5

Flandry war in Ujanka. Der Haupthafen von Kursoviki lag in einer weiten, von Hügeln eingerahmten Bucht an der Mündung des Pechanikiflusses. Im Westen des Flusses befanden sich Hauptquartier und Verwaltungsgebäude der Schwesternschaft. Im Norden sprenkelten die Häuser der Reichen das Hügelland, Villen mit ausgedehnten Gärten. Aber trotz ihres Ranges — sie war nicht nur Kapitän der „Archer“, sondern auch am Besitz der gesamten Flotte beteiligt und gehörte der Schwesternschaft als Sprecherin in Fragen der Handelsschiffahrt an — lebte Dragoika im alten Stadtteil östlich des Flusses.

„Hier haben meine Mütter seit Gründung der Stadt gelebt“, erzählte sie ihrem Gast. „Zu viele Erinnerungen hängen an diesem Haus, als daß ich es aufgeben könnte.“ Sie machte eine umfassende Gebärde, die den ganzen Raum einschloß, einen Raum, der in seiner schon grotesken Überfülle an ein altmodisches Museum erinnerte. Tierfelle, Teppiche, Möbel, Bücher, Waffen, Bronzevasen und — kandelaber, Seemuscheln, Gläser und Erinnerungsstücke aus anderen Ländern ließen kaum genug Platz, daß man sich setzen konnte.

Flandry trat an ein Fenster. Der Raum befand sich in der dritten Etage. Unten wand sich eine schmale, mit runden Steinen uneben gepflasterte Gasse zwischen den verschachtelten Häusern zum Hafen hinunter. Zwei Männer mit gezogenen Schwertern patrouillierten mit federnden Schritten am Haus vorbei. Irgendwo pochten gedämpfte Trommelschläge. Es war sonnig, und ein kalter Wind fegte die Dächer. Iguraz, ein stattlicher alter Mann, der Flandry hergeführt hatte und der als eine Art Hausmeister zu fungieren schien, zupfte ihn am Ärmel, und Flandry folgte dem Beispiel seiner Gastgeberin und ließ sich auf einem geschwungenen Diwan nieder.

„Ich verstehe euch Leute nicht“, sagte Dragoika. „Es ist gut, dich wiederzusehen, Dommaneek, aber ich verstehe dich nicht. Was ist gegen einen Kampf einzuwenden? Dann und wann muß man es wagen. Und nun, nachdem wir die vaz-Siravo besiegt haben, kommst du her und redest, wir sollten Frieden mit ihnen machen!“

„Man hat mir befohlen, die Idee vorzutragen“, erwiderte Flandry unbehaglich.

„Aber sie gefällt dir selbst nicht, wie?“ fragte Iguraz. „Warum sprichst du dann davon?“

„Würdet ihr eine Befehlsverweigerung dulden?“ fragte Flandry.

„Nicht auf See“, gab Dragoika zu. „Aber an Land ist es anders.“

„Nun, für uns ist die Situation hier wie auf See“, murmelte Flandry.

„Warum erledigt ihr nicht die vaz-Siravo für uns, wenn ihr so mächtig seid?“ fragte Ferok.

Dragoika überraschte Flandry dadurch, daß sie für ihn antwortete. „Keine solchen Reden! Wir wollen die Ordnung der Welt nicht durcheinanderbringen.“ Zu Flandry gewandt fuhr sie fort: „Die Schwesternschaft will den vaz-Siravo nicht übel. Sie müssen wie andere gefährliche Tiere auf Distanz gehalten werden. Wenn sie uns in Ruhe ließen, gäbe es keinen Grund zum Kämpfen.“

„Vielleicht denken die vaz-Siravo genauso“, sagte Flandry. „Seit eure Leute sich der Seefahrt und der Fischerei zugewandt haben, macht ihr ihnen Schwierigkeiten.“

„Die Meere sind weit. Sollen sie sich von unseren Inseln fernhalten, und alles ist gut.“

