KAPITEL 24

Robbins erwachte und fand Neala schlafend neben sich auf dem Fellbett vor. Er hob den Kopf. Sherri stand an der vor­deren Wand und hielt Wache.

Behutsam entfernte er Nealas Hand von seinem Bauch und stand auf. Er ging zu Sherri. »Was machen sie?«, er­kundigte er sich.

»Stehen bloß rum.«

Er spähte hinaus. »Worauf um alles in der Welt warten die?«

»Vielleicht wollen sie uns aushungern. Ist besser, als sich von uns die Köpfe wegschießen zu lassen.«

»Ja.« Er trat von der Wand zurück und zog sein T-Shirt hoch, um sich den Schweiß vom Gesicht zu wischen. Dann ergriff er sein Gewehr. Er ging zur Tür und öffnete sie. Die von draußen hereinströmende Luft sorgte für keine Abküh­lung; sie fühlte sich eher noch wärmer an als im Inneren.


»Ich persönlich glaube ja, dass wir verdursten, bevor wir verhungern«, sagte Sherri.

»Wir werden weder verdursten noch verhungern.«

»Was hast du vor? Kollektiven Selbstmord?«

»Ich habe vor, uns hier rauszuschaffen.«

»Na, viel Glück.«

Robbins trat hinaus ins Sonnenlicht. Er kniff die Augen zusammen und spähte durch die schiefen Kreuze und aufge­spießten Köpfe.

Es mussten etwa zwei Dutzend Krulls sein. Und sie taten nicht das Geringste. Hängen nur rum, wie bei einem Picknick.

Picknick.

Robbins lachte freudlos.

Ein paar der Krulls wurden lebhaft, als sie ihn bemerkten. Einige zeigten in seine Richtung. Ein junger Bursche rannte vor, hielt am Rand der Kreuze an und schleuderte einen Speer. Robbins beobachtete, wie der Schaft aufstieg, wusste jedoch, dass er nicht weit genug fliegen würde. Was sich bestätigte. Im Fallen riss der Speer einem aufgespießten Kopf das halbe Gesicht weg. Der Schädel wirbelte herum, das schwarze Haar wehte hinterher.

Zornige Stimmen zerbrachen die Stille.

Zwei Krulls griffen den Jungen an. Sie stießen ihn zu Boden, stapften auf ihn, traten auf ihn ein.

Weil er den Speer auf ein unmögliches Ziel geworfen hatte?

Oder weil er einen der Köpfe beschädigt hatte?

Vielleicht ist das hier heiliges Gelände, dachte Robbins. Das würde erklären, weshalb die Krulls es nicht betraten.

Er ging die Vorderseite der Hütte entlang zur Ecke. Auf dieser Seite befanden sich weitere Krulls. Robbins zählte nur acht. Allerdings konnten sie von denen vorne Verstärkung bekommen.

Er ging weiter nach hinten. Dort sah er noch mehr. 13 oder 14 wanderten müßig jenseits des Felds der Kreuze umher.

Ein Geräusch hinter ihm ließ ihn zusammenzucken. Jäh wirbelte er herum. Die Mündung seines Gewehrs schwebte nur Zentimeter vor Nealas Bauch.

Einen Moment lang wirkte sie zu Tode verängstigt. Dann trat ein Lächeln in ihre Züge. »Nicht schießen«, bat sie.

»Käme mir nie in den Sinn. Wieso bist du auf?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Da drin ist es zu heiß.«

»Hier draußen ist es noch heißer.«

»Aber hier bist du. Was machst du?«

»Ich suche nach einem Ausweg.«

»Schon Glück gehabt?«

»Noch nicht.«

Sie blickte mit zusammengekniffenen Augen über das Feld. Nasse Haare klebten an ihrer Stirn. Ihr Gesicht war verschwitzt. In den winzigen, feuchten Flecken unter ihren Augen glitzerte das Sonnenlicht. Ein Tropfen rann auf ihren Mundwinkel zu. Sie leckte ihn weg, dann trocknete sie sich das Gesicht mit der Vorderseite ihrer Bluse, die sie anschlie­ßend offen hängen ließ.

»Warum kommen sie nicht?«, fragte sie.

»Ich bin nicht sicher. Ich denke, wir könnten uns auf heiligem Gebiet oder so befinden. Sie bleiben immer am Rand der Kreuze stehen.«

»Das hätte ich auch getan, wenn ich die Wahl gehabt hätte.«

»Bei ihnen ist es mehr als Ekel. Es muss so sein. Die Krulls reißen Menschen Gliedmaßen aus, ohne mit der Wimper zu zucken. Es muss einen verdammt guten Grund geben, weshalb sie draußen bleiben.«

»Zum Beispiel, wenn das ihre Ahnen wären?«

»Ja.«

»Das wäre schön für uns.«

»Ja, nur ...«

Neala nickte. Sie lehnte sich an die Wand und steckte die Daumen in die Taschen ihrer Kordhose. Ihr Hals, ihre Brust und ihr Bauch glänzten vor Schweiß.

»Was machen wir?«, fragte sie.

»Jedenfalls können wir nicht ewig hierbleiben.«

»Versuchen wir auszubrechen?«

»Ich schätze, das werden wir wohl müssen. Wir warten, bis es dunkel geworden ist, dann schleichen wir uns raus. In diese Richtung, würde ich sagen. Dort hinten stehen die Kreuze nicht ganz so dicht beisammen. Wenn es uns gelingt, durchzukriechen, ohne eines umzuwerfen ...«

»Alles klar bei euch?«, ertönte Sherris Stimme.

Neala zog rasch ihre Bluse zusammen und steckte sie vorne in die Hose. »Ja«, rief sie zurück.

Sherri kam um die Ecke. »Was geht ab?«

»Wir«, gab Neala zurück.

»Vielleicht warten sie genau darauf.«

»Wir planen gerade, heute Nacht von hier zu verschwin­den.«

»Und wie wollen wir das anstellen?«

Robbins erklärte es ihr. Während er redete, bemerkte er, dass Sherri zu den Köpfen schaute. Sie starrte sie an, schien tief in düstere Gedanken versunken zu sein. »Mir ist klar, dass es nicht einfach wird«, sagte er. »Ich will auch nicht da raus. Aber wir können nicht einfach hierbleiben.«

»Ich denke, ich tu's trotzdem«, erwiderte Sherri. Sie ver­suchte zu lachen. Es klang eher wie ein Schluchzen.

»So schlimm wird es nicht werden«, meldete sich Neala zu Wort.

»Es wird beschissen grauenhaft werden«, widersprach Sherri. »Trotzdem besser als hier rumzuhocken.«

»Wir brechen auf, sobald es dunkel ist«, sagte Robbins. Sherri nickte. »Dann können wir uns ja noch auf den gan­zen Tag freuen.«

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