Arya

Der Fluß leuchtete wie ein blaugrünes Band in der Morgensonne. An den seichten Stellen entlang des Ufers wuchs Schilf, und Arya beobachtete eine Wasserschlange, die sich über die Oberfläche schlängelte und dabei winzige Wellen aussandte. Über ihnen zog ein Falke träge seine Kreise.

Der Ort machte einen so friedlichen Eindruck… bis Koss den Toten entdeckte.»Dort, im Schilf. «Er zeigte darauf, und nun sah auch Arya ihn. Die Leiche eines Soldaten, unförmig und aufgedunsen. Der durchnäßte grüne Umhang hatte sich an einem verrotteten Baumstamm verfangen, und ein Schwarm kleiner silberner Fische knabberte an seinem Gesicht.»Ich habe euch doch gesagt, es würden Leichen im Wasser liegen«, verkündete Lommy.»Ich konnte sie schmecken.«

Als Yoren den Toten sah, spuckte er aus.»Dobber, schau nach, ob er noch etwas von Wert bei sich hat. Ein Kettenhemd, ein Messer, ein paar Münzen oder was auch immer. «Er gab seinem Wallach die Sporen und trieb ihn ins Wasser, aber das Pferd hatte mit dem weichen Schlamm zu kämpfen, und jenseits des Schilfs wurde der Fluß tiefer. Verärgert ritt Yoren zurück, und das Tier war bis über die Knie mit braunem Matsch bedeckt.»Hier werden wir nicht durchkommen. Koss, du begleitest mich flußaufwärts. Wir suchen nach einer Furt. Woth, Gerren, ihr zieht flußabwärts. Der Rest wartet hier. Stellt eine Wache auf.«

Dobber fand einen ledernen Geldbeutel am Gürtel des Toten. Darin befanden sich vier Kupferstücke und eine kleine Strähne blonden Haares, die mit einem roten Band zusammengebunden war. Lommy und Tarber zogen sich nackt aus und wateten ins Wasser, und Lommy bewarf Heiße Pastete mit dem schleimigen Schlamm und rief:»Matschpasteten!«

Matschpasteten!«Auf dem Wagen fluchte Rorge, stieß wüste Drohungen aus und befahl den Jungen, sie von den Fesseln zu befreien, solange Yoren fort war, aber niemand beachtete ihn. Kurtz fing mit bloßen Händen einen Fisch. Arya beobachtete ihn dabei; er stand an einer seichten Stelle, ruhig wie stilles Wasser, und als der Fisch heranschwamm, griff er schnell wie eine Schlange zu. Es sah nicht viel schwieriger aus als Katzen fangen. Und Fische hatten keine Krallen.

Gegen Mittag kehrten die anderen zurück. Woth berichtete, eine halbe Meile entfernt gäbe es eine Holzbrücke, die jedoch abgebrannt sei. Yoren zupfte ein Bitterblatt aus dem Ballen.»Mit den Pferden und vielleicht sogar den Eseln könnten wir hinüberschwimmen, aber nicht mit den Wagen. Und im Norden und Westen steigt Rauch auf, dort gibt es noch mehr Brände, so daß wir vielleicht besser auf dieser Seite des Flusses bleiben sollten. «Er hob einen langen Stock auf und zeichnete einen Kreis und eine Linie in den Uferschlamm.»Das ist das God's Eye, und dort der Fluß, der in südlicher Richtung fließt. Wir sind hier. «Er drückte unterhalb des Kreises ein Loch neben den Fluß.»Wir können den See nicht im Westen umrunden, wie ich es vorhatte. Und wenn wir nach Osten gehen, kommen wir wieder auf die Kingsroad. «Er wies mit dem Stock auf die Stelle, an der sich Kreis und Linie berührten.»Soweit ich mich erinnere, ist hier eine Stadt. Die Feste ist aus Stein erbaut, und dort sitzt ein kleiner Lord; wenn es sich auch nur um einen Bergfried handelt, aber er wird eine Garde haben und vielleicht auch ein oder zwei Ritter. Wir folgen dem Fluß nach Norden und müßten vor Einbruch der Dunkelheit dort sein. Bestimmt haben sie Boote, also werden wir alles verkaufen, was sich zu Geld machen läßt und eins mieten. «Er zog den Stock von unten nach oben durch den Kreis.»So uns die Götter gewogen sind, wird uns der Wind über das God's Eye nach Harrentown bringen. «Jetzt stieß er den Stock in den obersten Rand des Sees.»Dort kaufen wir neue Pferde oder suchen Schutz in

Harrenhal. Das ist Lady Whents Sitz, und sie war stets eine Freundin der Wache.«

Heiße Pastete riß die Augen auf.»In Harrenhal gibt es Gespenster… «

Yoren spuckte aus.»Soviel zu deinen Gespenstern. «Er warf den Stock in den Schlamm.»Sitzt auf.«

Arya erinnerte sich an die Geschichten über Harrenhal, die ihr Old Nan erzählt hatte. Der Böse König Harren hatte sich dort verschanzt, und Aegon hatte seine Drachen losgelassen und die Burg niedergebrannt. Nan sagte, die feurigen Geister würden noch immer in den geschwärzten Türmen umgehen. Manchmal gingen Männer abends ins Bett und wurden morgens verbrannt aufgefunden. Eigentlich glaubte Arya das nicht recht, und überhaupt hatte sich das alles vor langer Zeit zugetragen. Heiße Pastete stellte sich töricht an; in Harrenhal gab es gewiß keine Gespenster, sondern Ritter. Der Lady Whent gegenüber könnte Arya sich offenbaren, und die Ritter würden sie nach Hause eskortieren und für ihre Sicherheit sorgen. Denn wozu waren Ritter sonst da, wenn nicht, um Menschen zu beschützen, vor allem Frauen. Vielleicht würde sich Lady Whent auch um das weinende kleine Mädchen kümmern.

