14

Dragoika richtete sich halb von ihrer Couch auf. „Geh nicht wie ein gefangenes Tier umher, Dommaneek“, sagte sie. „Komm an meine Seite und ruhe dich aus.“

Durch das Fenster drangen die Geräusche ungezählter Füße, das Klirren von Waffen, ein Stimmengewirr wie ferne Brandung. Die Leute von Kursoviki hatten das Haus umstellt und drängten sich auf den Gassen, soweit das Auge reichte. Lanzen und Äxte, Helme und Gewehrläufe blinkten in Saxos hartem Licht. Es war kein aufrührerischer Haufen; es waren die Krieger von Ujanka, herbeigerufen von der Schwesternschaft. Andere bewachten die Schiffe und das Hafenkastell. Mein Gott, dachte Flandry. Und alles meinetwegen!

Er folgte ihrer Aufforderung und warf sich auf die andere Couch. Zwischen ihnen stand ein kleiner Tisch, dessen Form einer Blume nachempfunden war. Eine Karaffe und Gläser standen darauf. Dragoika schlürfte. „Willst du nicht mit mir trinken, Dommaneek?“

„Ich… ja, danke.“ Er konnte nicht ablehnen, obwohl der starkadische Wein wie Essig auf seiner Zunge brannte. Außerdem konnte es nicht schaden, wenn er sich an die einheimische Kost gewöhnte; möglicherweise mußte er lange davon leben.

„Wie ist es euch gegangen?“ fragte Flandry lahm.

„Wie immer. Wir haben dich vermißt, Dommaneek, ich und Ferok und deine anderen alten Kameraden. Wie froh bin ich, daß die ›Archer‹ gerade im Hafen liegt.“

„Ein großes Glück für mich.“

„Nein, nein, jeder hätte dir geholfen. Das Volk dort unten, die Seeleute, Handwerker und Bauern, sind genauso zornig wie ich.“ Dragoikas kurzer Schwanz zuckte, ihre Segelohren stellten sich auswärts. „Sie haben dich zum Gesetzlosen erklärt, nicht?“

„Ich weiß nicht, wie die Situation ist. Ich wage keine Sprechfunkverbindung herzustellen. Die Merseier könnten es abhören. So mußte ich deinem Boten eine Nachricht für unsere Leute mitgeben. Jetzt bin ich neugierig, ob Admiral Enriques darauf eingeht und einen vertrauenswürdigen Mann herschickt.“

„Ich weiß. Und mein Bote hat den vaz-Terranern klargemacht, daß sie meinen Dommaneek nicht gefangennehmen werden, es sei denn, sie wollen den Krieg.“

„Aber das hättest du nicht tun sollen!“

„Sie wollen keinen Krieg. Sie brauchen uns mehr als wir sie, um so mehr, als sie sich mit den vaz-Siravo von Zletovar nicht einigen konnten.“

„Nicht?“ Flandry schüttelte bekümmert den Kopf und versank in düsteres Schweigen.

„Du hast mir wenig von deinen Taten berichtet“, fuhr Dragoika fort. „Nur, daß du ein großes Geheimnis bewahrst. Was ist es?“

„Es tut mir leid, aber ich darf es nicht einmal dir sagen.“

Sie seufzte. „Wie du willst. Dann erzähl mir von deiner Reise.“

Er versuchte es, und weil sie sich so um ein Verstehen bemühte, geriet er unversehens in Fahrt und berichtete ausführlicher, als er eigentlich wollte, von seiner Flucht, wobei er, um ihre Gefühle nicht zu verletzen, aus Persis einen Freund machte.

Dann summte sein Funksprechgerät. Er hob sein Handgelenk vor den Mund, drückte den Sendeknopf und meldete sich.

