Elftes Kapitel Passkontrolle

Es war gegen Abend. Die Dämmerung war nicht mehr weit.

Die Sonne ging hinter einer Wolke unter und überschwemmte die anderen Wolken und die See mit unendlich viel Rosa.

Emil und der kleine Dienstag standen seit über einer Stunde auf der Korlsbüttler Brücke und warteten geduldig auf ihre Freunde. Emil hatte für sie Stullen zurechtgemacht.

Dienstag trug das Paket. Er war kolossal munter und freute sich wie ein Schneekönig auf die kommenden Ereignisse.

Segelboote in allen Größen bogen in den Hafen ein.

Doch das Boot, auf das sie warteten, kam und kam nicht.

"Das sind sie!" rief Dienstag und zeigte auf ein Boot, das sich der Brücke näherte.

Aber sie waren es nicht.

Emil sagte: "Verstehst du das? Hoffentlich ist ihnen nichts passiert."

"Was soll ihnen denn passiert sein? Es war doch kein Sturm und überhaupt nichts. Sie werden zu weit hinausgesegelt sein.

Und die Heimfahrt dauert länger, als sie gedacht haben."

Emil brüllte einem heimkehrenden Boot entgegen: "Haben Sie draußen □Kunigunde IV’ gesehen?"

Der Mann am Steuer rief: "Nee, wir sind unterwegs überhaupt keinem Mädchen begegnet!" Die andern im Boot lachten laut.

"So ein Dussel", meinte Dienstag.

Und Emil sagte: "Wir warten noch eine halbe Stunde.

Wenn sie dann noch nicht hier sind, müssen wir zu Fuß nach Graal pilgern, statt auf Gustavs Motorrad."

Sie warteten.

Dann holte Emil einen Zettel aus der Tasche und schrieb: "Wir sind ohne euch nach Graal. Beeilt euch gefälligst und seid rechtzeitig in Heidekrug und Warnemünde!"

"Moment, Kleiner", sagte er anschließend und rannte zum Hafen hinunter. An der Anlegestelle von ,Kunigunde IV’ befestigte er den Zettel so, daß man ihn beim Landen sofort sehen mußte. Er pickte ihn mit einer Stecknadel an einen Pfahl.

(Stecknadeln hatte er seit seinem Erlebnis mit Herrn Grundeis immer bei sich.) Er rannte zum kleinen Dienstag zurück. "Immer noch nichts ?"

"Immer noch nichts."

"Solche Vagabunden", sagte Emil. "Na, das kann nun alles nichts helfen. Da wollen wir mal die Beine unter die Arme nehmen!"

Und so trabten sie nach Graal hinüber. Manchmal im Dauerlauf. Manchmal im Marschtritt. Dienstag trug das Stullenpaket.

Im Walde war es dumpf und diesig. Sümpfe lagen nahebei.

Und die Stechmücken fraßen die zwei eiligen Wanderburschen beinahe auf. Kröten hüpften über den Weg. Und in der Ferne rief ein Kuckuck.

Nach etwa einer Stunde kamen sie auf eine Wiese, auf der schwarz und weiß gefleckte Kühe weideten. Eine der Kühe, es konnte aber auch ein Ochse sein, galoppierte gesenkten Kopfes auf sie los. Sie rannten, was sie konnten. Endlich erreichten sie einen Zaun, kletterten hinüber und standen auf einem Strandweg. Die Kuh, oder der Ochse, blickte sie ernst an, drehte sich um und trollte sich zu der Herde zurück.

"So ein Rindvieh", sagte der kleine Dienstag. "Einen so abzuhetzen! Und die Stullen hätte ich auch beinahe verloren."

Um dieselbe Zeit blickte, auf einer Insel draußen im Meer, der Professor auf die Uhr. "Jetzt fährt der Dampfer in Graal ab", sagte er. "Es ist zum Verrücktwerden."

Hans Schmauch, der neben der Palme hockte, hatte Tränen in den Augen. "Ich bin an allem schuld. Könnt ihr mir verzeihen?"

