Daenerys

Auf den Mauern von Qarth schlugen Männer Gongs, um ihre Ankunft zu verkünden, während andere in eigentümliche Hörner in Form großer bronzener Schlangen stießen. Eine Kolonne Kamelreiter strömte als Ehrengarde zu den Toren hinaus. Die Reiter trugen kupferne Schuppenpanzer und Helme mit Schnauzen, die kupferne Hauer aufwiesen, und sie saßen auf Sätteln, die mit Rubinen und Granaten verziert waren. Ihre Kamele waren mit Decken in hundert verschiedenen Farbtönen verhüllt.

«Qarth ist die größte Stadt, die es je gab und jemals geben wird«, hatte Pyat Pree ihr noch in den Ruinen von Vaes Tolorro erklärt.»Es ist der Mittelpunkt der Welt, das Tor zwischen Nord und Süd, die Brücke zwischen Ost und West, älter als jede Erinnerung der Menschheit, und so prächtig, daß Saathos der Weise sich die Augen ausstach, nachdem er Qarth zum ersten Mal erblickt hatte, da er wußte, alles, was er hernach schauen würde, müsse im Vergleich dazu schäbig und häßlich sein.«

Dany hielt die Worte des Hexenmeisters für eine Übertreibung, obwohl man die Erhabenheit der großen Stadt nicht leugnen konnte. Drei starke, mit vielerlei Steinmetzarbeiten gestaltete Mauern umfaßten Qarth. Die äußere bestand aus rotem Sandstein; sie war dreißig Fuß hoch und mit Tieren geschmückt, Schlangen, Drachen, Fische, die sich mit Wölfen, gestreiften Pferden und riesigen Elefanten abwechselten. Die mittlere Mauer, vierzig Fuß hoch, war aus Granit und stellte kriegerische Szenen dar: Schwerter und Schilde krachten aufeinander, Speere und Pfeile flogen, Helden standen im Gefecht, Kinder wurden niedergemetzelt, große Haufen von Toten wurden verbrannt. Die innerste Mauer hatte eine Höhe von fünfzig Fuß und war aus schwarzem Marmor errichtet, und ihre Reliefs ließen Dany erröten, bis sie sich sagte, sie sei eine Närrin. Schließlich war sie keine Jungfrau mehr; wenn sie also die Mordszenen der grauen Mauer betrachten konnte, warum sollte sie dann die Augen vor Bildern von Männern und Frauen verschließen, die sich dem Vergnügen hingaben?

Die äußeren Tore waren mit Kupfer beschlagen, die mittleren mit Eisen, die inneren mit Gold. Alle öffneten sich vor Dany. Während sie ihre Silberstute in die Stadt lenkte, bestreuten Kinder ihren Weg mit Blüten. Sie trugen goldene Sandalen und bunte Farben auf der Haut, sonst nichts.

Die Farbenvielfalt, die sie in Vaes Tolorro vermißt hatte, fand sie bei ihrem Einzug nach Qarth; um sie herum drängten sich Gebäude in einem Fiebertraum aus Rosa, Violett und Umbra. Sie ritt unter einem Bronzebogen hindurch, der wie zwei sich paarende Schlangen gestaltet war; ihre Schuppen bestanden aus Jade, Obsidian und Lapislazuli. Schlanke Türme ragten höher auf, als Dany es je gesehen hatte, und prächtige Brunnen in Form von Greifen, Drachen und Mantikors schmückten jeden Platz.

Die Qarthener säumten die Straßen und beobachteten sie von grazilen Balkonen aus, die zu zerbrechlich wirkten, um das Gewicht von Menschen zu tragen. Sie waren ein großes hellhäutiges Volk, in Leinen und Samt und Tigerfell gekleidet, und in Daenerys' Augen war ein jeder von ihnen ein Lord oder eine Lady. Die Gewänder der Frauen ließen eine Brust frei, derweil die Männer mit Perlen bestickte Seidenröcke bevorzugten. Dany kam sich in ihrer Löwenfellrobe und mit dem schwarzen Drogon auf der Schulter schäbig und barbarisch vor. Ihre Dothraki nannten die Qarthener» Milchmenschen«, weil sie so bleich waren, und Khal Drogo hatte stets von dem Tag geträumt, an dem er die großen Städte des Ostens plündern würde. Sie warf einen Blick auf ihre

Blutreiter, deren dunkle Mandelaugen keinen Hinweis auf ihre Gedanken preisgaben. Sehen sie nur die Beute? fragte sie sich. Wie wild müssen wir diesen Qarthenern erscheinen.

