9

Arthag war zutiefst beunruhigt. Lange hatte er verhandeln müssen, bis ihm die Priesterschaft von Xorlosch endlich gestattet hatte, die Heilige Halle zu betreten, das größte Zwergenheiligtum Aventuriens. Der Legende nach hatte Angrosch in dieser riesigen, natürlichen Höhle die ersten vom Volk der Zwerge erschaffen; für gewöhnlich wurde nur denen, die auch in Xorlosch geboren waren, Zutritt zu diesem Heiligtum gewährt. Doch das goldene Siegel mit dem Greifenkopf hatte ihm selbst hier Tür und Tor geöffnet. Als Bergkönig Tschubax und die Priester endlich akzeptiert hatten, daß er ein offizieller Bote des Kaiserreiches war und seine Nachforschungen von größter Wichtigkeit für den Ausgang des Krieges mit den Orks sein konnten, machten sie Zugeständnisse.

Aber erst, als er erklärt hatte, er wolle den Menschen die heldenhafte Rolle, die das Zwergenvolk einst bei der Befreiung von Saljeth spielte, wieder ins Gedächtnis rufen, hatte man seinem Anliegen stattgegeben, in der heiligen Halle die 49 Schriftsäulen zu studieren, auf denen die Geschichte der letzten fünftausend Jahre des Zwergenvolkes verzeichnet stand. Arthag wurde jeden Tag von Tschubax persönlich zu den Säulen hinabgeführt, und abends diskutierte der Bergkönig mit ihm über die Auslegung der Schrift. Nyrilla, die Elfe, wurde nicht in den heiligen Berg gelassen. Sie war in einem Gastzimmer am Grund des Felskraters untergebracht worden; Arthag hatte sie schon seit Tagen nicht mehr gesehen.

Wieder versuchte sich der Zwerg in die Bilderschrift auf der Säule vor ihm zu vertiefen. Das Angram war eine der ältesten und geheimnisumwittertsten Schriften. Sie bestand aus Bildern und vieldeutigen Symbolen, so daß fast jede Textpassage verschiedene Interpretationen zuließ. Manchmal hatte Arthag den Eindruck, daß es einfach nur darauf ankam, mit welchen Erwartungen man an die verschlüsselte Schrift ging und so auch nur das fand, was man insgeheim lesen wollte.

Tschubax hatte ihn mehrfach ausdrücklich vor der Gefahr gewarnt, die von diesen verwirrenden Hieroglyphen ausging.

Ganz am äußersten Ende der Säulenreihe kauerte ein Zwerg, dessen genaues Alter niemand mehr kannte. Selbst die Ältesten konnten sich nicht an Zeiten erinnern, in denen dieser Zwerg noch nicht vor den Schriftsäulen gehockt hatte. Die intensive Beschäftigung mit den Geheimnissen seines Volkes hatte ihm den Verstand verwirrt. Tschubax war sich sicher, daß der Greis mehr über die Vergangenheit Deres wußte als irgend ein anderer Zwerg; vielleicht hatte er sogar das Geheimnis der Unsterblichkeit in den alten Schriften gefunden. Wie sonst war sein ungeheuerliches Alter zu erklären? Doch bislang hatte es niemand gewagt, ihm nachzueifern. Selbst die kundigsten Priester mieden es, häufiger als alle paar Wochen für wenige Stunden Textpassagen auf den Säulen zu studieren.

Der Zwerg, dessen Namen niemand mehr kannte, murmelte unablässig unverständliches Kauderwelsch vor sich hin. Arthag spitzte seine Ohren, um dem Raunen des Wahnsinnigen zu lauschen:

»... hylailische Pyromanie ... bosparanische Interfäkalarkainiden ... paranoide Habilitationsphobien ... paramilitanter Populismus ... marginaler Deforationsästhetizismus ...«

Arthag gab es auf und konzentrierte sich wieder auf die Schriftzeichen. Wenn man diesem Unsinn länger zuhörte, mußte selbst das gesündeste Zwergenhirn krank werden.