Der Weg am Fluß entlang war nicht gerade die Kingsroad, doch sie hätten es schlimmer treffen können, und endlich rollten die Wagen wieder einmal ohne Zwischenfall dahin. Eine Stunde vor der Abenddämmerung sahen sie das erste Haus, einen hübschen, strohgedeckten kleinen Hof inmitten von Weizenfeldern. Yoren ritt voraus und rief einen Gruß hinüber, erhielt jedoch keine Antwort.»Vielleicht sind sie tot. Oder sie verstecken sich. Dobber, Reysen, kommt mit. «Die drei betraten das Bauernhaus.»Die Töpfe sind verschwunden, und Geld ist auch nirgends zu finden«, murmelte Yoren bei ihrer Rückkehr.»Keine Tiere. Wahrscheinlich sind sie geflohen. Möglicherweise sind wir ihnen auf der Kingsroad begegnet. «Wenigstens waren Haus und Felder nicht niedergebrannt worden, und nirgends waren Leichen zu sehen. Tarber fand hinter dem Hof einen Garten, wo sie sich mit Zwiebeln und Rettich und Kohl versorgten, ehe die Reise weiterging.

Ein Stück weiter die Straße hinauf bemerkten sie in einem Waldstück eine Försterhütte, neben der Holzklötze ordentlich zum Spalten aufgeschichtet waren, und ein wenig später ein heruntergekommenes Haus auf Pfählen, das drei Meter über dem Fluß stand. Beide Gebäude waren ebenfalls verlassen. Abermals zogen sie durch Felder, Weizen und Mais und Gerste, die in der Sonne reiften, aber weder saßen Männer in Bäumen, noch patrouillierten sie mit Sensen in den Ackerhainen. Endlich kam die Stadt in Sicht, ein Gewirr von Häusern, welches sich um die Mauern der Festung ausbreitete, dazu eine große Septe mit Holzschindeldach und der Bergfried des Lords auf einer kleinen Erhebung im Westen… und nirgends waren Menschen zu sehen.

Yoren setzte sich im Sattel auf, runzelte die Stirn und kratzte sich den Bart.»Das gefällt mir ganz und gar nicht«, sagte er,»aber ich kann es nicht ändern. Schauen wir uns die Stadt an. Vorsichtig. Die Menschen verstecken sich womöglich. Und vielleicht haben sie ein Boot zurückgelassen, das wir gebrauchen können, oder ein paar Waffen.«

Der schwarze Bruder ließ zehn Mann als Wache für die Wagen und das weinende Mädchen zurück und teilte den Rest in vier Gruppen zu je fünf ein, welche die Stadt durchsuchen sollten.»Haltet Augen und Ohren offen«, warnte er, ehe er in Richtung des Turms davonritt, um nach dem Lord und seiner Garde Ausschau zu halten.

Arya wurde Gendry, Heiße Pastete und Lommy zugeteilt. Der untersetzte Woth mit dem dicken Bauch hatte früher einmal auf einer Galeere als Ruderer gedient, und somit war er der beste Seemann, den sie hatten. Yoren trug ihm auf, ans

Ufer des Sees zu gehen und nach einem Boot zu suchen. Während sie zwischen den stillen weißen Häusern hindurchschritten, kroch Arya eine Gänsehaut über die Arme. Diese leere Stadt war beinahe genauso bedrückend wie der niedergebrannte bewehrte Weiler, in dem sie das kleine Mädchen und die einarmige Frau gefunden hatten. Warum liefen diese Menschen davon und ließen ihr Heim und alles schutzlos zurück? Was hatte sie so erschreckt?

Im Westen stand die Sonne bereits tief, und die Gebäude warfen lange, dunkle Schatten. Plötzlich ertönte ein lautes Klappern, und sofort griff Arya nach Needle, doch schlug lediglich ein Fensterladen im Wind. Nach dem offenen Gelände am Fluß machte die Enge der Stadt sie nervös.

Schließlich erblickten sie zwischen Gebäuden und Bäumen den See, und Arya spornte ihr Pferd an und galoppierte an Woth und Gendry vorbei. Sie erreichte eine Wiese, die sich entlang eines Kiesstrandes erstreckte. Im Licht der untergehenden Sonne leuchtete die glatte Oberfläche des Wassers wie ein Blech aus getriebenem Kupfer. Einen so großen See hatte sie noch nie zuvor gesehen, nirgendwo konnte man das andere Ufer erkennen. Sie entdeckte links einen großen Gasthof, der auf Pfählen über das Wasser gebaut war. Zu ihrer Rechten führte ein langer Steg hinaus in den See, und weiter östlich folgten weitere wie hölzerne Finger, die aus der Stadt ragten. Aber das einzige Boot, das sie entdecken konnte, war ein Ruderboot, das umgedreht und verlassen auf den Steinen neben dem Gasthof lag und dessen Boden völlig verrottet war.»Sie sind weg«, stellte Arya niedergeschlagen fest. Was sollten sie jetzt machen?

