Sechstes Kapitel



Am nächsten Morgen ging Masao wieder zur Arbeit. Er lief schnell, um sich möglichst kurze Zeit auf offener Straße aufzuhalten. Als er die Fabrik erreichte, schlüpfte er in seinen weißen Kittel und setzte sich an seinen Platz am Montageband. Sanae war schon da.

»Guten Morgen.«

»Guten Morgen.«

Das Fließband rollte an, und Masao versuchte, sich auf die Schaltkomponenten zu konzentrieren, die vor ihm vorbeiglitten. Es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren, denn er steckte in einer Situation, die er noch nie kennengelernt hatte: Hunger. Seit über sechsunddreißig Stunden hatte er nichts gegessen, und er hatte keine Ahnung, wie er zu einer Mahlzeit kommen sollte. Sein letztes Geld hatte er dem Hotelportier gegeben, und Zahltag war erst in der nächsten Woche. Masao hatte sich noch niemals Gedanken über den Hunger gemacht. Wenn ein Mensch gut genährt ist, denkt er nicht ans Essen. Aber wenn ein Mensch hungrig ist, kann er an nichts anderes mehr denken.

Die Glocke läutete zur Mittagspause, und Masao schaute zu, wie die anderen Arbeiter zum Essen gingen. Einige kauften sich ihr Mittagsbrot bei den Imbißwagen, die am Fabriktor vorfuhren und Suppe und Sandwiches und Kaffee und Doughnuts feilboten. Andere hatten sich ihre Mahlzeit von zu Hause mitgebracht. Draußen vor der Fabrik gab es einen hübschen kleinen Park, mit Bänken für die Arbeiter und mit viel Licht und Sonne. Weil es ein warmer, sonniger Tag war, aßen viele draußen. Masao stand abseits und beobachtete sie neidisch.

Eine Stimme neben ihm sagte: »Willst du nichts essen?«

Er drehte sich um und sah Sanae neben sich stehen. »Ich … äh … nein«, sagte Masao. »Ich habe reichlich gefrühstückt.« Er wäre lieber gestorben, als zuzugeben, daß er kein Geld besaß, um sich etwas zu essen zu kaufen.

Sanae musterte ihn eine Weile und sagte dann höflich: »Falls du’s dir anders überlegst, ich hab ein Sandwich übrig.«

Sein Stolz zwang ihn zu sagen: »Nein, vielen Dank.« Er war kein Bettler; er war der Sohn von Yoneo Matsumoto.

Sanae wandte sich ab und setzte sich auf eine Bank, zu ihren Kolleginnen und Kollegen. Masao fand, daß er noch nie ein so wunderbares Mädchen gesehen hatte, jetzt sah er, wie ein junger Mann angeschlendert kam und sich neben Sanae setzte. Masao spürte plötzlich einen Stich der Eifersucht. Er wußte, wie albern es war. Er war ein gehetzter Verbrecher. Er lebte von einem Tag auf den andern. Er durfte nicht wagen, an etwas anderes zu denken als ans Überleben. Es war seine Fabrik, und diese Leute arbeiteten für ihn. Und doch war es eine Ironie des Schicksals, daß er sich nicht mal eine Scheibe Trockenbrot leisten konnte. Irgend jemand ließ achtlos ein halbes Sandwich auf der Bank liegen, und Masao mußte an sich halten, um nicht hinzurennen und es zu verschlingen. Die Glocke läutete. Es war Zeit, an die Arbeit zurückzukehren.


Sanae war sich sicher, daß irgend etwas nicht stimmte. Masao war ihr von Anfang an aufgefallen, gleich als er in die Fabrikhalle kam. Er hatte etwas Besonderes an sich, eine Art Stolz, der ihn von den anderen unterschied. Und es war offensichtlich, daß er kein gewöhnlicher Arbeiter war. Er war unglaublich geschickt. Sie versuchte herauszufinden, was sie an diesem jungen Mann beunruhigte. Er sah aus wie jemand, der bessere Dinge gewöhnt war, und doch lief er nun schon den zweiten Tag in den gleichen Klamotten herum. Und da war diese nervöse Unrast, die Sanae neugierig machte.

Und dann diese komische Sache, daß er nichts aß. Sanae hatte gesehen, wie er die anderen beobachtete, und sie hatte ihm den Hunger am Gesicht angemerkt. Sie wollte wirklich wissen, wer er war.


