15

Die Flotteneinheiten formierten sich zu einem weit auseinandergezogenen Keil und beschleunigten. Es war keine große Streitmacht; gemessen an der schwarzen Unendlichkeit ringsum war sie ein Nichts, eine kleine Ansammlung winziger Staubteilchen. Ihren Kern stellte die „Sabik“ dar, ein veraltetes Schlachtschiff, für das Saxo die letzte Station vor der Verschrottung war. Niemand hatte damit gerechnet, daß sie noch einmal zum Einsatz käme. Dann waren da noch der Leichte Kreuzer „Umbriel“, ebenso alt und müde, und die Zerstörer „Antarctica“, „Neu-Brasilien“ und „Murdochsland“. Die beiden Aufklärer „Encke“ und „Ikeya-Seki“ zählten nicht als Kampfeinheiten; sie verfügten nur über je ein Energiegeschütz, und ihr einziger wirklicher Wert bestand in Geschwindigkeit und Manövrierfähigkeit. Doch ihnen fiel die eigentliche Arbeit zu, während die anderen nur Hilfsdienste leisten sollten.

Die Flotte lief mit gedrosselten Maschinen. Die zurückzulegende Entfernung betrug nur einige Lichttage, und man wollte die Merseier nicht vorzeitig aufmerksam machen. Kommandant Einarsen wünschte dieses „Wasser“ vorsichtig zu befahren.

Aber als vierundzwanzig Stunden ohne Zwischenfall vergangen waren, befahl er, daß die „Neu-Brasilien“ mit Überlichtgeschwindigkeit ins Zielgebiet vorstoße. Beim ersten Anzeichen feindlicher Aktivität sollte sie sich zurückziehen.

Flandry und Dragoika saßen in der Offiziersmesse der „Sabik“, zusammen mit Leutnant Sergei Karamzin, der gerade Freiwache hatte. Flandry steckte wieder in einer hellblauen Marineuniform, eingefügt in die Disziplin und Routine des Borddienstes. Er war sich selbst nicht klar, ob es ihm gefiel.

Wenigstens war seine Position erfrischend anomal. Kommandant Einarsen war entsetzt gewesen, als Dragoika an Bord gekommen war — ein fremdes, in der frühen Eisenzeit lebendes Wesen in seinem Schiff? Unglaublich! — , aber der Befehl von Enriques hatte für Interpretationen keinen Raum gelassen. Dieses Wesen war eine wichtige Persönlichkeit und konnte Schwierigkeiten machen, wenn man nicht auf ihre Wünsche einging. So war Flandry kurzerhand zum „Verbindungsoffizier“ ernannt worden, freilich nur zu dem Zweck, daß er seine Wilde beaufsichtigte und daran hinderte, überall im Schiff herumzustreunen. Flandry seinerseits hatte durchblicken lassen, daß besagte wichtige Persönlichkeit den Problemen der Astronautik lebhaftes Interesse entgegenbringe und über die Entwicklungen auf dem laufenden gehalten werden müsse. Für einen Neunzehnjährigen eine verzeihliche Lüge, die ihm immerhin zu einer direkten Verbindung mit der Brücke verholfen hatte.

Flandry versuchte dem Leutnant ein Bild von Merseia zu geben, doch es wollte ihm nicht recht gelingen. Irgendwie blieb seine Darstellung blutleer. Man konnte beschreiben, aber man konnte die Wirklichkeit nicht wieder zum Leben erwecken. Er wechselte das Thema und begann von Starkad zu erzählen, von der grauen Dämmerung über der See, von Segelschiffen im Sturm, von einer alten, stolzen Stadt, von märchenhaften Dingen am Grund des Ozeans und von den beiden tapferen Rassen, die den Planeten bewohnten.

„… und dann ist da noch eine sehr interessante paläolithische Kultur auf einer Insel namens Rayadan…“

Die Alarmsirenen heulten.

Karamzin stürzte hinaus, bevor Flandry seinen Satz vollenden konnte. Die heulenden Signale durcheilten das ganze Schiff. Dragoika zog ihr Schwert. „Was ist geschehen?“ schrie sie erschrocken.