«Dort ist ein Gasthof«, verkündete Lommy, als die anderen zu ihm aufschlossen.»Glaubt ihr, sie haben Essen zurückgelassen? Oder Bier?«

«Schauen wir doch nach«, schlug Heiße Pastete vor.

«Den Gasthof schlagt euch mal schön aus dem Kopf«, fauchte Woth.»Yoren hat uns aufgetragen, nach einem Boot zu suchen.«

«Sie haben die Boote mitgenommen. «Aus irgendeinem Grund wußte Arya, daß das stimmte; sie mochten die ganze Stadt durchkämmen, und sie würden doch nichts außer diesem Wrack eines Ruderboots finden. Bedrückt stieg sie ab und kniete sich am See hin. Das Wasser spülte sanft um ihre Beine. Die ersten Leuchtkäfer mit ihren kleinen blinkenden Lichtern wagten sich hervor. Das grüne Wasser war so warm wie Tränen, aber es war nicht salzig. Arya tauchte das Gesicht ein und wusch sich den Staub und Schmutz und Schweiß des Tages ab. Als sie sich aufrichtete, liefen ihr kleine Rinnsale über den Nacken und unter den Kragen. Es fühlte sich gut an. Sie wünschte nur, sie könnte sich ausziehen, baden und einem Otter gleich durch das warme Wasser gleiten. Am liebsten wäre sie den ganzen Weg bis Winterfell geschwommen.

Woth schrie sie an, sie solle bei der Suche helfen, und sie gehorchte, spähte in Bootshäuser und Schuppen, während ihr Pferd am Ufer graste. Sie entdeckte einige Segel, ein paar Nägel, Eimer mit hartgewordenem Teer, und eine Katze mit einem Wurf neugeborener Junge. Aber keine Boote.

Die Stadt war bereits dunkel, als Yoren und die anderen auftauchten.»Der Bergfried ist leer«, sagte er.»Der Lord ist wohl in den Kampf gezogen, oder er hat sein Volk in Sicherheit geführt. Kein Pferd und kein Schwein sind in der Stadt geblieben, aber zu essen gibt es trotzdem. Ich habe eine Gans gesehen und ein paar Hühner, und im God's Eye kann man gut fischen.«

«Die Boote sind verschwunden«, berichtete Arya.

«Wir könnten den Boden von dem Ruderboot flicken«, schlug Koss vor.

«Das würde für vier Mann von uns reichen«, meinte Yoren.

«Wir haben Nägel gefunden«, warf Lommy ein.»Und überall stehen Bäume. Wir können selbst Boote bauen.«

Yoren spuckte aus.»Färberjunge, verstehst du etwas vom Bootsbau?«Lommy machte ein verdutztes Gesicht.

«Ein Floß«, sagte Gendry.»Ein Floß kann jeder bauen, und mit langen Stangen kann man staken.«

Yoren dachte darüber nach.»Der See ist zum Staken zu tief, wenn wir jedoch am seichten Ufer blieben… nur müßten wir die Wagen zurücklassen. Vielleicht ist es das beste. Ich muß darüber schlafen.«

«Können wir in dem Gasthaus übernachten?«fragte Lommy.

«Wir lagern im Bergfried und verrammeln die Tore«, erwiderte der alte Mann.»Mir gefällt es, wenn starke Steinmauern meinen Schlaf beschützen.«

Arya konnte sich nicht zurückhalten.»Wir sollten nicht hierbleiben«, platzte sie heraus.»Die Bewohner sind auch geflohen. Alle sind verschwunden, selbst der Lord.«

«Arry hat Angst«, stichelte Lommy und lachte wiehernd.

«Hab ich nicht«, gab sie zurück,»aber die Leute hier hatten Angst.«

«Kluger Junge«, lobte Yoren.»Doch die Sache liegt folgendermaßen: Die Menschen, die hier wohnen, leben im Krieg, ob sie es nun wollen oder nicht. Wir sind von der Nachtwache. Die Wache ergreift keine Partei, daher haben wir keine Feinde.«

Und keine Freunde, dachte sie, ließ diesmal jedoch kein Wort über ihre Lippen kommen. Lommy und der Rest blickten sie an, und sie wollte sich von ihnen nicht abermals Feigling nennen lassen.

Die Tore der kleinen Festung waren mit Eisennägeln beschlagen. Im Inneren fanden sie zwei dicke Eisenstangen, die in Löcher im Boden eingelassen und mit Klammern an den

Torflügeln befestigt wurden, so daß sie ein großes X bildeten. Es war nicht gerade der Red Keep, meinte Yoren, während sie den Bergfried von oben bis unten erkundeten, aber er war besser als andere, und für eine Nacht würde er allemal ausreichen. Die Mauern bestanden aus Steinen, die man ohne Mörtel drei Meter hoch aufgeschichtet hatte, und im Inneren gab es einen Wehrgang. Im Norden entdeckten sie ein Seitentor, und Gerren entdeckte unter dem Stroh der alten Holzscheune eine Falltür, die in einen engen, gewundenen Tunnel führte. Er folgte ihm bis zum Ende und kam unten am See heraus. Yoren ließ einen Wagen auf die Falltür rollen, damit sie vor unliebsamen Überraschungen sicher wären. Er teilte sie in drei Wachen ein und schickte Tarber, Kurtz und Cutjack auf das verlassene Turmhaus, um von dort oben Ausschau zu halten. Kurtz hatte ein Jagdhorn, mit dem er bei Gefahr Alarm schlagen konnte.