"Quatsch keine Opern", meinte Gustav. "Meine Herren, im Leid zeigt sich erst die wahre Größe! Außerdem wird Emil diesen Mister Pachulke auch ohne unsere gütige Mitwirkung zur Strecke bringen. Emil und Dienstag sind ja nicht auf den Kopf gefallen."

Der Professor sagte: "Sie können die Jagd ohne uns nicht durchführen. Emil und Dienstag, das sind viel zu wenig Detektive! Dazu kommt, daß sie natürlich noch immer in Korlsbüttel am Hafen stehen und auf uns warten. Vielleicht alarmieren sie gerade jetzt die Hafenpolizei, weil unser Boot noch nicht zurück ist."

Gustav war anderer Meinung. "Wozu soll Emil die Polizei alarmieren? Was kann uns hier schon geschehen? Wir schlafen in der Kajüte. Zu essen haben wir auch genug. Na, und morgen wird schon irgendwann ein Fischerboot oder ein Dampfer an dieser blödsinnigen Insel vorbeikommen."

"Du redest, wie du’s verstehst", entgegnete der Professor.

"Woher soll denn Emil wissen, daß wir auf dieser Insel sitzen?

Das kann er doch nicht riechen!"

Gustav war völlig verblüfft. "Richtig! Natürlich weiß er das nicht. Entschuldigt, bitte. Ich bin manchmal entsetzlich dämlich."

Der Pikkolo sagte traurig: "Emil denkt sicher, daß wir gekentert sind. Und daß wir uns nur noch mühsam am Bootskiel anklammern. Und daß wir am Ersaufen sind." Er putzte sich gerührt die Nase. "Und morgen früh kommt mein Onkel aus Schweden zurück."

"Mensch, gibt das Ohrfeigen!" meinte Gustav nachdenklich.

"Vielleicht sollten wir lieber für den Rest unseres Lebens auf der Insel bleiben? Wie? Vom Fischfang könnten wir uns leidlich ernähren. Glaubt ihr nicht? Aus den Segeln könnten wir ein Nomadenzelt bauen. Und vielleicht gibt’s auf diesem idiotischen Archipel Feuersteine. Dann angeln wir Treibholz, trocknen es, zünden es an und braten Fische. Früh, mittags und abends. Was haltet ihr von meinem Vorschlag?"

"Er ist deiner würdig", sagte der Professor ironisch.

"Vielleicht wachsen eines Tages auf der Palme Kokosnüsse. In den Nußschalen braten wir Möweneier. Und die Kokosmilch gießen wir in den Frühstückskaffee."

"Haben wir denn Kaffee?" fragte Gustav erstaunt.

"Nein, aber du hast einen Klaps!" rief der Professor.

"Hans, wie lange reicht das Trinkwasser?"

"Wenn wir sparsam sind, ungefähr einen Tag", antwortete der Pikkolo.

"Wir werden noch sparsamer sein!" erklärte der Professor streng. "Es muß zwei Tage reichen. Hoffentlich regnet’s morgen.

Dann stellen wir leere Konservenbüchsen auf und sammeln Regenwasser."

"Großartig!" rief Gustav. "Professor, du bist immer noch der alte Stratege."

"Und die Eßvorräte schließ’ ich ein", sagte der Professor.

"Ich übernehme die Verteilung."

Gustav hielt sich die Ohren zu. "Bitte, redet nicht immer vom Essen", bat er. "Sonst kriege ich sofort Hunger."

Woher sollte Emil wissen, daß sie auf dieser Insel saßen?

Der Professor trat ans Ufer und blickte übers Meer.

Gustav stieß den Pikkolo in die Rippen und fragte leise: "Weißt du, wie er dasteht?"

"Nein."

"Wie Napoleon auf Sankt Helena", flüsterte Gustav und kicherte.

Als der Dampfer in Korlsbüttel anlegte, blickten Emil und Dienstag angespannt durch das Kajütenfenster. Dienstag preßte die Nase gegen die Scheibe. "Und wenn der Byron nun nicht einsteigt ?"

