Teruo Sato hockte in seinem Sessel und hörte sich den Bericht des Privatdetektivs an.
»Ich habe alle Diskotheken in Brooklyn abgesucht, aber keine Spur von ihm gefunden.«
»Das Mädchen hat Sie hereingelegt«, sagte Teruo ruhig.
Sam Collins war überrascht, wie sein Auftraggeber die Sache aufnahm. Er hatte geglaubt, Sato würde anfangen zu toben.
Statt dessen sagte Teruo Sato: »Machen Sie sich deswegen keine Sorgen. Mein Neffe wird binnen vierundzwanzig Stunden in Ihrer Hand sein.«
Sam Collins starrte ihn an. »Sie meinen, Sie wissen, wo er ist?«
Teruo schüttelte den Kopf. »Nein. Aber ich werde es wissen. Bleiben Sie in der Nähe Ihres Telefons. Ich werde Ihnen sagen, wo Sie ihn finden können.« Seine Stimme wurde eisig. »Diesmal erwarte ich von Ihnen, daß Sie nicht versagen.«
»Nein, Sir, ich …«
»Das ist alles.«
Sam Collins war entlassen. Sein Leben lang hatte er mit gefährlichen Männern zu tun gehabt, mit Rowdys und Mördern und Psychopathen und Sadisten. Aber dieser leise sprechende, ruhige Mann strahlte eine tödliche Kälte aus, die ihn frösteln ließ.
»Ich erwarte also Ihren Anruf«, sagte Sam Collins.
Lange nachdem der Detektiv gegangen war, saß Teruo Sato immer noch da, reglos wie eine Statue. Bislang hatte sein Neffe alle seine Züge gekontert. Teruo hatte ihm Schach geboten – aber Masao hatte sich niemals mattsetzen lassen.
Aber Teruo hatte bereits eine Lösung für das Problem. Er würde Masao mit Hilfe der Logik aufspüren – nicht seiner eigenen Logik, sondern mit einer höheren Logik. Er würde einen Computer einsetzen, um Masao zu fangen – einen Matsumoto-Computer.
Diese Ironie machte Teruo Spaß. Er griff zum Telefon, traf die nötigen Verabredungen und war eine Stunde später in der Computer-Abteilung der Matsumoto-Fabrik, um mit dem Operator zu sprechen. Teruo erklärte genau, was er wollte, und der Operator machte sich daran, die Daten in die Maschine einzufüttern.
Teruo schilderte Masaos Gewohnheiten, seine Hobbys, seine Vorlieben und Abneigungen. Sie hatten miteinander Schach gespielt, und Teruo wußte, wie das Hirn seines Neffen arbeitete, wie er dachte und reagierte. Auch das wurde weitgehendst in den Computer eingefüttert.
»Kommen Sie in zwei Stunden zurück, Mr. Sato«, sagte der Operator, »dann werde ich alle Informationen haben, die Sie brauchen.«
»Sehr gut.«
Teruo stand auf und ging hinaus. Er schlenderte durch die riesige Fabrik und dachte: Das alles gehört mir – genau wie alle anderen Matsumoto-Fabriken auf der Welt. Sie gehörten ihm. Er hatte sie sich verdient. Er hatte schwere Auseinandersetzungen mit Sachiko gehabt, aber schließlich hatte er seine Frau überzeugt, daß er das Richtige tat.
Er hatte ihr nicht erzählt, daß Higashis Tod nur ein Unfall war. »Masao hat ihn ermordet«, hatte er gesagt, und das hatte mitgeholfen, Sachiko noch mehr zu überzeugen.
Es war ein Fehler gewesen, der Polizei zu sagen, Masao habe Higashi ermordet. Er hatte es nur gesagt, weil er wollte, daß die Polizei ihm half, Masao rasch ausfindig zu machen. Aber inzwischen bereute er es. Er wollte nicht, daß Masao der Polizei in die Hände fiel. Er wollte, daß er ihm selbst auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war. Darum hatte er den Privatdetektiv angeheuert, der ihm den Jungen persönlich in die Hand liefern würde. Diesmal würden keine Fehler passieren. Computer machen keine Fehler.
