ХIII Ein Feiertag

Adam Bolitho stand in Jonathan Chases Bibliothek am Fenster und starrte hinaus auf die endlos heranrollenden, gischtgekrönten Brecher der Massachusetts Bay. Erst vor einer Stunde war er in Vivids Beiboot gelandet und von Chases erstauntem Agenten in Empfang genommen worden. Wie er bald merkte, hatte Vivids Rückkehr unter britischer Flagge in ganz Boston Aufsehen erregt.

Adam kam es vor, als träume er. Chase hatte ihn begrüßt, wirkte aber zurückhaltend und nahm den dicken Umschlag nur zögernd an, den Adam ihm von seinem Onkel überbrachte.

Er schauderte in der kühlen Herbstluft Neuenglands und dachte seltsam schuldbewußt an das warme San Felipe. Schlimm, daß ihm alles so unwirklich schien. Aber da stand er nun, und Chase hatte sich entschuldigt, um Bolithos Brief zu lesen; vorher hatte er noch wie beiläufig erwähnt, daß Robina sich mit ihrer Mutter in Boston aufhielt und vielleicht bald vorbeikommen würde.

Adam wandte sich um und ließ den Blick über die Gemälde und nautischen Antiquitäten des geschmackvollen Zimmers schweifen. Es war der richtige Rahmen für einen Mann wie Chase, den ehemaligen Seemann — und ehemaligen Feind — , der jetzt ganz hier verwurzelt war.

Ihre Zehn-Tages-Reise von San Felipe nach Boston war ganz anders verlaufen als die Hinfahrt, auf der er sich die Zeit im Gespräch mit Jethro Tyrrell so angenehm vertrieben hatte. Diesmal hatte er trotz der Enge an Bord kaum ein Wort mit Tyrrell wechseln können, höchstens über das Wetter und ihre Navigation.

Warum hatte sein Onkel angeboten, Vivid für Tyrrell zu erwerben, und weshalb sollte Chase sie verkaufen wollen? All das konnte er sich nicht erklären. Aber es scherte ihn auch wenig — jetzt, da er wieder in Boston war und Robina wiedersehen würde.

«Tut mir leid, daß ich Sie warten ließ.»

Chase war ein kräftig gebauter Mann, aber dennoch lautlos wie eine Katze wieder ins Zimmer gekommen.

Nun nahm er bedachtsam Platz und begann:»Ich habe den Brief Ihres Onkels gelesen und veranlaßt, daß der zweite Brief, den er beigelegt hatte, sofort zu Sam Fane in die Hauptstadt gebracht wird. «Nachdenklich musterte er den Leutnant.»Mich wundert nur, daß er Sie damit gesandt hat.»

Adam hob die Schultern; darüber hatte er sich noch keine Gedanken gemacht.

«Hm. Ihr Onkel versichert mir, daß er Politik verabscheut, dennoch scheint er sich ausgezeichnet darauf zu verstehen. «Ohne dies näher zu erläutern, fuhr Chase fort:»Wie Sie beim Einlaufen zweifellos bemerkten, haben die französischen Kriegsschiffe Boston verlassen. Gerüchte verbreiten sich eben mit Windeseile. Der französische Ad-miral schien jedenfalls nicht auf einer schnellen Rückgabe San Felipes durch die Briten zu bestehen, solange die Lage dort unten noch unklar ist.»

«Aber Frankreich und Spanien waren doch schon oft verbündet,

Sir.»

Zum ersten Mal lächelte Chase.»Frankreich würde Spanien gewiß als Bundesgenossen brauchen, wenn es wieder zum Krieg mit England käme. Falls es also über San Felipe wirklich einen Konflikt geben sollte, dann möchten die Franzosen keineswegs als die Schuldigen dastehen. Es käme ihnen sehr zupaß, wenn die britischen Schiffe sich diskret zurückziehen würden, nachdem sie alle Ansprüche Spaniens auf San Felipe tapfer zurückgewiesen haben. Dann — und erst dann — wird für den französischen Admiral der rechte Zeitpunkt sein, die Insel zu übernehmen und einen Gouverneur einzusetzen.»

Adam erwiderte:»Es scheint mir verwerflich, so mit Menschenleben zu spielen.»

Chase nickte.»Da mögen Sie recht haben, aber San Felipe ist ein hoher Einsatz. Im Krieg wie im Frieden beherrscht es einen wichtigen Schiffahrtsweg. Meine Regierung würde es lieber im Besitz eines befreundeten Landes sehen, am liebsten unter unserem eigenen Schutz. Und genau das hatte Sir Humphrey Rivers vorgeschlagen. Aber da Sie Vizeadmiral Bolithos Adjutant sind, wissen Sie das alles zweifellos. Ich merke, daß Sie diese Zusammenhänge genauso schnell durchschauen wie Ihr Onkel, also muß Ihnen auch klar sein, daß es Rivers trotz seiner Loyalitätsbezeugungen für König Georg vor allem um seinen eigenen Vorteil geht. Er brachte eine gefährliche Karte ins Spiel, als er das Schicksal der Insel mit Spanien erörterte oder — um genau zu sein — mit dem spanischen Befehlshaber in La Guaira. Geteilte Geheimnisse sind keine Geheimnisse mehr. «Chase seufzte tief auf.»Außerdem läßt sich ein Tiger nicht aufs Teilen ein.»