„Das können sie nicht. Die Sonne bringt das Leben hervor, auch im Wasser, und darum sind sie zur Ernährung auf die flachen Küstengewässer angewiesen. Außerdem fahrt ihr weit hinaus, um Schleppnetzfischerei zu betreiben und große Fische zu jagen, vom Abernten der Algenfelder gar nicht zu reden. Sie brauchen diese Dinge auch.“ Flandry brach ab, wollte sich durchs Haar fahren und stieß gegen seinen Helm. „Ich selbst bin nicht gegen einen Frieden in der Zletovarsee. Was kann es schaden, mit den vaz-Siravo zu verhandeln?“

„Wie willst du das machen?“ konterte Iguraz. „Jeder Toborko, der zu ihnen hinabtauchte, wäre ihre Beute. Sie würden ihn töten, bevor er zum Reden käme.“

„Sei still“, befahl Dragoika. „Ich habe dich mitkommen lassen, weil du die Schiffsliste hast, und Ferok, weil er Dommaneeks Freund ist. Aber solche Gespräche sind Frauensache.“

Die Getigerten nahmen den Tadel gutmütig hin. „Die Verhandlungsdelegation würde aus meinen Leuten bestehen“, erläuterte Flandry seinen Plan, „aber wir wollen das Seevolk nicht unnötig beunruhigen, und deshalb können wir keins von unseren Fahrzeugen benützen. Also bitten wir euch um Schiffe. Es müssen drei oder vier sein, damit Angreifer abgeschreckt werden. Natürlich müßte die Schwesternschaft alle etwa ausgehandelten Friedensbedingungen akzeptieren.“

„Das ist nicht so einfach“, meinte Dragoika. Sie rieb sich das dreieckige Kinn. „Eine allgemeine Regelung würde die Interessen vieler Völker der vaz-Siravo berühren. Immerhin… ein lokaler Waffenstillstand… hm, ich müßte mit den übrigen Mitgliedern der Schwesternschaft darüber reden.“

Und dann kam ein Hornsignal vom Hafenkastell. Metallisch und dröhnend, von Blasebälgen erzeugt, heulte es über die Stadt, daß die Hügel ein vielfaches Echo zurückwarfen. Vögel erhoben sich in Schwärmen aus den Baumwipfeln.

Ferok sprang auf, riß Schwert und Schild an sich und raste zur Tür hinaus, bevor Flandry wußte, was geschah. Iguraz hob seine schwere Streitaxt auf. Dragoika lauschte mit finsterer Miene.

„Ein Angriff?“ rief Flandry zwischen zwei Hornstößen. „Aber das ist doch unmöglich!“

Er wußte, daß die Bucht zum Meer hin durch eine Reihe alter Schiffe abgesperrt war, die dort verankert und untereinander durch Ketten verbunden lagen. Selbst wenn Unterwasserschwimmer durch die bewachte Sperre kämen, hätten sie bis zum Hafen noch zwei bis drei Kilometer zurückzulegen. Natürlich konnten sie außerhalb der Stadt an irgendeiner Uferstelle an Land gehen und auf ihren halbmechanischen Beinen durch das Hinterland oder die Küste entlang gegen die Stadt marschieren. Aber das erschien Flandry im höchsten Maß unwahrscheinlich. Auf dem Land wären sie zu unbeholfen und den Einheimischen von vornherein unterlegen. Ujanka hatte seit Hunderten von Jahren keinen Krieg gesehen, und die Angriffe früherer Zeiten waren von anderen Landbewohnern ausgegangen…

„Gehen wir hinauf“, sagte Dragoika ruhig und erhob sich. „Von oben haben wir einen besseren Überblick.“ An der Tür hängte sie sich ohne erkennbare Hast ein Schwert über die Schulter; erst jetzt sah Flandry, daß ihre prächtige Rückenmähne gesträubt war.

Er folgte ihr in eine Diele, die von einer drei Meter hohen Steinskulptur beherrscht wurde. Im Hintergrund führte eine Wendeltreppe aufwärts. Seine Schultern kratzten an den Wänden. Hinter ihm schnaufte Iguraz.