Zwei Stunden später kehrte Teruo in den Computerraum zurück.
Der Operator blickte auf. »Ich habe alles für Sie bereit«, sagte er. »Hier sind alle Informationen, die Sie brauchen.«
»Hervorragend. Vielen Dank.«
»Gern geschehen, Mr. Sato.«
In seinem eigenen Büro studierte Teruo den Computer-Ausdruck sehr genau. Alle Vorlieben und Abneigungen und Hobbys seines Neffen waren ausgewertet. Masao liebte Hamburger und Pizzas. Also würden Privatdetektive solche Lokale beschatten. Er mochte Flipper-Maschinen. Also würden die Spielhallen bewacht werden. Er spielte gern Bowling. Sein Foto würde in jeder Bowling-Bahn und bei jeder Sportveranstaltung verteilt werden. Masao war ein Fan amerikanischer Cowboyfilme und Italo-Western. Die Kinos, die solche Streifen spielten, würden durchsucht werden. Privatdetektive würden alle Flughafen, Bahnhöfe und Busstationen beobachten. Es gab keine Möglichkeit, wie Masao die Stadt lebendig verlassen konnte. Der Computer hatte ihn eingekesselt.
Zwei letzte Angaben fand Teruo auf dem Ausdruck, die ihn besonders interessierten: Der Gesuchte wird zunehmend das Bedürfnis haben, sich unauffällig zu machen. Wird wahrscheinlich versuchen, sich im Japaner-Viertel zu verstecken. Höchste statistische Wahrscheinlichkeit: Japanische Kolonie in Greenwich Village, Sollte dem Gesuchten die Flucht aus New York gelingen, ist höchste statistische Wahrscheinlichkeit Los Angeles oder San Francisco.
Lange grübelte Teruo über diesen letzten beiden Angaben. Er lehnte sich in seinen Sessel zurück, um nachzudenken – es war ein geistiges Schach mit Masao. Er versetzte sich an die Stelle seines Neffen. Wenn er Masao wäre – was wäre sein nächster Zug? Wie würde er versuchen, aus New York herauszukommen? Und plötzlich fand Teruo die Lösung, die er gesucht hatte. Es war so einfach. Er selbst würde Masao helfen, zu fliehen.
Es gab keinen Ort, wo Masao sich verbergen konnte. Die Fahndung nach ihm konzentrierte sich auf New York. Masao wußte, daß er einen Weg finden mußte, die Stadt so schnell wie möglich zu verlassen. Er dachte daran, wie der Detektiv in die Wohnung der Familie Doi eingebrochen war, und er war verzweifelt, weil er Sanae und ihre Eltern in sein Problem hineingezogen hatte. Sanae hatte keine Ahnung, wer er war, und doch hatte sie keine Mühe gescheut, ihm zu helfen. Masao hatte das Gespräch zwischen Sanae und dem Detektiv nicht zu Ende angehört. Sein Gefühl sagte ihm, daß er schleunigst verschwinden mußte, und er war über die Feuerleiter geflohen. Er hatte auch nicht gewagt, in sein Hotel zurückzukehren. Die Fahndung konzentrierte sich wahrscheinlich auf dieses Stadtviertel. Und es war so leicht, ihn zu finden. Wie konnte sich ein japanisches Gesicht in einer rein weißen Nachbarschaft verstecken? Auf einmal wußte Masao, was er zu tun hatte. Er mußte ins Japaner-Viertel von Greenwich Village fahren.
Er nahm die U-Bahn und war überrascht von dem Lärm und dem Schmutz und der Grobheit der Menschen. In Tokyo war die Untergrundbahn sauber und leise, und die Fahrgäste waren höflich. Der Zug hielt in Greenwich Village, und Masao stieg aus. Sanae hatte ihm einmal vom Japaner-Viertel im Village erzählt, aber er wußte nicht genau, wo es sich befand.
