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Die „Dronning Margrete“ war nicht von einer Größe, die eine Landung auf einem technisch rückständigen Planeten angezeigt erscheinen ließ. Ihre Beiboote waren selbst kleine Raumschiffe. Auf Ny Kalmar beheimatet, war sie eine Staatsjacht in kaiserlichem Dienst. An Komfort stellte sie jedes Marineschiff weit in den Schatten. Nun verließ sie ihre Kreisbahn um Starkad und beschleunigte ihren Flug. Schon nach kurzer Zeit war sie weit genug im freien Raum, um auf Hyperantrieb umzuschalten und über die Lichtgeschwindigkeit hinauszugehen. Trotz ihrer Masse kam sie bei voller Maschinenleistung und Phasenfrequenz an die Höchstgeschwindigkeit schneller Kriegsschiffe heran. Die zurückbleibende Sonne schrumpfte bald zu einem Stern unter vielen zusammen und verschwand schließlich ganz.

Doch die Sternbilder veränderten sich nur langsam. Tage und Nächte vergingen, während sie durch die unermeßliche Weite jagte. Nur einmal begegnete ihr ein anderes Schiff in einem Lichtjahr Entfernung, und so konnte seine „Bugwelle“ festgestellt werden. Dieses Lebenszeichen bot noch nach Stunden Stoff für aufgeregte Gespräche. So groß ist der Kosmos.

Schließlich kam die Zeit, da Hauksberg und Abrams sich zu einem Gespräch zusammenfanden, das noch lange nach der Wachablösung andauerte. Bis dahin waren ihre Beziehungen korrekt, aber distanziert geblieben. Nun, da die Reise sich ihrem Ende näherte, sahen sie beide die Notwendigkeit, einander besser kennenzulernen und zu verstehen. Hauksberg lud Abrams zu einem Abendessen in seine private Suite ein. Zwei Stunden später machte sich sein übermüdeter Diener davon, nachdem er vorsorglich zwei entkorkte Weinflaschen, Cognac, Zigarren und Gebäck bereitgestellt hatte.

Das Schiff flüsterte und summte; indirektes Licht legte seinen weichen Schein auf Vorhänge, Bilder und Teppiche. Abrams genoß die Gelegenheit, von seiner Heimat zu erzählen, einem entlegenen Planeten im Grenzbereich des Imperiums.

„Pioniertypen, wie?“ Hauksberg entzündete eine seiner schwarzen Zigarren. „Klingt interessant, was Sie da sagen. Ich muß Dayan doch einmal besuchen.“

„Sie würden dort nicht viel finden, was Ihrem Lebensstil angemessen ist“, entgegnete Abrams. „Einfache Leute.“

„Und was sie der Wildnis abgerungen haben. Ich weiß.“ Der schmale blonde Kopf nickte. „Ganz natürlich, daß Sie ein bißchen chauvinistisch sind, mit einem solchen Hintergrund. Aber das ist eine gefährliche Haltung. Hat noch nie Gutes gebracht.“

„Gefährlicher ist es, dazusitzen und auf den Feind zu warten“, nuschelte Abrams an seiner Zigarre vorbei. „Ich habe eine Frau und Kinder und eine Million Vettern. Es ist meine Pflicht ihnen gegenüber, die Merseier auf Distanz zu halten.“

„Nein. Ihre Pflicht ist, dazu beizutragen, daß dies unnötig wird.“

„Großartig, wenn die Merseier dabei mitwirken.“

„Warum sollten sie nicht? Nein, warten Sie.“ Hauksberg hob eine Hand. „Lassen Sie mich ausreden. Mich interessiert nicht, wer mit dem Ärger angefangen hat. Das ist kindisch. Tatsache ist, wir waren die große Macht unter den Sauerstoffatmern im bekannten Teil des Spiralnebels. Angenommen, sie wären es gewesen? Hätten Sie sich dann nicht mit allen Kräften dafür eingesetzt, daß die Menschheit ein vergleichbares Imperium zusammenbringt? Andernfalls hätten Sie sich damit abfinden müssen, in ihrer Gewalt zu sein. Wie die Dinge nun lagen, wollten die Merseier nicht in unserer Gewalt sein. So kam es, daß Merseia sich ein eigenes Reich aufgebaut hatte, als wir anfingen, uns um die Angelegenheit zu kümmern. Wir waren alarmiert. Wir reagierten. Propaganda, Allianzen, Diplomatie, wirtschaftliche Manöver, Subversion, ja, hier und da provozierten wir regelrechte bewaffnete Zusammenstöße. Alles das mußte ihre Einschätzung unserer Absichten bestätigen. Sie reagierten ihrerseits und verstärkten damit unsere Furcht. Ein teuflischer Mechanismus, der immer mehr Eigengesetzlichkeit gewinnt. Das muß gestoppt werden.“