Masao hatte das Gefühl, daß Sanae ihn insgeheim musterte, aber jedesmal, wenn er sie anschaute, wandte sie rasch den Blick ab. Um drei Uhr war Kaffeepause, und die Arbeiter legten ihr Werkzeug fort und gingen hinaus, um sich beim Imbißwagen eine Erfrischung zu holen. Masao schlenderte zu einer leeren Bank und setzte sich. Er versuchte, den nagenden Hunger in seinem Bauch zu vergessen, und wartete darauf, daß die Glocke erneut klingelte und er wieder an die Arbeit gehen konnte. Im nächsten Moment stand Sanae neben ihm. Sie trug zwei Tassen Kaffee und zwei Doughnuts auf einem Tablett.

»Ich dachte, vielleicht könnten wir zusammen Kaffee trinken«, sagte sie. Masao schaute sie nachdenklich an. Er wollte schon ablehnen, aber die Versuchung war zu überwältigend.

»Herzlichen Dank«, sagte er höflich und nahm sich eine Kaffeetasse und einen Doughnut. Er wartete, bis Sanae in ihr Gebäckstück gebissen hatte, und führte dann erst seines an den Mund. Es war das beste, was er je gekostet hatte. Er wollte es verschlingen, aber er beherrschte sich. Er nahm einen Schluck Kaffee, und die heiße Flüssigkeit, die ihm durch die Kehle rann, schmeckte ebenfalls herrlich.

So saßen die beiden beieinander, aßen und tranken schweigend, und Sanae musterte Masao. Er hatte eine Intensität an sich, die sie noch nie an einem anderen Menschen beobachtet hatte. Er schien freundlich und offen, und doch spürte Sanae gleichzeitig, daß er ein sehr in sich gekehrter Mensch war.

»Woher kommst du?« fragte sie.

Masao zögerte einen kurzen Augenblick. »Tokyo«, sagte er dann. Sie würde niemals die Personalakte sehen, in der Chicago stand.

»Meine Eltern stammen aus Tokyo«, sagte Sanae.

»Bist du schon mal in Japan gewesen?«

»Nein.«

Masao seufzte, und ein bittersüßes Heimweh beschlich ihn. »Es ist das schönste Land der Welt.« Er fragte sich, ob er es jemals wiedersehen würde, ob er jemals seine Heimat wieder betreten würde.

»Das ist es sicherlich«, sagte Sanae. »Eines Tages hoffe ich hinzufahren.« Sie fragte: »Bist du mit deiner Familie hier?«

Wieder zögerte Masao. Er wollte sie nicht anlügen, aber die Wahrheit war zu gefährlich. »Ja«, sagte er. Und in einem gewissen, schrecklichen Sinn stimmte es. Seine Mutter und sein Vater waren bei ihm, sie waren auf ihn angewiesen. Sie würden keinen Frieden finden, solange er ihnen kein angemessenes Begräbnis verschaffen konnte.

Er schaute Sanae an und hatte ganz stark das Gefühl, daß sie beide sehr gute Freunde werden könnten. Nein, mußte sich Masao ehrlich sagen, mehr als gute Freunde. Aber es durfte nicht sein. Solche Träume waren für andere da, nicht für ihn. Er durfte nur an eines denken: ans Überleben.

Das Klingeln der Glocke bedeutete das Ende der Kaffeepause.


An diesem Abend konnte Masao sein Geldproblem lösen. In einer kleinen Nebenstraße, nicht weit von seinem Hotel, hatte er ein Pfandhaus entdeckt – mit drei Eisenkugeln über der Tür. Der einzige Wertgegenstand, den Masao besaß, war die goldene Uhr, die sein Vater ihm zum achtzehnten Geburtstag geschenkt hatte. Sie war aus 21 karätigem Gold, aber für Masao lag ihr wahrer Wert in der Tatsache, daß sie ein Geschenk seines Vaters war. Nie im Traum wäre ihm eingefallen, sich von ihr zu trennen; aber jetzt hatte er keine andere Wahl. Er zögerte noch ein paar Minuten, dann ging er hinein und legte die Uhr auf die Theke.

»Dafür möchte ich Geld borgen«, sagte Masao. »Eines Tages komme ich wieder, um sie zu holen.« Wenn alles gutgeht, dachte er. Und wenn nicht – dann wäre er im Gefängnis oder tot, und es wäre auch egal.

Der Pfandleiher hob die Uhr auf und untersuchte sie mit einer Juwelierslupe. Er nickte wohlgefällig. »Eine schöne Uhr. Wieviel wollen Sie dafür aufnehmen?«

»Fünfhundert Dollar.«

Der Mann schüttelte den Kopf. »Zuviel.«

»Dreihundert Dollar.«

»Zweihundertfünfzig.«

»Einverstanden«, sagte Masao.