Er hielt einen Botenjungen auf dem Fahrrad an und fragte: »Entschuldige. Ich suche das Japaner-Viertel. Kannst du mir sagen, wo es ist?«
»Yeah«, sagte der Junge. »Geh einfachdreimeilendiestraßelangunddannlinksbis zur Blaker Street.«
Der Junge verschwand, und Masao hatte kein Wort verstanden. Er stand gerade vor einem Kaufhaus. Er ging hinein und suchte, bis er einen Stadtplan von New York gefunden hatte. Rasch schlug er nach und fand auch gleich, was er suchte. Es war nicht mehr weit.
Masao lief die 10th Street hinab, und schon sah er japanische Firmenschilder und Reklametafeln an den Hauswänden. Er war beruhigt. Hier würde er nicht so sehr auffallen.
Natürlich rechnete Teruo damit, daß er sich hier verstecken würde, wo er sich sicher fühlte. Er würde Detektive losschicken, um alle Hotels und Pensionen in dieser Gegend zu durchsuchen und auf den Straßen nach ihm Ausschau zu halten. Sie würden Masao in Hamburger-Restaurants und Pizzerias und Kinos mit Italo-Western suchen. Aber so leicht würde er sich nicht schnappen lassen. Er würde Teruo überlisten. Er würde sich im Village verstecken, aber nicht an solchen Orten, wo Teruo ihn vermutete und nach ihm suchte.
Masao lief durch die Straßen, vorbei an Pizzerias und Hamburger-Buden und Spielhallen. Er ließ sie alle links liegen. Er entdeckte einen Delikatessen-Laden und kaufte sich ein paar Sandwiches, die er in einer Papiertüte mitnahm. Er lief an Nacht-Kinos vorbei, die Cowboy-Filme zeigten, und an anderen, wo Italo-Western liefen. Er marschierte immer weiter, bis er vor einem kleinen Nachtkino in der Bleeker Street stand, wo ein französischer Film gezeigt wurde. Masao schaute sich um, ob ihn auch niemand beobachtete, dann kaufte er sich eine Karte und ging hinein. Er verstand kein Wort Französisch, aber das war seine Sicherheit. Hier würden sie ihn nicht suchen. Er starrte auf die Leinwand, ohne ein Wort zu verstehen, und kaute sein Sandwich. Es war eine Doppelvorstellung, und als der eine Film zu Ende war, fing ein anderer an – aber Masao war schon eingeschlafen. Am gefährlichsten war es für ihn nachts auf den Straßen, weil dann so wenige Menschen unterwegs waren. Tagsüber konnte er in der Menge untertauchen.
Frühmorgens erwachte er, steif und verkrampft. Auf der Leinwand liebte der gleiche Mann noch immer das gleiche Mädchen. Masao schien es, als ob die Franzosen an nichts außer Liebe dachten, und da fiel ihm Sanae wieder ein. Eines Tages, wenn er in Sicherheit war, würde er sie anrufen und ihr dafür danken, was sie für ihn getan hatte.
Masao trat auf die Straße hinaus und blinzelte in die grelle Sonne. Die Menge drängte sich auf den Bürgersteigen, und er ließ sich im Strom der Passanten treiben – immer wachsam nach Polizisten Ausschau haltend. Er wußte, daß er sich nicht lange in dieser Gegend aufhalten durfte. Es war zu gefährlich. Er war überzeugt, daß sein Onkel alle Bus-Stationen, Flughäfen und Bahnhöfe überwachen ließ. Also mußte er einen anderen Weg finden. Masao hatte gehört, daß ältere Leute manchmal einen jungen Mann suchten, der sie mit ihrem Auto quer übers Land chauffierte. Könnte er so jemand finden – das wäre der beste Weg, um aus New York wegzukommen.