„Alle Mann auf Gefechtsstationen“, sagte Flandry. „Ein Feind ist gesichtet worden.“

„Wo ist er?“

„Draußen. Steck das Schwert weg. Kraft und Mut werden dir dabei nicht helfen. Komm mit.“

Sie schlängelten sich zwischen Männern durch, die in vollem Lauf zu ihren Stationen rannten. Hinter der Navigationsbrücke befand sich ein Kartenraum, der mit Bildschirmen ausgestattet und an die Gegensprechanlage der Brücke angeschlossen war. Diesen Raum hatte Kapitän Einarsen der „wichtigen Persönlichkeit“ und ihrem Begleiter zugedacht. Zwei Raumanzüge hingen bereit, von denen einer für die Luftdruckverhältnisse auf Starkad modifiziert war. Flandry half Dragoika hinein, bevor er sich selbst fertig machte. „Hier, das mußt du so zumachen. Und nun halt den Atem an, während wir die Helme austauschen.“ Er schraubte ihren Helm auf, überprüfte die Anschlüsse und kletterte in seinen eigenen Anzug, ohne die Sichtscheibe zu schließen. Er war noch nicht fertig, als sich in seinem Kopfhörer eine Stimme meldete.

„Achtung, Achtung. Kapitän an alle Offiziere und Mannschaften. ›Neu-Brasilien‹ meldet zwei fremde Einheiten in der Nähe des Zielgebietes. Sie befindet sich auf dem Rückweg, aber der Gegner hat die Verfolgung aufgenommen. Wir beschleunigen. Gefechtsstationen bitte Bereitschaft melden.“

Flandry stellte den Bildschirm auf das Gerät der Brücke ein und sah den sternenbesäten Raum. Sieben grüne Punkte verschiedener Größen bewegten sich langsam vor diesem Hintergrund. „Siehst du“, sagte Flandry und zog Dragoika näher, „das sind unsere Schiffe.“ Zwei rote Punkte erschienen. „Und das ist der Feind, soweit wir seine Position errechnen können. Die Punkte sind groß, das bedeutet, daß wir sehr starke Maschinen festgestellt haben. Ich würde sagen, daß ein Schiff etwa unsere Größe hat, wenn es auch neuer und besser bewaffnet sein wird. Das andere scheint ein Kreuzer zu sein.“

Sie klatschte in die behandschuhten Hände. „Das ist ja wie ein Wunder!“ rief sie begeistert.

„Aber dieses Bild nützt nicht viel. Es gibt einen Überblick über die Lage, das ist alles. Der Kapitän richtet sich nach den Positionsangaben und Berechnungen unserer Maschinen.“

Dragoikas Enthusiasmus verflog. „Immer Maschinen“, sagte sie unwillig. „Nichts als Maschinen. Ich bin froh, daß ich nicht in deiner Welt lebe, Dommaneek.“

Ich fürchte, es wird dir nichts anderes übrigbleiben, dachte er düster. Wenigstens vorübergehend. Wenn wir mit dem Leben davonkommen.

„Achtung!“ kam es von der Brücke. „Kapitän an alle Offiziere und Mannschaften. Sechs merseiische Kriegsschiffe, die bisher in einer Umlaufbahn um Saxo gewesen sind, haben ihren Kurs geändert und versuchen mit Höchstgeschwindigkeit zu ihren beiden Schwesterschiffen zu stoßen. Wir fangen verschlüsselte Meldungen auf. Ein Angriff ist zu erwarten. Erste Feindberührung in etwa zehn Minuten. Es handelt sich um die folgenden Einheiten…“

Flandry zeigte Dragoika den dreidimensionalen Bildschirm. Von der durchscheinenden Kugel, die Saxo darstellte, hatten sich sechs winzige Lichtfunken getrennt. „Das sind ein Leichter Kreuzer und fünf Zerstörer“, sagte er.

„Acht gegen fünf von uns“, sagte sie, und ihre Augen blitzten vor Kampfeseifer. „Aber wir werden die ersten beiden allein erwischen.“

„Richtig. Ich frage mich…“ Flandry probierte eine andere Einstellung. Sie hätte blockiert sein sollen, aber jemand hatte es vergessen, und er sah über Kapitän Einarsens Schulter.