Sie waren noch nicht halb oben, als ein dumpfes Krachen in die dunkle Enge hereindrang. Das ganze Haus schwankte. Dragoika strauchelte und fiel zurück. Flandry fing sie auf. Unter dem samtweichen Pelz war ihr Körper wie Stahl. Draußen polterte und prasselte es wie einstürzendes Mauerwerk.

Sie kamen auf dem Turm des Hauses ans Licht, als eine zweite Detonation erfolgte. Flandry rannte an die Mauerbrüstung und überblickte die steilen roten Ziegeldächer. Die Enden der Dachbalken waren mit reichem Schnitzwerk geschmückt Köpfe von mythischen Ungeheuern wechselten mit Blumenmotiven ab. Flandrys Blick überflog die dichtgedrängten Dächer der Altstadt, die Hügel, smaragdgrün mit weiß hineingetupften Villen, das Hafenkastell — und dann sah er die Rauchsäule.

„Dort!“ schrie Ferok, mit dem ausgestreckten Arm auf das Meer hinausweisend. Flandry blinzelte ins Sonnenlicht, das auf dem Wasser der Bucht tanzte. Drei oder vier der Sperrschiffe standen in Flammen, aber mehr sah er nicht.

Dragoika hatte die Plane von einem kleinen Teleskop genommen, das in der Mitte der Plattform auf einen Sockel montiert war. Flandry stellte sich neben sie und wartete, bis sie ihn ans Okular ließ.

Wo die Bucht sich zum Meer hin weitete, schwamm ein länglicher dunkler Körper wie ein Wal zwischen den gischtenden Schaumkronen. Seine Haut war aus Metall, und mittschiffs entragte ihm ein Turm. Flandry glaubte Gestalten zu sehen, die aus dem offenen Turmluk kletterten und hinter der Brustwehr hin und her liefen. Auf dem Vorschiff und achtern waren zwei niedrigere Türme, flach und abgerundet und mit je einem Geschütz bestückt. Während er beobachtete, spuckte einer der Geschütztürme Feuer. Einen Augenblick später stieg eine weiße Staubwolke aus der hohen, zinnenbekrönten Wand des Hafenkastells. Ein Teil der Mauer brach herunter und begrub den Kai und eins der dort liegenden Schiffe unter sich. Einer der beiden Masten brach, der Rumpf bekam Schlagseite und sackte plötzlich auf den Grund des Hafenbeckens ab, daß nur noch der Heckaufbau aus dem Wasser ragte. Wie ein Donnerschlag rollte die Explosion über die Stadt.

„Teufel!“ murmelte Flandry. „Ein richtiges U-Boot!“

Was er im Teleskop sah, hatte nichts mit dem primitiven Wasserfahrzeug gemeinsam, das er von Bord der „Archer“ gesehen hatte. Dies hier war Merseierarbeit, wahrscheinlich mit Nuklearantrieb und sicherlich von Merseiern bedient. Es konnte nicht länger als dreißig Meter sein und war offensichtlich hier auf Starkad zusammengebaut worden. Seine großkalibrigen Geschütze verschossen normale Sprenggranaten, aber in dieser dichten Atmosphäre waren die Druckwellen stark genug, um eine Stadt niederzulegen.

„Wir werden verbrennen!“ schrie Ferok.

Auf diesem Planeten schämte sich niemand seiner Angst vor einer Feuersbrunst. Flandry verstand es. Die mit Sauerstoff übersättigte Atmosphäre gab jedem Feuer überreichlich Nahrung. Zwar gab es nur noch wenige Holzhäuser, aber auch die steinernen Bauten hatten ausnahmslos hölzerne Decken und Dachstühle. Am meisten gefährdet aber waren die Schiffe, in denen sich Ujankas Reichtum und Macht verkörperten. Und auf sie schien der Gegner es abgesehen zu haben.