Erneut versuchte der Amboßzwerg, die Schriftzeichen um diese angsteinflößende Gestalt zu entziffern, die er an diesem Morgen auf der Rückseite der 27. Säule eingemeißelt gefunden hatte. Eine entfernt menschenähnliche Kreatur, die in ihren erhobenen Händen zwei Herzen hielt. Nur wenige Zeilen höher befand sich das Schriftzeichen für Saljeth. In derselben Textpassage schien von einem Hügel die Rede zu sein; König Ramoxosch von Lorgolosch wurde erwähnt. Doch der Zwerg konnte den Sinn der Schrift nicht entschlüsseln. Wie sollte er auch? Er war ein Krieger und kein Gelehrter.

Arthag hatte Kopfschmerzen. Sollte er vielleicht schon zu viel gelesen haben? Konnte es ein, daß dieses alte Wissen auch ihm schon die Sinne verwirrte? Er würde seine Arbeit für heute beenden.

Müde schlich der Zwerg durch die endlosen Gänge des unterirdischen Teils von Xorlosch und verkroch sich in seiner kleinen aus dem Felsen gehauenen Kammer. In ein paar Stunden, wenn die Sonne versunken war, würde Tschubax kommen, um wieder mit ihm zu reden.


Der König besuchte Arthag an diesem Abend ebenso wie an den Tagen zuvor ohne Gefolge. Tschubax trug schlichte Gewänder und machte einen etwas verschrobenen Eindruck, so wie die Gelehrten der Menschen, die zu viel Zeit mit dem Studium alter Schriften verbrachten und sich in Notzeiten kaum ihrer Haut zu erwehren vermochten.

Tschubax hatte seinen eigenen Bierkrug mitgebracht. Ein mächtiges Gefäß aus schwerem Silber. Der König schritt zu dem großen Bierfaß an der Rückwand der kleinen Gästekammer, die Arthag bewohnte, und schenkte sich ein. Dann ging er hinüber zu dem schöngeschnitzten Lehnstuhl, der eigens für den Gebrauch durch den König schon am ersten Abend ihrer Unterredungen in die kleine Kammer getragen worden war. Bedächtig ließ er sich auf dem thronartigen Holzsessel nieder und musterte Arthag eine Weile, bevor er sprach.

»Weißt du, die Menschen sind ein junges Volk, kurzlebig und voller eitler Allüren.« König Tschubax strich sich nachdenklich durch seinen Bart. »Die Geschichte um Saljeth oder um Greifenfurt, wie sie diesen Ort heute nennen, ist ein Musterbeispiel dafür. Zuallererst haben die Schwarzpelze diesen Hügel nahe dem Fluß besiedelt, der jetzt Breite heißt. Es muß zu Zeiten des großen Drachenkrieges gewesen sein, in den Tagen, als unsere Geschichtsschreibung auf den Säulen der Heiligen Halle noch jung war, als dieser Ort vernichtet wurde.

Viele Zwergengenerationen lang war der Hügel dann verwaist, bis schließlich die Großlinge dort siedelten, denn der Platz war günstig gelegen. Es gab eine Furt über den Fluß, und bei Hochwasser ist die Breite bis zu dieser Stelle schiffbar. Rundherum war reichlich fruchtbares Ackerland, so wurden die Bewohner des alten Saljeth schnell reich.

Der einzige Schatten über dem Glück der Siedler waren die stetigen Angriffe der Schwarzpelze auf ihre Stadt. Es mag wohl an die zweihundertfünfzig Jahre vor dem Untergang des Kaiserhauses von Bosparan gewesen sein, als die Orken wieder einmal die nördlichen Städte des Menschenreiches überrannten und sich diesmal für länger dort einrichteten. Damals führte Nargazz Blutfaust vom Stamm der Ghorinchai die Schwarzpelze. Wann die Orken Greifenfurt eroberten, weiß man nicht mehr, doch errichteten sie dort eine mehr als hundert Jahre währende Herrschaft und die Stadt wurde zum Zentrum ihres Blutkultes.«