Das war mehr als genug, um mit dem Bus nach Kalifornien zu fahren. Lange hatte er nachgedacht, was er nun tun sollte, und war immer wieder zu einem Ergebnis gekommen: die Antwort auf sein Problem lag in Los Angeles, bei Kunio Hidaka.

Der Pfandleiher zählte das Geld auf die Theke und reichte Masao ein Stück Papier. »Das ist Ihr Pfandschein. Sie haben sechs Monate Zeit, ihn einzulösen. Danach verkaufe ich die Uhr.«

Sechs Monate! Masao war sich nicht mal sicher, ob er noch sechs Tage am Leben blieb. »Danke«, sagte er. »Ich komme wieder.«

Er warf einen letzten Blick auf seine Uhr. Dann steckte er das Geld ein und ging.

Masao machte sich auf den Weg zu einem japanischen Restaurant, das ein paar Straßenblocks von seinem Hotel entfernt war. Er mußte sich beherrschen, nicht loszurennen. Der bloße Gedanke an Essen ließ ihm die Spucke im Mund zusammenlaufen.

Er setzte sich, ganz schwach vor Hunger, und bestellte. Dann stopfte er sich voll mit Miso-Suppe und Onkatsu und Reis und Gemüse und zwei Portionen Krabben-Tempura … und frischem Obst als Nachtisch. Als Masao seine Mahlzeit beendet hatte, fühlte er sich wie ein neuer Mensch, bereit, es mit der ganzen Welt aufzunehmen.


Die nächsten Tage verliefen ruhig; so ruhig, daß Masao beinahe die Gefahr vergaß, in der er schwebte. Jeden Tag las er aufmerksam die Zeitung. Die Story, wie er den Chauffeur ermordet hatte und geflüchtet war, verschwand von der Titelseite auf die zweite Seite und schließlich in den Lokalteil der Zeitung. Masao atmete auf. Er hatte nicht mehr das Gefühl, im Lichte der Suchscheinwerfer zu stehen. Die Polizei hatte andere Dinge zu tun. Und Teruo würde es bald leid sein, ihn zu suchen.

Jeden Morgen stand Masao zeitig auf, frühstückte in einem kleinen Café in der Nähe seines Hotels und ging dann zur Arbeit. Jedesmal, wenn er die Matsumoto-Fabrik betrat, hatte er ein stolzes Gefühl. Er fühlte sich seinem Vater nah. Aber es gab noch einen anderen Grund, warum sich Masao auf die Arbeit freute – Sanae. Er dachte an sie am Abend, wenn er fern von ihr war. Er liebte es, neben ihr am Fließband zu stehen und sie bei der Arbeit zu beobachten.

Ihr fröhliches »Guten Morgen« war für Masao die schönste Art, den Tag zu beginnen. Sie schwatzten fröhlich miteinander, wenn der Vorarbeiter nicht herschaute, und sie hatten sich angewöhnt, die Mittags- und Kaffeepausen miteinander zu verbringen. Je öfter er Sanae sah, desto besser gefiel sie Masao.

Sie erzählte ihm von ihrer Familie. »Mein Vater und meine Mutter kamen in dieses Land, kurz bevor ich geboren wurde.«

»Darf ich fragen, was dein Vater von Beruf ist?«

»Er ist Kunstmaler.« Sanae verbesserte sich. »Er war Kunstmaler. Er kann nicht mehr malen, weil er Arthritis hat.«

»Ist das der Grund, warum du hier arbeitest?«

»Ja. Meine Eltern haben nur mich. Eigentlich wollte ich Medizin studieren. Vielleicht kann ich eines Tages doch noch zur Universität.« In ihrer Stimme war keine Spur von Selbstmitleid.

»Gefällt dir die Arbeit hier?« fragte Masao.

»Sehr. Außer, daß …« Sie deutete mit dem Kopf zum Vorarbeiter hinüber. »Er ist kein guter Mensch.«

»Das finde ich auch. Ohne ihn wäre es hier viel angenehmer.«

»Erzähl mir etwas von dir«, bat Sanae.

Es war eine so harmlose Frage. Und eine so gefährliche. Einen übermütigen Augenblick lang war Masao in Versuchung, ihr alles zu erzählen. Er sehnte sich verzweifelt nach jemandem, mit dem er sprechen, dem er sich anvertrauen konnte. Aber er wußte natürlich, daß es unmöglich war.