Chase war sich jetzt Adams voller Aufmerksamkeit sicher. Er fuhr fort:»Ich kann offen mit Ihnen sprechen, weil keiner von uns beiden auf diese Affäre entscheidenden Einfluß hat. Das spanische Interesse blieb mir nur deshalb nicht verborgen, weil ich sowohl mit dem Befehlshaber in La Guaira wie auch mit seinem Nachbarn in Caracas Geschäftsbeziehungen unterhalte. Beide waren schon immer der Ansicht, daß ihre Regierung den Anschluß an die rapide Ausweitung ihres Imperiums in Südamerika verloren hat. Woche für Woche bringen die Sklavenschiffe mehr Arbeiter für die Bergwerke und Plantagen; unterwegs begegnen sie wahrscheinlich den bis ans Schanzkleid mit Gold beladenen Galeonen, die auf dem Weg nach Spanien sind. In der Vergangenheit hat San Felipe ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Dem wollen sie in Zukunft einen Riegel vorschieben.»

Adam sah im Geiste plötzlich Achates im Hafen von San Felipe vor sich, halb abgetakelt für Reparaturen, die Mannschaft überfordert mit Arbeiten, die das Ge schick erfahrener Werfthandwerker verlangt hätten.

«Dieser Zweidecker.. «rief er aus.

Chase lächelte grimmig.»Den Sie versenkt haben? O ja, Leutnant, darüber haben mir meine Informanten alles berichtet. Das war die Intrepido, frisch überholt in Cadiz und stark genug bewaffnet, um es mit jedem Narren aufzunehmen, der ihr in die Quere kommen wollte. Ein Freibeuter, ein gekaufter Abenteurer — nennen Sie ihn, wie Sie wollen. Aber ihr Kommandant hatte Anweisung, jeden Widerstand zu brechen und die Insel in Besitz zu nehmen. Später sollte ein beamteter Gouverneur installiert und die spanische Flagge gehißt werden, wobei weder von den Briten noch von den Franzosen nennenswerte Gegenmaßnahmen erwartet wurden. Ihrer Regierung wäre es peinlich gewesen, wegen dieser aussichtslosen Sache noch mehr Zeit und Menschenleben zu opfern, und auch die Franzosen würden sich nicht dagegen sperren, weil sie sich damit Spanien für künftige Zwecke zum Schuldner machen konnten. «Er lehnte sich bequem in seinem Stuhl zurück und schloß:»Erklärt das nicht alles?»

Adam nickte verwirrt; doch die scheinbare Stichhaltigkeit dieser grausam simplen Überlegungen ekelte ihn an.

Chase fuhr fort:»Aber nichts ist so einfach, wie es scheint. Die Spanier dachten schnell, raffiniert und skrupellos, doch sie machten die Rechnung ohne Ihren dickköpfigen Onkel. Trotzdem ist er zu bedauern. Er steht als einziger zwischen den Spaniern und ihrer Gier nach San Felipe. Wie ich annehme, war all dies schon in England bekannt, bevor man ihn ausschickte. Es ist nicht als Beleidigung gedacht, wenn ich sage, daß die Briten bei ihren Verhandlungen ziemlich hinterhältig vorgehen können. Für manche Leute zählt Selbstachtung eben nicht, wenn es um Dinge geht, die sich auf der anderen Seite der Welt abspielen. Habe ich recht?»

«Ich kann es nicht glauben, Sir. Mein Onkel wird ihnen die Stirn bieten.»

Chase wirkte plötzlich besorgt.»Gewiß, davon bin ich überzeugt. Aber was kann er erreichen, wenn die Bevölkerung der Insel nicht hinter ihm steht? Auf verlorenem Posten kämpfen?»

Adam ballte die Fäuste so fest, daß sich die Nägel schmerzhaft in sein Fleisch gruben.»Genau das!»

Chase wandte den Blick ab, als könne er Adams Verzweiflung nicht mitansehen.»Dann helfe ihm Gott.»

In diesem Augenblick schwang die Tür auf, und Adam hörte Robinas aufgeregte Stimme fragen:»Wo hast du ihn versteckt, Onkel? Und was soll das ganze Gerede über einen Verkauf der Vivid? Sie ist doch eines deiner Lieblingsschiffe!»

Sie fuhr herum, erkannte Adam neben dem Fenster und schrie in freudiger Überraschung leise auf.

«Da bist du ja!«Sie lief auf ihn zu und küßte ihn leicht auf die Wange.»Jetzt wird alles gut!»

Adam wagte nicht, sie zu berühren oder zu umarmen, denn er sah über ihrer Schulter Chases umwölkte Miene.

Ernst sagte ihr Onkel: «Vivid war schon immer etwas zu klein für meine Zwecke. Tyrrell hat sie mehr als verdient.»

Er ließ Adam nicht aus den Augen und versäumte es, den von Bo-litho entrichteten Kaufpreis zu erwähnen. Langsam schritt er zur Tür, den Blick immer noch auf das junge Paar am Fenster gerichtet.

Er sah keine Möglichkeit, es ihnen schonend beizubringen; deshalb war sein Ton fast grob, als er fortfuhr: «Vivid muß noch vor Anbruch der Nacht den Anker lichten. Unser Leutnant hier hat seinem Onkel wichtige Nachrichten zu überbringen. Ist's nicht so?»

