12

„Persis? Wo… Was-was ist das?“ Hauksberg blieb starr vor Schreck in der Türöffnung stehen. Persis stieß einen halberstickten kleinen Schrei aus und griff mit einer sinnlosen Geste nach ihren Kleidern. Flandry sprang auf.

In seiner grünen Jagdkleidung sah der Graf verändert aus, jugendlicher. Sonne und Wind hatten sein Gesicht gebeizt. Seine Starre löste sich. Das Gesicht wurde hart, und die blauen Augen blitzten kalt und zornig. „Soso“, sagte er.

Persis raffte ihre Kleidungsstücke an sich. „Markus…“

Er beachtete sie nicht. „Sie sind also das Unwohlsein, das sie hatte.“

Flandry stand mit rotem Gesicht da. Er sagte nichts.

„Wie lange geht das schon so?“

„Es ist meine Schuld, Markus“, rief Persis. Sie fing an zu schluchzen.

„Nein, das stimmt nicht“, sagte Flandry. Er hatte sich gefangen und brachte es sogar fertig, Hauksberg anzugrinsen. „Ich muß sagen, es war nicht nett von Ihnen, unangemeldet zurückzukommen. Was nun?“

„Nun stehen Sie unter Arrest, Sie Welpe“, sagte Hauksberg. „Gehen Sie in Ihr Zimmer und bleiben Sie dort.“

Flandry beeilte sich zu gehorchen. Alles schien glatt gegangen zu sein, besser als erwartet. Hauksberg war eben ein Gentleman; seine Stimme klang nicht übermäßig erregt, eher geistesabwesend.

Persis streckte ihre Arme nach ihm aus. „Ich sage dir, Markus, es ist meine Schuld“, schluchzte sie. „Laß ihn in Frieden. Tue mit mir, was du willst, aber laß ihn in Ruhe!“

Er brachte sie mit einer Handbewegung zum Verstummen. „Hör auf zu flennen“, sagte er ärgerlich. „Meinst du, mich interessieren deine Seitensprünge, wenn alles kopfsteht?“

„Was ist geschehen?“ fragte Flandry scharf.

Hauksberg drehte den Kopf, musterte ihn schweigend von oben bis unten. „Ich frage mich, ob Sie es wirklich nicht wissen“, sagte er zuletzt. „Das frage ich mich allen Ernstes.“

„Ich weiß absolut nichts!“ Flandry traf es wie ein Schlag. Irgend etwas war schiefgegangen.

„Als die Nachricht in Dhangodar eintraf, sind wir natürlich sofort hergeflogen“, sagte Hauksberg. „Im Moment sind sie hinter Abrams her, mit meiner Ermächtigung. Aber Sie — was für eine Rolle haben Sie dabei gespielt?“

Ich muß mal 'raus, dachte Flandry fiebrig. Abrams' Agent muß mich finden. „Ich weiß wirklich nichts, Exzellenz. Ich werde mich in mein Zimmer begeben.“

„Halt!“

Persis saß auf ihrem Bett, das Gesicht in den Händen vergraben, und weinte leise.

„Hiergeblieben“, sagte Hauksberg. „Kein Schritt, verstanden?“ Er nahm eine Strahlpistole aus der Tasche und ging rückwärts zum Telefon. „Hm. Abgestellt, wie?“ Er drehte den Schalter. „Graf Oliveira, bitte.“

Bleiern lastete die Stille im Raum. Der Bildschirm flackerte auf, und das Gesicht des Botschafters wurde sichtbar. „Hauksberg! Sie hier? Was ist?“

„Eben zurückgekommen“, sagte Hauksberg. „Wir erfuhren von einem Einbruch in Premierminister Brechdans Geheimarchiv. Der Agent scheint entkommen zu sein. Brechdan beschuldigte mich der Mitwisserschaft. Ein naheliegender Gedanke. Jemand versucht meine Mission zu sabotieren. Um das Schlimmste abzuwenden, habe ich die Merseier bevollmächtigt, Oberst Abrams festzunehmen. Man wird ihn hierher bringen. Halten Sie ihn unter Bewachung.“

