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„Oh, nein“, sagte Abrams. „Ich danke der Regierung untertänigst für dieses großzügige Angebot, aber es würde mir nicht im Traum einkommen, soviel Mühe und Ausgaben zu verursachen. Gewiß, die Botschaft hat keine Flugmaschine für mich übrig, aber das Schiff, mit dem wir gekommen sind, die ›Dronning Margrete‹, hat zwei Maschinen an Bord ihrer beiden großen Beiboote. Ich bin überzeugt, daß Graf Hauksberg mir eine dieser im Moment ungenutzten Maschinen für meinen persönlichen Bedarf überlassen wird. Es gibt keinen Grund, Ihre Abteilung zu belästigen.“

Der Merseier am anderen Ende der Leitung warf seine Hände in einer Geste des Entsetzens hoch, daß Abrams sich ein Lachen verbeißen mußte. „Aber gewiß gibt es einen! Der Herr Oberst ist genauso wie Graf Hauksberg Gast unserer Regierung. Wir dürfen uns nicht diskreditieren, indem wir versäumen, Ihnen unsere Gastfreundschaft zu erweisen, soweit es in unseren Kräften steht. Morgen wird eine Maschine für Ihren persönlichen Gebrauch eintreffen. Die Verzögerung ist darauf zurückzuführen, daß sie für Ihren Bedarf mit neuen Sitzen und abgeänderten Bedienungsanlagen ausgerüstet werden mußte. Sie kann sechs Passagiere aufnehmen, besitzt Schlafgelegenheiten und eine kleine Kombüse, die mit allem versehen ist, was wir Ihnen hier bieten können. Sie ist nicht nur für den Luftraum geeignet, sondern Sie können damit auch Planetenumkreisungen machen und, wenn es nötig sein sollte, sogar den entferntesten unserer Monde ansteuern. Ich bitte um Ihr Einverständnis.“

„Verehrter Kollege“, sagte Abrams strahlend, „ich bitte meinerseits darum, daß Sie in Vertretung Ihrer Regierung meinen aufrichtigsten Dank entgegennehmen.“

Sobald er die Verbindung unterbrochen hatte und die Mattscheibe dunkel wurde, platzte er laut heraus. Natürlich konnten die Merseier ihn nicht unbewacht herumfliegen lassen, es sei denn, sie hätten die Möglichkeit, in seinem Transportmittel Abhörgeräte unterzubringen. Und selbstverständlich erwarteten sie, daß er nach solchen Anlagen suchte.

Das tat er denn auch, obgleich er wußte, daß es unnötig war. Nachlässigkeit hätte nur Verdacht erregt. Den Merseiern, die seine schöne neue Maschine ablieferten, erläuterte er die Durchsuchung mit der Notwendigkeit, daß er sich über die Funktionen der Bordanlagen informieren müsse. Die Abhörspezialisten der Botschaft, die er als Helfer angefordert hatte, durchsuchten die Maschine fachgerecht und stellten zu ihrer Verwunderung fest, daß keine Abhöreinrichtung an Bord war. Abrams wußte es besser, und er überzeugte sich auf sehr einfache Weise von der Richtigkeit seiner Annahme: Er wartete, bis er allein an Bord war, dann fragte er. Die Methode, wie man das Ding verborgen hatte, erfüllte ihn mit Bewunderung.

Aber von da an rannte er gegen Wände aus Gummi. Die Tage kamen und gingen, die langen, siebenunddreißigstündigen Tage Merseias. Er verbrachte sie fast alle im Konferenzzimmer des Schlosses Afon, wo Hauksberg und sein Stab mit Brechdans Beamten verhandelten. Gewöhnlich zog man ihn hinzu, weil ein Merseier um Aufklärung irgendwelcher Trivialitäten ersuchte, die mit Starkad zusammenhingen. Hatte er seine Erklärung abgegeben, konnte Abrams nicht wieder gehen. Das Protokoll verbot es. Er mußte dasitzen und zuhören, während die Verhandlung sich fortschleppte, Fragen, Gegenfragen, stundenlanges Gefeilsche um Belanglosigkeiten der Tagesordnung. Die Merseier verstanden es, Verhandlungen endlos in die Länge zu ziehen.

