Bran

Den harten Stein der Fensterbank zog Bran der Bequemlichkeit des Federbetts und der Decken vor. Im Bett zwängten ihn die Wände des Raums ein, und die Zimmerdecke lauerte bedrohlich über ihm; im Bett war das Zimmer seine Zelle und Winterfell sein Gefängnis. Draußen vor seinem Fenster lockte die weite Welt.

Er konnte nicht gehen, nicht klettern, jagen oder mit dem Holzschwert fechten, das er einst besessen hatte, aber schauen, das konnte er.

In letzter Zeit hatte er oft von Wölfen geträumt. Sie sprechen mit mir, von Bruder zu Bruder, redete er sich ein, wenn die Schattenwölfe heulten. Er konnte sie beinahe verstehen… nicht richtig, nicht wirklich, aber beinahe… als würden sie in einer Sprache singen, die er früher gekannt und inzwischen vergessen hatte. Die Walders mochten sich vor ihnen fürchten, doch in den Adern der Starks floß Wolfsblut. Old Nan hatte ihm das erzählt.»Allerdings ist es in manchen stark, in anderen nicht«, warnte sie.

Summer heulte lang und melancholisch, voller Traurigkeit und Sehnsucht. Shaggydog sang eher wild. Ihre Stimmen hallten durch den Hof und die Hallen der Burg, und es klang, als würde ein ganzes Rudel Schattenwölfe in Winterfell spuken und nicht nur zwei… zwei von ehedem sechs. Vermissen sie auch ihre Brüder und Schwestern? fragte sich Bran. Rufen sie nach Grey Wind und Ghost und Nymeria und Lady? Sollen die anderen nach Hause kommen, damit das Rudel wieder zusammen ist?

«Wer kann schon ahnen, was sich im Kopf eines Wolfes abspielt?«hatte Ser Rodrik Cassel auf Brans Frage, weshalb die Wölfe heulten, geantwortet. Brans Hohe Mutter hatte ihn für die Zeit ihrer Abwesenheit von Winterfell zum Kastellan ernannt, und seine Pflichten ließen ihm wenig Zeit für derlei Überlegungen.

«Es ist ihr Ruf nach Freiheit«, meinte Farlen, der Hundemeister, der für die Schattenwölfe kaum mehr Liebe empfand als seine Hunde.»Sie mögen es nicht, in diesen Mauern eingesperrt zu sein, und kann man es ihnen verdenken? Wilde Tiere gehören in die Wildnis, nicht in eine Burg.«

«Sie wollen jagen«, stimmte Gage, der Koch, zu, während er Rindertalgwürfel in einen großen Kessel mit Eintopf warf.»Ein Wolf riecht besser als ein Mensch. Höchstwahrscheinlich haben sie Beute gewittert.«

Maester Luwin schloß sich dem nicht an.»Wölfe heulen oft den Mond an. Diese hier heulen den Kometen an. Siehst du, wie hell er ist, Bran? Vielleicht verwechseln sie ihn mit dem Mond.«

Diese Geschichte erzählte Bran später Osha, und die Wildlingsfrau lachte laut.»Deine Wölfe haben mehr Verstand als dein Maester«, sagte sie.»Sie kennen die Wahrheit, die der graue Mann vergessen hat. «Die Art, wie sie das sagte, ließ ihn schaudern, und auf die Frage nach der Bedeutung des Kometen erhielt er die Antwort:»Blut und Feuer, Junge, und nichts Gutes.«

Bran fragte auch Septon Chayle über den Kometen aus, während sie Schriftrollen sortierten, die der Vernichtung durch das Feuer in der Bibliothek entgangen waren.»Er ist das Schwert, das der Jahreszeit den Tod bringt«, erwiderte er, und bald darauf traf der weiße Rabe aus Oldtown ein und brachte die Kunde vom Herbst, und somit hatte er zweifelsohne recht.

Allerdings dachte Old Nan etwas ganz anderes, und sie hatte schon mehr Namenstage gefeiert als alle übrigen.»Drachen«, sagte sie, hob den Kopf und schnüffelte. Sie war halb blind und konnte den Kometen nicht sehen, behauptete jedoch, ihn riechen zu können.»Das sind Drachen, Junge«, beharrte sie. Von tapferen Prinzen sagte sie nichts.

Hodor sagte nur:»Hodor. «Das sagte er immer.