Ja, ein Merseier! Die Verbindung war schon da. Und es schien ein ranghoher Offizier zu sein. „… Sperrgebiet“, sagte er mit starkem Akzent. „Drehen Sie ab.“

„Meine Regierung erkennt im freien Raum keine Beschränkungen an“, erwiderte Einarsen. „Wenn Sie uns behindern wollen, tun Sie es auf eigene Gefahr.“

„Welches Ziel haben Sie? Was bezwecken Sie mit Ihrem Flottenmanöver?“

„Darüber bin ich Ihnen keine Auskunft schuldig, Fodaich. Lassen Sie uns in Frieden vorbei, oder müssen wir es zum Kampf kommen lassen?“

Flandry trocknete sich die Stirn. Im Raum war es heiß, oder war es sein Anzug, der ihn schwitzen machte?

„Passieren Sie, meinetwegen“, sagte der Merseier langsam. „Unter Protest lasse ich Sie durch.“

„Sehr gut“, antwortete Einarsen. „Aber in Anbetracht der Tatsache, daß Sie im Begriff sind, sich mit anderen Einheiten zu vereinigen, muß ich auf einer Garantie Ihres guten Willens bestehen. Drehen Sie sofort in Richtung Beteigeuze ab, ohne die Geschwindigkeit zu verringern, bis ich nach Saxo zurückkehre.“

„Das ist eine empörende Bedingung! Sie haben kein Recht…“

„Ich habe vielleicht nicht das Recht, aber ich habe die Verantwortung für meine Flotte. Wenn Ihre Regierung darin einen Anlaß sehen sollte, bei meiner Regierung zu protestieren, so mag sie es tun. Falls Sie sich nicht wie verlangt zurückziehen, werde ich Ihre Absichten als feindselig betrachten und entsprechende Maßnahmen treffen. Guten Tag.“ Der Bildschirm wurde dunkel.

Flandry zitterte vor Erregung. Stammelnd übersetzte er Dragoika den Wortwechsel. Zu seiner Überraschung blieb sie kühl und gefaßt. „Laß uns das andere Bild sehen“, sagte sie.

Die Merseier befolgten nicht Einarsens Befehl, aber sie drehten ab, jedes Schiff in eine andere Richtung. Offenbar wollten sie Zeit gewinnen, bis Hilfe kam. Einarsen ließ sich auf nichts ein. „Neu-Brasilien“ und „Murdochsland“ scherten nach rechts aus, um den Kreuzer anzugreifen. „Umbriel“ und „Sabik“ beschleunigten und hielten direkt auf das gegnerische Schlachtschiff zu. Nur „Antarctica“ setzte ihren bisherigen Kurs fort und begleitete die beiden Aufklärer.

„Jetzt geht's los“, murmelte Flandry. Sein erstes Raumgefecht, aufregend und verwirrend wie seine erste Frau. Er gierte danach, in einem Geschützturm zu stehen und zu kämpfen, aber das war ihm verwehrt. Er schloß seinen Helm und beobachtete den Bildschirm.

Minutenlang war außer Sternen nichts zu sehen. Dann lief ein Dröhnen und Vibrieren durch den Schiffsrumpf. Die „Sabik“ hatte eine Raketensalve abgefeuert, Riesengeschosse, wie sie nur ein Schlachtschiff tragen konnte. Er sah nicht, ob sie trafen; die Entfernung war noch zu groß. Aber dann platzten ganz in der Nähe Explosionen im Raum, ein riesiger Feuerball nach dem anderen, glühend, anschwellend und verlöschend. Hätte der Bildschirm ihre tatsächliche Helligkeit wiedergegeben, wäre jeder Betrachter erblindet. Flandry spürte die Druckwellen der sich ausdehnenden Gase; der Boden unter seinen Füßen wurde wie von einem Erdbeben erschüttert, und die metallenen Wände dröhnten.

„Was war das?“ schrie Dragoika, von Entsetzen gepackt.

