8. Unter Polynesiern

Eine Robinsonade. Angst vor der Rettungsexpedition. »»Alles in Ordnung, Kon-Tiki.« Sonstige Wracks. Unbewohnte Inseln. Im Kampf mit Meeraalen. Eingeborene finden uns. Häuptlingsbesuch. »»Kon-Tiki« wird wiedererkannt. Hochwasser. Ein Schiff fährt über Land. Vier auf der Insel. Eingeborene holen uns. Empfang im Dorf. Vorväter von Sonnenaufgang. Hula-Fest. Medizinmänner durch den Äther. Wir bekommen Königsnamen. Weitere Schiffbrüchige. »»Tamara« rettet »»Maoae«. Nach Tahiti. Wiedersehen am Kai. Ein königlicher Aufenthalt. Sechs Kränze.


Unsere kleine Insel war unbewohnt. Rasch war man mit allen Palmengruppen und Strandufern bekannt, denn die Insel hatte kaum zweihundert Meter Durchmesser. Der höchste Punkt lag weniger als zwei Meter über der Lagune.

Über unseren Köpfen in den Palmenkronen hingen große Büschel der grünen Kokoshülsen, die die Schalen mit kalter Kokosmilch vor der Tropensonne schützen. So konnten wir in den ersten Wochen kaum Durst leiden. Außerdem waren reife Kokosnüsse da, ein Gewimmel von Einsiedlerkrebsen und verschiedene Fischarten in der Lagune. Also: hier sollten wir es gut haben.

Auf der Nordseite der Insel fanden wir Reste eines alten, unbemalten Holzkreuzes, das halb im Korallensand vergraben lag. Hier gab es gute Aussicht nach Norden über das Riff bis zu den kahlen Rippen des Wracks, das uns schon aufgefallen war, als wir unserem eigenen Schiffbruch entgegentrieben.

Noch weiter oben im Norden blaute durch die Palmenbüschel der Schatten einer anderen kleinen Insel. Die dichtbewachsene Insel im Süden lag viel näher. Auch auf ihr sahen wir kein Zeichen von Leben, aber vorläufig hatten wir anderes zu denken.

Robinson Hesselberg kam hinkend daher, bekleidet mit einem gewaltigen Strohhut und vollbeladen mit krabbelnden Einsiedlerkrebsen. Knut bekam Feuer an ein paar Knorren, und bald hatten wir ein Krebsgericht und Kokossaft mit Kakao zum Dessert.

»Na, wie fühlt ihr euch an Land, Jungens?« fragte Knut zufrieden.

Er hatte ja auf dieser Reise dasselbe schon einmal erlebt. Gleichzeitig setzte er »Seebeine« und schüttete damit Bengt einen halben Topf mit kochendheißem Wasser über die Füße. Es schaukelte wohl für jeden von uns am ersten Tag an Land nach hundertein Tagen an Bord des Floßes. Wir schwankten so zwischen den Palmenstämmen, daß es eine Art hatte, weil wir die Füße setzten, um eine See zu parieren, die nicht kam.

Als Bengt jedem von uns Teller und Besteck überreichte, machte Erich große Augen. Ich erinnere mich, daß ich mich über die Floßkante gebeugt und wie gewöhnlich nach der letzten Mahlzeit an Bord abgewaschen hatte. Erich dagegen hatte prüfend aufs Riff gesehen und seine Sachen ungewaschen zur Seite gelegt mit der Bemerkung: »Ich glaube, heut kann ich mir das Abwaschen ersparen.« Als er aber sein Eßzeug in der Küchenkiste wiederfand, war es so rein wie das meine.

Nach der Mahlzeit und einer guten Strecke in der Horizontalen gingen wir daran, die patschnasse Radioausrüstung zusammenzusuchen. Hier galt es für Torstein und Knut, in höchster Eile wieder in den Äther zu kommen, bevor der Mann auf Rarotonga seine Meldung über unser bedauerliches Ende aussendete.

Das meiste der Radioausrüstung war bereits wohlgeborgen an Land. Unter dem, was beim Riff trieb, fand Bengt eine Kiste, in die er seine Klauen schlug. Er sprang hoch in die Luft vor elektrischen Schlägen, es war kein Zweifel möglich, daß der Inhalt der Radioabteilung angehörte. Und während die Telegraphisten auseinanderschraubten, herumkoppelten, wieder zusammensetzten, gingen wir anderen daran, unser Lager aufzuschlagen.

Draußen beim Wrack fanden wir das schwere, klitschnasse Segel und schleppten es an Land. Wir spannten es zwischen zwei großen Palmen auf einer kleinen Lichtung gegen die Lagune auf und verspreizten es mit Bambuspfählen, die vom Wrack hereingetrieben kamen. Eine dichte Hecke aus wilden Blütenbüschen drückte das Segel zusammen, so daß wir ein Dach und drei Wände bekamen, dazu noch freie Aussicht auf die blanke Lagune. Die Nasenlöcher füllten sich mit einschmeichelndem Blumenduft. Hier war es gut sein. Wir fühlten uns alle Mann hier richtig behaglich, jeder richtete sich seine Koje aus frischen Palmenblättern und suchte die losen Korallenäste zusammen, die unangenehm aus dem Sand hervorstachen. Vor Einbruch der Nacht hatten wir eine umfangreiche, bequeme Behausung. Über unseren Köpfen sahen wir das große, bärtige Antlitz des guten alten Kon-Tiki. Er wölbte nicht mehr seine Brust vor dem Ostwind, er lag jetzt unbeweglich auf dem Rücken und spähte hinauf zu den Sternen, die blinkend über Polynesien aufzogen.

Rund um uns in den Büschen tropften Flaggen und Schlafsäcke, und patschnasse Besitztümer lagen zum Trocknen im Sand. Noch einen Tag auf dieser Sonnenscheininsel - dann würde alles wieder in Ordnung sein. Selbst die Radioleute mußten es für heute aufgeben, bis die Sonne Gelegenheit bekam, am nächsten Tag die Innereien der Apparate zu trocknen. Wir zogen die Schlafsäcke von den Bäumen und krochen hinein. Dabei wetteten wir, wer eigentlich am wenigsten Wasser im Sack hätte. Bengt gewann, denn es gluckste nicht, wenn er sich umdrehte.

Lieber Himmel, wie gut war es, nur schlafen zu können.

Als wir am nächsten Morgen im Sonnenschein erwachten, wölbte sich das Segel auf uns herab und stand gestrichen voll kristallklarem Regenwasser. Bengt nahm diesen Reichtum wahr und lief hierauf zur Lagune hinunter, wo er wunderliche Frühstücksfische an Land zog, die er in Kanäle im Sand hineingelockt hatte.

In dieser Nacht hatte Hermann Schmerzen im Nacken und Rücken bekommen, da, wo er sich vor dem Start von Lima verletzt hatte. Ebenso bekam Erich seinen alten Hexenschuß wieder. Sonst war es bei der Fahrt über das Riff verblüffend billig mit Schrammen und kleinen Wunden abgegangen. Nur Bengt hatte einen Hieb über den Schädel bekommen, als der Mast stürzte, und eine leichte Gehirnerschütterung davongetragen. Ich selbst sah höchst bedenklich aus, Arme und Beine blauschwarz gequetscht von dem Druck gegen das Tau.

Aber keiner von uns war in einer so schlimmen Verfassung, daß uns nicht die leuchtend klare Lagune zu einer frischen Schwimmtour vor dem Essen gelockt hätte. Es war eine gewaltige Lagune. Draußen war sie gekräuselt und blau vom Passat. Sie war so breit, daß wir nur schattenhaft die Wipfel einer Reihe ferner Palmeninseln sehen konnten, die anzeigten, wo das Ringriff sich auf der anderen Seite schloß. Aber hier drinnen, im Schutz der Insel, rauschte der Passat friedlich in den gefiederten Palmenkronen und ließ sie wiegen und wehen. Darunter lag spiegelblank die atmende Lagune. Das Salzwasser war so rein und klar, daß man von Korallen und farbenfrohen Fischen bei drei Meter Tiefe glauben konnte, sie lägen ganz flach an der Oberfläche, und wir würden uns beim Schwimmen die Zehen aufreißen. Es war eine Abenteuerwelt, die lockte, sich hineinzustürzen. Das Wasser war gerade richtig kalt, und die Luft war warm und trocken vor Sonne. Aber heute mußten wir rasch wieder an Land, Rarotonga mußte Bescheid bekommen.

Auf ausgeglühten Korallenblöcken lagen Spulen und Radioteile zum Trocknen in der Tropensonne, Torstein und Knut koppelten und schraubten. Der Tag verging, und die Stimmung wurde immer aufgeregter. Wir gaben jede andere Beschäftigung auf und versammelten uns um die Radioleute in der Hoffnung, helfen zu können. Vor zehn Uhr abends mußten wir im Äther sein. Da waren nämlich die sechsunddreißig Stunden um, und der Amateur auf Rarotonga würde um Hilfe rufen nach Flugzeugen und Rettungsexpeditionen.