Also sagte Masao vorsichtig: »Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich interessiere mich für Elektronik. Ich dachte, hier könnte ich etwas lernen.«

Sanae schaute ihn verwundert an. »Ich habe dich beobachtet.«

»Oh?«

Sie blickte ihm in die Augen. »Du brauchst nichts mehr zu lernen.«

»Ich …« Die Versuchung, Sanae die Wahrheit zu sagen, war überwältigend, aber Masao wußte, daß er nicht nachgeben durfte. Um ihretwillen. Es war zu gefährlich. Noch wußte er nicht, wie er mit Teruo fertig werden sollte.

Jetzt hatte Masao ein neues Problem. Er wollte so gern mit Sanae ausgehen, sie zum Essen und ins Kino ausführen oder in eine Disko. Nur traute er sich nicht. Er hatte Angst, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen, denn es bestand immer die Möglichkeit, daß jemand ihn erkannte. Und er wollte Sanae nicht in seine Schwierigkeiten hineinziehen.

Sanae ihrerseits war verwirrt. Masao schien sie gern zu haben, und er war offensichtlich gern mit ihr zusammen. Und doch bat er sie nicht um ein date. Sie hatte durchblicken lassen, daß sie keinen Freund hatte, und sie wußte, daß er mit niemand ging.

Aber er zeigte kein Interesse, sie außerhalb der Arbeit zu sehen. Er war der verwirrendste Junge, dem Sanae jemals begegnet war.

Dieses Problem wurde für die beiden von außen gelöst – und zwar durch die New York Mets und die Philadelphia Phillies.

Es gab nämlich einen öffentlichen Platz, wo sich Masao sicher fühlen konnte: das Baseball-Stadion. Dort versammelten sich Tausende von Menschen, und er konnte in der riesigen Menge untertauchen. Masao war ein begeisterter Baseball-Fan, und als er in der New York Times las, daß die Mets gegen die Philadelphia Phillies im Shea-Stadion spielten, konnte er nicht widerstehen. In beiden Mannschaften spielten einige seiner Helden mit, und Masao durfte die Chance nicht verpassen, sie in Aktion zu beobachten. Am nächsten Morgen stand er ganz früh auf und stellte sich in die lange Menschenschlange vor den Stadiontoren, um eine Karte zu kaufen.

Als Masao endlich an der Spitze der Schlange stand und der Kassierer fragte »wie viele?«, sagte Masao ohne zu überlegen: »Zwei.«

Er bezahlte seine Karten und ging. Er schüttelte über sich selber den Kopf; was ihm nur eingefallen war, zwei Karten statt einer zu kaufen! Aber er wußte es natürlich. Er wollte Sanae mitnehmen. Dann plagte Masao die Ungewißheit. Was war, wenn sie nicht mitkommen wollte? Was war, wenn sie sich nicht für Baseball interessierte, oder wenn sie eine andere Verabredung hatte? Den ganzen Vormittag quälte sich Masao mit solchen Überlegungen.

In der Mittagspause hockten Sanae und er unter den Bäumen im Park und ließen sich ihr Pausenbrot schmecken. Masao beschloß, vorsichtig auf das Thema loszusteuern. Aber statt dessen platzte er direkt heraus: »Ich habe zwei Karten für das Spiel der Mets morgen abend. Magst du Baseball?«

Sanae haßte Baseball. »Und wie!« sagte sie.

Sie beobachtete Masaos Gesicht, auf dem sich ein breites Lächeln ausbreitete. »Wunderbar! Die Mets spielen gegen die Philadelphia Phillies. Tug McGraw ist Werfer. Lee Mazzilli tritt zum erstenmal für die Mets an.«

Für Sanae war es, als erzählte er ihr vom Mars. »Oh, wie aufregend!«

Es war ihr egal, wohin Masao sie mitnehmen wollte. Sie wußte nur, daß sie gerne mit ihm zusammen war, daß er der attraktivste junge Mann war, den sie je kennengelernt hatte. Aber er hatte etwas in seinem Wesen, das sie nicht verstand – eine Angespanntheit, eine so sprungbereite Vorsicht, die nicht zu seinem Charakter paßte. Er schien dauernd auf der Hut vor irgend etwas oder irgend jemand zu sein. Manchmal schien er – der bloße Gedanke kam Sanae töricht vor – Angst zu haben. Sie wußte, daß irgend etwas ihn quälte, und sie hoffte nur, daß er eines Tages genug Vertrauen zu ihr haben würde, es ihr zu erzählen. Inzwischen war sie bereit, sich ein Dutzend Baseball-Spiele mit Masao anzusehen – wenn es ihn glücklich machte.

