Lange bevor die ersten bleichen Finger des Lichts durch die Läden von Brans Zimmer krochen, hatte er die Augen aufgeschlagen.
Winterfell hatte Gäste, Besucher, die zum Erntefest erschienen waren. Am heutigen Morgen würden sie im Hof gegen die Stechpuppe antreten. Früher einmal hätte ihn diese Aussicht mit freudiger Erregung erfüllt, aber das war vorher gewesen.
Jetzt nicht mehr. Die Walders würden Lanzen gegen die Knappen aus Lord Manderlys Eskorte brechen, doch Bran würde daran keinen Anteil haben. Er mußte im Solar seines Vaters den Prinzen spielen.»Hört gut zu, und vielleicht lernt Ihr, was man braucht, wenn man ein Lord werden will«, hatte Maester Luwin ihn aufgefordert.
Bran hatte niemals den Wunsch geäußert, ein Prinz zu sein. Stets hatte er nur von der Ritterschaft geträumt; von einer glänzenden Rüstung und wehenden Bannern, von Lanze und Schwert und von einem Schlachtroß zwischen seinen Schenkeln. Warum mußte er seine Zeit damit verschwenden, alten Männern zu lauschen, deren Worte er nur halb begriff? Weil du ein Krüppel bist, erinnerte ihn eine Stimme in seinem Kopf. Ein Lord in seinem gepolsterten Stuhl konnte ruhig verkrüppelt sein — die Walders erzählten, ihr Großvater sei so gebrechlich, daß man ihn überallhin in der Sänfte tragen mußte — , nicht jedoch ein Ritter auf einem Streitroß. Außerdem sei es seine Pflicht, mahnte man ihn.»Ihr seid der Erbe Eures Bruders und der Stark auf Winterfell«, sagte Ser Rodrik und erinnerte ihn daran, wie Robb sich immer zu ihrem Hohen Vater gesellt hatte, wenn dessen Vasallen ihm ihre Aufwartung machten.
Lord Wyman Manderly war vor zwei Tagen aus White Harbor eingetroffen; er hatte die Reise per Schiff und Sänfte zurückgelegt, da er viel zu fett war, um auf einem Pferd zu sitzen. Mit ihm war ein langer Rattenschwanz von Gefolgsleuten angekommen: Ritter, Knappen, niedere Lords und Ladys, Herolde, Musikanten, sogar ein Jongleur, und sie alle trugen Banner und Wappenröcke in einem halben Hundert verschiedener Farben. Bran hatte sie von dem hohen steinernen Sitz mit den gemeißelten Schattenwölfen aus begrüßt, und danach hatte Ser Rodrik ihn gelobt. Wenn es damit getan gewesen wäre, hätte es ihn nicht gestört. Doch war das erst der Anfang.
«Das Fest bietet einen willkommenen Vorwand«, erklärte ihm Ser Rodrik,»doch kein Mann legt hundert Meilen zurück, um eine Scheibe Entenbrust und einen Kelch Wein zu genießen. Nur jemand, der eine wichtige Angelegenheit vorzubringen hat, würde eine solche Reise auf sich nehmen.«
Bran sah zu der rauhen Steindecke über seinem Kopf auf. Robb hätte ihm jetzt gesagt, er solle sich nicht wie ein kleiner Junge benehmen, das wußte er wohl. Er meinte fast, seine Stimme zu hören, und die seines Hohen Vaters ebenso. Der Winter naht, und du bist schon bald ein erwachsener Mann, Bran. Du mußt deine Pflichten erfüllen.
Als Hodor hereinkam, grinste und unmelodisch vor sich hin summte, ergab sich der Junge in sein Schicksal. Mit Hilfe des Stallburschen wusch er sich.»Das weiße Wollwams«, befahl Bran.»Und die Silberbrosche. Ser Rodrik wünscht, daß ich wie ein Lord aussehe. «So weit es ihm möglich war, zog sich Bran selbständig an, doch mit der Hose oder den Schuhen wurde er allein nicht fertig. Mit Hodor zusammen ging es schneller. Hatte man dem Stallburschen erst einmal etwas beigebracht, stellte er sich dabei stets sicher und geschickt an. Seine Hände waren stets behutsam, obwohl er über erstaunliche Kräfte verfügte.»Du hättest auch ein Ritter werden können, wette ich«, sagte Bran.»Wenn die Götter dir nicht den Verstand genommen hätten, wärst du bestimmt ein großer Ritter.«
«Hodor?«Hodor blinzelte ihn arglos an, und in den braunen unschuldigen Augen zeigte sich keinerlei Verständnis.
«Genau«, antwortete Bran.»Hodor. «Er zeigte auf die Wand.
Dort hing neben der Tür ein Korb, mit Leder verstärkt und mit Löchern für Brans Beine versehen. Hodor schob die Arme durch die Riemen und schnallte den breiten Gürtel vor der Brust zu, dann kniete er neben dem Bett nieder. Bran hielt sich an den Stangen in der Wand fest und schwang das Gewicht seiner toten Beine in den Korb und durch die Öffnungen.
«Hodor«, wiederholte Hodor und erhob sich. Der Stallbursche war gut zwei Meter groß; saß Bran auf seinem Rücken, berührte sein Kopf fast die Decke. Er duckte sich unter der Tür hindurch. Einmal war Hodor der Duft warmen Brotes aus der Küche in die Nase gestiegen, und er war losgerannt, wobei Bran sich dermaßen heftig den Kopf gestoßen hatte, daß Maester Luwin die aufgeplatzte Haut nähen mußte. Mikken hatte ihm daraufhin einen alten, rostigen Helm ohne Visier aus der Waffenkammer gegeben, aber Bran setzte ihn nur selten auf. Die Walders lachten ihn immer aus, wenn er ihn trug.
Er legte die Hände auf Hodors Schultern, und sie stiegen die Wendeltreppen hinunter. Draußen war der Hof vom Lärm der Schwerter, Schilde und Pferde erfüllt. Eine süße Musik! Ich werde nur einen Blick darauf werfen, dachte Bran, einen kurzen Blick, mehr nicht.