Einmal, als sie zusammen in die Botschaft zurückkehrten, brachte Abrams die Rede auf diese Ermüdungstaktik. „Ich weiß“, entgegnete Hauksberg ungehalten. Er wurde allmählich hager und hohläugig. „Sie sind sehr mißtrauisch gegen uns. Nun, ich muß sagen, nicht ganz ohne Grund. Wir müssen guten Willen zeigen und beharrlich sein. Solange geredet wird, wird nicht geschossen.“

„Auf Starkad wird geschossen“, brummte Abrams. „Unsere Admiralität wird nicht in alle Ewigkeit abwarten, bis Brechdan seine Kommata gezählt hat.“

„Morgen geht ein Kurier ab, dem ich einen Zwischenbericht mitgebe. Wir kommen ja voran, vergessen Sie das nicht. Merseia ist stark an einem Abkommen über regelmäßige gemeinsame Beratungen auf Ministerebene interessiert.“

„Ja. Eine großartige Idee“, knurrte Abrams verstimmt. „Das wird unseren Versöhnungsaposteln zu Hause politisches Oberwasser geben, solange es Brechdan gefällt, das Spiel mitzuspielen. Ich dachte, wir seien hergekommen, um die Sache mit Starkad zu regeln.“

„Und ich dachte, ich sei der Chef dieser Mission“, versetzte Hauksberg. „Überlassen Sie die Wahl der Verhandlungstaktik gefälligst mir, Oberst. Ich habe Ihnen bereits auseinandergesetzt, daß die erste und wichtigste Aufgabe der Abbau des Mißtrauens sein muß. Nur so kann man Meinungsverschiedenheiten beilegen.“

* * *

An Tagen, da er nicht einer Konferenz beiwohnen mußte, ging Abrams in Bibliotheken und führte Gespräche mit Einheimischen. Die Merseier zeigten sich äußerst höflich und hilfsbereit. Sie überhäuften ihn mit Büchern und Zeitschriften. Beamte, Offiziere und Wissenschaftler gewährten ihm stundenlange Interviews. Aber er erfuhr praktisch nichts von dem, was er wissen wollte.

Auch das war eine Art Hinweis. Das Fehlen genauer Informationen über die frühen Reisen der Merseier in die Region Saxo mochte an einer gewissen Schlamperei bei der Archivierung oder der Aufzeichnung liegen, wie Brechdan angedeutet hatte. Aber Stichproben zeigten Abrams, daß die Dokumentation bei anderen Planeten besser war. Starkad schien irgendeine geheime Bedeutung zu haben.

Anfangs hatte Abrams sich bei seiner mühseligen Arbeit von Flandry helfen lassen. Dann kam eine Einladung. Ob Fähnrich Flandry geneigt sei, den Planeten in Gesellschaft einiger junger Merseier seines Alters und Ranges zu bereisen, um diese Welt besser kennenzulernen und um der Verständigung zwischen den beiden Rassen zu dienen?

„Würde Ihnen das gefallen?“ fragte Abrams.

Flandry richtete sich hinter dem Schreibtisch auf und hielt sein schmerzendes Kreuz. „Und ob. Im Moment ist mir so zumute, daß ich am liebsten jede Bibliothek des Universums bombardieren möchte. Aber Sie brauchen mich hier, nehme ich an.“

„Das stimmt. Das Ganze kommt mir wie ein Trick vor, mit dem man mich noch mehr lahmlegen will. Aber Sie können trotzdem gehen.“

Flandry gaffte. „Ist das Ihr Ernst?“

„Klar. Wir sind hier kaltgestellt. Vielleicht können Sie etwas entdecken.“

„Danke, Chef!“ Flandry sprang auf. Seine Augen leuchteten.