„Aber Graf Hauksberg! Er ist Offizier der kaiserlichen…“

„Wir werden ihn inhaftieren, nicht die Merseier. Auf Grund meiner Vollmachten übernehme ich das Kommando. Keine Einwände, bitte, wenn Sie nicht von Ihrem Posten abberufen werden wollen.“

Oliveira erbleichte. „Ich verstehe. Aber ich muß Sie bitten, mir das in schriftlicher Form zuzustellen.“

„Das wird geschehen, sobald ich dazu komme. Als nächstes haben wir da den jungen Flandry, Abrams' Assistenten. Ich werde ihn selbst verhören, da er gerade hier ist. Aber halten Sie ein paar Männer bereit, daß sie ihn in einen ausbruchsicheren Raum überfuhren, wenn ich fertig bin. Unterrichten Sie inzwischen Ihren Stab von dem Vorfall, bereiten Sie Erklärungen und Dementis vor und halten Sie sich für einen Besuch von Leuten aus Brechdans Außenamt zur Verfügung.“ Hauksberg unterbrach die Verbindung. „Genug“, sagte er. „Nun erzählen Sie. Heraus mit der Sprache.“

Flandry war es, als durchlebte er einen Alptraum. Wirre Gedanken kreisten in seinem Kopf. Was wird aus Abrams? Aus mir? Aus Persis?

„Setzen Sie sich hin.“ Hauksberg zeigte mit der Pistole auf einen der Sessel. Mit der freien Hand zog er ein silbernes Etui aus der Brusttasche, ließ es aufschnappen und steckte sich eine schwarze Zigarre zwischen die Zähne. Er wirkte beinahe entspannt.

Flandry setzte sich. Ein psychologischer Nachteil, zu ihm aufblicken zu müssen. Ja, wir haben ihn sehr unterschätzt. Persis stand mit geröteten Augen an der Wand, hatte fröstelnd die Arme über der Brust gekreuzt und schluckte. „Welches war Ihre Rolle in diesem Spiel?“ fragte Hauksberg.

„Keine. Ich weiß nicht — ich meine, wenn… wenn ich damit zu tun hätte, wäre ich dann hier gewesen?“ stammelte Flandry.

„Vielleicht.“ Hauksberg steckte das Etui ein und zog sein Feuerzeug. Ein Seitenblick traf Persis. „Und was ist mit dir, mein Kind?“

„Ich weiß nichts“, flüsterte sie. „Und er auch nicht. Ich schwöre es.“

„Ich bin geneigt, dir zu glauben.“ Das Feuerzeug kratzte und flammte auf. „In diesem Fall hätte man dich ziemlich zynisch ausgenützt.“

„Das würde er nicht tun!“

„Hm.“ Hauksberg ließ das Feuerzeug verschwinden und blies Rauch aus den Nasenlöchern. „Vielleicht seid ihr beide geprellt worden. Das werden wir herausbringen, wenn Abrams mit der Hypnosonde behandelt wird.“

„Das können Sie nicht machen!“ rief Flandry entsetzt. „Er ist Offizier!“

„Auf der Erde können sie es, junger Mann. Ich würde es noch in dieser Stunde anordnen, wenn wir die Geräte hier hätten. Natürlich können es auch die Merseier. Wenn nötig, werde ich ein noch viel größeres Aufhebens riskieren und ihn diesen Leuten überstellen. Meine Mission ist zu wichtig, als daß ich sie mir von einem verantwortungslosen Militaristen torpedieren lasse. Sie könnten uns allen eine Menge Kummer ersparen, indem Sie mir alles erzählen, Flandry. Wenn Ihre Aussage beweist, daß wir nichts damit zu tun haben — verstehen Sie?“

„Wie hätten wir das machen sollen“, babbelte Flandry hilflos. „Sie haben selbst gesehen, wie man uns überwacht.“

„Haben Sie schon mal von Agents provocateurs gehört? Ich war nie so naiv zu glauben, daß Abrams nur zum Vergnügen mitgekommen ist. Warum hat Abrams Sie mitgebracht?“ Hauksberg schaltete das Tonbandgerät der Sprechanlage ein, was Flandry noch nervöser machte.