Die geringeren Lords aus White Harbor würden erst am Vormittag erscheinen, gemeinsam mit ihren Rittern und Mannen. Bis dahin gehörte der Hof den Knappen, von denen die jüngsten zehn und die ältesten vierzig Jahre alt waren. Bran wünschte sich so sehr, zu ihnen zu gehören, daß ihm vor lauter Sehnsucht der Bauch weh tat.
Zwei Stechpuppen hatte man aufgestellt, und an jedem der starken Pfosten hatte man einen schwenkbaren Querbalken angebracht, mit einem Schild am einen und einem gepolsterten Kolben am anderen Ende. Die Schilde waren rot und golden bemalt, die Löwen der Lannisters plump und unförmig dargestellt und bereits von den ersten Tjosts der Knappen zerkratzt.
Bran wurde in seinem Korb von allen angestarrt, die ihn bisher nicht zu Gesicht bekommen hatten, allerdings hatte er gelernt, diese Neugier zu ignorieren. Zumindest hatte er von Hodors Rücken einen guten Ausblick, da er alle anderen überragte. Die Walders saßen gerade auf. Sie hatten hübsche Rüstungen von den Twins mitgebracht, glänzende Silberpanzer mit emaillierten blauen Ziselierungen. Die Helmzier des großen Walders war wie eine Burg geformt, während der kleine Walder blaue und graue Seidenbänder bevorzugte. Ihre Schilde und Wappenröcke waren ebenfalls unterschiedlich gestaltet. Der kleine Walder zeigte auf seinem die Zwillingstürme von Frey mit dem geströmten Keiler des Hauses seiner Großmutter und dem Pflüger seiner Mutter: Crakehall und Darry. Beim großen waren es hingegen der Baum und der Rabe des Hauses Blackwood sowie die Zwillingsschlangen der Paeges. Sie müssen wirklich nach Ehre hungern, dachte Bran, während er beobachtete, wie sie ihre Lanzen entgegennahmen. Ein Stark braucht nur den Schattenwolf.
Ihre Apfelschimmel waren schnell, kräftig und wunderbar geschult. Seite an Seite jagten die Walders auf die Stechpuppen zu. Beide trafen sauber das Schild und waren vorbei, bevor die gepolsterten Keulen herumgeschwenkt waren. Der kleine Walder führte die Lanze mit mehr Wucht, dachte Bran, dafür saß der große Walder besser im Sattel. Er hätte seine zwei nutzlosen Beine gegeben, wenn er nur gegen einen von ihnen hätte antreten können.
Der kleine Walder warf die zersplitterte Lanze zur Seite, entdeckte Bran und ritt zu ihm hinüber.»Also, das ist vielleicht ein häßliches Pferd«, sagte er und meinte Hodor.
«Hodor ist kein Pferd«, erwiderte Bran.
«Hodor«, sagte Hodor.
Der große Walder schloß zu seinem Vetter auf.»Jedenfalls ist er nicht so klug wie ein Pferd, das ist mal sicher. «Einige der Jungen aus White Harbor stießen sich gegenseitig an und lachten.
«Hodor. «Hodor strahlte freundlich und blickte von einem Frey zum anderen, ohne ihren Hohn zu begreifen.»Hodor Hodor?«
Das Pferd des kleinen Walder wieherte.»Siehst du, sie sprechen sogar miteinander. Vielleicht heißt hodor in der Pferdesprache >ich liebe dichc.«
«Halt den Mund, Frey. «Bran spürte, wie ihm die Farbe ins Gesicht stieg.
Der kleine Walder drängte sein Pferd näher heran und schob Hodor auf diese Weise zurück.»Und was machst du, wenn ich nicht den Mund halte?«
«Er wird seinen Wolf auf dich hetzen, Vetter«, warnte der große Walder.
«Soll er nur. Ich wollte schon immer einen Mantel aus Wolfsfell haben.«
«Summer würde dir deinen fetten Kopf abreißen«, drohte Bran.
Der kleine Walder schlug sich mit der geharnischten Faust auf den Brustpanzer.»Hat dein Wolf vielleicht Zähne aus Stahl, um durch diesen Harnisch zu beißen?«
«Genug!«Maester Luwins Stimme hallte durch den Lärm auf dem Hof wie ein Donnerschlag. Wieviel er mitangehört hatte, wußte Bran nicht… aber eindeutig hatte es genügt, ihn zu erzürnen.»Solche Drohungen sind unziemlich, und ich wünsche, daß mir so etwas nie wieder zu Ohren kommt. Benehmt Ihr Euch so in den Twins, Walder Frey?«
«Wenn mir der Sinn danach steht. «Hoch zu Roß hatte der kleine Walder für Luwin nur einen mürrischen Blick übrig, als wollte er sagen: Ihr seid nur ein Maester und wagt es, einen Frey vom Kreuzweg zu maßregeln?
«Jedenfalls ist das nicht das Benehmen, welches Lady Stark von ihren Mündeln auf Winterfell erwartet. Wer hat damit angefangen?«Der Maester sah die Jungen der Reihe nach an.»Einer wird es mir schon verraten, sonst, das schwöre ich — «
«Wir haben uns nur ein bißchen über Hodor lustig gemacht«, gestand der große Walder.»Sollten wir Prinz Bran beleidigt haben, tut es mir leid. Eigentlich wollten wir ihn nur aufheitern. «Wenigstens hatte er den Anstand, ein verlegenes Gesicht zu machen.
Der kleine Walder wirkte eher gereizt.»Ja, ich wollte ihn auch nur aufmuntern.«
Der kahle Fleck auf dem Kopf des Maesters war rot geworden, wie Bran von oben sehen konnte; Luwin war eher noch wütender als zuvor.»Ein guter Lord tröstet und schützt die Schwachen und Hilflosen«, erklärte er den Freys.»Ich werde es nicht zulassen, daß ihr mit Hodor eure grausamen Scherze treibt, habt ihr mich verstanden? Der Bursche hat ein gutes Herz, erfüllt seine Pflicht und gehorcht stets, und das kann man von euch beiden wohl kaum behaupten. «Er drohte dem kleinen Walder mit dem Zeigefinger.»Und Ihr werdet Euch aus dem Götterhain und von diesen Wölfen fernhalten. «Daraufhin machte er auf dem Absatz kehrt, ging ein paar Schritte und drehte sich nochmals um.»Bran. Kommt. Lord Wyman erwartet Euch.«
«Hodor, folge dem Maester«, befahl Bran.»Hodor«, sagte Hodor. Mit seinen langen Schritten holte er den trippelnden
Maester auf den Stufen zum Bergfried ein. Maester Luwin hielt die Tür auf, und Bran klammerte sich an Hodors Hals und duckte sich, während sie hindurchgingen.»Die Walders — «setzte er an.