„Ich habe das schon gehört“, erwiderte Abrams, „und ich glaube kein Wort davon. Vielleicht habe ich zuviel über Assyrien, Rom, Deutschland und Israel gelesen, ich weiß nicht. Tatsache ist, daß Merseia, wenn es eine wirkliche Entspannung wünschte, noch heute eine haben könnte. Wir sind nicht mehr an einer Expansion interessiert. Das Imperium ist alt und fett. Merseia ist jung und hat große Rosinen im Kopf. Es giert nach dem Universum, und wir stehen ihm im Weg. Deshalb müssen wir gefressen werden. Alles andere ist nur Dessert.“

„Kommen Sie“, sagte Hauksberg. „Die sind auch nicht dumm. Eine galaktische Regierung ist unmöglich; sie würde unter ihrem eigenen Gewicht zusammenbrechen. Wir haben alle Hände voll zu tun, um unser Reich zu kontrollieren, und dabei üben wir die Regierungsgewalt sehr lax aus. Die meisten Selbstverwaltungsorgane sind so stark, daß sich innerhalb des Imperiums eine Art von Feudalismus zu entwickeln beginnt. Können die Merseier nicht vorausschauen?“

„Natürlich können sie das. Aber ich glaube nicht, daß sie uns kopieren wollen. Das Roidhunat ist nicht wie das Imperium.“

„Gewiß, die Wähler der landbesitzenden Clans suchen sich ihren obersten Herrscher in dem einen Clan der Landlosen, aber das ist ein Detail.“

„Ja, nur der Vach Urdiolch darf die Spitze der Regierung stellen. Das ist kein Detail. Es spiegelt ihre ganze Gesellschaftsauffassung. Was sie für die fernere Zukunft anstreben, ist eine Anzahl autonomer, von Merseiern regierter Regionen. Für sie zählt die Rasse, nicht die Nation. Das macht sie viel gefährlicher als einfache Imperialisten wie uns, die nur an erster Stelle stehen wollen und den übrigen Spezies ein gleiches Recht zu existieren einräumen.“

„Eine sehr euphemistische Umschreibung für unseren Kolonialismus“, sagte Hauksberg lächelnd. „Fühlen Sie sich als Gast der Merseier. Fühlen Sie sich als mein Gast. Solange Sie nicht ehrgeizig werden und die Dinge mit Spionagegeschichten verderben, sind Sie hier an Bord willkommen.“ Das Lächeln erstarb. „Wenn Sie Ärger machen, werde ich Sie zerbrechen.“

Abrams blickte in die blauen Augen; sie waren plötzlich sehr kalt und entschlossen. Es dämmerte ihm, daß Hauksberg alles andere war, nur nicht der aristokratische Snob, für den er sich ausgab.

„Danke für die Warnung“, sagte er. „Aber, verdammt noch mal, die Merseier sind doch nicht nach Starkad gekommen, weil ihnen vor Mitleid mit dem armen, bedrängten Seevolk das Herz blutete! Auch glaube ich nicht, daß sie aus Versehen da hineingestolpert sind und nur auf einen geeigneten Vorwand warten, um sich ohne Gesichtsverlust zurückziehen zu können. Sie erwarten, daß für sie etwas dabei herausspringt.“

„Zum Beispiel?“

„Wie sollte ich das wissen? Ich möchte schwören, daß nicht einmal ihre eigenen Leute auf Starkad wissen, welches der wahre Grund für ihre Anwesenheit ist. Wahrscheinlich weiß nur eine Handvoll hochgestellter Personen auf Merseia selbst, was die große Strategie ist. Und diese Leute haben sie bis ins Detail ausgearbeitet.“