„Admiral Enriques“, sagte es aus dem winzigen Lautsprecher. „Ich komme mit zwei Begleitern in einer Boudreau X-7. Wo soll ich landen?“

Enriques persönlich? Mein Gott, habe ich mich in die Nesseln gesetzt! Er stammelte die Richtungsangaben. Eine leichte Maschine, so hatte er in seinem Brief vorgeschlagen, könne auf dem Turm von Dragoikas Haus niedergehen. „Wissen Sie, Herr Admiral, die Leute hier, sie sind — äh — aufgeregt und haben sich bewaffnet. Wenn Sie auf dem Turm landen, können Sie möglichen Schwierigkeiten aus dem Weg gehen.“

„Haben Sie das veranlaßt?“

„Nein, Herr Admiral. Ich meine, nicht direkt. Aber alle sind in voller Kriegsausrüstung und bewachen das Haus. Sie wollen mich niemandem ausliefern, der mir, wie sie glauben, feindlich gesonnen ist. Sie drohen mit einem Angriff auf unseren Stützpunkt, wenn… Ganz aufrichtig gesprochen, Herr Admiral, ich habe nicht versucht, unsere Verbündeten gegen Sie aufzuwiegeln. Ich kann alles erklären.“

„Das möchte ich Ihnen raten“, sagte Enriques. „Sie sind unter Arrest, aber wir verzichten einstweilen darauf, Sie in Gewahrsam zu nehmen. In drei Minuten landen wir. Ende.“

„Was hat er gesagt?“ zischte Dragoika. Ihr Fell war gesträubt.

Flandry sagte es ihr. Sie glitt von der Couch und nahm ein Schwert von der Wand. „Ich rufe ein paar Krieger herbei, um sicherzugehen, daß er sein Versprechen hält.“

„Das wird er, davon bin ich überzeugt. Aber der Anblick seiner Maschine könnte Unruhe hervorrufen. Können wir den Leuten in den Straßen sagen, daß es ein Unterhändler ist?“

Dragoika lief hinaus, und Flandry hörte, wie sie die wartende Menge beruhigte. Flandry saß auf der Couch, den Kopf in die Hände gestützt, und sprang erst auf, als zwei bewaffnete Krieger Enriques hereingeleiteten. Der Admiral war allein. Zögernd legte Dragoika ihr Schwert auf den Tisch.

„Stehen Sie bequem“, schnarrte Enriques. Er war klein, ausgezehrt und grauhaarig, mit einer scharfen Hakennase. „Wollen Sie mich nicht der Hausherrin vorstellen?“

„Äh… Vizeadmiral Juan Enriques… Kapitän Dragoika von den Janjevar va-Radovik.“

Der Offizier klappte die Hacken zusammen und verneigte sich. Dragoika betrachtete ihn einen Moment, dann hob sie in Erwiderung seines Grußes die rechte Hand an die Stirn.

„Möchten Sie nicht Platz nehmen, Herr Admiral?“

Enriques wartete, bis Dragoika es sich auf ihrer Couch bequem gemacht hatte, dann setzte er sich steif. Flandry blieb stehen. Schweiß prickelte auf seiner Haut.

„Bitte, Herr Admiral“, platzte er heraus. „Ist Donna d'Io gesund und wohlauf?“

„Ja, wenn man von einer gewissen nervösen Erschöpfung absieht. Sie landete kurz nach dem Eintreffen Ihrer Botschaft. Der Kapitän der ›Rieskessel‹ hat sein Schiff unter allen möglichen Vorwänden in einer Umlaufbahn gehalten. Als wir durch Sie erfuhren, daß Donna d'Io an Bord war, boten wir ihm an, eine Maschine aufsteigen zu lassen, um sie zu holen. Darauf landete er. Was ist dort vorgegangen?“

„Nun — das kann ich leider nicht sagen. Hat sie Ihnen von unserer Flucht berichtet?“

„Wir hatten auf Donna d'Ios Ersuchen eine kurze private Unterhaltung miteinander.“

„Herr Admiral, ich habe eine Information mitgebracht, und es ist mir inzwischen auch gelungen, sie zu dechiffrieren. Ich weiß, was die Merseier planen. Es ist monströs. Ich kann beweisen…“

„Sie werden gute Beweise brauchen, Flandry“, unterbrach ihn Enriques. „Graf Hauksberg hat Sie sehr schwer belastet. Ich brauche Ihnen wohl kaum eigens zu sagen, daß Sie vom Dienst suspendiert sind.“

Flandry ballte die Fäuste. Tränen der Wut brannten in seinen Augen. „Herr Admiral“, schrillte er, „ich habe ein Recht darauf, vor ein Kriegsgericht gestellt zu werden. Von meinen eigenen Leuten. Und Sie hätten mich den Merseiern ausgeliefert.“