„Langsam, junger Freund. Das wird kein Erholungsurlaub für Sie. Sie müssen den dekadenten Taugenichts spielen. Halten Sie Augen und Ohren offen, aber plappern Sie ruhig drauflos. Stellen Sie Fragen, hauptsächlich dumme. Und bohren Sie nicht, damit man nicht denkt, Sie spielten den Spion.“

Flandry furchte die Stirn. „Uh… ich glaube, es würde komisch aussehen, wenn ich nicht hinter Informationen her wäre. Besser wäre es vielleicht, wenn ich mich dabei ungeschickt und tölpelhaft anstellte.“

„Gut. Sie lernen schnell. Ich wünschte, Sie hätten mehr Erfahrung, aber jeder muß mal anfangen, und ich fürchte, Sie werden sowieso nichts von Bedeutung herausbringen. Also verschaffen Sie sich Erfahrung.“

Abrams sah den Jungen davonstürzen. Mochte die Reise auch zu sonst nichts gut sein, würde sie doch die Fähigkeiten des Fähnrichs weiter unter Beweis stellen. Wenn Flandry sich bewährte, würde Abrams ihn wahrscheinlich eigenhändig den Wölfen vorwerfen müssen.

Denn die Dinge durften nicht so lange in der Schwebe gehalten werden, wie es Brechdan gefiel. Gerade jetzt lagen potentielle Möglichkeiten in der Luft, die nur ein Verräter ungenutzt lassen würde. Nun, da die Dinge sich so entwickelt hatten, daß die Delegation für unbestimmte Zeit auf Merseia festgehalten wurde, konnte Abrams seine Chancen nicht so wahrnehmen, wie er es geplant hatte. Die klassisch-saubere Operation mußte in eine Explosion umgewandelt werden.

Und Flandry war der Zünder.

* * *

Wie fast jede intelligente Spezies hatten auch die Merseier in ihrer geschichtlichen Vergangenheit Tausende von Sprachen und ein Dutzend verschiedene Kulturen entwickelt. Und wie es auch auf der Erde gekommen war, hatte eine die anderen überflügelt und schließlich aufgesaugt. Zu einer absoluten Gleichheit der Rassen war es allerdings nicht gekommen, und darin mochte der Grund zu suchen sein, daß Lannawar es nur zum Gefreiten gebracht hatte und im Moment eine Art Offiziersbursche für die anderen Mitglieder der Gruppe war. Vielleicht fehlte ihm auch der Ehrgeiz, denn er war zweifellos fähig, was sein nahezu unerschöpfliches Repertoire an Geschichten aus seinen Raumfahrerjahren bewies. Und er war auch ein liebenswerter und gutmütiger Kerl.

Er saß gemütlich mit Flandry und Tachwyr zusammen, dessen Rang etwa dem eines Leutnants entsprach. Flandry hatte sich rasch an das legere Verhältnis gewöhnt, das zwischen Offizieren und Mannschaften der merseiischen Streitkräfte herrschte. Statt strenger Trennung, wie sie auf irdischen Schiffen üblich war, gab es eine Vertrautheit, bei der die Offiziere zwar lenkten, aber keine scharfe Kontrolle ausübten.

„Ich sage euch“, dröhnte Lannawar, „Yon war ein seltsamer Planet, und froh war ich, als ich das letzte von ihm sah. Aber irgendwie, ich weiß nicht, war unseres danach nie wieder ein glückliches Schiff. Nichts ging mehr ganz richtig, versteht ihr? Ohne gegen Kapitän oder Mannschaft zu sprechen, ich war froh über die Versetzung zur Bedh-Ivrich. Runei der Wanderer war ihr Kapitän, und weit hat er uns auf Forschungsfahrt geführt.“

Tachwyrs Schwanzspitze zuckte, und er öffnete den Mund. Irgend jemand war immer in der Nähe, um Lannawars Schwatzhaftigkeit zu bremsen. Flandry, der kaum auf die Erzählung geachtet hatte, wurde mit einemmal munter. Er kam Tachwyr mit seinem Ausruf einen Sekundenbruchteil zuvor. „Runei? Derselbe Runei, der jetzt Fodaich auf Starkad ist?“

„Was?… Ja, ich glaube, der ist es.“ Die Augen im tätowierten grünen Gesicht blinzelten. Eine dicke Hand fuhr in den aufgeknöpften Uniformrock und kratzte den Bauch. „Nicht, daß ich viel darüber wüßte. Ich hatte nie von Starkad gehört, bis ich erfuhr, daß ihr Terraner gekommen seid.“

„Also hat Runei selbst gar nicht an den ersten Reisen nach Starkad teilgenommen?“ fragte Flandry.