Sie brachten die übrigen Wagen und Tiere herein und verriegelten das Tor. Die Scheune war groß genug, die Hälfte aller Tiere der Stadt zu fassen. Das Gebäude, in dem die Stadtbewohner in Zeiten der Gefahr Schutz gesucht hatten, war sogar noch größer, ein langes, niedriges Steinhaus mit Strohdach. Koss ging zum Seitentor hinaus, brach der Gans das Genick und dazu zwei Hühnern, und Yoren erlaubte ihnen, ein Feuer zum Kochen anzuzünden. Im Inneren des eigentlichen Wehrturmes befand sich eine große Küche, allerdings hatte man dort keinerlei Töpfe oder Gerätschaften zurückgelassen. Gendry, Dobber und Arya wurden zum Küchendienst eingeteilt. Dobber trug Arya auf, die Vögel zu rupfen, derweil Gendry Holz spaltete.»Warum kann ich nicht das Holz machen?«fragte sie, aber niemand schenkte ihr Beachtung. Mürrisch begann sie, ein Huhn zu rupfen, während Yoren am anderen Ende der Bank saß und seinen Dolch mit einem Wetzstein schärfte.

Als das Essen fertig war, verdrückte Arya ein Hühnerbein und ein paar Zwiebeln. Es wurde nicht viel gesprochen. Gendry zog sich anschließend zurück, und polierte mit abwesendem Blick seinen Helm. Das kleine Mädchen jammerte und weinte, bis Heiße Pastete ihm ein Stück Gans gab, das es hinunterschlang und daraufhin hungrig in die Runde schaute und auf mehr hoffte.

Arya hatte die zweite Wache gezogen, und so suchte sie sich im großen Gebäude eine Strohmatratze. Das Einschlafen fiel ihr schwer, und so lieh sie sich Yorens Stein und wetzte Needle. Syrio Forel hatte ihr erklärt, eine stumpfe Klinge sei mit einem lahmen Pferd zu vergleichen. Heiße Pastete hockte sich auf die Matratze neben ihr und beobachtete sie bei der Arbeit.»Wo hast du eigentlich ein so gutes Schwert her?«fragte er. Auf ihren Blick hin hob er abwehrend die Hände.»Ich habe nicht behauptet, du hättest es gestohlen, ich wollte nur wissen, woher du es hast.«

«Mein Bruder hat es mir geschenkt«, murmelte sie.

«Ich wußte gar nicht, daß du einen Bruder hast.«

Arya hielt inne und kratzte sich unter dem Hemd. Im Stroh gab es Flöhe, allerdings würden sie ein paar mehr oder weniger auch nicht stören.»Ich habe viele Brüder.«

«Ehrlich? Sind sie größer oder kleiner als du.«

Ich sollte darüber nicht reden. Yoren hat gesagt, ich soll den Mund halten.»Größer«, log sie.»Sie haben auch Schwerter, große Langschwerter, und sie haben mir gezeigt, wie ich damit Leute umbringen kann, die mich belästigen.«

«Ich habe doch nur ein bißchen geredet, ich habe dich nicht belästigt. «Heiße Pastete trollte sich und ließ sie allein. Arya rollte sich auf der Matratze zusammen. Sie hörte das Weinen des kleinen Mädchens von der anderen Seite des großen Raums her. Wenn sie doch nur still wäre. Warum muß sie die ganze Zeit jammern?

Sie mußte eingenickt sein, obwohl sie sich nicht daran erinnerte, die Augen geschlossen zu haben. Sie träumte, ein Wolf heule, und von diesem Laut erschrak sie und wachte auf. Mit klopfendem Herzen fuhr sie hoch.»Heiße Pastete, wach auf. «Sie stand auf.»Woth, Gendry, habt ihr nicht gehört?«Sie zog sich einen Stiefel an.

Um sie herum räkelten sich Männer und Jungen und krochen von ihren Lagern.»Was ist denn los?«erkundigte sich Heiße Pastete.»Hast du etwas gehört?«wollte Gendry wissen.»Arry hat nur schlecht geträumt«, ließ jemand anderes verlauten.

«Nein, ich hab's gehört«, beharrte sie.»Einen Wolf.«

«Arry spuken Wölfe im Kopf herum«, höhnte Lommy.»Laß sie doch heulen. Gerren meinte:»Sie sind dort draußen und wir hier drinnen. «Woth stimmte dem zu.»Habe noch keinen Wolf gesehen, der einen Bergfried erstürmt hätte. «Und Heiße Pastete warf ein:»Ich habe überhaupt nichts gehört.«

«Es war ein Wolf. «schrie sie die Jungen an, während sie sich den zweiten Stiefel anzog.»Da stimmt etwas nicht. Jemand kommt. Steht auf.«

Ehe die anderen Gelegenheit fanden, sie abermals zu verspotten, gellte tatsächlich ein langgezogener Laut durch die Nacht — nur war es kein Wolf, sondern Kurtz' Jagdhorn, das Alarmsignal. Im Nu sprangen alle auf, fuhren in die Kleider, ergriffen, was sie an Waffen besaßen. Arya rannte bereits zum Tor, als das Horn zum zweiten Mal erklang. Als sie an der Scheune vorbeilief, warf sich Beißer wild in die Ketten, und Jaqen H'ghar rief ihr vom Wagen zu:»Junge! Süßer Junge! Ist er der Krieg, der rote Krieg? Junge, befrei uns. Der Mann kann kämpfen. Junge!«Sie beachtete ihn nicht und hastete weiter. Inzwischen konnte sie von der anderen Seite der Mauer Pferde und Rufe hören.