„Nun, ich — das heißt, er brauchte einen Adjutanten.“

Persis straffte ihre Haltung. „Dominic hat sich auf Starkad verdient gemacht“, sagte sie unglücklich. „Er hat für das Imperium gekämpft.“

Hauksberg streifte die Asche von seiner Zigarre. „Bist du wirklich verliebt in diesen Lümmel? Na, ist egal. Vielleicht kannst du auch so sehen, daß ich selbst für das Imperium arbeite. Arbeiten klingt weniger romantisch als kämpfen, aber auf lange Sicht ist es wohl doch ein bißchen nützlicher, nicht? Weiter, Flandry. Was hat Abrams Ihnen über seine Pläne gesagt?“

„Er — er hoffte Informationen zu bekommen. Das hat er nie abgeleugnet. Aber Spionage — nein. So dumm ist er nicht.“

„Wann sind Sie zum erstenmal mit Persis zusammengewesen, und warum?“

„Wir — ich…“ Flandry sah ihre Verzweiflung und schämte sich. Erst jetzt wurde ihm ganz deutlich, was es hieß, ein fühlendes Wesen als Werkzeug zu gebrauchen. „Es war meine Schuld. Hören Sie nicht auf sie. Unterwegs von Starkad…“

Die Tür ging auf. Persis kreischte. Hauksberg sprang mit einem Fluch zurück. Ein Ding glitt herein, ein Ding aus versengtem und verbogenem Metall, aus einem Armstumpf blutend, das nur zur Hälfte lebendige Gesicht grau und eingefallen. Klappernd und rasselnd stürzte es zu Boden.

„Fähnrich Flandry“, rief es. Die Stimme schwankte unkontrolliert. In den fotoelektrischen Zellen, die seine Augen waren, flackerte Licht an und aus.

Flandry schauerte zusammen. Abrams' Agent? Abrams' Hoffnung, zerstört und sterbend?

„Los“, hauchte Hauksberg. Die Strahlpistole richtete ihre häßliche Mündung auf Flandry. „Reden Sie mit ihm!“

Flandry preßte die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf.

„Ich sagte, reden Sie!“ befahl Hauksberg. „Oder ich töte Sie und übergebe Abrams den Merseiern.“

Die liegende Kreatur schien nichts zu hören. „Fähnrich Flandry. Welcher von Ihnen ist es? Schnell. Meschugge. Er hat mir gesagt, ich solle ›meschugge‹ sagen.“

Flandry sprang auf das Ding zu und ließ sich neben ihm auf die Knie fallen. „Ich bin es“, flüsterte er.

„Hören Sie zu.“ Die Augen flackerten zusehends trüber, ein Elektromotor in der zerbrochenen Hülle knirschte auf trockenen Kugellagern. „In der Starkad-Akte diese Nummern.“

Als sie nacheinander kamen, zahlte sich Flandrys Training aus. Er brauchte die Zahlen nicht zu verstehen, und er verstand sie auch nicht; er verlangte keine Wiederholung. Jede Zahl brannte sich in sein Gedächtnis ein.

„Ist das alles?“ fragte er heiser.