Dragoika hatte denselben Gedanken. Sie spähte über den Fluß landeinwärts, wo das Regierungsgebäude der Schwesternschaft seine grüne Kupferhaube weithin sichtbar über die Dächer reckte. Ihre Mähne flatterte wild im Wind. „Warum läuten sie die Mannschaften nicht zu den Schiffen?“ Sie drehte sich nach Flandry um. „Das Gesetz sagt, daß, wenn die Schiffe in Gefahr sind, alle Mannschaften an Bord gehen und auslaufen müssen. Aber heute haben sie es vielleicht vergessen und sind in Panik geraten. Sonst müßten sie längst an den Glockensträngen hängen.“

Sie wendete sich ab. „Ich muß selbst hingehen. Ferok, du sagst den anderen an Bord, sie sollen mit der ›Archer‹ auslaufen und nicht auf mich warten.“

Flandry hielt sie fest. „Verzeihung“, sagte er, wie er ihr zorniges Gesicht sah. „Sollten wir nicht zuerst einen Anruf versuchen?“

„Anruf…? Ja, du hast ihnen ein Radio gegeben, nicht? Mein Gehirn ist verwirrt.“

Weitere Granaten schlugen im Hafengebiet ein. Drei auf der Reede ankernde Schiffe brannten lichterloh. Flandry hob das linke Handgelenk mit dem kleinen Funksprechgerät an die Mundöffnung des Helms und stellte es auf die Wellenlänge der Schwesternschaft ein. Er hatte nur wenig Hoffnung, daß am anderen Ende jemand wartete. Als sich eine weibliche Stimme meldete, seufzte er erleichtert. Die Worte kamen wie Grillengezirp aus dem winzigen Lautsprecher: „Ai-ya, gehörst du zu den vaz-Terranern? Ich konnte keinen von euch erreichen.“

Kein Wunder, dachte Flandry. Er konnte die Baracken in den Hügeln nicht sehen, aber konnte sich um so lebhafter vorstellen, wie es dort aussah. Vermutlich jammerten sie auf allen Wellenlängen um Hilfe vom Stützpunkt. Es waren nur fünfzehn oder zwanzig Marineangehörige dort, Ingenieure und Techniker, die den Landbewohnern als Ausbilder und Berater den Umgang mit modernem Kriegsgerät beibrachten. Seines Wissens standen der Ujanka-Ausbildungsabteilung an transportablem Gerät nur Handfeuerwaffen und ein paar unbewaffnete Kuriermaschinen zur Verfügung.

„Warum ist kein Alarm geläutet worden?“ fragte Flandry, als hätte er die Gesetze sein Leben lang gekannt.

„Niemand hat gedacht, daß…“

Dragoika nahm Flandrys Handgelenk und hielt es vor ihren Mund. „Dann wird es Zeit, daß ihr zu denken beginnt! Ich sehe noch kein Schiff auslaufen!“

„Wenn dieses Ding draußen auf sie wartet?“

„Verstreut sind die Schiffe sicherer als im Hafen“, sagte Dragoika. „Gebt sofort das Zeichen.“

„Wird gemacht. Aber wann kommen die vaz-Terraner?“

„Bald“, sagte Flandry und schaltete auf die Standard-Wellenlänge um.

„Ich gehe jetzt“, sagte Dragoika.

„Nein, warte bitte. Ich werde vielleicht deine Hilfe brauchen.“ Flandry betätigte den Signalknopf mit zitternder Fingerspitze. Sein Mikrogerät konnte Highport nicht erreichen, aber vielleicht gelang es ihm, jemanden von der Ujanka-Station zu erreichen, wenn die Leute dort auf das Signallicht achteten… Es heulte und krachte in der Nähe. Die Druckwelle der Explosion warf ihn gegen die steinerne Brüstung. Der Aussichtsturm schwankte bedrohlich.