„Der Feind hat auf uns geschossen. Aber wir haben seine Raketen abgefangen und zerstört.“

Wieder und wieder tobten die entfesselten Energien. Eine Explosion warf ihn fast zu Boden. Er hörte die Meldungen der Stationen und erfuhr, daß der Schiffsrumpf aufgeplatzt war. Die Querschotte riegelten die Sektion ab, doch ein Geschützturm war vernichtet, ein anderer ausgefallen. Er wußte, daß viele Besatzungsmitglieder allein durch die starke Dosis radioaktiver Strahlung zum Tode verurteilt waren, wenn sie nicht innerhalb eines Tages medizinische Hilfe bekamen.

Nun wurde das feindliche Schlachtschiff auf dem Bildschirm sichtbar. Wie ein Spielzeug zuerst, aber dann wuchs es, wurde zu einem Hai, einem Wal, einem Leviathan aus Stahl, waffenstarrend und Blitze schleudernd.

Der Kampf wurde nicht von lebenden Wesen geführt. Sie bedienten Geschütze, Raketenrampen und Maschinen. Alles übrige übernahmen elektronisch gesteuerte Automaten. Raketen rasten auf andere Raketen zu, Computer maßen sich mit anderen Computern. Die Hände von Menschen und Merseiern bedienten lediglich Nahkampfwaffen wie Strahlgeschütze und Laser, aber ihre Chancen, dem Gegner ernsthaften Schaden zuzufügen, waren angesichts der ungeheuren Geschwindigkeiten nur gering.

Die beiden Schiffe schossen aneinander vorbei. Zuckende Feuer sprangen durch den Raum, Donner rollte durch die Decks. Wände und Strebepfeiler bogen sich, Stahlplatten schmolzen. Eine Detonation schleuderte Flandry und Dragoika an die Wand. Blutend und betäubt blieben sie liegen, während der Sturm anhielt und vorüberging.

Langsam und wie Betrunkene wankend standen sie auf. Wilde Rufe und Schreie sagten ihnen, daß ihre Trommelfelle nicht geplatzt waren. Die Tür war eingedrückt und ließ schwarzen Qualm ein. Chemische Feuerlöscher zischten. Jemand rief nach einem Arzt.

Der Bildschirm war nicht ausgefallen. Flandry sah die „Umbriel“ weit voraus. Ihr Bug klaffte offen, vom Rumpf hatten sich Platten gelöst, andere waren halbflüssig erstarrt. Aber ihre Maschinen funktionierten. Sie machte Fahrt, wie auch die „Sabik“.

Er beobachtete und lauschte auf die eingehenden Meldungen, bis er das Geschehen rekonstruieren und Dragoika verständlich machen konnte. „Wir haben es geschafft. Einer unserer Zerstörer bekam einen Volltreffer und ist Staub und Gas, aber auch der feindliche Kreuzer ist erledigt. Wir sind an mehreren Stellen beschädigt, drei Geschütztürme und zwei Raketenrampen sind ausgefallen. Ein paar Leitungen zum Hauptcomputer sind unterbrochen, und wir müssen mit einer kleineren Anlage arbeiten, bis die Ingenieure den Schaden behoben haben. Und die Verluste sind ziemlich hoch. Aber wir haben das feindliche Schlachtschiff manövrierunfähig gemacht. Ein Treffer ins Heck. Die Triebwerke arbeiten nicht mehr. Mit ihm brauchen wir nicht mehr zu rechnen.“

Die Flotte formierte sich von neuem und setzte ihren Weg fort. Auf dem Bildschirm lösten sich zwei kleine grüne Punkte aus der Formation und eilten voraus. „Siehst du die?“ sagte Flandry. „Unsere Aufklärer. Wir müssen sie abschirmen, während sie ihre Aufgabe erfüllen. Und das bedeutet, wenn ich mich nicht sehr täusche, daß wir diese Merseier von Saxo an den Hals bekommen.“

„Sechs von ihnen gegen vier von uns“, zählte Dragoika. „Das sieht nicht mehr so gut aus wie eben, als sie nur zwei und wir fünf hatten.“

Flandry sah, wie die grünen Lichter sich auffächerten. Das Ziel dieses Manövers konnte nur sein, keinen der roten Punkte durchzulassen und die Aufklärer zu schützen. Es war ein gefährliches Manöver, weil es den Gegner einlud, die Schiffe einzeln anzugreifen und zu vernichten.