„Ja. Alles.“ Eine Hand mit Metallfühlern tastete nach ihm, bis er sie ergriff. „Wollen Sie meines Namens gedenken? Ich war Dwyr von Tanis, früher einmal der Glückliche genannt. Sie machten mich zu diesem hier. Ich wurde in Ihre Maschine eingebaut. Abrams hat mich geschickt. Darum flog er zu einer Einladung, daß er mich unbemerkt aussenden konnte. Aber ein Alarm war im Datenspeicher mit der Starkad-Akte gekoppelt. Bei der Flucht wurde ich beschädigt. Ich wäre eher gekommen, aber ich verlor immer wieder das Bewußtsein. Sie müssen die Maschine rufen und fliehen. Vergessen Sie Dwyr nicht.“

„Wir werden Sie nie vergessen.“

„Gut. Nun lassen Sie mich sterben. Wenn Sie die Brustplatte öffnen, können Sie mein Herz abschalten.“ Die Laute verschoben sich ständig, wie in einem übersteuerten Empfänger, aber man verstand deutlich genug, was er sagte. „Ich sehe Sivillas Bild nicht mehr. Mein Gehirn ist vergiftet und hat keinen Sauerstoff. Die Zellen sterben ab. Hier — mein Herz.“

Flandry entzog seine Hand den Metallfühlern und fummelte an der Brustplatte. Es roch nach Öl und verschmorten Isolierungen.

„Nichts da“, sagte Hauksberg. Flandry hörte ihn nicht. Hauksberg kam heran und stieß seine Hand mit dem Stiefel fort. „Lassen Sie das, sage ich. Wir wollen ihn lebendig.“

Flandry taumelte auf die Füße. „Sie können nicht…“

„Ich kann, und ich will.“ Hauksberg atmete schwer; seine Zigarre hatte er weggeworfen. „Großer Gott! Jetzt durchschaue ich die Affäre. Abrams hatte diesen Doppelagenten. Er mußte die Information herausholen und an Sie weitergeben. Abrams hatte sein Alibi und kalkulierte, ich würde Sie in Schmach und Schande fortschicken, nachdem ich Sie mit Persis ertappte.“ Er warf dem Mädchen einen Blick zu. „Kannst du folgen. Liebes? Du warst nichts als ein Objekt.“

Sie wich vor den beiden zurück, eine Hand vor dem Mund, die andere abwehrend der Welt entgegengestreckt. „Sivilla, Sivilla“, kam es vom Boden. „Oh, schnell!“

Hauksberg ging rückwärts zum Telefon. „Wir rufen einen Arzt. Ich glaube, wenn wir schnell sind, können wir den Burschen retten.“

„Verstehen Sie nicht?“ rief Flandry. „Diese Zahlen — da ist etwas mit Starkad. Unsere Leute müssen es erfahren.“

„Das überlassen Sie nur mir“, entgegnete Hauksberg. „Ich werde Sie wegen Verrats vor Gericht stellen lassen.“

„Weil ich versucht habe, das Imperium zu retten?“

„Wie kommen Sie zu der Anmaßung? Wissen Sie, was diese Zahlen bedeuten?“

„Nein, aber…“

„Das ist genug. Sie kommen vor Gericht, weil Sie versucht haben, eine offizielle Friedensmission zu sabotieren. Weil Sie versucht haben, Ihre eigene Politik zu treiben, Sie und Abrams. Halten Sie sich für seine Majestät? Man wird Sie eines Besseren belehren.“ Flandry tat einen Schritt vorwärts. Die Pistole kam hoch. „Bleiben Sie stehen!“ Hauksbergs freie Hand griff zum Telefon.

Flandry stand über Dwyr. Die Entscheidung über Leben oder Tod hing in der Luft. Persis löste sich von der Wand und rannte auf Hauksberg zu. „Nein, Markus, nein!“

„Aus dem Weg!“ Hauksberg hielt die Waffe weiter auf Flandry gerichtet. Persis warf ihre Arme um ihn. Plötzlich umklammerten ihre Hände sein rechtes Handgelenk. Sie ließ sich fallen und zog Hand und Waffe mit sich herunter.

„Nicky!“ kreischte sie.

