Kapitel 15

Schweigend ritten sie zum Rand des Waldes zurück. Fidelma war in Nachdenken versunken. Eadulf unterdrückte mit Mühe die vielen Fragen, die ihm durch den Kopf gingen. Als sie schließlich aus dem Schatten des Waldes herauskamen, konnte er sich nicht länger beherrschen.

»Was meinst du, was das zu bedeuten hat, Fidelma?« wollte er endlich wissen.

»Wenn ich das wüßte, hätte ich vielleicht den Schlüssel zu diesem ganzen Geheimnis«, antwortete sie. »Jedenfalls haben wir das Versteck der Männer gefunden, die die Bauernhöfe in Araglin überfallen.«

»Doch warum verstecken sich Menma und diese Banditen in der Höhle? Und warum macht Menma mit den Viehdieben gemeinsame Sache?«

»Ich halte sie nicht für Viehdiebe, und sie verstek-ken sich eigentlich auch nicht«, meinte Fidelma und lachte.

»Was sind sie dann?« fragte Eadulf.

»Hast du die Werkzeuge gesehen, die auf der Lichtung umherlagen?«

»Werkzeuge? Nein, ich habe nur auf die Männer geachtet. Was für Werkzeuge?«

Fidelma seufzte leise.

»Du mußt immer daran denken, daß Beobachtung und die Analyse der Beobachtungsergebnisse ganz wesentlich sind zur Erforschung der Wahrheit. Bei dem Wagen lagen verschiedene Werkzeuge. Sie verrieten mir, daß die Höhle unzweifelhaft ein Bergwerk ist.«

Eadulf war verblüfft.

»Ein Bergwerk?«

»Es ist nicht ungewöhnlich, in dieser Gegend auf Bergwerke zu stoßen. Wären wir von Lios Mhor genau nach Westen den Abhainn Mor entlanggereist, wären wir zu einer Ebene gekommen, die Magh Meine heißt, die Ebene der Minerale. Dort baut man Kupfer, Blei und Eisen ab.«

»Ich glaube, davon habe ich schon mal gehört.«

»Bressal, der Herbergswirt, erzählte uns, daß er einen Bruder hat, der als Bergmann in der Ebene der Minerale arbeitet«, fuhr Fidelma fort.

»Natürlich. Aber was macht Menma in diesem Bergwerk, wenn es denn eins ist?«

»Das müssen wir selbst herausbekommen.«

»Und warum sollte .«

»Es hat keinen Zweck, Fragen zu stellen, solange wir nicht genügend Beweismittel haben, mit denen wir die Antwort wenigstens vermuten können.«

»Vielleicht hätten wir uns zeigen und eine Erklärung verlangen sollen«, meinte Eadulf. »Schließlich hast du ein Amt in diesem Königreich.«

Fidelma lächelte nur.

»Diese Männer führen nichts Gutes im Schilde. Glaubst du, die scherten sich um mein Amt?«

»Wir hätten sie überraschen und entwaffnen können ...«

»Mein lieber Freund, in den Oden des Horaz gibt es eine Zeile: >Vis consili expers mole ruit sua.<«

Eadulf nickte langsam: »Kraft, frei von Weisheit, stürzet durch eigene Wucht«, wiederholte er.

Sie beschattete die Augen mit der Hand und spähte zum Gipfel des Berges über ihnen empor.

»Du sagtest vorhin, wenn wir den Grat überquerten, kämen wir oberhalb von Archüs Hof heraus. Stimmt das?«

Eadulf runzelte die Stirn bei diesem plötzlichen Wechsel des Themas.

»Das stimmt«, brummte er.

»Willst du es ausprobieren?«

Eadulf hielt das für einen Scherz, aber es war keiner.

»Die Berghänge sind doch viel zu steil für Pferde«, protestierte er. »Zu Fuß könnten wir es versuchen, aber .«

Sie zeigte wortlos aufwärts.

Weiter oben am Hang sah Eadulf etwas Rotbraunes sich bewegen. Er kniff die Augen zusammen. Es war die muskulöse Gestalt eines Hirsches, der sein Rudel vor sich her trieb.

Fidelma schmunzelte.

»Wo ein Hirsch sein Rudel führt, kommt auch ein Reiter durch. Bist du bereit dazu?«

Eadulf hob die Arme zum Zeichen des widerwilligen Einverständnisses.