„Ujanka-Station, Leutnant Kaiser.“

„Hier Fähnrich Flandry. Ich bin in der Altstadt. Haben Sie gesehen, was draußen vor der Bucht liegt?“

„Klar. Ein U-Boot.“

„Ist Hilfe unterwegs?“

„Nein.“

„Was? Aber das Ding wird die Stadt in Brand schießen, wenn wir nichts unternehmen!“

„Guter Mann, hören Sie zu“, seufzte die Stimme. „Ich habe eben mit dem Hauptquartier gesprochen. Eine Luftflotte unserer grünhäutigen Freunde hängt in der Stratosphäre, direkt über unseren Köpfen. Unsere Maschinen werden gebraucht, um Highport abzuschirmen. Sie können nicht eingreifen. Soviel ich weiß, versucht Admiral Enriques gerade, einen geharnischten Protest an den Mann zu bringen.“ Die Stimme gluckste amüsiert.

„Da kann man nichts machen. Sehen Sie eine Möglichkeit, selbst etwas zu unternehmen?“

„Bedaure, Fähnrich. Das Hauptquartier hat uns ein paar Transportmaschinen versprochen, die zur Brandbekämpfung Chemikalien versprühen können. Sie müssen in einer halben Stunde oder so hier sein. Wo stecken Sie genau? Ich lasse Sie von einer Kuriermaschine abholen.“

„Ich habe meine eigene“, antwortete Flandry. „Bleiben Sie auf Empfang.“ Er schaltete ab. Vom anderen Flußufer drangen hohe und gellende Glockentöne herüber.

„Was ist?“ fragte Dragoika ungeduldig.

Er versuchte es ihr zu erklären.

Sie ließ die Schultern hängen, dann straffte sich ihre Haltung erneut. „Wir werden nicht kampflos untergehen. Wenn ein paar Schiffe mit Deckskanonen nahe genug herankommen…“

„Das wäre Selbstmord“, unterbrach Flandry. „Dieses U-Boot würde euch niemals bis auf Schußweite herankommen lassen.“

„Ich werde es trotzdem versuchen.“ Dragoika erfaßte seine Hand und lächelte. „Leb wohl. Vielleicht sehen wir uns in einem anderen Land wieder.“

„Nein!“ Es platzte aus ihm heraus, er wußte selbst nicht, warum. Seine Pflicht war, sich selbst für künftige Aufgaben zu schonen, und seine natürliche Neigung war damit identisch. Aber er konnte diese Leute, die ihn gerettet hatten, nicht im Stich lassen.

„Kommt mit zu meiner Maschine“, sagte er.

Ferok starrte ihn an. „Ich? Fliehen?“

„Wer hat vom Fliehen gesprochen? Ihr habt Gewehre im Haus, nicht? Die brauchen wir, und ein paar Helfer.“

Minuten später betraten sie die Gasse. In Flandrys Gürtel steckte neben der Strahlpistole ein Revolver. Die drei Getigerten trugen Gewehre, und Dragoika hatte sich zusätzlich eine erbeutete Maschinenpistole umgehängt.

Dragoika übernahm die Führung durch das Gassengewirr der Altstadt zum Hafenkastell. Aufgeregte Mengen drängten durch die Straßen. Artilleriebeschuß war den Einwohnern unbekannt, und keiner kam auf den Gedanken, in Deckung zu gehen, wenn die Granaten heranheulten. Aber es war keine blinde Panik, die die Leute umtrieb. Matrosen mit geschulterten Seesäcken rannten zum Hafen hinunter, andere Einwohner hatten sich mit Schwertern und Lanzen bewaffnet und drängten gleichfalls zum Ufer, um einen vermuteten Angriff abzuwehren.

Als sie das Hafenkastell schon vor sich sahen, schlug in der Nähe eine Granate ein. Der Luftdruck schleuderte Flandry in den offenen Laden eines Stoffhändlers, wo er sich halb betäubt aus den durcheinandergeworfenen Stoffballen aufrappelte und ins Freie wankte. Sechs oder sieben Körper lagen blutend in der Gasse. Eine eingestürzte Hauswand versperrte den Durchgang mit Schutt.