„Nein, Freund. Damals haben wir die Region Rigel erforscht.“ Lannawar griff nach seinem Krug, in dem eine Art Bier schäumte.

„Ich könnte mir denken“, sage Flandry, „daß man sich unter Raumfahrern viele Geschichten erzählt, wenn man von Zeit zu Zeit zusammenkommt, in einer Taverne oder so.“

„Was sonst sollte man sich erzählen? Außer wenn uns gesagt wurde, wir sollten die Schnauzen über das halten, was wir gesehen hatten. Nicht leicht, das, glaub mir, Freund! Nicht, wenn man alle anderen in Grund und Boden prahlen könnte.“

„Sicher hast du viel über die Region Beteigeuze gehört?“ versuchte Flandry es noch einmal.

Lannawar hob seinen Krug, wodurch ihm Tachwyrs mahnender Blick entging. Aber sein Faden war abgerissen, und der Offizier nahm das Ende geschickt auf.

„Bist du wirklich an Anekdoten interessiert, Freund? Ich fürchte, daß uns der gute Lannawar sonst nichts bieten kann.“

Flandry zuckte die Achseln. „Mich interessiert alles, was ich über die Region Beteigeuze hören kann. Schließlich grenzt sie an unser Imperium, und ich habe dort in der Nähe gedient, auf Starkad. Vermutlich werde ich wieder hinkommen. Darum bin ich dankbar für alles, was ihr mir erzählt.“ Lannawar setzte den Krug ab, um nach Luft zu schnappen, und Flandry wendete sich an ihn. „Wenn du selbst niemals dort warst, Freund, kennst du vielleicht einen, der die Gegend kennt. Ich möchte natürlich keine Geheimnisse, nur Geschichten.“

Lannawar wischte sich mit dem Handrücken Bierschaum vom Mund. „Nicht viele, die dorthin gefahren sind. Entweder sind sie verstreut oder gestorben. Da war zum Beispiel der alte Ralgo Tamuar, mein Freund aus der Rekrutenzeit. Der war oft dort. Wie der lügen konnte! Aber er ist jetzt in einer der Kolonien, laß mich sehen, welche war es noch?“

„Yqan Lannawar.“ Tachwyr sprach ruhig, ohne erkennbare Betonung, aber Lannawar merkte sofort auf. „Ich glaube, wir lassen das Thema fallen. Die starkadische Situation ist kompliziert und verfahren. Wir versuchen unserem Gast Freunde zu sein, und ich hoffe, daß es uns auch gelingt, aber über diesen Streitfall zu reden, errichtet nur Hindernisse, wo keine sein sollten. Ich nehme an“, setzte er mit einem Seitenblick auf Flandry hinzu, „unser Freund pflichtet uns darin bei?“

„Wie du meinst“, murmelte Flandry.

Verdammt! Er war auf der richtigen Fährte gewesen. Er hätte geschworen, daß die Witterung stimmte. Die Enttäuschung machte ihn krank. Was er eben gehört hatte, war eine Andeutung gewesen, daß die früheren Expeditionen nach Starkad etwas Großes und Besonderes gefunden hatten. Als Resultat hatte sich Verschwiegenheit wie eine Decke darüber gesenkt. Offiziere und Mannschaften, die Bescheid wußten, waren aus dem Blickfeld verschwunden. Ermordet? Nein, sicherlich nicht. Die Merseier wäre nicht die ameisenartigen Monstren, als die sie von der irdischen Propaganda hingestellt wurden. Um einem Raumfahrer den Mund zu schließen, brauchte man ihn nur zu versetzen oder ihm als Alterssitz irgendein behagliches Exil zuzuweisen, das er selbst nie als solches ansehen würde. Selbst für den Posten des Kommandeurs auf Starkad hatte man offenbar einen Offizier gewählt, der nichts über die Geschichte seines Bestimmungsortes wußte und auch später nicht die versteckte Wahrheit erfahren konnte. Ja — und Flandry steigerte sich fieberhaft in seine Vorstellung hinein —, abgesehen von den Teilnehmern an jenen frühen Expeditionen, die nicht mehr zählten, wußten vielleicht nur ein paar Wesen im Universum alles!