Arthag hatte dem König mit zunehmender Verwunderung zugehört und nutzte nun die Gelegenheit, als Tschubax aus seinem Bierhumpen trank, um eine Frage zu stellen: »Sagt, ehrwürdige Majestät, wie kommt es, daß unsere Urahnen so sorgfältig die Geschichte eines zu unkultivierten Volkes aufgeschrieben haben?«

Tschubax räusperte sich. »Nun, mein Junge, ich muß einräumen, daß dies wohl alles etwas später niedergeschrieben worden ist. Bald stellte sich nämlich heraus, welch große Bedeutung diese Ereignisse für unser Volk haben sollten.«

Wie um Arthag auf die Folter zu spannen, machte der Bergkönig noch einmal eine Pause, um einen tiefen Schluck zu nehmen, dann fuhr er fort: »Väterchen Ramoxosch, der dritte Bergkönig, der diesen Namen trug, trat seine Regierung an, als die Orken sich schon seit einigen Jahrzehnten in Saljeth festgesetzt hatten. Lange ließ er durch Kundschafter das Treiben der Schwarzpelze beobachten. Immer wieder aufs neue schlugen die Orks die Armeen des alten Kaiserreichs und rückten mit jedem Jahr weiter nach Süden vor. Ganze Heerscharen gefangener Menschen wurden nach Saljeth gebracht, ohne die unheilige Stadt jemals wieder zu verlassen. Als sich absehen ließ, daß die Großlinge dieser Plage nicht mehr Herr werden konnten, rief Ramoxosch unsere Völker zum Kriege, denn die Barbaren standen schon nahe unserer nördlichsten Minen. Boten wurden in alle Bergkönigtümer entsandt, und es dauerte mehr als fünf Jahre, bis Ramoxosch seine Armee um sich versammelt hatte, denn er wählte nur die besten zu diesem Kriegszug aus, und beharrte darauf, daß alle mit neuen Waffen ausgerüstet würden. Schließlich umfaßte unsere Streitmacht mehr als fünfhundert Äxte, und Ramoxosch marschierte nach Norden.« Wieder machte Tschubax eine Pause. Die Augen des Königs glänzten vor Begeisterung. Arthag war froh, daß der Herrscher sich so viel Zeit für ihn nahm. Er wußte, daß der König sein Leben mehr der Erforschung der Geschichte als der Regierung seines Volkes gewidmet hatte und deshalb mehr über die Vergangenheit wußte als irgendein anderer, der ihm Rede und Antwort stehen mochte.

»Nun«, fuhr Tschubax fort. »Weil Ramoxosch III. ein König mit besonderen militärischen Qualitäten war, brach er nicht etwa nach Saljeth oder zu einer der anderen von Orks besetzten Siedlungen auf, sondern zog mit seiner verwegenen Schar nach Norden, um zunächst das Mutterland der Schwarzpelze zu verwüsten.«

»Entschuldigung, Eure Majestät, aber war es nicht so, daß Ramoxosch eigentlich nach den Schätzen von Umrazim, der versunkenen Zwergenstadt im Orkland, suchte?«

»Junge, du solltest dir merken, daß man einen älteren Zwerg nicht unterbricht, wenn er eine Geschichte erzählt. Einmal will ich dir diese Respektlosigkeit durchgehen lassen, doch beim nächsten Mal breche ich meine Erzählung ab, und du magst sehen, wo du dein Wissen herbekommst. Das Gerücht, daß Ramoxosch eigentlich zur Suche nach Umrazim gerüstet hatte, ist Unsinn. Eine Geschichte, die die Menschen erfunden haben, um den Glanz unseres Sieges zu trüben, so wie sie noch viele andere Dinge taten, damit in Vergessenheit geriet, was damals bei Saljeth wirklich geschah ...

Doch wo war ich stehengeblieben?«

»Bei Ramoxoschs Marsch in den Norden«, entgegnete Arthag, der verlegen auf den steinernen Boden der kleinen Felskammer blickte.