Langsam nickte Adam; er verabscheute Chase und bewunderte ihn doch.

Wie lange sie so dastanden, konnte er später nicht sagen. Er preßte Robina an sich, murmelte Unverständliches in ihr Haar, während sie seine Schultern umklammert hielt, als wehre sie sich mit Gewalt gegen das Unbegreifliche.

Schließlich lehnte sie sich in seinen Armen zurück und starrte zu ihm auf.»Warum?«fragte sie.»Was ist daran denn so wichtig? Wir sind endlich wieder zusammen, mehr wollten wir doch nicht. Also warum mußt du schon wieder fort?»

Adam wischte eine blonde Haarsträhne aus ihren Augen und sah seine Hoffnung, sein Glück, verrinnen wie Sand im Stundenglas.

«Ich muß zurück nach San Felipe, Robina«, sagte er.»Dein Onkel kennt den Grund. Er kann es dir besser erklären als ich.»

In ihren Augen blitzte plötzlich Zorn auf.»Was geht das alles dich an? Du bist doch bloß Leutnant, weshalb sollte er dich mit hineinziehen?«Sie versuchte, sich ihm zu entwinden, aber Adam hielt sie fest.

«Es hat schwere Kämpfe gegeben. Mein Schiff hat den Gegner versenkt, wurde dabei aber selbst stark beschädigt. «Er spürte, wie alle Kraft sie verließ, als sie die Bedeutung seiner Worte erfaßte.»Mein Onkel hat herausgefunden, welche Gefahr der Insel drohte und wer sie heraufbeschwor. Er hat mich mit Depeschen zu deinem Onkel nach Boston gesandt, damit diese Informationen umgehend an euren Präsidenten weitergeleitet werden.»

Ihre Augen hingen an seinem Gesicht.»Aber weshalb wird mein Onkel da mit hineingezogen, meine Familie?»

Resigniert hob Adam die Schultern.»Weil er schon damit befaßt war. Er kannte seit langem die Absichten Spaniens, das hat er gerade indirekt zugegeben. San Felipe unter französischer oder britischer Flagge zu wissen, würde deinem Land offenbar wenig behagen. Aber da mein Onkel all diese widerstreitenden Interessen jetzt ans Licht gebracht hat, wird sich keine der Parteien in seinen Konflikt mit den Spaniern einmischen. «Adam konnte seine Verbitterung nicht unterdrücken.»Also steht mein Onkel ganz allein da, wenn er seine Pflicht tut.»

Sie machte einen Schritt von ihm weg und sagte, ohne ihn anzusehen:»Dann planst du also nicht mehr, dir hier bei uns ein neues Leben aufzubauen?»

«Aber so ist es doch nicht! Ich liebe dich von ganzem Herzen.«»Und trotzdem schlägst du mir das ab?»

Adam trat auf sie zu, doch sie wich zwei Schritte vor ihm zurück.»Es ist meine Pflicht…»

Da hob sie den Blick zu ihm, in ihren Augen funkelten Tränen.»Pflicht! Was kümmert mich das! Wir sind beide jung, so jung wie dieses Land, weshalb willst du uns also unglücklich machen — für etwas ganz Sinnloses?»

Adam hörte Schritte im Korridor, die schweren von Chase und die leichteren einer Frau: Robinas Mutter.

Als die beiden durch die Tür traten, war Chases Gesicht streng und verschlossen, das der Frau bleich vor Sorge.

Ohne Umschweife fragte Chase:»Also, haben Sie's ihr gesagt?»

Adam begegnete seinem Blick offen.»Das meiste, Sir.»

«Aha. «Chase schien erleichtert zu sein.»Ihr Mr. Tyrrell hat es eilig mit dem Auslaufen. Der Wind krimpt. «Er ließ den Satz unvollendet.

«Ja, gleich. «Adam wandte sich noch einmal dem Mädchen zu, die beiden anderen Menschen im Raum sofort vergessend.»Jedes Wort eben war mein voller Ernst, Robina. Eines Tages komme ich zurück, und dann.»

Sie blickte zu Boden.»Dann wird es zu spät sein.»

Chase nahm Adams Arm und bugsierte ihn durch die geschmackvoll getäfelte Halle. Ein schwarzer Lakai öffnete die Haustür, und Adam sah vor sich den kalten blauen Streifen der See und den Himmel darüber, der ihn zu verspotten schien.

Leise sagte Chase:»Bitte, glauben Sie mir, daß ich das sehr bedau-re. Aber es ist besser so, das werden Sie eines Tages begreifen.»

Geistesabwesend schritt Adam die Treppe hinunter und sah Tyrrell schon am Tor warten. Dieser studierte aufmerksam das Gesicht des Näherkommenden und fiel dann mit seinem Holzstumpf neben ihm in

Schritt.

«Also haben Sie sich entschieden?»

«Man hat für mich entschieden. «Adam sah kaum, wohin er den Fuß setzte, so beschäftigt war er mit seinem Schmerz, seiner Verzweiflung,

«Da wäre ich mir nicht so sicher, Leutnant. «Tyrrell warf ihm einen Seitenblick zu.»Aber ich weiß, wie Ihnen zumute ist.»