Und die Schattenwölfe heulten. Die Wachen auf den Mauern fluchten leise vor sich ihn, die Hunde in den Zwingern bellten wütend, Pferde wurden in den Ställen wild, die Walders zitterten am Feuer und selbst Maester Luwin beschwerte sich darüber, daß er nachts nicht schlafen könne. Allein Bran machte es nichts aus. Ser Rodrik hatte die Wölfe in den Götterhain verbannt, nachdem Shaggydog den kleinen Walder gebissen hatte, aber die Steine der Burg schienen mit dem Geheul zu spielen, und so klang es gelegentlich, als hielten sie sich im Hof genau unter Brans Fenster auf. Dann wieder hätte er schwören mögen, sie patrouillierten auf den Mauern wie Wachen. Er wünschte, er hätte sie sehen können.

Den Kometen, der über Winterfell hing, konnte er jedenfalls sehen, und der breite, runde ursprüngliche Bergfried dahinter hob sich mit seinen schwarzen Wasserspeiern von der purpurfarbenen Dämmerung ab. Einst hatte Bran jeden Stein dieser Gebäude in- und auswendig gekannt; er war auf ihnen herumgeklettert und über die Mauer gehuscht, wie andere Jungen Treppen hinunterrennen. Ihre Dächer waren seine geheimsten Verstecke gewesen, und die Krähen auf der Turmruine seine Freunde. Und dann war er abgestürzt.

Bran erinnerte sich nicht an den Fall, aber man hatte es ihm so erzählt, also mußte es stimmen. Beinahe wäre er dabei gestorben. Als er die verwitterten Wasserspeier an der Turmruine sah, wo es geschehen war, wurde ihm flau im Magen. Jetzt konnte er nicht mehr klettern, nicht mehr rennen und nicht mehr fechten, und alle Träume von Ritterschaft hatten nur einen bitteren Geschmack hinterlassen.

Summer hatte an dem Tag geheult, an dem Bran abstürzte, und hatte lange Zeit nicht aufgehört, während der Junge mit zerschmettertem Körper im Bett lag; das hatte Robb ihm erzählt, bevor er in den Krieg gezogen war. Summer hatte um ihn getrauert, und Shaggydog und Grey Wind hatten sich ihm angeschlossen. Und in der Nacht, in welcher der blutige Rabe die Nachricht vom Tod seines Vaters gebracht hatte, hatten sie plötzlich auch darüber Bescheid gewußt. Bran war mit Rickon im Turm des Maesters gewesen, wo sie über die Kinder des Waldes sprachen, bis Summer und Shaggydog Luwin mit ihrem Heulen übertönt hatten.

Um wen trauern sie jetzt? Hatte ein Feind den König des Nordens erschlagen, seinen Bruder Robb? War sein Bastardbruder Jon Snow von der Mauer gefallen? Hatten seine Mutter oder eine seiner Schwestern den Tod gefunden? Oder hatte der Gesang eine andere Ursache, wie der Maester und der Septon und Old Nan glaubten?

Wenn ich ein richtiger Schattenwolf wäre, würde ich ihr Lied verstehen, dachte er wehmütig. In seinen Wolfsträumen rannte er über Berghänge und zerklüftete, schneebedeckte Gebirge, die höher, viel höher waren als jeder Turm, und stand am Ende auf dem Gipfel, so wie früher, während die Welt im Licht des Vollmonds unter ihm lag.

«Uuuuuuu«, schrie Bran versuchsweise. Er bildete mit den Händen einen Trichter vor dem Mund und hob das Gesicht zum Kometen.»Uuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuu«, heulte er. Es klang albern, hoch und hohl und zitternd, wie das Heulen eines kleinen Jungen und nicht das eines Wolfes. Dennoch antwortete Summer und übertönte Brans dünne Stimme mit seiner tiefen, und Shaggydog fiel in den Chor ein. Bran stieß einen weiteren Ruf aus. So sangen sie gemeinsam, die letzten ihres Rudels.

Auf den Lärm hin erschien eine Wache in der Tür, Hayhead, der einen Grützbeutel auf der Nase hatte. Er spähte herein, entdeckte Bran, der aus dem Fenster heulte, und sagte:»Was gibt es, mein Prinz?«

Stets bemächtigte sich Bran ein eigentümliches Gefühl, wenn man ihn Prinz nannte, obwohl er tatsächlich Robbs Erbe war, und Robb war schließlich der König des Nordens. Er wandte den Kopf und heulte die Wache an:»Uuuuuuuuu, Uuuuuuuuuuuuuuuu.«

Hayhead verzog das Gesicht.»Hört gefälligst auf damit!«

«Uuu-uuu-uuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuu,Uuu-uuu-

uuuuuuuu-uuuuuuuuuu.«

Der Mann verschwand. Er kehrte mit Maester Luwin zurück, der ganz in Grau gekleidet war und seine Kette eng um den Hals trug.»Bran, diese Tiere machen bereits ohne Euer Zutun genug Lärm. «Er durchquerte den Raum und legte dem Jungen die Hand auf die Stirn.»Es ist schon spät, Ihr solltet längst schlafen.«

«Ich rede mit den Wölfen. «Bran schob die Hand zur Seite.

