Bolithos Heimkehr wurde ein größeres Fest, als er während der langen Monate seiner Abwesenheit zu hoffen gewagt hätte. Und doch, wie vorausgeahnt, stimmte es ihn auch traurig. Das Abschiednehmen in Plymouth war ebenso bewegend wie der Willkomm, als die narbenbedeckte, arg mitgenommene Achates den Anker hatte fallen lassen; ihre Prise, die Argonaute, wurde sofort ins Trockendock übernommen.
Für das Schiff mußte es ein stolzer Augenblick gewesen sein, überlegte Bolitho, auch wenn alle Pumpen mit Höchstleistung arbeiteten — wie jeden Tag und jede Stunde seit dem Gefecht. Selbst mit dem zusammengebastelten Behelfsrigg schaffte es das alte Käthchen, noch keß und unternehmungslustig auszusehen, auch wenn die Nationale nur auf der Hälfte ihrer vorgeschriebenen Höhe auswehte. Achates' Anblick trieb die Menschen in Scharen auf dem Ufer zusammen.
Adam hatte Bolitho mit ernstem Gesicht von der zerschossenen Hütte herabsteigen gesehen, um sich von den Männern zu verabschieden, die ihm seit ihrem Aufbruch vor einem Jahr so vertraut geworden waren: Scott und Trevenen, Hawtayne und der junge Ferrier. Dann Tuson, der Schiffsarzt, der Keen einen daumengroßen Metallsplitter aus den Rippen geschnitten hatte. Und auch der kleine Evans, aus dem so früh ein Mann geworden war.
Aber Bolitho dachte auch an jene, die er niemals wiedersehen würde, die den Triumph der Heimkehr nicht mit ihnen teilen konnten.
In wenigen Monaten würde das eroberte Linienschiff unter britischer Flagge segeln, eine hochwillkommene Verstärkung der dezimierten Flotte. Aber Achates hatte das Gefecht schlechter überstanden als vermutet. Die blauen Gewässer der Karibik würde sie kaum wiedersehen, sondern ihre Tage als abgetakelte Hulk, als Unterkunft für durchreisende Seeleute beschließen.
Die Rückfahrt durch den Kanal war langsam und mühsam gewesen, und sie hatten sich so dicht unter der Küste Cornwalls halten müssen, daß Adam in die Besansaling aufgeentert war, um mit dem Fernrohr Ausschau zu halten.
Als er wieder unten stand, sagte er nur:»Ich habe ein Stück vom Haus gesehen, Onkel. «Jetzt erst begriff er, wie nahe er daran gewesen war, es nie mehr wiederzusehen.»Das Vorland ist schwarz vor Menschen, sie stehen bis nach St. Anthony.»
Trotz des warmen Frühjahrswindes kamen sie nur so langsam voran, daß Bolitho eine Kutsche nach Plymouth entgegengeschickt wurde.
Er war dankbar, daß Belinda nicht selbst gekommen war, denn wenn sie gesehen hätte, wie sein beschädigtes Schiff in den Hafen hinkte, wäre sie vor Sorge außer sich gewesen.
Ein letztes Mal hatte Keen ihn in der Barkasse an Land begleitet. Die Menschenmenge am Kai jubelte und warf ihre Hüte in die Luft, die Frauen hoben ihre kleinen Kinder hoch, damit sie Bolitho sehen konnten. Die Nachricht von seinem Sieg war ihm weit vorausgeeilt. Aber Bolitho bemerkte auch, daß unter den Zuschauern nur wenige junge Männer waren.
Denn wieder einmal lag England im Krieg mit seinem alten Feind, und wen die Werber übriggelasen hatten, den hätten die Preßkommandos bei dieser Gelegenheit nur zu schnell aufgegriffen.
Auch von Tyrrell hatte er sich verabschiedet, mit mehr Rührung als erwartet. Aber Tyrrells verbissene Halsstarrigkeit machte eine Trennung unumstößlich.
Tyrrell hatte Bolithos Hände in beide Pranken genommen und gesagt:»Ich schaue mich erst ein bißchen um, Dick. Mal sehen, ob es mir hier gefällt.»
Bolitho beharrte:»Trotzdem, kommen Sie bald in Falmouth vorbei. Und vergessen Sie uns nicht.»
Tyrrell warf sich den Seesack über die Schulter.»Vergessen hab' ich Sie nie, Sir. Und werd's auch jetzt nicht tun.»
Seitdem war schon eine Woche vergangen. Bolitho stand am Fenster, blickte hinaus auf den schattigen, blumenübersäten Garten und konnte es kaum glauben.
Bei ihrem ersten Wiedersehen hatten sich Freude und Rührung die Waage gehalten.
