Die tiefklingende Glocke der Abtei verkündete das neuerliche Zusammentreten des Gerichts. Es war am frühen Nachmittag, doch die Luft war nicht warm. Die kühlen grauen Granitmauern des Gebäudes schützten sein Inneres vor der Sonne. Die kleine Seitenkapelle der Abtei, die der Gerichtsverhandlung diente, war fast leer. Nur wenige Leute hatten auf den Holzbänken Platz genommen. Dabei hatte sich die Kapelle am Vortag bis zum Bersten gefüllt mit Klägern, Beklagten und Zeugen. Doch an diesem Nachmittag stand nur noch der letzte Fall, der vor diesem Gericht verhandelt wurde, zur Entscheidung an. In den zahlreichen anderen Fällen war bereits das Urteil gesprochen worden.
Die Teilnehmer an dieser letzten Verhandlung, etwa ein halbes Dutzend, erhoben sich respektvoll, als der Brehon, der Richter, eintrat und seinen Platz am oberen Ende des Raumes einnahm. Es war eine Richterin, Mitte bis Ende zwanzig, und sie trug das Gewand einer Nonne. Sie war hochgewachsen, hatte ein hübsches Gesicht und rotes Haar, das sich unter ihrer Kopfbedeckung hervordrängte. Die Farbe ihrer Augen war schwer zu bestimmen, denn sie konnten je nach ihrer Stimmung in eisigem Blau leuchten oder in feurigem Grün funkeln. Ihre jugendliche Erscheinung entsprach nicht der allgemeinen Vorstellung von einem erfahrenen, weisen und gelehrten Richter, aber als sie in den letzten Tagen die Beweislage in verschiedenen Rechtsstreitigkeiten prüfte und abwog, hatte diese so jung wirkende Frau die Parteien vor ihr mit ihren Kenntnissen, ihrer Logik und ihrem Mitgefühl beeindruckt. Schwester Fidelma war tatsächlich eine ausgebildete dalaigh, eine Anwältin an den Gerichten der fünf Königreiche von Eireann. Sie besaß den Rang eines anruth, was bedeutete, daß sie nicht nur Fälle vor dem Richter vertreten, sondern auch, wenn sie dazu berufen wurde, selbst Fälle verhandeln und entscheiden durfte, die nicht die Anwesenheit eines Richters höheren Ranges erforderten. Fidelma war ausgewählt worden, als Richter dem Gericht vorzustehen, das in der Abtei von Lios Mhor tagte. Die Abtei lag außerhalb der »großen Befestigung«, die ihr den Namen gab. Lios Mhor stand am Ufer des ansehnlichen Flusses, der einfach Abhainn Mor, »der große Fluß«, genannt wurde, südlich von Cashel im Königreich Muman.
Der Sekretär der Abtei, der als Gerichtsschreiber fungierte und die Verhandlungen protokollierte, blieb stehen, als Fidelma und die anderen sich setzten. Er hatte eine melancholische Stimme und würde, dachte Fidelma, sich als berufsmäßiger Totenkläger sehr gut machen.
»Die Verhandlung ist hiermit eröffnet. Die Klage von Archü, Sohn der Suanach, gegen Muadnat vom Schwarzen Moor wird fortgesetzt.«
Er ließ sich nieder und warf Fidelma einen erwartungsvollen Blick zu. In der Hand hielt er seinen Schreibgriffel, denn das Protokoll wurde zunächst auf feuchten Ton in einem Holzrahmen geschrieben und nach Beendigung der Gerichtssitzungen auf das dauerhaftere Pergament übertragen.
Fidelma saß hinter einem großen reichgeschnitzten Eichentisch, auf dem ihre Hände mit den Flächen nach unten ruhten. Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück und sah die Beteiligten auf den Bänken vor ihr fest an.
»Archü und Muadnat, bitte tretet vor und stellt euch vor mir auf.«
Ein junger Mann erhob sich eilig. Er war gerade erst siebzehn Jahre alt und kam mit eifriger Miene nach vorn, wie ein Hund, dachte Fidelma, der eine Gunst von seinem Herrn erbetteln will. Der andere Mann stand in mittlerem Alter und hätte fast der Vater des Jungen sein können. Er hatte ein ernstes Gesicht und machte eine beinahe finstere Miene. Von Humor war bei ihm wenig zu spüren.
»Ich habe mir die Argumente angehört, die in diesem Fall vorgebracht wurden«, begann Fidelma und blickte von einem zum anderen. »Ich möchte sehen, ob ich die Tatsachen gerecht formulieren kann. Du, Archü, hast gerade die Volljährigkeit erreicht, das Alter der Entscheidung. Ist das richtig?«
Der Jüngling nickte. Siebzehn Jahre war das Alter, in dem nach dem Gesetz ein Junge ein Mann wurde und seine eigenen Entscheidungen treffen konnte.
»Du bist das einzige Kind von Suanach, die vor einem Jahr starb? Suanach war die Tochter von Muad-nats Onkel?«
»Sie war die einzige Tochter des Bruders meines Vaters«, bestätigte Muadnat barsch und ungerührt.
