Von der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang waren sie unterwegs; es ging an Wäldern, Obsthainen und bestellten Feldern vorbei, auf die gelegentlich kleine Dörfer, dicht bevölkerte Marktflecken oder gedrungene Festungsbauten folgten. Bei Einbruch der Dunkelheit schlugen sie das Lager auf und aßen im Licht des Roten Schwertes. Die Männer wechselten sich mit der Wache ab. Durch die Bäume sah Arya die Lagerfeuer anderer Reisender glimmen. Jede Nacht schienen es mehr geworden zu sein, jeden Tag nahm der Verkehr auf der Straße des Königs zu.
Morgens, mittags und abends kamen weitere hinzu, alte Leute und kleine Kinder, große Kerle, schmächtige, barfüßige Mädchen und Frauen mit Säuglingen an der Brust. Manche fuhren auf bäuerlichen Wagen, andere holperten in Ochsenkarren dahin. Viele ritten auf Zugpferden, Ponys, Maultieren, Eseln, auf einfach allem, was sich zum Reiten nutzen ließ. Eine Frau führte eine Milchkuh, auf deren Rücken ein kleines Mädchen saß. Arya sah einen Schmied, der eine Schubkarre mit seinen Werkzeugen — Hämmer und Zangen und sogar ein Amboß — vor sich her schob, und kurze Zeit später bemerkte sie einen anderen Mann, ebenfalls mit einer Schubkarre, in der zwei Säuglinge in Decken gewickelt schliefen. Die meisten jedoch gingen zu Fuß, trugen ihr Hab und Gut auf den Schultern und in den Gesichtern müde, mißtrauische Mienen. Sie zogen nach Süden auf die Stadt zu, nach King's Landing, und nur einer von hundert hatte ein knappes Wort für Yoren und seine Truppe übrig, die nach Norden wanderten. Sie fragte sich, weshalb niemand in ihre Richtung unterwegs war.
Viele der Reisenden waren bewaffnet; neben Dolchen und
Messern, Sensen und Äxten entdeckte Arya hier und dort auch ein Schwert. Einige hatten sich aus dicken Ästen Keulen gemacht oder knorrige Stöcke geschnitzt. Sie packten ihre Waffen fest und warfen den Wagen gierige Blicke zu, während sie vorbeirollten, doch am Ende ließen sie die Kolonne passieren. Dreißig waren zu viele, ganz gleich, was sie auch in den Wagen befördern mochten.
Sieh mit deinen Augen, hatte Syrio sie gelehrt, höre mit deinen Ohren.
Eines Tages erhob eine verrückte Frau am Straßenrand ein fürchterliches Geschrei.»Narren! Sie werden euch umbringen, Narren!«Sie war mager wie eine Vogelscheuche, ihre Augen lagen tief in den Höhlen, und die Füße hatte sie sich blutig gelaufen.
Am nächsten Morgen zügelte ein wohlgenährter Händler seine graue Stute neben Yoren und bot ihm an, die Wagen für ein Viertel ihres Wertes zu kaufen.»Es herrscht Krieg, und sie nehmen Euch ab, was sie wollen, daher solltet Ihr sie mir besser verkaufen, mein Freund. «Yoren wandte sich mit einer Drehung der krummen Schultern ab und spuckte aus.
Das war der Tag, an dem Arya das erste Grab bemerkte, ein kleiner Hügel neben der Straße, offensichtlich für ein Kind. In die aufgeworfene Erde hatte man einen Kristall gedrückt, den Lommy an sich nehmen wollte, doch der Bulle riet ihm, die Toten lieber ruhen zu lassen. Etliche Meilen später zeigte Praed auf weitere frische Gräber, eine ganze Reihe diesmal. Danach verging kaum ein Tag, ohne daß sie an einem Grabhügel vorbeikamen.
Einmal wachte Arya im Dunkeln auf und verspürte eine Furcht, deren Ursprung sie nicht begriff. Über ihnen teilte sich das Rote Schwert den Himmel mit tausend Sternen. Die Nacht erschien ihr eigentümlich ruhig, obgleich sie Yorens Schnarchen, das Prasseln des Feuers und auch das leise
Scharren der Esel hörten. Dennoch hatte sie das Gefühl, die Welt halte den Atem an, und angesichts dieser Stille schauderte es sie. Sie umklammerte Needle und schlief wieder ein.