»Da vorn gibt es so etwas wie einen Pfad«, erklärte ihm Fidelma, »wahrscheinlich ein Wildwechsel. Schau mal!«

Eadulf sah weiter nichts als eine ausgetretene Spur, die sich durch Farne und Ginster aufwärts zog.

»Darauf können wir doch nicht reiten«, wandte er ein.

»Nein, aber unsere Pferde führen«, versicherte ihm Fidelma. Sie glitt aus dem Sattel, nahm die Zügel und ging vorsichtig auf dem schmalen Wildwechsel den Berghang vor ihnen hinauf.

Eadulf stöhnte innerlich, dann stieg auch er ab und zog sein Pferd hinter sich her. Er war nicht schwindelfrei, deshalb hielt er den Blick vor sich auf den Boden gerichtet.

»Ich verstehe nicht, weshalb du diese Abkürzung zu Archüs Hof nehmen willst. Wir hätten doch genausogut auf dem Hauptweg zurückreiten können«, beklagte er sich, mehr um sich abzulenken, als um sich mit Fidelma zu streiten.

»Auf diesem Weg geht es schneller. Und wir wollen nicht den Leuten auf Muadnats Hof auffallen, die mit unseren Freunden dahinten am Bergwerk im Bunde stehen.«

»Ich weiß auch nicht, was das alles mit dem Mord an Eber zu tun hat.«

Fidelma würdigte ihn keiner Antwort.

Der Wind fuhr über die Berge, und die Pferde wurden unruhig. Sie brauchten ihre ganze Kraft, sie fest am Zügel zu halten. Vor sich hörte Fidelma das langsame Dahinziehen der Hirschkühe, die immer mal wieder ästen. Der Wind trug ihnen keinen ungewohnten Geruch zu. Nur manchmal verharrte der Hirsch wie ein imponierendes Standbild, als beobachte er besorgt ihren stetigen Anstieg. Dann trieb er mit einem seltsam bellenden Ruf sein Rudel weiter. Darauf sprangen die Tiere ein Stück höher und hielten wieder an und ästen.

Der Pfad war kaum noch zu erkennen, doch Fidelma ging weiter und umrundete langsam den Berg. Die Windstöße wurden heftiger, und Eadulf senkte den Kopf, um ihnen zu entgehen und zugleich den Blick auf die offenen Höhen zu vermeiden. Er hoffte, sein Pferd würde nicht zu unruhig, denn er wußte nicht, ob er es dann noch halten könnte.

Plötzlich blieb Fidelma stehen.

»Was ist?« fragte er.

»Sieh selbst«, erwiderte sie.

Eadulf nahm seinen Mut zusammen für einen raschen, unsicheren Blick.

Vor ihnen erstreckte sich das L-förmige Tal. Er sah einige Gebäude weit unten und senkte den Blick wieder, so schnell er konnte.

»Was ist das?« fragte er wieder. »Archüs Tal?«

Fidelma wandte sich um und schaute ihn nachdenklich an.

»Macht die Höhe dir Schwierigkeiten, Eadulf?« fragte sie besorgt.

Eadulf biß sich auf die Lippen. Er konnte es nicht leugnen.

»Nicht so sehr die Höhe«, erwiderte er. »Es ist die Angst vor hohen offenen Stellen, vor dem Abstürzen. Hört sich das komisch an?«

Fidelma schüttelte langsam den Kopf.

»Das hättest du mir sagen sollen«, tadelte sie ihn sanft.

»Ich wäre zu nichts nutze, wenn ich die Angst eingestehen würde.«

»Mein Lehrer, Morann von Tara, sagte einmal, eine Maus könne sich an einem Fluß auch nicht mehr als satt trinken.«

Eadulf war verblüfft.

»Das klingt nach einer rätselhaften Philosophie.«

»Nein. Wir müssen um unsere Schwächen ebenso wissen wie um unsere Stärken. Nur dann erkennen wir die Stärke in unseren Schwächen und die Schwäche in unseren Stärken.«

»Meinst du, ich hätte meine Angst annehmen und sie dir beichten sollen?«

»Was sonst hättest du tun sollen? Wäre ich vorgewarnt gewesen, hätte ich gewußt, was ich zu tun habe, wenn etwas passiert.«

Eadulf seufzte. Er redete nicht gern über seine Schwächen.