»Ach ja. Dann seid ihr also Vettern?«
Es gab keine Antwort. Offensichtlich mochten sich die beiden nicht, auch wenn sie verwandt waren.
»Solche engen Verwandten sollten eigentlich nicht das Gericht bemühen, um ihre Streitigkeiten beizulegen«, ermahnte sie Fidelma. »Besteht ihr immer noch auf einem Urteil dieses Gerichts?«
Muadnat schnaubte verächtlich.
»Ich hatte kein Verlangen danach.«
Der junge Mann errötete vor Zorn.
»Ich auch nicht. Es wäre weit besser gewesen, wenn mein Vetter getan hätte, was Recht und Moral erfordern, bevor es so weit kam.«
»Ich bin im Recht«, fuhr Muadnat auf. »Du hast keinen Anspruch auf das Land.«
Schwester Fidelma zog spöttisch die Brauen hoch.
»Anscheinend muß nun doch das Gesetz entscheiden, da ihr beide euch nicht einigen könnt. Ihr habt den Fall vor Gericht gebracht, damit es ein Urteil fällt. Das Urteil dieses Gerichts ist dann bindend für euch beide.«
Sie lehnte sich zurück, faltete die Hände im Schoß und sah beide prüfend an. Zorn stand in ihren erregten Gesichtern.
»Nun gut«, meinte sie schließlich. »Wenn ich es recht verstanden habe, erbte Suanach Land von ihrem Vater. Verbessert mich, wenn ich mich irre. Später heiratete sie einen Mann von jenseits des Meeres, einen Briten namens Artgal, der als Ausländer keinen Grundbesitz mit in die Ehe bringen konnte.«
»Einen mittellosen Ausländer!« knurrte Muadnat.
Fidelma ignorierte ihn.
»Artgal, Archüs Vater, starb vor einigen Jahren. Ist das richtig?«
»Mein Vater fiel im Kampf gegen die Ui Fidgente, im Dienst des Königs von Cashel«, ergänzte Archü voller Stolz.
»Als Söldner«, höhnte Muadnat.
»Dieses Gericht hat nicht die Aufgabe, über die Persönlichkeit Artgals zu befinden«, antwortete Schwester Fidelma spitz. »Es hat nach dem Gesetz zu urteilen. Also Artgal und Suanach hatten geheiratet ...«
»Gegen den Willen ihrer Familie«, warf Muadnat wieder ein.
»Das habe ich schon gehört«, erwiderte Fidelma ruhig. »Geheiratet haben sie jedenfalls. Nach dem Tode Artgals bewirtschaftete Suanach weiter ihr Land und zog ihren Sohn Archü auf. Vor einem Jahr starb Suanach.«
»Und dann kam mein sogenannter Vetter und behauptete, das ganze Land gehöre ihm«, berichtete Archü in bitterem Ton.
»So bestimmt es das Gesetz«, entgegnete Muadnat selbstgefällig. »Das Land hatte Suanach gehört. Als Ausländer besaß ihr Mann kein Land. Als Suanach starb, fiel ihr Land an die Familie zurück, und in dieser Familie bin ich ihr nächster Verwandter. So lautet das Gesetz.«
»Er nahm sich alles«, beklagte sich der junge Mann empört.
»Ich hatte das Recht dazu. Im übrigen warst du noch nicht im Alter der Wahl.«
»Das stimmt«, erklärte Fidelma. »In diesem letzten Jahr war Muadnat als ältestes Mitglied der Familie nach dem Gesetz dein Vormund, Archü.«
»Vormund? Sklavenhalter meinst du«, knurrte der junge Mann. »Ich mußte auf meinem eigenen Land arbeiten und bekam nur meinen Lebensunterhalt. Ich wurde schlechter behandelt als ein Tagelöhner und mußte in den Rinderställen essen und schlafen. Die Familie meiner Mutter sorgte nicht einmal so gut für mich wie für ihre Landarbeiter.«
»Diese Tatsachen habe ich bereits registriert«, seufzte Fidelma geduldig.
»Wir haben keine gesetzliche Verpflichtung dem Jungen gegenüber«, brummte Muadnat. »Wir geben ihm seinen Lebensunterhalt. Dafür sollte er uns dankbar sein.«
»Dazu äußere ich mich nicht«, antwortete Fidelma kühl. »Die Forderung Archüs an dich, Muadnat, richtet sich darauf, daß er einen Teil des Landes, das seiner Mutter gehörte, erben sollte. Ist das so?«
»Das Land seiner Mutter fällt an ihre Familie zurück. Er kann nur das erben, was seinem Vater gehör-te, und als Ausländer besaß sein Vater kein Land, das er ihm vererben konnte. Soll er doch in die Heimat seines Vaters gehen, wenn er Land haben will.«
Fidelma lehnte sich in ihren Sessel zurück, streckte die Hände aus und richtete ihren Blick nun fest auf Muadnat. Ihre feurigen Augen verschleierten sich leicht, ihr Gesicht blieb ausdruckslos.