Darauf folgte der Morgen, an dem Praed nicht mehr aufstand, und Arya begriff, daß sie sein Husten vermißt hatte. Jetzt hoben sie selbst ein Grab aus und bestatteten den Söldner an der Stelle, wo er geschlafen hatte. Yoren nahm ihm seine Wertsachen ab, bevor sie ihn mit Erde bedeckten. Ein Mann beanspruchte seine Stiefel für sich, ein anderer den Dolch. Das Kettenhemd und der Helm wurden verteilt. Das Langschwert überreichte Yoren dem Bullen.»Arme wie deine können vielleicht lernen, es zu schwingen«, sagte er. Ein Junge namens Tarber warf Eicheln auf Praeds Leiche, damit dort eine Eiche wachsen möge, um das Grab kenntlich zu machen.
Abends hielten sie in einem Dorf an einem Efeu überwucherten Gasthaus. Yoren zählte seine Münzen und entschied, er habe genug Geld, damit sich alle eine warme Mahlzeit leisten konnten.»Wie immer schlafen wir draußen, aber sie haben ein Badehaus, falls einem vom euch der Sinn nach heißem Wasser und Seife steht.«
Arya wagte es nicht, obwohl sie bereits genauso übel roch wie Yoren. Einige der Tierchen, die in ihrer Kleidung ein Heim gefunden hatten, begleiteten sie schon seit King's Landings Armenviertel; es erschien ihr falsch, sie jetzt zu ertränken. Tarber und Heiße Pastete und der Bulle stellten sich in der Reihe vor den Badewannen an. Andere lagerten vor dem Badehaus. Der Rest drängte sich in den Schankraum. Yoren schickte sogar Lommy mit Krügen für die drei los, die noch immer auf einem der Wagen angekettet waren.
Ob sauber oder ungewaschen, alle genossen die warme Pastete mit Schweinefleisch und die Bratäpfel. Der Wirt gab eine Runde Bier auf Kosten des Hauses aus.»Ich hatte einen Bruder, der vor Jahren das Schwarz angelegt hat. Ein Dienstbote, ein kluger Junge, aber eines Tages wurde er dabei erwischt, wie er Pfeffer von M'lords Tafel stibitzt hat, und Ser Malcolm war ein harter Mann. Bekommt Ihr Pfeffer auf der Mauer?«Auf Yorens Kopfschütteln hin seufzte der Mann.»Schade. Lync mochte Pfeffer so gern.«
Arya nippte zwischen Bissen der noch warmen Pastete vorsichtig an ihrem Bier. Ihr Vater hatte ihr manchmal ebenfalls einen Becher erlaubt, erinnerte sie sich. Sansa hatte stets nur das Gesicht verzogen und behauptet, Wein schmecke so viel feiner, aber Arya hatte es gemocht. Der Gedanke an Sansa und ihren Vater erfüllte sie mit Traurigkeit.
Im Gasthaus wimmelte es von Menschen, die nach Süden unterwegs waren, und überall im Schankraum wurden höhnische Bemerkungen laut, als Yoren verkündete, sie zögen in die andere Richtung.»Ihr werdet bald wieder auf dem Rückweg sein«, versprach ihm der Wirt.»Nach Norden gibt es kein Durchkommen. Die Hälfte aller Felder ist abgebrannt, und wer sich dort oben noch herumtreibt, hat sich hinter die Mauern der Burgen verkrochen. Wenn eine Truppe in der Morgendämmerung abzieht, taucht bei Einbruch der Nacht die nächste auf.«
«Uns kann das gleichgültig sein«, beharrte Yoren stur.»Tully oder Lannister, welche Rolle spielt das schon. Die Nachtwache ergreift für niemanden Partei.«
Lord Tully ist mein Großvater, dachte Arya. Ihr war es keinesfalls gleichgültig, aber sie biß sich lediglich auf die Unterlippe, schwieg und lauschte.
«Es geht um mehr als nur um Lannister oder Tully«, erwiderte der Wirt.»Aus den Mondbergen sind die wilden Menschen heruntergekommen, und denen könnt Ihr ja mal erzählen, daß Ihr keine Partei ergreift. Und die Starks haben sich ebenfalls eingemischt, der junge Lord, der Sohn der toten Rechten Hand… «
Arya setzte sich kerzengerade hin und spitzte die Ohren.
