Daenerys

Die Dothraki nannten den Kometen shierak qiya, den Blutenden Stern. Hinter vorgehaltener Hand flüsterten die alten Männer, er sei ein böses Omen, doch Daenerys Targaryen hatte ihn zum ersten Mal in jener Nacht erblickt, in der sie Khal Drogo verbrannt hatte, der Nacht, in der die Drachen erwacht waren. Er ist der Herold meines Kommens, sagte sie sich, während sie voller Staunen zum Nachthimmel hinaufschaute. Die Götter haben ihn gesandt, um mir den Weg zu weisen.

Doch als sie ihren Gedanken Ausdruck verlieh, jammerte ihre Magd Doreah:»In dieser Richtung liegen die roten Lande, Khaleesi. Die Reiter sagen, das sei ein grimmiger, schrecklicher Ort.«

«Die Richtung, in die der Komet zeigt, ist die Richtung, die wir einschlagen müssen«, beharrte Dany… allerdings war es in Wahrheit auch der einzige Weg, der ihr offenstand.

Sie wagte es nicht, sich nach Norden zu wenden, auf den riesigen Ozean aus Gras hinaus, den sie das Dothrakische Meer nannten. Das erste khalasar, dem sie begegneten, würde ihren mitgenommenen Haufen verschlingen, die Krieger niedermetzeln und den Rest versklaven. Das Land der Lämmermenschen südlich des Flusses durfte sie ebenfalls nicht betreten. Sie waren zu wenige, um sich selbst gegen dieses friedliebende Volk zu verteidigen, und die Lhazareen hatten keinen Grund, sich ihnen gegenüber freundlich zu zeigen. Des weiteren hätten sie flußabwärts zu den Häfen Meereen, Yunkai und Astapor ziehen können, allerdings hatte Rakharo sie davor gewarnt, da Ponos khalasar diese Richtung eingeschlagen hatte und Tausende von Gefangenen vor sich hertrieb, um sie auf den Märkten an der Sklavenjägerbucht zu verkaufen.

«Warum sollte ich mich vor Pono furchten?«wandte Dany

ein.»Er war Drogos ko und mir stets wohl gesonnen.«

«Ko Pono war Euch wohl gesonnen«, meinte Ser Jorah Mormont.»Khal Pono wird Euch töten. Er hat Drogo als erster verlassen. Zehntausend Krieger sind mit ihm gegangen. Ihr habt hundert.«

Nein, dachte Dany. Ich habe vier. Der Rest sind Frauen, kranke alte Männer und Knaben, deren Haar noch nie geflochten wurde.»Ich habe die Drachen«, meinte sie.

«Küken«, entgegnete Ser Jorah.»Ein einziger Hieb eines arakh würde ihr Leben beenden, obwohl Pono sie vermutlich für sich selbst behalten würde. Eure Dracheneier waren bereits wertvoller als Rubine. Einen lebendigen Drachen kann man mit allem Gold der Welt nicht bezahlen. Nur diese drei gibt es noch. Jeder Mann, der sie zu Gesicht bekommt, wird sie besitzen wollen, meine Königin.«

«Sie gehören mir«, antwortete sie heftig. Ihr Glaube und ihre Not hatten sie geboren, der Tod ihres Gemahls und ihres ungeborenen Sohnes und der maegi Mirri Maz Duur hatten ihnen das Leben geschenkt. Dany war durch die Flammen geschritten, als sie schlüpften, und sie hatte sie an ihren geschwollenen Brüsten gesäugt.»Kein Mann wird sie mir wegnehmen, nicht solange ich lebe.«

«Wenn Ihr auf Khal Pono stoßt, werdet Ihr nicht mehr lange leben. Das gleiche gilt für Khal Jhaqo und die anderen. Ihr müßt dorthin gehen, wo sie nicht sind.«

Dany hatte ihn zum Ersten ihrer Königinnengarde ernannt… und da sein ehrlicher Rat und das Omen übereinstimmten, war ihr Ziel beschlossene Sache. Sie rief ihr Volk zusammen und bestieg ihre silberne Stute. Ihr Haar war in den Flammen von Drogos Totenfeuer verbrannt, und ihre Mägde hatten sie in das Fell des hrakkar, des weißen Löwen vom Dothrakischen Meer, gehüllt. Dessen furchterregender Kopf bildete eine Kapuze für ihren Schädel, sein Pelz wallte über ihre Schultern und ihren

Rücken. Der cremefarbene Drache krallte sich mit scharfen Klauen in die Löwenmähne und schlang den Schwanz um ihren Arm, während Ser Jorah seinen Platz an ihrer Seite einnahm.

«Wir folgen dem Kometen«, erklärte Dany ihrem khalasar. Kein Laut des Widerspruchs erhob sich. Sie waren Drogos Volk gewesen, jetzt waren sie das ihre. Die Unverbrannte nannten sie ihre Herrscherin, die Mutter der Drachen. Ihr Wort war Gesetz.