"Dann sausen wir, bevor sie die Seile loswinden, hinauf und springen an Land", erklärte Emil. "Aber dort kommt er schon!"

Mister Byron und Mackie, der kleinere Zwilling, betraten das Schiff. Sie hatten mehrere große Koffer bei sich. Endlich war alles verstaut. Der Mann trat an die Reling. Mackie setzte sich auf eine Bank. Der Brückenwärter schlang die Seile los und warf sie einem der Matrosen zu.

Der Motor stampfte. Das Schiff setzte sich wieder in Bewegung.

Die beiden Jungen blickten nach dem Strand hinüber. Die erleuchteten Fenster der Korlsbüttler Häuser wurden kleiner und kleiner. Das Wasser klatschte an die Bullaugen.

"Es riecht so nach Öl", flüsterte Dienstag. "Mir wird mulmig."

Emil öffnete das Fenster. Kalte Nachtluft strömte herein.

Salzwasser spritzte ihnen ins Gesicht. Dienstag steckte den Kopf aus dem Fenster und holte tief Atem. Dann setzte er sich auf die Bank, lächelte Emil zu und sagte: "Wenn das meine Eltern wüßten!"

Emil dachte einen Augenblick lang an seine Mutter in Neustadt und an seine Großmutter in Kopenhagen. Dann nahm er sich zusammen. Er klopfte Dienstag aufs Knie. "Es wird schon alles gut gehen. Paß auf, Kleiner, in Heidekrug kommt der Pikkolo an Bord. Dann wissen wir, daß auch die andern auf dem Posten sind. Und alles übrige ist eine Kleinigkeit."

Emil hatte sich geirrt. Hans Schmauch kam in Heidekrug nicht an Bord!

Darüber wunderten sich nicht nur Emil und Dienstag.

Noch mehr wunderte sich Mister Byron. Er setzte sich neben Mackie, den einen Zwilling, und kratzte sich am Kopf. Drüben am Ufer glitt die dunkle Rostocker Heide vorüber.

Emil stand auf. Dienstag rutschte erschrocken von der Bank.

"Was ist das ?" flüsterte er.

"Es ist soweit", sagte Emil. "Die andern sind nicht gekommen. Wir müssen die Angelegenheit allein regeln.

Komm!" Sie kletterten die Treppe hinauf und wanderten suchend über Deck.

Hinter dem qualmenden Schornstein saßen, von Koffern umgeben, ein Mann und ein Junge.

Emil trat hinzu. Dienstag hielt sich dicht hinter ihm. Er schleppte noch immer das Stullenpaket, das sie den Freunden hatten mitbringen wollen.

Emil sagte: "Mister Byron, ich muß Sie sprechen!"

Der Mann blickte erstaunt auf: "Was gibt’s?"

"Ich komme im Auftrag meiner Freunde", sagte Emil.

"Wir wissen, daß Sie den Pikkolo Hans Schmauch in Heidekrug erwartet haben und mit ihm fliehen wollten."

Mister Byron bekam böse Augen. "Deswegen ist der Kerl nicht gekommen? Ihr Lausejungen habt es ihm ausgeredet?"

"Mäßigen Sie Ihre Ausdrücke. Ich nenne Sie ja auch nicht, wie ich gern möchte."

"Tu’s doch", bat Dienstag.

"Da ist ja noch einer", meinte Byron.

"Guten Abend, Herr Pachulke", sagte der kleine Dienstag.

Der Mann lachte ärgerlich.

Emil erklärte: "Wir kommen vor allem Jackies wegen.

Schämen Sie sich denn nicht, den armen Jungen bei Nacht und Nebel zu verlassen ?"

"Ich kann ihn nicht mehr brauchen!"

Dienstag trat energisch vor. "Und warum? Weil er Ihnen zu schwer ist. Wir wissen alles, mein Herr. Aber ist das ein Grund?"