Pyat Pree führte ihr kleines khalasar durch einen großen Bogengang, wo die uralten Helden der Stadt in dreifacher Lebensgröße auf Säulen aus weißem und grünem Marmor dargestellt waren. Sie durchquerten einen Basar in einem höhlenartigen Gebäude, dessen Gitterwerkdecke Tausenden bunter Vögel ein Heim bot. Bäume und Blumen wuchsen auf den Terrassen über den Ständen, derweil unten das Angebot an Waren so groß war, daß Dany meinte, die Götter hätten die ganze Welt zum Ausverkauf freigegeben.

Ihr Silberner scheute, als der Kaufmann Xaro Xhoan Daxos zu ihr aufschloß; das Pferd mochte es nicht, wenn Kamele ihm zu nahe kamen, hatte sie festgestellt.»Wenn Ihr hier etwas findet, das Euer Herz begehrt, o schönste aller Frauen, so sprecht nur, und es ist Euer«, rief ihr Xaro von seinem edlen Sattel herab zu.

«Qarth selbst gehört ihr, was braucht sie da noch diesen Flitter«, erwiderte der blaulippige Pyat Pree von ihrer anderen Seite.»Es soll sein, wie es Euch versprochen wurde, Khaleesi. Begleitet mich zum Haus der Unsterblichen, und Ihr werdet Wahrheit und Weisheit trinken.«

«Wozu benötigen wir den Palast des Staubs, wenn ich ihr Licht und süßes Wasser und Seidenbetten bieten kann?«hielt Xaro dem Hexenmeister vor.»Die Dreizehn werden ihr eine Krone aus schwarzer Jade und Feueropalen auf den lieblichen Kopf setzen.«

«Der einzige Palast, nach dem es mich verlangt, ist die rote Burg in King's Landing, Mylord Pyat. «Dany war des Hexenmeisters müde; die maegi Mirri Maz Duur hatte ihr die Freude an jenen, die sich mit Zauberei beschäftigten, gründlich verdorben.»Und wenn die Großen von Qarth mich mit

Geschenken bedenken möchten, Xaro, so sollen sie mir Schiffe und Schwerter geben, damit ich zurückerobern kann, was rechtmäßig mein ist.«

Pyats blaue Lippen kräuselten sich zu einem gütigen Lächeln.»Es soll geschehen, wie Ihr befehlt, Khaleesi. «Er ritt davon und schwankte mit den Bewegungen seines Kamels, während seine lange Robe hinter ihm herwehte.

«Die junge Königin ist weiser, als man ihrem Alter nach erwarten würde«, murmelte Xaro Xhoan Daxos von seinem hohen Sattel herab.»In Qarth gibt es ein Sprichwort: Das Haus eines Hexenmeisters ist auf Knochen und Lügen gebaut.«

«Warum senken die Menschen dann die Stimme, wenn sie über die Hexenmeister von Qarth sprechen? Im ganzen Osten wird ihre Macht und ihre Weisheit bewundert.«

«Einst waren sie mächtig«, stimmte Xaro zu,»aber heutzutage sind sie so lächerlich wie ein gebrechlicher alter Soldat, der mit den Heldentaten seiner Jugend prahlt, nachdem ihn seine Kräfte verlassen haben. Sie lesen in ihren zerknitterten Schriftrollen, trinken Abendschatten, bis ihre Lippen blau werden, und lassen Anspielungen auf ihre entsetzlichen Kräfte fallen, dabei sind sie leere Hülsen im Vergleich zu ihren Vorgängern. Pyat Prees Geschenke werden sich in Euren Händen zu Staub verwandeln, ich warne Euch. «Er gab seinem Kamel einen Schlag mit der Peitsche und jagte davon.