Es wurde Mittag und Nachmittag, und die Sonne sank. Wenn es jetzt nur gelingen würde, Rarotonga zurückzuhalten. Es wurde sieben und acht und neun. Die Spannung war zum Zerreißen. Kein Lebenszeichen im Sender, aber der Empfänger, ein NC-173, begann aufzuleben, und auf einer Stelle ganz unten auf der Skala hörten wir schwache Musik. Aber nicht da, wo wir unsere Amateurfrequenz hatten. Aber es zog sich empor, vielleicht war es eine nasse Spule, die langsam von dem einen Ende her trocken wurde. Der Sender war weiterhin stocktot, überall gab es Kurzschlüsse und Funken.

Es blieb uns keine volle Stunde mehr. Es ging nicht. Der Sender wurde aufgegeben, und ein kleiner Saboteursender aus dem Kriege wurde aufs neue versucht. Wir hatten ihn mehrere Male im Laufe des Tages ausprobiert, aber ohne Resultat. Vielleicht war er jetzt ein wenig trockener geworden. Alle Batterien waren vollständig ruiniert, den Strom bekamen wir durch das Drehen eines winzigen Handgenerators. Er ging schwer, und wir vier rundherum schufteten den lieben langen Tag. Geduldig saßen wir an dem Scheusal und drehten.

Die sechsunddreißig Stunden waren bald vorbei. Ich erinnere mich, daß einer flüsterte, noch sieben Minuten, noch fünf Minuten und - dann war keiner mehr, der noch auf die Uhr sehen wollte. Der Sender war noch ebenso stumm, aber es zischte im Empfänger empor bis zur richtigen Frequenz. Plötzlich ging es auf der Frequenz des Rarotongamannes los und wir begriffen so viel, daß er bereits in vollem Kontakt mit der Telegraphenstation auf Tahiti war. Kurz darauf schnappten wir folgendes Bruchstück einer Meldung auf, die von Rarotonga ausging:

». . . kein Flugzeug auf dieser Seite von Samoa. Ich bin ganz sicher . .

Und dann starb es wieder weg. Die Spannung war nicht mehr auszuhalten. Was ging da draußen vor sich? Hatten sie bereits begonnen, Flieger und Rettungsexpeditionen auszusenden? Jetzt gingen wohl die Meldungen kreuz und quer durch den Äther.

Die zwei Funker arbeiteten fieberhaft. Der Schweiß tropfte ihnen vom Gesicht genauso wie uns, die wir saßen und drehten. Es begann langsam Kraft in die Senderantenne zu kommen, und Torstein zeigte ergriffen auf einen Pfeil, der sich langsam über eine Skala hinaufbewegte, wenn er die Morsetaste niederdrückte. Jetzt kam es!

Wir drehten wie die Verrückten, während Torstein Rarotonga rief. Keiner hörte uns. Noch einmal. Jetzt war der Empfänger wieder zum Leben erwacht, aber Rarotonga hörte uns nicht. Wir riefen Hai und Frank in Los Angeles und die Seekriegsschule in Lima, aber keiner hörte uns.

Das setzte Torstein eine CQ-Meldung ab, das heißt, er rief an alle Stationen in der Welt, die uns hören konnten, auf unserer besonderen Amateurfrequenz.

Das half. Jetzt begann eine schwache Stimme draußen im Äther langsam nach uns zu rufen. Wir riefen wieder und sagten, daß wir sie hörten. Da sagte die langsame Stimme da draußen im Äther:

»Mein Name ist Paul. Ich wohne in Colorado, wie heißt du, wo wohnst du?«

Es war ein Radioamateur. Torstein warf sich über die Taste, während wir drehten, und antwortete:

»Hier Kon-Tiki. Wir sind auf einer öden Insel im Stillen Ozean gestrandet. «

An diese Aufklärung glaubte Paul nicht im mindesten. Er meinte, es sei ein Radioamateur eine Straße weiter, der bloß seinen Spaß mit ihm trieb, und kam nicht einmal im Äther wieder. Wir rauften uns verzweifelt den Bart. Hier saßen wir unter den Palmenkronen in der Sternennacht auf einer öden Insel, und es fand sich keiner, der uns geglaubt hätte.

Torstein ergab sich nicht. Er war wieder über seiner Taste und sendete: »Alles in Ordnung, alles in Ordnung« ins Unendliche. Wir mußten, zum Teufel, die ganze Rettungsmaschinerie aufhalten, bevor sie über den Stillen Ozean dahergerollt kam.

Da hörten wir ganz schwach im Empfänger:

»Sicher ist alles in Ordnung, aber warum schlägst du da solchen Krach?«

Dann war es wieder still im Äther. Das war alles.

Wir wären am liebsten in die Luft gegangen und hätten alle Kokosnüsse aus Wut heruntergeschüttelt, und der Himmel mag wissen, was wir getan hätten, wenn nicht sowohl Rarotonga wie der gute alte Hai uns plötzlich gehört hätten. Hai weinte, sagte er, so froh war er, LI2B wieder zu hören. Alle weiteren Bemühungen wurden augenblicklich eingestellt. Wir waren wieder allein und ungestört auf unserer Südseeinsel und eilten ermattet in die Koje aufs Palmenlager.

Am nächsten Tag nahmen wir es mit der Ruhe und genossen das Leben in vollen Zügen. Die einen badeten, die anderen fischten und waren auf Entdeckungsreisen auf dem Riff nach wunderlichen Tieren, während die ganz Energischen im Lager aufräumten und es rund um uns schön machten. Draußen auf der Landzunge, die auf das Wrack zulief, gruben wir eine Grube am Saum des Waldes und legten sie mit Blättern aus, bevor wir eine sprossende Kokosnuß aus Peru einpflanzten. Ein Mal aus Korallen wurde an ihrer Seite errichtet in gerader Linie zur Landungsstelle der »Kon-Tiki«.

Die »Kon-Tiki« war im Laufe der Nacht noch weiter hereingeschwemmt worden und lag fast trocken in einigen Wasserpfützen, festgeklemmt zwischen einer Reihe von großen Korallenblöcken, weit drinnen am Riff.

Nachdem sie sich gründlich im warmen Sand hatten durchbraten lassen, waren Erich und Hermann wieder in guter Form und bekamen Lust, nach Süden das Riff entlangzuziehen, in der Hoffnung, zu der großen Insel da unten hinüberzukommen. Ich warnte sie mehr vor dem Aal als vor dem Hai, und jeder steckte sein langes Machetenmesser in den Gürtel. Im Korallenriff hält sich nämlich ein fürchterlicher Aal mit langen giftigen Zähnen auf, der leicht einem Menschen das Bein abreißen kann. Er wendet sich blitzschnell zum Angriff und ist der Schrecken der Eingeborenen, selbst solcher, die es wagen, um einen Hai herumzuschwimmen.

Die zwei waren imstande, weite Strecken das Riff hinunterzuwaten, aber es waren einzelne tiefere Rinnen kreuz und quer, wo sie schwimmen mußten. Sie erreichten glücklich die große Insel und wateten an Land. Lang und schmal und bedeckt von Palmenwald, zog sie sich zwischen sonnenhellen Strandplätzen im Schütze des Riffs nach Süden. Die zwei schritten die ganze Insel ab, bis sie an die Südspitze kamen. Hier zog das Riff sich weißschäumend weiter gegen Süden, anderen fernen Inseln zu. Sie entdeckten das Wrack eines gewaltigen Schiffes. Es hatte vier Masten und lag, in zwei Teile zerrissen, am Strand. Es war ein alter, spanischer Segler, der mit Eisenbahnschienen beladen gewesen war, und rostige Schienen lagen draußen längs des ganzen Riffs verstreut. Sie folgen der anderen Seite der Insel wieder zurück, aber fanden nicht einmal die Spur eines Menschen im Sand.

Auf dem Weg zurück über das Riff schreckten sie immer wieder wunderliche Fische auf, die sie zu fangen versuchten, als sie plötzlich von nicht weniger als acht großen Aalen angegriffen wurden. Sie sahen sie im klaren Wasser kommen und sprangen auf einen großen Korallenblock, den die Aale von allen Seiten umschlängelten. Die glitschigen Bestien waren armdick und grün und schwarz gesprenkelt wie Giftschlangen, mit kleinen Köpfen und bösen, bösen Schlangenaugen und zollangen, nadelscharfen Zähnen. Mit den Machetenmessern schlugen sie los auf die kleinen wiegenden Köpfe, die sich heraufbogen. Einem schlugen sie den Kopf ab, während ein anderer verwundet wurde. Das Blut im Seewasser zog einen ganzen Schwärm von jungen Blauhaien an, die auf den toten und den verwundeten Aal losgingen, in der Zwischenzeit glückte es den beiden, vom Stein fortzuhüpfen und sich davonzuretten.

Am gleichen Tag kam ich auf die Insel heraufgewatet, als etwas mit einer blitzschnellen Bewegung meinen Knöchel von beiden Seiten umgriff und ihn festhielt. Es war ein Tintenfisch, er war nicht groß, aber es war ein abscheuliches Gefühl, die kalten Fangarme um sich zu haben und in die bösen, kleinen Augen in dem blauroten, geschnäbelten Sack, der den Körper ausmachte, zu schauen. Ich suchte mit aller Kraft meinen Fuß freizubekommen, aber der Tintenfisch, der kaum einen Meter lang war, folgte nach, ohne den Griff loszulassen. Es mußte der Verband um den Fuß sein, der ihn anlockte. Ruckweise zog ich mich hinauf auf den Strand, den abscheulichen Angreifer am Fuß. Erst als ich selbst den Beginn des trockenen Sandes erreichte, löste er seinen Griff und zog sich langsam zurück ins seichte Wasser, die Arme ausgestreckt, den Blick aufs Land gerichtet, wie bereit zu neuem Angriff, wenn ich nur wagte, ihm nahezukommen. Als ich einige Korallenblöcke nach ihm warf, schoß er davon.