Meinte er etwa Robb?
«Ich habe gehört, der Junge reitet auf einem Wolf in die Schlacht«, sagte ein Kerl mit gelblichem Haar, der einen Krug in der Hand hielt.
«Törichtes Gerede. «Yoren spuckte aus.
«Der Mann, der es mir erzählt hat, will es mit eigenen Augen gesehen haben. Ein Wolf, so groß wie ein Pferd, hat er geschworen.«
«Wegen eines Schwurs muß es noch lange nicht wahr sein, Hod«, entgegnete der Wirt.»Du schwörst ständig, deine Schulden bei mir zu begleichen, und ich habe noch kein einziges Kupferstück gesehen. «Die anderen Gäste brachen in Gelächter aus, und dem Mann mit dem gelblichen Haar stieg die Röte ins Gesicht.
«Was Wölfe betrifft, war es ein schlechtes Jahr«, warf ein bleicher Mann in einem zerschlissenen grünen Mantel ein.»Um das God's Eye herum sind die Rudel seit Menschengedenken nicht so dreist gewesen. Schafe, Kühe, Hunde, ganz gleich, sie töten, was sie wollen, und sie fürchten sich auch nicht vor den Menschen. Wenn man bei Nacht in die Wälder geht, setzt man sein Leben aufs Spiel.«
«Ach, das sind doch auch nur Schauergeschichten und auch nicht glaubwürdiger als alle anderen.«
«Von meiner Kusine habe ich das gleiche gehört, und die lügt für gewöhnlich nie«, mischte sich eine alte Frau ein.»Sie sagt, dort treibe sich ein riesiges Rudel herum, Hunderte von Tieren, Menschenfresser. Und sie werden von einer Wölfin angeführt, die aus der Hölle geflohen sein muß.«
Eine Wölfin. Arya verschüttete ihr Bier und grübelte. Lag das God's Eye in der Nähe des Trident? Hätte sie doch nur eine Karte. Nicht weit vom Trident hatte sie Nymeria zurückgelassen. Gegen ihren Willen, aber Jory hatte gesagt, ihnen bliebe keine andere Wahl, denn wenn das Tier zurückkäme, würde es getötet, weil es Joffrey gebissen hatte, und mochte der Junge es hundertmal verdient haben. Sie hatten die Wölfin angebrüllt und angeschrien und Steine nach ihr geworfen, und erst nachdem ein paar Steine ihr Ziel getroffen hatten, war ihnen der Schattenwolf nicht mehr hinterhergelaufen. Vermutlich würde sie mich gar nicht erkennen, dachte Arya, oder wenn doch, haßt sie mich bestimmt.
Der Mann im grünen Mantel sagte:»Ich habe gehört, diese Höllenhündin sei mitten in ein Dorf gekommen… am Markttag, als überall Leute waren, und habe einer Mutter den Säugling von der Brust gerissen. Als Lord Mooton davon erfahren hat, haben er und seine Söhne geschworen, diesem Treiben ein Ende zu bereiten. Sie haben die Spuren der Wölfin mit einer Meute Wolfshunde bis zu ihrem Unterschlupf verfolgt und sind mit Mühe und Not mit dem nackten Leben davongekommen. Und keiner der Hunde ist zurückgekommen.«
«Das ist doch bloß ein Ammenmärchen«, platzte Arya heraus.»Wölfe fressen keine Säuglinge.«
«Und woher weißt du das so genau, Junge?«fragte der Mann im grünen Mantel.
Bevor sie zu einer Antwort ansetzen konnte, packte Yoren sie am Arm.»Dem Jungen ist das Bier zu Kopfe gestiegen, das ist alles.«
«Nein, ist es nicht. Sie fressen keine Säuglinge…«
«Raus, Junge… und dort bleibst du, bist du gelernt hast, den Mund zu halten, wenn Männer sich unterhalten. «Er schob sie auf die Seitentür zu, die zu den Ställen führte.»Geh schon. Schau, ob der Stalljunge die Pferde getränkt hat.«
Arya trollte sich wutentbrannt nach draußen.»Tun sie eben nicht«, murmelte sie vor sich hin und trat einen Stein. Er flog davon und blieb unter den Wagen liegen.