«Die Krähe nennt den Raben schwarz«, sagte Ser Jorah in der Gemeinen Zunge von Westeros. Der verbannte Ritter ritt wie immer zu ihrer Rechten. Für den Einzug nach Qarth hatte er sein dothrakisches Gewand ausgezogen und statt dessen die Rüstung der Sieben Königslande angelegt, die eine halbe Welt von hier entfernt waren.»Es wäre besser für Euch, wenn Ihr diese Männer meidet, Euer Gnaden.«

«Die Männer werden mir zu meiner Krone verhelfen«,

erwiderte sie.»Xaro besitzt großen Reichtum, und Pyat Pree — «

«- behauptet, große Macht zu besitzen«, ergänzte der Ritter schroff. Auf seinem dunkelgrünen Überrock stand der grimmige schwarze Bär des Hauses Mormont auf den Hinterbeinen. Jorah wirkte nicht weniger furchteinflößend, während er die Menschenmenge im Basar mit finsteren Blicken betrachtete.»An Eurer Stelle würde ich nicht lange hier verweilen, meine Königin. Mir mißfällt sogar der Geruch dieses Ortes.«

Dany lächelte.»Vielleicht riecht Ihr die Kamele. Die Qarthener duften in meiner Nase sehr süß.«

«Süßer Duft wird manchmal benutzt, um fauligen Gestank zu überdecken.«

Mein großer Bär, dachte Dany. Ich bin seine Königin, doch gleichzeitig werde ich immer nur das kleine Mädchen für ihn sein, welches er stets beschützen möchte. Das gab ihr ein Gefühl der Sicherheit, dennoch verspürte sie auch Traurigkeit. Sie wünschte, sie könnte ihm mehr Liebe entgegenbringen.

Xaro Xhoan Daxos hatte Dany für die Dauer ihres Aufenthalts in der Stadt die Gastfreundschaft seines Hauses angeboten. Sie hatte wohl ein prächtiges Gebäude erwartet, jedoch keinen Palast, der größer war als mancher Marktflecken. Dagegen sieht Magister Illurios Anwesen in Pentos aus wie die Hütte eines Schweinehirten, ging es ihr durch den Kopf. Xaro schwor, in seinem Haus würden bequem all ihre Untertanen und Pferde Platz finden, und tatsächlich nahm es sie mühelos auf. Ihr wurde ein ganzer Flügel überlassen. Sie hatte einen eigenen Garten, ein Marmorbecken zum Baden, einen Wahrsagerturm und ein Hexenmeisterlabyrinth. Sklaven würden sie mit allem versorgen, was sie benötigte. In ihren Gemächern waren die Böden mit grünem Marmor ausgelegt und die Wände mit bunter Seide behängt, welche bei jedem Lufthauch schimmerte.

«Ihr seid zu großzügig«, sagte sie zu Xaro Xhoan Daxos.

«Für die Mutter der Drachen ist mir kein Geschenk zu teuer. «Xaro war ein eleganter Mann mit kahlem Kopf und großer Hakennase, die mit vielen Rubinen, Opalen und Jadesplittern geschmückt war.»Morgen werdet Ihr Pfau und Lerchenzungen speisen, und Musik hören, die der schönsten aller Frauen würdig ist. Die Dreizehn kommen, um Euch zu ehren, und dazu die wichtigsten Männer von Qarth.«

Die wichtigsten Männer von Qarth kommen, um meine Drachen zu sehen, dachte Dany, gleichwohl dankte sie Xaro für seine Freundlichkeit, ehe sie ihn hinausschickte. Pyat Pree verabschiedete sich ebenfalls und schwor, bei den Unsterblichen um eine Audienz zu bitten.»Eine solche Ehre wird so selten gewährt, wie es im Sommer schneit. «Bevor er ging, küßte er ihre nackten Füße mit seinen bleichen blauen Lippen und drängte ihr ein Geschenk auf, ein Gefäß mit einer Salbe, die, so versprach er, sie die Geister in der Luft sehen lassen würde. Als letzte der drei Sucher verließ sie Quaithe die Schattenbinderin. Von ihr erhielt Dany nur eine Warnung.»Hütet Euch«, sagte die Frau unter der rotlackierten Maske.»Vor wem?«