An einem Kiosk an der Straßenecke kaufte sich Masao die Daily News und die japanische O. C. S. News. Er ging in ein Café und ließ sich nieder, um den Anzeigenteil zu studieren. In der Daily News fand er nichts, aber in der japanischen Zeitung entdeckte Masao etwas, das sein Herz höher schlagen ließ. In der Spalte ›Hilfe gesucht‹ las er: Ältere Japanerin sucht jungen Mann, der sie nach Los Angeles fährt. Alle Spesen werden bezahlt. Das war eine Chance, die der Himmel ihm sandte. Die Aussicht, nach Los Angeles zu fahren und Kunio Hidaka zu sehen, gab Masao neue Hoffnung. Vorsichtig riß er die Anzeige aus, schlug im Stadtplan nach, den er gekauft hatte, und fand auch gleich die in der Anzeige angegebene Adresse.
Er machte sich sofort auf den Weg. Er war voller Freude – und ganz sicher, daß die Dame ihn nehmen würde. Wahrscheinlich war sie alt und gebrechlich. Er würde sie gut nach Los Angeles bringen. Danach würde er sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern. Er würde seinen Onkel büßen lassen für den schrecklichen Anschlag, den er gegen ihn und gegen die Firma Matsumoto geplant hatte. Und wenn Masao nichts anderes erreichte, als die Familienehre zu rächen!
Zehn Minuten später stand Masao vor einem alten Apartmenthaus mit Sandsteinfassade. Er überflog noch einmal die Annonce: Apartment I B. Masao warf einen raschen Blick auf seine Kleider. Sie waren zerknittert von der Nacht im Kinosessel, und seine Schuhe waren staubig. Er rieb sie an seinen Hosenbeinen blank, holte tief Luft und ging hinein. Er war wahnsinnig aufgeregt. Die Dame mußte ihn anheuern. Sein Leben hing davon ab. Lange blieb er vor dem Apartment I B stehen – dann klopfte er an die Tür. Es öffnete eine ältere Japanerin, bekleidet mit dem traditionellen Kimono. »Was kann ich für Sie tun?« fragte sie.
»Ich komme wegen Ihrer Annonce in der Zeitung«, sagte Masao.
Sie musterte ihn einen Augenblick, dann sagte sie: »Ah, bitte. Kommen Sie herein.«
So weit, so gut!
Masao trat ins Apartment ein. »Sie suchen jemand, der Sie nach Kalifornien fährt?«
Die alte Frau nickte. »Ja. Ich habe ein Auto, aber ich kann nicht fahren.«
Masao sagte: »Ich kann Ihnen helfen. Ich hoffe, Sie werden mir erlauben, Sie nach Los Angeles zu fahren.«
Eine Männerstimme hinter Masao sagte: »Das ist aber mächtig nett von dir, Junge.«
Masao erkannte die Stimme sofort. Das letztemal hatte er sie in Sanaes Wohnung gehört.
Er drehte sich um und erblickte – Sam Collins. Der Privatdetektiv hielt eine Pistole in der Hand und zielte auf Masao.
Masao sagte: »Wie haben Sie nur …?« Und mit einem lähmenden Gefühl wurde ihm plötzlich klar, daß er in eine Falle getappt war. Teruo hatte ihn überlistet! Sein Onkel hatte gewußt, daß Masao verzweifelt versuchte, aus New York wegzukommen, und daß alle anderen Wege für ihn blockiert waren. Das einzig mögliche Fluchtmittel war ein Auto, und da Masao keine Kennkarte hatte und deshalb kein Auto mieten konnte, mußte er sich einen anderen Ausweg einfallen lassen. Und Teruo hatte ihm diesen Ausweg gezeigt. Er hatte die Annonce in der O. C. S. News aufgegeben, der einzigen japanischen Zeitung in New York, und es war genau das, was Masao brauchte.
Und Masao hatte den Köder geschluckt. Insgeheim verfluchte er sich, weil er so leichtgläubig gewesen war, aber jetzt war es zu spät.