«Soll ich Hayhead bitten, Euch ins Bett zu tragen?«

«Ich komme ganz allein ins Bett. «Mikken hatte mehrere Eisenstangen in der Wand befestigt, und so konnte sich Bran mit den Armen durch das Zimmer hangeln. Zwar ging das nur langsam, und seine Schultern schmerzten jedesmal von der Anstrengung, doch er haßte es, getragen zu werden.»Trotzdem brauche ich nicht zu schlafen, wenn ich nicht will.«

«Alle Menschen müssen schlafen, Bran. Auch Prinzen.«

«Wenn ich schlafe, verwandle ich mich in einen Wolf. «Bran wandte das Gesicht ab und blickte hinaus in die Nacht.»Träumen Wölfe?«

«Jedes Wesen träumt, glaube ich, doch vielleicht anders als Menschen.«

«Träumen Bäume?«

«Bäume? Nein… «

«Doch«, entgegnete Bran, plötzlich sehr sicher.»Sie träumen Baumträume. Ich träume manchmal auch von einem Baum.

Von einem Wehrholzbaum wie dem im Götterhain. Er ruft mich. Die Wolfsträume sind schöner. Ich rieche alles, und manchmal kann ich sogar Blut schmecken.«

Maester Luwin zupfte an seiner Kette, wo diese an seinem Hals scheuerte.»Wenn Ihr nur etwas mehr Zeit mit den anderen Kindern verbringen würdet — «

«Ich hasse die anderen Kinder«, erwiderte Bran und meinte damit die Walders.»Ich habe Euch befohlen, sie fortzuschicken.«

Luwin wurde ernst.»Die Freys sind die Mündel Eurer Hohen Mutter, die auf ihren ausdrücklichen Wunsch hergeschickt wurden. Ihr habt nicht das Recht, sie hinauszuwerfen, und anständig wäre es zudem auch nicht. Wohin sollten sie denn gehen?«

«Nach Hause. Nur ihretwegen darf ich nicht mit Summer zusammensein.«

«Der Freyjunge hat nicht darum gebeten, gebissen zu werden«, hielt der Maester ihm entgegen,»und ich auch nicht.«

«Das war Shaggydog. «Rickons großer schwarzer Wolf war so wild, daß er manchmal sogar Bran selbst erschreckte.

«Summer hat in genau diesem Zimmer einem Mann die Kehle herausgerissen, oder habt Ihr das vielleicht vergessen? Um die Wahrheit auszusprechen, die süßen Welpen, die Ihr und Eure Brüder im Schnee gefunden habt, sind zu gefährlichen Bestien herangewachsen. Die Freyjungen tun recht daran, sich vor ihnen zu hüten.«

«Wir sollten die Walders in den Götterhain verbannen. Dort können sie Lord vom Kreuzweg spielen, und Summer könnte wieder bei mir schlafen. Wenn ich der Prinz bin, warum schenkt Ihr meinen Wünschen keine Beachtung? Ich wollte auf Dancer reiten, aber der dicke Bierbauch hat mich nicht durchs Tor gelassen.«

«Und vollkommen zu recht. Der Wolfswald birgt unzählige Gefahren; das solltet Ihr doch bei Eurem letzen Ausritt gelernt haben. Wollt Ihr Euch von einem dahergelaufenen Gesetzlosen entführen und an die Lannisters verkaufen lassen?«

«Summer würde mich retten«, beharrte Bran stur.»Prinzen sollte erlaubt sein, die Meere zu befahren und Wildschweine im Wolfswald zu jagen und mit Lanzen zu tjostieren.«

«Bran, Kind, warum quält Ihr Euch so? Eines Tages werdet Ihr einiges davon tun, aber jetzt seid Ihr erst acht Jahre alt.«