Sie ritten des Nachts und suchten bei Tag in ihren Zelten Schutz vor der Sonne. Bald schon erkannte Dany, wie recht Doreah gehabt hatte. Dieses Land war unbarmherzig. Hinter sich ließen sie eine Spur von toten und sterbenden Pferden zurück, da Pono, Jhaqo und die anderen die besten Tiere aus Drogos Herden genommen und Dany die alten und abgemagerten, die kranken und lahmen, die zerschundenen und ungehorsamen hinterlassen hatten. Genauso verhielt es sich mit den Menschen. Sie sind nicht stark, sagte sie sich, daher muß ich ihnen Kraft geben. Ich darf keine Angst, keine Schwäche, keinen Zweifel zeigen. Wie groß meine Furcht auch ist, wenn sie in mein Gesicht blicken, dürfen sie nur Drogos Königin sehen. Vierzehn Jahre war sie alt, dennoch fühlte sie sich viel älter. Falls sie jemals wirklich ein Mädchen gewesen war, hatte diese Zeit ein Ende gefunden.

Nach dreitägigem Marsch starb der erste Mann. Der zahnlose Alte mit trüben blauen Augen fiel aus dem Sattel und konnte nicht mehr aufstehen. Eine Stunde später war es mit ihm vorbei. Blutfliegen umschwärmten seine Leiche und trugen sein Unglück zu den Lebenden.»Seine Tage waren gezählt«, verkündete ihre Magd Irri.»Niemand sollte länger leben als seine Zähne. «Die anderen stimmten zu. Dany befahl Ihnen, das schwächste der halbtoten Pferde zu schlachten, damit der tote Mann beritten in die Länder der Nacht einziehen konnte.

Zwei Nächte später traf es ein kleines Mädchen. Die trauernde Mutter klagte den ganzen Tag über, aber an den Tatsachen ließ sich nichts ändern. Das arme Ding war zu klein gewesen, um reiten zu können. Dem Kind standen die endlosen schwarzen Grasebenen in den Ländern der Nacht nicht offen; es mußte wiedergeboren werden.

In der roten Ödnis fanden sie kaum Futter für die Tiere und noch weniger Wasser. Die trostlose Landschaft bestand aus niedrigen Hügeln und kargen, windigen Ebenen. Die Flüsse, die sich hindurchzogen, waren ausgetrocknet. Die Pferde lebten von zähem braunem Teufelsgras, welches büschelweise um Felsen und abgestorbene Bäume herum wuchs. Dany schickte Kundschafter aus, die jedoch weder Brunnen noch Quellen entdeckten, nur seichte Tümpel mit schalem, stehendem Wasser, das in der heißen Sonne verdunstete. Je tiefer sie in die Wüste eindrangen, desto kleiner wurden die Tümpel, während die Abstände zwischen ihnen zunahmen. Falls es in dieser weglosen Wildnis aus Stein und Sand und rotem Lehm Götter gab, so waren sie hart und trocken und jedem Gebet um Regen gegenüber taub.

Zuerst ging der Wein aus, bald darauf die geronnene Stutenmilch, welche die Dothraki lieber tranken als Met. Dann neigten sich die Vorräte an Fladenbrot und getrocknetem Fleisch dem Ende zu. Die Jäger fanden kein Wild, und so füllte ihnen ausschließlich das Fleisch der toten Pferde die Bäuche. Ein Todesfall folgte dem anderen. Schwache Kinder, verhutzelte alte Frauen, die Kranken, die Dummen, die Achtlosen, dieses grausame Land forderte sie ohne Gnade für sich. Doreah magerte ab, ihre Augen lagen tief in den Höhlen, und ihr Haar wurde stumpf und spröde.

Dany hungerte und dürstete mit ihnen. Ihre Brüste trockneten aus und gaben keine Milch mehr, die Warzen rissen auf und bluteten, und Tag für Tag magerte sie mehr ab, bis sie dürr und hart wie ein Stock war. Trotzdem galt ihre Sorge allein ihren Drachen. Ihr Vater war vor ihrer Geburt getötet worden, und ihr prächtiger Bruder Rhaegar ebenfalls. Ihre Mutter hatte sie zur Welt gebracht, während draußen ein Sturm toste. Der gute Ser Willem Darry, der sie auf seine Art geliebt haben mußte, war in ihrer Kindheit an einer Krankheit gestorben. Ihren Bruder Viserys und Khal Drogo, ihre Sonne, ihre Sterne, selbst ihren ungeborenen Sohn hatten die Götter zu sich gerufen. Doch meine Drachen bekommen sie nicht, schwor Dany. Niemals.

Die Drachen waren nicht größer als die Katzen, die einst über die Mauern von Magister Illyrios Anwesen in Pentos geschlichen waren… solange sie die Flügel nicht entfalteten. Ihre Spannweite war dreimal so groß wie ihre Länge, und jede Schwinge war ein Fächer aus zarter, durchscheinender Haut von prächtiger Farbe. So kleine Dinger, dachte sie, während sie ihnen aus der Hand Futter reichte. Aber die Drachen fraßen nicht. Sie zischten nur und spuckten die blutigen Häppchen Pferdefleisch aus… bis Dany sich eines Tages an etwas erinnerte, das Viserys ihr gesagt hatte.

Allein Drachen und Menschen essen gekochtes Fleisch.

Daraufhin ließ sie das Fleisch von den Mägden rösten, und nun zerrissen die Drachen es gierig und zuckten wie Schlangen mit den Köpfen. Sie schluckten, was immer man ihnen darbot, gelegentlich das Mehrfache ihres eigenen Körpergewichts, und endlich wuchsen sie und wurden kräftiger. Dany bewunderte ihre weichen Schuppen und die Hitze, die von ihnen ausging, so spürbar, als würden ihre kleinen Leiber dampfen.