«Diese Angelegenheit ist für mich erledigt. Ich möchte nichts mehr darüber hören. «Maester Luwin wirkte erschöpft und erhitzt zugleich.»Ihr hattet recht, Hodor zu verteidigen, aber eigentlich hättet Ihr Euch gar nicht dort aufhalten sollen. Ser Rodrik und Lord Wyman haben ihr Frühstück bereits fast beendet. Muß ich Euch immer erst wie ein kleines Kind holen kommen?«
«Nein«, antwortete Bran beschämt.»Entschuldigt. Ich wollte nur — «
«Ich weiß, was Ihr wolltet«, erwiderte Luwin besänftigt.»Ich wünschte, Euer Wunsch könnte in Erfüllung gehen, Bran. Habt Ihr noch Fragen, bevor wir mit der Audienz beginnen?«
«Werden wir über den Krieg sprechen?«
«Ihr werdet nur über belanglose Dinge reden. «Jetzt klang Luwins Stimme wieder so scharf wie gewöhnlich.»Noch seid Ihr ein achtjähriges Kind.«
«Fast neun!«
«Acht«, wiederholte der Maester unbeirrt.»Äußert lediglich Höflichkeiten, solange Ser Rodrik oder Lord Wyman Euch keine Fragen stellen.«
Bran nickte.»Ich werde es mir merken.«
«Den Vorfall zwischen Euch und den Freyjungen werde ich Ser Rodrik gegenüber nicht erwähnen.«
«Danke.«
Sie setzten Bran auf den Eichenstuhl mit den grauen Samtpolstern, der einst seinem Vater gehört hatte, an den langen Brettertisch. Ser Rodrik hatte zu seiner Rechten Platz genommen, zu seiner Linken ließ sich Maester Luwin nieder, der sich mit Federkiel und Tintenfaß und einem leeren Blatt Pergament bewaffnet hatte, um das Gesprochene niederzuschreiben. Bran strich mit der Hand über das rauhe Holz des Tisches und bat Lord Wyman für die Verspätung um Verzeihung.
«Nicht doch, Prinzen verspäten sich nie«, erwiderte der Lord von White Harbor freundlich.»Jene, die vor ihm eintreffen, sind vielmehr zu früh gekommen, das ist alles. «Er lachte schallend. Niemanden mochte es verwundern, daß er nicht im Sattel sitzen konnte; vermutlich war er schwerer als die meisten Pferde. Ebenso langatmig wie fett, bat er sofort darum, Winterfell möge die neuen Zolloffiziere bestätigen, die er in White Harbor ernannt hatte. Die alten hatten das Silber für King's Landing einbehalten und es nicht an den neuen König des Nordens abgeliefert.»König Robb braucht zudem eigene Münzen«, verkündete er,»und White Harbor wäre der geeignete Ort, sie zu prägen. «Er bot an, sich selbst um diese Angelegenheit zu kümmern, wenn es dem König gefalle, und fuhr fort zu schildern, wie er die Verteidigungsanlagen des Hafens verstärkt hatte, wobei er die Kosten jedes einzelnen Ausbaus genau auflistete.
Zusätzlich zu einer Prägestätte schlug er vor, Robb solle eine Kriegsflotte bauen.»Seit Hunderten von Jahren besitzen wir keine Seestreitmacht mehr, seit Branden der Brandschatzer die Schiffe seines Vaters dem Feuer übergeben hat. Gewährt mir das nötige Gold, und innerhalb eines Jahres werden genug Galeeren in See stechen, um Dragonstone und King's Landing einzunehmen.«
Das Thema Kriegsschiffe interessierte Bran. Niemand fragte ihn nach seiner Meinung, doch hielt er Lord Wymans Vorschlag für vorzüglich. Vor seinem inneren Auge nahm die Flotte bereits Gestalt an. Er fragte sich, ob wohl je ein Krüppel ein Kriegsschiff befehligt hatte. Ser Rodrik versprach, den Vorschlag Robb zu unterbreiten, während Maester Luwin ihn
schriftlich festhielt.
Es wurde Mittag. Maester Luwin schickte Poxy Tym in die Küche, und sie aßen Käse, Hähnchen und braunes Haferbrot im Solar. Während er mit fettigen Fingern einen Kapaun zerlegte, erkundigte sich Lord Wyman höflich nach seiner Kusine Lady Hornwood.»Sie ist eine geborene Manderly, wißt Ihr. Vielleicht würde sie, wenn die Zeit der Trauer vorüber ist, gern wieder den Namen Manderly tragen?«Er knabberte an einem Flügel und grinste breit.»Wie es der Zufall will, bin auch ich seit acht Jahren Witwer. Ich hätte mir längst eine neue Gemahlin suchen sollen, meint Ihr nicht auch, Mylords? Ein Mann vereinsamt doch sehr rasch. «Nachdem er die Knochen beiseite gelegt hatte, griff er nach einer Keule.»Falls die Lady einen jüngeren Burschen vorzieht, so wäre mein Sohn Wendel ebenfalls ledig. Er ist im Süden unterwegs und eskortiert Lady Catelyn, aber ohne Zweifel wird er sich nach seiner Rückkehr verheiraten wollen. Ein tapferer Junge und lustig dazu. Genau der Mann, der sie das Lachen wieder lehren könnte, oder?«Er wischte sich mit dem Ärmel das Fett vom Kinn.
Durch das Fenster hörte Bran den fernen Waffenlärm vom Hof. Heiraten interessierte ihn nicht. Wenn ich doch nur dort unten sein könnte.