Tachwyr gehörte jedenfalls nicht zu ihnen, soviel war klar. Er und seine Kameraden hatten lediglich Befehl, Flandry von gewissen Themen abzubringen. Er glaubte an ihre Aufrichtigkeit und fühlte, daß ihre Freundschaft zu ihm echt war und daß sie von ganzem Herzen für eine friedliche Lösung aller gegenwärtigen Streitfragen waren. Sie waren gute und anständige Burschen, und er fühlte sich ihnen mehr zugehörig als manchen Menschen.

Trotzdem dienten sie dem Feind, dem wirklichen Feind, ob er nun Brechdan Ironrede hieß oder anders, der etwas Monströses in Bewegung gesetzt hatte, etwas vage Vermutetes und darum um so Bedrohlicheres.

Ich habe nichts herausgebracht, was Abrams nicht schon vermutet hat, dachte Flandry. Aber ich habe ein paar neue Hinweise für ihn. Vier Tage noch, bis ich sie ihm geben kann.

Sein Mund war immer noch trocken. „Wie wär's mit einer neuen Runde?“ fragte er.

* * *

„Wir machen einen Ausflug“, sagte Abrams.

„Wie bitte?“ Flandry zwinkerte.

„Einen kleinen Vergnügungsausflug. Glauben Sie nicht, daß ich auch ein bißchen Entspannung verdient habe? Da wäre zum Beispiel der Getwydh-Wald, ein Gebiet, wo unsere Bewegungsfreiheit nicht beschränkt ist.“

Flandry blickte an der untersetzten Gestalt seines Chefs vorbei aus dem Fenster. Ein Gartenroboter rasselte mit seinen Schermessern über den Rasen. Ein Sekretär des diplomatischen Stabes stand draußen auf einer der Wohnkuppeln und flirtete gelangweilt mit der Frau des Marineattachés. Hinter ihnen stießen Ardaigs alte Türme in den Himmel. Der Nachmittag war heiß und still.

„Sehr gut, Chef“, sagte er.

Sie verließen das Büro und gingen zum Landeplatz, und Flandry fühlte ein Kribbeln sein Rückgrat überlaufen. Die merseiischen Techniker kamen regelmäßig zu Inspektionen der Luxusmaschine, aber an diesem Nachmittag hielt ein einziger Mann vom Sicherheitspersonal der Botschaft Wache. Neidvoll sah er zu, wie Abrams und Flandry an Bord des langen, blauen, tropfenförmigen Ungetüms gingen. Abrams schloß die Tür und schritt voraus in den Salon. „Getwydh-Wald, Hauptparkplatz“, sagte er. „Fünfhundert Stundenkilometer bei beliebiger Höhe.“

Die Maschine nahm mit anderen Maschinen Kontakt auf. Der Start wurde freigegeben, und die Maschine hob sich geräuschlos über die Baumwipfel.

Abrams durchsuchte seine Uniformtaschen nach einer Zigarre. „Wir könnten einen trinken“, schlug er vor. „Für mich Whisky und Wasser.“

Flandry brachte es, und für sich selbst einen doppelten Cognac. Als er sich wieder gesetzt hatte, war die Maschine etwa sechstausend Meter hoch und befand sich im Horizontalflug. Bei dieser Geschwindigkeit würde es ein paar Stunden dauern, bis sie das Naturschutzgebiet erreichten. Flandry war schon einmal dort gewesen, anläßlich eines Wochenendausflugs, den Oliveira für Hauksberg und Gefolge arrangiert hatte. Er erinnerte sich an riesenhafte Bäume, buntgefiederte Vögel, den starken Geruch von feuchtem Humus und den wunderbaren Geschmack einer Quelle. Aber am lebhaftesten erinnerte er sich an das Gesprenkel von Sonne und Schatten auf Persis' dünnem Sommerkleid. Nun sah er aus dem breiten Fenster den Ozean im Westen, unter sich Felder, Hügelland und vereinzelte Burgen, und im Osten beschneites Bergland.