Masao wandte sich an den Privatdetektiv. »Ich habe nichts Unrechtes getan«, sagte er. »Der Tod des Mannes war ein Unf…«
»Spar dir die Worte!« Die Pistole in der rechten Hand, griff Sam Collins mit der Linken in die Tasche, zog einen Hundert-Dollar-Schein heraus und reichte ihn der alten Frau. »Sie haben Ihre Sache gut gemacht. Danke.« Und zu Masao gewandt: »Los, geh’n wir, Kleiner.«
»Hören Sie mich doch an. Bitte!«
»Mach mir keine Schwierigkeiten. Du bist verhaftet.«
»Bringen Sie mich zum Polizeirevier?«
»Allerdings.« Sam Collins winkte mit der Pistole zur Tür. »Hinaus!« sagte er. »Beweg dich!«
Die alte Frau wandte sich ab, als könnte sie sich von dem Geschehnis distanzieren, indem sie einfach wegschaute. Masao konnte ihr keinen Vorwurf machen. Hundert Dollar waren wahrscheinlich ein Vermögen für sie, und sie wußte gar nicht, in welche Gefahr sie Masao damit gebracht hatte. Sie hatte nichts mit der Sache zu tun. Die anderen hatten sie einfach als Werkzeug benutzt.
Die Pistole auf Masao gerichtet, öffnete Sam Collins die Tür. Sie gingen hinaus. Der Detektiv hielt die Pistole versteckt, damit die Passanten sie nicht sehen konnten. Am Bordstein parkte ein alter grüner Chevrolet. Der Detektiv öffnete die Tür auf der Beifahrerseite.
»Versuch keine faulen Tricks!« warnte er Masao. »Es ist egal, ob ich dich tot oder lebendig aufs Revier bringe. Du wirst wegen Mordes gesucht. Verstehst du?«
Masao nickte. Er verstand nur zu gut.
Immer noch die Pistole im Anschlag, schob sich Sam Collins hinter das Lenkrad und winkte Masao auf den Beifahrersitz. »Mach die Tür zu«, befahl der Detektiv. »Hübsch leise.« Masao zog die Tür zu. »Na, braver Junge.« Sam Collins startete den Motor. »Mach dir’s bequem und entspanne dich. Wir haben eine lange Fahrt vor uns.«
Also fuhren sie gar nicht zu einem Polizeirevier! Der Detektiv wollte ihn zu seinem Onkel bringen. Masaos Gedanken rasten. Er wußte: Wenn er noch einmal Teruo in die Hände fiel, war sein Leben keinen Cent mehr wert.
»Ich weiß nicht, wieviel mein Onkel Ihnen bezahlt, aber ich kann ihnen mehr bezahlen. Ich besitze die Firma Matsumoto.«
Der Detektiv lachte. »Das ist komisch. Dein Onkel glaubt, daß er sie besitzt.«
Masao sagte: »Falls Sie mir helfen, werde ich …«
»Vergiß es! Ich weiß nicht, was zwischen euch los ist, und ich will’s auch gar nicht wissen. Ich bin angeheuert worden, um dich zu finden und zurückzubringen, und das tu ich jetzt. Ich kann’s auf die gemütliche oder auf die harte Tour machen. Wenn du’s auf die harte Art willst, wird’s ein bißchen weh tun. Es liegt ganz bei dir.«
»Sie stehen auf der falschen Seite«, sagte Masao. »Lassen Sie mich laufen, und ich werde Sie reich machen.«
Sam Collins lächelte höhnisch. »Ich bin reich.« Und das war er. Bei der zweiten Begegnung hatte Teruo gesagt: »Die Prämie von fünfzigtausend Dollar ist nur der Anfang. Bringen Sie mir meinen Neffen, und ich will Sie reich machen.« Teruo hatte ihm ein Vermögen versprochen, und jetzt, wo er dieses Vermögen praktisch in der Hand hatte, wollte er es nicht mehr loslassen. Er würde genug Geld haben, um sich für den Rest des Lebens zur Ruhe zu setzen. Er hatte immer den Wunsch gehabt, in Florida zu leben und mit der eigenen Yacht auf Fischfang zu fahren. Er konnte seine Frau mitnehmen – oder seine Geliebte. Vielleicht keine von beiden. Er hatte gehört, daß es in Florida eine Menge gutaussehende Frauen gab. Alles, was ein Kerl wie er brauchte, war Geld. Und von jetzt an würde er mehr Geld haben, als er je ausgeben konnte.