Seine Lordschaft wartete, bis der Tisch abgeräumt war, ehe er auf den Brief zu sprechen kam, den er von Lord Tywin Lannister erhalten hatte, welcher seinen ältesten Sohn Ser Wylis am Grünen Arm gefangenhielt.»Er bietet mir an, ihn ohne Lösegeld freizulassen, wenn ich meine Mannen nicht länger Seiner Gnaden zur Verfügung stelle und schwöre, den Kampf einzustellen.«
«Gewiß werdet Ihr dem nicht zustimmen«, antwortete Ser Rodrik.
«Deswegen braucht Ihr Euch keine Gedanken zu machen«, versicherte ihm der Lord.»König Robb hat keinen getreueren
Diener als Wyman Manderly. Dennoch möchte ich die Gefangenschaft meines Sohnes in Harrenhal so kurz wie nur möglich währen lassen. Das ist ein übler Ort. Verflucht, heißt es. Zwar gehöre ich nicht zu denen, die an Ammenmärchen glauben, immerhin, man weiß ja nie. Seht nur, was diesem Janos Slynt widerfahren ist. Von der Königin zum Lord von Harrenhal ernannt und von ihrem Bruder verbannt. Nun wird er zur Mauer verfrachtet, heißt es. Ich hoffe nur, daß schon bald ein annehmbarer Austausch der Gefangenen vereinbart werden kann. Bestimmt will Wylis nicht den Rest des Krieges herumsitzen. Mein Sohn ist ein tapferer Ritter und stark wie ein Mastiff.«
Als sich die Audienz ihrem Ende näherte, waren Brans Schultern vom Sitzen im Stuhl längst steif geworden. Und später, beim Abendessen, verkündete ein Horn die Ankunft eines weiteren Gastes. Lady Donella Hornwood zog keinen Rattenschwanz von Rittern und Vasallen hinter sich her, lediglich sechs erschöpfte Männer mit dem Elchkopf auf ihren staubigen orangefarbenen Livreen.»Die Schicksalsschläge, die Ihr habt erleiden müssen, haben uns zutiefst erschüttert, Mylady«, sagte Bran, als sie ihm zur Begrüßung gegenübertrat. Lord Hornwood war in der Schlacht am Grünen Arm gefallen, ihr einziger Sohn war im Flüsterwald getötet worden.»Winterfell wird ihrer gedenken.«
«Das ist sehr tröstlich. «Bleich und ausgemergelt stand sie vor ihm, jede Falte ihres Gesichts von Trauer gezeichnet.»Leider bin ich sehr müde, Mylord. Wenn ich mich zurückziehen dürfte… «
«Aber gewiß doch«, antwortete Ser Rodrik.»Morgen bleibt uns noch genug Zeit, um uns zu unterhalten.«
Am nächsten Tag drehte sich das Gespräch überwiegend um Getreide, Gemüse und Pökelfleisch. Nachdem der Maester in der Citadel den Beginn des Herbstes verkündet hatte, begannen weise Männer, von jeder Ernte einen Teil zurückzulegen…
allerdings bedurfte der Umfang dieser Vorräte offensichtlich weitschweifigen Geredes. Lady Hornwood wollte ein Fünftel ihrer Erträge einlagern. Auf Maester Luwins Vorschlag willigte sie ein, diesen Anteil auf ein Viertel zu erhöhen.
«Boltons Bastard zieht seine Männer bei Dreadfort zusammen«, warnte sie.»Ich hoffe, er will sie nach Süden führen, um dort zu seinem Vater bei den Twins zu stoßen, aber als ich ihn nach seinen Absichten fragen ließ, erklärte er mir, daß sich kein Bolton von einer Frau ausfragen ließe. Als sei er ein ehelicher Sohn und habe das Recht, diesen Namen zu tragen.«
«So weit ich weiß, hat Lord Bolton ihn niemals anerkannt«, sagte Ser Rodrik.»Doch muß ich gestehen, ich kenne ihn gar nicht.«
«Nur wenige kennen ihn«, erwiderte sie.»Er hat bis vor zwei Jahren bei seiner Mutter gelebt, dann starb der junge Domeric und ließ Bolton ohne Erben zurück. Damals hat Lord Bolton seinen Bastard nach Dreadfort gebracht. Man muß dem Jungen Verstand zubilligen, und er hat einen Diener, der beinahe so grausam ist wie er selbst. Stinker nennen sie den Mann. Es heißt, er würde niemals baden. Sie jagen zusammen, der Bastard und dieser Stinker, und nicht nur Wild. Die Geschichten, die ich über sie gehört habe, vermag ich kaum zu glauben. Und da nun mein Hoher Gemahl und mein lieber Sohn zu den Göttern heimgekehrt sind, wirft dieser Bastard gierige Blicke auf mein Land.«
Bran hätte der Lady gern hundert Mann zur Verteidigung ihrer Rechte zugestanden, Ser Rodrik sagte indes nur:»Mag er hungrige Blicke werfen; sollte er jedoch darüber hinaus etwas wagen, wird er härteste Vergeltung spüren, das verspreche ich Euch. Um Eure Sicherheit braucht Ihr Euch keine Sorgen zu machen, Mylady… und in einiger Zeit, wenn Eure Trauer vorüber ist, werdet Ihr Euch vielleicht mit dem Gedanken an eine neue Heirat befassen.«
«Kinder werde ich in meinem Alter keinem Mann mehr gebären, und meine Schönheit ist auch lange dahin«, erwiderte sie mit müdem Lächeln,»und dennoch schleichen mir die Männer nach wie sie es nie taten, als ich noch eine junge Maid war.«
«Diese Freier sind Euch unangenehm?«fragte Luwin.