«Junge!«rief eine Stimme nach ihr.»Hübscher Junge.«
Einer der Männer in Ketten sprach mit ihr. Vorsichtig trat Arya an den Wagen heran, wobei sie die Hand auf Needles Heft legte.
Der Gefangene hob den leeren Krug, seine Fesseln rasselten.»Der Mann könnte wohl noch einen Schluck Bier vertragen. Der Mann bekommt ganz schön Durst, wenn er diese Armbänder trägt. «Er war der jüngste der drei, schlank, hatte feine Gesichtszüge und lächelte ständig. Sein Haar war auf einer Seite rot, auf der andern weiß, und vom Aufenthalt im Kerker und von der Reise verfilzt und dreckig.»Und ein Bad könnte der Mann auch gebrauchen«, fügte er hinzu, als er Aryas Blick bemerkte.»Und du könntest einen Freund gewinnen.«
«Ich habe Freunde«, entgegnete Arya.
«Mag sein, allerdings sehe ich keine«, antwortete der ohne Nase. Er war gedrungen und dick und hatte riesige Pranken. Schwarzes Haar bedeckte seine Arme und Beine und seine Brust, sogar seinen Rücken. Er erinnerte Arya an eine Zeichnung, die sie einmal in einem Buch gesehen hatte, von einem Affen von den Summer Isles. Wegen des Lochs in seinem Gesicht konnte man ihn kaum anschauen.
Der dritte, der Glatzkopf, zischte durch die Zähne wie eine weiße Eidechse. Als Arya erschrocken zurückwich, riß er den Mund auf und ließ die Zunge hin und her schnellen, oder besser, den Stumpf, der ihm von seiner Zunge geblieben war.»Hör auf damit«, fuhr sie ihn an.
«In den schwarzen Zellen kann sich der Mann seine Gesellschaft nicht aussuchen«, sagte der gutaussehende Mann mit dem rotweißen Haar. Etwas an seiner Art zu reden erinnerte sie an Syrio; ähnlich, und doch ganz anders.»Diese beiden haben keine Manieren. Der Mann muß um Verzeihung bitten. Du heißt Arry, ist dem nicht so?«
«Klumpkopf«, warf der Nasenlose ein.»Klumpkopf
Klumpgesicht Stockjunge. Paßt gut auf, Lorath, sonst schlägt er dich mit seinem Stock.«
«Der Mann muß sich seiner Gefährten schämen, Arry«, sagte der Gutaussehende.»Dieser Mann hat die Ehre, Jaqen H'ghar zu sein, einst in der Freien Stadt Lorath heimisch. Wäre es doch noch immer so! Die ungehobelten Gefährten, die mit dem Mann das Schicksal der Gefangenschaft teilen, heißen Rorge«- er deutete mit dem Krug auf den Nasenlosen — »und Beißer. «Beißer zischte erneut und bleckte die gelben, spitzgefeilten Zähne.»Ein Mann muß doch einen Namen haben, ist dem nicht so? Beißer kann nicht sprechen, und Beißer kann nicht schreiben, doch seine Zähne sind sehr scharf, und deshalb nennt der Mann ihn Beißer, und er lächelt. Gefällt dir das?«
Arya wich von dem Wagen zurück.»Nein. «Sie können mir nichts tun, redete sie sich zu, sie sind doch angekettet.
Er drehte den Krug um.»Der Mann muß weinen.«
Rorge, der Nasenlose, schleuderte fluchend seinen Krug nach ihr. Wegen der Handschellen waren seine Bewegungen unbeholfen, und trotzdem hätte das schwere Ding aus Zinn ihren Kopf getroffen, wäre sie nicht zur Seite gesprungen.»Hol uns Bier, Bengel. Sofort!«
«Halt den Mund!«Arya überlegte, was Syrio in dieser Lage getan hätte. Sie zog das hölzerne Übungsschwert.