"Natürlich ist das ein Grund", behauptete der Mann. "Ich konnte mit ihm nicht länger arbeiten. Mein Repertoire hat darunter gelitten. Ich bin ein Künstler. Versteht ihr das ? Ich könnte im ,Colosseum’ in London auftreten! Wenn ich doch bloß schon vor zwei Jahren geahnt hätte, daß der Bengel so schnell wachsen würde! Ich könnte mich backpfeifen!"

Emil geriet in Wut. "Tun Sie das nur! Wir werden Sie nicht daran hindern. Ich kann es nicht fassen, daß ein Mensch so roh sein kann. Was soll denn aus Jackie werden, wie ?"

"Soll er vielleicht betteln gehen?" erkundigte sich Dienstag.

"Oder soll er in die Ostsee springen? Oder Fürsorgezögling werden? Wir erlauben es nicht!"

"Meine Freunde und ich", sagte Emil, "haben einstimmig beschlossen, daß Sie mit uns nach Korlsbüttel zurückkehren."

"So, so!" Mister Byron rollte die Augäpfel. "Steckt eure Nasen lieber in eure Schulbücher, ihr Grünschnäbel!"

Dienstag erwiderte: "Wir haben doch Ferien, Herr Pachulke!"

"Wir dulden unter gar keinen Umständen", bemerkte Emil, "daß Sie einen ihrer Zwillinge ins Unglück stürzen, nur weil er nicht klein bleibt, sondern wächst. Ich ersuche Sie, mit uns zurückzukehren. Wir sind in wenigen Minuten in Warnemünde.

Dort erwarten uns unsre Freunde. Und wenn Sie Weiterreisen wollen, übergeben wir Sie der Polizei."

Der Hinweis auf die Polizei schien Mister Byron nicht zu gefallen.

"Also?" fragte Emil nach einer Weile. "Wollen Sie Ihren väterlichen Pflichten nachkommen? Oder sollen wir Sie festnehmenlassen?"

Der Mann sah plötzlich sehr erleichtert aus. "Väterliche Pflichten?" fragte er.

"Jawohl, Herr Pachulke!" rief Dienstag entrüstet. "Das ist wohl ein Fremdwort für Sie?"

Mister Byron lächelte finster. "Deswegen nennt mich der alberne Knirps dauernd Pachulke? Ich heiße ja gar nicht Pachulke!"

Die zwei Jungen staunten. "Wie heißen Sie denn?"

"Anders", antwortete er.

"Na ja. Aber wie denn sonst ?"

"Anders", erklärte der Mann. "Ich heiße Anders."

"Nennen Sie doch schon Ihren richtigen Namen!" rief Emil.

"Daß sie anders heißen, haben Sie uns schon ein paarmal mitgeteilt."

Mackie, der bis jetzt geschwiegen hatte, sagte: "Er heißt nicht anders, sondern Anders. Er heißt Anders, wie andre Müller oder Lehmann heißen. Er heißt Herr Anders."

"Ach so!" rief Emil.

"Haben Sie einen Personalausweis bei sich ?" fragte Dienstag.

"Meinen Paß", bemerkte Mister Anders.

Dienstag fragte höflich: "Darf ich den Paß einmal sehen?"

Und weil der Artist sich sträubte, fügte Dienstag hinzu: "Sie können ihn ja auch bei der Polizei zeigen, wenn Ihnen das lieber ist."

Der Mann zog seinen Paß aus der Tasche. Dienstag nahm ihn und studierte ihn sachlich wie ein Zollbeamter bei der Grenzkontrolle.

"Stimmt die Personalbeschreibung?" fragte Emil.

Dienstag sagte: "Der Name stimmt. Mister Byron heißt tatsächlich Anders." Dann las er vor: "Beruf - Artist.

Gestalt -

auffallend groß und kräftig. Gesicht - gewöhnlich.

Haarfarbe - schwarz. Besondere Kennzeichen - Tätowierung am rechten Oberarm." Er gab den Paß zurück. "In Ordnung. Danke schön."