„Ich würde es für eine ausgeglichene Partie halten“, sagte Flandry. „Schließlich haben wir das Schlachtschiff, während die schwerste Einheit der Merseier ein Kreuzer ist. Wenn wir den Feind die nächsten paar Stunden abwehren können, haben wir erreicht, was wir wollten.“

„Aber was ist das, Dommaneek? Du hast immer nur von einer Bedrohung hier draußen gesprochen.“ Dragoika nahm ihn bei den Schultern und blickte ihm fest in die Augen. „Kannst du es mir nicht sagen?“

Er hätte es tun können, ohne eine Geheimhaltungspflicht zu verletzen, die noch von Bedeutung gewesen wäre. Aber er wollte nicht. „Nun“, sagte er, „wir haben Nachrichten über ein Objekt. Unsere Kundschafter müssen hingehen und herausbringen, was damit ist. Sie tun das auf eine sehr interessante Weise. Sie entfernen sich von dem Objekt, schneller als das Licht fliegen kann, verstehst du, und so können sie Bilder davon aufnehmen, nicht wie es jetzt ist, sondern wie es zu verschiedenen Zeiten in der Vergangenheit war. Oder wo es in der Vergangenheit war. Und weil sie wissen, wo sie suchen müssen, können ihre Instrumente es aus mehr als einem Lichtjahr Entfernung beobachten. Das heißt, über eine Zeitspanne von über einem Jahr hinweg. Auf dieser Basis können sie dann errechnen, wie es sich in den nächsten Jahren verhalten wird.“

Furcht trat in ihre Augen. „Sie können über die Zeit selbst hinwegreichen?“ flüsterte sie. „In die Vergangenheit mit den Geistern der Verstorbenen? Ihr wagt zuviel, ihr vaz-Terraner. Eines Tages werden die verborgenen Nächte ihren Zorn über euch ausgießen.“

Er biß sich auf die Lippen. „Das habe ich mich oft gefragt, Dragoika. Aber was können wir tun? Unser Kurs wurde vor langer Zeit für uns festgelegt, bevor wir unsere Heimatwelt verließen. Es gibt kein Zurück.“

Eine Erschütterung durchlief das Schiff, gefolgt von einem Geräusch wie einem dumpfen Trommelwirbel.

„Wir feuern Raketen! Es geht wieder los!“

Noch eine Salve und noch eine. Einarsen schien gewillt, die letzten schweren Waffen aus den Magazinen abzuschießen. Trafen eine oder zwei, konnte es den Ausgang des Gefechts entscheiden. Trafen sie nicht, war wenig verloren; die einsatzfähigen Schiffe des Gegners verfügten nicht über gleichwertige Waffen. Die Salven hörten auf.

„Schau hin, Dommaneek!“ schrie Dragoika. „Ein rotes Licht ist ausgegangen!“

„Ja… ja, wir haben einen Zerstörer erwischt. Hurra!“ Die übrigen Raketen schienen pariert worden zu sein. Die roten Punkte näherten sich rasch. Die Deckenbeleuchtung flackerte und verlosch. Nach ein paar Sekunden ging sie wieder an, aber das Licht blieb trüb. Also war auch das Stromaggregat ausgefallen. Und er konnte nichts tun als den Bildschirm zu beobachten!

Der Begleitzerstörer des feindlichen Kreuzers trennte sich von ihm und verfolgte die „Umbriel“. Flandry biß die Zähne zusammen, bis seine Backenmuskeln schmerzten. „Sie haben gemerkt, daß wir hier Schwierigkeiten haben“, knirschte er. „Sie glauben, daß der Kreuzer allein mit uns fertig wird. Und vielleicht haben sie recht.“

„Was meinst du damit?“ fragte Dragoika.