„Graf Hauksberg ist als Bevollmächtigter und Vertreter seiner Majestät nach Merseia gegangen. Oberst Abrams und auch Sie waren seinem Befehl unterstellt. Er hat mir mitgeteilt — und ich habe keinen Grund, an der Richtigkeit seiner Angaben zu zweifeln —, daß Sie versucht haben, sich in den Besitz fremder Staatsgeheimnisse zu setzen und die Friedensmission seiner Majestät vorsätzlich zu sabotieren. Die Merseier werden Sie wieder an Graf Hauksberg überstellen. Es ist wahr, daß ein Kriegsgerichtsverfahren auf einem Planeten oder einem Schiff des Imperiums stattfinden muß, aber für die Festsetzung des Termins steht uns eine Zeitspanne bis zu einem Jahr zur Verfügung.“

„Daraus wird nie etwas! Herr Admiral, sie werden eine Gehirnwäsche machen und mich töten!“

„Beherrschen Sie sich, Flandry.“

Flandry schluckte. Dragoika bleckte die Zähne, aber sie blieb ruhig liegen. „Darf ich die Anklagepunkte hören, Herr Admiral?“ fragte Flandry.

„Befehlsverweigerung und Meuterei“, sagte Enriques, „Hochverrat, Sabotage, Fahnenflucht, Entführung, Bedrohung und Körperverletzung, Diebstahl, Beleidigung. Soll ich die ganze Liste rezitieren? Ich halte es nicht für nötig. Sie haben inzwischen weitere Delikte hinzugefügt. Sie wußten, daß ein Haftbefehl gegen Sie vorlag, doch Sie haben sich nicht gestellt. Sie haben Zwietracht zwischen dem Imperium und einem Verbündeten gesät. Dies gefährdet nicht nur die beiderseitigen Beziehungen, sondern bringt auch unsere Streitkräfte auf Starkad in Gefahr. Im Moment widersetzen Sie sich Ihrer Verhaftung. Wenn Sie mich sprechen wollten, hätten Sie zumindest an Bord der ›Rieskessel‹ bleiben müssen.“

„Um anschließend den Merseiern ausgeliefert zu werden?“

„Vielleicht. Diese Möglichkeit hätte Sie nicht beeinflussen sollen. Denken Sie an Ihren Fahneneid.“

Flandry ging im Raum auf und ab. Plötzlich fuhr er herum und fixierte Enriques. „Sie wissen, ich habe eine Reihe Zahlen von Merseia mitgebracht. Zweifellos haben Sie sie inzwischen weitergegeben. Aber sie müssen bald dechiffriert und nachgeprüft werden, um sicherzugehen, daß meine Deutung richtig ist. Und wenn sie richtig ist, kann derjenige, der den Aufklärungsflug unternimmt, in einen Kampf verwickelt werden. In ein Raumgefecht. Lassen wir den Dingen ihren Lauf, schiebt einer die Entscheidung zum nächsten weiter, und Monate vergehen, bis etwas geschieht. Sie kennen die Schwerfälligkeit des Apparates besser als ich. Und das im günstigsten Fall, nämlich, wenn man sich überhaupt um meine Meldung kümmert, um die bloße Behauptung eines Anfängers, eines Meuterers und Saboteurs. Leicht möglich, daß man sie nicht beachtet und nicht handelt. Wir haben so viele Bürokraten. Es blieb mir nichts anderes übrig, Herr Admiral, ich mußte es so machen, daß Sie Entscheidungsfreiheit haben.“

Enriques hob kurz die Brauen. „An Selbstbewußtsein scheint es Ihnen jedenfalls nicht zu fehlen.“

„Jawohl, Herr Admiral. Sie haben doch volle Befehlsgewalt, nicht wahr? Ich meine, im Falle außergewöhnlicher Umstände können Sie alle Maßnahmen ergreifen, die Sie für angezeigt halten, ohne vorher das Hauptquartier zu fragen, nicht wahr?“