»Hier ist nicht die richtige Zeit und vor allem nicht der richtige Ort, über meine Fehler zu sprechen.«

»Natürlich nicht«, besänftigte ihn Fidelma. »Entschuldige, es tut mir leid. Von nun an geht es abwärts. Du hast recht, dort unten liegt Archüs Hof. Es ist das Tal des Schwarzen Moors.«

Eadulf straffte die Schultern.

»Dann gehen wir weiter«, meinte er. »Je eher wir mit dem Abstieg beginnen, desto eher sind wir unten.«

Fidelma schritt weiter vorsichtig voran. Das Hirschrudel hatte sich von seinem Wechsel entfernt. Der Abstieg war steil, aber in mäßigem Tempo durchaus zu bewältigen. Nur gelegentlich kamen sie an Wegstellen, an denen ein Absatz, nicht höher als einen halben Meter, gefährlicher aussah, als er war. Ein- oder zweimal mußten sie auf wenigen Metern enge Windungen passieren. Schließlich gelangten sie zu den weniger steilen unteren Abhängen des Berges, an denen Eschen und Dornsträucher einen Gürtel bildeten, durch den sie aber einen passablen Durchschlupf fanden.

Als sie aus einem kleinen Gehölz von Eschen und Buchen hervortraten, sahen sie sich plötzlich zwei Reitern mit gespannten Bögen gegenüber.

»Schwester Fidelma!«

Archüs erschrockener Ausruf ließ sie halten. Der andere Reiter war wohl einer der Männer, die Duban zurückgelassen hatte. Archü senkte sofort seinen Bogen und entschuldigte sich.

»Wir wußten nicht, daß ihr es seid.«

»Wir sahen zwei Gestalten über den Grat des Berges kommen. Ein seltsamer Weg«, brummte der Krieger neben ihm.

»Seltsam und gefährlich«, seufzte Eadulf und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

»Wir beobachten euch schon seit einer Stunde, denn mein Gefährte hat euch gleich entdeckt, als ihr oben auf dem Berg auftauchtet. Warum habt ihr diesen steilen Weg genommen? Sonst kommen nur Schafe und Hirsche hier herunter.«

»Das ist eine lange Geschichte, Archü«, erwiderte Fidelma. »Wenn Scoth eine Erfrischung für uns hat, erzählen wir sie euch.«

»Natürlich«, stimmte Archü bereitwillig zu. »Verzeiht. Reiten wir gleich zu unserem Haus.«

Der Krieger betrachtete noch immer mißtrauisch den Berg.

»Wurdet ihr verfolgt, Schwester?« fragte er.

Fidelma schüttelte den Kopf.

»Nicht, daß ich wüßte. Habt ihr jemanden hinter uns gesehen?«

»Nein. Aber wir müssen vorsichtig sein. Habt ihr gehört, daß Muadnat umgebracht wurde?«

»Ja. Vor ein paar Stunden haben wir unterwegs Duban getroffen. Er sagte uns, daß er noch einen weiteren Krieger zum Schutz für Archü hiergelassen hat, für den Fall, daß Agdae etwas Törichtes vorhätte.«

»Vielleicht könntest du hierbleiben und aufpassen, ob jemand über den Berg kommt«, bat Archü seinen Begleiter. »Ich bringe inzwischen Schwester Fidelma und Bruder Eadulf zu meinem Haus.«

Der Krieger tat, wie ihm geheißen. Fidelma und Eadulf folgten Archü zu dem fernen Hof.

»Das ist eine schlimme Geschichte, Schwester. Wenn Duban nicht gestern einen seiner Männer hiergelassen hätte, der bezeugen kann, daß ich mich nicht vom Hof entfernt habe, wäre ich in großen Schwierigkeiten.«

Fidelma nickte.

»Ich habe Muadnat mein Leben lang gekannt«, fuhr Archü fort, »und wenn er mich auch haßte, kann ich nicht sagen, daß sein Tod mich nicht berührt. Er war schließlich mein Vetter. Möge er in Frieden ruhen.«

»Dazu sage ich amen«, meinte Eadulf, der sich ein wenig erholt hatte.

»Und wie stehst du zu Agdae? Wußtest du, daß Muadnat ihn adoptiert hatte?« erkundigte sich Fidelma.

