Fidelma konnte sich nicht gegen den Schauder wehren, der sie überlief, als sie auf die groteske Gestalt starrte.
»Gott im Himmel schaue auf uns herab! Was hat das zu bedeuten? Ich würde nicht einmal ein Tier unter solchen Bedingungen halten, geschweige denn einen Menschen, selbst wenn er unter Mordverdacht steht.«
Sie trat vor, beugte sich über die kauernde Gestalt und berührte sie an der Schulter.
Auf das, was dann geschah, war sie nicht vorbereitet.
Bei der Berührung fuhr die Gestalt mit einem Schreckensgeheul hoch. Sie kroch stöhnend auf allen vieren davon wie ein Tier, bis sie am Ende der Kette mit einem Ruck zum Stehen kam. Sie fiel der Länge nach auf das schmutzige Stroh, das den Boden bedeckte, und lag still, hob aber beide Hände, als wolle sie den Kopf vor einem Schlag schützen. Sie verharrte nur einen Moment in dieser Stellung, dann rappelte sie sich hoch und wandte ihnen das Gesicht zu. Fidelma und Eadulf waren entsetzt von dem, was sie sahen: die Augäpfel hatten keine Pupillen, sie blickten weiß und leer.
»Retro Satana!« murmelte Eadulf und bekreuzigte sich.
»Es ist ein Satan, Bruder«, bestätigte Duban trocken.
Die Gestalt war die eines Mannes. Sie war so mit Schmutz und Exkrementen bedeckt, das Haar war so wild und verfilzt, daß sie die Gesichtszüge nicht erkennen konnten. Fidelma hatte den Eindruck, sie sei nicht alt. Dann fiel ihr ein, daß Cron das Alter Moens mit einundzwanzig Jahren angegeben hatte. Der Mund war eine breite sabbernde Öffnung, und aus ihm drang weiter dieses schreckliche Stöhnen. Doch es waren die Augen, die Fidelma und Eadulf fesselten, diese armseligen weißlichen, trüben Bälle mit kaum einer Spur von Pupillen darin.
»Ist das der Moen, der des Mordes an Eber und Teafa beschuldigt wird?« flüsterte Fidelma entgeistert.
»Allerdings.«
»Moen«, brummte Eadulf. »Natürlich! Bezeichnet nicht schon der Name jemanden, der stumm ist?«
»Du hast es richtig erfaßt, Bruder«, bestätigte Du-ban. »Stumm ist er, seit er gefunden und von Lady Teafa aufgenommen wurde.«
»Und blind?« fragte Fidelma und starrte mit Schrecken und Mitleid auf die Gestalt, die vor ihr hockte.
»Und taub«, setzte Duban finster hinzu.
»Und man behauptet, daß so ein unglückliches Wesen zwei gesunde Menschen töten konnte?« murmelte Fidelma ungläubig.
Eadulf betrachtete die Gestalt mit Abscheu.
»Warum hat man uns nicht schon eher von dem Zustand dieser Person unterrichtet?«
Der Krieger sah ihn überrascht an.
»Aber jeder kennt doch Moen. Es kam mir nie in den Sinn, daß ...«
Fidelma unterbrach seine Beteuerungen.
»Nein. Es ist nicht deine Schuld, daß wir es nicht früher erfahren haben. Aber eins möchte ich ganz klarstellen: Verstehe ich es richtig, daß dieses taubstumme und blinde Geschöpf beschuldigt wird, den Mord an Eber und .«
Sie hielt inne, denn die Gestalt bewegte sich vorsichtig vorwärts und hob den Kopf wie ein witterndes Tier. Sie schnüffelte. Fidelma starrte auf sie hinab, als sie sich ihr auf allen vieren näherte.
»Ich würde etwas zurücktreten, Schwester, denn er riecht Leute, auch wenn er sie nicht sehen oder hören kann«, warnte sie Duban.
Es war zu spät, denn eine kalte, schmutzige Hand schoß vor und berührte Fidelmas Fuß. Erschrocken fuhr sie zurück.
Moen hielt sofort inne.
Duban trat auf ihn zu, in einer Hand die Lampe, die andere wie zum Schlag auf den Unglücklichen erhoben.
Fidelma sah die Bewegung und winkte ihn zurück.
»Schlag ihn nicht«, befahl sie. »Man führt keinen Schlag, den der andere nicht sehen kann.«
Das war ein Glück, denn Moen saß mit erhobenem Gesicht da. Jetzt hielt er die Hände hoch und machte eigenartige Bewegungen mit ihnen.