Flandry sprang vorwärts. Hauksberg schlug Persis mit der Faust, um von ihr freizukommen. Sie nahm den Schlag mit dem Kopf und hielt fest. Dann war Flandry da und griff ihn an. Hauksberg versuchte ihn mit der freien Linken abzuwehren, aber er war behindert. Flandry stieß den Arm beiseite und rammte Hauksberg eine linke Gerade in die Magengrube. Der Graf klappte wie ein Taschenmesser zusammen und fiel.

Flandry raffte die Strahlpistole an sich, drückte die Telefonknöpfe. „Flugzeug sofort zur Botschaft“, befahl er in Eriau. Dann schritt er zurück zu Dwyr, kniete nieder und löste die Brustplatte. War dies der Schalter? „Leb wohl, mein Freund“, sagte er leise.

„Ein Moment“, kam es aus der Maschine. „Ich habe sie verloren. Soviel Dunkelheit. Lärm… Jetzt.“

Flandry drehte den Schalter. Die Augen erloschen, und Dwyr lag still.

Persis kauerte neben Hauksberg; ihre Schultern zuckten. Flandry zog sie in die Höhe. „Ich muß verschwinden“, sagte er. „Vielleicht komme ich noch weg. Willst du mit?“

Sie klammerte sich an ihn. „Ja, ja, ja.“ Sie war außer sich. Er umfaßte sie mit dem linken Arm, während er Hauksberg in Schach hielt, der sich keuchend krümmte. „Warum hast du mir geholfen?“ fragte er leise.

„Ich weiß es nicht. Bring mich fort von hier!“

„Dann mach dich fertig, schnell.“ Sie rannte hinaus. Flandry stieß Hauksberg mit dem Fuß an. „Stehen Sie auf.“

Hauksberg gehorchte, die Hände gegen den Magen gepreßt. „Sie sind verrückt“, keuchte er. „Glauben Sie wirklich, Sie könnten entkommen?“

„Ich werde es versuchen. Sie gehen mit. Wenn es Ärger gibt, schieße ich mir den Weg frei, und Sie werden als erster dran glauben müssen. Ist das klar?“

Hauksberg sah ihn kopfschüttelnd an. Dann kam Persis in einem feuerroten Kleid herein und nickte ihm zu. „Gehen wir“, sagte er. „Sie zuerst, Graf. Ich einen Schritt hinter Ihnen, wie es sich gehört. Persis, du gehst neben ihm. Beobachte sein Gesicht. Vielleicht versucht er Zeichen zu geben. Wenn er verdächtige Grimassen schneidet, sag es mir, und ich töte ihn.“

„Nein. Nein, das kannst du nicht tun!“ Ihre Lippen zitterten.

„Er hätte mich auch getötet. Wir müssen hier 'raus, und was wir treiben, ist kein Gesellschaftsspiel. Wenn er sich ruhig verhält, wird er vielleicht am Leben bleiben. Marsch.“

Flandry hatte Glück. Nur in der Eingangshalle standen ein paar Botschaftsangestellte und grüßten Hauksberg, ohne sich weiter um sie zu kümmern. Der Park empfing sie mit kühler Nachtluft. Flandry wäre am liebsten gerannt. Auf dem Landeplatz wartete Abrams' Maschine. Flandry ging hinter Persis und Hauksberg an Bord, verriegelte die Tür und schaltete Licht ein. „Persis, bring ein Handtuch. Graf Hauksberg, wenn wir angerufen werden, sagen Sie, daß wir zu unserem Schiff unterwegs seien, um Material zu holen, das wir Brechdan im Zusammenhang mit diesem Spionagefall vorlegen wollen.“

„Und Sie glauben, die Merseier werden das schlucken?“

„Warum nicht? Für ihre Begriffe ist es selbstverständlich, daß ein Mann von Rang und Adel selbständig handelt, ohne sich zuvor von zehn verschiedenen Stellen Erlaubnis dazu geben zu lassen. Und wenn sie uns nicht glauben, werde ich den Autopiloten lahmlegen und einen von ihren Patrouillenfliegern rammen. Tun Sie also, was ich Ihnen sage.“ Persis reichte ihm das Handtuch. „Ich werde Ihnen die Hände binden. Wenn Sie nicht auf mein Spiel eingehen, sind Sie ein toter Mann.“

Seine Augen blitzten; jetzt wußte er, was Macht war und wie ihr Mechanismus funktionierte. Man mußte die Initiative behalten, durfte den Druck nicht für eine Sekunde lockern. Hauksberg setzte sich und schwieg.