Dragoika taumelte auf Flandry zu. Ihr gestreiftes Fell war grau vom Steinstaub und mit schwärzlichem Blut beschmiert. „Bist du verletzt?“ schrie Flandry durch den Lärm.

„Hat nichts zu sagen. Weiter.“ Ferok schloß sich ihnen an. Iguraz lag mit zerschmettertem Schädel auf dem Pflaster. Flandry hob die herumliegenden Waffen des Toten auf und gab sie Ferok.

Als sie das Hafenkastell erreichten, torkelte Flandry. Er schleppte sich in den Vorhof, setzte sich neben seine Maschine und schnappte nach Luft. Dragoika rief die Männer aus der Wachstube zusammen und bewaffnete sie. Flandry beschäftigte sich mit seiner Pumpe. Die Hitze in seinem Helm war unerträglich. Nach einer Weile machte sich der verstärkte Luftdruck in seinem Helm bemerkbar; seine gequälten Trommelfelle schmerzten, aber der zusätzliche Sauerstoff gab ihm etwas von seiner alten Vitalität zurück.

Sie drängten sich in die Maschine. Es war ein kleiner Flitzer mit vier Plätzen, aber Dragoika stopfte mindestens zehn ihrer Gefolgsleute hinein, bevor sie mühsam die Tür hinter sich schloß. Flandry saß eingezwängt auf dem Pilotensitz. Er startete, und die überladene Maschine hob schwerfällig ab. Er hielt sie niedrig, gerade so, daß er der Menge auf dem Vorplatz nicht die Köpfe abrasierte. Erst als er Bäume zwischen sich und der Bucht hatte, ließ er die Maschine etwas steigen.

„Du fliegst in die falsche Richtung!“ protestierte Dragoika.

„Natürlich“, sagte Flandry. „Ich möchte die Sonne im Rücken haben.“

Sie verstand, aber die anderen begriffen nicht. Sie kauerten neben- und übereinander, befingerten ihre Waffen und starrten mit ängstlicher Faszination aus den Kabinenfenstern. Flandry hoffte, daß ihre erste Flugreise sie nicht demoralisieren würde.

„Wenn wir landen“, sagte er laut, „springt jeder hinaus, so schnell er kann. Auf dem Deck werdet ihr Luken finden. Die müßt ihr als erstes erobern und offenhalten. Sonst kann das Boot tauchen und euch ertränken.“

„Dann werden ihre Kanoniere auch ertrinken“, sagte Dragoika.

„Sicher haben die Geschütztürme direkte Verbindung mit dem Innern.“ Flandry schluckte. „Wir dürfen unser Risiko nicht noch größer machen, als es schon ist.“ Erst jetzt ging ihm das Unsinnige seines Tuns auf. Wenn die Merseier ihn nicht beim Anflug herunterholten und ihm die Landung wider Erwarten gelang, blieb er ihnen immer noch hoffnungslos unterlegen. Am liebsten wäre er umgekehrt. Doch er konnte es nicht — nicht in Gegenwart dieser Wesen. Beim Überfliegen der Küste zog er die Maschine in einem weiten Bogen nach Südwesten und gab Vollgas. Sie rasten im Tiefflug über das Wasser. Eine Bö überschüttete die Maschine mit Gischt. Das U-Boot lag grau und drohend vor ihnen.

„Dort!“ schrie Dragoika, nach Süden zeigend. Die See kochte vom Schlag unzähliger Flossen. Fischbespannte Katapultboote tauchten an die Oberfläche empor, so weit das Auge reichte.

Eine Kugel durchschlug den Rumpf der Maschine. Niemand wurde verletzt, aber man hatte sie gesehen.

Einen Augenblick später schwebte er über dem Deck und ließ die Maschine mit ausgefahrenem Fahrwerk absinken. Ein heftiger Stoß zeigte an, daß sie aufgesetzt hatte. Dragoika hatte die Tür schon aufgestoßen; nun stürzte sie hinaus und führte ihre Krieger zum Angriff.