»Das wußte ich. Er ist ja auch mein Vetter. Seine Eltern starben vor vielen Jahren an der Pest. Agdae überlebte, und Muadnat nahm ihn in sein Haus. Meine Mutter erzählte mir, daß Muadnat sie drängte, Ag-dae zu heiraten, doch sie lehnte ab und entschied sich für meinen Vater. Wir mochten einander nicht, das gebe ich offen zu. Muadnat erzog ihn dazu, mich ebenso zu hassen, wie er es tat.«

»Und haßt du ihn auch?«

»Ich kann nicht behaupten, ein anderes Gefühl für ihn zu hegen. Agdae ist kein angenehmer Mensch.«

»Wer, meinst du, hat Muadnat umgebracht?« fragte Fidelma.

Archü schwieg lange. Eadulf dachte schon, er wolle die Antwort verweigern. Dann seufzte er tief.

»Ich weiß es nicht. Ich begreife das alles nicht mehr. Die Morde an Eber und Teafa waren weit weg für mich, berührten mich nicht wirklich. Doch Muadnats Tod trifft mich, auch wenn ich ihn haßte. Ich weiß nicht, wer es getan haben könnte.«

Scoth begrüßte sie an der Tür des Hauses. Der zweite Krieger, den Duban zurückgelassen hatte, nahm ihnen die Pferde ab. Archü führte sie ins Haus.

»Wir haben Cider«, sagte Scoth und holte einen Krug und mehrere Becher.

Eadulf lächelte dankbar.

»Sei gesegnet dafür«, sagte er. »Mein Kehle ist total ausgetrocknet.«

Archü bat sie, sich zu setzen. Scoth schenkte ein und brachte dann noch eine Schale mit Obst.

Eadulf leerte seinen Becher mit einem einzigen Zug, Fidelma hingegen trank in kleinen Schlucken.

»Sei vorsichtig«, riet sie ihm, als er sich nachschenken ließ. »Dieser Cider ist stark.«

Archü grinste freudlos.

»Zumindest hatte Muadnat die Güte, uns ein paar Fässer Cider hierzulassen.«

Scoth sah das anders.

»Na, ich war es schließlich, die den Cider gemacht hat. So können wir die Früchte meiner Arbeit wenigstens genießen.«

Fidelma nahm einen Schluck und schaute Archü an.

»Hast du dein ganzes Leben hier im Tal verbracht?«

Die Frage überraschte Archü.

»Ja. Ich wurde auf diesem Hof geboren und wuchs hier auf. Als meine Mutter starb, übernahm Muadnat den Hof, und von da an mußte ich in den Ställen bei den Tieren schlafen, bis ich das Alter der Wahl erreicht hatte und meinen Anspruch in Lios Mhor vorbrachte. Warum fragst du?«

»Was ist mit dem Land auf der anderen Seite des Berges?«

»Du meinst den Berg, über den ihr gekommen seid?«

»Ja.«

»Es gehört zu diesem Hof.«

»Ich dachte, zu dem Hof gehören sieben cumals Land hier im Tal?«

»Nur vier cumals liegen im Tal selbst. Der Hof besteht aus drei Teilen: die Äcker um das Gehöft herum, das Land der drei Wurzeln ...«

Eadulf blickte interessiert von seinem Becher auf.

»Das was?« fragte er. »Den Ausdruck habe ich noch nie gehört.«

»Den findest du in unseren Gesetzen«, erklärte ihm Fidelma. »Nach unserer alten Einteilung gilt als der beste Boden eines Hofes derjenige, auf dem drei Pflanzen wachsen, die sich durch ihre großen Wurzeln aus-zeichnen: die Distel, das Kreuzkraut und die wilde Möhre. Ist der Acker so gut, daß sie darauf wachsen, dann wird er am höchsten eingeschätzt und gilt als besonders fruchtbar.«

Eadulf schüttelte verwundert den Kopf.

Fidelma wandte sich wieder an Archü.

»Der Berg gehört also mit zum Hof, sagst du?«

»Er ist der Teil des Hofes, der als Axtland bezeichnet wird. Wenn auf dem Berg etwas anderes wachsen soll als Bäume und Ginster, dann müßte er mit großem Aufwand gerodet werden.«

»Er gehört jedenfalls zu deinem Hof?«

»O ja. Das würde nicht einmal Muadnat bestreiten.«

»Ich verstehe. Kennst du den Berg gut?«

»Ich kenne ihn.«

»Kennst du ihn wirklich ganz genau?«

Archü lehnte sich sichtlich verwirrt zurück.