Bei Einbruch der Dunkelheit brach das khalasar auf, und jeweils einen der Drachen ließ Dany auf ihrer Schulter reiten. Irri und Jhiqui beförderten die beiden anderen in einem Holzkäfig, der zwischen ihren Pferden hing, und blieben dicht hinter ihr, damit die Kleinen ihre Mutter stets sehen konnten. Nur auf diese Weise konnte man sie still halten.

«Aerons Drachen wurde nach den Göttern des alten Valyria benannt«, erklärte sie ihren Blutreitern eines Morgens nach langem nächtlichem Marsch.»Visenyas Drache war Vhagar, Rhaenys hieß Meraxes, und Aegon ritt auf Balerion, dem Schwarzen Schrecken. Man erzählt sich, Vhagars Atem war so heiß, daß er eine Ritterrüstung schmelzen und den Mann darin kochen konnte. Meraxes schluckte angeblich ganze Pferde, und Balerion… sein Feuer war so schwarz wie seine Schuppen, und seine Schwingen so breit, daß ganze Städte in ihren Schatten getaucht wurden, wenn er darüber hinwegflog.«

Die Dothraki bedachten ihre Kleinen mit unbehaglichen Blicken.

Der größte der drei glänzte schwarz, und seine Schuppen waren passend zu den Flügeln und Hörnern mit Streifen von grellem Scharlachrot gemustert.»Khaleesi«, murmelte Aggo,»dort sitzt der wiedergeborene Balerion.«

«Vielleicht ist es so, Blut von meinem Blut«, erwiderte Dany ernst,»doch er soll für sein neues Leben einen anderen Namen erhalten. Ich werde sie nach jenen benennen, welche die Götter mir genommen haben. Der Grüne heißt Rhaegar, nach meinem kühnen Bruder, der am grünen Ufer des Trident den Tod fand. Der creme- und goldfarbene heißt Viserion. Viserys war grausam und schwächlich, und doch war er mein Bruder. Sein Drache wird vollbringen, was ihm nicht vergönnt war.«»Und das schwarze Tier?«fragte Ser Jorah Mormont.»Der Schwarze«, antwortete sie,»ist Drogon. «Indes ihre Drachen prächtig gediehen, schwand ihr khalasar dahin. Das Land wurde immer öder und karger. Nun fand sich sogar Teufelsgras nur noch selten; Pferde blieben plötzlich stehen und brachen zusammen. Viele Menschen mußten bereits zu Fuß gehen. Doreah litt unter Fieber und wurde mit jeder Meile schwächer. Ihre Lippen und Hände waren mit Blutblasen übersät, ihr Haar fiel büschelweise aus, und eines Abends mangelte es ihr an der Kraft, ihr Pferd zu besteigen. Jhogo sagte, man müsse sie entweder zurücklassen oder im Sattel festbinden, doch Dany erinnerte sich an eine Nacht auf dem Dothrakischen Meer, als das Mädchen aus Lys sie Geheimnisse gelehrt hatte, mit deren Hilfe sie Drogos Liebe noch vermehren könnte. Sie flößte Doreah Wasser aus ihrem eigenen Schlauch ein, kühlte ihre Stirn mit einem feuchten Tuch und hielt ihre Hand, bis sie zitternd starb. Erst dann erlaubte sie dem khalasar weiterzumarschieren.

Von anderen Reisenden fanden sie keine Spur. Die Dothraki flüsterten einander ängstlich zu, der Komet führe sie in die Hölle. Eines Morgens trat Dany zu Ser Jorah, während sie das Lager inmitten eines Gewirrs schwarzer Steine errichteten.»Haben wir uns verirrt?«fragte sie ihn.»Hat diese Wüste denn gar kein Ende?«

«Doch, das hat sie«, antwortete er müde.»Ich habe die Karten von Kaufleuten gesehen, meine Königin. Nur wenige Karawanen wählen diesen Weg, das stimmt wohl, dennoch liegen im Osten große Königreiche und Städte voller Wunder. Yi Ti, Qarth, Asshai am Schatten…«

«Werden wir lebend dort ankommen?«

«Ich will Euch nicht belügen. Der Weg dorthin ist härter, als ich anzunehmen wagte. «Das graue Gesicht des Ritters zeigte seine Erschöpfung. Die Wunde an seiner Hüfte, die er erhalten hatte, als er gegen Khal Drogos Blutreiter gekämpft hatte, war nie ganz ausgeheilt; stets verzog er das Gesicht vor Schmerz, wenn er sein Pferd bestieg, und im Sattel sank er während des Ritts in sich zusammen.»Vielleicht ereilt uns das Verhängnis, wenn wir weiterziehen… aber ganz gewiß sind wir verdammt, wenn wir umkehren.«

Dany küßte ihn sanft auf die Wange. Sein Lächeln gab ihr Mut. Auch ihm muß ich meine Kraft geben, dachte sie grimmig. Mag er ein Ritter sein, ich bin vom Blut der Drachen.

Das Wasser des nächsten Tümpels, auf den sie stießen, war brühend heiß und stank nach Schwefel, aber ihre Schläuche waren so gut wie leer. Die Dothraki ließen das Wasser in Krügen und Töpfen abkühlen und tranken es lauwarm. Der Geschmack wurde dadurch nicht besser, immerhin war es Wasser, und sie waren halb verdurstet. Dany blickte voller Verzweiflung zum Horizont. Sie hatte ein Drittel ihres Volkes verloren, und weiterhin erstreckte sich die Wüste öde und rot und endlos vor ihnen. Der Komet verspottet mich, ging es ihr durch den Kopf, während sie den Himmel absuchte. Habe ich die halbe Welt durchquert und die Geburt von Drachen gesehen, nur um mit ihnen in dieser heißen, harten Wüste zu sterben? Sie wollte es nicht glauben.