Sie stieg hinauf auf den Wehrgang. Die Zinnen waren ein wenig zu hoch oder Arya ein wenig zu klein, jedenfalls mußte sie die Fußspitze in die Zwischenräume der Steine klemmen, damit sie über die Mauer blicken konnte. Einen Augenblick lang glaubte sie, die Stadt sei voller Leuchtkäfer. Dann begriff sie, daß es Männer mit Fackeln waren, die durch die Straßen galoppierten. Sie sah ein Dach auflodern; die Flammen leckten mit heißen, orangefarbenen Zungen an der Nacht, als das Stroh Feuer fing. Ein zweites folgte, ein drittes, und bald brannte es überall lichterloh.

Gendry gesellte sich zu ihr. Er trug einen Helm.»Wie viele?«

Arya versuchte zu zählen, aber sie ritten zu schnell, und die Fackeln flogen überall durch die Nacht.»Hundert«, sagte sie.»Zweihundert, ich weiß nicht. «Durch das Prasseln der Flammen hörte sie Rufe.»Bald werden sie auch uns angreifen.«

«Dort«, meinte Gendry und zeigte auf die Straße zur Stadt.

Eine Kolonne von Reitern kam zwischen den brennenden Gebäuden hervor und sprengte auf den Bergfried zu. Das Licht des Feuers spiegelte sich auf dem Metall der Helme und ließ Kettenhemden und Panzer orange und gelb glitzern. Einer trug ein Banner an einer langen Lanze. Die Fahne schien rot zu sein, nur ließ sich das im Dunkeln und dem grellen Feuerschein kaum erkennen, in dem alles entweder rot oder schwarz aussah.

Das Feuer sprang von einem Haus zum anderen. Arya sah einen Baum, an dem die Flammen emporkrochen, bis die Äste in loderndes Orange eingehüllt waren. Inzwischen waren alle wach und die meisten waren auf den Wehrgang hinausgekommen, einige versuchten indes, die verängstigten Tiere im Hof zu bändigen. Yoren brüllte Befehle. Plötzlich stieß etwas an Aryas Bein, und sie schaute nach unten. Das kleine Mädchen hatte sich an ihr festgeklammert.

«Was macht du denn hier oben? Lauf und versteck dich, du dummes Ding. «Sie schob die Kleine zur Seite.

Die Reiter hielten vor dem Tor an.»Ihr da in der Festung!«brüllte ein Ritter in einen hohem Helm mit Stacheln auf dem Kamm.»Im Namen des Königs, öffnet!«

«Ja, und welchen König meint Ihr?«rief der alte Reysen zurück, bevor Woth ihn mit einem Knuff in die Rippen zum Schweigen brachte.

Yoren kletterte auf den Wehrgang neben dem Tor. Er hatte seinen ausgeblichenen schwarzen Mantel an einen Holzstab gebunden.»Ihr dort unten!«brüllte er.»Die Bewohner der Stadt sind geflohen.«

«Und wer seid Ihr, alter Mann? Einer von Lord Berics Feiglingen?«antwortete der Ritter mit dem Stachelhelm.»Falls dieser fette Narr Thoros bei Euch ist, fragt ihn, wie ihm dieses Feuerchen gefällt.«

«Bei uns befindet sich niemand dieses Namens!«rief Yoren zurück.»Nur ein paar Männer und Jungen, die für die Mauer bestimmt sind. Wir ergreifen in Eurem Krieg keine Partei. «Er hob den Stab höher, damit sie alle die Farbe seines Mantels erkennen konnten.»Schaut her. Das ist das Schwarz der Nachtwache.«

«Oder das Schwarz des Hauses Dondarrion!«rief der Mann, der das Banner trug. Jetzt vermochte Arya dessen Farben im Licht der brennenden Stadt besser zu sehen: ein goldener Löwe auf rotem Grund.»Lord Berics Wappen ist ein purpurner Blitz auf schwarzem Feld.«

Plötzlich erinnerte sich Arya an den Morgen, an dem sie Sansa die Apfelsine ins Gesicht geworfen und der Saft auf ihr dummes, elfenbeinfarbenes Seidenkleid getropft war. Bei dem Turnier war auch ein Lord aus dem Süden anwesend gewesen, in den sich die törichte Freundin ihrer Schwester, diese Jeyne, verliebt hatte. Er hatte einen Blitz auf seinem Schild getragen, und ihr Vater hatte ihn ausgeschickt, um den Bruder des Bluthundes zu enthaupten. Das schien tausend Jahre zurückzuliegen, schien einer anderen Person in einem anderen

Leben passiert zu sein… Arya Stark, der Tochter der Rechten Hand, nicht Arry, dem Waisenjungen. Woher sollte Arry Lords und solche Leute kennen?