Er warf einen mitleidigen Blick auf den Jungen neben ihm, in zerknitterten Blue jeans und schmutzigem T-Shirt, und dachte: Sieh mal an, wer mir da erzählen will, ich steh auf der falschen Seite! Eines mußte er Teruo lassen: der Kerl war wirklich schlau. Er hatte genau gewußt, wie er die Falle aufstellen mußte.
Der Detektiv langte über Masao hinweg nach dem Handschuhfach. Er zog eine halbvolle Whiskyflasche heraus und genehmigte sich einen tüchtigen Schluck. Er hatte ihn verdient. Masao hockte ruhig daneben und sagte nichts. Beinahe tat er dem Detektiv leid. So war das Leben: Masaos Pech war Sam Collins’ Glück. Er nahm noch einen Schluck aus der Flasche und bot sie Masao an. »Trink mal ’n Schluck. Es wird dir guttun.«
»Nein, danke.«
Sam Collins zuckte gleichgültig die Schultern und verstaute die Flasche wieder im Handschuhfach. Er sagte: »Du mußt irgend etwas angestellt haben, daß dein Onkel so sauer auf dich ist.«
Masao antwortete nicht.
Geht mich sowieso nichts an, dachte der Detektiv. Mein Job ist zu Ende, sobald ich ihn abgeliefert habe. Er dachte an den fetten Scheck, den er einstreichen würde, und grinste. Nein, es würde nicht mal ein Scheck sein – Bargeld würde er kriegen! Steuerfrei und ohne Quittung. Vielleicht sollte er, statt nach Florida, einen Trip zu den Südsee-Inseln machen. Die Mädchen dort waren angeblich hübsch und leicht zu haben. Geld! Das war der Schlüssel zu allem. Geld machte einen zum König. Sam Collins hatte sein Leben lang nicht schlecht verdient, aber dies war der große Treffer, von dem er immer geträumt hatte. Der Schlüssel zum großen Geld. Wieder spähte er zu Masao hinüber und fragte sich, was der Junge wohl denken mochte.
Masao dachte an Flucht. Er wußte nun, daß es unmöglich war, den Detektiv zu überreden, ihm zu helfen. Er mußte einen anderen Weg finden. Aber er war gewarnt: falls er davonrannte, würde der Detektiv nicht zögern, ihn zu erschießen. Masao hatte sich überlegt, aus dem Auto zu springen, aber der Detektiv steuerte mit einer Hand – und hielt in der anderen die Pistole. Er konnte Masao erschießen, bevor er noch halb durch die Tür war.
Masao spähte durch die staubverschmierte Windschutzscheibe des Wagens. Ein Wegweiser mit Pfeil verkündete: George Washington Bridge. Wenn sie erst diese Brücke hinter sich hatten, gab es für Masao keine Chance mehr, das wußte er. Danach begann die Schnellstraße, die ohne weiteren Halt in den Staat New York hinausführte. In der Ferne sah Masao bereits den riesigen Bogen der Brücke, die den majestätischen Hudson River überspannte. Masao blieben noch knapp drei Minuten, um sich einen Fluchtplan einfallen zu lassen. Er spähte zum Detektiv hinüber und fragte sich, ob es möglich wäre, ihn zu überwältigen, aber er wußte instinktiv, daß es vergeblich war. Selbst ohne die Pistole hätte er keine Chance gegen den kräftigen Mann neben ihm gehabt. Jetzt näherten sie sich einer Ampel, die gerade von Grün auf Gelb umschaltete.