»Weshalb sollte ich ihn mir besonders gründlich ansehen?«

»Er grenzt an deine Äcker und ist ein Teil deines Landes.«

»Ich habe den Hof gerade erst in Besitz genommen, wie du weißt, Schwester. Wann hätte ich da Zeit dafür haben sollen, die Berge rundherum zu untersuchen?«

»Und als du Kind warst?«

»Als Kind?« Er schüttelte den Kopf. »Als Kind bin ich auch nicht auf dem Berg gewesen.«

»Weißt du etwas von Höhlen in diesem Gebiet?«

Archü verstand das als einen Themenwechsel. Er zuckte die Achseln.

»Ich habe davon gehört, daß es nördlich von hier Höhlen geben soll. Meine Mutter hat mir von der Höhle der Grauen Schafe erzählt. Aus der soll einmal ein graues Lamm herausgekommen sein, und ein Bauer zog es auf. Es wuchs zum Schaf heran und hatte selbst Lämmer. Aber eines Tages schlachtete der Bauer eins dieser Lämmer, und das Schaf nahm seine übrigen Lämmer und verschwand mit ihnen in der Höhle. Man hat nie wieder etwas von ihnen gesehen.«

»Und Bergwerke? Hast du jemals von Bergwerken in dieser Gegend gehört?« fragte Fidelma ungeduldig.

Archü dachte nach, doch dann schüttelte er den Kopf.

»Vielleicht gibt es welche, aber ich könnte dir keins nennen. Warum willst du das wissen?«

»Wir fanden ...«, begann Eadulf, verstummte aber sofort, als er unter dem Tisch einen kräftigen Tritt von Fidelma erhielt. Er verzog das Gesicht vor Schmerz.

Archü und Scoth sahen ihn überrascht an.

»Wir fanden, daß wir gern etwas mehr über die Umgebung des Hofes wüßten«, nahm Fidelma den Satz auf. »Du scheinst heftige Schmerzen zu haben, Bruder. Habe ich dich nicht gewarnt, daß der Cider sehr stark ist?«

»Schon gut«, murmelte er. »Mir tut vom vielen Laufen der Fuß weh.«

»Es war ein langer Tag, und wir haben noch nichts gegessen. Wir sollten zum rath zurückkehren.«

»Ihr könnt doch mit uns essen«, lud Scoth sie ein.

Bedauernd schüttelte Fidelma den Kopf.

»Leider geht das nicht. Wenn wir j etzt nicht aufbrechen, kommen wir erst nach Sonnenuntergang dort an, und um die Zeit sollte man nicht mehr auf unbekannten Pfaden unterwegs sein.«

Sie verabschiedeten sich und traten den Rückweg nach Araglin an.

»Du brauchtest mich nicht so grob zu treten, Fidelma«, beklagte sich Eadulf schmollend. »Du hättest es mir doch sagen können, daß die jungen Leute nicht wissen sollten, was wir hinter dem Berg entdeckt haben.«

»Es tut mir leid, Eadulf. Aber es ist besser, wenn wir das vorerst noch für uns behalten. Es ist doch offensichtlich, daß jemand dieses Bergwerk geheimhalten will. Da es auf Archüs Land liegt, lautet die logische Folgerung, daß Muadnat versuchte, das Bergwerk zu betreiben, ohne daß jemand etwas davon merkte, besonders Archü nicht. Der Weg zum Bergwerk geht ja von seinem Land aus. Also haben wir vielleicht durch Zufall den wahren Grund erfahren, weshalb Muadnat sich so verzweifelt bemühte, das Eigentum seines Vetters an sich zu bringen?«

Eadulf stieß einen leisen Pfiff aus.

»Ich verstehe. Muadnat wollte das Land behalten, damit er das Bergwerk ausbeuten konnte.«

»Ein Bergwerk gehört dem, auf dessen Land es liegt. Er muß die Erlaubnis erteilen, wenn jemand anders es betreiben möchte«, erklärte Fidelma.

»Ja, aber das bringt uns der Lösung des Rätsels um den Mord an Eber und Teafa nicht näher.«

»Vielleicht nicht. Aber es ist schon seltsam, daß Men-ma immer wieder in diesem Rätsel auftaucht und .«

Sie hielt so plötzlich an, daß Eadulf dachte, sie habe eine neue Gefahr erblickt, und besorgt die Umgebung musterte.