Unsere verschiedenen Erlebnisse draußen am Riff waren nur die Würze des paradiesischen Daseins drinnen auf der Insel.

Aber wir konnten nicht unsere restliche Zeit hier verbringen. Wir mußten wieder daran denken, wie man zurück zur übrigen Welt kommen konnte. Nach einer Woche hatte die »Kon-Tiki« sich in der Mitte des Riffs verhängt, wo sie steif und fest auf dem Trockenen lag. Die schweren Stämme hatten große Korallenstöcke abgebrochen und fortgewälzt, um sich hinüber in die Lagune zu schieben, aber jetzt lag das Floß unbeweglich, und wie wir auch zogen und schoben, das eine nützte so wenig wie das andere. Wenn wir nur das Wrack hinein in die Lagune bekamen, dann war es eine Kleinigkeit, auch den Mast wieder so weit aufzurichten und aufzutakeln, daß wir mit dem Wind über die feindliche Lagune segeln und nachsehen konnten, was wir auf der anderen Seite fanden. War eine der Inseln bewohnt, so mußte es am Horizont da drunten im Osten sein, wo das Ringriff seine Front nach Lee wendete.

Die Tage vergingen.

Eines schönen Vormittags kam einer von den Jungs dahergelaufen und sagte, er habe ein weißes Segel drinnen auf der Lagune gesehen. Von unserer höchsten Palme aus konnten wir einen winzigen Punkt sehen, der sich merkwürdig weiß gegen die opalblaue Lagune abhob. Das war wohl ein Segel auf der anderen Seite dicht am Land. Wir konnten sehen, wie es im Winde kreuzte. Bald kam uns noch ein zweites zu Gesicht.

Im Laufe des Vormittags wurde es größer und kam näher. Es hielt genau auf uns zu. Wir hißten die französische Flagge auf einer Stange. Das eine Segel war so nahe, daß wir sehen konnten, daß es zu einem polynesischen Auslegerkanu gehörte. Die Besegelung war neueren Jahrgangs. Zwei braune Gestalten standen an Bord und spähten nach uns. Wir winkten. Sie winkten zurück und segelten direkt herein bis zum Strand.

»Ja ora na«, grüßten wir sie auf polynesisch.

»Ja ora na«, riefen sie im Chor zurück, und der eine sprang heraus und zog das Kanu hinter sich her. So watete er über den Sand auf uns zu.

Die zwei hatten europäische Kleidung, aber den Körper des braunen Mannes. Sie waren barfuß, gut gebaut und mit einem selbstgemachten Strohhut gegen die Sonne versehen. Sie kamen ein wenig unsicher an Land und auf uns zu, aber da wir freundlich lächelten und ihnen der Reihe nach die Hand schüttelten, strahlten sie wie die Sonne und zeigten die Perlenreihen ihrer Zähne. Das sagte mehr als Worte.

Unsere polynesische Begrüßung hatte die zwei im Kanu auf genau dieselbe Art verblüfft und aufgemuntert, wie wir selbst seinerzeit zum besten gehalten wurden, als ihr Rassegenosse vor Angatau uns »Good night« zurief. Sie leierten also lange Tiraden auf polynesisch herunter, bevor sie begriffen, daß ihre Ergüsse an uns vorbeigingen, dann aber wollten sie nicht mehr weiterreden, sondern grinsten bloß freundschaftlich und zeigten auf das andere Kanu, das sich näherte.

Darin saßen drei Leute. Als sie an Land wateten und grüßten, zeigte sich, daß der eine einige Worte Französisch konnte. Wir erfuhren, daß es ein Eingeborenendorf auf einer der Inseln quer über die Lagune gab. Von ihm aus hatten die Polynesier bereits vor einigen Nächten den Schein unseres Feuers beobachtet. Nun gab es nur eine einzige Durchfahrt, die durch das Raroiariff zu dem Kreis der Inseln um die Lagune geht. Da diese Durchfahrt unmittelbar am Dorf vorbeiführt, konnte niemand zu diesen Inseln hereinkommen, ohne von der Bevölkerung des Dorfes gesehen zu werden. Also hatten die Alten im Dorfe herausgefunden, daß es kein Licht von Menschen sein konnte, es mußte etwas Übernatürliches sein, das da draußen herumspukte. Damit verloren sie alle Lust, auf Erkundung auszuziehen. Aber da kam ein Kistendeckel über die Lagune getrieben, auf dem einige Zeichen gemalt standen. Zwei von den Eingeborenen, die in Tahiti gewesen waren und dort lesen gelernt hatten, hatten die Inschrift gedeutet. Sie lasen, daß hier auf dem Brett mit großen schwarzen Buchstaben »Tiki« stand. Da gab es überhaupt keinen Zweifel mehr, daß es auf dem Riff umging, denn Tiki war der längst gestorbene Stammvater ihres Volkes, das wußten sie alle. Aber dann kamen Brot, Zigaretten und Kakao in wasserdichten Packungen und schließlich eine Schachtel mit einem alten Schuh über die Lagune herüber. Da sahen sie alle ein, daß sich ein Schiffbruch an der Ostseite des Riffs abgespielt hatte. Jetzt schickte der Häuptling endlich zwei Kanus aus, um nach den Überlebenden zu suchen, deren Feuer sie auf der Insel gesehen hatten.

Aufgefordert von den anderen, fragte der eine Braune, warum eigentlich »Tiki« auf dem Brett stand, das über die Lagune getrieben kam. Wir erklärten drauf, daß »Kon-Tiki« auf unserer ganzen Ausrüstung stand, das sei nämlich der Name des Fahrzeugs, auf dem wir gekommen waren.

Unsere neuen Freunde waren höchst erstaunt, als sie hörten, daß alle an Bord den Schiffbruch glücklich überstanden hatten und daß das flachgedrückte Wrack da draußen am Riff das Fahrzeug war, mit dem wir gekommen waren. Sie wollten sofort uns alle in die Kanus verladen und mit ins Dorf hinübernehmen. Wir wiesen dies dankend zurück, wir wollten hierbleiben, bis die »Kon-Tiki« über das Riff geborgen war. Sie sahen erschreckt auf das flache Wrack da draußen. Wir dürften doch nicht daran denken, es noch einmal flott zu bekommen! Der Wortführer sagte schließlich mit Pathos, wir sollten mit ihnen kommen. Sie hätten dazu bestimmten Befehl des Häuptlings, sie dürften nicht ohne uns zurückkommen.

Wir beschlossen darauf, daß einer von uns als Gesandter an den Häuptling mit den Eingeborenen fahren sollte, daraufhin wieder zurückkommen und uns Bericht über die Verhältnisse auf der Insel da drüben erstatten. Wir wollten das Floß nicht auf dem Riff zurücklassen. Wir konnten uns nicht von unserer Ausrüstung trennen. Bengt ging mit den Eingeborenen. Die zwei Kanus wurden vom Strand losgeschoben, und bald verschwanden sie bei gutem Wind nach Westen.

Am nächsten Tag wimmelte der Horizont von weißen Segeln. Die Insulaner waren wohl mit allen Fahrzeugen, die sie besaßen, auf dem Weg zu uns.

Das ganze Gefolge kreuzte auf uns zu, und als sie heran waren, sahen wir unseren guten Freund Bengt im ersten Kanu mit dem Hut winken, umgeben von braunen Gestalten. Er rief uns zu, daß er mit dem Häuptling selbst käme, und wir nahmen Aufstellung drunten am Strand, wo sie an Land wateten.

Mit großem zeremoniellem Geschick stellte Bengt uns den Häuptling vor, der nach seinen Worten Tepiuraiaril Teriifaatau hieß - aber er verstand, was wir meinten, wenn wir ihn Teka nannten. Wir nannten ihn Teka.

Der Häuptling Teka war ein großer schlanker Polynesier mit ungewöhnlich intelligenten Augen. Er war eine mächtige Persönlichkeit und stammte von dem alten Königsgeschlecht auf Tahiti. Er selbst war Häuptling über die Raroia- und Takume-Inseln. Auf Tahiti war er in die Schule gegangen, so daß er Französisch sprach und lesen und schreiben konnte. Er erzählte mir, daß die Hauptstadt Norwegens Christiania hieß und fragte, ob ich Bing Crosby kannte. Er erzählte des weiteren, daß nur drei ausländische Schiffe Raroia im Laufe der letzten zehn Jahre besucht hatten, aber daß das Dorf mehrmals im Jahr Besuch des Kopraschoners aus Tahiti bekam, der Handelswaren brachte und Kokoskerne holte. Sie warteten jetzt schon lange auf den Schoner, so daß er in der nächsten Zeit herüberkommen mußte.

Bengts Bericht lief in Kürze darauf hinaus, daß es weder Schule, Radio noch Weiße auf Raroia gab, aber daß die hundertzwanzig Polynesier des Dorfes alles getan hatten, was sie konnten, daß wir es im Dorf angenehm haben sollten. Sie waren dabei, für uns einen großen Empfang vorzubereiten.