Flandry saß unbeweglich und wartete. Es waren die schlimmsten Sekunden, Augenblicke der Ungewißheit und der Gefahr. Auf dem Kommandoturm standen vier Merseier in schwarzen Helmen und Uniformen. Was hinter dem Turm auf dem Achterdeck vorging, konnte Flandry nicht sehen. Die Männer auf dem Turm waren mit Strahl- und Maschinenpistolen bewaffnet. Die Luft war vom Geratter und den grellen Blitzen der Waffen erfüllt. Dragoika wälzte sich behende über das Deck zur nächsten Luke und feuerte im Liegen mit der Maschinenpistole. Weißglühende Flammenzungen leckten nach ihr. Flandry hockte unter dem Armaturenbrett seiner von Kugeln durchsiebten Maschine und feuerte seine Strahlpistole aus der Türöffnung auf den Kommandoturm ab, um die hinausspringenden Krieger zu decken. Als der letzte der Getigerten draußen war, startete Flandry die Maschine senkrecht. Sein Glück war ihm treu geblieben; sie war beschädigt, aber nicht flugunfähig. Er zog sie in einem Bogen scharf herum und feuerte aus der offenen Tür von oben in den Kommandoturm. Die Merseier schossen zurück, aber er saß halbwegs geschützt und bewegte die Maschine in wilden Kreisen um das U-Boot. Beim dritten Anflug sah er im Kommandoturm nur noch Tote oder Kampfunfähige.

Eine Explosion erschütterte die Maschine. Der Motor starb, und Flandry fühlte sich wie von einer Riesenfaust fünf oder sechs Meter tiefer auf das Deck geschleudert. Als er zu sich kam, konnte nicht mehr als eine Minute vergangen sein. Auf Händen und Knien kroch er aus dem zerplatzten Rumpf der Maschine, die wie ein erschlagenes Insekt am Kommandoturm klebte, zog sich an der Brustwehr empor und schwang sich hinüber. Die sechs oder sieben noch lebenden Getigerten hatten den vorderen Geschützturm erobert und benützten ihn als Deckung. Aber aus der Luke im Achterdeck krabbelten Verstärkungen, drei oder vier Merseier, um den Kommandoturm zu stürmen. Flandry schoß sie nieder. Auch das Turmluk stand offen, war aber von den Körpern der Gefallenen blockiert.

Er hörte nichts mehr. Eine merkwürdige Stille trat ein, unterbrochen nur vom Klatschen des Wassers und dem leisen Stöhnen eines sterbenden Merseiers auf dem Achterdeck. Sie hatten es geschafft.

Aber es war keine Zeit zu verlieren. Flandry erhob sich. Eine Kugel knallte unmittelbar vor ihm gegen die Brustwehr des Kommandoturms. „He! Ihr Idioten, nicht schießen! Ich bin es! Dragoika, bist du am Leben?“

„Ja.“ Sie erhob sich hinter dem Geschützturm. „Was nun?“

„Seht zu, daß zwei oder drei von euch nach achtern kommen und das zweite Geschütz nehmen. Ich gebe ihnen Feuerschutz.“

„Wir werden die Ratten aus ihrem Loch holen!“ erklärte Dragoika.

„Nichts da! Keinen Unfug!“ rief Flandry ärgerlich. „Seid froh, daß wir sie so in Schach halten können.“

„Und du“, schrie Dragoika ekstatisch, „du kannst mit diesen Kanonen auf die vaz-Siravo schießen!“

Flandry schüttelte den Kopf. Er fühlte sich zerschlagen. „Ich kenne mich mit den Dingern nicht aus, und sie sind zu schwer, als daß ich sie allein bedienen könnte.“

Er hob sein Funksprechgerät an den Mund und drückte den Signalknopf. Wenn die Marineleute von Ujanka politische Bedenken hatten, das Boot mit anästhetischem Gas vollzupumpen und als Prise zu übernehmen, würde er es selbst zum Sinken bringen. Aber man würde die Gelegenheit nützen. Erfolge pflegen keine Kriegsgerichtsverfahren nach sich zu ziehen…

Загрузка...