«Seid Ihr blind, Mann?«Yoren schwenkte den Stab mit dem Mantel.»Seht Ihr hier vielleicht einen verdammten Blitz?«

«Bei Nacht erscheinen alle Banner schwarz«, antwortete der Ritter mit dem Stachelhelm.»Öffnet, oder wir erklären Euch für Gesetzlose, die mit den Feinden des Königs im Bunde stehen.«

Yoren spuckte aus.»Wer hat bei Euch den Befehl?«

«Ich. «Die Reflexionen der brennenden Häuser schimmerten matt auf der Rüstung des Schlachtrosses, während die anderen auseinanderwichen, um den Mann vorzulassen. Er war ein fetter Mann, auf seinem Schild prangte ein Mantikor, ein Ungeheuer mit Menschenkopf, Löwenleib und Drachenschwanz, und sein stählerner Brustpanzer war mit einer Schneckenverzierung geschmückt. Durch das offene Visier seines Helms konnte man das bleiche Schweinegesicht sehen.»Ser Armory Lorch, Gefolgsmann des Lords Tywin Lannister von Casterly Rock, der Rechten Hand des Königs. Des wahren Königs, Joffrey. «Seine Stimme war hoch und dünn.»In seinem Namen befehle ich Euch, öffnet dieses Tor.«

Um sie herum brannte die Stadt. Die Nachtluft hing voller Rauch, und die Zahl der schwirrenden Funken übertraf die der Sterne. Yoren machte ein finsteres Gesicht.»Dazu sehe ich keine Notwendigkeit. Tut in der Stadt, was Ihr wollt, das schert mich nicht, aber laßt uns in Frieden. Wir sind Euch nicht feindlich gesonnen.«

Seht mit euren Augen, hätte Arya den Männern unten am liebsten zugerufen.»Erkennen die denn nicht, daß wir keine Lords oder Ritter sind?«flüsterte sie.

«Ich glaube, das ist ihnen gleichgültig, Arry«, antwortete Gendry genauso leise.

Sie betrachtete Ser Armorys Gesicht, so wie es Syrio ihr beigebracht hatte, und sie begriff, daß Gendry recht hatte.

«Wenn Ihr keine Hochverräter seid, öffnet das Tor!«rief Ser Armory.»Wir werden uns versichern, ob Ihr die Wahrheit sagt, und dann abziehen.«

Yoren kaute auf seinem Bitterblatt herum.»Ich habe Euch bereits gesagt, außer uns ist niemand hier. Darauf habt Ihr mein Wort.«

Der Ritter mit dem Stachelhelm lachte.»Die Krähe gibt uns ihr Wort.«

«Habt Ihr Euch verirrt, alter Mann?«spottete einer der Lanzenträger.»Die Mauer liegt ein ganzes Stück nördlich von hier.«

«In König Joffreys Namen befehle ich Euch abermals, die Treue unter Beweis zu stellen, die Ihr bekundet, und das Tor zu öffnen«, sagte Ser Armory.

Eine Weile lang dachte Yoren kauend nach.»Ich glaube nicht.«»Nun denn. Ihr widersetzt Euch des Königs Befehl, und somit erkläre ich Euch zu Rebellen, ob Ihr nun das Schwarz tragt oder nicht.«»Ich habe nur Knaben hier drin!«rief Yoren nach unten.»Knaben sterben genauso wie alte Männer. «Ser Armory hob träge die Faust, und jemand hinter ihm schleuderte einen Speer. Yoren mußte das Ziel gewesen sein, doch Woth, der neben ihm stand, wurde getroffen. Die Spitze durchbohrte seinen Hals und trat dunkel und feucht im Nacken wieder hervor. Worth griff noch nach dem Schaft, dann brach er zusammen.

«Stürmt die Mauern und tötet sie alle«, befahl Ser Armory gelangweilt. Weitere Speere flogen durch die Luft. Arya packte Heiße Pastete hinten am Gewand und zerrte ihn hinunter. Draußen klapperten Rüstungen, scharrend wurden Schwerter aus den Scheiden gerissen, und Speere wurden auf Schilde geschlagen. Dazu gesellten sich die übelsten Verwünschungen und der Hufschlag der Pferde. Eine Fackel drehte sich über ihre Köpfe hinweg und spuckte feurige Finger, als sie im Hof der Festung landete.

«Zieht die Schwerter!«brüllte Yoren.»Verteilt euch und verteidigt die Mauer. Koss, Urreg, haltet das Seitentor. Lommy, zieh den Speer aus Woth raus und nimm seinen Platz ein.«

Heiße Pastete ließ vor Aufregung sein kurzes Schwert fallen, als er es aus der Scheide ziehen wollte. Arya drückte es ihm wieder in die Hand.»Ich weiß gar nicht, wie man damit kämpft«, sagte er. Das Weiße in seinen Augen war deutlich zu sehen.

«Das ist ganz einfach«, antwortete Arya, doch die Lüge verendete ihr in der Kehle, als eine Hand den Rand der Zinne packte. Die Zeit schien plötzlich stillzustehen, im Licht der brennenden Stadt sah sie die Finger unnatürlich deutlich. Sie waren voller Schwielen, schwarze Haare wuchsen zwischen den Knöcheln, unter dem Daumennagel saß Dreck. Angst schneidet tiefer als Schwerter, erinnerte sie sich, und dann tauchte hinter der Hand ein Helm auf.