Adam wurde zornig.»Woher plötzlich dieses Mitgefühl? Auf dem Weg hierher haben Sie doch kaum das Wort an mich gerichtet!»

Tyrrell grinste.»Da wußte ich noch nicht, woran ich mit Ihnen war. Sie hätten sich ja auch hier ins warme Nest setzen können.»

Als die verankerte Brigantine vor ihnen auftauchte, beschleunigte er den Schritt.»Aber Ihre Treue war nicht käuflich, Leutnant. Da ging's Ihnen nicht anders als mir.»

Nebeneinander warteten sie an der Pier auf das Boot, das sie zur Vi-vid übersetzen sollte. Dabei glitt Tyrrells Blick immer wieder von Adam zu seinem neuen Schiff hinüber. Er kannte sich aus mit gebrochenen Herzen, hatte das selbst mehr als einmal erlebt. Aber ein eigenes Schiff war etwas ganz anderes.

Mit rauher Freundlichkeit schlug er dem Leutnant auf die Schulter.»Also los, junger Freund, ausnahmsweise stehen Wind und Tide endlich einmal günstig für uns.»

Adam zögerte noch; er blickte sich um, aber das Haus war schon von anderen Gebäuden verdeckt. Ihm kam wieder in den Sinn, was er Robina erst vor wenigen Minuten gesagt hatte:»Ich liebe dich von ganzem Herzen.»

Daß er die Worte laut ausgesprochen hatte, wurde ihm erst klar, als er Tyrrells mitfühlende Stimme sagen hörte:»Das geht vorbei. Nur seine Träume vergißt man nie.»

Bolitho nahm die letzten Steinstufen zur Brustwehr des Forts im Eilschritt und bemerkte mit Genugtuung, daß er nicht außer Atem gekommen war. An Land bekam man doch mehr körperliche Bewegung als an Bord.

Es war noch früh am Morgen und angenehm kühl nach der schweren nächtlichen Regenbö. Typisches Wetter für die Inseln dieser Gegend, dachte er. Regengüsse bei Nacht, und eine Stunde nach Sonnenaufgang schon so starke Hitze, daß alles wieder knochentrocken wurde.

Leutnant George Lemoine, der den Trupp des 60. Infanterieregiments befehligte, griff grüßend zum Hut.»Ich hörte, daß Sie schon früh auf den Beinen sind, Sir«, lächelte er.

Bolitho beugte sich über die Brüstung und blickte auf das schimmernde Wasser des Hafens hinunter. Ein großer Teil lag noch im Schatten, aber bald mußte die Sonne über den Vulkangipfel steigen; dann würden die Schiffe wie die Stadt dahinter im Hitzeglast verschwimmen. Er sah Achates' schwarzen Rumpf mit den hellbraunen Streifen der Batteriedecks und fragte sich, ob Keen immer noch über den endlosen Vorratslisten grübelte.

Ihr Frischproviant wurde allmählich knapp; und Trinkwasser mußte Faß für Faß von den Seeleuten an Bord geschafft werden. Die Inselbewohner rührten immer noch keinen Finger für die Briten, sondern beriefen sich auf ihre Armut, wenn Früchte oder Obstsäfte für die Besatzung besorgt werden sollten.

Bolitho hatte sein Bestes getan, um mit der Bevölkerung in Kontakt zu kommen. Das Ausweglose ihrer Situation war ihm durchaus klar.

Die Pflanzer und Händler verübelten ihm, daß ihre Schiffe weder aus-noch einlaufen konnten und daß Frachtsegler, die Waren nach San Felipe brachten, durchsucht werden mußten, ehe man sie auf Reede ankern ließ. Selbst eine vollbesetzte Garnison und mehrere Kriegsschiffe wären pausenlos beschäftigt gewesen mit dieser Aufgabe, die Lemaines Soldaten und die Marineinfanteristen jetzt ganz allein bewältigen mußten.

Bolitho holte tief Atem. Unten lag seine Barkasse an der Pier des Forts, wo er vor drei Monaten Rivers zum erstenmal gegenübergetreten war. Nun schrieben sie Ende September, und Adam wurde stündlich zurückerwartet. In Vivid. Hatte er sie Tyrrell zur Belohnung oder als Bestechung geschenkt? Ganz klar war er sich immer noch nicht über seine Motive.

Und Bolitho dachte auch an Falmouth: herbstliches Laub in roten und braunen Farbtönen, abends dann der Duft der Holzfeuer; tüchtig und zuversichtlich gingen die Leute ihrem Tagwerk nach, denn Schiffe wie Achates sicherten ihnen den Frieden.

Von Belinda war kein weiterer Brief gekommen, aber schließlich hatten ihn von nirgendwo neue Nachrichten erreicht. Die Insel schien vom Rest der Welt abgeschnitten zu sein, auch wenn die Ausguckposten gelegentlich fern am Horizont die Toppsegel unidentifizierter Kriegsschiffe gemeldet hatten.

Vielleicht war alles längst vorbei? Das unvermutete Aufspüren des versteckten Zweideckers und seine Versenkung konnten die Angriffsgelüste der Spanier erstickt haben.

Aber die Ungewißheit kostete Bolitho Nerven und Schlaf. Er hatte sich angewöhnt, in der Morgenkühle über die Insel zu reiten oder dem Fort einen Besuch abzustatten, und sei es nur, um der Besatzung zu zeigen, daß sie nicht vergessen war.