»Ja, so ist es mein Sohn. Ich erinnere mich wieder. Nun, der alte Ramoxosch hatte wohl schon mehr Lederzelte niederbrennen lassen, als Xorlosch Tunnel hat, und mehr Scharmützel geschlagen, als der älteste Zwerg seines Gefolges an Sommern gesehen hatte, da gelang es den Schwarzpelzen, ihm den Nachschub abzuschneiden. Für eine Weile konnte sein Heer noch von denjenigen Söhnen Tulams versorgt werden, die sich, als selbst die Berge noch jung waren, in den Norden begeben hatten, doch dann mußte der König zurück. Er durchquerte die Thaschberge und den Finsterkamm und erreichte schließlich den Quell der Breite. Immer wieder war sein Heer unterwegs von orkischen Wegelagerern aus dem Hinterhalt beschossen worden, doch wie du weißt, mein Sohn, kann nichts außer Angrosch ein marschierendes Zwergenheer aufhalten. Schließlich durchquerte man die Ebene, weil man glaubte, daß sich am Zusammenfluß von Breite und Ange das Hauptheer der Orken sammeln würde.

Doch keiner dieser Räuber ließ sich in diesem Landstrich blicken. So marschierte Ramoxosch, nachdem Nachschub und frische Truppen aus den Koschbergen eingetroffen waren, wieder die Breite hinauf, bis er wenige Meilen vor Saljeth in hügeligem Gelände in einen Hinterhalt geriet. Mehr Orks, als es Grashalme im Yaquirtal gibt, bestürmten den Schildwall, den unsere Ahnen auf einer Hügelkuppe bildeten. Vier Tage lang versuchten sie unsere Armee zu vernichten. Dann endlich waren ihre Verluste so groß, daß sie sich zurückziehen mußten. An diesem ruhmreichen Tag, über den du in keinem der Bücher, die die Menschen auf vergängliches Pergament und Papier schreiben, wirst lesen können, erlitten die Schwarzpelze ihre erste Niederlage, seit sie unter Nargazz Blutfaust ins Reich der Menschen eingefallen waren.«

Tschubax seufzte. Dann stand der Zwerg auf, nahm seinen Bierhumpen vom Tisch, ging zu dem Faß, das in der Ecke der kleinen Kammer stand, und füllte sich reichlich nach.

Arthag war froh, daß der Bergkönig so ins Plaudern geraten war. Der Amboßzwerg wollte mehr über Greifenfurt wissen und nicht Details über einen Feldzug ins Orkland, den Ramoxosch unternommen hatte. Nun sah es wenigstens so aus, als würde der König langsam zum Wesentlichen kommen. Die letzten Abende hatte Tschubax mit ihm über alles mögliche geplaudert. Ihre Gespräche begannen zwar stets mit Greifenfurt und der Geschichte der Menschen, doch über die Interpretation bestimmter vieldeutiger Runen, die Arthag auf den Säulen gefunden hatte, verloren sie sich immer wieder in weitschweifige Gespräche über Angrosch, die Zwölfgötter und die Geschichte des Zwergenvolkes.

Deshalb war Arthag diesmal anders vorgegangen. Er ließ zunächst den König reden. Fragen würde er ihm später stellen.

Inzwischen hatte Tschubax sich wieder auf dem hochlehnigen Sessel niedergelassen, nahm einen langen Zug und fuhr dann in seiner Erzählung fort.

»Nachdem Ramoxosch und seine Mannen den Orks ordentlich das Fell gegerbt hatten, beschlossen sie, den Schwarzröcken in Greifenfurt endgültig den Garaus zu machen. Sie folgten ihren geschlagenen Gegnern, die sich nach Saljeth zurückgezogen hatten. Die Stadt hatte damals noch keine steinernen Mauern, doch sie war durch mehrere hintereinanderliegende Erdwälle gesichert. Auf dem Hügel, der heute wohl inmitten der Siedlung der Menschen liegen muß, hatten die Orks Hunderte von Feldzeichen aufgestellt. Man konnte die zerrissenen Fahnen menschlicher Regimenter sehen und unzählige der mit Schädeln geschmückten roten Banner, die die Orkstämme im Kriege mit sich führen. Der oberste der Orkhäuptlinge war dort und alle wichtigen Schamanen seines Stammes. Doch das focht unsere Ahnen nicht an. Bei der Furt nahe dem Hügel durchquerten sie bis zu den Helmriemen im Wasser die Breite und vertrieben die Orks zunächst von der kleinen Felseninsel, die vor der Stadt liegt. — Heute steht dort die Burg des Markgrafen von Greifenfurt. — Nun ja, noch bevor der Troß mit Verpflegung und Ausrüstung nachgeholt werden konnte, tauchten unzählige Schwarzpelze aus dem hohen Gras westlich des Flusses auf und setzten mit Pfeilen alles in Brand.