„Wir können nicht ausweichen, bis eine bestimmte Maschine repariert ist.“ Mehr konnte Flandry nicht sagen, denn wie sollte er ihr in ihrer Sprache klarmachen, daß Phasenwechsel, also der Übergang von einer Geschwindigkeitsstufe zur nächsten, nicht mehr möglich waren? „Wir werden hier sitzen bleiben und schießen müssen.“

Die „Sabik“ war nicht ganz hilflos. Sie konnte abbremsen und die Lichtgeschwindigkeit unterschreiten, doch wäre das ein Verzweiflungsmanöver gewesen. Bei Überlichtgeschwindigkeit mußte der Feind den Phasengleichklang erreichen, wenn er der „Sabik“ Schaden zufügen wollte, was ihn ebenso verwundbar machte. Aber der Kreuzer besaß jetzt die größere Fähigkeit, dem Feuer seines Gegenspielers auszuweichen. Die „Sabik“ hatte außer ihren Antiraketen keinen Schutzschild mehr. Alles sah nach einem Ringen Brust an Brust aus.

„Hyperfeldkontakt hergestellt“, sagte der Lautsprecher. „Alle Stationen — Feuer frei!“

Flandry schaltete auf direkte Rundsicht um. Der Merseier zickzackte zwischen den Sternen. Manchmal sah man ihn von vorn, manchmal von der Seite. Es war ein nur für den Raum entworfenes Schiff, dickbauchig und nach beiden Enden hin verjüngt, wie eine Birne mit zwei Stielansätzen. Dragoika sog zischend den Atem ein. Blitze zuckten von neuem.

Eine Titanenfaust schlug zu. Ein betäubendes Krachen brüllte durch das Schiff. Querschotte platzten und zerrissen wie Papier. Die Decksplatten kippten aufwärts und schlugen Flandry ins Gesicht.

Augenblicke später kam er zu sich. Er fiel, fiel ins Bodenlose, blind… nein, dachte er durch das Dröhnen in seinem Kopf, die Lichter sind aus, die künstliche Schwerkraft ist weg. Er tastete umher und merkte, daß er schwerelos schwebte. Seufzend entwich die Luft aus dem Raum. Blut aus seiner Nase bildete kleine Kugeltropfen, die frei in seinem Helm schwebten und ihm die Sicht zu nehmen drohten. Er sog den Mund voll, um sie hinunterzuschlucken. „Dragoika!“ krächzte er. „Dragoika?“

Der kleine Lichtkegel ihrer Helmlaterne schnitt einen Sektor aus der Finsternis. Sie war unsichtbar dahinter, aber ihre Stimme klang klar und fest. „Dommaneek, bist du heil? Was ist geschehen? Hier, hier ist meine Hand.“

„Wir haben einen direkten Treffer bekommen.“ Er schüttelte sich, bewegte Hände und Füße und fühlte Schmerzen in seinem Leib. Ein Wunder, daß nichts ernsthaft verletzt zu sein schien. „Hier drinnen sind alle Anlagen tot“, sagte er. „Ich weiß nicht, in welchem Zustand das Schiff ist. Wir müssen uns vergewissern. Ja, halt dich an mir fest. Stoß dich von den Gegenständen ab, aber nicht zu fest. Es ist wie beim Schwimmen. Fühlst du Übelkeit?“

„Nein. Mir ist wie in einem Traum, sonst nichts.“

Sie gelangten in den Korridor. Metallträger und verbogene Bleche versperrten den Weg. Die untere Hälfte eines Mannes trieb in einer Blutwolke, die Flandry sich vom Helm wischen mußte. Es war totenstill.

Der nukleare Sprengkörper, der das Schiff getroffen hatte, konnte nicht groß gewesen sein, aber das Mittschiff war total zerstört. Schotte und andere Zwischenwände waren eingedrückt, doch sie hatten genug von den Hitze- und Druckwellen abgehalten, daß Flandry und Dragoika in ihrem Bugraum am Leben geblieben waren. Er rief in regelmäßigen Abständen in sein Funksprechgerät, bekam aber keine Antwort.

Ein sternenerfülltes Loch gähnte vor ihnen, groß wie ein Scheunentor. Er befahl Dragoika, sich nicht von der Stelle zu rühren, faßte das Ende eines abgerissenen Kabels und stieß sich vom Schiff ab. Saxo war nur als der hellste der zahllosen Diamanten zu erkennen, die das Firmament bedeckten, aber ihr Licht reichte aus, daß er das Schiff überblicken konnte. Die „Sabik“ war in zwei Teile zerbrochen und schwamm inmitten treibender Trümmer. Ein Geschützturm im Bugteil schien noch intakt zu sein.