Manchmal fragte er sich, ob die Kunde von den Ereignissen um San Felipe schon bis in die Straßen Londons oder aufs Land gedrungen war. Würde Belinda dann begreifen, was hier wirklich vorging? Bestimmt gab es genug Neider, die sein Vorgehen nur als Bemühen interpretieren würden, den Verlust von Duncans Sparrowhawk zu verschleiern.

Der Ruf eines Wachtpostens riß Bolitho aus seinen Gedanken.»Kanonenfeuer, Sir! Östlich von hier.»

Lemoine straffte sich.»Bei Gott, er hat recht. «Durch die gewölbten Hände rief er:»Korporal der Wache, geben Sie Alarm!»

Schon sah Bolitho die Rotröcke aus ihren Kasematten unterhalb der Festungsmauern rennen.

Die Kanonenschüsse hatten wahrscheinlich nicht viel zu bedeuten, waren vielleicht nur eine Geste ohnmächtigen Trotzes von einem weit draußen passierenden spanischen Schiff. Aber man durfte nichts riskieren.

Er sah sich um und gewahrte im Schatten des Wachtturms Mids-hipman Evans, der schon ein Teleskop aus seinem Futteral zog. Es war fast unheimlich, wie der Junge jedem seiner Schritte folgte und stets zu erraten schien, was er als nächstes tun würde.

Doch war es noch nicht hell genug, um weit über das Vorland hinaussehen zu können. Oder doch? Ja, da war es: das von der Unterseite einer Wolke reflektierte Aufblitzen. Und noch eines. Zu sporadisch für ein Seegefecht. Also wahrscheinlich eine Verfolgungsjagd.

Bolitho winkte Evans heran.»Verständigen Sie das Wachboot, man soll Achates vorwarnen. Eine Empfehlung an Kapitän Keen, und ich lasse ihm ausrichten, daß wir Gesellschaft bekommen, noch ehe der Tag voll angebrochen ist.»

Er sah Crocker, den Artilleriemaat der Achates, auf der oberen Bastion herbeilaufen, gefolgt von keuchenden Soldaten.

Crocker, wahrscheinlich der älteste Mann an Bord, war mit seinem dünnen weißen Nackenzopf und seltsam hüpfenden Gang ein richtiges Original. Seit ihn etwa in Adams Alter ein Splitter ins linke Auge getroffen hatte, war er darauf fast blind. Doch mit dem rechten Auge sah er so scharf wie ein Falke, und wenn er einen Kanonenlauf ausrichtete und abfeuerte, traf er besser als eine ganze Crew. Er verstand sich auch aufs Kugelerhitzen, und Bolitho glaubte schon die beißenden Schwaden zu riechen, die von den hinter der Brüstung aufgestellten Essen aufstiegen.

Crocker schien überrascht, seinen Vizeadmiral auf der Bastion anzutreffen. Grüßend tippte er sich an die Stirn und drehte dann seine Mütze herum, damit er besser durch die Schießscharten spähen konnte. Jetzt sah er noch verwegener aus, und Bolitho konnte es seinen Stückführern leicht nachfühlen, daß sie ihn wie die Pest fürchteten.

«Feiner Morgen für 'ne Ballerei, Sir!»

Bolitho mußte lächeln.»Halten Sie sich bereit.»

Lemoine sah dem davonhastenden Crocker nach.»Der hat meine Männer ziemlich in Trab gehalten, Sir.»

Von der Kirche in der Stadt klang Glockengeläut herüber, dünn und melancholisch in der feuchten Morgenluft.

«Was bedeuten die Glocken, Mr. Lemoine?«Bolitho hielt sein Teleskop auf das ferne Schiff gerichtet.

Der Leutnant unterdrückte ein Gähnen. Er hatte bis nach Mitternacht mit seinem Stellvertreter Karten gespielt — und verloren.

«Hier auf der Insel leben viele Katholiken, Sir«, antwortete er.»Die Glocken rufen zur Morgenandacht. «Als Bolitho schwieg, fügte er noch erläuternd hinzu:»Heute ist ein Feiertag für sie, der Namenstag von St. Damian.»

Lemoine ging ohne Scheuklappen durch die Welt, dachte Bolitho zufrieden. Im Gegensatz zu manchen Offizieren, für die außerhalb ihres eigenen engen Befehlsbereichs nichts anderes existierte.

Wieder Kanonenfeuer. Es klang, als versuchten sie, ein Schiff am Einlaufen zu hindern. Adam fiel ihm ein. Nein, ihn betraf es bestimmt nicht. Tyrrell war ein viel zu alter Fuchs, um sich so früh fangen zu lassen.

Er schwenkte das Glas zum anderen Vorland herum, das sich eben aus dem Schatten schälte. An seinem felsigen Fuß erkannte er schon die weiße Brandung und weiter draußen die Kette größerer Felsblök-ke, die ins Meer hinausragte und den bezeichnenden Namen Cape Despair, Kap der Verzweiflung, trug.

Schritte polterten die Treppe herauf, und ein Melder erstattete Le-moine bellend Bericht. Der Leutnant wandte sich an Bolitho:»Me l-dung vom Flaggschiff, Sir: alle Boote ausgesetzt und Patrouillen alarmiert.»