«Komm nur her«, forderte Rorge sie auf,»und ich schieb dir diesen Stock in den Arsch und besorg's dir, bis du blutest.«
Angst schneidet tiefer als Schwerter. Arya zwang sich, auf den Wagen zuzutreten. Jeder Schritt fiel ihr schwerer als der vorige. Wild wie eine Wölfin, ruhig wie stilles Wasser. Die Worte hallten in ihrem Kopf wider. Sie konnte schon fast das Rad berühren, da sprang Beißer auf und griff nach ihrem Gesicht, wobei seine Ketten laut rasselten. Die Fesseln rissen seine Hände einen halben Fuß vor ihrem Gesicht zurück. Er zischte.
Sie schlug ihn. Hart und mitten zwischen die kleinen Augen.
Brüllend fuhr Beißer zurück und warf sich erneut mit seinem ganzen Gewicht in die Ketten. Die Glieder verdrehten und spannten sich, und Arya hörte das alte trockene Holz ächzen, wo die großen Eisenringe im Boden des Wagens verankert waren. Riesige weiße Pranken langten nach ihr, während die Venen an Beißers Armen hervortraten, aber die Fesseln hielten, und schließlich sank der Kerl in sich zusammen. Blut rann aus den nässenden Wundstellen auf seinen Wangen.
«Der Junge hat mehr Mut als Verstand«, meinte der Mann, der sich Jaqen H'ghar genannt hatte.
Arya zog sich von dem Wagen zurück. Plötzlich spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter, fuhr herum und riß das Holzschwert erneut hoch, aber es war nur der Bulle.»Was willst du?«
Er hob die Hand zur Abwehr.»Yoren hat gesagt, keiner von uns soll den dreien zu nahe kommen.«
«Mir machen sie keine Angst«, erwiderte Arya.
«Dann bist du dumm. Ich fürchte mich vor ihnen. «Der Bulle legte die Hand auf das Heft seines Schwertes, und Rorge lachte lauthals.»Hauen wir hier ab.«
Arya zog die Füße nach, ließ sich jedoch vom Bullen zum Gasthaus führen. Rorges Lachen und Beißers Zischen folgten ihnen.»Hast du Lust auf einen kleinen Kampf?«fragte sie den Bullen. Es drängte sie danach, auf etwas einzudreschen.
Er blinzelte sie überrascht an. Das dicke schwarze Haar, das vom Bad noch naß war, fiel ihm strähnig in die tiefblauen Augen.»Ich würde dir weh tun.«
«Würdest du nicht.«
«Du hast keine Ahnung, wie stark ich bin.«
«Und du hast keine Ahnung, wie schnell ich bin.«
«Es war deine Idee, Arry. «Er zog Praeds Langschwert.
«Zwar nur billiger Stahl, aber ein echtes Schwert.«
Arya zog Needle.»Dieser Stahl ist gut, also ist mein Schwert um so echter.«
Der Bulle schüttelte den Kopf.»Versprich mir, nicht zu weinen, wenn ich dich verletze.«
«Wenn du mir das gleiche versprichst. «Sie drehte sich zur Seite und nahm die Haltung der Wassertänzerin ein, aber der Bulle rührte sich nicht. Er blickte an ihr vorbei.»Was ist los?«
«Goldröcke. «Er verzog das Gesicht.
Das kann nicht wahr sein, dachte Arya, doch als sie einen Blick über die Schulter warf, kamen sie tatsächlich die Straße herauf, sechs Männer in den schwarzen Kettenhemden und den goldenen Umhängen der Stadtwache. Einer von ihnen war ein Offizier, er trug einen schwarz emaillierten Brustpanzer, der mit vier goldenen Kreisen verziert war. Sie hielten vor dem Gasthaus. Sieh mit deinen Augen, schien Syrio ihr zuzuflüstern. Ihre Augen sahen weißen Schaum unter den Sätteln; die Pferde waren lange und hart geritten worden. Ruhig wie stilles Wasser packte sie den Bullen am Arm und zerrte ihn hinter eine hohe, blühende Hecke.
«Was ist denn?«fragte er.»Was machst du denn? Laß mich los.«
«Still wie ein Schatten«, wisperte sie und drückte ihn zu Boden.