Belinda preßte die Stirn an seine Brust und flüsterte:»Ich habe Ferguson überredet, mit mir zum Vorland zu fahren. Da sah ich dich vorbeisegeln. Das arme kleine Schiff! Ich war ganz entsetzt, aber auch sehr stolz auf dich. «Sie hob den Blick zu seinem Gesicht, suchte darin die Spuren des Überstandenen.»Und alles war voll jubelnder
Menschen. Sie wußten natürlich, daß du sie nicht hören konntest, aber sie wollten dich trotzdem willkommen heißen.»
Bolitho sah, daß Allday sich im Garten mit einem Lakai unterhielt; er brachte ihn zum Lachen, wohl mit einem alten Seemannsgarn. Auch mit Allday war ein Bild verbunden, das er nicht so schnell vergessen würde: wie sein alter Bootsführer steif aus der Kutsche geklettert war und sich bemüht hatte, auf der Stein treppe nicht zu hinken.
Belinda war ihm entgegengekommen, hatte ihm die Arme um den Hals gelegt und leise gesagt:»Danke, Allday, daß Sie mir meine Männer heimgebracht haben. Ich wußte, Sie würden es schaffen.»
So hatte sie ihn langsam wieder zum Leben erweckt — wie das alte Haus, dachte Bolitho. Ihre heitere Gegenwart war überall fühlbar.
Die Woche war im Nu vergangen, obwohl sie keine Besuche gemacht oder empfangen hatten. Ihre Einfühlsamkeit, ihre leidenschaftliche Liebe hatte sie einander noch näher gebracht.
Dabei fiel ihm wieder der Augenblick ein, als er seine Tochter zum erstenmal auf den Arm genommen hatte.
Halb lachend, halb weinend hatte Belinda ihn ermutigt:»Nimm sie hoch, Richard! Sie ist doch nicht aus Glas!»
Elizabeth. Ein ganz neuer Mensch. Belinda hatte den Namen allein ausgesucht, so selbstverständlich, wie sie auch das ganze Hauswesen allein geführt hatte.
Für Bolitho hatte alles außerhalb seiner Familie an Bedeutung verloren. Rivers war in derselben Kutsche wie Jobert nach London gebracht worden. Der französische Admiral würde eines Tages bestimmt ausgetauscht werden, aber für Rivers sah die Zukunft viel ungewisser aus.
Wieder warf Bolitho einen Blick aus dem Fenster, aber Allday war verschwunden. An den Gedanken, daß sich England wieder im Krieg befand, konnte er sich nur schwer gewöhnen. Wodurch war der Frieden verspielt worden?
Die Tür ging auf, und Belinda trat mit Elizabeth auf den Armen ins Zimmer. Bolitho nahm sie ihr ab und trug sie zum Fenster, während das Kind nach den Goldknöpfen seiner Uniform grapschte.
Sein Glück war vollkommen und beschämte ihn fast, wenn er daran dachte, wie viele bittere Not litten oder gestorben waren.
Auch Adam kam ins Zimmer und musterte lächelnd die drei am Fenster. Er gehörte jetzt zur Familie, alles war arrangiert.
Draußen auf dem Flur hastete Allday zur Tür und rügte eines der Dienstmädchen:»Beeil dich, du Trine, ein Kurier ist angekommen!»
Belinda griff sich an die Brust.»O nein, nicht so bald! Nicht schon wieder«, flüsterte sie.
Bolitho hörte die Verzweiflung in ihrer Stimme und drückte seine Tochter fester an sich.
Adam eilte aus dem Zimmer, kehrte aber kurz darauf mit einem dik-ken, versiegelten Briefumschlag zurück.
Beruhigend sagte er:»Der Kurier kommt nicht von der Admiralität. Die Nachricht ist vom Hof in St. James.»
Belinda nickte erleichtert.»Lies bitte vor, Adam. Ich bin zu nervös.»
Adam brach die Siegel auf und las schweigend.
Dann hob er den Blick.»Gott sei Dank«, sagte er.
Allday und Ferguson drückten sich noch in der Tür herum, beobachteten, wie der Leutnant das eindrucksvolle Schreiben an die Hausfrau weiterreichte. Er sah die Überraschung in ihrem Gesicht der Freude weichen und sagte:»Tja, Allday, du mußt höherenorts gute Beziehungen haben. Dein Wunsch ist erfüllt worden.»
Wortlos starrte Allday zum Fenster, wo Belinda jetzt die Arme um Mann und Kind legte und Bolitho auf die Wange küßte.
Lächelnd meinte Adam:»Aber ich glaube, mein Onkel ist zufrieden mit dem, was er hat. Das ist für ihn der schönste Lohn.»
Allday hörte ihn nicht; sein Blick war in die Ferne gerichtet, als er sagte:»Also Sir Richard Bolitho. «Dann nickte er nachdrücklich, und in seinen Augen stand wieder ein Glanz wie in alten Tagen.»Wenn mich jemand fragt: Es wurde auch Zeit!»
Ende