„Du wirst ihm nichts tun, Nicky?“ bettelte Persis.

„Nicht, wenn ich es vermeiden kann“, murmelte Flandry. „Wir haben schon so Ärger genug.“ Er ließ die Maschine starten.

Eine Minute später summte es im Empfänger, und aus dem Bildschirm blickte ein uniformierter Merseier. „Halt!“ sagte er. „Sicherheitsdienst. Ihr Start ist nicht genehmigt.“

Flandry stieß Hauksberg an. Der Graf sagte: „Ah… wir müssen zu meinem Schiff…“ Kein Mensch hätte eine so lahme Erklärung angenommen. Auch ein mit den Feinheiten menschlichen Verhaltens vertrauter Merseier hätte es nicht getan. Aber dies war nur ein Offizier der Sicherheitsbehörde, der gerade Nachtdienst hatte.

„Ich werde mich erkundigen“, sagte das grüne Gesicht.

„Verstehen Sie nicht?“ sagte Hauksberg. „Ich bin Diplomat. Lassen Sie uns eskortieren, wenn Sie wollen, aber Sie haben nicht das Recht, uns zurückzuhalten. Machen Sie weiter, Pilot.“

Die Maschine stieg. Ardaig blieb unter ihnen zurück, ein glitzerndes Spinnennetz zuerst, dann nur noch ein Lichtpunkt. Flandry schaltete die Radaranlage ein und bemerkte zwei Flugobjekte, die sich aus verschiedenen Richtungen von achtern näherten. Es waren kleinere Maschinen, aber er wußte, daß sie bewaffnet waren.

Ardaig kam außer Sicht. Berge und Hochebenen schimmerten im Mondlicht, Wolkenfelder schoben sich vom Ozean heran. Das Pfeifen der Luft an Tragflächen und Rumpf wurde dünner und hörte auf.

Wieder summte es im Empfänger. „Sie können für eine begrenzte Zeit an Bord Ihres Schiffes gehen“, sagte der Merseier, „vorausgesetzt, unsere Sicherheitsbeamten begleiten Sie.“

„Tut mir leid“, antwortete Hauksberg, „aber das ist unmöglich. Ich hole Material, das nur für Premierminister Brechdans Augen bestimmt ist. Ihre Leute sind mir willkommen, sobald ich mich auf den Rückweg mache. Sie können mich dann direkt zum Schloß Afon begleiten.“

„Ich werde meine Vorgesetzten unterrichten und Sie von ihrer Entscheidung benachrichtigen.“ Das Gerät wurde dunkel. Hauksberg lachte kurz und humorlos. „Ich vermute, Sie wollen mit einem der Beiboote flüchten“, sagte er. „Sie werden nicht weit kommen, dann wird man Sie einholen.“

„Nicht, wenn ich sofort auf Höchstgeschwindigkeit gehe.“

„Das können Sie nicht machen. Sie wissen selbst, wie hoch die Konzentration von Materie so nahe bei einer Sonne ist. Ein daumengroßer Meteorit, und Ihre Reise ist zu Ende.“

„Das Risiko nehme ich auf mich.“

„Erst nach einem Lichtjahr kommen Sie aus dem Wahrnehmungsbereich heraus. Ein schnelleres Schiff wird Sie einholen und zur Strecke bringen.“

„Sie werden nicht dabei sein, und um mich brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen.“

Die Minuten vergingen. Flandry merkte es kaum, als der Anruf kam, daß Hauksberg und seine Begleiter allein an Bord des Schiffes gehen dürften. Die Erlaubnis war für die Merseier risikolos. Die ›Dronning Margrete‹ war unbewaffnet und leer. Zwei oder drei Männer könnten sie erst in stundenlanger Arbeit startklar machen, und so erschien ein Fluchtversuch unwahrscheinlich. Hauksberg mußte es ehrlich meinen.