Am nächsten Tag befanden sie sich zu Beginn der Dämmerung auf einer von Rissen und Spalten durchzogenen roten Ebene. Dany wollte gerade befehlen, das Lager aufzuschlagen, da galoppierten die Kundschafter ins Lager.»Eine Stadt, Khaleesi!«riefen sie.»Eine Stadt, bleich wie der Mond und lieblich wie eine Maid. Keine Stunde von hier entfernt.«

«Zeigt sie mir«, sagte sie.

Dann tauchte die Stadt mit ihren weißen Mauern und Türmen, die durch einen Schleier von Hitze schimmerten, vor ihr auf, und der Anblick war so erhaben, daß Dany ihn für ein Trugbild hielt.»Wißt Ihr, welcher Ort das ist?«erkundigte sie sich bei Ser Jorah.

Der verbannte Ritter schüttelte müde den Kopf.»Nein, das weiß ich nicht, meine Königin. So weit hat es mich nie nach Osten verschlagen.«

Die fernen weißen Mauern versprachen Ruhe und Sicherheit, eine Möglichkeit, sich zu erholen und zu stärken, und Dany wäre am liebsten weitergeeilt. Statt dessen wandte sie sich an ihre Blutreiter:»Blut von meinem Blut, geht voraus, bringt den Namen dieser Stadt in Erfahrung und auch, ob man uns

willkommen heißen wird.«

«Ja, Khaleesi«, antwortete Aggo.

Es dauerte nicht lange, bis ihre Reiter zurückkehrten. Rakharo schwang sich aus dem Sattel. An seinem mit Medaillons geschmückten Gürtel hing der arakh, den Dany ihm verliehen hatte, als sie ihn zu ihrem Blutreiter erklärt hatte.»Diese Stadt ist tot, Khaleesi. Namenlos und gottlos liegt sie vor uns, die Tore sind zerstört, nur Wind und Fliegen ziehen durch die Straßen.«

Jhiqui erschauerte.»Wenn selbst die Götter verschwunden sind, werden dort die bösen Geister bei Nacht ihre Feste abhalten. Solche Orte darf man nicht betreten. Das ist bekannt.«»Das ist bekannt«, stimmte Irri zu.

«Mir nicht. «Dany gab ihrem Pferd die Sporen und führte sie voran, trabte unter dem halbzerfallenen Bogen des alten Tores hindurch und eine stille Straße hinunter. Ser Jorah und die Blutreiter folgten ihr, danach kamen, deutlich langsamer, die übrigen Dothraki.

Wie lange die Stadt bereits verlassen war, konnte man nicht erkennen, aber die weißen Mauern, die aus der Ferne so prächtig aussahen, waren von nahem besehen rissig und geborsten. Im Inneren stießen sie auf ein Labyrinth schmaler, verwinkelter Gassen. Die Gebäude drängten sich aneinander, ihre Fassaden waren leer, kalkig, fensterlos. Alles war weiß, als hätten die Menschen, die hier einst lebten, keine Farbe gekannt. Sie ritten an Trümmerhaufen von eingestürzten Häusern vorbei, und an manchen Stellen entdeckten sie die verblaßten Spuren von Feuer. Auf einem Platz, wo sechs Straßen aufeinandertrafen, ritt Dany an einem leeren Sockel vorbei. Offensichtlich hatten schon früher Dothraki diesen Ort aufgesucht. Vielleicht stand die fehlende Statue nun bei den geplünderten Göttern in Vaes Dothrak. Möglicherweise war sie hundert Mal daran vorbeigegangen, ohne es zu wissen. Auf

ihrer Schulter zischte Viserion.

Sie lagerten auf einer windigen Stelle vor einem zerfallenen Platz, wo das Teufelsgras zwischen den Pflastersteinen wuchs. Dany schickte Männer los, um die Ruinen zu durchsuchen. Zwar brachen sie nur widerwillig auf, gehorchten jedoch… und kurze Zeit darauf kehrte ein alter Mann hüpfend und grinsend zurück und hielt Feigen in der Hand. Waren sie auch klein und welk, ihr Volk riß sich gierig darum und kaute glückselig mit vollen Wangen. Andere kamen zurück und erzählten, sie hätten weitere Obstbäume gefunden, die hinter verschlossenen Türen in verborgenen Gärten standen. Aggo zeigte ihr einen Hof, der von Weinranken mit winzigen Trauben überwuchert war, und Jhogo entdeckte einen Brunnen mit sauberem, kaltem Wasser. Doch auch auf Knochen stießen sie, Schädel von Toten, die nicht beerdigt worden waren und ausgebleicht und zertrümmert herumlagen.»Geister«, murmelte Irri,»fürchterliche Geister. Wir dürfen nicht hierbleiben, Khaleesi, dieser Ort gehört ihnen.«

«Ich fürchte mich nicht vor Geistern. Drachen sind weitaus mächtiger. «Und Feigen sind wichtiger.»Geh mit Jhiqui los und such sauberen Sand, damit ich baden kann, und erspar mir dein dummes Gerede.«

In der Kühle ihres Zeltes röstete Dany Pferdefleisch über einer Kohlenpfanne und überlegte, welche Möglichkeiten sich ihr boten. Hier gab es Nahrung und Wasser, um zu überleben, und genug Gras, damit die Pferde wieder zu Kräften kommen konnten. Wie schön wäre es doch, jeden Tag an gleicher Stelle aufzuwachen, in den schattigen Gärten zu weilen, Feigen zu essen und soviel kühles Wasser zu trinken, wie sie begehrte.