Gleichzeitig schwollen auf unnatürliche Weise die Wasser der Breite an, so daß es Ramoxosch und der Hauptmacht unmöglich war, ihrem Troß zu Hilfe zu eilen. Von der Insel mußten sie hilflos mit ansehen, wie Zwerge, Troßknechte und Lasttiere niedergemacht wurden.

Danach traktierten die Schamanen Ramoxosch und seine Mannen mit allerlei götterlästerlichen Zaubern, doch unsere Geoden bereiteten dem Spuk schnell ein Ende.

Wohl oder übel mußte Ramoxosch nun warten, bis die Wasser des Flusses wieder sanken, während die Orks seine Mannen mit Pfeilen überschütteten. Ein törichtes Unternehmen, wurden sie so doch zur Beute unserer Armbrustschützen. Als der letzte Bolzen abgefeuert war, beschlossen Ramoxosch und seine Offiziere, noch die Nacht auszuharren, um im Morgengrauen den Fluß zu überqueren. Der Bergkönig schwor als erster zu gehen, selbst wenn ihm das Wasser des Flusses bis über die Zacken seiner Krone reichen würde.

Als am nächsten Morgen die Sonne so rot über dem Horizont aufstieg, als sei sie glühendes Eisen aus Ingerimms göttlicher Esse, da trat Ramoxosch in den Fluß, dicht gefolgt von den Männern seines Clans.

Noch während der König sich durch die grauen Fluten kämpfte, tauchten überraschend von Westen her Bogenschützen und eine Handvoll Reiter auf, um den Schwarzpelzen in den Rücken zu fallen. Doch in ihrer Verstocktheit wandten sich die Orks nicht etwa den neuen Feinden zu, sondern sie überschütteten unsere Ahnen, die durch die Breite wateten, mit Wolken von Pfeilen, und Oger schleuderten große Felsbrocken in die Schar um Ramoxosch.

Als der Kampf um die Furt schon bis zum Mittag andauerte und der Bergkönig mit seinen Kriegern noch immer nicht recht am anderen Ufer Fuß gefaßt hatte, stieß aus dem grauen Himmel über dem Schlachtfeld, inmitten eines gleißenden Lichtstrahls, ein Greif hinab. Der Götterbote segelte auf Schwingen, groß wie die Flügel eines Drachen über die Furt, und fuhr mitten unter die Orks. Dort tötete er ihren König und verbreitete Panik, so daß es Ramoxosch und seinen Getreuen endlich gelang, über den Fluß zu kommen.

Die Hauptmacht der Orks war damit geschlagen, doch die Häuptlinge und Priester vom Stamm der Ghorinchai zogen sich in ein weitverzweigtes Tunnelgeflecht zurück, das die Schwarzpelze unter dem Erdhügel am Fluß angelegt hatten.

Nur wenige der Elfen und noch weniger Menschen wagten sich in diese Erdhöhlen, in denen die Orks ihren Göttern huldigten. Dort trafen sie auf einen mächtigen Priester, der als Waffe einen Streitkolben in Form einer Dämonenklaue führte. Immer wieder wurden die Angreifer von den Orks zurückgeschlagen. Es wird von Überlebenden berichtet, denen mit der Klaue Wunden geschlagen wurden, die niemals mehr verheilten, so daß sie binnen weniger Tage dahinsiechten. Viele Helden unseres Volkes gingen unter diesem Hügel in den Tod.