„Selbstverständlich.“

„Nun, Herr Admiral, dies ist eine außergewöhnliche Situation. Man erwartet von Ihnen, daß Sie mit den Leuten von Kursoviki freundschaftliche Beziehungen pflegen. Aber Sie sehen selbst, daß ich derjenige bin, an dem ihnen liegt. Diese Leute denken da sehr geradlinig. Sie sind Barbaren, an Persönlichkeiten orientiert. Eine ferne Regierung ist für sie keine Regierung. Sie fühlen sich mir verpflichtet — eine Art Blutsverbundenheit oder so. Um also die Allianz mit diesen Leuten zu erhalten, müssen Sie mit mir verhandeln.“

„Und?“

„Wenn Sie keinen Aufklärer in den Raum hinausschicken, um die Richtigkeit meiner Information nachzuprüfen, werde ich die Schwesternschaft bitten, das Bündnis aufzulösen.“

„Was?“ Enriques wäre fast aufgesprungen.

Flandry nickte. „Ja. Dann werde ich die gesamten Bemühungen unserer Regierung sabotieren. Wir haben auf Starkad nichts zu suchen und können dann alle nach Hause gehen. Ich wette, daß auch die Merseier nach Hause gehen werden, wenn Sie dem alten Runei erzählen, daß Sie sich mit Ihren Schützlingen entzweit haben und den Planeten räumen.“

Enriques stand auf. „Sie haben Ihr ungeheures Geheimnis noch nicht enthüllt.“

Flandry sagte die Zahlen, doch der Admiral winkte ab. „Diese Zahlen stehen in Ihrem Brief. Ich kenne sie. Ist das alles?“

„Jawohl, Herr Admiral. Mehr ist nicht nötig.“

„Wie ist Ihre Interpretation?“

Flandry sagte es ihm.

Enriques schwieg. Er schob die Unterlippe vor und dachte nach. Er wanderte zum Fenster, blickte auf die Menge hinunter und hob seinen Blick zum Himmel.

„Und Sie glauben das?“ fragte er endlich.

„Ja. Eine andere passende Erklärung konnte ich nicht finden, und ich hatte Zeit genug. Ich würde mein Leben darauf setzen.“

Enriques sah ihn an. „Würden Sie das?“

„Ich tue es bereits, Herr Admiral.“

„Vielleicht. Angenommen, ich schickte einen Aufklärer los. Würden Sie an Bord gehen?“

Flandry glaubte nicht recht zu hören. „W-wieso… ja, jawohl, Herr Admiral!“ Seine Stimme drohte sich zu überschlagen.

„Hm. Soviel Vertrauen bringen Sie mir entgegen? Nun, es wäre ratsam, wenn Sie an Bord des Aufklärers gingen. Als Geisel für Ihre Behauptung, sozusagen.“ Enriques stand sinnend da. Die Stille wuchs.

Auf einmal sagte der Admiral: „Gut, Flandry. Die Anklage gegen Sie wird einstweilen ausgesetzt, das gleiche gilt für den Haftbefehl. Sie werden hiermit vorübergehend wieder in den Dienst übernommen und unterstehen meinem Kommando. Sie werden mit meiner Maschine nach Highport zurückkehren und dort auf weitere Befehle warten.“

Flandry salutierte. „Jawohl, Herr Admiral.“

Dragoika erhob sich. „Was hast du gesagt, Dommaneek?“

„Das Mißverständnis ist im Moment aufgeklärt, glaube ich. Ich werde mit dem Admiral zum Stützpunkt fliegen.“

„Und dann?“

„Dann? Nun, äh, dann werden wir ein fliegendes Schiff besteigen und eine Schlacht schlagen, die diesem ganzen Krieg vielleicht ein Ende machen wird.“

„Du hast nur sein Wort“, wendete sie ein.

„Hältst du ihn nicht für ehrenhaft?“

„Doch. Aber ich könnte mich irren. In der Schwesternschaft und unter dem einfachen Volk wird es welche geben, die eine List vermuten. Blut verbindet uns mit dir. Ich glaube, es würde am besten sein, wenn ich mit dir ginge. Dann wärst du sicher.“

„Aber — aber…“

„Außerdem ist dies auch unser Krieg“, fuhr Dragoika fort. „Soll von uns keiner teilnehmen? Ich nehme im Namen der Schwesternschaft und für mich selbst das Recht in Anspruch. Du wirst nicht ohne mich gehen.“

„Schwierigkeiten?“ fragte Enriques ungeduldig.

Flandry erklärte es ihm.

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