Nachdem Irri und Jhiqui mit Töpfen voll Sand zurückgekehrt waren, zog sich Dany aus und ließ sich von ihnen abscheuern.»Euer Haar wächst wieder, Khaleesi«, bemerkte Jhiqui, während sie den Sand von ihrem Rücken kratzte. Dany strich sich über den Kopf und spürte die Stoppeln. Die Männer der

Dothraki trugen ihr Haar in langen Zöpfen, die sie mit Öl einrieben; die wurden ihnen nur bei einer Niederlage im Kampf abgeschnitten. Vielleicht sollte ich es genauso halten, überlegte sie, um sie daran zu erinnern, daß Drogos Kraft in mir weiterlebt. Khal Drogos Haar war niemals geschnitten worden, und damit konnten sich nur wenige Männer brüsten.

Auf der anderen Seite des Zeltes breitete Rhaegar die Schwingen aus, flatterte und flog einen halben Fuß auf, ehe er wieder auf den Teppich plumpste. Bei der Landung schlug er wütend mit dem Schwanz, reckte den Hals und kreischte. Hätte ich Flügel, würde ich auch fliegen wollen, dachte Dany. Die Targaryens der alten Zeiten waren auf dem Rücken von Drachen in den Krieg gezogen. Sie versuchte sich vorzustellen, wie es wohl war, wenn man auf einem Drachenhals saß und hoch in die Luft schwebte. Es muß sein, als stehe man auf einem Berg, nur noch schöner. Die ganze Welt liegt dir zu Füßen. Wenn ich hoch genug fliegen kann ich sogar die Sieben Königslande sehen und die Hand nach dem Kometen ausstrecken.

Irri riß sie aus ihrem Tagtraum und kündigte Ser Jorah Mormont an, der draußen auf sie warte.»Schick ihn herein«, befahl Dany, deren sauber gescheuerte Haut kribbelte. Sie hüllte sich in die Löwenhaut. Der hrakkar war viel größer gewesen als Dany, daher konnte sie mit dem Pelz alle Körperteile bedecken, von denen es der Anstand verlangte.

«Ich habe einen Pfirsich für Euch«, sagte Ser Jorah und kniete nieder. Die Frucht war so klein, daß Dany sie mit der Hand ganz umfassen konnte, und noch dazu überreif, doch als sie davon kostete, war das Fleisch so süß, daß sie beinahe zu weinen begonnen hätte. Sie aß langsam und genoß jeden Bissen, während Ser Jorah ihr von dem Pfirsichbaum erzählte, der in einem Garten nahe der Westmauer stand.

«Obst und Wasser und Schatten«, meinte Dany. Ihre Wangen klebten vom Saft des Pfirsichs.»Die Götter meinen es gut mit uns, da sie uns hierhergeführt haben.«

«Wir sollten ausruhen, bis wir wieder zu Kräften gekommen sind«, drängte der Ritter.»Die roten Lande kennen kein Erbarmen mit den Schwachen.«

«Meine Mägde behaupten, hier gebe es Geister.«

«Überall gibt es Geister«, erwiderte Ser Jorah leise.»Wir tragen sie mit uns herum, wohin auch immer wir gehen.«

Ja. Viserys, Khal Drogo, mein Sohn Rhaego, sie sind stets bei mir.»Verratet mir den Namen von Eurem Geist, Jorah. Die meinen kennt Ihr bereits.«

Sein Gesicht erstarrte.»Sie hieß Lynesse.«

«Eure Gemahlin.«

«Meine zweite Gemahlin.«

Es schmerzt ihn, darüber zu sprechen. Danny bemerkte es wohl, aber sie wollte die ganze Wahrheit hören.»Ist das alles, was Ihr über sie sagen könnt?«Das Löwenfell glitt von einer Schulter, und sie zog es wieder hoch.»War sie hübsch?«

«Wunderschön. «Ser Jorah löste den Blick von ihrer Schulter und sah ihr ins Gesicht.»Als ich sie das erste Mal erblickt habe, glaubte ich, eine Göttin sei auf die Erde herabgestiegen, die Jungfrau selbst, in Fleisch und Blut. Von Geburt aus stand sie weit über mir. Sie war die jüngste Tochter des Lord Leyton Hightower von Oldtown. Der Weiße Bulle, der Eures Vaters Königsgarde anführte, war ihr Onkel. Die Hightowers sind eine alte Familie, sehr reich und sehr stolz.«

«Und loyal«, ergänzte Dany.»Viserys hat mir erzählt, die Hightowers hätten zu jenen gehört, die meinem Vater die Treue hielten.«

«Das stimmt«, gab er zu.