»Wenn ein Kleinbauer, ein ocaire, stirbt, dann fällt ein Siebentel seines Landes als Steuer an den Fürsten zum Erhalt des Stammesgebiets. Ist das eingetreten?«
»Ja«, warf der Gerichtsschreiber ein und blickte von seinen Protokollnotizen auf. »Die Bestätigung des Fürsten Eber von Araglin liegt vor, Schwester.«
»Gut. Dann ist die Entscheidung, die dieses Gericht zu treffen hat, klar.«
Fidelma wandte sich langsam Archü zu.
»Deine Mutter war die Tochter und das einzige Kind eines Kleinbauern, eines ocaire. Bei seinem Tode war sie die weibliche Erbin und besaß ein lebenslanges Nutzungsrecht an dem Land ihres Vaters. Normalerweise kann sie dieses Land nicht ihrem Ehemann oder ihren Söhnen vererben, sondern es fällt bei ihrem Tode an die nächsten Verwandten innerhalb ihrer Sippe zurück.«
Muadnat richtete sich auf, und zum ersten Mal lok-kerte sich seine finstere Miene und wich einem zufriedenen Ausdruck. Triumphierend sah er den jüngeren Mann an.
»Aber«, fuhr Fidelmas Stimme plötzlich in eisigem Ton durch die Halle, »wenn ihr Ehemann ein Ausländer war, und in diesem Fall war er ein Brite, dann besaß er kein Land im Stammesgebiet. Deshalb konnte er seinem Sohn nichts vererben. Unter diesen Umständen ist das Gesetz eindeutig, und es war unser großer Richter Brig Briugaid, der das Urteil fällte, auf das sich das Gesetz gründet. Es lautet, daß unter diesen Umständen die Mutter das Land ihrem Sohn vererben kann, allerdings mit einer Einschränkung. Von ihrem Land kann sie ihm nur soviel vererben, wie der Gegenwert von sieben cumals beträgt, der die Mindestgröße an Land darstellt, von der an jemand als ocaire oder Kleinbauer gilt.«
Es trat ein Schweigen ein, in dem Kläger und Beklagter versuchten, das Urteil zu begreifen. Fidelma hatte Mitleid mit ihren ratlosen Gesichtern.
»Das Urteil fällt zu deinen Gunsten aus, Archü«, lächelte sie dem jungen Mann zu. »Dein Vetter hat das Land zu Unrecht inne, da du nun das Alter der Wahl erreicht hast. Er muß dir Land im Gegenwert von sieben cumals abtreten.«
Muadnat zog ein langes Gesicht.
»Aber . aber das Land, um das es geht, ist ja kaum größer als sieben cumals. Wenn er sieben cumals bekommt, bleibt nichts davon für mich übrig.«
Fidelma redete mit ihm wie eine Lehrerin mit einem Schüler.
»Nach dem alten Gesetz Crith Gablach bilden sieben cumals den Grundbesitz eines ocaire, auf den Archü Anspruch hat«, belehrte sie ihn. »Da du insoweit gegen das Gesetz verstoßen hast, als Archü keine andere Wahl blieb, als seinen Anspruch hier vor Gericht vorzubringen, mußt du diesem Gericht eine Gebühr von einem cumal zahlen.«
Muadnats Gesicht wurde kreidebleich vor Zorn.
»Das ist eine Ungerechtigkeit!« murrte er.
Fidelma ließ sich von seiner Wut nicht erschüttern.
»Rede mir nicht von Ungerechtigkeit, Muadnat. Du bist mit diesem jungen Mann verwandt. Als seine Mutter starb, wäre es deine Pflicht gewesen, für ihn zu sorgen und ihn zu beschützen. Du hast versucht, ihm das zu nehmen, was ihm nach dem Gesetz zustand, hast ihn ohne Bezahlung für dich arbeiten lassen und ihn gezwungen, schlechter zu leben als ein Sklave. Ich bin nicht sicher, ob du überhaupt weißt, was Gerechtigkeit ist. Es wäre gerecht, wenn ich dich verurteilte, ihm eine Entschädigung für das zu zahlen, was du ihm angetan hast. Mein Urteil ist noch gnädig ausgefallen.«
Die kalten Worte Fidelmas ließen den Mann zusammenzucken, als habe ihn der Strom ihrer Verachtung körperlich getroffen.
Er schluckte schwer.