Die erste Bitte des Häuptlings war, das Schiff zu sehen, das uns lebend am Riff abgesetzt hatte. Mit einem Schwarm von Eingeborenen hinter uns wateten wir hinaus zur »Kon-Tiki«. Als wir uns näherten, blieben sie plötzlich stehen und begannen wie aus einem Mund zu schnattern. Wir sahen jetzt die Stämme der »Kon-Tiki« deutlich, und einer von den Eingeborenen stieß hervor:

»Das ist ja kein Boot, das ist ein Pae-pae!«

»Pae-pae!« wiederholten alle wie aus einem Mund.

Im Galopp platschten sie aufs Riff hinaus und kletterten auf die »Kon-Tiki«. Wie begeisterte Kinder krochen sie überall herum, befühlten die Stämme, das Bambusflechtwerk und das Tauwerk. Der Häuptling war genauso aufgeregt wie die anderen, er kam zurück und wiederholte erstaunt und interessiert:

»>Tiki< ist ja gar kein Schiff, es ist ein Pae-pae!«

Pae-pae ist das polynesische Wort für Floß und Plattform, auf der Osterinsel ist es auch die Bezeichnung für die Kanus der Eingeborenen. Der Häuptling berichtete, daß solche Pae-paes heute nicht mehr existieren, aber die Ältesten im Dorf konnten alte Überlieferungen über Pae-paes erzählen. Alle miteinander waren voller Bewunderung für die großen Balsastämme, aber über das Tauwerk rümpften sie die Nase. Solche Taue; hielten nicht viele Monate in Seewasser und Sonne. Sie zeigten uns stolz die Zurrungen ihrer eigenen Ausleger. Die hatten sie selbst aus Kokoshanf geflochten. Solche Taue hielten fünf Jahre auf See.

Als wir zu unserer kleinen Insel zurückwateten, wurde sie »Fenua Kon-Tiki« getauft oder Kon-Tiki-Insel. Das war ein Name, den wir alle aussprechen konnten. Aber unsere braunen Freunde hatten schwere Mühe mit unsereren kurzen nordischen Vornamen. Sie waren ganz hingerissen, als ich sagte, sie könnten mich Terai Mateata nennen, denn so war ich vom Häuptling auf Tahiti getauft worden, als ich zum ersten Mal in der Gegend war.

Die Eingeborenen zogen Hühner, Eier und Brotfrüchte aus den Kanus heraus, während andere mit dreizinkigen Gabeln Fische in der Lagune aufspießten. Dann hatten wir ein großes Fest ums Lagerfeuer. Wir mußten alle unsere Erlebnisse mit dem Pae-pae auf dem Meer erzählen, und die Geschichte mit dem Walhai wollten sie immer wieder hören. Und jedesmal, wenn wir so weit kamen, daß Erich ihm die Harpune in den Schädel ramte, da schrien sie alle gleich mitgerissen auf. Sie erkannten sofort jeden einzelnen Fisch wieder, von dem wir ihnen Skizzen zeigten, und sagten uns sofort die Namen auf polynesisch.

Aber den Walhai und den Gempylus hatten sie nie gesehen oder auch nur etwas davon gehört.

Als der Abend kam, bekamen wir zum großen Jubel der ganzen Versammlung das Radio in Gang. Am meisten entsprach Kirchenmusik ihrem Geschmack, bis wir zu unserer eigenen großen Überraschung echte Hula-Musik aus Amerika einfingen. Da begannen sich die Lustigsten unter ihnen herumzudrehen, die Arme über den Kopf gebeugt, und bald sprang die ganze Gesellschaft in die Hocke und tanzte Hulahula im Takte der Musik. Als die Nacht kam, lagerten sich alle Mann um ein Feuer am Strand. Für die Eingeborenen war es genauso ein Abenteuer wie für uns.

Als wir am nächsten Morgen erwachten, waren sie bereits auf und brieten frischgefangenen Fisch. Sechs eben geöffnete Kokoshüllen standen für uns bereit, um den Morgendurst zu löschen.

Heute donnerte das Riff noch stärker als gewöhnlich, der Wind hatte zugenommen, und die Brandungswogen peitschten hoch in die Luft ums Wrack.

»Heute kommt die >Tiki< herein«, sagte der Häuptling und zeigte auf das Wrack, »es gibt Hochwasser.«

Um elf Uhr begann das Wasser an uns vorbei in die Lagune zu strömen. Wie eine große Schale füllte sie sich, und das Wasser stieg rund um die ganze Insel. Den ganzen Tag lang kam ein richtiger Strom vom Meer herein. Das Wasser wälzte sich von Terrasse zu Terasse, und mehr und mehr vom Riff verschwand unter der Oberfläche. Wassermassen fluteten herein an beiden Seiten der Insel entlang. Sie rissen große Korallenblöcke mit sich und trugen Sandbänke ab, die wie Mehl vor dem Wind verschwanden, während andere aufgebaut wurden. Lose Wrackreste kamen an uns vorbeigesegelt, und die »Kon-Tiki« begann sich zu rühren. Alles, was längs des Strandes lag, mußte im Inneren der Insel geborgen werden, um nicht von der Flut mitgenommen zu werden. Bald waren nur mehr die höchsten Steine des Riff sichtbar, der Strand um unsere Insel war verschwunden, das Wasser schäumte gegen den Grasfleck empor. Es sah unchristlich aus, man hatte den Eindruck, das ganze Meer wäre am Einmarsch. Die »Kon-Tiki« drehte sich herum und trieb los, bis sie von neuen Korallenblöcken aufgefangen wurde.

Die Eingeborenen stürzten sich ins Wasser und schwammen und wateten über die Stromwirbel, bis sie von Bank zu Bank ans Floß kamen. Knut und Erich folgten nach. Taue lagen am Floß bereit, und als dieses die letzten Korallenblöcke umwarf und sich vom Riff löste, sprangen die Eingeborenen über Bord und versuchten, es zurückzuhalten. Sie kannten nicht »Kon-Tiki« und ihren unbändigen Drang, sich nach Westen durchzuschlagen, so daß sie hilflos im Schlepp mitgezogen wurden. Bald wanderte die »Kon-Tiki« mit guter Fahrt quer über das ganze Riff und in die Lagune hinein. Hier wurde sie gewissermaßen aufsässig, als sie stilleres Wasser erreichte, und sah sich um, wie um einen Überblick über weitere Möglichkeiten zu erhalten. Bevor sie sich wieder auf die Reise begab und den Auslauf auf der anderen Seite entdeckte, hatten die Eingeborenen bereits das Ende des Taues glücklich um eine Palme an Land geschlungen, und nun hing die »Kon-Tiki« festgebunden drinnen in der Lagune. Ein Fahrzeug, das über Land und Wasser ging, hatte sich quer über die Barrikade durchgeschlagen und war glücklich in die Lagune im Inneren von Raroia gekommen.

Mit aufreizenden Kampfrufen, wobei »ke-ke-te-huru-huru« als zündender Refrain hervorgebrummt wurde, zogen wir die » Kon-Tiki« herein auf den Strand, der ihren Namen führte. Vier Fuß höher als normale Flut kulminierte das Hochwasser. Wir warteten schon darauf, die ganze Insel verschwinden zu sehen.

Windstöße brachen über das Wasser herein, und wir konnten nicht viel von unserer Ausrüstung mit in die engen und wassergefüllten Kanus bekommen. Die Eingeborenen mußten in höchster Eile zurück zum Dorf, und Bengt und Hermann fuhren mit ihnen, um nach einem kleinen Burschen zu sehen, der sterbend in einer Hütte des Dorfes lag. Der Bub hatte eine Eiterbeule am Kopf, und wir hatten Penicillin.

Am Tag darauf saßen wir vier wieder allein auf der Kon-Tiki-Insel. Der Ostwind war jetzt so stark, daß die Eingeborenen nicht über die Lagune kommen konnten, die mit Untiefen und scharfen Korallengebilden gespickt war. Das Wasser stieg und sank in Flutwellen.

Am nächsten Tag ließ es nach. Wir konnten jetzt unter die »Kon-Tiki« tauchen und feststellen, daß die neun Stämme heil waren, sogar wo das Riff ein oder zwei Zoll der Unterseite abgehobelt hatte. Das Tauwerk saß so tief drinnen in seinen Furchen, daß nur vier von den zahlreichen Seilen von den Korallen angeschnitten waren. Wir begannen an Bord aufzuräumen. Unser stolzes Fahrzeug sah menschlicher aus, als die Hütte wie ein Klappgehäuse wieder aufgestellt wurde. Der Mast wurde geschient und aufgerichtet. Im Verlauf des Tages tauchten die Segel wieder auf. Die Eingeborenen kamen, um uns und den Rest der Last abzuholen. Hermann und Bengt waren dabei. Sie erzählten, daß die Eingeborenen im Dorf große Feierlichkeiten vorbereitet hatten. Wenn wir zu der Hauptinsel hinüberkämen, dürften wir die Kanus erst nach einem besonderen Zeichen vom Häuptling verlassen.

Bei frischer Brise durchschnitten wir die Lagune, die hier eine norwegische Meile breit war. Wir sahen fast mit Wehmut die einzelnen Palmen auf der Kon-Tiki-Insel zum Abschied winken, während sie in eins verschmolzen und unsere Insel zu einem unbestimmbaren kleinen Eiland unter vielen anderen am Ostriff einschrumpfte. Aber vor uns breiteten sich größere Inseln aus. Vor der einen sahen wir eine Mole, und Rauch stieg von den Hütten zwischen den Palmenstämmen auf.