Fidelma schüttelte traurig den Kopf.
»Achte nicht auf ihn, Schwester«, knurrte Duban, »denn Gott hat ihn verflucht.«
»Kannst du ihn nicht wenigstens säubern lassen?« verlangte Fidelma.
Duban sah sie überrascht an.
»Wozu?«
»Er ist ein menschliches Wesen.«
Der Krieger setzte eine sarkastische Miene auf.
»Das sieht man ihm aber kaum an.«
»Duban, du hast bereits gegen das Gesetz verstoßen, weil du über einen Behinderten gespottet hast.«
Der Krieger öffnete den Mund, um zu protestieren, doch Fidelma fuhr entschlossen fort: »Ich erwarte, daß er sauber ist, wenn ich ihn mir wieder ansehe. Du kannst ihn weiter gefangenhalten, aber er muß Nahrung und Wasser bekommen und gesäubert werden. Ich dulde es nicht, daß ein Geschöpf Gottes so leiden muß. Was man ihm auch vorwerfen mag.«
Sie drehte sich auf dem Absatz um und verließ den Stall. Eadulf zögerte einen Moment. Ihn beunruhigten die bitteren Gefühle, die sich im Gesicht des Kriegers abzeichneten, während er Fidelma nachsah.
Fidelma blieb draußen stehen und atmete tief durch, um ihren Zorn zu bändigen. Von dem anderen Krieger, Critan, war nichts zu sehen. Langsam gingen sie auf Ebers Wohnung zu.
»Man kann Duban keinen Vorwurf machen«, versuchte Eadulf sie zu besänftigen. »Und vergiß nicht, dieses arme Geschöpf, wie du es nennst, hat Eber, seinen Fürsten, getötet.«
Er zuckte beinahe zusammen, als Fidelmas grüne Augen ihn plötzlich mit zornerfülltem Feuer anfunkelten.
»Moens Schuld muß erst mal bewiesen werden. Er ist ein menschliches Wesen und hat vor dem Gesetz dieselben Rechte wie jeder andere. Bis dahin gibt es keine Entschuldigung dafür, ihn so zu behandeln, als wäre er weniger als ein Tier.«
»Stimmt«, gestand Eadulf. »So dürfte er nicht behandelt werden, aber .«
»Er hat das Recht, sich zu verteidigen, bevor er schuldig gesprochen wird oder nicht.«
»Taubstumm und blind, Fidelma. Wie kann man sich mit so einem Menschen verständigen, um festzustellen, was er zu seiner Verteidigung vorzubringen hat?« wollte Eadulf wissen.
»Wenn es Gründe für eine Verteidigung gibt, werde ich sie finden. Jedenfalls wird er nicht ohne einen fairen Prozeß verurteilt. Entsprechend meinem Eid als Anwältin des Rechts der fünf Königreiche werde ich dafür sorgen.«
Verlegenes Schweigen trat ein, dann fragte Eadulf: »Gibt es wirklich ein Gesetz, das die Verspottung von Behinderten unter Strafe stellt?«
»Ich erfinde keine Gesetze«, erklärte Fidelma streng, noch immer verärgert. »Hohe Geldstrafen können über jeden verhängt werden, der über die Behinderung eines Menschen spottet, von einem Epileptiker bis zu einem Lahmen.«
»Das ist kaum zu glauben, Fidelma. Wenn ich auch die Gesetze deines Landes studiert habe, bin ich doch in meiner eigenen Kultur befangen. In unserer Gesellschaft gehen wir davon aus, daß der Mensch ein grausames Wesen ist und Gott ihm oft ein kurzes und schweres Leben zugemessen hat. Es liegt in der heiligen Ordnung der Dinge, daß der Mensch in der gewaltsamen Natur auch einen Weg voller Gewalt geht.«
Fidelma starrte ihn verblüfft an.
»Du hast doch bei uns gesehen, daß es auch anders sein kann, Eadulf. Du glaubst doch sicher nicht, daß die angelsächsische Lebensweise die einzig richtige ist?«
»Jede Lebensweise ist vergänglich. Das Leben ist plötzlichen Wechseln unterworfen. Von allen Seiten ist es von Pest, Hunger, Unterdrückung und der Gewalt persönlicher oder politischer Feinde bedroht. Wir ergeben uns in unser Geschick nach dem unergründlichen Willen des Vaters im Himmel und sehen darin unsere einzige Sicherheit.«
Fidelma schüttelte den Kopf.