«Sollte Seine Gnaden es befehlen, werde ich wieder in den Stand der Ehe treten«, gab Lady Hornwood darauf zurück,»aber Mors Krähenfresser ist ein betrunkener Rohling und noch dazu älter als mein Vater. Und für meinen edlen Vetter von Manderly wird die Größe meines Bettes nicht ausreichen, und um unter ihm zu liegen, bin ich gewiß zu klein und zerbrechlich.«
Bran wußte, daß Männer auf Frauen schliefen, wenn sie das Bett teilten. Unter Lord Manderly zu schlafen mußte ungefähr so sein, wie unter einem gestürzten Pferd zu liegen, jedenfalls stellte er es sich so vor. Ser Rodrik nickte der Witwe mitfühlend zu.»Es werden sich noch andere Freier um Euch bewerben, Mylady. Wir werden nach einem Anwärter Ausschau halten, der mehr Eurem Geschmack entspricht.«
«Vielleicht braucht Ihr dabei gar nicht so sehr in die Ferne zu schweifen, Ser.«
Nachdem sie sich verabschiedet hatte, lächelte Maester Luwin.»Ser Rodrik, ich glaube, die Lady hat eine Schwäche für Euch.«
Ser Rodrik räusperte sich und sah aus, als sei ihm äußerst unbehaglich zumute.
«Sie war sehr traurig«, sagte Bran.
«Traurig und zart. «Ser Rodrik nickte.»Und für eine Dame ihres Alters in all ihrer Bescheidenheit nicht unansehnlich. Trotzdem stellt sie eine Gefahr für den Frieden im Reiche Eures Bruders dar.«
«Sie?«fragte Bran erstaunt.
Maester Luwin antwortete:»Da sie keinen Erben hat, werden sich viele um das Land der Hornwood streiten. Die Tallhearts, Flints und Karstarks sind über die weibliche Linie alle mit dem Hause Hornwood verbunden, und die Glovers ziehen Lord Harys' Bastard in Deepwood Motte auf. Dreadfort hat meines Wissens keinen Anspruch, aber ihre Ländereien grenzen an Hornwood, und Roose Bolton ist keiner, der sich eine solche Gelegenheit entgehen ließe.«
Ser Rodrik zupfte an seinem Bart.»In diesem Fall muß ihr Lehnsherr eine geeignete Partie für sie finden.«
«Warum heiratet Ihr sie nicht?«fragte Bran.»Ihr nennt sie ansehnlich, und Beth hätte endlich eine Mutter.«
Der alte Ritter legte Bran die Hand auf den Arm.»Ein hübscher Gedanke, mein Prinz, aber ich bin nur ein Ritter und abgesehen davon zu alt. Vielleicht könnte ich ihr Land ein paar Jahre besitzen, nach meinem Tod fände sich Lady Hornwood jedoch bald wieder in der gleichen Zwangslage, und dann könnte auch Beth Gefahr drohen.«
«Dann ernennt Lord Hornwoods Bastard zum Erben«, sagte Bran und dachte an seinen Halbbruder Jon.
«Das würde den Glovers gefallen und dem verstorbenen Lord Hornwood wohl auch, Lady Hornwood hingegen würde diese Entscheidung kaum gutheißen. Der Junge ist nicht von ihrem Blute.«
«Dennoch«, wandte Maester Luwin ein,»sollte man es in Erwägung ziehen. Lady Donella wird keinen Sohn mehr in die Welt setzen, wie sie selbst gesagt hat. Wenn nicht der Bastard das Erbe antritt, wer dann?«
«Darf ich gehen?«Bran hörte die Knappen, die sich unten auf dem Hof bei ihren Kampfspielen vergnügten.
«Gewiß doch, mein Prinz«, sagte Ser Rodrik.»Ihr habt Eure
Sache gut gemacht. «Bran errötete vor Freude. Die Geschäfte eines Lords waren doch nicht so langweilig, wie er befürchtet hatte, und da Lady Hornwood sich kürzer gefaßt hatte als Lord Manderly, hatte er noch ein paar Stunden Tageslicht, um sie mit Summer zu verbringen. Er besuchte seinen Wolf gern jeden Tag, sofern Ser Rodrik und der Maester ihre Zustimmung gaben.
Sobald er auf Hodors Rücken den Götterhain betrat, trottete Summer unter einer Eiche hervor, als hätte er gewußt, daß sie kämen. Bran erhaschte auch einen knappen Blick auf eine schlanke schwarze Gestalt, die durchs Unterholz schlich.»Shaggy«, rief er,»hier, Shaggydog. Hierher. «Aber Rickons Wolf verschwand sofort.
Hodor kannte Brans Lieblingsplatz, und so brachte er ihn zum Rand des Tümpels unter dem großen Herzbaum, wo Lord Eddard immer gebetet hatte. Das Wasser kräuselte sich eigentümlich und ließ das Spiegelbild des Wehrbaumes schwanken und tanzen, obwohl sich kein Lüftchen regte. Einen Augenblick lang wunderte sich Bran darüber.
Und dann tauchte plötzlich Osha prustend aus dem Tümpel auf, und selbst Summer wich zurück und fletschte die Zähne. Hodor jammerte entsetzt» Hodor hodor«, bis Bran ihm auf die Schulter klopfte und ihn beruhigte.»Wie kannst du darin schwimmen?«fragte er Osha.»Ist es nicht kalt?«
«Als Säugling habe ich an Eiszapfen gesaugt, Junge. Ich mag die Kälte. «Sie schwamm zu den Steinen und stieg tropfnaß aus dem Wasser. Ihre nackte Haut war mit einer Gänsehaut überzogen. Summer kroch an sie heran und schnüffelte.»Ich wollte bis zum Grund tauchen.«
«Ich wußte gar nicht, daß es einen Grund gibt.«
«Gibt es vielleicht auch nicht. «Sie grinste.»Was starrst du mich so an, Junge? Hast du noch nie eine Frau gesehen.«
«Doch. «Hunderte Male hatte Bran mit seinen Schwestern gebadet, und auch die Dienstmädchen hatte er in den heißen Tümpeln beobachtet. Aber Osha war dennoch anders, zäh und sehnig, ihre Brüste flach wie zwei leere Geldbeutel.»Du hast aber viele Narben.«
«Und jede einzelne habe ich mir redlich verdient. «Sie hob ihr braunes Hängekleid auf, schüttelte das Laub ab und zog es über den Kopf.
