziger Glückstreffer konnte die Entscheidung bringen. Bolitho starrte auf Keens Rücken, als könne er ihn durch Willenskraft zum Handeln antreiben: Aufschließen, Val. Geh ran, ehe er dich entmastet.
Wieder übertönten Schreie das allgemeine Inferno der Kanonade. Ein Seesoldat taumelte, die Hände vors Gesicht geschlagen, von seinem Platz an den Finknetzen zurück; seine Brust war gespickt mit scharfen Holzsplittern.
«Herrgott, was für ein Schlamassel!«Tyrrell bahnte sich mit seinem Stumpf mühsam einen Weg durch zerrissene Taljen und gebrochene Leinen, die trotz der Schutznetze herabgefallen waren.
Bolitho wies ihn an:»Gehen Sie nach unten. Sie sind Zivilist.»
Tyrrell zog eine Grimasse, als eine Kugel am Verschlußstück eines Neunpfünders auf dem Achterdeck zerbarst und es Splitter hagelte, die abermals zwei Seeleute zu Boden rissen, wo sie sich in Lachen ihres eigenen Blutes wälzten.
Keen fuhr herum und funkelte Tyrrell an.»Verdammt, was machen Sie hier?»
Durch zusammengepreßte Zähne knurrte Tyrrell:»Bringen Sie Ihren Kahn endlich längsseits, Käpt'n, Ihre Leute können dieses Tempo nicht mehr lange durchhalten.»
Keen sah zu Bolitho hinüber.»Aber dann wird Ihr Flaggschiff erkannt, Sir!»
Daran lag's also. Bolitho zog seinen alten Säbel.»Legt Ruder! Wir bringen ihnen jetzt das Fürchten bei«, er hob die Stimme,»stimmt's, Jungs?»
Als sie ihm zujubelten, mußte er sich abwenden. Halbnackt, pulvergeschwärzt, schweißüberströmt, waren dies nicht die romantischen Helden, wie er sie auf manchem prächtig gemalten Schlachtenpanorama in London gesehen hatte.
Wieder spürte er die schon vertraute Wildheit des Nahkampfes in sich aufsteigen.»Lebhaft, dort drüben!«drängte er.
Als Ruder gelegt wurde, schwangen die Rahen leicht herum, und binnen weniger Minuten war die Distanz auf eine Kabellänge geschrumpft und verringerte sich schnell weiter. Bald waren es nur noch fünfzig Meter und weniger, die Takelage des Feindes ragte hoch über ihren Köpfen empor, und jetzt fiel Musketengeknatter in den betäubenden Chor der Kanonen ein.
Dem anderen Kommandanten blieb keine Wahl. Er konnte nicht mehr halsen und sich davonmachen, denn das Land, das ihm bisher Zuflucht geboten hatte, war jetzt zu einer tödlichen Gefahr geworden und drohte ihm mit den steinernen Fängen des Riffs, auf dem sich tobend die Brandung brach. Und wenn er es mit einer Wende versuchte, mußte er sich mit backstehenden Segeln festfahren und genau die entscheidenden Sekunden verlieren, die Keen brauchte, um ihn vom Bug bis zum Heck mit seinen Breitseiten zu beharken.
Ein splitterndes Krachen hoch über ihnen, und dann warnende Rufe:»In Deckung da unten!«Teile der Fußrah des Besansegels durchschlugen die Schütznetze, knallten an Deck und zogen ein Gewirr gebrochener Leinen und Taljen hinter sich her.
Bolitho spürte an der Schulter einen Schlag wie von einer eisernen Faust, und dann lag er mit dem Gesicht auf den Planken. Seine erste Reaktion kam einer Panik sehr nahe: wieder verwundet, und diesmal bestimmt schwer! Aber dann hörte er sich fluchen, vor allem über den Rauch, der ihm im entscheidenden Moment die Sicht geraubt hatte.
Er merkte, daß Adam mit starrem Blick seinen Arm gepackt hielt, während Allday irgend etwas Schweres von seinem Rücken wegzog und ihm zunächst auf die Knie, dann auf die Füße half. Ein riesiger Block, den der Schuß durch die Besantakelage losgerissen hatte, schwang wie ein Knüppel an seinen Parten vom Netz und hatte ihn umgerissen. Er hatte nicht mal einen Kratzer davongetragen. Mit leicht verzerrtem Grinsen dankte er, als jemand ihm seinen Hut zurückreichte und ein anderer jubelte:»Zeigen Sie's den Hunden, Sir!»
Bolitho wandte sich dem Feind zu, obwohl ihm der Rauch in den Augen brannte und ein dumpfer Schmerz in seiner Schulter pochte. Hätte der Block ihn am Kopf getroffen, wäre er jetzt tot gewesen.
Musketenkugeln durchlöcherten die zusammengerollten Hängematten, Holzsplitter wurden aus den Planken gerissen oder ragten wie spitze Federkiele aus dem Deck.