«Ich wäre lieber ein Wolf. Dann könnte ich im Wald leben und schlafen, wann ich will, und ich könnte Arya und Sansa finden. Ich würde sie wittern und sie retten, und wenn Robb in die Schlacht zöge, würde ich an seiner Seite kämpfen wie Grey Wind. Ich würde dem Königsmörder mit den bloßen Zähnen die Kehle herausreißen, und dann wäre der Krieg zu Ende und alle würden nach Winterfell zurückkehren Wenn ich ein Wolf wäre…«Er heulte.»Uuu-uu-uuuuuuuuuuuuuuu.«

Luwin hob die Stimme.»Ein richtiger Prinz würde sie willkommen heißen — «

«AAHUUUUUUUUUUU. «Bran heulte lauter.»UUUU- UUUU-UUUU.«

Der Maester gab auf.»Wie Ihr wünscht, Kind. «Mit einem Blick, in dem sich Kummer und Abscheu mischten, verließ er das Zimmer.

Nachdem Bran allein war, verlor das Heulen seinen Reiz. Einige Zeit später verstummte er. Ich habe sie willkommen geheißen, dachte er reumütig. Ich war der Lord von Winterfell, ein richtiger Lord, und er kann nicht behaupten, daß das nicht stimmt. Als die Walders aus den Twins eintrafen, war es Rickon gewesen, der sie fortwünschte. Er war erst vier und schrie nach Mutter und Vater und Robb, aber diese Fremden wollte er nicht sehen. Bran hatte ihn trösten und die Freys begrüßen müssen. Er hatte ihnen Fleisch und Met und einen warmen Platz am Feuer angeboten, und sogar Maester Luwin hatte ihn hinterher dafür gelobt.

Aber das war vor dem Spiel.

Für das Spiel brauchte man einen Baumstamm, einen kräftigen Stab und ein kleines Gewässer. Das laute Geschrei ergab sich dann von selbst. Immerhin war das Wasser das wichtigste, versicherten Walder und Walder ihm. Man konnte statt des Baumstammes auch eine Bohle oder eine Reihe großer Steine nehmen oder statt eines Stabes einen Ast. Schreien mußte man auch nicht unbedingt. Aber ohne Wasser war das Spiel sinnlos. Da Maester Luwin und Ser Rodrick die Kinder nicht in den Wolfswald begleiten wollten, wo es Bäche gab, mußten sie sich mit den trüben Tümpeln im Götterhain begnügen. Walder und Walder hatten niemals zuvor heißes Wasser gesehen, das blubbernd aus dem Boden quoll, doch die beiden meinten, dadurch würde das Spiel nur noch spannender.

Beide hießen Walder Frey. Der große Walder meinte, auf den Twins gäbe es jede Menge Walders, die alle nach ihrem Großvater Lord Walder Frey benannt waren.»Auf Winterfell haben wir unsere eigenen Namen«, erklärte Rickon ihnen hochmütig, als er das hörte.

Man legte also einen Baumstamm über das Wasser, und einer der Spieler stellte sich mit seinem Stab darauf. Er war damit der Lord vom Kreuzweg, und wenn die anderen den Baumstamm betraten, mußte er sagen:»Ich bin der Lord vom Kreuzweg, wer naht?«Die Mitspieler mußten eine Rede halten und erzählen, wer sie waren und weshalb ihnen gestattet werden sollte, zu passieren. Der Lord konnte verlangen, ihm Eide zu schwören, und seine Fragen zu beantworten. Sie brauchten nicht unbedingt die Wahrheit zu sagen, aber die Eide waren bindend, solange man nicht» vielleicht «sagte. Also bestand der Kniff darin, ein» Vielleicht «unterzubringen, ohne daß der Lord vom Kreuzweg es bemerkte. Dann durfte man versuchen, den Lord ins Wasser zu stoßen und wurde selbst

Lord, aber nur, wenn man» vielleicht «gesagt hatte. Sonst war man draußen. Der Lord durfte jeden ins Wasser stoßen, wann immer es ihm gefiel, und er war der einzige, der einen Stock bekam.

So endete das Spiel stets mit Schubsen, Schlagen und einem Sturz ins Wasser, wozu sich laute Auseinandersetzungen darüber gesellten, ob jemand» vielleicht «gesagt hatte oder nicht. Der kleine Walder war am häufigsten der Lord vom Kreuzweg.