„Denken Sie vielleicht an wertvolle Mineralien am Meeresboden?“

„Nein, das tue ich nicht. Ich glaube nicht, daß das Seevolk irgendwelche geheimnisvollen Schätze besitzt. Wenn es auf Starkad so etwas gäbe, hätten die Merseier es still und ohne Aufhebens an sich bringen können. Nach meiner Ansicht geht es ihnen um eine Basis, um, sagen wir mal, die Region am Beteigeuze unter Druck zu setzen. Nein, sie suchen die Auseinandersetzung. Das ist meine Überzeugung.“

„Ich habe auch in dieser Richtung Spekulationen angestellt“, sagte Hauksberg nachdenklich. „Unter anderem dachte ich an die Möglichkeit, daß einige fanatische Militaristen unter ihnen auf einen Zusammenstoß mit uns hinarbeiten. Die Entfernungen sind so groß, daß keine der beiden Mächte an einen direkten Vorstoß ins Zentrum der anderen denken kann. Lassen sie es dagegen auf einem relativ unwichtigen Planeten wie Starkad zu einer Auseinandersetzung kommen, dann könnte es tatsächlich hier draußen zu einer Kraftprobe kommen — in einer Gegend, wo kein wichtiger Planet in Mitleidenschaft gezogen würde.“

Abrams nickte. „Was Sie da sagen, ist eine Art Arbeitshypothese für mich. Aber ich bin noch nicht ganz zufrieden damit. Irgendwie riecht es nicht richtig.“

„Ich beabsichtige, die Merseier zu warnen“, sage Hauksberg, „daß sie die Dinge nicht durch Stolz und Ehrbegriffe irgendeiner Art komplizieren. Wenn wir die vernünftigen Elemente in ihrer Regierung ausfindig machen können, müssen wir versuchen — sehr diskret, versteht sich —, eine Zusammenarbeit mit diesen Kräften anzubahnen und die Kriegstreiber zu isolieren.“

„Das Dumme ist nur“, wendete Abrams ein, „daß sie alle vernünftig sind. Aber ihre Vernunft liegt auf einer anderen Ebene als unsere.“

„Nein, Sie sind der Unvernünftige, alter Freund. Ihre Voreingenommenheit zu diesem Gegenstand ist paranoid.“ Hauksberg füllte die Gläser auf. „Trinken Sie noch ein Gläschen, während ich Ihnen zu erklären versuche, was an Ihrer Betrachtungsweise falsch ist.“

* * *

Die Offiziersmesse war verlassen. Persis hatte sich eine Flasche Portwein von der Bar bringen lassen und saß im Halbdunkel der Veranda. Nur durch das breite Aussichtsfenster drang schwaches, diffuses Licht herein und erfüllte den Raum mit grauen Schatten und sanft schimmernden Reflexen.

Sterne waren die Lichtquelle, unzählige Scharen von Sternen, weiß, bläulich, rötlich, kalt und klar vor der absoluten Nacht des Weltraums. Und die Milchstraße war wie leuchtender Rauch, und von der Grenze des Sichtbaren schimmerte die Ellipse des Andromedanebels herüber. Es war ein Bild von furchteinflößender Schönheit.

Flandry sah nichts davon, nicht mit Bewußtsein. Ihre Augen und ihre nur von einem pyjamaähnlichen Hausanzug verhüllten Formen nahmen ihn gefangen. Steif saß er in seinem Sessel, ihr gegenüber. „Ja“, sagte er, „Sie haben recht, der helle Stern dort drüben, das ist eine Nova. Auch Saxo wird in absehbarer Zeit zu einer solchen Nova werden.“

„Ist das wahr?“ Ihre Aufmerksamkeit schmeichelte ihm.

„Ja, die Sonne ist genau der Typ, ein Unterzwerg vom Spektraltyp A. Natürlich kann man es nicht mit Sicherheit sagen, aber eines Tages wird der Ausbruch kommen.“

„Die armen Einwohner von Starkad!“

Flandry schmunzelte überlegen, was ihm einige Mühe bereitete. „Machen Sie sich keine Sorgen. Nach den spektroskopischen Untersuchungen werden noch an die hundert Millionen Jahre vergehen, bis es soweit ist. Zeit genug, um den Planeten zu evakuieren.“