Bolitho konnte sie vor sich sehen, die kleinen Truppen der Marineinfanteristen, verstärkt durch ein paar Freiwillige der Inselmiliz. Eine kleine Streitmacht, aber wenn sie geschickt eingesetzt wurde, konnte sie wenigstens verhindern, daß durch den Riffgürtel Stoßtrupps angelandet wurden. Abgesehen davon gab es nur eine Zufahrt, eine sichere, und das war der Weg, den Keen nachts gewählt hatte. Aber wenn der Feind dort einen Durchbruch versuchte, würde ihm der alte Crok-ker mit seinen glühenden Kugeln tüchtig einheizen.

Sonnenlicht floß die Hänge herunter und übergoß die Hafeneinfahrt mit Gold. Im Teleskop sah Bolitho das Wachboot dort langsam entlangrudern, befehligt von einem Midshipman, der im Heck stand und wahrscheinlich seine befristete Freiheit genoß.

Lemoine sagte:»Da ist sie, Sir!»

Das fremde Schiff rundete das Vorland, seine Segel verloren den Wind, als es wendete, füllten sich aber gleich wieder auf dem neuen Bug: ein großes, gut geführtes Fahrzeug.»Indienfahrer, Sir«, meldete sich wieder Lemoine.»Ich kenne ihn, es ist die Royal James. Vor einigen Monaten lag sie in Antigua.»

Aus den Schießscharten beugten sich neugierige Männer, andere liefen unten auf der Pier nach vorn, um den Ankömmling besser sehen zu können.

Bolitho kam zu einem Entschluß.»Ich kehre aufs Flaggschiff zurück, Mr. Lemoine. Sie werden hier ja allein fertig. «Er war schon die halbe Treppe hinabgelaufen, ehe der Leutnant antworten konnte.

Die Mannschaft der Barkasse sprang auf, als Bolitho durchs Tor eilte.»Zum Schiff, Allday«, befahl er.

Er ignorierte ihre Überraschung und versuchte sich darüber klar zu werden, was ihn so beunruhigte. Wenn der Verfolger nicht noch durch einen Zufallstreffer in seinem Rigg Schaden anrichtete, sollte der Indienfahrer sicher den Hafen erreichen können. Bei diesem starken Südost mußte sich das feindliche Schiff gut von der Leeküste freihalten — oder sich dem Kugelhagel der Kanonen stellen. Und jetzt, bei vollem Tageslicht, konnte Crocker eigentlich nicht danebenschießen.

Die Riemen der Barkasse hoben und senkten sich in schnellem Gleichtakt, bis das Boot übers glatte Wasser zu fliegen schien.

Plötzlich packte Bolitho Alldays Arm.»Kursänderung! Aufs Vorland zuhalten!«Als Allday zögerte, schüttelte er ihn und rief aus:»Ich muß blind gewesen sein! Dabei hat Lemoine mich unwissentlich darauf gebracht: Heute ist St. Damianstag!»

Allday legte Ruder, so daß die Barkasse einen Bogen beschrieb, aber dennoch kam kein einziger der langen Riemen aus dem Takt.

«Aye, Sir, wenn Sie's sagen?»

Er hält mich für verrückt, dachte Bolitho und erläuterte hastig:»Aber trotz des Feiertags ist noch kein einziges Boot von der Missionsinsel gekommen!»

Immer noch starrte Allday ihn an.

Bolitho blickte sich nach dem Wachboot um, aber das stand zu nahe an Land, dicht vor der Hafeneinfahrt, und jeder Mann im Boot hatte nur Augen für die Royal James, die jetzt gleich um den Landvorsprung brausen mußte.

Bolitho hieb sich mit der Faust in die andere Handfläche. Er hätte es gleich sehen müssen!

«Ist die Mannschaft bewaffnet?«fragte er Allday.

Der nickte und kniff die Augen vor der blendenden Sonne zusammen.»Jawohl, Sir, mit Entermessern und drei Pistolen.»

Er warf Bolitho einen Seitenblick zu, gespannt, was nun bevorstand, wagte aber vor seinen Untergebenen nicht danach zu fragen.

«Dann muß das reichen. «Bolitho deutete auf einen winzigen Sandstrand.»Setz uns dort auf.»

Als die Rudergasten ihre Riemen in der Schwebe hielten und das Boot lautlos in den Schutz der hohen Steilküste glitt, wirkte die Szenerie ungemein friedlich.

«Alle von Bord!«Bolitho kletterte hinaus und spürte, wie die Strömung die Beine unter ihm wegziehen wollte, als er zum Strand watete. Entermesser und drei Pistolen — wogegen? Er befahl:»Schickt einen Mann aus, er soll die Patrouille von der Landspitze herbeiholen. Aber sich dabei nicht blicken lassen.»

Allday ließ ihn nicht aus den Augen.»Ist das ein Überfall, Sir?«fragte er nervös.

Aus dem Häufchen Waffen im Sand suchte sich Bolitho eine Pistole und ein schweres Entermesser heraus. Ausgerechnet diesmal war er unbewaffnet an Land gegangen.

«Es geht um die Mission. Irgend etwas stimmt dort nicht.»

Auch die Männer bewaffneten sich und folgten ihm gehorsam den Steilhang hinauf. Auf dem Bergrücken empfing sie starker Wind, der ihnen Sand ins Gesicht peitschte; der Bewuchs, der von weitem so einladend aussah, bestand nur aus zähem Unkraut und niedrigen Sträuchern.