»Ich werde bei meinem Fürsten Eber von Araglin Einspruch gegen dieses Urteil erheben. Das Land gehört mir! Du wirst noch von mir hören.«
»Ein Einspruch kann nur beim Obersten Richter des Königs von Cashel eingelegt werden«, unterbrach ihn der Gerichtsschreiber trocken, während er das Urteil ausfertigte. Er legte seinen Schreibgriffel beiseite und bemühte sich, es dem verärgerten Beklagten zu erklären. »Wenn ein Brehon ein Urteil fällt, gehört es sich nicht für dich, den Brehon zu beschimpfen. Falls du Einspruch einlegen willst, mußt du das in gebührender Form tun. Inzwischen, Muadnat vom Schwarzen Moor, bist du an das Urteil gebunden und mußt das Land deinem Vetter Archü überlassen. Kommst du dem nicht binnen neun Tagen nach, kannst du mit Gewalt davon vertrieben werden. Ist dir das klar? Und deine Strafe von einem cumal muß bis zum Aufgang des nächsten Vollmonds entrichtet sein.«
Ohne ein weiteres Wort wandte sich Muadnat ab und schritt rasch und schweigend aus der Kapelle. Ein kleiner muskulöser Mann mit einer kastanienbraunen Mähne erhob sich und folgte ihm verlegen.
Archüs Miene zeigte, daß er dem Urteil kaum glauben konnte. Er beugte sich über den Tisch vor, ergriff Fidelmas Hand und schüttelte sie kräftig.
»Gott segne dich, Schwester. Du hast mir das Leben gerettet.«
Fidelma schenkte dem begeisterten jungen Mann ein dünnes Lächeln.
»Ich habe lediglich ein Urteil nach dem Gesetz gefällt. Hätte das Gesetz anders gelautet, hätte ich gegen dich urteilen müssen. Im Gericht spricht das Gesetz, nicht ich.«
Sie entzog ihm ihre Hand. Der junge Mann schien ihr kaum zugehört zu haben, denn jetzt wandte er sich, immer noch freudig lächelnd, ab und lief in den Hintergrund der Kapelle, wo ein junges Mädchen sich erhob und ihm fast in die Arme stürzte. Fidelma lächelte wehmütig, als sie sah, wie die beiden jungen Menschen sich an den Händen hielten und anschauten.
Dann wandte sie sich rasch ihrem Gerichtsschreiber zu.
»Ich glaube, das war der letzte Fall, den wir zu verhandeln hatten, nicht wahr, Bruder Donnan?«
»Ja. Ich trage die Urteile heute noch ein und sorge dafür, daß sie in gebührender Form bekanntgemacht werden.« Der Gerichtsschreiber hielt inne, räusperte sich und senkte die Stimme. »Ich glaube, der Abt steht an der Tür und möchte dich sprechen.«
Mit einer nervösen Kopfbewegung wies er auf die Tür der Kapelle. Fidelma wandte sich um. Tatsächlich wartete der breitschultrige Abt Cathal dort an der Tür. Fidelma stand sofort auf und ging zu ihm hin.
»Suchst du mich, Pater Abt?«
Abt Cathal war ein wohlgebauter, kräftiger Mann in mittlerem Alter mit einer militärischen Haltung, denn in seiner Jugend war er zum Krieger ausgebildet worden. Er stammte aus dieser Gegend und hatte die militärische Laufbahn aufgegeben, sich unter der Leitung des heiligen Cathach in Lios Mhor religiös unterweisen lassen und war zu einem anerkannten und hervorragenden Lehrer und Abt aufgestiegen. Cathal war der Sohn eines großen Kriegsfürsten, aber er hatte seinen ganzen Reichtum unter den Armen seines Stammes aufgeteilt und lebte in der bescheidenen Armut seines Ordens. Sein einfaches und direktes Handeln schuf ihm auch Feinde. Einmal hatte ein Fürst dieser Gegend, Maelochtrid, ihn gefangengesetzt unter der vorgeblichen Beschuldigung, er betreibe Zauberei. Doch nach seiner Freilassung hatte Cathal ihm vergeben. Ein solcher Mensch war er.
Fidelma mochte Cathal, weil er so sanftmütig und frei von jeder Eitelkeit war. Damit stand er in einem erfreulichen Gegensatz zu dem Hochmut im Amt, dem sie so oft begegnete. Cathal war einer der wenigen Kirchenmänner, den sie ohne Zögern als »heilig« bezeichnen würde.
»Ich suche dich tatsächlich, Schwester Fidelma«, antwortete der Abt mit einem raschen, warmen Lächeln. »Hat das Gericht seine Verhandlungen beendet?«
Seine Stimme klang weich, beinahe ausdruckslos, doch Fidelma spürte, daß etwas Außergewöhnliches geschehen sein mußte.
»Wir haben gerade beim letzten Fall das Urteil gesprochen, Pater Abt. Gibt es ein Problem?«
Abt Cathal zögerte.
»Zwei Reiter sind in der Abtei eingetroffen. Einer davon ist ein Ausländer. Sie kommen aus Cashel und suchen dich.«
»Ist meinem Bruder etwas passiert?« fragte Fidelma sofort, denn das war ihr erster Gedanke. War ihrem Bruder Colgü etwas zugestoßen, dem jüngst eingesetzten König von Muman, dem größten der fünf Königreiche in Eireann?