Sie schlug hart zu, und Needles scharfer Stahl biß in die Finger.»Winterfell!«schrie sie. Blut spritzte hervor, Finger flogen, und der Helm verschwand ebenso rasch, wie er erschienen war.»Dort!«rief Heiße Pastete. Arya fuhr herum. Der zweite Angreifer war bärtig, trug keinen Helm und hatte den Dolch zwischen die Zähne geklemmt, damit er beide Hände zum Klettern frei hatte. Während er das Bein über die Zinne schwang, stieß Arya ihm Needles Spitze in die Augen. Das Schwert berührte der Mann gar nicht, aber er fuhr zurück und fiel. Hoffentlich landet er auf dem Gesicht und schneidet sich die Zunge ab.»Schau auf die da unten, nicht auf mich!«schrie sie Heiße Pastete an. Auf den nächsten Kerl, der sich auf ihrem Teil der Mauer zeigte, hackte der Junge mit dem Kurzschwert ein, bis er hinunterstürzte.

Ser Armory hatte keine Leitern, doch waren die Steine der Mauer grob aufgeschichtet und nicht mit Mörtel verbunden; daher war sie leicht zu erklimmen, und die Zahl der Feinde nahm kein Ende. Für jeden, den Arya erstach oder zurückstieß, konnte ein anderer das Hindernis überwinden. Der Ritter mit dem Stachelhelm erreichte den Wehrgang, aber Yoren warf seinen schwarzen Mantel über ihn und stieß ihm seinen Dolch durch das Kettenhemd, während der Gegner sich noch von dem Umhang zu befreien suchte. Jedesmal, wenn Arya aufsah, flogen neue Fackeln durch die Luft. Sie sah einen goldenen Löwen auf einem roten Banner, dachte an Joffrey und wünschte sich, er wäre hier, damit sie ihm Needle in sein höhnisches Gesicht stoßen könnte. Vier Männer gingen das Tor mit Äxten an, aber Koss erschoß sie einen nach dem anderen mit Pfeilen. Dobber rang einen Mann auf dem Wehrgang nieder, Lommy zerschmetterte dem Kerl mit einem Stein den Kopf, bevor er sich wieder erheben konnte, und jubelte laut, bis er das Messer in Dobbers Bauch sah und begriff, daß sein Freund ebenfalls nicht wieder aufstehen würde. Arya sprang über einen toten Knaben hinweg, der nicht älter war als Jon und mit abgeschlagenem Arm am Boden lag. Sie wußte nicht, ob das ihr Werk gewesen war, konnte es allerdings nicht ausschließen. Qyle flehte einen Ritter mit einer Wespe auf dem Schild um Gnade an, doch dieser schmetterte ihm einen Morgenstern ins Gesicht. Überall roch es nach Blut und Rauch und Eisen und Pisse, aber nach einiger Zeit schien sich alles zu einem einzigen Gestank zu vereinen. Wie der dünne Kerl über die Mauer gekommen war, hatte sie nicht gesehen, sie stürzte sich einfach sofort mit Gendry und Heiße Pastete auf ihn. Gendrys Schwert verbeulte den Helm des Gegners und riß ihn von seinem Kopf. Darunter zeigten sich eine Glatze und ein verängstigtes Gesicht mit Zahnlücken im Mund und einem graumelierten Bart, und obwohl Arya Mitleid mit ihm verspürte, ließ sie nicht nach und schrie» Winterfell!

Winterfell!«, während Heiße Pastete» Heiße Pastete!«brüllte und auf den dürren Hals des Mannes einhackte.

Nachdem der tot war, nahm ihm Gendry das Schwert ab und sprang hinunter in den Hof, um dort weiterzukämpfen. Arya blickte an ihm vorbei, sah stählerne Schemen durch die Feste laufen und Feuerschein auf Rüstungen und Klingen glänzen, und nun wußte sie, irgendwo waren sie über die Mauer gelangt oder durch das Seitentor eingedrungen. Sie sprang hinunter zu Gendry und landete so, wie Syrio es ihr beigebracht hatte. Die Nacht war erfüllt vom Klirren des Stahls und den Schreien der Verwundeten und Sterbenden. Einen Augenblick lang stand Arya unsicher da und überlegte, wohin sie sich wenden sollte.

Dann war Yoren plötzlich da und schrie ihr ins Gesicht:»Junge! Raus hier, es ist vorbei, wir haben verloren. Treib alle zusammen, die du finden kannst, und bring sie raus.«

«Wie?«fragte Arya.

«Die Falltür«, brüllte er,»in der Scheune. «Damit war er bereits wieder fort, um sich erneut in den Kampf zu stürzen. Arya packte Gendry am Arm.»Er hat gesagt, wir sollen abhauen!«rief sie.»Durch die Scheune können wir fliehen. «Durch die Schlitze seines Helms sah sie, wie sich der Feuerschein in den Augen des Bullen spiegelte. Er nickte. Sie riefen Heiße Pastete, der noch oben auf der Mauer war, zu sich und fanden Lommy Grünhand, der am Boden lag und aus einer Speerwunde an der Wade blutete. Auch Gerren entdeckten sie, aber er war zu schwer verletzt, um mitzukommen. Während sie auf die Scheune zuliefen, sah Arya das weinende Mädchens, das inmitten des Durcheinanders aus Rauch und Gemetzel saß. Sie packte die Kleine an der Hand und zog sie auf die Beine, während die anderen schon vorausrannten. Das Mädchen wollte nicht gehen, auch nicht nach einem Klaps. Arya nahm Needle in die Linke und zerrte das Mädchen mit der Rechten mit sich. Vor ihr erglühte die Nacht in dumpfem Rot. Die Scheune brennt, dachte sie. Flammen leckten an den Wänden, wo die Fackeln das Stroh entzündet hatten, und sie hörte die Schreie der Tiere, die darin gefangen waren. Heiße Pastete trat aus der Scheune.»Arry, komm schon! Lommy ist schon weg, laß die Kleine stehen, wenn sie nicht mitwill!«