Er hieß der kleine Walder, obwohl er groß und stämmig war und ein rotes Gesicht und einen dicken, runden Bauch hatte. Der große Walder hatte ein dünnes, scharfes Gesicht und war mager und einen halben Fuß kleiner.»Er ist zweiundfünfzig Tage älter als ich«, erklärte der kleine Walder,»deshalb war er zuerst größer, aber ich bin schneller gewachsen.«

«Wir sind Vettern«, verkündete der große Walder,»und auch nicht die einzigen Walders. Ser Stevron hat einen Enkel, den schwarzen Walder, und er steht an vierter Stelle in der Nachfolge, und dann gibt es noch den roten Walder, Ser Emmons Sohn, und den Bastard Walder, der überhaupt keinen Anspruch auf den Titel hat. Er wird Walder Rivers genannt und nicht Walder Frey. Und ein Mädchen heißt Walda.«

«Und Tyr. Immer vergißt du Tyr.«

«Er heißt Wattyr, nicht Walder«, fügte der große Walder hinzu.»Er kommt nach uns, deshalb spielt er keine Rolle. Und ich mag ihn auch nicht.«

Ser Rodrik bestimmte, daß sie sich Jon Snows altes Zimmer teilen sollten, da Jon schließlich bei der Nachtwache war und niemals zurückkehren würde. Bran haßte diesen Gedanken; er hatte das Gefühl, die Freys würden sich Jons Platz erschleichen.

Wehmütig hatte er zugeschaut, wie sich die Walder mit Turnip, dem Küchenjungen und Joseths Töchtern Bandy und

Shyra maßen. Die Walders machten Bran zum Schiedsrichter, der entscheiden sollte, ob jemand» vielleicht «gesagt hatte oder nicht, aber sobald das Spiel begann, vergaßen sie ihn ganz einfach.

Die Rufe und das Platschen riefen weitere Kinder auf den Plan: Palla, das Mädchen, das sich um die Hunde kümmerte, Cayns Sohn Calon, TomToo, dessen Vater Fat Tom mit Brans Vater in King's Landing gestorben war. Es dauerte nicht lange, bis jeder klitschnaß und voller Schlamm war. Palla war von Kopf bis Fuß braun, in ihrem Haar hing Moos, und vor Lachen bekam sie kaum noch Luft. Seit der Nacht, als der blutige Rabe eingetroffen war, hatte Bran kein so fröhliches Gelächter mehr gehört. Wenn ich noch meine Beine hätte, würde ich sie alle ins Wasser stoßen, dachte er verbittert. Niemand außer mir wäre der Lord vom Kreuzweg.

Schließlich kam Rickon mit Shaggydog in den Götterhain gelaufen. Er beobachtete Turnip und den kleinen Walder, die um den Stock rangen, bis Turnip abrutschte und mit fuchtelnden Armen und lautem Platsch im Wasser landete.»Ich auch! Jetzt will ich! Ich will mitspielen!«kreischte Rickon. Der kleine Walder winkte ihn auf den Baumstamm, und Shaggydog folgte Rickon.»Nein, Shaggy«, befahl sein Bruder.»Wölfe können nicht spielen. Du bleibst bei Bran. «Und dort blieb er…

… bis der kleine Walder Rickon mit dem Stock einen Hieb in den Bauch versetzte. Ehe Bran auch nur blinzeln konnte, flog der schwarze Wolf über den Steg, das Wasser vermischte sich mit Blut, und die Walders schrien Zeter und Mordio. Rickon saß im Schlamm und lachte, und Hodor trampelte herbei und rief:»Hodor! Hodor! Hodor!«

Danach entschied Rickon plötzlich, daß er die Walders mochte. Lord vom Kreuzweg spielten sie nie wieder, aber andere Spiele — die Bestie und die Maid, Ratten und Katzen, Komm-in-meine-Burg und solcherlei. Zusammen mit Rickon plünderten die Walders die Küche und holten sich Kuchen und Honigwaben, rannten über die Wehrgänge, fütterten die Welpen in den Hundezwingern mit Knochen und trainierten unter Ser Rodriks Aufsicht mit Holzschwertern. Rickon zeigte ihnen sogar die tiefen Gewölbekeller unter der Erde, wo der Steinmetz Vaters Grab aus dem Granit meißelte.»Dazu hattest du kein Recht!«schrie Bran seinen Bruder an, als er davon erfuhr.»Dieser Ort ist für uns ganz allein bestimmt, nur für die Starks. «Aber Rickon hörte nicht auf ihn.

Die Tür seines Zimmers öffnete sich. Maester Luwin trug ein grünes Gefäß herein, und diesmal begleiteten ihn Osha und Hayhead.»Ich habe Euch einen Schlaftrunk zubereitet, Bran.«

Osha hob ihn hoch. Für eine Frau war sie sehr großgewachsen und kräftig. Ohne Anstrengung trug sie ihn zum Bett.