»Nein, nein. Dein Bruder, der König, ist wohlauf«, versicherte ihr der Abt. »Entschuldige meine ungeschickte Ausdrucksweise. Komm mit mir in mein Zimmer, dort wirst du erwartet.«
Neugierig gemacht, eilte Fidelma jetzt so schnell neben der höheren Gestalt des Abts her, wie es ihre Würde gestattete.
Einst ein kleiner verschlafener Winkel, war Lios Mhor, das große Haus, wie es genannt wurde, plötzlich berühmt geworden, als erst vor einer Generation der heilige Cathach von Rathan dorthin gezogen war und ein neues Kloster gegründet hatte. In kurzer Zeit hatte sich Lios Mhor zu einem der führenden Zentren theologischer Ausbildung entwickelt. Wie die meisten großen Abteien in Irland war es ein gemischtes Haus, ein conhospitae, in dem Mönche und Nonnen gemeinsam wohnten, arbeiteten und ihre Kinder im Dienste Christi erzogen.
Während sie die Kreuzgänge des Klosters durchschritten, machten die Studenten, Mönche und Nonnen dem Abt ehrfürchtig Platz und verbeugten sich höflich. Die Studierenden waren junge Männer und Frauen aus vielen Ländern, die zur Ausbildung in die fünf Königreiche kamen. An der Tür zu den Gemächern des Abts blieb Cathal stehen, öffnete sie und ließ Fidelma den Vortritt.
Ein großer älterer Mann von imponierender Erscheinung stand hinter dem Tisch des Abts. Er wandte sich mit einem breiten Lächeln um, als Fidelma eintrat. Trotz seines silbergrauen Haares und seines offenkundigen Alters sah er noch gut aus und wirkte energisch. Er trug eine goldene Amtskette über dem Mantel. Hätte ihn nicht schon sein Äußeres ausgezeichnet, so verriet die Amtskette seinen hohen Rang.
Fidelma erkannte ihn sofort.
»Beccan! Wie schön, dich wiederzusehen.«
Der Oberrichter erwiderte ihr Lächeln. Er trat auf sie zu und ergriff ihre beiden Hände.
»Es freut mich immer, Fidelma, jemanden zu sehen, der Zuneigung ebenso wie berufliche Achtung verdient.«
Seine Worte und seine warme Begrüßung entsprangen nicht dem Protokoll, sondern echtem Gefühl.
Fidelma hörte ein Hüsteln in ihrem Rücken und wandte sich forschend um. Dort stand ein Mönch, die Hände in seine grobgesponnenen braunen Wollge-wänder gewickelt. Seine Tonsur war anders als die des heiligen Johannes, wie sie von den Mönchen der fünf Königreiche von Eireann getragen wurde. Es war eine römische Tonsur. Sein Gesicht war ernst, aber seine dunkelbraunen Augen funkelten vor Vergnügen, als er sich grüßend vor ihr verneigte.
»Bruder Eadulf!« flüsterte Fidelma überrascht. »Ich dachte, du wärst in Cashel und dientest meinem Bruder?«
»Das tat ich auch. Aber es gab wenig zu tun in Cashel, und als ich hörte, daß Beccan dich hier aufsuchen wollte, erbot ich mich, ihn zu begleiten.«
»Mich hier aufsuchen?« Fidelma erinnerte sich plötzlich an die Worte des Abts. »Was ist denn los?«
»Es gibt einige beunruhigende Nachrichten, Schwester«, begann Beccan ernst. Dann zuckte er die Achseln und lächelte entschuldigend. »Verzeih, erst sollte ich dir sagen, daß es deinem Bruder gut geht in seiner
Hauptstadt Cashel. Er sendet dir die herzlichsten Grüße.«
Fidelma machte sich nicht die Mühe, ihm zu erklären, daß Abt Cathal ihr schon mitgeteilt hatte, daß mit ihrem Bruder alles in Ordnung war.
»Was ist dann also die beunruhigende Nachricht?«
Beccan zögerte einen Moment, wie um seine Gedanken zu ordnen.
»Gestern abend kam ein Bote des Stammes von Eber von Araglin nach Cashel.«
Der Name war Fidelma sofort vertraut, sie erinnerte sich sogleich daran, daß er in dem letzten Fall vorkam, in dem sie an diesem Nachmittag das Urteil gesprochen hatte. Eber war der Fürst des Gebiets, aus dem Archü und sein mitleidsloser Vetter gekommen waren, um ihr Gericht anzurufen.
»Sprich weiter«, sagte sie schuldbewußt, denn Bec-can hatte wieder innegehalten, als er merkte, daß ihre Gedanken abschweiften.
»Der Bote berichtete, daß Eber und eine seiner Verwandten ermordet worden seien. Jemand wurde am Tatort gefaßt.«
»Was hat das mit mir zu tun?« fragte Fidelma.
Beccan machte eine entschuldigende Geste.