«Hast du gegen die Riesen gekämpft?«Osha behauptete immer, jenseits der Mauer würden noch Riesen leben. Vielleicht werde ich eines Tages einen mit eigenen Augen sehen…
«Gegen Männer. «Sie gürtete ihren Kittel mit einem Stück Seil.»Meistens gegen die Schwarzen Krähen. Hab auch mal einen umgebracht«, erklärte sie, während sie ihr Haar ausschüttelte. Seit sie nach Winterfell gekommen war, ließ sie es wachsen, und jetzt hing es ihr bereits bis weit über die Ohren. Sie sah viel freundlicher aus als die Frau, die ihn einst im Wolfswald hatte entführen und töten wollen.»Ich habe in der Küche das Gerede über dich und die Freys gehört.«
«Von wem? Was haben sie gesagt?«
Sie grinste ihn säuerlich an.»Daß nur ein Narr einen Riesen verhöhnt, und daß es eine verrückte Welt ist, in der ein Krüppel ihn verteidigen muß.«
«Hodor hat gar nicht begriffen, daß sie ihn verspottet haben«, meinte Bran.»Jedenfalls wehrt er sich nie. «Er erinnerte sich daran, wie er einmal, als er noch klein war, mit seiner Mutter und Septa Mordane auf den Markt gegangen war. Sie hatten Hodor mitgenommen, um die Einkäufe zu tragen, aber er hatte sich verirrt, und sie hatten ihn schließlich inmitten einer Bande Jungen entdeckt, die mit Stöcken auf ihn einstachen.»Hodor!«rief er immer wieder, krümmte sich und versuchte sich vor den Stichen zu schützen, trotzdem hatte er keinen Finger gegen seine Peiniger erhoben.»Septon Chayle
sagt, er habe ein sanftes Gemüt.«
«Ja«, erwiderte sie,»und Hände, mit denen er einem Mann den Kopf von den Schultern reißen kann, wenn ihm der Sinn danach steht. Dennoch sollte er diesem Walder nicht den Rücken zukehren. Und du auch nicht. Der große, den sie den kleinen nennen, trägt den richtigen Namen, scheint mir: außen groß, innen klein und hinterhältig bis ins Innerste.«
«Er würde es nie wagen, mir etwas zuleide zu tun. Er hat Angst vor Summer, ganz gleich, was er behauptet.«
«Dann ist er womöglich doch nicht so dumm. «Den Schattenwölfen gegenüber legte Osha stets Respekt an den Tag. Am Tag ihrer Gefangennahme hatten Summer und Grey Wind drei Wildlinge in blutige Fetzen gerissen.»Oder vielleicht doch. Und das würde auch nach Ärger riechen. «Sie band sich das Haar zusammen.»Träumst du noch immer von den Wölfen?«
«Nein.«Über diese Träume sprach er nicht gern.
«Ein Prinz sollte besser lügen können. «Osha lachte.»Nun, deine Träume gehen mich nichts an. Ich muß in der Küche arbeiten, und dorthin sollte ich jetzt eilen, bevor Gage zu schreien anfängt und wieder mit seinem großen Holzlöffel herumfuchtelt. Mit Eurer Erlaubnis, mein Prinz.«
Sie hätte die Wolfsträume nicht erwähnen sollen, dachte Bran, während Hodor ihn die Treppe zu seinem Zimmer hinauftrug. Er kämpfte gegen den Schlaf an, solange er konnte, am Ende allerdings übermannte er ihn wie stets. In dieser Nacht träumte er von dem Wehrholzbaum. Der Stamm sah ihn mit seinen tiefroten Augen an, rief mit dem verzerrten Mund nach ihm, und aus den bleichen Zweigen flatterte die dreiäugige Krähe herab, pickte in sein Gesicht und rief seinen Namen mit einer Stimme, die sich an Schärfe mit einem Schwert vergleichen ließ.
Der Schall der Hörner weckte ihn. Bran rollte sich auf die
Seite und war dankbar für die Ablenkung. Er hörte Pferde und wildes Geschrei. Es sind neue Gäste eingetroffen, und halb betrunken sind sie noch dazu, bei dem Lärm, den sie veranstalten. An den Stangen zog er sich vom Bett hinüber zu seinem Sitz am Fenster. Die Banner zeigten einen Riesen in gesprengten Ketten, also mußte es sich um Männer von Umber handeln, die aus den Nordlanden jenseits des Letzten Flusses heruntergekommen waren.
Am nächsten Morgen erbaten sich zwei von ihnen eine Audienz, die Onkel des Greatjon, wilde Männer, die im Winter ihres Lebens standen und deren Barte ebenso weiß waren wie ihre Bärenfellmäntel. Einst hatte eine Krähe Mors für tot gehalten und ihm ein Auge ausgehackt, und so trug er statt dessen nur ein Stück Drachenglas. Old Nan erzählte, er hätte die Krähe mit der Faust gepackt und ihr den Kopf abgebissen, weshalb man ihn auch Krähenfresser nannte. Sie hatte Bran jedoch nie erklärt, weshalb sein Bruder Hother den Namen Hurentod trug.
Sie hatten sich kaum gesetzt, als Mors schon um die Erlaubnis bat, Lady Hornwood zu ehelichen.»Der Greatjon ist des Jungen Wolfs starke Rechte Hand, das weiß jeder. Wer könnte das Land der Witwe besser verteidigen als ein Umber, und welcher Umber besser als ich?«
«Lady Donella ist noch in Trauer«, gab Maester Luwin zu bedenken.
«Und ich trage das beste Mittel gegen Trauer unter meinem Pelz. «Mors lachte. Ser Rodrik dankte ihm höflich und versprach, der Lady und dem König das Ansinnen zu unterbreiten.