Die Eingeborenen finden uns und helfen uns später, die,,Kon-Tiki" an Land zu ziehen. Kein anderes Fahrzeug hätte es fertiggebracht, auf der Windseite des Riffs zu landen und dann noch über die Felsen in das Binnenwasser der Lagune zu gelangen.


Das Dorf sah tot und leblos aus, kein Mensch war zu sehen. Was war nun los? Drunten am Strand am Ende der Mole von Korallenblöcken standen zwei einsame Gestalten, die eine war lang und dünn, die andere groß und umfangreich wie eine Tonne. Als wir herankamen, grüßten wir beide. Es waren der Häuptling Teka und der Vizehäuptling Tupuhoe. Tupuhoes herrlichem und kräftigem Lachen waren wir bald alle verfallen. Teka war ein klarer Kopf und ein Diplomat, aber Tupuhoe war ein unverdorbenes Kind der Natur, ein Kernmensch mit einem Humor und mit einer Urkraft, wie man sie nur selten findet. Mit seinem mächtigen Korpus und seinem königlichen Gesicht stellte er alles vor, was man von einem vollblütigen polynesischen Häuptling erwartet. Tupuhoe war auch der eigentliche Häuptling auf der Insel. Aber Teka hatte im Laufe der Zeit die Oberhoheit bekommen, weil er Französisch sprach und rechnen und schreiben konnte, so daß das Dorf nicht betrogen wurde, wenn der Schoner von Tahiti um Kopra kam.

Teka erklärte, daß wir miteinander zum Versammlungshaus im Dorf hinaufmarschieren sollten. Als alle Jungens an Land waren, stiegen wir hinan in feierlicher Prozession, Hermann voran mit der Flagge, die an einem Harpunenschaft wehte, dann ich zwischen den zwei Häuptlingen.

Das Dorf war deutlich geprägt vom Koprahandel mit Tahiti. Planken und Wellblech waren mit dem Schoner eingeführt. Während einzelne Hütten in malerischem altem Stil mit winkligem Holzwerk und geflochtenen Palmenblättern gebaut waren, waren andere aus Brettern zu kleinen tropischen Bungalows zusammengeklopft. Ein großes Bretterhaus, das für sich allein zwischen den Palmen lag, war das neue Versammlungshaus des Dorfes. Hier sollten wir sechs Unterkunft bekommen. Wir marschierten mit der Flagge durch eine kleine Hintertür und wieder hinaus auf eine breite Treppe vor der Front. Vor uns auf dem Platz standen alle, die im Dorf gehen oder auch nur kriechen konnten, Frauen und Kinder, Alte und Junge. Alle waren todernst, und selbst unsere lustigen Freunde von der Kon-Tiki-Insel standen steif zwischen den anderen, ohne eine Miene des Wiedererkennens zu verziehen.

Als wir auf die Treppe herausgetreten waren, öffnete die ganze Versammlung wie mit einem Schlag den Mund und stimmte - die Marseillaise an. Der Häuptling, der sie auswendig konnte, war Vorsänger, und es ging ganz gut, obwohl einzelne alte Weiblein in den Fisteltönen hängenblieben. Das mußten sie fürchterlich trainiert haben. Die französische und die norwegische Flagge wurden vor der Treppe gehißt, und damit war Häuptling Tekas offizieller Empfang vorüber. Er zog sich still in den Hintergrund zurück. Jetzt war der dicke Tupuhoe an der Reihe. Er sprang vor und war Zeremonienmeister. Tupuhoe gab ein knappes Zeichen, und damit stimmte die ganze Versammlung neuerlich ein Lied an. Aber diesmal ging es besser. Denn Text und Melodie waren von ihm selbst verfertigt, in ihrer eigenen Sprache, und ihr eigenes HulaSingen, das konnten sie. Die Melodie war so bezaubernd in all ihrer ergreifenden Einfachheit - und dazu noch das Brausen der Südsee - wir fühlten es den Rücken hinunterkribbeln. Mit einzelnen Vorsängern fiel der ganze Chor ständig ein. So gab es Variationen im Thema, selbst wenn der Text ständig der gleiche war: »Guten Tag, Terai Mateata, und deine Männer, die ihr übers Meer auf einem Pae-pae zu uns auf Raroia gekommen seid, ja guten Tag. Mögt ihr lange bei uns weilen und Schönes mit uns erleben, so daß wir immer im Geiste beisammen bleiben, selbst wenn ihr wieder in ferne Länder zieht. Guten Tag!«

Wir mußten sie bitten, das Lied noch einmal zu singen, und langsam kam Leben in die Versammlung, nachdem sich ihre Befangenheit legte. Tupuhoe bat mich, einige Worte an die Bevölkerung zu richten und zu erklären, warum wir auf einem Pae-pae übers Meer gekommen waren, darüber hatten alle nachgedacht. Ich sollte nur französisch reden, Teka würde übersetzen.

Es war eine ungelehrte, aber höchst intelligente Versammlung von Braunen, die hier stand und wartete. Sie bekamen zu hören, daß ich schon früher unter ihren Stammesgenossen auf den Südseeinseln gewesen war und daß ich damals von ihrem ersten Häuptling Tiki gehört hatte, der ihre Vorväter auf diese Inseln geführt hatte aus einem geheimnisvollen Land, von dem keiner mehr wußte, wo es lag. Aber in einem fernen Land, das Peru hieß, so sagte ich, hatte einmal ein mächtiger Häuptling regiert, der Tiki hieß. Das Volk nannte ihn Kon-Tiki oder Sonnen-Tiki, weil er von der Sonne abstammte. Tiki verschwand schließlich aus seiner Heimat auf großen Pae-paes, deshalb glaubten wir sechs, daß er derselbe Tiki war, der hier auf den Inseln gelandet war. Da aber niemand uns glauben wollte, daß ein Pae-pae die Reise übers Meer durchstehen könne, so zogen wir selbst los von Peru mit einem Pae-pae, und hier waren wir. So war es also möglich.

Als die kleine Rede von Teka übersetzt war, war Tupuhoe Feuer und Flamme und sprang wie in Ekstase vor die Versammlung. Er polterte auf polynesisch los, fuchtelte mit den Armen herum, zeigte auf den Himmel und auf uns, und in seinem Redeschwall wiederholte er ständig das Wort Tiki. Das ging so rasch, daß es unmöglich war, den Faden zu behalten. Aber die ganze Versammlung schluckte jedes Wort und war sichtlich erschüttert. Teka hingegen sah ganz geniert aus, als er übersetzen sollte.

Tupuhoe hatte gesagt, daß sein Vater und Großvater und dessen Väter wieder von Tiki erzählt hatten und daß Tiki deren erster Häuptling war, der jetzt im Himmel sei. Aber dann kamen die Weißen und sagten, die Überlieferungen der Vorväter wären Lüge, Tiki habe nie existiert. Er wäre auch nicht im Himmel, denn dort sei Jehovah. Tiki sei ein heidnischer Gott, an ihn durften sie nicht mehr glauben. Aber jetzt waren heute hier sechs dahergekommen zu ihnen auf einem Pae-pae übers Meer. Wir wären die ersten Weißen, die zugestanden, ihre Väter hätten die Wahrheit erzählt, Tiki hätte gelebt, er sei nicht nur ein Hirngespinst, aber jetzt sei er tot und im Himmel.

Erschreckt bei dem Gedanken, die Arbeit der Missionare umzustürzen, beeilte ich mich, vorzutreten und zu erklären, daß Tiki wohl gelebt hatte, das war sicher und gewiß. Aber jetzt sei er tot. Ob er jetzt im Himmel oder in der Hölle war, das wußte nur Jehovah, denn der war im Himmel, während Tiki selbst ein sterblicher Mensch gewesen war, ein großer Häuptling wie Teka und Tupuhoe oder vielleicht noch etwas größer. Die Braunen mußten lachen, aber im Grunde gefiel es ihnen gut, und das Nicken und Murmeln zeigte deutlich, daß die Erklärung auf guten Boden gefallen war. Tiki hatte gelebt, das war die Hauptsache. Wenn er jetzt in der Hölle wäre, so wäre das sein eigener Schaden, aber da stiege vielleicht die Möglichkeit für verschiedene von uns, ihn wiederzusehen, meinte Tupuhoe.

Drei alte Männer drängten sich vor und wollten uns die Hand schütteln. Es war kein Zweifel, daß sie es waren, die die Erinnerung an Tiki bei der Bevölkerung am Leben hielten, und der Häuptling erzählte auch, daß der eine Alte eine Unzahl von Überlieferungen und historischen Liedern aus der Zeit der Vorväter kannte. Ich fragte den Alten, ob nicht ein Hinweis in den Überlieferungen war, aus welcher Richtung Tiki gekommen sei. Nein, daran konnte sich keiner von ihnen erinnern. Aber nachdem sie sich wohl und lange bedacht hatten, sagte der älteste von den dreien, daß Tiki einen nahen Verwandten mit sich hatte, namens Maui, und in dem Lied von Maui hieß es, daß er hierher auf die Insel von Pura kam, und Pura, das war dort, wo die Sonne aufging. War also Maui von Pura gekommen, so war wohl Tiki aus derselben Richtung, und wir sechs auf dem Pae-pae, wir waren auch von Pura gekommen, das stand fest.