Einige von Yorens anderen Schützlingen saßen vor dem Badehaus und warteten darauf, in die Wanne steigen zu können.»Ihr, Männer«, rief einer der Goldröcke.»Seid ihr die, die das Schwarz anlegen werden?«»Könnte schon sein«, antwortete jemand vorsichtig.»Wir würden uns lieber euch anschließen«, meinte der alte Reysen.»Wie man hört, ist es kalt auf dieser Mauer.«
Der Offizier der Goldröcke stieg ab.»Ich habe einen
Haftbefehl für einen bestimmten Jungen… «
Yoren trat aus dem Gasthaus und kraulte sich den verfilzten schwarzen Bart.»Wer will den Jungen haben?«
Die anderen Stadtwachen stiegen ebenfalls ab und stellten sich neben ihre Pferde.»Warum verstecken wir uns?«flüsterte der Bulle.»Sie suchen mich«, flüsterte Arya zurück. Sein Ohr roch nach Seife.»Still!«
«Die Königin will ihn haben, alter Mann auch wenn es Euch nichts angeht«, antwortete der Offizier und zog ein Band mit einem Wachssiegel aus dem Gürtel.»Hier, das Siegel Ihrer Gnaden und ihre Vollmacht.«
Hinter der Hecke schüttelte der Bulle zweifelnd den Kopf.»Warum sollte die Königin hinter dir her sein, Arry?«Sie boxte ihn gegen die Schulter.»Halt den Mund!«Yoren befingerte das goldene Siegelwachs auf der Vollmacht.»Hübsch. «Er spuckte aus.»Die Sache ist die, der Junge gehört jetzt zur Nachtwache. Was er in der Stadt angestellt hat, hat keine Bedeutung mehr.«
«Die Königin legt keinen Wert auf Eure Betrachtungen, und dem kann ich mich nur anschließen«, entgegnete der Offizier.»Ich will nur den Jungen.«
Arya dachte an Flucht, doch auf ihrem Esel würde sie nicht weit kommen, weil die Goldröcke Pferde hatten. Und sie hatte das Davonlaufen satt. Sie war weggelaufen, als Ser Meryn sie gesucht hatte, und abermals, als sie ihren Vater getötet hatten. Wenn sie eine richtige Wassertänzerin wäre, würde sie mit Needle in der Hand hinausgehen und sie alle töten, und von jetzt an nie wieder davonlaufen.
«Ich werde Euch niemanden aushändigen«, beharrte Yoren stur.»Es gibt Gesetze, die solche Angelegenheiten regeln.«
Der Goldrock zog sein Kurzschwert.»Hier seht Ihr Euer Gesetz.«
Yoren betrachtete die Klinge.»Das ist kein Gesetz, nur ein Schwert. Zufällig habe ich auch eins.«
Der Offizier lächelte.»Alter Narr. Ich habe fünf Männer bei mir.«
Yoren spuckte aus.»Und ich dreißig.«
Der Goldrock lachte.»Meint Ihr den Haufen da?«sagte ein großer Kerl mit gebrochener Nase.»Wer will der erste sein?«rief er und zog blank.
Tarber zog eine Mistforke aus einem Strohballen.»Ich.«
«Nein, ich«, rief Cutjack, der stämmige Steinmetz und zog den Hammer aus der Lederschürze, die er niemals abzulegen schien.
«Ich. «Kurtz erhob sich vom Boden und hielt sein Jagdmesser in der Hand.
«Ich auch. «Koss spannte die Sehne seines Langbogens.
«Wir alle«, schrie Reysen und fuchtelte mit seinem langem Gehstock aus Hartholz herum.
Dobber kam nackt aus dem Badehaus. Er hielt das Bündel mit seinen Kleidern in den Händen, erfaßte die Situation sofort und ließ alles außer seinem Dolch fallen.»Gibt es ein Kämpfchen?«fragte er.
«Sieht so aus«, antwortete Heiße Pastete und bückte sich nach einem großen Stein. Arya mochte nicht glauben, was sich da vor ihren Augen abspielte. Sie haßte Heiße Pastete! Warum setzte er für sie ihr Leben aufs Spiel?
Der Mann mit der gebrochenen Nase hielt das Ganze noch immer für Spaß.»Mädels, legt die Steine und Stöcke weg, bevor ich euch den Hintern versohle. Keine von euch weiß doch, an welchem Ende man ein Schwert anfaßt.«
«Ich schon!«Arya würde sie nicht für sich sterben lassen wie Syrio. Auf gar keinen Fall! Sie schob sich durch die Hecke, Needle noch immer in der Hand, und nahm die Haltung
der Wassertänzerin ein.