»Ich bin im Auftrage deines Bruders auf dem Wege nach Ros Ailithir. Es ist eine dringende Angelegenheit, und ich kann mir nicht die Zeit nehmen, nach Araglin zu gehen und eine ordentliche Untersuchung anzustellen. Dein Bruder, der König, legt Wert darauf, daß der Fall sofort untersucht und Recht gesprochen wird. Eber von Araglin war immer ein guter Freund von Cashel, und dein Bruder hält es für angebracht ...«
Den Rest konnte sich Fidelma denken.
»Daß ich nach Araglin gehe«, schloß sie den Satz mit einem Seufzer. »Nun, hier bin ich fertig. Morgen wollte ich zu meinem Bruder nach Cashel. Es spielt wohl keine große Rolle, ob ich dort ein oder zwei Tage später ankomme. Aber ich verstehe nicht so ganz, was es in Araglin noch zu untersuchen gibt, wenn der Schuldige schon gefaßt ist, wie du sagst. Bestehen denn Zweifel an seiner Schuld?«
Beccan schüttelte nachdrücklich den Kopf.
»Nicht, daß ich wüßte«, versicherte er ihr. »Mir wurde berichtet, der Mörder sei mit einem Dolch in der Hand und in blutbefleckter Kleidung gefaßt worden, wie er sich über die Leiche Ebers beugte. Dein Bruder jedoch .«
Fidelma schnitt eine Grimasse.
»Ich weiß. Eber war ein Freund Cashels, und Gerechtigkeit muß fair geübt werden.«
»Es gibt keinen Brehon in Araglin«, warf Abt Ca-thal ein, um die Situation zu erklären. »Es geht mehr darum, für ein ordentliches Gerichtsverfahren zu sorgen.«
»Gibt es Grund zu der Annahme, daß es das nicht geben könnte?«
Abt Cathal breitete die Hände aus, als hielte er die Frage für nicht so eindeutig zu beantworten.
»Nach allem, was man hört, war Eber ein sehr beliebter Fürst und stand im Rufe der Freundlichkeit und Großzügigkeit. Anscheinend mochten ihn seine Leute. Es könnte die Neigung bestehen, den Schuldigen zu bestrafen, ohne sich genau an das Recht und den Buchstaben des Gesetzes zu halten.«
Fidelma begegnete einen Moment seinem besorgten Blick. Cathal kannte die Bergbewohner rings um Lios Mhor besser als andere, denn er gehörte zu ihnen. Sie nickte kurz zum Zeichen, daß sie seine Besorgnis verstand.
»Ich habe bei meiner Gerichtsverhandlung erlebt, daß zumindest ein Mann vom Stamme Araglin wenig Achtung vor dem Gesetz besitzt«, erinnerte sie sich. »Erzähl mir mehr von den Menschen von Araglin, Pater Abt.«
»Da gibt es wenig zu berichten. Sie sind ein eng verbundenes Volk, das im allgemeinen für Außenstehende nicht viel übrig hat. Ebers Stamm lebt hauptsächlich in den Bergen um eine Ansiedlung herum, die der rath des Fürsten von Araglin genannt wird. Seine Ländereien erstrecken sich nach Osten am Fluß Ara-glin, der das Tal durchzieht. Es ist reiches Ackerland. Ebers Stamm hält zusammen und mißtraut allen Fremden. Es wird für dich keine leichte Aufgabe sein.«
»Du sagtest, sie haben keinen Brehon? Haben sie wenigstens einen Priester?«
»Ja, Pater Gorman wohnt im rath. Dort gibt es eine Kapelle, die Cill Uird genannt wird, die Kirche des Rituals. Er lebt seit zwanzig Jahren unter den Leuten von Araglin. Ausgebildet wurde er hier in Lios Mhor.
Er wird dir sicher wertvolle Hilfe leisten können, obgleich er gewisse dogmatische Ansichten über die Verbreitung des Glaubens hat, über die du wahrscheinlich anderer Ansicht bist.«
»Wie das?« erkundigte sich Fidelma interessiert.
Cathal antwortete mit einem entwaffnenden Lächeln.
»Ich meine, es ist besser, wenn du das selbst herausfindest, damit ich dich nicht beeinflusse.«
»Ich vermute, er befürwortet die römischen Gebräuche«, seufzte Fidelma.
Abt Cathal verzog das Gesicht.
»Du besitzt viel Scharfblick, Schwester. Ja, Pater Gorman gibt den römischen Sitten den Vorzug vor unseren einheimischen. Er erhält dabei einige Unterstützung, denn er hat in Ard Mor eine römische Kapelle erbaut, die durch ihre Pracht Berühmtheit erlangt. Pater Gorman scheint über reiche Anhänger zu verfügen.«
»Dennoch wohnt er immer noch an einem so einsamen Ort wie Cill Uird«, bemerkte Fidelma. »Das ist eigenartig.«
»Suche nicht nach Geheimnissen, die es gar nicht gibt«, tadelte sie Abt Cathal, doch mit einem Lächeln. »Pater Gorman stammt aus Araglin, aber er meint, er müsse auch seine Interpretation des Glaubens verbreiten.«
Beccan betrachtete amüsiert ihre trübsinnige Miene. Er schüttelte neckend den Kopf.