Ich erzählte den Braunen, daß auf einer einsamen Insel näher bei der Osterinsel, die Mangareva heißt, die Bevölkerung niemals den Bau von Kanus erlernt hatte. Hier hatten sie nie aufgehört, große Pae-paes auf See zu gebrauchen bis in unsere Zeit. Davon wußte der Alte nichts. Aber er wußte, daß ihre eigenen Vorväter auch große Pae-paes verwendet hatten, aber das war im Laufe der Zeit völlig außer Gebrauch gekommen, und jetzt war nur mehr der Name und die Überlieferung übrig. In alten Tagen wurden die Pae-paes als Rongo-rongo bezeichnet, sagte der Älteste, aber das sein ein Wort, das jetzt nicht mehr im Sprachschatz vorkomme. Aber Rongo-rongos werden in den ältesten Sagen erwähnt.

Dieser Name war interessant, denn Rongo, das auf einzelnen Inseln Lono ausgesprochen wird, war der Name eines der bekanntesten sagenumsponnenen Ahnen der Polynesier. Er wurde ausdrücklich als weiß und hellhaarig geschildert. Als Kapitän Cook das erstemal auf Hawaii kam, wurde er mit offenen Armen von den Insulanern empfangen. Sie glaubten, er sei ihr weißer Verwandter Rongo, der nach generationenlanger Abwesenheit auf seinem großen segelführenden Fahrzeug von der Heimat seiner Väter zurückkehrte. Und auf der Osterinsel war Rongo-rongo die Bezeichnung für die mystischen Hieroglyphen, deren Geheimnis mit den letzten schriftkundigen »Langohren« verlorenging.

Während die Alten über Tiki und Rongo-rongo sprechen wollten, wünschten die Jungen vom Walhai und von unserer Fahrt über das Meer zu hören. Aber das Essen wartete, und Teka war es müde, Dolmetsch zu spielen. Jetzt durfte das ganze Dorf herantreten, um jedem einzelnen von uns die Hand zu schütteln. Die Männer murmelten »Ja-ora-na« und rissen uns fast die Hand ab, die jungen Mädchen tänzelten heran und grüßten schelmisch und geniert, und die alten Hexen schwatzten und knixten und zeigten auf unseren Bart und unsere Hautfarbe. Es leuchtete Freundschaft aus jedem einzelnen Gesicht. So konnte es gar nicht ausbleiben, daß eine babylonische Sprachverwirrung entstand. Sagten sie etwas Unverständliches zu uns auf polynesisch, so antworteten wir mit derselben Münze auf norwegisch. So hatten wir alle miteinander einen Riesenspaß.

Das erste Wort, das alle lernten, war »mögen«, und wenn einer mit diesem Wort auf das zeigen konnte, was er mochte, und damit rechnen konnte, es sofort zu bekommen, so war die ganze Schwierigkeit gelöst. Rümpfte einer die Nase, wenn er »mögen« sagte, so bedeutete das »nicht mögen«. So konnte man sich ganz gut verständigen.

Sobald wir mit den hundertsiebenundzwanzig Einwohnern des Dorfes bekannt waren, wurde ein langer Tisch für die zwei Häuptlinge und uns sechs gedeckt, und die jungen Mädchen des Dorfes kamen und brachten die leckersten Gerichte. Während die einen den Tisch deckten, kamen die anderen und flochten Blumenkränze um unseren Hals, und kleinere Kränze wurden uns auf die Stirn gedrückt. Sie sandten ein schmachtendes Aroma aus und waren kühl und erfrischend in der Hitze. Dann begann ein Willkommensfest, das erst schloß, als wir von der Insel abreisten. Wir bekamen Stielaugen, das Wasser lief uns im Mund zusammen, uns, die wir vom Floß kamen, denn der Tisch bog sich vor gebratenen Spanferkeln, Hühnern, Entenbraten, frischem Hummer, polynesischen Fischgerichten, Brotfrucht, Papaya und Kokosmilch. Und während wir uns über die Gerichte stürzten, sang man Hula - Lieder zu unserer Unterhaltung, indes junge Mädchen den Tisch umtanzten.

Die Jungens machten es sich so bequem wie möglich und zerflossen förmlich vor Wohlbehagen, der eine sah so lächerlich aus wie der andere. Ausgehungert saßen wir da und schwelgten in den Gerichten mit brausendem Bart und einem Blumenkranz im Haar. Die zwei Häuptlinge genossen das Dasein genauso offenkundig wie wir.

Nach dem Essen gab es Hula-Tanz im großen Stil. Das Dorf wollte uns die lokalen Volkstänze zeigen. Während wir sechs mit Teka und Tupuhoe jeder seinen Ehrenstuhl im Orchester bekamen, traten zwei Gitarrespieler vor, ließen sich nieder und klimperten los, echte Südseemelodien. In einem großen Kreis hockten um uns die anderen Zuschauer, die kräftig singend einfielen. Da glitten zwei Reihen tanzender Männer und Frauen mit raschelnden Palmenblattfransen sich drehend und schwingend durch diesen Ring. Sie hatten einen munteren und feurigen Vorsänger in Gestalt eines überquellend fetten Kerls, der einen Arm durch einen Hai verloren hatte. Zu Beginn wirkten die Tänze ein wenig theatralisch und nervös, aber als sie sahen, daß die Weißen vom Pae-pae nicht über die Volkstänze ihrer Vorfahren die Nase rümpften, kam mehr Leben in sie. Ein Teil der älteren sprang mit hinein, sie hatten den besten Rhythmus und kannten diese Tänze am besten, die sicher nicht mehr im allgemeinen Gebrauch standen. Und als die Sonne in den Stillen Ozean tauchte, wurde es unter den Palmen lebhafter und lebhafter, und der Jubel der Zuschauer wurde mehr und mehr spontan. Sie hatten vergessen, daß es sechs Fremde gab, die zusahen. Jetzt waren wir sechs der Ihren und freuten uns mit ihnen. Das Repertoire hatte kein Ende. Eine fesselnde Vorführung löste die andere ab. Zum Schluß setzte sich eine Anzahl junger Männer in die Hocke in einem dichten Ring vor unseren Beinen, und auf ein Zeichen Tupuhoes begannen sie gleichmäßig den Boden mit den Handflächen zu schlagen. Erst langsam, dann schneller, der Rhythmus wurde besser und besser, als plötzlich ein Trommelschläger einfiel und sie begleitete, indem er mit zwei Stöcken auf einen knochentrockenen, ausgehöhlten Holzblock schlug. Das gab einen scharfen, durchdringenden Klang. Als der Rhythmus die gewünschte Feurigkeit hatte, begann der Gesang. Plötzlich sprang ein Hula-Mädchen, einen Blumenkranz um den Hals und Blumen hinter dem Ohr, in den Ring. Es trat den Takt mit bloßen Füßen und krummen Knien, während es sich rhythmisch in den Hüften wiegte, die Arme über den Kopf, in echtem Südseestil. Es tanzte glänzend, und bald schlug die ganze Versammlung den Takt mit den Fäusten. Noch ein Mädchen sprang in den Ring und noch eines. Sie bewegten sich mit unglaublicher Geschmeidigkeit und in vollendetem Rhythmus und umkreisten sich wie graziöse Schatten im Tanz. Die dumpfen Schläge gegen den Boden, der Gesang, die helle Holztrommel beschleunigten ihr Tempo, der Takt wurde rascher und rascher, der Tanz wilder und wilder, während die Zuschauer in sorgfältigem Rhythmus klatschten und heulten. Das war die Südsee, so wie sie die Vorzeit kannte. Die Sterne blinkten, und die Palmen wiegten sich, die Nacht war mild und lang, erfüllt von Blumenduft und Zikadengesang. Tupuhoe strahlte wie die Sonne und schlug mir auf die Schulter.

»Maitai?« fragte er.

»Eh, maitai«, antwortete ich.

»Maitai?« fragte er alle anderen.

»Maitai!« antworteten sie laut und deutlich aus innerster Überzeugung, keiner von ihnen hätte die Nase gerümpft.

»Maitai«, nickte Tupuhoe und zeigte auf sich selbst. Auch er war zufrieden.

Selbst Teka fand, daß es ein schönes Fest war. Es war das erstemal, daß Weiße den Tänzen hier auf Raroia beiwohnten, erzählte er. Rascher und rascher gingen die Trommelwirbel, das Klatschen, der Gesang und der Tanz. Nun hörte die eine der Tänzerinnen auf, sich rund im Kreise zu bewegen, sie stand jetzt auf einem Fleck und tanzte in wirbelndem Tempo. Immer wieder streckten sich ihre Arme Hermann verlockend entgegen. Hermann grinste verschämt in seinen Bart, er wußte nicht recht, was er tun sollte.