»Über diese Philosophie müssen wir später noch einmal reden, Eadulf. Unsere Gesetze und unsere Lebensweise sprechen gegen das viele Elend, das ihr in eurem Land hinnehmt. Aber bevor wir darüber debattieren, haben wir erst einmal diesen Fall zu lösen. Es ist ein schwieriger Fall, Eadulf, und ich brauche deine Hilfe dabei. Wenn ich das Beweismaterial gesammelt habe und die Schuld diesem Unglücklichen anzulasten ist, dann muß ich entscheiden, ob er rechtsfähig ist. Ein Behinderter kann nicht rechtlich belangt werden, sondern das Verfahren richtet sich gegen seinen gesetzlichen Vormund. Also müssen wir feststellen, wer der gesetzliche Vormund dieses armen Moen ist. Ach«, sie hielt inne und rieb sich die Stirn, »ich muß versuchen, mich an den Wortlaut des Do Brethaib Gaire zu erinnern ...«
»Was ist denn das?« erkundigte sich Eadulf.
»Das Do Brethaib Gaire legt die Verpflichtungen der Verwandtschaft bei der Sorge für ihre behinderten Angehörigen fest. Der erste Teil bezieht sich auf die Taubstummen und Blinden.«
Eadulf wunderte sich immer wieder über die irischen Entschädigungsgesetze für das Opfer und seine Angehörigen selbst in Mordfällen. In seinem Land galt die Todesstrafe für Diebe und für diejenigen, die ihnen Unterschlupf gewährten oder sie unterstützten. Mörder, Verräter, Hexen, entlaufene Sklaven, Geächtete und die, die sie beschützten, konnten gehängt, geköpft, gesteinigt, verbrannt oder ertränkt werden. Verstümmelungen galten als geringere Strafen: das Abschneiden von Händen, Füßen, Nasen, Ohren, Oberlippen oder Zungen, Blendung, Kastration, Skalpieren, Brandmarken oder Auspeitschen. Eadulf wußte, daß die angelsächsischen Bischöfe lieber mit Verstümmelung bestraften als mit dem Tode, weil das dem Sünder Gelegenheit gab zu bereuen. Aber diese Iren, die sich weigerten, einen befriedigenden Begriff von Rache zu entwickeln, und dafür von Schadensersatz für das Opfer durch nützliche Arbeit des Verbrechers redeten . Nun ja, es war human, aber er fragte sich oft, ob solche Strafen angemessen seien.
Als sie an der Festhalle vorbeikamen, rief jemand nach ihnen.
Es war Duban, der ihnen nacheilte. In seinem Blick lag etwas Feindseliges, doch seine Miene war beherrscht.
»Ich habe Critan befohlen, deine Anweisungen auszuführen, Schwester. Moen wird hergerichtet entsprechend deinem .« Er suchte nach dem passenden Ausdruck. »Deinem Empfinden.«
»Ich hatte keinen Zweifel, daß du das tun würdest, Duban«, erwiderte Fidelma ruhig.
Der ältliche Krieger runzelte die Stirn und versuchte zu ergründen, wie sie das meinte. Fidelmas Kritik mochte ihn verletzt haben, doch war ihm offensichtlich gesagt worden, er habe ihre Anordnungen zu befolgen.
»Cron hat mich beauftragt, dir während deines Aufenthalts im rath von Araglin zur Verfügung zu stehen und alle deine Anweisungen auszuführen.«
»Gut. Wir sind gerade auf dem Wege zu Ebers Wohnung, um die Stelle zu untersuchen, an der Menma die Leiche und den unglücklichen Moen entdeckt hat.«
»Dann werde ich euch führen«, erbot sich Duban und ging ihnen voran zu dem Gebäude, das Menma ihnen bereits gezeigt hatte. Es war einstöckig wie die meisten Holzhäuser im rath.
Die Tür führte in einen Raum, der leicht als Empfangszimmer zu erkennen war. Darin konnte der Fürst speisen und Gäste bewirten, wenn er nicht die Festhalle benutzen wollte. Dieses Zimmer war mit der Halle durch eine Tür verbunden, die hinter einem Wandbehang verborgen war, auf den Duban sie hinwies. Über dem Herd hing ein Kessel, davor standen ein Tisch und Stühle. Die Waffen des toten Fürsten und Jagdtrophäen schmückten die Wände. Teppiche und Wandbehänge verliehen dem Raum Wärme. Eine holzgetäfelte Wand mit einer Tür trennte ihn von dem nächsten, der als Schlafzimmer diente. Das Ruhelager war einfach: ein großer Strohsack auf dem Boden mit Decken darauf. Fidelma bemerkte die Blutflecke auf ihnen, sagte aber nichts. In der Nähe stand ein Tisch mit einer Öllampe.