»Dein Problem, Fidelma von Kildare, besteht darin, daß du zu gut bist in deinem Beruf. Deine Weisheit ist schon sprichwörtlich geworden in allen fünf Königreichen von Éireann.«
»Die Vorstellung gefällt mir überhaupt nicht«, brummte Fidelma. »Ich diene dem Gesetz nicht zu meinem persönlichen Ruhm. Ich diene ihm, um den Menschen Gerechtigkeit zu bringen.«
»Und dadurch, daß du das tust, Fidelma, wirst du bekannt als ein gerechter Mensch mit der Fähigkeit, umstrittene Probleme zu lösen. Aus deinen Erfolgen erwächst dein Ruf. Damit mußt du dich abfinden. Doch jetzt ...«
Er wandte sich entschlossen zu Abt Cathal um.
»Muß ich mich auf den Weg machen, wenn ich vor Tagesende noch nach Ard Mor kommen will. Vive valeque, Cathal von Lios Mhor.«
»Vive, vale, Beccan.«
Mit einem raschen Lächeln für Fidelma und einem Nicken zu Eadulf hin verschwand er und hatte den Raum verlassen, fast ehe sie es wahrnahmen.
Fidelma wandte sich neugierig an Bruder Eadulf.
»Begleitest du Beccan nicht? Wohin gehst du von hier, Eadulf?«
Der dunkeläugige Mönch, der viele ihrer Abenteuer mit ihr bestanden hatte, blieb ungerührt.
»Ich dachte, ich gehe mit dir nach Araglin, das heißt, wenn du nichts dagegen hast. Ich würde gern diesen Teil des Landes kennenlernen, ich habe ihn noch nie gesehen.«
Fidelmas Lippen verzogen sich zu einem schelmischen Lächeln bei dieser diplomatischen Antwort Ea-dulfs, die offenkundig so formuliert war, um jeden neugierigen Gedanken abzuwenden, den der Abt hegen mochte.
Eadulf war durch Erbfolge in das Amt eines gerefa oder Friedensrichters bei seinem Volke, den Angelsachsen, gelangt. Der irische Missionar Fursa hatte ihn zum Christentum bekehrt und zur Ausbildung an die großen Hochschulen in Eireann geschickt. Zuerst hatte er am Kloster Durrow studiert und dann die berühmte medizinische Hochschule in Tuaim Brecain besucht. Danach war Eadulf von der Kirche Colmcil-les zur Kirche von Rom übergewechselt. Er wurde der Sekretär Theodores, des von Rom ernannten neuen Erzbischofs von Canterbury. Theodore schickte ihn wieder nach Irland als seinen Gesandten bei Fidelmas Bruder Colgü von Cashel. Eadulf war in den fünf Königreichen völlig zu Hause und sprach fließend Irisch.
»Du kannst mich gern begleiten, Eadulf«, antwortete sie leise und fügte hinzu: »Hast du ein Pferd?«
»Dein Bruder hat mir freundlicherweise eines für die Reise zur Verfügung gestellt.«
Normalerweise ritten Mönche und Nonnen nicht, wenn sie reisten. Daß Fidelma ein Pferd besaß, hatte seine Ursache in ihrem Rang und ihrem Amt als Bre-hon bei Gericht.
»Ausgezeichnet. Vielleicht können wir sogleich unsere Reise antreten. Wir haben noch mehrere Stunden Tageslicht.«
»Wäre es nicht besser, bis morgen früh zu warten?« meinte Abt Cathal. »Vor Einbruch der Nacht kommt ihr nicht mehr bis Araglin.«
»Irgendwo am Wege wird es schon eine Herberge geben«, antwortete Fidelma mit sicherer Überzeugung. »Wenn zu befürchten ist, daß Ebers Leute vorschnell etwas gegen den Beschuldigten unternehmen, ohne sich an das Gesetz zu halten, dann sollte ich mich so schnell wie möglich nach Araglin begeben.«
Cathal stimmte zögernd zu.
»Wie du meinst, Fidelma. Doch in den Bergen ist es nicht gut, ohne Obdach von der Nacht überrascht zu werden.« Dem Abt war aber wohl bewußt, daß er nicht mit einer einfachen Nonne sprach, sondern mit der Schwester seines Königs. Was sie beschloß, das konnte er mit seiner Machtbefugnis nicht ändern. »Ich werde einen Bruder anweisen, euch mit Essen und Trinken für die Reise zu versorgen und eure Pferde tränken und satteln zu lassen.«
Abt Cathal erhob sich und verließ das Zimmer.
Als sich die Tür hinter ihm schloß, verwandelte sich Fidelmas ernstes Gesicht völlig. Sie wandte sich um und ergriff die Hände des angelsächsischen Mönchs. Überschäumende Freude funkelte in ihren grünblauen Augen. Diese natürliche Fröhlichkeit in ihrem frischen, hübschen Gesicht hätte selbst den düstersten Einsiedler verwundert fragen lassen, weshalb eine so attraktive junge Frau sich für das Klosterleben entschieden hatte. Ihre hohe, wohlgebildete Gestalt schien eher nach einer aktiven und freudigen Rolle im
Leben zu verlangen als nach dem eng umgrenzten Bezirk einer religiösen Gemeinschaft.