»Es ist jedenfalls eine gesunde Bewegung!« zischelte ich, »und du bist ja ein guter Tänzer!«

Und zum unbegrenzten Jubel der Menge sprang Hermann hinein in den Ring, und halb in der Hocke stürzte er sich in all die verlangenden Windungen des Hula-Tanzes. Der Jubel war grenzenlos, bald schwangen sich auch Bengt und Torstein im Tanz und schlängelten sich, daß der Schweiß nur so troff, um dem Takt zu folgen, der sich zu einer wahnwitzigen Jagd beschleunigte, bis dieTrommel allein in einen einzigen Wirbel überging und die drei wirklichen Hula-Tänzerinnen wie Espenlaub im Takt bebten, bis sie im Finale zusammensanken und die Trommelwirbel jäh abrissen.

Nun war der Abend unser. Die Stimmung war auf dem Höhepunkt.

Der nächste Punkt im Programm war der Vogeltanz, eine der ältesten Zeremonien auf Raroia. Männer und Frauen in zwei Reihen tanzten gegeneinander in einer rhythmischen Bewegung, indem sie Schwärme von Vögeln kopierten, die von einem Vortänzer dahingeführt wurden. Der Vortänzer hatte den Titel eines Vogelhäuptlings und hatte wunderliche Manöver zu vollführen, ohne mit in den Tanz zu folgen. Als er vorüber war, erklärte Tupuhoe, das sei jetzt dem Floß zu Ehren gewesen. Jetzt sollte wiederholt werden aber ich sollte den Vortänzer ablösen. Ich hatte den Eindruck, die Hauptaufgabe des Vortänzers sei es, ein wildes Gebrüll auszustoßen und in der Hocke herumzuhüpfen, dabei mit dem Hinterteil zu wedeln und womöglich noch die Hände über dem Kopf zu schwingen. So zog ich den Blumenkranz gut über den Schädel herunter und marschierte in die Arena. Während ich mich im Tanz wand, sah ich auf einmal, wie der alte Tupuhoe lachte, daß er ständig in Gefahr war, vom Stuhl zu kugeln. Die Musik wurde immer dürftiger, da Gesangschor und Musikanten dem unwiderstehlichen Beispiel Tupuhoes folgten.

Jetzt wollten alle beim Tanz dabei sein, Alte und und Junge. Sofort waren der Trommelschläger und die Bodenklatscher wieder da und leiteten über zu einem mitreißenden Hula-hula-Tanz. Wieder sprangen die Hula-Mädchen in den Ring und begannen den Auftakt in wildem und wilderem Tempo, und dann wurden wir nacheinander aufgefordert. Immer mehr Männer und Frauen folgten nach und stampften und bogen sich, rascher und rascher.

Aber Erich war heute nicht in Bewegung zu bekommen. Zug und Feuchtigkeit auf dem Floß hatten seinen längst erstorbenen Hexenschuß zu neuem Leben erweckt. So saß er wie ein alter, eisgrauer Seebär steif und bärtig und dampfte aus einer kurzen Pfeife. Er ließ sich nicht von den Hula-Mädchen verführen, die umsonst versuchten, ihn in die Arena zu locken. Er hatte seine dicke Schafspelzhose an, die er des Nachts in den kältesten Gefilden des Humboldtstroms getragen hatte, und mit Vollbart, bloßem Oberkörper und Schafspelzhose war er eine getreue Ausgabe von Robinson Crusoe, wie er da unter den Palmen saß. Ein hübsches Mädchen nach dem anderen versuchte sich einzuschmeicheln, aber vergebens. Er saß nur ernsthaft da, dampfte aus seiner Pfeife, einen Blumenkranz im Haar.

Da trat eine wohlgewachsene Matrone mit schwellenden Muskeln vor in den Ring, machte einige mehr oder minder wohlgeglückte HulaSchritte und marschierte resolut auf Erich los. Er sah schreckgeschlagen drein, aber die Amazone lächelte einschmeichelnd wie eine Butterkugel, ergriff ihn resolut beim Arm und schleppte ihn vom Stuhl weg. Erichs vernügliche Hose hatte die Schafwolle drinnen und das Leder draußen, und im Achtersteven war sie geplatzt, so daß ein weißer Wollflaum hervorstand wie die Blume eines Häsleins. Erich folgte höchst widerstrebend, die eine Faust um die Pfeife geschlossen, die andere gegen den Sitz seines Hexenschusses gepreßt. Als er sich anschickte, umherzuhüpfen, mußte er die Hose auslassen, um den Blumenkranz zu bergen, der in Gefahr war, herunterzufallen, und den Blumenkranz auf einem Ohr, mußte er wieder im letzten Augenblick die Hose erwischen, die durch ihr eigenes Gewicht auf dem Wege nach abwärts war. Die Dicke, die ihm in Hula-Schritten voranhopste, war selbst ebenso nett anzusehen, und die Tränen liefen uns die Bartbüschel hinab. Bald hörten alle anderen im Ring auf, und Lachsalven dröhnten durch den Palmenhain, während der Hula-Erich und die Schwergewichtlerin in graziösen Schwüngen herumhopsten. Schließlich mußten sie selbst aufhören, weil Sänger und Musikanten mehr als genug zu tun hatten, sich den Bauch vor Lachen zu halten.

Das Fest setzte sich bis in den hellen Morgen fort, dann bekamen wir die Erlaubnis, eine kleine Pause einzuschalten, nachdem wir von neuem jede einzelne der 127 Hände geschüttelt hatten. (Wir schüttelten jedem einzelnen die Hand, jeden Morgen und jeden Abend, solange wir auf der Insel wohnten!)

Sechs Betten waren von sämtlichen Hütten im Dorf zusammengekratzt und Seite an Seite an der Wand im Versammlungshaus aufgestellt worden. Hier schliefen wir, ausgerichtet wie die sieben Zwerge im Märchen, duftende Blumenkränze über dem Kopfkissen.

Am nächsten Tag wurden wir zu dem sechsjährigen Buben gerufen, der eine Eiterbeule am Kopf hatte. Es sah schlimm aus. Der Bub hatte fast 42 Grad Fieber, und die Beule am Scheitel war so groß wie eine Mannsfaust und breitete sich mehr und mehr aus. Er hatte andere kleine Beulen auf den Zehen.

Teka erklärte, sie hätten schon viele Kinder auf diese Art verloren. Falls nicht einer von uns doktern konnte, hatte der Bub nicht mehr lange zu leben. Wir hatten Flaschen mit Penicillin in der neuen Tablettenform. Wir hatten aber keine Ahnung, welche Dosis ein kleines Kind vertragen kann. Starb uns der Bub unter unserer Behandlung, konnte es ernste Folgen haben.

Knut und Torstein zogen wieder das Radio hervor und spannten eine Antenne zwischen den höchsten Kokospalmen. Als der Abend kam, bekamen sie von neuem Kontakt mit unseren nie gesehenen Freunden Hai und Frank, die in ihrer Wohnung zu Hause in Los Angeles saßen. Frank bekam einen Arzt ans Telefon, und mit der Morsetaste berichteten wir alle Krankheitssymptome des Buben und den Inhalt unserer Medizinbüchse. Frank vermittelte die Antwort des Arztes, und in der gleichen Nacht zogen wir in die Hütte, wo der kleine Haumata sich im Fieber herumwarf, das halbe Dorf weinend und lärmend um uns.

Hermann und Knut sollten kurieren, während die anderen genug damit zu tun hatten, die Ortsbevölkerung draußen zu halten. Die Mutter wurde hysterisch, als wir mit einem Messer daherkamen und um kochendes Wasser baten. Alles Haar wurde vom Kopf des Knaben rasiert, und die Beule wurde aufgeschnitten. Der Eiter spritzte in einem Strahl fast bis ans Dach, und mehrere Eingeborene drängten sich erregt herein, so daß wir sie aus der Tür jagen mußten. Vergnügen war das keins. Die Beule war geleert und desinfiziert, dann wurde der ganze Kopf eingebunden, und wir begannen die Penicillinkur. Zwei Tage lang wurde der Knabe jede vierte Stunde behandelt. Das Fieber hatte seinen Höhepunkt erreicht. Die Beule wurde offengehalten, und jeden Abend wurde der Doktor in Los Angeles konsultiert. Dann fiel plötzlich die Temperatur, der Eiter wurde durch frisches Gewebe ersetzt, das den Hohlraum ausfüllte, und der Knabe strahlte wie eine Sonne und wollte Bilder aus der wunderlichen Welt der weißen Männer sehen, wo es Autos, Kühe und Häuser mit mehreren Stockwerken gab.

Eine Woche später spielte Haumata mit den anderen Jungen am Strand, den Kopf mit einem großen Verband umwickelt, den er bald abnehmen durfte.

Als das gut gegangen war, nahmen die Krankheiten im Dorf kein Ende. Zahnweh und Bauchgrimmen gab es allerorten, und die Beulen hatten sie überall, Alte und Junge. Wir verwiesen die Patienten an Dr. Knut und Dr. Hermann, die Diät verordneten und die Medizinbüchsen auf Pillen und Salben ausleerten. Manche wurden kuriert, und keiner wurde schlechter, und da die Medizinkiste leer war, kochten wir Kakaosuppe und Hafergrütze, die einen glänzenden Effekt auf hysterische Alte ausübten.

Wir waren noch nicht viele Tage unter unseren braunen Bewunderern gewesen, als das Fest in einer neuen Veranstaltung kulminierte. Wir sollten als Bürger von Raroia adoptiert werden und polynesische Namen erhalten. Selbst ich durfte nicht länger Terai Mateata heißen, so konnte man mich auf Tahiti nennen, aber nicht hier.