«Vor allen. Sie werden Tag und Nacht erscheinen, um das Wunder zu bestaunen, welches dieser Welt wiedergeboren wurde, und was sie sehen, wird ihre Gier wecken. Denn Drachen sind fleischgewordenes Feuer, und Feuer bedeutet Macht.«

Nachdem Quaithe ebenfalls gegangen war, sagte Ser Jorah:»Sie spricht die Wahrheit, meine Königin… obwohl sie mir nicht besser gefällt als die anderen.«

«Ich verstehe sie nicht. «Pyat und Xaro hatten Dany von dem Moment an, in dem sie die Drachen zum ersten Mal erblickt hatten, mit Versprechungen überschüttet und sich zu ihren ergebensten Dienern erklärt, aber Quaithe hatte nur wenige, geheimnisvolle Worte geäußert. Und es beunruhigte sie, daß sie niemals das Gesicht der Frau gesehen hatte. Vergiß Mirri Maz Duur nicht, mahnte sie sich. Vergiß den Verrat nicht. Sie wandte sich an ihre Blutreiter.»Wir werden eigene Wachen aufstellen, solange wir hier sind. Ohne meine Erlaubnis darf diesen Flügel niemand betreten, und vor allem die Drachen sollen niemals unbewacht gelassen werden.«»So soll es geschehen, Khaleesi«, antwortete Aggo.»Wir haben nur die Teile von Qarth gesehen, die Pyat Pree uns zeigen wollte«, fuhr sie fort.»Rakharo, du wirst dir den Rest der Stadt anschauen und mir Bericht erstatten. Nimm gute Männer mit — und Frauen, welche jene Orte aufsuchen, die Männern verboten sind.«

«So soll es sein, Blut meines Blutes«, sagte Rakharo.»Ser Jorah, Ihr geht zum Hafen und findet heraus, was für Schiffe dort vor Anker liegen. Seit einem halben Jahr habe ich keine Neuigkeiten aus den Sieben Königreichen gehört. Vielleicht haben die Götter einen guten Kapitän aus Westeros hierher verschlagen, dessen Schiff uns in die Heimat bringen kann.«

Der Ritter runzelte die Stirn.»Damit würden die Götter uns keine Gunst erweisen. Der Usurpator wird Euch töten, so sicher, wie morgen die Sonne aufgehen wird. «Mormont hakte die Daumen in seinen Schwertgürtel.»Mein Platz ist an Eurer Seite.«

«Jhogo kann mich genausogut beschützen. Ihr kennt mehr Sprachen als meine Blutreiter, und die Dothraki mißtrauen dem Meer und denen, die darauf segeln. In dieser Angelegenheit könnt nur Ihr mir von Nutzen sein. Geht zu den Schiffen und unterhaltet Euch mit den Mannschaften, erfahrt, woher sie kommen und wohin ihre Reise sie führen wird, und was für Männer sie befehligen.«

Widerwillig nickte der Verbannte.»Wie Ihr wünscht, meine Königin.«

Nachdem sie alle gegangen waren, zogen ihre Dienerinnen ihr das staubige Reisegewand aus, und Dany setzte sich in das Marmorbecken, welches im Schatten eines Portikus angelegt war. Das Wasser war angenehm kühl, und kleine Fische bevölkerten es und knabberten neugierig an ihrer Haut. Sie mußte kichern. Es war schön, einfach die Augen zu schließen, dazuliegen und zu wissen, hier konnte sie solange ausruhen, wie sie wollte. Sie fragte sich, ob Aegons Red Keep ein ähnliches Bad hatte, und ob es in den Gärten dort ebenso wunderbar nach Lavendel und Minze duftete. Bestimmt. Viserys hat immer gesagt, die Sieben Königslande seien wunderbarer als jeder andere Ort der Welt.