Auf dem Missionsinselchen drängten sich die wenigen Gebäude dicht zusammen; der Strand war leer, alles wirkte völlig verlassen. Nicht einmal Rauch zeugte von Herdfeuer oder anderweitigem Leben.

Bolitho hörte schwache Hochrufe, halb verweht vom Wind, als riefen irgendwo spielende Kinder. Er hielt inne und warf einen Blick über die Hafeneinfahrt zur alten Festung hinüber, deren Flagge munter auswehte. Die Hochrufe kamen wahrscheinlich vom Wachboot, denn der mächtige Indienfahrer ragte plötzlich über dem Vorland auf und hielt zielstrebig auf den sicheren Hafen zu.

Er hatte ein großes Boot im Schlepp, doch an Deck zeigten sich kaum Leute; auch enterte niemand auf, um die Segel zu kürzen, sobald das Schiff den Ankerplatz erreicht hatte. In diesem Augenblick glitt das Wachboot in Sicht; der Midshipman hob schon seine Flüstertüte an die Lippen, um den Neuankömmling anzupreien.

Gewaltsam wandte Bolitho sich ab und musterte sein kärgliches Häuflein. Keen und die anderen konnten sich um die Royal James kümmern. Er hatte die schnittige Takelage einer Fregatte entdeckt, die gerade draußen beidrehte, weil ihre Beute den Schutz der Festungsbatterie erreicht hatte.

«Die Boote sind weg, Sir«, sagte Allday.

Bolitho starrte zur kleinen Insel hinüber. Es stimmte, die Fischerboote waren alle verschwunden. Das mochte die simple Erklärung sein: Die Mönche oder Missionare waren zum Fischen ausgelaufen, denn schließlich ging der Lebensunterhalt dem Gebet vor.

«Sehen Sie dort, Sir!»

Bei Alldays Aufschrei fuhr Bolitho zu der vorgelagerten Riffkette herum. Die Felsen waren nicht mehr leer und verlassen, sondern voll kletternder, geduckt rennender Gestalten; Sonnenlicht reflektierte von Säbelschneiden und Bajonetten.

«Soldaten!«Keuchend vor Aufregung hob Allday seine Pistole.»Das sind ja hundert und mehr!»

Einige Schüsse fielen; sie klangen weit entfernt und ungefährlich, bis die Kugeln über ihre Köpfe pfiffen oder in den harten Sand klatschten.

«In Deckung!»

Bolitho sah den ausgeschickten Mann mit zwei Seesoldaten aus dem Wachboot unten am Ufer entlangrennen. Einer fiel sofort, die anderen verschwanden aus seinem Blickfeld.

Nun gab es eine gedämpfte Explosion, fühlbar eher als Druckwelle denn als Schall. Als ob alle Luft aus den Lungen gesaugt würde.

Bolitho rollte sieh auf die Seite und spähte zu der Stelle hinüber, wo sie die Barkasse gelassen hatten; da sah er, wie die Royal James sich aufbäumte. In ihrer Bordwand flogen die Stückpforten auf, aber statt der Kanonenrohre schossen Flammenzungen heraus, die sofort nach oben leckten und Wanten, Spieren und Segel mit entsetzlicher Schnelligkeit verzehrten. Das nachgeschleppte Boot war losgeworfen worden und wurde jetzt zur Hafeneinfahrt zurückgerudert.»Ein Brander!«flüsterte Allday.

Bolitho sah den noch wachsenden Feuerschein sich in Alldays Augen spiegeln und konnte sogar die Hitze fühlen, die wie aus einer offenen Esse zu ihnen herübergeweht wurde. Der Wind stand so, daß er das aufgegebene Schiff direkt in den Hafen trieb. Geradewegs auf die verankerte Achates zu.

Wieder peitschten Schüsse über die Landzunge, und Bolitho hörte schon das Geschrei der anstürmenden Soldaten.

Mit Achates würden sie alle Hoffnung und jeden Schutz verlieren. Und die Festungsbatterie hatte ihrem Mörder noch Deckung geboten.

Mit wilden Augen starrte Allday ihn an.»Kämpfen wir, Sir?»

Bolitho fiel etwas zurück. Sollte das schon alles gewesen sein? Ein sinnloser Tod auf dieser gottverlassenen Insel? Dann fiel ihm wieder der Trommler ein und der Ausdruck seines toten Gesichts, ehe er es zugedeckt hatte.

Er richtete sich auf und wog das schwere Entermesser in der Hand.»Ja, wir kämpfen!»

Links und rechts von ihm erhob sich die Bootscrew und schwenkte ihre Entermesser. Bolitho zielte, taub gegen das furchtbare Prasseln der Flammen, und feuerte in die anrückende Reihe Soldaten. Zum Nachladen blieb keine Zeit. Für nichts blieb mehr Zeit.

Er machte einen Ausfall über das lose Geröll und hackte den Säbel eines Gegners mit solcher Wucht beiseite, daß der Mann den Abhang hinunterrollte.