Das Shea-Stadion war rappelvoll. Masao konnte sich nicht erinnern, in seinem Leben schon so viele Menschen auf einem Haufen gesehen zu haben. Die Sportstadien in Japan waren groß, aber verglichen mit diesem hier waren sie nichts. All die großen Namen, von denen Masao seit Jahren gehört und gelesen hatte, waren auf dem Spielfeld versammelt. Er zeigte sie Sanae.

»Siehst du den großen Mann, der gerade aus der Kabine kommt? Das ist Steve Henderson, der Mittelfeldmann der Mets.«

»Ja, ich seh ihn«, sagte Sanae pflichtschuldig.

»Schau! Da ist Frank Taveris. Er ist einer der großen Stopper!«

Sanae nickte verständnisvoll. »Ah, ja.«

»Da kommt Craig Swann! Er ist der erste Werfer für die Mets.«

Das Spiel begann, und Masao konnte seine Augen nicht von der Baseball-Kugel abwenden. Sanae konnte ihre Augen nicht von Masao abwenden. Sie hatte nie jemanden so echt begeistert gesehen.

»Sieh nur!« rief Masao. »Das ist Greg Luzinski!«

»Sehr erfreut«, lächelte Sanae.

Das Wort Fan kommt von fanatisch, und Sanae kannte viele Baseball-Fans, die sich fanatisch für ihre Heim-Mannschaft begeisterten. Aber Masao feuerte beide Mannschaften an! Es war ihm egal, wer gewann. Es war das Spiel, das er liebte, der Sport als solcher, das Werfen und Schlagen und Rennen übers Feld.

Um so schockierender war für Sanae der ungewöhnliche Zwischenfall, der sich am Ende der neunten Runde ereignete. Das Spiel stand 2 : 2. Die Mets waren am Schlag, die Male waren besetzt, und zwei standen im Aus. Sogar Sanae, die sehr wenig vom Baseball verstand, erkannte, daß es ein aufregender Moment war. Steve Henderson trat vor, um den Ball zu schlagen, und die Menge fing an zu toben. Alle sprangen auf, schrien und feuerten ihn an, damit er den Durchbruch schaffte, der für das Heim-Team den Sieg bedeutete.

Und genau in diesem entscheidenden Augenblick fuhr Masao zu Sanae herum, sein Gesicht war auf einmal ganz blaß, und er sagte: »Komm, laß uns von hier verschwinden!«

Bevor Sanae wußte, wie ihr geschah, wurde sie von der Tribüne zum Ausgang gezerrt. Sie konnte es nicht glauben. Gerade im aufregendsten Augenblick des Spiels mußte Masao gehen!

Tosend brüllte die Menge auf. Da war etwas los auf dem Spielfeld.

Sanae sagte: »Masao, willst du denn nicht sehen, was …?«

»Nein! Schnell!« Sein Gesicht war wild entschlossen, er lief schnell und riß sie mit sich fort.

Sanae drehte sich um und schaute zurück. Uniformierte Polizisten kreisten die Stelle ein, wo sie gerade noch gestanden hatten, und kämmten die Menge durch. Im nächsten Moment waren Masao und Sanae in dem Tunnel, der zum Ausgang führte. Masao eilte auf ein Taxi zu.

»Wolltest du nicht abwarten und sehen, wie das Spiel ausgeht?« fragte Sanae.

»Ist jetzt egal.«

Aber sie brauchte ihm nur ins Gesicht zu sehen, um zu wissen, daß es gar nicht so egal war. Daß etwas Furchtbares passiert sein mußte.


Am nächsten Morgen, bei der Arbeit, schien Masao wieder ganz der alte. »Tut mir leid, daß ich gestern vor dem Spielschluß gehen mußte«, sagte er wie beiläufig zu Sanae. »Die Mets haben gewonnen. Es war ein großartiges Spiel, nicht wahr?«

Er tat so, als wäre nichts geschehen. Sanae konnte es einfach nicht fassen. Sie hätte alles darum gegeben, zu erfahren, was Masao quälte, aber sie kannte ihn nicht gut genug, um ihn zu fragen. Sie wußte nur eines: sie wollte ihm helfen, was es auch sein mochte – wenn er ihr nur die Möglichkeit gab.

Ein paar Minuten vor der Mittagspause kam Mr. Heller, der Vorarbeiter, durch die Tür.

Sanae blickte auf und sagte: »Wir haben Besuch.«

Masao schaute auf. Und sah – Teruo Sato.

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