»Eadulf! Ich hatte doch gehört, du wärst auf dem Rückweg in das Land der Angelsachsen?«
Eadulfs Miene hatte sich zu einem verlegenen Lächeln verzogen angesichts ihrer Begeisterung, ihn wiederzusehen.
»Vorläufig noch nicht. Als ich hörte, daß Beccan sich auf die Suche nach dir machte, um dich mit diesem Auftrag nach Araglin zu schicken, sagte ich zu deinem Bruder, ich würde gern etwas mehr von diesem Land sehen und seine Rechtspflege beobachten. Das liefert mir einen Vorwand, noch etwas länger hier zu bleiben.«
»Es ist schön, daß du gekommen bist. Ehrlich gesagt, ich hab mich hier in Lios Mhor ziemlich gelangweilt. Es wird mir guttun, in die Berge zu gehen, in ihre klare Luft, und jemanden zu haben, mit dem ich über dies und jenes reden kann ...«
Eadulf lachte. Es war ein angenehmes, freundliches Lachen.
»Ich weiß schon, was für eine Art von Reden du meinst«, antwortete er spitz.
Nun war es an ihr, zu lachen. Ihr hatten die Diskussionen gefehlt, die sie mit Eadulf führte. Sie hatte es vermißt, daß sie ihn mit ihren gegensätzlichen Meinungen und Philosophien necken konnte und er gutmütig jeden Köder schluckte, den sie ihm hinhielt. Sie stritten sich heftig, aber es gab keine Feindschaft zwischen ihnen. Beide lernten daraus, daß sie gegenseitig ihre Interpretationen der Moralgrundsätze der Gründerväter ihres Glaubens prüften und leidenschaftlich ihre Vorstellungen vom Leben vertraten.
Eadulf wurde plötzlich ernst, als er ihr in das freudige Gesicht blickte.
»Mir haben unsere Gespräche auch gefehlt«, sagte er leise.
Sie schauten einander schweigend an, und dann ging plötzlich die Tür auf, und Abt Cathal kam herein. Verlegen traten sie auseinander.
»Alles klar. Die Verpflegung wird bereitgestellt. Ihr habt übrigens Glück. Wie ich höre, ist ein Bauer aus Araglin hier und will sich gerade auf den Rückweg machen. Er kann euch als Führer dienen.«
Fidelma sah ihn zögernd an.
»Ein Bauer? Ist er jung oder älter?« erkundigte sie sich vorsichtig.
Abt Cathal starrte sie einen Moment verdutzt an und zuckte dann die Achseln.
»Er ist jung, und er hat ein junges Mädchen bei sich. Spielt das eine Rolle?«
»In diesem Falle nicht.« Fidelma wiegte den Kopf in stiller Belustigung. »Wäre der Bauer älter gewesen, dann hätte es allerdings eine Rolle gespielt. Weißt du«, erklärte sie dem sichtlich verwirrten Abt, »ich habe gerade ein Urteil gegen einen Bauern im mittleren Alter gefällt, einen gewissen Muadnat. Dem wäre meine Gesellschaft bestimmt nicht recht gewesen.«
Abt Cathal schien es immer noch nicht ganz zu begreifen.
»Aber jeder muß doch ein Gerichtsurteil akzeptieren.« Er konnte sich anscheinend nicht vorstellen, daß ein Urteil nach dem Gesetz Zorn auslösen könne.
»Nicht jeder nimmt so etwas mit guter Miene auf, lieber Abt«, erwiderte Fidelma. »Aber ich glaube, nun wird es Zeit, daß Bruder Eadulf und ich uns auf den Weg machen.«
Abt Cathal ließ sie sichtlich ungern ziehen.
»Vielleicht sehen wir uns heute zum letzten Mal, Fidelma, sicher aber für einige Zeit.«
»Wie das?« fragte sie interessiert.
»In der nächsten Woche breche ich zu einer Pilgerfahrt ins Heilige Land auf. Das war mein Ziel schon seit vielen Jahren. Bruder Nemon wird hier meine Stelle als Abt einnehmen.«
»Ins Heilige Land?« fragte Fidelma, aus ihrer Stimme klang Sehnsucht. »Dorthin möchte ich eines Tages auch einmal. Ich wünsche dir viel Freude auf deiner Fahrt, Cathal von Lios Mhor. Möge Gott auf allen deinen Wegen bei dir sein.«
Sie streckte dem Abt die Hand entgegen, der sie fest ergriff und drückte.
»Und möge Er dich bei deinen Urteilen erleuchten, Fidelma von Kildare«, antwortete der Abt feierlich. Er lächelte sie beide nacheinander an und hob leicht die Hand zum Segen. »Bis zum Ende des Weges: Frieden und Sicherheit.«