Stur zerrte Arya nur so um so heftiger und schleifte das Mädchen hinter sich her. Heiße Pastete verschwand wieder im Inneren der Scheune und ließ sie allein… doch dann war Gendry wieder da, auf dessen poliertem Helm sich der Feuerschein so hell spiegelte, daß die Hörner orange leuchteten. Er eilte zu ihnen und warf sich die Kleine über die Schulter.»Lauf!«

Als sie in die Scheune kam, hatte sie das Gefühl, sie betrete einen Ofen. In der Luft wirbelte Rauch, die Rückseite war vom Boden bis zum Dach eine einzige Feuerwand. Die armen Tiere, dachte Arya. Dann sah sie den Wagen und die drei Männer, die darauf angekettet waren. Beißer warf sich mit aller Kraft in die Ketten, die Stellen, wo die Fesseln ihn hielten, bluteten bereits. Rorge fluchte und brüllte und trat gegen das Holz.»Junge!«rief Jaqen H'ghar.»Süßer Junge!«

Die offene Falltür lag nur ein paar Meter vor ihr, doch das Feuer breitete sich rasch aus und verzehrte das alte Holz und das trockene Stroh so schnell, wie sie es nie für möglich gehalten hätte. Arya erinnerte sich an das schrecklich verbrannte Gesicht des Bluthunds.

«Gute Jungen, liebe Jungen!«rief Jaqen H'ghar und hustete.

«Nimm uns diese verfluchten Ketten ab!« kreischte Rorge.

Gendry beachtete sie nicht.»Du zuerst, dann die Kleine, zuletzt ich. Beeil dich, es ist weit.«

«Als du Feuerholz gespalten hast«, erinnerte sich Arya,»wo hast du die Axt liegen lassen?«

«Draußen vor dem Haus. «Er warf einen Blick auf die gefesselten Männer.»Ich würde eher die Esel retten. Komm, wir haben keine Zeit mehr.«

«Nimm das Mädchen!«schrie sie.»Bring sie raus!«Das Feuer trieb sie mit heißen roten Flügeln, als sie aus der Scheune floh. Die Kälte draußen war ein Segen, wenn auch überall um sie herum Männer im Sterben lagen. Sie sah Koss, der seine Klinge fallen ließ und sich ergab, und sie beobachtete, wie sein Gegner ihn an Ort und Stelle tötete. Überall war Rauch. Von Yoren war nichts zu sehen, aber die Axt lag noch dort, wo Gendry sie zurückgelassen hatte, bei dem Holzstapel vor dem Haus. Während sie das Beil aus dem Hackklotz zog, packte eine Hand, die in einem gepanzerten Handschuh steckte ihren Arm. Arya fuhr herum und wuchtete dem Mann die Axt zwischen die Beine. Das Gesicht hinter dem Helm bekam sie nicht zu sehen, nur das dunkle Blut, das zwischen den Gliedern des Kettenhemds hervorquoll. In die Scheune zurückzukehren, war das Schwerste, was sie je getan hatte. Aus der offenen Tür kroch einer schwarzen Schlange gleich der Rauch, und Esel und Pferde und Männer schrien. Sie biß sich auf die Unterlippe, rannte hinein und duckte sich tief auf den Boden, wo der Rauch nicht ganz so dicht war.

Ein Esel war vom Feuer eingeschlossen und brüllte vor Schmerz und Todesangst. Sie roch den Gestank brennender Haare. Das Dach stand inzwischen ebenfalls lichterloh in Flammen, überall regnete brennendes Holz und Stroh herab. Arya hielt sich die Hand vor Mund und Nase. Inmitten des Qualms konnte sie den Wagen nicht erkennen, doch sie hörte Beißer kreischen. Auf diesen Laut kroch sie zu.

Plötzlich ragte ein Rad über ihr auf. Der Wagen machte einen Satz, als Beißer sich abermals in die Ketten warf. Jaqen bemerkte sie, bloß konnte man kaum atmen, geschweige denn sprechen. Sie warf die Axt in den Wagen. Rorge fing sie auf und hob sie hoch über den Kopf. Rußige Schweißbäche rannen über sein nasenloses Gesicht. Arya rannte los, hustete. Der Stahl krachte durch das alte Holz, wieder und wieder. Einen Augenblick später gab es ein donnerndes Krachen, der Boden des Wagens brach los, und ein Hageln von Spänen flog durch die Luft.

Arya tauchte kopfüber in den Tunnel ein und fiel fast zwei Meter tief. Die Erde, die sie plötzlich im Mund hatte, störte sie nicht, es schmeckte gut, es schmeckte nach Schlamm und Wasser und Würmern und Leben. Unter der Erde war es kühl und dunkel. Über ihr waren nichts als Blut und tosendes Feuer, erstickender Qualm und das Schreien sterbender Pferde. Sie drehte ihren Gürtel nach hinten, damit Needle ihr nicht im Weg war und begann zu kriechen. Nach vier Metern hörte sie ein Geräusch, das wie das Brüllen eines gewaltigen Untiers klang, und eine schwarze Rauchwolke wallte hinter ihr in den Gang. So mußte es in der Hölle stinken. Arya hielt die Luft an, küßte den Schlamm am Boden des Tunnels und weinte. Um wen, wußte sie nicht zu sagen.

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