»Ist das die Lampe, die brannte, als Menma eintrat?«
»Ja«, bestätigte Duban sofort. »Im Zimmer ist nichts verändert worden seit . seit der Tragödie. Die Lampe brannte noch, als ich mit Menma herkam. Moen kniete genau hier«, er wies mit der Hand auf die Stelle, »dicht neben dem Bett.«
»Versuchte er sich zu entfernen?«
»O nein.«
»Also machte er keinen Versuch, fortzulaufen, bevor ihr kamt?«
»Fortlaufen? Taubstumm und blind, wie er ist?« Duban lachte trocken.
»Aber taubstumm und blind, wie er ist, soll er nach eurer Erklärung in der Lage gewesen sein, hier hereinzukommen und Eber umzubringen«, sagte Fidelma und schaute sich in dem Zimmer um. Bevor Duban antworten konnte, bat sie ihn: »Schildere uns den Hergang der Ereignisse aus deiner Sicht.«
»Als Kommandeur der Leibgarde stand ich in jener Nacht Wache.«
»Dies ist ein abgelegener rath. Es ist doch sicher nicht notwendig, ständig eine Wache aufzustellen, denn ihr genießt ja den natürlichen Schutz der Berge, die das Tal umgeben.«
Duban nickte.
»Aber vor ein paar Wochen fielen Viehdiebe ins Tal ein, Schwester. Eber gab mir die Anweisung, Wachen aufzustellen.«
»Ach ja, natürlich. Und du standest Wache in der Nacht, als Eber ermordet wurde?«
»Ehrlich gesagt, gegen Morgen war ich auf meinem Sitz am Eingang zur Festhalle eingeschlafen«, antwortete Duban kleinlaut. »Menma mußte mich wecken. Er sagte mir, er habe Eber tot aufgefunden und Moen habe ihn umgebracht. Ich ging sofort mit ihm hierher und sah die Leiche Ebers auf dem Bett liegen, genau so, wie es Menma beschrieben hatte. Überall war Blut, du kannst es noch sehen, wo es angetrocknet ist. Moen hockte da, wo ich es dir gezeigt habe. Er hatte das Messer noch in der Hand, es war voller Blut und seine Kleidung auch.«
»Was tat er?«
»Er wiegte sich vor und zurück und stöhnte vor sich hin.«
»Das alles konntest du deutlich sehen, weil die Lampe noch brannte? Was weiter?« ermunterte ihn Fidelma.
»Ich befahl Menma, seinen Pflichten nachzugehen, und wollte Critan holen. Er kam mir aber schon entgegen, weil er mich auf der Wache ablösen wollte. Wir brachten Moen in den Stall und banden ihn fest, und dann ging ich zu Cron, um ihr alles mitzuteilen.«
»Ach ja, Cron. Warum hast du nicht Ebers Frau als erste benachrichtigt? Wäre das nicht angemessener gewesen?«
»Cron ist Tanist, die gewählte Nachfolgerin. Nach Ebers Tod war sie nun die gewählte Fürstin von Ara-glin. Es war richtig, daß sie zuallererst benachrichtigt wurde.«
Fidelma mußte im stillen Duban beipflichten.
»Was dann?«
»Als wir anfingen, Moen in Ketten zu legen, wehrte er sich und schrie. Das berichtete ich Cron, und sie wies mich an, Teafa zu holen. Also ging ich zu ihrer Wohnung.«
»Und fandest sie tot auf?«
»Ja.«
»Ich hörte, Teafa sei die einzige im rath von Araglin gewesen, die Moen beruhigen konnte, wenn >beruhi-gen< der richtige Ausdruck ist.«
»Das stimmt. Sie hat sich schon um ihn gekümmert, als er noch ein Baby war.«
»Sie war Ebers Schwester?«
»Ja.«
»Also war Moen nicht ihr eigenes Kind?« Fidelma war die Verwandtschaftsbeziehung nicht klar.