Der Gedanke an die Heimat beunruhigte sie. Wenn ihre Sonne, ihre Sterne noch lebten, hätte er sein khalasar über das giftige Wasser geführt und ihre Feinde hinweggefegt, aber seine Kraft hatte die Welt verlassen. Ihre Blutreiter waren ihr geblieben, jedoch kannten sie den Kampf nur, wie man ihn bei den Pferdelords ausübte. Die Dothraki plünderten Städte und Königreiche, aber sie regierten sie nicht. Dany hatte nicht die Absicht, King's Landing in eine verkohlte Ruine voll ruheloser Geister zu verwandeln. Sie hatte genug von Tränen. Mein Königreich soll schön sein, ich möchte fette Männer und hübsche Frauen und lachende Kinder als Untertanen. Mein Volk soll lächeln, wenn es mich vorbeireiten sieht, so, wie es für meinen Vater lächelte.

Zuvor mußte sie jedoch ihr Königreich erobern. Der Usurpator wird Euch töten, so sicher, wie morgen die Sonne aufgehen wird. Das hatte Mormont gesagt. Robert hatte ihren ritterlichen Bruder Rhaegar getötet, und einer seiner Helfershelfer hatte das Dothrakische Meer durchquert, um sie und ihren ungeborenen Sohn zu vergiften. Es hieß, Robert Baratheon sei stark wie ein Bulle und furchtlos in der Schlacht, ein Mann, der nichts mehr liebte als den Krieg. Und ihm standen die großen Lords zur Seite, die ihr Bruder die Hunde des Usurpators genannt hatte, Eddard Stark mit den kalten Augen und dem gefrorenen Herzen, und die goldenen Lannisters, Vater und Sohn, die so reich, so mächtig und so heimtückisch waren.

Konnte sie hoffen, solche Männer zu besiegen? Als Khal Drogo noch lebte, hatten Männer vor ihm gezittert und ihm Geschenke gemacht, um seinen Zorn zu besänftigen. Taten sie es nicht, nahm er ihre Städte, ihre Reichtümer und Frauen. Aber sein khalasar war riesiggroß gewesen, ihres hingegen war winzig. Ihr Volk war ihr durch die rote Wüste gefolgt, während sie dem Kometen nachjagte, und es würde ihr auch über das giftige Wasser folgen, dennoch würde es allein niemals genügen. Sogar die Drachen waren vielleicht nicht genug. Viserys hatte geglaubt, das Reich würde sich für seinen rechtmäßigen König erheben… doch Viserys war ein Narr gewesen und hatte närrische Dinge geglaubt.

Ihre Zweifel ließen sie erschauern. Plötzlich wurde ihr das Wasser zu kalt, und die kleinen Fische waren lästig. Dany stand auf und stieg aus dem Becken.»Irri«, rief sie,»Jhiqui.«

Während die Dienerinnen sie abtrockneten und in eine Seidenrobe hüllten, schweiften Danys Gedanken zu den drei, die sie in der Stadt der Knochen aufgesucht hatten. Der Blutende Stern hat mich aus einem bestimmten Grund nach Qarth geführt. Hier finde ich alles, was ich brauche, wenn ich nur die Kraft habe, das anzunehmen, was man mir anbietet, und die Weisheit besitze, Fallen und Schlingen auszuweichen. Wenn die Götter mich für diese Eroberung erwählt haben, werden sie mich mit allem versorgen und mir ein Zeichen setzen, und wenn nicht… wenn nicht…

Es dämmerte bereits und Dany fütterte gerade die Drachen, da trat Irri durch die Seidenvorhänge und teilte ihr mit, daß Ser Jorah vom Hafen zurückgekehrt sei… und nicht allein.»Schick ihn herein, und wen immer er mitgebracht hat ebenso«, sagte sie neugierig.

Bei ihrem Eintritt saß sie auf einem Berg von Kissen. Die Drachen hockten um sie herum. Der Mann, der Ser Jorah begleitete, trug einen Mantel aus grünen und gelben Federn und seine Haut war so schwarz wie polierter Jett.»Euer Gnaden«, grüßte der Ritter,»ich möchte Euch Quhuru Mo vorstellen, Kapitän der Zimtwind, aus der Stadt Tall Trees.«

Der schwarze Mann kniete vor ihr nieder.»Es ist mir eine große Ehre, meine Königin«, sagte er; nicht in der Sprache der Summer Isles, die Dany nicht kannte, sondern im flüssigen Valyrisch der Neun Freien Städte.