„Passen Sie auf“, sagte Abrams aus einem Rauchschleier. „Ich muß Ihnen was erklären.“

Flandry saß steif und nippte nervös von seinem Cognac. „Wenn es vertraulich ist“, sagte er, „sollten wir dann nicht lieber warten, bis wir angekommen sind?“

„Hier ist es sicher. Sie haben mein Wort.“ Abrams starrte finster auf die Zigarre und rollte sie zwischen den Fingern. „Flandry, ich brauche Sie für einen Job. Er könnte gefährlich werden, und angenehm ist er bestimmt nicht. Sind Sie dabei?“

Flandrys Herz pochte hart. „Es wird mir wohl nichts anderes übrigbleiben, nicht?“

Abrams legte den Kopf auf die Seite und spähte zu ihm herüber. „Keine schlechte Antwort für einen Neunzehnjährigen. Aber ich will wissen, ob Sie auch innerlich dabei sind, mit Kopf und Herz, sozusagen.“

„Ja, Chef. Ich denke schon.“

„Ich glaube Ihnen.“ Abrams nahm einen hastigen Schluck und neigte sich vorwärts. „Wie ich die Dinge sehe, hat Brechdan nicht die leiseste Absicht, den Konflikt auf Starkad gütlich aus der Welt zu schaffen. Eine Weile dachte ich, er werde uns vielleicht für irgendeine andere Sache, die er haben will, den Frieden anbieten. Aber wenn das der Fall wäre, hätte er uns nicht so lange hingehalten und wäre längst damit herausgekommen. Die Merseier teilen unsere Vorliebe für forensische Beredsamkeit nicht. Wollte Brechdan ein Abkommen, wäre Hauksberg jetzt mit konkreten Vorschlägen auf der Erde und nicht hier.

Brechdans Leute kommen mit immer neuen Kleinigkeiten und unwichtigen Einwänden. Selbst Hauksberg — und er ist die Geduld in Person — hat allmählich die Nase voll. Das ist vermutlich der Grund, warum Brechdan ihn und seinen Stab auf eine oder zwei Wochen zur Jagd nach Dhangodan eingeladen hat. Erstens bringt das wiederum eine Verzögerung mit sich; zweitens besänftigt er damit den Ärger unseres Grafen. Eine Geste des guten Willens, verstehen Sie?“

Flandry nickte. „Ich glaube aber, daß der Graf recht hat, und daß Brechdan es ehrlich meint“, sagte er. „Der durchschnittliche Merseier ist jedenfalls aufrichtig und anständig. Davon habe ich mich überzeugt.“

„Sicher, Sie haben recht. Aber wie dem auch sein mag, Starkad ist zu wichtig. Und während wir hier herumsitzen, kann alles mögliche passieren. Ich kam mit der Absicht her, kurz vor unserer Abreise eine gute Schaunummer abzuziehen. Und zuerst sah auch alles gut aus. Aber nun hat sich alles elend lange hingezogen, die Lage hat sich verändert, und meine günstige Gelegenheit könnte vorbeigehen. Wir müssen bald handeln, denn die Chancen dafür werden ständig geringer.

Ich will Ihnen nicht mehr sagen, als ich muß“, fuhr Abrams fort. „Nur dies: Ich habe in Erfahrung gebracht, wo Brechdans Geheimakten sind. Es war nicht schwierig; jeder weiß davon. Und ich glaube, ich kann einen Agenten dort hineinschleusen. Das schwierigste Problem wird sein, wie wir die Information unbemerkt herausbringen. Ich wage nicht abzuwarten, bis wir alle abreisen. In der langen Zeit kann zuviel schiefgehen. Auch kann ich nicht allein vorzeitig aufbrechen. Ich bin zu verdächtig. Es würde so aussehen, als hätte ich erreicht, was immer ich mir vorgenommen haben könnte. Hauksberg selbst würde es mir wahrscheinlich verbieten, weil er — nicht ganz zu Unrecht — vermuten würde, daß ich ihm seine Friedensmission verpfuschen wolle.“

„Sie wollen also, daß ich das Material wegschaffe, wenn Sie es haben?“

„Sie sind gar nicht so dumm, Flandry.“

„Da müssen Sie aber einen sehr guten Draht zum merseiischen Hauptquartier haben.“

„Ich habe mich schon mit schlechteren behelfen müssen“, sagte Abrams selbstzufrieden.

„Es muß etwas sein, das Sie schon auf Starkad eingefädelt hatten“, sagte Flandry langsam. Er war wie gelähmt.