Emil waren sämtliche Felle weggeschwommen. "Sie sind also gar nicht Jackies Vater?"

"Nein", brummte Mister Anders. "Ich bin weder sein Vater, noch seine Mutter. Jackie und Mackie sind auch keine Zwillinge.

Sie sind nicht einmal Geschwister. Und Mackies Vater bin ich auch nicht. Sondern Mackie heißt in Wirklichkeit -

"Josef Kortejohann", vollendete Mackie. "Der Name Byron und das familiäre Drum und Dran sind Geschäftsrücksichten.

Jackie tut mir natürlich auch leid. Das läßt sich ja denken. Aber wir können ihn tatsächlich nicht mehr brauchen. Der Junge hat Pech, daß er wächst."

Schon zuckte der Scheinwerfer vom Warnemünder Leuchtturm über Wellen und Himmel. Und die hellen Fenster der Hotels zwinkerten freundlich.

Emil war noch immer wie vor den Kopf geschlagen.

Endlich riß er sich zusammen und sagte: "Ich finde es trotzdem unrecht, den armen Jungen sitzen zu lassen. Ich fühle mich, auch im Namen meiner Freunde, für Jackies Zukunft verantwortlich.

Deshalb muß ich Sie bitten, mir Geld für ihn mitzugeben.

Wenigstens für die ersten Wochen."

"Ich denke ja gar nicht daran", rief Mister Anders aufgebracht, "wildfremden Jungen Geld zu geben."

Emil holte einen Zettel aus der Tasche. "Sie erhalten selbstverständlich eine Quittung mit unsern Unterschriften."

"Und wenn ich nichts gebe?" fragte der Mann spöttisch.

"Das können Sie sich ja noch überlegen", sagte Emil.

"Wenn Sie sich weigern, lassen wir Sie verhaften."

"Aber ich bin doch nicht Jackies Vater!" rief Mister Anders.

"Was soll ich denn bei der Polizei?"

"Das erklärt Ihnen dann schon die Polizei", meinte Dienstag sanft. "Die kennt sich in solchen Geschichten besser aus als wir."

Emil setzte sich unter eine Bordlampe. "Ich schreibe schon immer eine Quittung über hundert Mark aus."

"Ihr seid wohl wahnsinnig geworden?" fragte der Mann.

"Hundert Mark? Man sollte euch den Kragen umdrehen!"

"Nicht doch!" sagte Dienstag.

Mackie mischte sich ein. "Das ist zuviel. Soviel Geld haben wir nicht übrig."

"Lügst du?" fragte Dienstag.

"Nein", meinte Mackie. "Mein Ehrenwort."

"Dann also fünfzig Mark", erklärte Emil. Er schrieb die Quittung aus und unterschrieb sie. "Komm, Kleiner, unterschreibe auch!"

Dienstag setzte seinen Namen unter die Quittung. Und Emil hielt dem Mann den Zettel hin. Doch Mister Anders tat nichts dergleichen.

Der Dampfer näherte sich der Anlegestelle.

"Wie Sie wollen", sagte Emil ernst.

Der Dampfer hielt und wurde vertäut.

Emil sagte: "Gut, mein Herr. Jetzt hole ich den Kapitän."

Er ging auf die Kommandobrücke zu und wollte gerade die Treppe emporklettern.

"Hier!" rief Mister Byron. Er zerrte die Brieftasche wütend aus dem Jackett und hielt Emil einen Geldschein hin.

Emil nahm den Schein. Es waren fünfzig Mark. Er sagte: "Bitte schön, hier ist die Quittung."

Der Mann nahm die Koffer auf. "Behaltet euren Wisch!

Und schert euch zum Teufel!" Dann ging er an Land. Mackie folgte ihm. Er drehte sich noch einmal um. "Schönen Gruß an Jackie!"

Er tippelte hinter dem Riesen her, der Anders hieß, und verschwand. Emil steckte die Quittung in die Hosentasche.