Doch schon blinkten Äxte im rauchgetrübten Sonnenlicht, die Trümmer aus der Besantakelage wurden freigehackt und mit Handspaken über das Schanzkleid gehievt.
Jetzt trug das erbarmungslose Exerzieren an Segeln und Kanonen Früchte. Wo ein Mann fiel oder beiseitegezerrt wurde, damit er nicht im Weg war, bis die Gehilfen des Schiffsarztes kamen, da stand sofort ein anderer an seinem Platz, herbeigesprungen von den Kanonen auf der gegenüberliegenden Decksseite.
Die Musketen der Marinesoldaten griffen jetzt in den Kampf ein. Sergeant Saxton schrie laut den Takt und stampfte dazu mit dem Stiefel auf, während die Ladestöcke sich alle zugleich hoben und senkten. Sobald die Läufe sich dann durch die Netze schoben, schrie er:»Ziel auffassen! Jeder Schuß ein Treffer!«Geknatter hoch über ihren Köpfen zeigte an, daß auch in den Masten Marinesoldaten feuerten; diese Scharfschützen zielten vor allem auf die Offiziere des Gegners.
Bolitho schritt auf und ab und stolperte dabei über einen gezackten Splitter, wodurch die Kugel eines feindlichen Scharfschützen ihn knapp verfehlte.
Die beiden Schiffe glitten immer näher zusammen. Die Kanonen feuerten jetzt auf Kernschußweite, bedient von halb blinden und tauben Mannschaften, die mit Händen und Füßen kämpfen mußten, um ihre schweren Waffen unter Kontrolle zu bringen.
«Feuer einstellen!»
Quantock mußte den Befehl wiederholen, ehe auch die letzte Kanone auf dem unteren Deck verstummte. Als der Feind es ihnen nachtat, entstand eine dumpfe Stille, in der andere Geräusche erst allmählich wieder wahrgenommen wurden: die Schmerzensschreie Verwundeter, Hilferufe, Befehle.
«Hartruder!»
Sobald das Rad herumwirbelte, fegte Achates' Bugspriet wie eine Axt durch die vorderen Wanten des gegnerischen Schiffes. Mit einem fürchterlichen Knirschen stießen die beiden Rümpfe zusammen.
Bolithos Männer rannten nach vorn, griffen jetzt zu Äxten, Entermessern und Piken, ließen Kanonen Kanonen sein und rüsteten sich zum Kampf Mann gegen Mann.
Leutnant Hallowes, dem der Hut halb vom Kopf geschlagen worden war, brüllte mit geschwungenem Säbel:»Auf sie, Leute!»
Jubelnd wie die Besessenen rannten die Männer nach vorn zu der Stelle, wo sich die Schiffsrümpfe berührten, um sich mit Hauen und Stechen einen Weg nach drüben zu erkämpfen, über das schmale Dreieck glitzernden Wassers hinweg.
Einige wurden von den Piken der Verteidiger aufgespießt, als sie sich schon an die Enternetze klammerten, andere fällten die Scharfschützen, noch ehe sie hinübergesprungen waren. Aber die meisten kamen durch, und immer mehr folgten ihnen; Bolitho sah den Vierten Offizier auf dem Backbordseitendeck des Feindes nach achtern stürmen, wobei er eine schrill aufschreiende Gestalt mit seinem Säbel beiseite hackte und eine andere mit dem Messer durchbohrte, bis er schließlich von seinen eigenen johlenden und kampfestollen Männern überholt wurde, deren Entermesser schon blutrot waren vom Handgemenge auf dem Vorschiff.
Die britischen Marinesoldaten drängten mit grimmigen Gesichtern auf der dem Feind zugekehrten Seite an die Reling und schössen in das Gedränge auf dem Achterdeck; der Drill war vergessen, jeder feuerte, so schnell er konnte.
Und nun zog Hauptmann Dewar seinen Säbel.»Vorwärts, Soldaten!»
Die roten Uniformröcke mit den weißen Brustriemen stürzten sich in die Rauchschwaden; auch wenn die Stiefel immer wieder im Blut ausrutschten, die Bajonette bahnten ihnen eine Gasse durch die Verteidiger, bis die Soldaten die erste Welle der Enterer auf dem Deck des Feindes erreicht hatten.
Keen war nach vorn gerannt, um seine Leute anzufeuern; trotz der Verluste im feindlichen Feuer hörte Bolitho immer wieder Hurrageschrei, das noch anschwoll, als die ersten das Achterdeck erreichten.
Plötzlich stieß Achates' Bootsmann einen Warnruf aus:»Feuer! Sie haben Feuer an Bord!»
Im selben Augenblick sah Bolitho drüben Rauchfäden aufsteigen.
Die Fäuste um den Handlauf gekrampft, starrte Tyrrell zum Feind hinüber, wo die ersten bereits ihre Waffen wegwarfen und um Gnade flehten, hart bedrängt von den wie im Rausch fechtenden Engländern.