«Damit werdet Ihr im Schlaf nicht mehr von Träumen geplagt«, versprach ihm Maester Luwin, während er den Stöpsel herauszog.»Süß und sanft werdet Ihr ruhen.«

«Ehrlich?«fragte Bran und wollte es wirklich glauben.»Ja. Trinkt.«

Bran setzte den Becher an die Lippen. Der Trunk war dickflüssig und trüb, jedoch mit Honig gesüßt, und deshalb ging er leicht hinunter.

«Morgen früh werdet Ihr Euch besser fühlen. «Luwin lächelte Bran an und legte kurz die Hand auf seinen Arm, bevor er das Zimmer verließ.

Osha blieb noch.»Sind es wieder die Wolfsträume?«Bran nickte.»Du solltest nicht so hart dagegen ankämpfen, Junge. Ich habe dich beobachtet, wie du mit dem Herzbaum gesprochen hast. Vielleicht versuchen die Götter, dir zu antworten.«

«Die Götter?«murmelte er, bereits benommen. Oshas Gesicht verschwamm vor seinen Augen. Süß und sanft ruhen.

Dennoch, als sich die Dunkelheit über ihn senkte, fand er sich im Götterhain unter den grüngrauen Wächtern und knorrigen Eichen, die so alt waren wie die Zeit, wieder. Ich gehe, dachte er entzückt. Eigentlich wußte er, daß es nur ein Traum war, aber war nicht selbst dieser Traum angenehmer als die Wirklichkeit, die ihn in sein Zimmer einsperrte?

Unter den Bäumen war es dunkel, aber der Komet erhellte seinen Weg, und seine Schritte waren fest. Er lief auf vier gesunden Beinen stark und schnell dahin, und er spürte die Erde unter sich, das leise raschelnde Laub, die dicken Wurzeln, die harten Steine und die tiefen Schichten des Humus. Es war ein wunderbares Gefühl.

Gerüche erfüllten seinen Kopf mit Leben und Rausch; der schlammige Gestank der grünen heißen Tümpel, der Duft verrottender Erde unter seinen Pfoten, die Eichhörnchen in den Eichen. Beim Geruch des Eichhörnchens erinnerte er sich an den Geschmack heißen Blutes und das Krachen von Knochen, die er mit den Zähnen zermahlte. Der Geifer lief ihm aus dem Maul. Erst einen halben Tag war es her, daß er gespeist hatte, doch am Geschmack toten Fleisches, selbst wenn es Wild war, fand er keine Freude. Er hörte die Eichhörnchen umherhuschen, oben im Geäst, wo sie sicher waren, und sie waren zu schlau, um sich dorthin zu begeben, wo er und sein Bruder durch den Wald streiften.

Seinen Bruder roch er ebenfalls, diesen vertrauten, strengen und erdigen Duft, der so schwarz war wie sein Fell. Sein Bruder lief voller Wut an den Mauern entlang, immer und immer wieder im Kreis, Tag und Nacht und Nacht und Tag, unermüdlich auf der Suche nach… Beute, einem Ausweg, seiner Mutter, seinen Geschwistern, seinem Rudel… so suchte und suchte er ohne Erfolg.

Hinter den Bäumen erhob sich, aufgeschichtet aus totem Menschenstein, die Mauer, die überall über dieses Fleckchen lebendigen Waldes aufragte. Grau stand sie da, moosüberzogen, und trotzdem dick und stark und höher, als je ein Wolf zu springen hoffen durfte. Kaltes Eisen und hartes Holz versperrten die einzigen Löcher in diesen Steinen, die ihn umgaben. An jedem Loch blieb sein Bruder stehen und fletschte die Zähne, doch blieb der Ausweg stets verschlossen.

In der ersten Nacht hatte er das gleiche getan, bis er die Sinnlosigkeit dieses Tuns begriff. Ein Knurren machte hier keinen Weg frei. Im Kreis zu laufen drängte die Mauern nicht zurück. Das Bein zu heben und die Bäume markieren, vertrieb die Menschen nicht. Die Welt hatte sich wie eine Schlinge um ihn zusammengezogen, aber jenseits des Waldes standen noch immer die großen grauen Höhlen aus Menschensteinen. Winterfell, ging ihm plötzlich ein Menschenlaut durch den Kopf. Von jenseits dieser himmelhohen Menschenklippen rief die wahre Welt nach ihm, und er wußte, entweder antwortete er oder er würde sterben.

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