«Die Ehre ist ganz meinerseits, Quhuru Mo«, erwiderte Dany in der gleichen Sprache.»Kommt Ihr von den Summer Isles?«

«So ist es, Euer Gnaden, aber zuvor, nicht ganz ein halbes Jahr zurück, legten wir in Oldtown an. Von dort bringe ich Euch ein wunderbares Geschenk.«

«Ein Geschenk?«

«Das Geschenk einer Nachricht. Drachenmutter, Sturmgeborene, ich verkünde Euch: Robert Baratheon ist tot.«

Draußen senkte sich die Dunkelheit über Qarth, aber in Danys Herzen ging die Sonne auf.»Tot?«wiederholte sie. Auf ihrem Schoß zischte Drogon, und heller Rauch stieg vor ihrem Gesicht auf wie ein Schleier.»Seid Ihr sicher? Der Usurpator ist tot?«

«So hieß es in Oldtown und Dorne und Lys, und in allen anderen Häfen, die wir angelaufen haben.«

Er hat mir vergifteten Wein geschickt, und doch ist er tot, und ich lebe.

«Auf welche Weise kam er ums Leben?«Auf ihrer Schulter flatterte Viserion mit den cremefarbenen Flügeln und wühlte die Luft auf.

«Ein riesiger Keiler hat ihn während der Jagd im Wald zerrissen, hörten wir in Oldtown. Andere behaupten, die Königin habe ihn verraten, oder seine Brüder, oder sogar Lord Stark, der seine Hand war. Immerhin stimmen die Geschichten in einem überein: König Robert ist tot und liegt im Grab.«

Dany hatte das Gesicht des Usurpators nie gesehen, trotzdem war selten ein Tag vergangen, an dem sie nicht an ihn gedacht hatte. Seit der Stunde ihrer Geburt, als sie inmitten von Blut und Sturm in eine Welt gestoßen wurde, in der es für sie keinen Platz mehr gab, hatte sein Schatten auf ihr gelegen. Und gerade hatte dieser Fremde den Schatten von ihr genommen.

«Der Knabe sitzt nun auf dem Eisernen Thron«, sagte Ser Jorah.

«König Joffrey regiert«, stimmte Quhuru Mo zu,»aber die Lannisters herrschen. Roberts Brüder sind aus King's Landing geflohen. Gerüchten zufolge beanspruchen sie die Krone für sich. Die Hand ist gestürzt, Lord Stark, der König Roberts Freund war. Man hat ihn wegen Hochverrats eingekerkert.«

«Ned Stark ein Verräter?«Ser Jorah schnaubte.»Höchst unwahrscheinlich. Eher würde der Lange Sommer zurückkehren, als daß dieser Mann seine Ehre beflecken würde.«

«Was für Ehre kann er schon besitzen?«entgegnete Dany.»Er hat seinen wahren König verraten, genauso wie die Lannisters. «Es gefiel ihr, daß die Hunde des Usurpators sich jetzt untereinander bekriegten, obwohl sie es nicht überraschte. Etwas Ähnliches war bei Drogos Tod geschehen, als sein großes khalasar in kleine Teile zerfallen war.»Mein Bruder ist ebenfalls tot, Viserys, der wahre König«, erzählte sie dem Mann von den Summer Isles.»Khal Drogo, mein Hoher Gemahl, hat ihn mit einer Krone aus geschmolzenem Gold getötet. «Wäre ihr Bruder ein wenig weiser gewesen, wenn er gewußt hätte, daß die Rache, um die er so lange gebetet hatte, so kurz bevorstand?