Schließlich mußten Ramoxosch und Tasilla Abendglanz, der König der Elfen, einsehen, daß dieser Priester und seine Getreuen nicht zu besiegen waren. So machte sich dann eine kleine Gruppe mit dem Greifen auf, um die Höhlen auf immer zu verschließen. Der Erzzwerg Furgal führte sie, und als sie auf den Priester der Orks trafen, stellte sich ihm der Greif zum Kampf. Furgal blies inzwischen in sein Hörn, so daß die Gänge erbebten, während der Elfenmagier einen Zauberstein legte, um den Eingang zu der Kulthöhle der Orks auf immer zu verschließen.

So jedenfalls war der Plan. Keiner weiß, was im Hügel wirklich geschah, denn Furgal, der Elf und der Greif wurden nie mehr gesehen. Als der Zwergenheld sein Hörn blies, erbebte der Erdhügel, als habe ihn Angroschs Faustschlag getroffen, und alle Eingänge, bis auf einen, wurden verschüttet.

Als die Schrecken der Schlacht noch frisch waren, schloß Ramoxosch mit den Elfen einen Pakt, die Orks so lange zu bekriegen, bis das Reich der Menschen wieder frei sei. Zum Gedenken an Furgal und die anderen toten Helden errichteten die Zwerge einen Turm, der der Torturm genannt wurde und den letzten unverschütteten Eingang in den Hügel versperrte. Die Geoden legten einen mächtigen Zauber auf das Gemäuer, daher war es unmöglich, es vom Inneren des Hügels her aufzubrechen.

Das Elfenvolk errichtete einen kleinen, aber fein gemeißelten Torbogen, der zwei Dryaden zeigt. Durch diese Pforte sollen jene toten Helden zurückkehren, die nicht den Weg ins Jenseits gefunden haben, um die Orks zu strafen, wenn jemals wieder ein Schamane die Dämonenwaffe führt. Die Menschen aber erbauten einen Altarstein auf der Mitte des Hügels, den sie zum Gedenken an den Greifen ihrem obersten Gott Praios weihten.

Als die Völker der Elfen und Zwerge in diesem Krieg ihre Waffen niederlegten, waren die Gebiete der Menschen wieder befreit und die Schwarzpelze bis weit in den Norden zurückgetrieben. Vom Stamme der Ghorinchai, der einst der mächtigste unter den Orks war, hat man bis auf den heutigen Tag nichts mehr gehört. Es mag sein, daß es noch einige Wegelagerer mit dem Blut dieses Volkes gibt, doch unsere Ahnen haben sie lange durch alle Länder des Nordens verfolgt und so sehr in alle Winde zerstreut, daß sich nie mehr genügend Ghorinchai fanden, um einen neuen Stamm zu gründen.«

Tschubax machte eine Pause in seiner Erzählung. Wieder strich er nachdenklich durch seinen Bart.

Arthag wagte nicht, ihn anzusprechen; er war sich jedoch nicht sicher, ob die Geschichte nun endete.

Nach langem Schweigen fuhr Tschubax schließlich fort. »Sehr lehrreich für alle Zwerge ist die Art, wie uns von den Menschen gedankt wurde. Die Schlacht von Saljeth ist unter ihnen kaum bekannt, obwohl sie den Wendepunkt in der Herrschaft der Orks über den Norden markiert. Die wenigen Quellen, in denen überhaupt von der Schlacht die Rede ist, behaupten ein Greif, den Praios geschickt habe, hätte die Orks fast alleine vernichtet, und ohne seine Hilfe seien sowohl unsere als auch die Truppen der Elfen geschlagen worden.

Aus diesem Grunde haben Praios-Priester den Ort später in Greifenfurt umbenannt und ihrem Gott zu Ehren einen großen Tempel auf der Mitte des Hügels errichtet, unter dem einst das Ork-Heiligtum lag. Unsere Mahnmale an die Schlacht aber sind verschwunden. Man sagt, der Torturm wurde zu einem Teil der Stadtmauer, wohingegen der Bogen, den die Elfen errichteten, wohl von den Großlingen zerschlagen wurde.