«Hat Euer Vater die Ehe vermittelt?«

«Nein«, antwortete er.»Unsere Heirat… aber das ist eine lange Geschichte und außerdem langweilig, Euer Gnaden. Ich

will Euch nicht damit belästigen.«

«Ich habe nichts anderes zu tun«, sagte sie.»Bitte.«

«Wie meine Königin befiehlt. «Ser Jorah runzelte die Stirn.»Meine Heimat — soviel müßt Ihr wissen, um den Rest zu verstehen — Bear Island ist wunderschön, wenn auch sehr abgelegen. Stellt Euch knorrige alte Eichen und hohe Kiefern vor, blühende Dornbüsche, graue, moosige Steine, kleine eiskalte Bäche, die steile Berge hinunterrauschen. Die Halle der Mormonts wurde aus riesigen Baumstämmen gebaut und ist von einer Erdpalisade umgeben. Abgesehen von einigen Pächtern lebt der größte Teil meines Volkes entlang der Küste vom Fischfang. Die Insel liegt weit im Norden, und die Winter bei uns sind härter, als Ihr Euch vorzustellen vermögt, Khaleesi.

Dennoch gefiel mir die Insel sehr, und auch an Frauen herrschte dort kein Mangel. Ich fand genug Fischerfrauen und Töchter der Pächter, und zwar sowohl vor als auch nach meiner Heirat. Ich wurde jung vermählt, mit einer Braut, die mein Vater erwählt hatte, einer Glover aus Deepwood Motte. Zehn Jahre dauerte unsere Ehe, jedenfalls fast. Meine Gemahlin hatte ein einfaches Gesicht, war aber eine gute Frau. Ich glaube, nach einer Weile habe ich sie sogar geliebt, obwohl unsere Verbindung eher von Pflicht denn von Leidenschaft geprägt war. Dreimal hat sie vergeblich versucht mir einen Erben zu schenken. Von der letzten Fehlgeburt hat sie sich nicht erholt. Kurz danach starb sie.«

Dany legte ihre Hand auf die seine und drückte sie sanft.»Seid Euch meines Mitgefühls gewiß.«

Ser Jorah nickte.»Inzwischen hatte mein Vater das Schwarz angelegt, daher war ich nach Recht und Gesetz Lord von Bear Island. Viele Heiratsanträge lagen mir vor, aber ehe ich eine Entscheidung treffen konnte, erhob sich Lord Balon Greyjoy gegen den Usurpator, und Ned Stark rief zu den Fahnen, um seinem Freund Robert beizustehen. Die letzte Schlacht wurde auf Pyke geschlagen. Nachdem Roberts Katapulte eine Bresche in König Balons Mauer gerissen hatten, schlüpfte ein Priester aus Myr als erster hindurch, und ich folgte dicht hinter ihm. Dafür wurde ich zum Ritter geschlagen.

Um seinen Sieg zu feiern, ordnete Robert ein Turnier an, das vor Lannisport stattfinden sollte. Dort sah ich Lynesse zum ersten Mal, eine Maid, halb so alt wie ich. Sie war mit ihrem Vater aus Oldtown angereist, weil sie ihren Brüdern beim Tjost zuschauen wollte. Ich konnte den Blick nicht von ihr abwenden. In einem Anfall von Übermut flehte ich sie an, beim Turnier ihre Schleife tragen zu dürfen, und obwohl ich mir niemals hätte träumen lassen, daß sie meiner Bitte zustimmte, sagte sie ja.

Ich kämpfte so gut wie jeder andere, Khaleesi, bei Turnieren habe ich mich jedoch nie besonders wacker geschlagen. Allein, mit Lynesses Schleife um meinen Arm war ich ein anderer Mann. Ich gewann einen Tjost nach dem anderen. Lord Jason Mallister wurde von mir aus dem Sattel geworfen, Bronze Yohn Royce, Ser Ryman Frey, sein Bruder Ser Hosteen, Lord Whent, sogar Ser Boros Blount von der Königsgarde. Im letzten Zweikampf zerbrach ich neun Lanzen gegen Jaime Lannister, und noch immer waren wir zu keiner Entscheidung gekommen, und so überreichte König Robert mir am Ende den Lorbeerkranz des Siegers. Ich krönte Lynesse zur Königin der Liebe und der Schönheit, und in jener Nacht wagte ich mich zu ihrem Vater vor und bat um ihre Hand. Ich war trunken, gleichermaßen vom Triumph und vom Wein. Dem Rechte nach hätte ich mit einer Ablehnung rechnen müssen, doch Lord Leyton stimmte zu. Wir heirateten noch in Lannisport, und vierzehn Tage lang war ich der glücklichste Mann der Welt.«

«Nur vierzehn Tage lang?«fragte Dany. Selbst mir wurde mehr Glück mit Drogo beschieden, meiner Sonne, meinen Sternen.

«So lange dauerte die Reise von Lannisport nach Bear Island. Meine Heimat war für Lynesse eine große Enttäuschung. Bear Island war kalt, feucht, abgelegen, und meine Burg lediglich eine große Holzhalle. Wir hielten keine Maskenspiele ab, kein Mimentheater, keine Bälle und keine Jahrmärkte. Manchmal vergingen Jahre, bis sich wieder einmal ein Sänger zu uns verirrte, und auf der Insel gab es auch keinen Goldschmied. Sogar das Essen mißfiel ihr. Über Braten und Eintopf hinaus kannte mein Koch wenige Rezepte, und Lynesse verging bald der Appetit auf Fisch und Wild.