»Was ist?« fragte er nach einer Weile.

»Ich bin blöd!«

Eadulf schwieg wohlweislich.

»Ich hätte das eher merken müssen.«

»Was merken?« Eadulf hielt mühsam seine Neugier im Zaum.

»Menma. Du erinnerst dich, daß Menma den Angriff auf Bressals Herberge geführt hat?«

»Ja.«

»Und jetzt taucht Menma am Bergwerk auf?«

»Ja. Aber ich verstehe nicht .«

»Was war die Verbindung zwischen Bressal und den Bergwerken?« fragte Fidelma.

Eadulf überlegte.

Fidelma knirschte beinahe mit den Zähnen, weil er so langsam schaltete.

»Bressal hatte einen Bruder ...«, deutete sie an.

Jetzt fiel es Eadulf ein. »Morna, ein Bergarbeiter. Er hatte eine Sammlung von Gesteinen .«

»Noch wichtiger«, unterbrach ihn Fidelma. »Morna war kürzlich bei ihm und hatte ihm erzählt, er habe etwas entdeckt, was ihn reich machen würde. Er brachte Bressal einen Gesteinsbrocken.«

Eadulf rieb sich das Kinn.

»Ich kann dir nicht ganz folgen.«

Fidelma bewahrte Geduld.

»Ich bin überzeugt, das Gestein stammte aus der Höhle auf Archüs Land. Dort hatte Morna Gold entdeckt und geglaubt, er würde nun reich werden. Ich bin sicher, Menma überfiel Bressals Herberge, um den Gesteinsbrocken wiederzubekommen.«

»Warum?«

»Weil der Fund geheim bleiben sollte. Bressals Bruder Morna hatte das Geheimnis verraten.«

»Meinst du, daß Menma das Bergwerk leitet? Ich hätte ihn für nicht intelligent genug dazu gehalten.«

»Ich glaube, du hast recht. Jemand anders steckt dahinter. Es läuft auf Muadnat hinaus. Menma sollte nur dafür sorgen, daß das, was Morna seinem Bruder Bressal gesagt und gezeigt hatte, geheim blieb. Es war purer Zufall, daß wir zu der Zeit in der Herberge waren und den Angriff abschlagen halfen.«

Eadulf überlegte einen Moment.

»Ich hatte angenommen, Muadnat hätte den Überfall inszeniert, um Archü loszuwerden«, meinte er. »Muadnat wußte, daß Archü auf seinem Rückweg dort übernachten würde.«

»Das habe ich auch erst geglaubt, aber Muadnat wußte, daß Archü und Scoth kein Geld für eine Herberge hatten. Zu Fuß hätten sie die Herberge an dem Abend auch nicht erreicht. Wir nahmen sie auf unseren Pferden mit. Denke daran, daß ich auch für ihre Übernachtung bezahlte. Nein, es mußte ein anderes Motiv für den Überfall geben, und nun haben wir es gefunden.«

»Es ging also nur darum, das Geheimnis der Reich-tümer zu bewahren, die man in der Höhle gefunden hatte?«

»Da bin ich mir sicher. Eigentlich schon seit gestern.«

Eadulf sah sie ratlos an.

»Da komme ich nicht mit, Fidelma«, gestand er.

»Gestern haben wir eine unbekannte Leiche auf Archüs Hof entdeckt. Der Tote war weder Bauer noch Krieger. Seine schwieligen Hände und der Gesteinsstaub auf seiner Kleidung verrieten mir, daß er einen bestimmten Beruf ausübte.«

In Eadulfs Augen leuchtete es auf.

»Du erkanntest, daß er Bergarbeiter war?«

»Hat er dich an jemanden erinnert?«

»Nein.«

»Du solltest aufmerksamer beobachten, Eadulf. Er hatte dieselben Gesichtszüge wie Bressal. Der unglückselige Tote war Morna, der Bruder des Herbergswirts Bressal.«

Fidelma verfiel in nachdenkliches Schweigen, während sie weiter durch das Tal von Araglin zum rath ritten.

Cron schien ihre Rückkehr ungeduldig zu erwarten, denn sie stand an der Tür der Festhalle und sah ihnen entgegen.

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