Er versuchte noch einmal sein Glück mit dem Funksprechgerät; hier draußen, dreißig Meter vom Schiff entfernt, gab es keine abschirmenden Metallmassen. „Fähnrich Flandry von Abteilung Vier. Bitte melden. Bitte kommen!“

Eine Stimme antwortete, von kosmischen Störgeräuschen überlagert. „Leutnant Ranjit Singh in Abteilung Zwei. Ich übernehme einstweilen das Kommando. Melden Sie Ihren Zustand und wie viele Leute Sie bei sich haben.“

Flandry tat es. „Sollen wir zu Ihnen kommen, Leutnant?“ endete er.

„Nein. Sehen Sie nach, ob der vordere Geschützturm funktioniert und sagen Sie Bescheid. Wenn ja, besetzen Sie ihn.“

„Aber wir sind bewegungsunfähig. Der Kreuzer ist längst fort. Niemand wird sich mit uns abgeben.“

„Das bleibt abzuwarten, Fähnrich. Gehen Sie an Ihr Geschütz.“

Tote Körper schwebten in der Panzerkuppel des Geschützturms. Sie waren nicht verstümmelt, aber zwei- oder dreitausend Röntgen mußten durch die Panzerung gedrungen sein. Flandry und Dragoika holten sie heraus und ließen sie im freien Raum treiben.

Das Geschütz war noch brauchbar. Das hydraulische Zielsystem wurde von Batterien betrieben. Flandry unterwies Dragoika in der Bedienung der Handräder. Anschließend warteten sie. „Ich hätte nie geglaubt, daß ich an einem solchen Ort sterben würde“, sagte sie. „Aber ich werde im Kampf sterben, und mit einem guten Kameraden an meiner Seite.“

„Vielleicht überleben wir“, sagte er.

„Mach dir nichts vor. Es ist deiner nicht würdig.“

„Nicht würdig? Solange ich noch nicht tot bin, gebe ich nicht auf.“

„Ich verstehe. Vielleicht ist es das, was euch vaz-Terranern so groß gemacht hat.“

Der Merseier kam.

Es war ein Zerstörer, und er schien Schwierigkeiten mit den Triebwerken zu haben. Sein Kapitän mußte erkannt haben, daß er sich während der Reparaturzeit aus dem Gefecht zurückziehen mußte, wenn er nicht leichte Beute für den Gegner sein wollte. Nun näherte er sich langsam der „Sabik“, um das Wrack zu untersuchen und, wenn nötig, den letzten Widerstand zu brechen.

Der Zerstörer hatte seine Raketen verschossen, aber mehrere Geschütze eröffneten das Feuer mit Granaten und Strahlen. Die beiden Wrackteile der „Sabik“ glühten auf, zerbrachen und spuckten weitere Trümmerteile in alle Richtungen.

Flandry hockte auf dem Sattel und kurbelte das Geschütz in Feuerstellung. Der unstabilisierte Rumpf reagierte mit einer Gegendrehung. Flandry mußte warten, bis der Zerstörer mit seinem Heck ins Fadenkreuz kam, dann drückte er ab.

Das Krachen der Detonation war noch nicht verhallt, da sah er, wie sich in der Bordwand des Zerstörers ein Loch öffnete. Luft und weiß kondensierender Wasserdampf strömten aus.

Das langsam um seine Achse rotierende Wrack ließ ihn zu keinem zweiten Schuß kommen. Er wartete und fluchte vor Ungeduld. Als der Zerstörer wieder in Sicht kam, hatte er sich weiter entfernt und das Heckstück der „Sabik“ pulverisiert. Flandry zielte wieder und gab Feuer. Seine Granate riß ein zweites Loch mittschiffs in den Zerstörer. Sein Kapitän hatte genug und drehte ab. Als Flandrys Geschütz zum drittenmal in Schußposition kam, war das Schiff mit bloßem Auge kaum noch auszumachen. Flandry sprang von seinem Sitz und umarmte Dragoika. Beide brachen in Triumphgeschrei aus.