Der riesige Zylinder schwamm in Sicht. Flandry gab Signale an die Bordanlagen. Ein Schleusentor öffnete sich weit. Die Instrumente übernahmen selbsttätig den Rest des Rendezvousmanövers; die Maschine glitt durch die Öffnung, das Schleusentor schloß sich und Luft strömte zischend ein. Flandry stellte die Triebwerke ab und stand auf. „Ich werde Sie fesseln müssen“, erklärte er. „Man wird Sie finden.“

„Ich warne Sie. Sie werden ein Geächteter sein und überall im Imperium verfolgt werden. Ich habe nicht die Absicht, meine Hände in den Schoß zu legen und abzuwarten, bis Sie Ihre wahnwitzigen Vorhaben ausgeführt haben. Nach allem, was geschehen ist, kann ich Ihren und Abrams hochverräterischen Umtrieben nur durch uneingeschränkte Zusammenarbeit mit den Merseiern einen Riegel vorschieben.“

Flandry tastete nach der Strahlpistole, und Hauksberg nickte. „Wenn Sie mich töten, können Sie die Sache ein wenig verschieben.“

Flandry starrte ihn einen Moment düster und unschlüssig an, dann schüttelte er den Kopf und machte sich daran, Hauksberg zu fesseln.

Ein paar Minuten später verließ er mit Persis die Maschine. Im Laufschritt eilten sie durch menschenleere, hallende Korridore. Nur die Notbeleuchtungen waren eingeschaltet. Bald hatten sie eine andere Schleusenkammer erreicht. Vor ihnen erhob sich der mattschimmernde schlanke Rumpf eines großen Beibootes, über sechs Meter hoch und fast fünfundzwanzig Meter lang. Flandry kannte das Modell; es war ein schnelles und vielseitiges Schiff, mit Treibstoff und Vorräten für eine Reise von mehreren hundert Parsek versorgt. Zwar konnte es mit einem Kriegsschiff nicht Schritt halten, aber eine Jagd im Weltraum ist eine lange Jagd, und Flandry hatte bereits einige abenteuerliche Überlegungen für den Fall angestellt, daß sie von einem feindlichen Kriegsschiff verfolgt würden.

Er begann eine hastige Überprüfung der Bordanlagen. In der Kommandozentrale achtern fand er Persis, die im Sitz des Kopiloten Platz genommen hatte. „Störe ich dich?“ fragte sie schüchtern.

„Im Gegenteil“, sagte er. „Aber sei still, bis wir die Höchstgeschwindigkeit erreicht haben.“

Sie nickte. „Ich bin keine völlige Null, Nicky, wenn du mich auch für eine Luxuspuppe hältst. Man lernt sich durchzuschlagen, wenn man lange Jahre als schlechtbezahlte Tänzerin gearbeitet hat. Aber dies ist das erste Mal, daß ich etwas nicht für mich selbst tue. Und das ist ein gutes Gefühl.“

Er strich ihr übers dunkle Haar und über die glatte Wange, bis seine Finger unter ihr Kinn kamen. „Ich danke dir“, murmelte er und küßte sie. „Mehr als ich sagen kann. Ich habe dies hauptsächlich für Max Abrams getan. Es wäre kalt und traurig gewesen, hätte ich diesen Flug allein machen müssen. Nun kann ich für dich leben.“

Er setzte sich. Auf seinen Knopfdruck erwachte die Maschine.

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