Die gebrochene Nase lachte schallend. Der Offizier musterte sie von oben bis unten.»Steck die Klinge ein, Mädchen, niemand will dir etwas zuleide tun.«
«Ich bin kein Mädchen!«schrie sie wütend. Was war bloß mit ihnen los? Sie waren den ganzen Weg hierhergeritten, um sie zu fangen, und da stand sie vor ihnen, und sie grinsten sie nur an.»Ich bin derjenige, den ihr sucht.«
«Er ist derjenige, den wir suchen!«Der Offizier zeigte mit dem Schwert auf den Bullen, der neben Arya getreten war und Praeds billiges Schwert hielt.
Doch es erwies sich als Fehler, Yoren aus den Augen zu lassen, selbst nur für einen Moment. Im Nu hatte der schwarze Bruder dem Goldrock das Schwert an die Kehle gedrückt.»Ihr bekommt niemanden, solange Euch ein unversehrter Hals lieb ist! In dem Gasthaus warten noch zehn, fünfzehn meiner Brüder, falls Euch das noch nicht überzeugt. An Eurer Stelle würde ich Euren hübschen Totschläger fallen lassen, meine Arschbacken auf dieses fette kleine Pferdchen schwingen und zur Stadt zurückgaloppieren. «Er spuckte aus und drückte mit der Schwertspitze noch kräftiger zu.»Sofort.«
Der Offizier öffnete die Hand. Das Schwert landete im Staub.
«Das werden wir behalten«, sagte Yoren.»Auf der Mauer kann man guten Stahl immer gebrauchen.«
«Wie Ihr sagt. Fürs erste jedenfalls. Männer!«Die Goldröcke schoben die Waffen in die Scheide und stiegen auf.»Ihr solltet Euch besser schleunigst zu Eurer Mauer verkriechen, alter Mann. Wenn ich Euch das nächste Mal erwische, hole ich mir nicht nur diesen Bastardjungen, sondern auch noch Euren Kopf.«
«Das haben schon bessere Männer versucht. «Yoren versetzte der Flanke des Pferdes einen Klaps mit der flachen
Klinge, worauf es die Kingsroad hinunterstürmte. Die Stadtwache folgte ihm.
Nachdem sie außer Sicht waren, stieß Heiße Pastete einen lauten Juchzer aus, Yoren hingegen sah wütender aus als je zuvor.»Narr! Glaubst du, er ist schon mit uns fertig? Beim nächsten Mal wird er nicht erst lange reden und mir seine Vollmacht zeigen. Wenn wir die ganze Nacht reiten, bekommen wir vielleicht einen ausreichenden Vorsprung. «Er hob das Langschwert auf, das der Offizier fallen gelassen hatte.»Wer will das haben?«»Ich!«kreischte Heiße Pastete.
«Wag es ja nicht, dich damit an Arry zu versuchen. «Er reichte dem Jungen das Schwert mit dem Heft voran und ging zu Arya hinüber, wandte sich jedoch an den Bullen.»Die Königin will dich unbedingt haben, Junge.«
Arya verstand die Welt nicht mehr.»Warum sollte sie ihn haben wollen?«
Der Bulle starrte sie finster an.»Und warum sollte sie dich wollen? Du bist doch nur eine kleine Kanalratte!«
«Und du ein Bastard!«Oder gab er vielleicht nur vor, ein Bastard zu sein?» Wie heißt du richtig?«
«Gendry«, antwortete er ein wenig unsicher.»Wüßte nicht, weshalb sie es überhaupt auf einen von euch beiden abgesehen haben sollte«, unterbrach Yoren sie,»bekommen tut sie jedenfalls keinen. Ihr reitet von jetzt an auf den zwei Pferden. Beim ersten Anzeichen von Goldröcken macht ihr euch auf den Weg zur Mauer, als sei euch ein Drache auf den Fersen. Der Rest von uns ist ihnen egal.«
«Außer Euch«, setzte Arya dem entgegen.»Der Mann hat gesagt, er würde sich Euren Kopf holen.«
«Nun, was das betrifft«, meinte Yoren,»sollte er ihn tatsächlich von meinem Hals trennen können, mag er ihn gern behalten.«