„Hundert Millionen Jahre.“ Sie erschauerte. „Vor hundert Millionen Jahren liefen unsere Vorfahren noch auf allen vieren, nicht wahr?“ Sie nippte von ihrem Wein, dann beugte sie sich vor. „Aber erzählen Sie mir doch von sich. Sie sind zu schüchtern.“

„Von-von mir?“ stammelte er erschrocken. „Wozu? Ich meine, ich bin niemand.“

„Sie sind der erste junge Held, dem ich begegnet bin. Die anderen, zu Hause, sind grau und alt und mit Orden überkrustet. Mit denen kann man sich nicht nett unterhalten. Ehrlich gesagt, ich langweile mich auf diesem Schiff. Sie sind der einzige, bei dem ich mich entspannen und menschlich fühlen kann. Und Sie stecken kaum einmal Ihre Nase aus dem Büro.“

Flandry errötete. Er hatte den Uniformkragen geöffnet, aber sein Hals fühlte sich immer noch beengt.

„Oberst Abrams gibt mir viel Arbeit. Ich wollte nicht ungesellig sein, aber dieses ist das erste Mal, daß er mich gehen ließ. Aber Graf Hauksberg…“

Persis zuckte die Achseln. „Er versteht mich nicht. Gewiß, er ist gut zu mir gewesen, und ohne ihn wäre ich wahrscheinlich noch heute eine unterbezahlte Tänzerin. Aber er versteht mich nicht.“

Flandry füllte sein Glas auf, um Zeit zu gewinnen und seiner Verlegenheit Herr zu werden.

„Warum sind Sie nach Starkad gegangen?“ fragte Persis freundlich.

„Das war ein Befehl.“

„Soll das eine Antwort sein? Sie hätten es doch sicher vermeiden können. Den meisten scheint es zu gelingen. Sie müssen einen Glauben an das haben, was Sie tun.“

„Ich weiß nicht. Ich konnte mich noch nie aus einer ordentlichen Keilerei heraushalten. Vielleicht ist es das.“

Sie seufzte. „Ich hatte besser von Ihnen gedacht, Dominic.“

„Wie bitte?“ Flandry murmelte eine Entschuldigung. Sie half ihm über die Peinlichkeit des Augenblicks hinweg.

„Ich möchte wissen, was Ihnen wichtig ist. Sie sind die Zukunft. Was hat Ihnen die Erde gegeben, daß Sie als Gegenleistung Ihr Leben aufs Spiel setzen?“

„Nun — ich denke, ah, Protektion, eine Ausbildung und so.“

„Karge Geschenke“, sagte sie. „Sie waren arm?“

„Eigentlich nicht. Ich bin der uneheliche Sohn eines kleinen Adligen. Er schickte mich auf gute Schulen und zuletzt auf die Marineakademie.“

„Aber Sie waren kaum jemals zu Hause?“

„Nein. Das war gar nicht möglich. Ich meine, meine Mutter war damals an der Oper. Sie mußte an ihre Karriere denken. Mein Vater ist ein Privatgelehrter, und seine Studien gehen ihm über alles. Was sonst noch ist, scheint für ihn mehr nebensächlich zu sein. Das ist eben seine Art. Meine Eltern haben ihre Pflicht mir gegenüber erfüllt. Ich kann mich nicht beklagen.“

„Jedenfalls tun Sie es nicht.“ Sie berührte seine Hand. „Mein Vorname ist Persis.“

Flandry schluckte.

„Was für ein hartes Leben Sie hatten“, meinte sie sinnend. „Und doch kämpfen Sie für das Imperium.“

„Wirklich, mein Leben war nicht schlimm… Persis.“

„Gut! Sie machen Fortschritte.“ Diesmal ließ sie ihre Hand auf der seinen liegen. „Warum sind Sie bei mir so schüchtern?“

Er zog sich in seinen Sessel zurück. „Ich-ich, sehen Sie, ich hatte nie Gelegenheit, zu lernen, ah, wie man sich benimmt, ich meine, in so einer Situation…“

Sie war so nahe, daß er ihre Körperwärme zu spüren glaubte.

Sie hatte ihre Augen halb geschlossen. „Nun haben Sie die Gelegenheit“, flüsterte sie.

Später, in ihrer Kajüte, stützte sie sich auf einen Ellbogen und betrachtete ihn lange. Ihr Haar floß über seine Schulter. „Und ich dachte, ich wäre deine erste gewesen“, sagte sie.

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