„Lassen wir das“, sagte Abrams schnell. „Das Geschäftliche…“

„Nein, ich will Klarheit haben.“

„Sie?“

Flandry starrte an Abrams vorbei wie ein Blinder. „Wenn der Kontakt so gut war“, sagte er, „werden Sie auch eine Warnung vor dem U-Boot-Angriff auf Ujanka bekommen haben. Und Sie haben nichts gesagt. Niemand war vorbereitet. Mit etwas weniger Glück wäre die Stadt zerstört worden.“ Er stand auf. „Ich habe die toten Bewohner liegen sehen.“

„Setzen Sie sich!“

„Ein Granatwerfer am Hafen hätte es verhindern können.“ Flandry wandte sich zum Gehen. „Männer und Frauen und kleine Kinder wurden in Stücke gerissen, lebendig unter Trümmern begraben, und Sie haben nichts getan!“

Abrams sprang auf. „Halt! Warten Sie!“

Flandry drehte sich mit blitzenden Augen um. „Warum, zum Teufel, sollte ich?“ fuhr er ihn an.

Abrams packte seine Handgelenke. Flandry versuchte sich loszureißen, doch der andere hielt ihn fest. Wut verzerrte das dunkle Chaldäergesicht. „Hören Sie mich an!“ rief Abrams. „Ich wußte es. Ich wußte, welche Folgen mein Stillschweigen haben würde. Als Sie die Stadt retteten, kniete ich nieder und dankte Gott dafür. Aber denken Sie doch nach, was geschehen wäre, wenn ich gehandelt hätte! Runei ist nicht dumm. Er hätte gemerkt, daß ich eine Quelle hatte, und für diese Quelle gab es genau eine Möglichkeit. Mein Draht wäre abgerissen. Und ich war schon dabei, ihn zu einer Leitung in Brechdans eigenes Büro zu verlängern. Um die Wahrheit über Starkad zu erfahren. Wie viele Leben könnten dadurch gerettet werden? Nicht nur menschliche, auch andere, merseiische! Gewiß, es ist ein schmutziges Spiel, aber es hat eine Faustregel, die nicht nur praktisch ist, sondern auch eine Ehrensache. Man verrät seine Informanten nicht. Man gibt seine Quelle nicht preis. Das tut man nicht.“

Flandry rang nach Luft. Abrams ließ ihn los, und er ging zurück und warf sich in seinen Sessel. Abrams blieb stehen und wartete.

Flandry blickte auf. „Es tut mir leid“, murmelte er. „Ich bin wohl überreizt.“

„Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen.“ Abrams klopfte ihm auf die Schulter. „Einmal mußten Sie es erfahren. Besser jetzt als später von einem anderen. Und wissen Sie, Sie geben mir Hoffnung. Ich fragte mich schon, ob es auf unserer Seite überhaupt noch jemanden gäbe, der das Spiel nicht nur um seiner eigenen faulen Sache willen spielte.“

Er setzte sich. Eine Weile blieb es still zwischen ihnen, dann machte Flandry einen Versuch. „Ich bin jetzt wieder in Ordnung, Chef.“

Abrams grunzte. „Sie werden Ihre Sinne beisammen haben müssen. Ich sehe eine Möglichkeit, die Information bald in die Hände zu bekommen, aber auch das ist mit einem ziemlich schmutzigen Trick verbunden; einem erniedrigenden obendrein. Vielleicht fällt Ihnen eine bessere Idee ein, aber ich habe es vergeblich versucht.“

„Was ist das für eine Möglichkeit?“ fragte Flandry unbehaglich.

„Unser Problem ist dies“, sagte Abrams. „Ich glaube, wir können unbemerkt an die Geheimakten herankommen. Besonders jetzt, wo Brechdan und die drei anderen, von denen ich weiß, daß sie Zutritt in diesen bestimmten Raum haben, nicht in der Stadt sind. Aber auch so würde es merkwürdig aussehen, wenn jemand von uns kurz darauf ohne einen plausiblen Grund abreiste. Ich wüßte einen.“

Flandry fragte: „Welchen?“

„Nun… wenn Graf Hauksberg Sie mit seiner hübschen Reisegefährtin in flagranti ertappen würde…“