* * *

„Umbriel“ und „Antarctica“: aufgerissen, zerschlagen, lahm, angefüllt mit Verwundeten, aber siegreich — näherten sich dem Planeten. Die Aufklärer hatten ihre Arbeit längst getan und Kurs auf die Grenze des Imperiums genommen. Aber Ranjit Singh wollte seinen Männern einen Blick auf das gewähren, wofür sie ihr Leben aufs Spiel gesetzt hatten.

Flandry und Dragoika standen neben ihm auf der Brücke der „Umbriel“. Der Planet füllte den ganzen Bildschirm aus. Er war kaum größer als der Erdmond und schien wie er weder eine Atmosphäre noch Wasser oder Leben irgendeiner Art zu besitzen. Kahle und zerklüftete Berge erhoben sich aus aschenfarbenen Ebenen. Öde, leer und blind wie ein Totenschädel zog er seine Bahn.

„Ein Planet“, hauchte der selbsternannte Kapitän. „Ein Irrläufer, ein sonnenloser Planet.“

„Er ist auf Kollisionskurs mit Saxo, Kapitän“, sagte Flandry. Er war zu Tode erschöpft. „In knapp fünf Jahren wird er die Sonne treffen. Soviel Masse entspricht der Energie von drei Jahren Sonnenausstrahlung, und diese Energie wird sich irgendwie entladen, innerhalb weniger Sekunden. Und Saxo ist ein weißer Zwerg, der in einigen Millionen Jahren expandieren wird. Die innere Unstabilität muß jetzt schon im Wachsen sein. Der Aufschlag dieser Masse dürfte genügen. Saxo wird zu einer Nova werden. Explodieren.“

„Und unsere Flotte…“

„Richtig. Die Sache klingt unwahrscheinlich. Die interstellaren Entfernungen sind zu groß. Aber das Universum ist noch größer. Ganz gleich wie unwahrscheinlich es erscheint, alles was möglich ist, muß einmal geschehen. Dies ist so ein Fall. Merseiische Entdecker haben diesen Planeten gefunden und seinen Kurs und seine Geschwindigkeit berechnet. Brechdan erkannte, was es bedeutete. Ich vermute, daß er beabsichtigte, den Konflikt auf Starkad auszuweiten, Schritt für Schritt, wie es ihm sein Fahrplan vorschrieb, bis eines Tages unsere Hauptstreitmacht im Raum Saxo-Starkad versammelt wäre, kurz vor der Explosion. Wahrscheinlich hätten wir den Planeten nicht bemerkt. Er kommt fast senkrecht auf die ekliptische Ebene herunter, und gegen Ende seiner Reise wird er in Saxos Helligkeit untertauchen. Seine Geschwindigkeit beträgt schon jetzt siebenhundert Kilometer pro Sekunde und wird noch wachsen, je mehr sich Saxos Anziehungskraft auswirkt. Wir hätten uns überhaupt nicht in der Richtung umgesehen, sondern unsere Aufmerksamkeit auf Brechdans Streitkräfte konzentriert. Sie aber hätten Bescheid gewußt und sich rechtzeitig aus dem Staub gemacht. Unsere Flotte — nun, die Anfangsstrahlung wird sich mit Lichtgeschwindigkeit ausdehnen. Sie hätte die Mannschaften getötet, bevor sie überhaupt etwas geahnt haben würden. Ein paar Stunden später hätte die erste heiße Gaswelle die Schiffe verdampft. Das Imperium hätte seine Flotte verloren und sich Merseias Expansion nicht länger widersetzen können. Das ist in meinen Augen der Grund, warum auf Starkad Krieg geführt wird.“

Ranjit Singh zupfte an seinem Bart. „Können wir nichts unternehmen? Können wir nicht versuchen, diesen Planeten mit überschweren Nuklearraketen zu sprengen?“

„Das weiß ich nicht. Ich möchte es bezweifeln. Zu viele Bruchstücke würden auf derselben Bahn weiterfliegen. Das müßten Experten prüfen. Natürlich können wir Starkad evakuieren. Es gibt andere Planeten.“

„Willst du es mir jetzt sagen?“ fragte Dragoika.

Flandry erklärte es ihr. Er war bestürzt, als sie weinte.

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