»Niemand weiß, wo das Kind herkam«, antwortete Duban mit Bestimmtheit. »Aber Teafas Kind war es nicht, denn dann hätte man ihr in den Wochen vor seiner Geburt die Schwangerschaft angesehen, und sie war nicht schwanger. Dies ist eine kleine Gemeinschaft. Moen ist ein Findelkind.«
»In dieser kleinen Gemeinschaft muß es doch bekannt gewesen sein, wer ein Kind geboren hatte?«
»Eben nicht. Moen stammt von niemandem aus diesem Tal. Soviel ist sicher.«
»Kannst du mir mehr darüber sagen? Wie und warum kam Teafa dazu, das Kind aufzunehmen? Wer hat Moen gefunden?«
Duban rieb sich die Nase.
»Ich weiß nur, daß Teafa allein auf die Jagd ritt und ein paar Tage später mit dem Kind zurückkam. Sie ging einfach in die Berge und kam mit einem Neugeborenen wieder.«
»Hat sie irgend jemandem erzählt, wie sie es gefunden hatte?«
»Natürlich. Sie sagte, sie hätte es verlassen im Walde gefunden. Sie erklärte, sie werde es adoptieren. Bald danach verließ ich Araglin und kämpfte bis vor drei Jahren in den Kriegen der Könige von Cashel. Wie ich hörte, zeigte sich bald, daß das Kind behindert war. Doch Teafa weigerte sich, es abzugeben. Teafa heiratete nie und bekam auch keine Kinder. Sie war ein warmherziger Mensch und brauchte vielleicht ein Kind als Ersatz. Anscheinend brachten es Moen und Teafa mit der Zeit fertig, sich auf irgendeine seltsame Art zu verständigen. Wie, das weiß ich nicht.«
»Wie lange warst du von Araglin fort?«
»Fast siebzehn Jahre vergingen, bis ich zurückkehrte und in Ebers Dienste trat. Das war, wie gesagt, vor drei Jahren.«
»Aha. Gibt es sonst jemanden hier im rath, der vielleicht mehr über Moen weiß?«
Duban zuckte die Achseln.
»Ich nehme an, Pater Gorman könnte mehr darüber wissen, und jetzt, nach dem Tod von Teafa, ist er sicher auch bereit, es preiszugeben. Aber Pater Gorman kommt erst in ein paar Tagen zurück.«
»Was ist mit Ebers Witwe?«
»Lady Cranat?« Duban zog ein säuerliches Gesicht.
»Das weiß ich nicht. Sie heiratete Eber erst ungefähr ein Jahr nachdem Teafa Moen hergebracht hatte. Nach meiner Rückkehr merkte ich, daß Cranat und Teafa nicht so vertraut miteinander waren, wie man es von Schwester und Schwägerin erwarten könnte.«
Eadulf beugte sich eifrig vor.
»Meinst du damit, daß Cranat Teafa nicht mochte?«
Duban schien gekränkt.
»Ich weiß, ihr Angelsachsen seid stolz auf eure Unverblümtheit. Ich dachte, ich hätte mich klar genug ausgedrückt.«
»Ja, das hast du«, bestätigte Fidelma rasch. »Du willst damit sagen, daß Cranat und Teafa nicht gut miteinander auskamen?«
»Richtig«, erwiderte Duban.
»Weißt du, wie lange das schon so ging?«
»Ich habe gehört, sie gerieten aneinander, als Cron ungefähr dreizehn Jahre alt war. Es gab irgendeinen Streit zwischen ihnen, und danach sprachen sie kaum noch miteinander. Jedenfalls habe ich vor zwei oder drei Wochen eine heftige Auseinandersetzung zwischen ihnen erlebt.«
»Worum ging es dabei?«
»Es kommt mir eigentlich nicht zu, darüber etwas zu sagen.« Es war klar, daß Duban merkte, daß es auf Klatsch hinauslief. Fidelma machte sich seine Verlegenheit sofort zunutze.
»Aber da du nun schon soviel gesagt hast, meine ich, solltest du uns das auch nicht verheimlichen.«
»Ich weiß nicht, worüber sie sich stritten, aber Tea-fa war wütend und schrie Cranat an, und Cranat brach in Tränen aus.«
»Dann mußt du doch etwas gehört haben. Du mußt doch eine Ahnung haben, wodurch der Streit entstand?«
»Habe ich nicht. Ich erinnere mich, daß Moen erwähnt wurde und Eber auch. Teafa rief etwas von Scheidung.«
»Verlangte sie, daß Cranat sich von ihrem Bruder scheiden lassen sollte?«
»Vielleicht. Ich weiß es nicht. Cranat lief davon zur Kapelle und suchte Trost bei Pater Gorman.«
Fidelma stellte ihm keine weiteren Fragen, sondern sah sich im Schlafzimmer um und untersuchte es eingehend, ehe sie sich der Verbindungstür und dem Empfangszimmer zuwandte.