«Mr. Hawtayne!«rief Bolitho.»Lassen Sie den Trompeter zum Rückzug blasen! Klar zum Loswerfen!»
Eine dumpfe Explosion erschütterte beide Rümpfe, aus dem Vordeck drüben quoll jetzt dicker schwarzer Rauch. Wenn das Schiff in Flammen aufging, drohte Achates das gleiche Schicksal.
Sich den Schweiß vom Gesicht wischend, kehrte Keen zurück und suchte mit den Blicken seine Offiziere und Maaten, als eine zweite Explosion den Ernst der Lage unterstrich.
Ihre Verwundeten hinter sich herzerrend und einige wenige Verfolger abwehrend, rannte Achates' Entermannschaft auf ihr eigenes Schiff zurück.
Sobald die letzte Verbindungsleine gekappt war, begann der fremde Zweidecker hilflos nach Lee abzutreiben, da sein Ruder entweder entzweigeschossen oder unbemannt war. Leichen trieben im Wasser zwischen den beiden Schiffen, leblose Gestalten hingen in Webeleinen und Netzen, wie die Kugeln sie ereilt hatten.
«Setzt die Breitfock! Holt dicht den Klüver! Entert auf und setzt die Bramsegel!«Quantocks rauhe Stimme übertönte das Chaos und sorgte für zielgerichtetes Handeln.
Auf dem Batteriedeck des Feindes leckte eine gewaltige Feuerzunge gen Himmel und brachte herumliegende Pulverladungen zur Explosion. Wie betäubt rannten Männer zwischen Gefallenen und Trümmern herum, niemand machte auch nur den Versuch, das Schiff zu retten.
Als Ruder gelegt wurde, wandte Achates sich langsam von dem geschlagenen Feind ab und entblößte dabei dessen Wunden: Blutspuren an der Bordwand, weggeworfene Waffen und Kanonenrohre, die wie aus eigenem Antrieb immer noch qualmten.
Eine weitere Explosion dröhnte übers Wasser, brennende Holz- und Riggstücke schlugen gefährlich nahe bei Achates ein; aber sie nahm jetzt mehr und mehr Fahrt auf, weil ihre durchlöcherten und rauchgeschwärzten Segel sich mit Wind zu füllen begannen.
Mehrere kleinere Explosionen, gefolgt von einer Funkenfontäne mittschiffs: Flammen züngelten an Masten und Segeln empor, bis die ganze Takelage ein Feuermeer war. Binnen weniger Sekunden wurden Leinen und Tuch zu Asche, Männer sprangen — manche selbst brennend — ins Meer, wo andere wild um sich schlagend schon nach Wrackteilen suchten, an die sie sich klammern konnten, während das Schiff lodernd davontrieb.
Bolitho sah zu und dachte an Sparrowhawk, fühlte aber keine Genugtuung. Jubelnd umarmten sich seine Leute. Sie hatten überlebt — ein weiteres Mal. Für viele war es das erste Gefecht gewesen.
Die spanische Fregatte, die sich während der ganzen Zeit mit der Rolle des unbeteiligten Zuschauers begnügt hatte, segelte jetzt vorsichtig auf das brennende Wrack zu. Sie verdeckte Achates die Sicht auf ihr Opfer, wohl um sich unbeobachtet schuldig zu machen. Aber die Spanier sagten sich wahrscheinlich, daß Tote nichts mehr bezeugen konnten. Ein grelles Aufblitzen und eine gewaltige Detonation ließen allen Jubel bei den Engländern wie abgeschnitten verstummen.
Das besiegte Schiff rollte sich auf die Seite, die brennenden Stückpforten starrten wie zornrote Augen himmelwärts.
Ihre Verbände gaben wohl nach, denn sie sank jetzt sehr schnell.
Unter Deck mußten die losgerissenen Kanonen die Agonie der Eingeschlossenen noch verstärken.
Bolitho sah Midshipman Evans hinüberstarren auf das Ende; aber sein Gesicht war tränennaß, nicht schadenfroh, und Bolitho wußte, warum.
Evans sah vor sich nicht die gerechtfertigte Vernichtung eines verhaßten Feindes, sondern durchlebte noch einmal den Untergang seiner
Sparrowhawk.
Leise sagte Bolitho:»Kümmere dich bitte um Mr. Evans, Adam. Er macht jetzt eine Krise durch.«. Keen trat heran und griff grüßend zum Hut.
«Wie hoch ist der Blutzoll, den wir dafür bezahlen mußten?«fragte ihn Bolitho.
Aber beide fuhren herum, als die Luft unter einer letzten Explosion erbebte. Das feindliche Schiff drehte wie ein tödlich getroffener Riesenwal den Bauch nach oben und versank.
Gedämpft sagte Keen:»Nicht viel hat gefehlt, dann wären wir jetzt an deren Stelle.»
Bolitho reichte Allday seinen Säbel.»Ich verstehe, Val. Dann ist wohl der Blutzoll noch immer nicht ganz bezahlt.»