«Dann trauere ich mit Euch, Drachenmutter, und auch um das blutende Westeros, das seines rechtmäßigen Königs beraubt wurde.«

Unter Danys sanfter Hand starrte der grüne Rhaegar den Fremden mit Augen an, die wie geschmolzenes Gold leuchteten. Als er das Maul öffnete, glänzten seine Zähne wie schwarze Nadeln.»Wann kehrt Euer Schiff nach Westeros zurück, Kapitän?«

«Erst in einem Jahr, fürchte ich. Von hier geht unsere Fahrt erst in Richtung Osten, um die Handelsrundfahrt durch die Jadesee zu vollenden.«

«Ich verstehe«, sagte Dany enttäuscht.»Ich wünsche Euch günstige Winde und gute Geschäfte. Ihr habt mir wahrlich ein kostbares Geschenk gemacht.«

«Dafür wurde ich reichlich entlohnt, große Königin. «Diese Bemerkung verwirrte sie.»Wie das?«Seine Augen strahlten.»Ich habe die Drachen gesehen. «Dany lachte.»Und eines Tages werdet Ihr hoffentlich noch mehr von ihnen sehen. Kommt zu mir nach King's Landing, wenn ich auf dem Thron meines Vaters sitze, und dann erwartet Euch eine große Belohnung.«

Der Mann versprach es und küßte ihr zum Abschied sanft die Hand. Jhiqui führte ihn hinaus, während Ser Jorah Mormont zurückblieb.

«Khaleesi«, begann der Ritter, als sie allein waren,»an Eurer Stelle würde ich nicht so offen über Eure Pläne sprechen. Dieser Mann wird sie überall verbreiten.«

«Mag er nur«, antwortete sie.»Soll die Welt meine Absichten erfahren. Der Usurpator ist tot, was macht es da noch aus.«

«Nicht jedes Seemannsgarn entspricht der Wahrheit«, mahnte Ser Jorah,»und selbst, wenn Robert tatsächlich tot ist, regiert nun sein Sohn. Das ändert eigentlich gar nichts.«

«Das ändert alles. «Abrupt erhob sie sich. Kreischend bäumten sich die Drachen auf und breiteten die Flügel aus. Drogon flatterte auf und krallte sich in den Sturz über der Tür. Die anderen huschten über den Boden, wobei ihre Flügelspitzen über den Marmor scharrten.»Vor Roberts Tod waren die Sieben Königslande wie Drogos khalasar, einhunderttausend Mann, durch einen vereint. Jetzt sind sie zu Scherben zerbrochen, so wie das khalasar, nachdem mein khal gestorben war.«

«Die hohen Lords haben schon immer ihre Kriege geführt. Sagt mir, wer gesiegt hat, und ich werde Euch sagen, was es bedeutet. Khaleesi, die Sieben Königslande werden Euch nicht wie ein reifer Pfirsich in den Schoß fallen. Ihr braucht eine Flotte, Gold, Armeen, Bündnisse — «

«Das alles weiß ich. «Sie ergriff seine Hände und blickte in seine mißtrauischen dunklen Augen. Manchmal betrachtet er mich als das Kind, das er beschützen muß, manchmal als die Frau, zu der er sich gern legen möchte, aber hat er in mir schon einmal wirklich seine Königin gesehen?» Ich bin nicht mehr das verängstigte Mädchen, das Ihr in Pentos kennengelernt habt. Gewiß, ich habe erst fünfzehn Namenstage erlebt… und dennoch, ich bin so alt wie die Greisinnen im dosh khaleen und so jung wie meine Drachen, Jorah. Ich habe ein Kind geboren, einen khal verbrannt, und ich habe die rote Wüste und das Dothrakische Meer durchquert. In mir fließt das Blut der Drachen.«

«In Eurem Bruder floß es ebenso«, beharrte er.

«Ich bin nicht Viserys.«

«Nein«, gab er zu.»In Euch steckt mehr von Rhaegar, glaube ich, doch sogar Rhaegar konnte man töten. Das hat Robert am Trident bewiesen, und er brauchte dazu nur einen gewöhnlichen Kriegshammer. Selbst die Drachen können sterben.«

«Drachen sterben. «Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte ihn sanft auf die unrasierte Wange.»Aber die Drachentöter auch.«

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