Hother wollte Schiffe.»Die Wildlinge schleichen aus dem Norden herunter, mehr als je zuvor. Sie überqueren die Seehundsbucht in kleinen Booten und landen an unserer Küste. Die Krähen in Eastwatch vermögen sie nicht aufzuhalten, und sie schlüpfen schnell wie Wiesel ans Ufer. Langschiffe brauchen wir, ja, und kräftige Kerle, die sie bemannen. Der Greatjon hat zu viele mitgenommen. Die Hälfte der Ernte ist auf dem Halm verkommen, weil wir niemanden haben, der die Sense schwingt.«
Ser Rodrik zupfte an seinem Backenbart.»Ihr habt Wälder mit hohen Fichten und alten Eichen. Lord Manderly hat Schiffsbauer und Seeleute in Hülle und Fülle. Zusammen könntet Ihr eine Flotte mit genug Langschiffen bauen, um Euer beider Küsten zu schützen.«
«Manderly?«Mors Umber schnaubte.»Dieser riesige wabbelnde Fettsack? Seine eigenen Leute verspotten ihn und nennen ihn Lord Neunauge, heißt es. Der Mann kann kaum gehen. Wenn man dem ein Schwert in den Bauch stößt, würden sich zehntausend Aale herauswinden.«
«Gewiß ist er dick«, räumte Ser Rodrik ein,»jedoch beileibe nicht dumm. Ihr werdet Euch in dieser Angelegenheit mit ihm einigen, sonst wird sich der König sicherlich für die Gründe interessieren, aus denen Ihr es ablehnt. «Und zu Brans größtem Erstaunen nahmen die aufsässigen Umbers, wenngleich auch murrend, diesen Befehl an.
Während die Audienz weiter andauerte, trafen die Männer der Glovers aus Deepwood Motte ein, und außerdem eine große Anzahl der Tallhearts aus Torrhen's Square. Galbart und Robert Glover hatten Deepwood der Obhut von Robetts Gemahlin überlassen, doch es war ihr Haushofmeister, der nach Winterfell kam.»Meine Herrin bittet Euch, ihre Abwesenheit zu entschuldigen. Ihre Kinder sind zu klein für eine solche Reise, und sie wollte sie nicht allein lassen. «Rasch begriff Bran, daß es der Haushofmeister und nicht die Lady Glover war, der in Deepwood Motte in Wirklichkeit das Sagen hatte. Der Mann erklärte, gegenwärtig werde nur ein Zehntel der Ernte als Vorrat zurückgelegt. Ein Zauberer habe ihm erzählt, bevor die Kälte einsetze, gebe es noch einen ertragreichen Geistersommer. Maester Luwin hatte einiges über solche Zauberer zu sagen. Ser Rodrik befahl ihm, ein Fünftel der Ernte einzulagern, und fragte den Haushofmeister eindringlich über Lord Hornwoods Bastard Larence Snow aus. Im Norden trugen alle hochgeborenen Bastarde den Nachnamen Snow. Dieser Junge war schon fast zwölf, und der Haushofmeister lobte seinen wachen Verstand und seinen Mut.
«Eure Idee mit dem Bastard hat vielleicht ihre Vorzüge, Bran«, sagte Maester Luwin später.»Eines Tages werdet Ihr ein guter Lord von Winterfell sein, glaube ich.«
«Nein, werde ich nicht. «Bran wußte, ein Lord würde er niemals werden, genausowenig wie ein Ritter.»Robb wird eines der Freymädchen heiraten, das habt Ihr mir selbst erzählt, und die Walders sind der gleichen Meinung. Er wird Söhne haben, und die werden nach ihm Lord von Winterfell sein, nicht ich.«
«Das ist durchaus möglich«, sagte Ser Rodrik,»doch auch ich war dreimal verheiratet, und meine Gemahlinnen haben mir nur Töchter geschenkt. Jetzt ist mir nur noch Beth geblieben. Mein Bruder Martyn hat vier kräftige Söhne gezeugt, aber nur Jory hat das Mannesalter erreicht. Als er erschlagen wurde, starb Martyns Linie mit ihm aus. Sprechen wir vom Morgen, können wir nichts als sicher betrachten.«
Leobald Tallheart war am nächsten Tag an der Reihe. Er redete über Vorzeichen, die das Wetter betrafen, und über den mangelnden Verstand des gemeinen Volkes, und er erzählte, wie sehr sein Neffe auf die Schlacht brannte.»Benfred hat eine eigene Kompanie Lanzenreiter aufgebaut. Knaben, keiner älter als neunzehn, aber jeder hält sich für einen Wolf. Ich habe ihnen gesagt, sie seien doch nur Kaninchen, und sie haben mich ausgelacht. Jetzt nennen sie sich die Wilden Hasen, haben sich Kaninchenfelle ans Ende ihrer Lanzen gebunden, galoppieren durchs Land und singen Lieder über Ritterlichkeit.«
Für Bran hörte sich das großartig an. Er erinnerte sich an Benfred Tallheart, einen Jungen, der Winterfell oft mit seinem Vater Ser Helman besucht und sich mit Robb und Theon Greyjoy angefreundet hatte. Aber Ser Rodrik gefielen diese Schilderungen ganz und gar nicht.»Wenn der König mehr Männer brauchte, würde er sie anfordern«, erwiderte er.»Teilt Eurem Neffen mit, er möge in Torrhen's Square bleiben, wie es sein Hoher Vater befohlen hat.«
«Das werde ich tun, Ser«, antwortete Leobald, und erst jetzt lenkte er das Gespräch auf Lady Hornwood. Die arme Frau, ohne Gemahl und ohne Erben mußte sie ihr Land verteidigen. Seine eigene Hohe Gemahlin war ebenfalls eine Hornwood, die Schwester des verstorbenen Lord Halys, wie sie gewiß wußten.»Eine leere Halle ist ein trauriges Heim. Ich habe darüber nachgedacht, ob ich der Lady Donella nicht meinen jüngsten Sohn als Mündel schicken sollte. Beren wird bald zehn, ein begabter Junge und ihr einziger Neffe. Bestimmt würde er sie aufheitern, und vielleicht nähme er sogar den Namen Hornwood an…«
«Wenn er zu ihrem Erben ernannt würde?«warf Maester Luwin ein.
«… damit das Haus fortbestehen könnte«, endete Leobald.