Collins hatte schon den Fuß auf dem Gaspedal und wollte über die Kreuzung rauschen, bevor die Ampel auf Rot schaltete – aber da entdeckte er gerade noch rechtzeitig neben sich einen Streifenwagen der Polizei und trat auf die Bremse. Der Wagen kam vor der Ampel zum Stehen. Nur jetzt keine unnötigen Scherereien, dachte Sam Collins. Nicht jetzt, wo ich so nah dran bin, reich zu werden.
Auch Masao hatte den Streifenwagen mit den zwei Polizisten gesehen, der neben Sam Collins wartete, daß die Ampel wieder auf Grün schaltete. Einen verzweifelten Augenblick lang war er in Versuchung gewesen, um Hilfe zu rufen. Aber die Polizei fahndete ja ebenfalls nach ihm. Auch die Polizisten waren Feinde. Er mußte sich etwas anderes einfallen lassen, und zwar schnell. Die Ampel konnte jede Sekunde umschalten. Und plötzlich – hatte er eine Idee.
Er schaute den Detektiv an und sagte: »Ich habe mir die Sache mit dem Drink noch mal überlegt. Ich könnte ganz gut einen vertragen. Darf ich?«
»Sicher. Ich hab ja gesagt, mach’s dir gemütlich. Bediene dich ruhig.«
Masao öffnete das Handschuhfach, nahm die Flasche und zog den Korken heraus. Er hielt die Flasche in der Hand und beobachtete scharf die Ampel. Sie schaltete auf Gelb, dann auf Grün – und seine Spannung wuchs. Der Detektiv stieg aufs Gaspedal. Jetzt hing alles vom richtigen Zeitpunkt ab. Im gleichen Augenblick, als der Wagen losfuhr, hob Masao die Flasche über Sam Collins’ Kopf und begoß ihn von oben bis unten mit Whisky. Der Detektiv starrte Masao erschrocken an.
»He! Was zum Teufel fällt dir ein?« Er langte nach oben und versuchte, Masao die Flasche aus der Hand zu reißen. Dabei ließ er eine Sekunde das Steuer los – und diesen Moment nutzte Masao. Er ließ die Flasche fallen, packte mit beiden Händen das Steuer und riß den Wagen so nach links herum, daß er gegen den hinteren Kotflügel der Polizeistreife krachte.
Die beiden Beamten blickten zu Sam Collins herüber. Der Fahrer des Streifenwagens fluchte und schrie: »Fahren Sie mal an den Rand!«
Sam Collins zitterte vor Wut. Zuerst mußte er diese dumme Geschichte glatt hinter sich bringen. Aber dann würde er sich den Jungen vorknöpfen und ihm eine anständige Tracht Prügel verpassen. Es sollte ihm eine Lehre sein! Er steuerte sein Auto an den Straßenrand und schaute zu, wie die beiden Polizisten aus ihrem Streifenwagen sprangen und sich mit wild entschlossenen Gesichtern näherten.
»Aussteigen!« kommandierte der eine.
Sam Collins stieg aus und nahm eine demütige Haltung an. »Tut mir leid, Officer«, sagte er. »Es war ein Mißgeschick. Ich komme gern für den Schaden auf. Mir ist das Lenkrad aus der Hand gerutscht, und …«
Die Whiskydämpfe, die von Sam Collins aufstiegen, trieben dem Polizisten die Tränen in die Augen. Er drehte sich zu seinem Kollegen um: »Anscheinend haben wir ’nen Besoffenen am Steuer erwischt.«
»Sie irren sich«, protestierte Sam Collins. »Ich bin nicht betrunken. Der Junge hat mir einen Streich gespielt. Er hat mich von oben bis unten mit Whisky begossen.«
»Welcher Junge?«
Sam Collins drehte sich um und deutete ins Innere des Wagens.
Masao war verschwunden.