Flandry sprang auf. „Nie!“

„Bleiben Sie sitzen, Junge. Machen Sie mir nicht weis, die Mäuse hätten nicht gespielt, während die Katze anderswo war. Ich verurteile Sie nicht. Wenn ich nicht ein alter Mann mit besonders festen Vorstellungen von meiner Ehe wäre, hätte ich es vielleicht selbst probiert. Aber dies gibt uns unseren Vorwand. Wir brauchen nur dafür zu sorgen, daß Persis über das Datum der Rückkehr ihres Herrn und Meisters im unklaren bleibt. Was den Rest angeht, so brauchen wir nur der Natur ihren Lauf zu lassen.“

„Nein!“

„Machen Sie sich keine Sorgen um Persis“, meinte Abrams. „Sie wird Schelte bekommen, nicht mehr. Graf Hauksberg ist sehr tolerant. Und sollte sie wirklich hinausgeworfen werden, nun, der Nachrichtendienst hat einen großen Sonderfonds. Aus dem können wir sie auf der Erde ihrem Lebensstil gemäß unterstützen, bis sie sich wieder jemand geangelt hat. Ich habe wirklich nicht den Eindruck, daß ihr das Herz brechen würde, wenn sie Graf Hauksberg gegen ein neueres Modell eintauschen müßte.“

Flandry errötete bis über die Ohren. Verzweifelt schlug er sich mit den Fäusten auf die Knie. „Ich kann es nicht. Sie vertraut mir.“

„Ich sagte schon, daß es ein Trick ist. Schmeicheln Sie sich mit der Vorstellung, das Mädchen sei in Sie verliebt?“

„Ah — hm…“

„Sie tun es also. Ich würde es nicht tun. Selbst wenn sie in Sie verliebt sein sollte, eine psychoanalytische Behandlung ist billig, und Persis ist der Typ, der sich nicht unnötig quält. Ich habe mehr Zeit mit Sorgen um Sie verbracht.“

„Und was ist mit mir?“ fragte Flandry elend.

„Graf Hauksberg muß an Ihnen Vergeltung üben. Was auch seine Gefühle sein mögen, er kann so etwas nicht ungestraft durchgehen lassen, denn die ganze Botschaft wird davon erfahren, und vielleicht noch Leute auf der Erde, wenn Sie die Szene richtig aufziehen. Nach seiner Rückkehr von Dhangodhan will er einen Kurier nach Hause schicken. Sie werden dann mit demselben Schiff abgeschoben, in Unehren natürlich.

Irgendwie — die Details müssen noch geklärt werden — wird mein Agent mir die Informationen zuspielen. Ich werde sie Ihnen weitergeben. Auf der Erde werden Sie sich dann mit einem Mann in Verbindung setzen, dessen Tür und Ohr sich Ihnen auf ein Kennwort hin öffnen werden, das Sie von mir bekommen. Anschließend — nun, dann wird es einige überraschte Gesichter geben. Sie sollten mir für eine solche Gelegenheit, von wichtigen Männern bemerkt zu werden, die Stiefel küssen.“

Flandry bewegte sich unruhig und schaute weg, aus dem Fenster, wo Wolken über Merseias grünes und braunes Gesicht zogen.

„Und was machen Sie und die anderen?“ fragte er.

„Wir bleiben hier, bis die Farce vorüber ist.“

„Aber — aber es könnte vieles schiefgehen.“

„Ich weiß. Das ist unser Risiko.“

„Ich weiß nicht“, murmelte Flandry zweifelnd. „Ich könnte ungeschoren davonkommen. Aber später, wenn ein Verdacht aufkommt…“

„Persis werden sie nichts tun“, sagte Abrams. „Sie ist nicht der Mühe wert. Auch Hauksberg nicht. Er ist Diplomat.“

„Aber Sie. Sie genießen keine diplomatische Immunität.“

„Keine Sorge“, erwiderte Abrams lächelnd. „Ich habe vor, an fortgeschrittenem senilen Verfall zu sterben. Wenn dieses Ziel in Gefahr kommen sollte, habe ich meine Strahlpistole. Lebendig lasse ich mich nicht fangen, und ich werde auch nicht allein aus dem Kosmos gehen. Wie ist es, sind Sie dabei?“ Es kostete Flandry seine ganze Kraft, um zu nicken.

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