Kurz darauf standen er und Dienstag im Bahnhofsgebäude.

Sie studierten den Fahrplan. Emil zuckte die Achseln.

"Es geht kein Zug mehr, Kleiner. Und es geht auch kein Dampfer mehr.

Wir müssen trotzdem sofort nach Korlsbüttel zurück. Wir müssen endlich wissen, was aus den anderen geworden ist.

Hoffentlich sind sie inzwischen eingetroffen."

Der kleine Dienstag sagte: "Wir wollen also zu Fuß hinüber?"

Emil nickte. "Ich denke, in drei Stunden schaffen wir’s."

"Dann also hoppla!" meinte Dienstag müde. "Der Marsch durch die nächtliche Wüste kann beginnen. Ich komme mir schon wie ‘n Fremdenlegionär vor."

"Ich komme mir überhaupt nicht mehr vor", erklärte Emil.

Während Gustav, der Professor und ein Pikkolo in einem gestrandeten Segelboot schliefen, während sich Kapitän Schmauch in der Kajüte seines Handelsschiffes, das auf der Ostsee schwamm, einen Glühwein genehmigte, und während Emil und Dienstag auf der finsteren Chaussee nach Markgrafenheide pilgerten, saßen unsre Dänemark­Touristen in ihrem Kopenhagener Hotel, gegenüber der Oper, und aßen vergnügt zu Abend. Die Autobusfahrt durch Seeland, die Besichtigung von Hamlets Grab und von der Festung Helsingör hatte sie hungrig gemacht. Sie aßen, unterhielten sich und lachten.

Nur Frau Haberland, die Mutter des Professors, war noch stiller als gewöhnlich. Sie lächelte auch nicht, wie sie’s sonst tat.

"Was hast du denn?" fragte der Justizrat.

"Kopfschmerzen?"

"Ich weiß nicht, was es ist. Aber ich habe Angst. Ich habe das Gefühl, als ob in Korlsbüttel nicht alles so wäre, wie es sein sollte."

Der Justizrat legte den Arm um ihre Schultern. "Aber, aber!

Du hast fixe Ideen, meine Liebe. Immer, wenn wir unterwegs sind, glaubst du, dem Jungen fällt in jedem Moment ein Ziegelstein auf den Kopf." Er lachte. "Die Jungens schwärmen für selbständige Entwicklung. Da darf man sie nicht stören.

Sonst werden sie bockig. Na, Muttchen, nun sei mal wieder fröhlich!"

Sie lächelte. Aber nur, um ihm einen Gefallen zu tun.

Es war eine Stunde später. Auf der dunklen Chaussee nach Heidekrug überholte ein Molkerei-Fuhrwerk zwei langsam dahinwandernde Knaben.

Der Kutscher bremste. "Wo wollt ihr denn noch hin?"

"Nach Korlsbüttel", rief der größere von beiden.

"Könnten Sie uns ein Stück mitnehmen?"

"Setzt euch hinten drauf!" sagte der Kutscher barsch.

"Aber schlaft nicht ein! Sonst fallt ihr vom Wagen."

Emil half Dienstag hoch und kletterte neben ihn. Das Fuhrwerk fuhr weiter. Eine Minute später schlief der kleine Dienstag. Emil hielt den Freund fest und blickte, während der andere schlief, in den dunklen Wald hinüber und zu dem Sternenhimmel empor. Er überdachte den Tag. Habe ich etwas falsch gemacht?

Was soll jetzt aus Jackie werden? Und wo mögen Gustav und der Professor sein ?

Dienstag schlang im Schlaf beide Hände, samt dem Stullenpaket, um Emils Hals. Eine Eule flog lautlos über die Wipfel.

Das Pferd scheute. Der Kutscher beruhigte es brummend.

Dann drehte er sich um und wollte die Jungen etwas fragen.

Als er aber Dienstag in Emils Armen fest schlafen sah, schwieg er und wandte sich wieder seinem Gaul zu.

Emil fühlte sich sehr einsam.

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