»Für einen Taubstummen und Blinden muß Moen eine seltene Gabe besitzen, um sich so leicht im rath zu bewegen.«
Eadulf trat stirnrunzelnd zu ihr.
»Wie meinst du das, Fidelma?« fragte er.
»Schau dir diese Zimmer an, Eadulf. Erst einmal mußte Moen herfinden. Dann mußte er eintreten, sich zu Ebers Zimmer tasten und hineingehen, das Messer an sich nehmen, sein Ziel finden und Eber töten, bevor der Fürst seine Anwesenheit bemerkte. Dazu gehört nicht nur eine Geschicklichkeit, die ich bei einem Menschen mit seinen Behinderungen nicht erwarte.«
Duban hatte das gehört und nahm es übel.
»Willst du die Tatsachen leugnen?« fragte er.
Fidelma sah ihn an.
»Ich will sie lediglich feststellen.«
»Nun, die Tatsachen sind einfach. Moen wurde auf frischer Tat ertappt.«
»Nicht ganz«, verbesserte ihn Fidelma. »Er wurde neben Ebers Leiche angetroffen. Er wurde nicht dabei gesehen, wie er ihn tatsächlich umbrachte.«
Duban warf den Kopf hoch und stieß ein kurzes hartes Lachen aus.
»Wahrhaftig, Schwester, ist das die Logik eines Brehon? Wenn ich ein Schaf mit aufgerissener Kehle finde und daneben einen Wolf mit blutiger Schnauze, ist es dann nicht logisch, den Wolf für die Tat verantwortlich zu machen?«
»Es ist verständlich«, gab Fidelma zu. »Aber es ist kein zwingender Beweis dafür, daß es der Wolf getan hat.«
Duban schüttelte ungläubig den Kopf.
»Willst du behaupten ...?«
»Ich will die Wahrheit herausfinden«, fuhr ihn Fidelma an. »Das ist meine einzige Aufgabe.«
»Nun, wenn du die Wahrheit wissen willst: Es ist im rath allgemein bekannt, daß Moen sich in bestimmten Teilen der Siedlung ohne große Schwierigkeiten bewegen kann.«
»Wie bringt er das fertig?« fragte Eadulf interessiert.
»Ich nehme an, er verfügt über eine Art von Gedächtnis. Er scheint seinen Weg auch riechen zu können.« »Riechen?« fragte Eadulf ungläubig.
»Ihr habt erlebt, wie ihm im Stall sein Geruchssinn verriet, daß Fremde da waren. Er hat einen Geruchssinn wie ein Tier entwickelt. Wenn man ihn in bestimmte Teile des rath bringt, kann er sich darin zurechtfinden. Das weiß jeder hier.«
»Dann ist es also keine Überraschung, daß er seinen Weg hierher finden konnte?«
»Überhaupt keine.«
Eadulf sah Fidelma an und zuckte die Achseln.
»Na, das scheint also kein Rätsel zu sein.«
Fidelma gab keine Antwort. Sie war nicht überzeugt.
»Wo ist das Messer, mit dem Moen Eber erstochen hat?«
»Das habe ich noch.«
»Hat man das Messer identifiziert?«
»Identifiziert?« erkundigte sich Duban verblüfft.
»Hat man festgestellt, wem das Messer gehört?«
»Ich glaube, es ist eins von Ebers Jagdmessern«, erwiderte Duban. Er wies auf eine Wand, an der eine ganze Sammlung von Schwertern und Messern sowie ein Schild hingen. Eine Messerscheide war leer. »Ich sah, daß eins der Messer fehlte, und nahm an, daß Moen es sich gegriffen hatte.«
Fidelma untersuchte die Stelle, auf die Duban gezeigt hatte. Dann wandte sie sich um und trat zur Haupttür. Dort stand sie einen Augenblick mit dem Rücken zur Tür und ging dann um mehrere Möbelstücke herum zu der Wand mit den Messern. Es war ein schwieriger und umständlicher Weg, weil Hindernisse dazwischen lagen. Schließlich langte sie nach der Scheide, drehte sich um und schritt um einen Tisch und eine Bank herum zur Schlafzimmertür.
Sie blieb einen Moment stehen und dachte nach.
»Das Messer möchte ich bald einmal sehen.«
Duban nickte.
»Gut. Und jetzt zeige uns, wo und wie Teafa gefunden wurde.«