Ich lebte nur, um sie lächeln zu sehen, und so schickte ich nach Oldtown nach einem neuen Koch und ließ einen Harfner aus Lannisport kommen. Goldschmiede und Schneider trieb ich für sie auf, aber all meine Bemühungen genügten ihr nicht. Bear Island ist reich an Bären und Bäumen, an allem anderen jedoch arm. Ich baute ein hübsches Schiff für sie, und wir fuhren nach Lannisport und Oldtown zu Festen und Jahrmärkten, einmal gar nach Braavos, wo ich mich bei den Geldverleihern schwer verschuldete. Als Sieger eines Turniers hatte ich ihr Herz und ihre Hand errungen, und so nahm ich um ihretwillen an weiteren Turnieren teil, doch die Magie war verschwunden. Nicht ein einziges Mal konnte ich mich hervortun, und jede Niederlage bedeutete den Verlust eines Streitrosses und einer Rüstung. Das Geld dafür vermochte ich nicht länger aufzubringen. Schließlich bestand ich auf unsere Heimkehr, und dort angekommen, wurde alles noch viel schlimmer. Ich konnte selbst den Koch und den Harfner nicht mehr bezahlen, und Lynesse tobte vor Zorn, als ich ihr gestand, daß ich ihre Edelsteine verpfänden wolle.

Der Rest… nun, ich tat Dinge, für die ich mich heute schäme. Um des lieben Goldes willen. Damit Lynesse ihren Schmuck behalten konnte, ihren Harfner und ihren Koch. Am Ende verlor ich alles. Als ich hörte, daß Eddard Stark nach Bear unterwegs war, war ich so ehrvergessen und blieb nicht, um sein Urteil zu hören, sondern floh statt dessen mit Lynesse in die Verbannung. Allein unsere Liebe sei von Wichtigkeit, redete ich mir ein. So landeten wir in Lys, wo ich mein Schiff verkaufte, damit wir von dem Geld leben konnten.«

In seiner Stimme schwang tiefer Kummer mit, und Dany wollte nicht weiter in ihn dringen, trotzdem mußte sie doch wissen, welchen Ausgang die Geschichte genommen hatte.»Ist sie dort gestorben?«fragte sie leise.

«Nur für mich«, antwortete er.»Nach einem halben Jahr war mein Gold aufgebraucht, und ich mußte mich als Söldner verdingen. Während ich am Rhoyne gegen die Braavosi kämpfte, zog Lynesse zu einem reichen Kaufmann namens Tregar Ormollen. Es heißt, sie sei inzwischen seine Lieblingskonkubine, und selbst seine Frau fürchte sich vor ihr.«

Dany war entsetzt.»Haßt Ihr sie?«

«Fast so sehr, wie ich sie einst geliebt habe«, erwiderte Ser Jorah.»Bitte entschuldigt mich, meine Königin. Ich bin sehr erschöpft.«

Sie erteilte ihm die Erlaubnis, sie zu verlassen, doch als er die Zeltklappe aufhob, konnte sie einer letzten Frage nicht widerstehen.»Wie hat sie ausgesehen, Eure Lady Lynesse?«

Ser Jorah lächelte traurig.»Nun, sie hatte ein wenig Ähnlichkeit mit Euch, Daenerys. «Er verneigte sich tief.»Schlaft wohl, meine Königin.«

Dany zitterte und zog das Löwenfell enger um sich. Sie sah mir ähnlich. Er begehrt mich, begriff sie jetzt. Er liebt mich, wie er sie einst liebte, nicht so, wie ein Ritter seine Königin liebt, sondern wie ein Mann eine Frau. Sie versuchte sich vorzustellen, in seinen Armen zu liegen, ihn zu küssen, ihm Vergnügen zu bereiten, ihn in sich eindringen zu lassen. Es war unmöglich. Sobald sie die Augen schloß, verwandelte sich sein Gesicht in das von Khal Drogo.

Khal Drogo war ihre Sonne, ihre Sterne gewesen, und vielleicht der letzte Mann in ihrem Leben. Die maegi Mirri Maz Duur hatte geschworen, Dany würde niemals einem Kind das Leben schenken, und welcher Mann wollte schon eine unfruchtbare Frau? Ja, und welcher Mann konnte hoffen, neben Drogo zu bestehen, der gestorben war, ohne daß man ihm je das Haar geschnitten hatte, und der jetzt durch die Länder der Nacht ritt, wo die Sterne sein khalasar bildeten.

Sie hatte die Sehnsucht in Ser Jorahs Stimme bemerkt, als er von Bear Island gesprochen hatte. Mich wird er nie bekommen, doch eines Tages werde ich vielleicht in der Lage sein, ihm seine Heimat und seine Ehre zurückzugeben. Soviel kann ich für ihn tun.

Geister störten in dieser Nacht ihren Schlaf nicht. Sie träumte von Drogo und ihrem ersten gemeinsamen Ritt nach der Hochzeit. Nur in ihrem Traum saßen sie nicht auf Pferden, sondern auf Drachen!

Am nächsten Morgen rief sie ihre Blutreiter zu sich.»Blut von meinem Blut«, erklärte sie ihnen,»ich brauche euch. Jeder von euch soll sich drei Pferde aussuchen, die kräftigsten und gesündesten, die uns geblieben sind. Beladet sie mit Wasser und Vorräten und zieht für mich aus, um das Land zu erkunden. Aggo wird sich nach Südwesten wenden, Rakharo nach Süden. Jhogo, du folgst dem shierak qiya nach Südosten.«

«Wonach sollen wir suchen, Khaleesi?«fragte Jhogo.