Bran wußte, was er sagen mußte.»Ich danke Euch für den Vorschlag, Mylord«, platzte er heraus, bevor Ser Rodrik ihm zuvorkam.»Wir werden die Angelegenheit meinem Bruder Robb vortragen. Oh, und natürlich auch der Lady Hornwood.«
Es schien Leobald zu erstaunen, daß er gesprochen hatte.»Ergebensten Dank, mein Prinz«, sagte er, aber Bran entging das Mitleid in seinen hellblauen Augen nicht, in das sich vielleicht auch ein wenig Erleichterung mischte, weil der Krüppel nicht sein eigener Sohn war. Einen Moment lang haßte er den Mann.
Maester Luwin brachte ihm größere Sympathien entgegen.
«Beren Tallheart wäre möglicherweise ein Ausweg«, erklärte er, nachdem Leobald gegangen war.»Dem Blute nach ist er ein halber Hornwood. Und wenn er den Namen seines Onkels annimmt… «
«… bleibt er noch immer ein zehnjähriger Junge«, meinte Ser Rodrik,»der von Kerlen wie Mors Umber oder diesem Bastard von Roose Bolton bedrängt wird. Das müssen wir sorgsam bedenken. Robb soll unseren wohlüberlegten Rat erhalten, ehe er seine Entscheidung trifft.«
«Am Ende wird alles von praktischen Erwägungen abhängen«, sagte Maester Luwin,»davon, welchen Lord er am meisten hofieren muß. Die Flußlande gehört zu seinem Reich, und er wird Lady Hornwood an einen der Lords von Trident verheiraten wollen. An einen Blackwood vielleicht, oder an einen Frey — «
«Lady Hornwood kann einen von unseren Freys haben«, warf Bran ein.»Oder sogar beide, wenn sie möchte.«
«Das ist aber nicht nett, mein Prinz«, schalt Ser Rodrik ihn sachte.
Sind die Walders ja auch nicht. Verdrießlich starrte Bran auf die Tischplatte und antwortete nicht. In den folgenden Tagen trafen Raben aus den anderen herrschaftlichen Häusern ein, die Entschuldigungen brachten. Der Bastard von Dreadfort wollte sich nicht zu ihnen gesellen, die Mormonts und die Karstarks waren mit Robb nach Süden gezogen, Lord Locke war zu alt, um die Reise zu wagen, Lady Flint war hochschwanger. Schließlich hatten alle wichtigen Vasallen des Hauses Stark zumindest eine Botschaft gesandt, außer Howland Reed, dem Pfahlbaumann, der seine Sümpfe seit Jahren nicht verlassen hatte, und den Cerwyns, deren Burg nur einen halben Tagesritt von Winterfell entfernt lag. Lord Cerwyn war ein Gefangener der Lannisters, doch sein vierzehnjähriger Sohn traf eines hellen, windigen Morgens an der Spitze eines Dutzend
Lanzenreiters ein. Bran ritt gerade im Hof auf Dancer, als sie durch das Tor kamen. Er trabte hinüber, um sie zu begrüßen. Cley Cerwyn war stets ein Freund von Bran und seinen Brüdern gewesen.
«Guten Morgen, Bran«, rief Cley fröhlich,»oder muß ich dich jetzt Prinz Bran nennen?«»Nur, wenn du möchtest.«
Cley lachte.»Warum nicht? Jedermann nennt sich heutzutage König oder Prinz. Hat Stannis nach Winterfell auch einen Brief geschickt?«
«Stannis? Ich weiß nicht.«
«Er ist jetzt auch König«, berichtete Cley.»Er behauptet, Königin Cersei habe bei ihrem Bruder gelegen und Joffrey sei ein Bastard.«
«Joffrey, der unschicklich Geborene«, knurrte einer der Ritter Cerwyns.»Seine Treulosigkeit verwundert einen wenig, ist der Königsmörder doch sein Vater.«
«Ja«, warf ein anderer ein,»die Götter hassen Inzucht. Man braucht sich bloß anzuschauen, wie sie die Targaryens gestürzt haben.«
Einen Augenblick hatte Bran das Gefühl, als bekäme er keine Luft mehr. Eine Riesenhand preßte seine Brust zusammen. Er meinte, aus dem Sattel zu fallen und umklammerte verzweifelt Dancers Zügel.
Sein Entsetzen mußte sich auf seinem Gesicht abgezeichnet haben.»Bran?«fragte Cley Cerwyn.»Geht es dir nicht gut? Es ist doch nur ein König mehr.«
«Robb wird ihn auch besiegen. «Er wandte Dancer in Richtung Stall, ohne darauf zu achten, daß ihn die Cerwyns verwirrt anstarrten. Das Blut rauschte ihm in den Ohren, und wäre er nicht am Sattel festgeschnallt gewesen, wäre er vermutlich gestürzt.
In dieser Nacht betete Bran zu den Göttern seines Vaters um eine Nacht ohne Träume. Falls die Götter seine Bitte gehört hatten, spotteten sie seinen Hoffnungen, denn der Alptraum, den sie ihm schickten, war schlimmer als die Wolfsträume.
«Flieg oder stirb!«krächzte die dreiäugige Krähe und hackte mit dem Schnabel nach ihm. Bran weinte und flehte, die Krähe jedoch kannte kein Mitleid. Sie hackte ihm das linke Auge aus und dann das rechte, und als er blind und um ihn her alles dunkel war, pickte sie auf seine Stirn ein und trieb ihren fürchterlich spitzen Schnabel tief in seinen Schädel. Er schrie, bis er glaubte, seine Lungen müßten platzen. Der Schmerz fühlte sich an, als würde eine Axt seinen Kopf spalten, aber nachdem die Krähe ihren Schnabel, bedeckt mit Knochensplittern und Gehirnmasse, wieder herausgezogen hatte, konnte Bran wieder sehen. Und bei dem Anblick, der sich ihm bot, stockte ihm der Atem. Er hing an einem Turm, der eine Meile hoch war, seine Finger rutschten ab, seine Nägel krallten sich in den Stein, seine Beine zogen ihn nach unten, seine dummen, nutzlosen Beine.»Helft mir!«rief er. Ein goldener Mann erschien am Himmel über ihm und zog ihn hoch.»Was man nicht alles für die Liebe tut«, murmelte er leise und schleuderte ihn hinaus in die leere Luft.