Stahl schlug auf Stahl, ein paar vereinzelte Schüsse fielen, aber ihre Gegenwehr war erbärmlich schwach. Bolitho spürte, wie er von den Kämpfenden bedrängt wurde, sah wilde Augen und gebleckte Zähne, fühlte Haß und Verzweiflung, als seine kleine Gruppe von der spanischen Übermacht zurückgedrängt wurde. Noch einmal hieb er mit aller Kraft zu, spaltete das Gesicht eines Gegners vom Ohr bis zum

Kinn, hörte sein Entermesser auf Knochen knirschen, als er die Dek-kung eines zweiten durchbrach und seine Brust durchbohrte.

Plötzlich ein Keuchen neben ihm — zu seinem Entsetzen brach All-day im Handgemenge zusammen und entschwand seinen Blicken.

«Allday!»

Bolitho stieß einen Soldaten beiseite, um seinen Bootsführer zu erreichen. Ihr Widerstand war sinnlos geworden, eine leere Geste, dienlich nur seinem Stolz.

Bolitho senkte die Waffe.»Genug!»

Zwischen den unschlüssig Zögernden fiel er auf die Knie und versuchte, Allday auf den Rücken zu drehen. Dabei rechnete er jede Sekunde mit dem Todesstoß, erwartete den weißglühenden Schmerz der eindringenden Klinge, aber selbst das war ihm gleichgültig.

Doch die Soldaten verharrten reglos, ob aus Verblüffung über die erbitterte kurze Gegenwehr oder aus Respekt vor Bolithos hohem Rang, ließ sich nicht sagen.

Bolitho beugte sich so über Allday, daß er ihm Schatten spendete. Er gewahrte Blut auf seiner Brust, viel zu viel Blut.

Verzweifelt flüsterte er:»Nur ruhig, alter Freund. Du hast nichts mehr zu befürchten, bis.»

Allday öffnete die Augen und sah sekundenlang stumm zu ihm auf. Dann krächzte er:»Es tut weh, Sir. Höllisch weh. Diesmal haben sie mich umgebracht, die Hunde.»

Ein Matrose ließ sich neben ihnen zu Boden fallen.»Sir!«keuchte er.»Die Spanier rennen davon!»

Bolitho blickte auf und sah die fremden Soldaten sich laufend oder hinkend zu den Felsen zurückziehen, wo sie ihre Boote gelassen hatten.

Der Grund dafür wurde bald sichtbar: eine Reihe Kavallerie, die unter der Führung Hauptmann Masters' von der Inselmiliz mit gezogenen Säbeln über den Bergrücken galoppiert kam — eine lautlose Attak-ke, die deshalb um so bedrohlicher wirkte.

Masters zügelte sein Pferd und sprang ab, in seinem Gesicht stand ungläubiger Schrecken.»Wir haben gesehen, wie Sie sie aufzuhalten versuchten«, brach es aus ihm hervor,»da beschlossen ein paar von uns, sie abzufangen.»

Bolitho sah ihn an, gewahrte aber nur Masters dunkle Gestalt und dahinter die großen Rauchschwaden, die von dem Inferno im Hafen aufstiegen.»Sie kommen zu spät!»

Er entwand das Entermesser Alldays schlaffer Hand und warf es den Fliehenden nach. Da spürte er einen Griff ums Handgelenk und blickte hinab in Alldays schmerzverdunkelte Augen.

«Geben Sie nicht auf, Sir«, murmelte sein Bootsführer.»Wir schlagen die Kerle, verlassen Sie sich drauf.»

Schwere Stiefel stapften durch den Sand heran, mehr Rotröcke umschlossen sie zu beiden Seiten.

Bolitho sagte:»Hebt ihn vorsichtig auf, Leute.»

Er sah den vier Soldaten nach, die Allday zur Barkasse hinuntertrugen. Dabei hörte er in der Ferne weitere Explosionen und Geschrei aus allen Richtungen. Er wurde gebraucht. Zum Trauern war jetzt keine Zeit. Wie oft hatte er das schon gehört…

Trotzdem eilte er den Soldaten nach und ergriff noch einmal All-days Arm.

«Laß mich nicht allein, Allday. Ich brauche dich.»

Alldays Augen blieben geschlossen, aber über sein Gesicht glitt der Schatten eines Lächelns; dann wurde er in die Barkasse gehoben.

Als Bolitho über den Strand schritt und seine Goldepauletten in der Sonne funkelten, brachen einige Milizsoldaten in Hochrufe aus.

Ein Mann der Bootscrew, der den verwundeten rechten Arm ruhiggestellt im Hemd trug, blieb stehen und fuhr sie böse an:»Jetzt jubelt ihr wohl, ihr Lumpen, was? Weil ihr noch einmal davongekommen seid!«Verächtlich spuckte er vor ihre Füße und deutete dann mit dem Kopf auf Bolitho.»Aber der dort ist mehr wert als ihr und die ganze verdammte Insel zusammen!»

Bolitho ging durchs Buschwerk davon, das an einigen Stellen schon aufflammte, entzündet vom Funkenflug des Branders.

Jeden Augenblick erwartete er die zweite Angriffswelle. Und Keen benötigte bestimmt dringend seine Hilfe. Aber all das schien ihm so unwirklich. Ihn erfüllte nur ein Gedanke: daß Allday nicht sterben durfte. Nicht so sinnlos. Er war knorrig und stark wie ein Eichbaum — das konnte doch nicht sein Ende sein!

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