Wie du siehst, mein Sohn, ist es töricht, sich allzusehr in die Belange der Menschen einzumischen, denn eines wirst du dadurch gewiß nicht erringen; ihren Dank und ihre Achtung. Vielleicht sind die Menschen aber auch zu kurzlebig, denn um solche Gefühle wirklich zu entwickeln, braucht es Zeit, wie unser Volk weiß.«

Erneut herrschte Schweigen in der kleinen Kammer. Vieles von dem, was Tschubax erzählte, hatte Arthag in den letzten Tagen schon selbst herausgefunden. Doch eine Frage brannte noch immer in ihm, so heiß wie das Feuer in der Esse des göttlichen Angrosch. Lange wartete er, bis er es endlich wagte, den Bergkönig anzusprechen.

»Immer wieder habe ich heute ein Schriftzeichen gefunden, das einen Dämon zeigt, der in jeder Hand ein Herz trägt. Was bedeutet diese Hieroglyphe?«

»Sag mir erst, was du denkst, mein Sohn. Du weißt, daß die Deutung dieser Schrift sehr stark von dem abhängt, was man in ihr lesen will. Ich habe mir schon vor vielen Jahren meine Meinung zu dem Zeichen gebildet. Deshalb rede nun erst du.«

Arthag räusperte sich etwas verlegen, ehe er schließlich begann. Lange hörte der Zwergenkönig ihm zu, und immer häufiger schüttelte er unwillig das Haupt. Der Zwerg sprach zwar nicht ungebührlich zu seinem König, doch war das, was er von der Belagerung Greifenfurts zu berichten hatte, gepaart mit den Schlußfolgerungen, die er aus dem Runentext gezogen hatte, so schreckenerregend, daß Tschubax dem Zwerg noch an diesem Abend auftrug, so schnell wie möglich mit der Elfe in die belagerte Stadt zurückzukehren.

Zu ihrem Schutze befahl er den sieben erfahrensten Schülern aus der Schule des Drachenkampfes, aus der schon unzählige Helden hervorgegangen waren, Nyrilla und Arthag auf ihrem Weg zurück nach Greifenfurt zu begleiten, um sich mit ihnen den Gefahren zu stellen, die sie in den verfallenen Höhlen tief unter der Stadt erwarten mochten.

Wieder in seinen königlichen Gemächern setzte Tschubax ein Schreiben an den Prinzen Brin auf und erläuterte darin, warum um jeden Preis verhindert werden mußte, daß Greifenfurt noch einmal von den Orks erobert wurde und welche Gefahr für alle kultivierten Volker Aventuriens tief unter diesen Mauern liegen mochte.

Schweren Herzens schrieb er dann noch einen zweiten Brief an Arombolosch, Sohn des Agam und Bergkönig von Waldwacht. Allein Arombolosch hätte die Macht und das Ansehen, um Tschubax, Sohn des Tuagel, den Titel eines Hochkönigs und obersten Heeresmeisters aller Zwerge streitig zu machen. Nach Recht und Tradition stand Tschubax, dem Herrscher des ältesten Zwergenvolks und Königs der wichtigsten Stadt aller Angroschim, dieser Titel zu. Doch wußte er selbst nur zu gut, daß seine Ansprüche selbst von den Zwergen seines eigenen Volkes belächelt wurde.

Allein in seinem Palastgemach, nahm Tschubax die Krone ab, die ihm nach dem Gesetz des Blutes zugefallen war. Er hatte die Herrschaft nie angestrebt, und jeder sah in ihm mehr den Gelehrten als den Krieger und Herrscher. Doch er würde seine ererbten Rechte hüten. Und wenn es nötig war, auch darum streiten. In diesen Zeiten brauchte das Volk der Zwerge einen Hochkönig, der um die Geheimnisse der Vergangenheit wußte und nicht irgendeinen Krieger und meisterhaften Schmied so wie Arombolosch. Vielleicht würde der König der Amboßzwerge dies ja einsehen? Doch die Aussichten darauf waren gering. Tschubax verfiel in tiefes Grübeln und fand in dieser Nacht keine Ruhe mehr.

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