«Ich weiß es nicht genau«, antwortete Dany.»Sucht nach Städten, gleich, ob lebenden oder toten. Sucht nach Karawanen und Menschen. Sucht nach Flüssen und Seen und dem großen Salzmeer. Findet heraus, wie weit sich die Wüste noch vor uns erstreckt und was jenseits davon liegt. Wenn ich diesen Ort verlasse, will ich nicht abermals blindlings aufbrechen. Ich möchte mein Ziel kennen und wissen, wie ich es am besten erreiche.«

So ritten sie von dannen, und die Glöckchen in ihren Haaren klingelten leise, derweil Dany sich mit den Überlebenden der Reise häuslich einrichtete. Sie nannten den Ort Vaes Tolorro, Stadt der Knochen. Auf den Tag folgte die Nacht, auf die Nacht ein neuer Tag. Frauen ernteten Obst in den Gärten der Toten. Männer kümmerten sich um die Pferde und reparierten Sättel und Zaumzeug. Die Kinder streiften durch die verwinkelten Gassen und stöberten alte Bronzemünzen, Scherben von purpurfarbenem Glas und Steinflakons mit Griffen in Form von Schlangen auf. Eine Frau wurde von einem roten Skorpion gestochen und starb; dies blieb jedoch der einzige Todesfall. Die Pferde setzten wieder Fleisch an. Dany versorgte persönlich Ser Jorahs Wunde, die endlich zu heilen begann.

Rakharo kehrte als erster zurück. Im Süden breite sich die rote Wüste weiter und weiter aus, berichtete er, bis sie an der trostlosen Küste des giftigen Wassers endete. Zwischen hier und dort gab es nur Sand, vom Wind zerklüftete Felsen und Pflanzen mit scharfen Dornen. Er hatte die Knochen eines Drachen gesehen, der, das schwor er, so riesig war, daß er durch die schwarzen Kiefern reiten konnte. Abgesehen davon hatte er nichts gefunden.

Dany überließ ihm die Aufsicht über zwei Dutzend ihrer stärksten Männer, und befahl ihnen, das Pflaster des Platzes aufzubrechen und die Erde darunter freizulegen. Wenn das Teufelsgras zwischen den Steinen wachsen konnte, würden auch andere Grassorten gedeihen. Da sie genug Brunnen hatten, herrschte kein Mangel an Wasser. Wenn sie Saatgut finden könnten, würde der Platz erblühen.

Aggo kam als nächster. Der Südwesten sei eine versengte Ödnis, erzählte er. Die Ruinen zweier weiterer Städte hatte er entdeckt, die beide kleiner waren als Vaes Tolorro, dieser jedoch ansonsten glichen. Eine wurde von einem Ring aus Schädeln bewacht, die auf verrosteten Eisenspeere gespießt waren, deshalb hatte er es nicht gewagt, sie zu betreten. Er zeigte Dany ein eisernes Armband mit einem ungeschliffenen Feueropal, das er in der anderen Stadt gefunden hatte. Außerdem hatte er dort Schriftrollen entdeckt, allerdings war das Pergament knochentrocken und zerfiel, und aus diesem Grund hatte Aggo sie zurückgelassen.

Dany dankte ihm und trug ihm auf, sich um die Wiederherstellung der Tore zu kümmern. Wenn in alten Zeiten Menschen hierhergekommen waren und die Stadt zerstört hatten, könnten abermals welche auftauchen.»Falls dies geschieht, müssen wir vorbereitet sein«, erklärte sie.

Jhogo blieb so lange aus, daß sie schon fürchtete, er sei verloren, dann jedoch, als schon fast niemand mehr nach ihm Ausschau hielt, ritt er aus dem Südosten heran. Eine der Wachen, die Aggo postiert hatte, erblickte ihn zuerst und ließ einen Ruf ertönen. Sofort lief Dany zur Mauer. Tatsächlich, da kam Jhogo, allerdings nicht allein. Hinter ihm ritten drei eigentümlich gewandete Fremde auf häßlichen buckligen Tieren, die jedes Pferd an Größe übertrafen.

Sie machten vor dem Stadttor halt und blicken hinauf zu Dany auf der Mauer.»Blut von meinem Blut«, rief Jhogo,»ich war in der Großen Stadt Qarth und kehre mit diesen dreien zurück, die dich mit ihren eigenen Augen sehen wollen.«

Dany starrte die Fremdlinge an.»Hier stehe ich. Seht mich an, wenn Ihr daran Gefallen findet… doch nennt mir zunächst Eure Namen.«

Der Bleiche mit den blauen Lippen sprach in kehligem Dothraki:»Ich bin Pyat Pree, der große Hexenmeister.«

Der Glatzköpfige mit den Edelsteinen in der Nase antwortete im Valyrisch der Freien Städte:»Ich bin Xaro Xhoan Daxos von den Dreizehn, ein Kaufmann aus Qarth.«

Die Frau mit der lackierten Holzmaske sagte in der Gemeinen Zunge der Sieben Königslande:»Ich bin Quaithe

vom Schatten. Wir suchen die Drachen.«

«Eure Suche hat ein Ende«, erwiderte Daenerys Targaryen.»Ihr habt sie gefunden.«

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