Sechs Stühle waren für uns mitten auf dem Platz aufgebaut, und der ganze Ort war früh auf den Beinen, um einen guten Platz im Umkreis zu bekommen. Teka saß feierlich dazwischen. Er war wohl Häuptling, aber nicht, wenn es zu alten lokalen Zeremonien kam. Das fiel Tupuhoe zu.

Alle saßen todernst und stumm und warteten, bis der große, dicke Tupuhoe feierlich und langsam mit seinem großen Knotenstock heraufgestiegen kam. Er war sich der Feierlichkeit der Stunde bewußt. Aller Augen hingen an ihm, als er wie in tiefen, grübelnden Gedanken daherkam und sich vor uns sechs aufstellte. Er war der geborene Häuptling, ein hervorragender Sprecher und Schauspieler.

Mit leiser und gemessener Stimme wendete er sich herunter zu den Vorsängern, Trommlern und Tanzleitern, und indem er mit seinem Knotenstock nacheinander auf sie wies, gab er ihnen kurze Befehle. Dann drehte er sich wieder uns zu. Plötzlich sperrte er seine gewaltigen Augen auf, so daß das Weiße des Augapfels mit den Zähnen um die Wette leuchtete in dem ausdrucksvollen kupferbraunen Gesicht. Er hob den Knotenstock, und während die Worte aus ihm herausrollten wie die Erbsen aus einem Sack, rezitierte er alte Rituale, die höchsten die Ältesten verstanden, denn sie waren in einem uralten und vergessenen Dialekt.

Teka übersetzte uns, daß er davon sprach, daß Tikaroa der Name des ersten Königs war, der sich hier auf dieser Insel niedergelassen hatte. Er hatte über dieses seltsame Ringriff regiert, von Nord nach Süd, von Ost nach West und noch weit in die Luft, über die Köpfe der Menschen hinweg.

Während der ganze Chor das alte Lied von Tikaroa anstimmte, legte Tupuhoe seine mächtige Faust auf meine Brust und wendete sich zu den Zuhörern, indem er sagte, er taufe mich »Varoa Tikaroa« oder Tikaroas Geist.

Als das Lied erstarb, kam die Reihe an Hermann und Bengt. Nacheinander bekamen sie die große braune Faust auf die Brust, indem er den einen »Tupuhoe-Itetahua« und den anderen »Topakino« taufte. Es waren die Namen von zwei Helden der Vorzeit, die in den Kampf gegen ein Seeungeheuer gezogen waren und es bei der Einfahrt ins Raroiariff getötet hatten.

Die Trommelschläger setzten mit einigen mächtigen Wirbeln ein. Zwei robuste Männer sprangen vor mit aufgeknüpftem Lendenschurz und einem langen Spieß in der Hand. Sie bewegten sich in rasendem Tempo, rissen die Knie herauf bis an die Brust und stießen zeigend in die Luft, während sie den Kopf von einer Seite zur anderen warfen. Auf einen neuen Schlag der Trommel sprangen sie hoch, und in vollendetem Rhythmus begannen sie einen zeremoniellen Kampf, der geradezu die Form eines Balletts annahm. Das Ganze ging kurz und rasch vor sich und stellte den Kampf der Helden gegen das Seeuntier dar. Mit Gesang und Zeremonien kam die Reihe an Torstein, der den Namen «Maroake« nach einem toten König des hiesigen Dorfes bekam, und an Erich und Knut, die die Namen »Tane-Matarau« und »Tafaunui« nach zwei langst verstorbenen Seefahrern und Seehelden erhielten. Die lange und monotone Rezitation, die ihrer Taufe folgte, kam in einem wirbelnden Tempo und mit einem kontinuierliche Wortstrom daher, der in seiner unglaublichen Geschwindigkeit ebenso imponieren wie ergötzen konnte.

Die Zeremonie war vorüber. Wieder gab es weiße Häuptlinge unter dem Polynesiervolk auf Raroia. Zwei Reihen von Tänzern und Tänzerinnen traten in geflochtenen Strohkleidern mit wehenden Bastkronen vor. Sie tanzten an uns heran und hoben die Kronen von ihren Köpfen herüber auf die unseren, und wahrend wir rasselnde Strohkleider um den Leib bekamen, ging das Fest weiter.

Eines Nachts bekamen unsere blumenbekränzten Funker Verbindung mit der Amateurstation auf Rarotonga, die uns eine Meldung aus Tahiti übermittelte. Es war ein herzlicher Willkommensgruß vom Gouverneur der franzosischen Kolonie im Stillen Ozean.

Über Auftrag aus Paris hatte er den Regierungsschoner »Tamara« ausgesandt, um uns nach Tahiti zu bringen. So sollte es uns erspart bleiben, das unsichere Anlaufen des Kopraschoners abzuwarten. Tahiti war der Knotenpunkt der französischen Kolonie und die einzige Insel, die Verbindung mit der übrigen Welt hatte. Wir mußten über Tahiti, um den Postdampfer heim in unsere eigene Welt zu bekommen.

Das Fest auf Raroia ging weiter. Eines Nachts heulte eine Sirene draußen auf dem Meer. Ausguckposten kamen von den Palmenkronen und erzählten, daß ein Schiff am Eingang der Lagune lag. Wir liefen durch den Palmenwald hinunter zum Strand auf der Leeseite. Hier sahen wir hinaus auf das offene Meer, genau entgegengesetzt zu der Richtung, aus der wir gekommen waren. Die Brandung war wesentlich geringer auf dieser Seite, die im Windschutz jenes Riffs lag, das uns so übel mitgespielt hatte.

Dicht vor dem Eingang der Lagune sahen wir die Lichter eines Schiffs. Es war sternenklar. Wir erkannten die Umrisse eines breitgebauten Schoners mit zwei Masten. War es das Schiff des Gouverneurs, das uns holen sollte? Warum kam es nicht herein?

Die Eingeborenen wurden immer aufgeregter. Nun sahen wir es auch, das ganze Fahrzeug legte sich über und drohte zu kentern. Es war auf ein unsichtbares Korallenriff aufgefahren.

Torstein erwischte eine Lampe und signalisierte:

»Quel bâteau?« Welches Schiff?

»Maoae«, blinkte es von draußen.

»Maoae« war der Kopraschoner, der zwischen den Inseln verkehrte. Er war nach Raroia unterwegs, um Kopra zu holen. Kapitän und Besatzung an Bord waren Polynesier, sie kannten die Riffe in- und auswendig. Aber die Strömung im Dunkel war tückisch. Es war ein Glück, daß der Schoner auf der Leeseite lag und daß das Wetter ruhig war, aber die Strömung aus der Lagune war nicht ungefährlich. Die »Maoae« legte sich mehr und mehr auf die Seite, und die Besatzung ging in das Rettungsboot. Solide Taue wurden in den Mastspitzen festgemacht und herein auf Land gerudert, wo die Eingeborenen sie um die Kokospalmen befestigten, um zu verhindern, daß der Schoner kenterte. Mit anderen Tauen fuhr die Besatzung im Rettungsboot vor die Öffnung im Riff in der Hoffnung, die »Maoae« klar zu rudern, wenn sich die Ebbe aus der Lagune wälzte. Die Ortsbevölkerung setzte alle Kanus zu Wasser und zog aus, um die Kopralast zu bergen. Es waren neunzig Tonnen wertvoller Kopra an Bord. Ladung um Ladung von Koprasäcken wurde aus dem schlingernden Schoner ausgeladen und herein auf trockenen Grund gebracht. Auch bei Flut blieb die »Maoae« liegen und schlug und schrammte gegen die Korallen, bis der Boden leck wurde. Als der Tag graute, lag sie noch ungünstiger zugerichtet auf dem Riff. Die Besatzung konnte nichts unternehmen, es war unmöglich, den schweren Schoner mit seinen hundertfünfzig Tonnen mit Rettungsboot und Kanus freizuschleppen. Blieb er so liegen, so wurde er über kurz oder lang in Trümmer geschlagen. Wenn der Wind wechselte, so wurde er in die Brandung gezogen und scheiterte rettungslos am Ringriff.

Niedrige Koralleninseln wie die derTuamotugruppe und zerrissene Felseninseln wie Tahiti und Moorea fand Kon-Tiki, der Sohn der Sonne, als seine Balsafloße die ersten Menschen von Peru über das Meer brachten. Er wurde später als göttlicher Stammvater der Insulaner betrachtet. Steinstatuen völlig südamerikanischen Gepräges wurden ihm zu Ehren auf vielen Inseln errichtet.


Teriieroo a Teriierooiterai heißt der letzte Häuptling von Tahiti. Er steht auf der Brücke, um uns zu empfangen. Zehn Jahre früher hat er den Verfasser unter dem Namen „Terai Mateata" adoptiert.

Glückliches Tahiti! Kaum sind wir in dem kleinen Dorf angekomrnen, beginnen die Eingeborenen ihr Fest, das die ganzen vierzehn Tage unseres Aufenthaltes währt.


Die »Maoae« hatte keinen Sender. Aber wir hatten einen. Ein Rettungsfahrzeug aus Tahiti wurde indes doch nicht angefordert. Die »Maoae« hatte sich in der Zwischenzeit langst selbst zum Wrack geschlingert. Aber zum zweiten Mal im gleichen Monat wurde das Raroiariff um seine Beute betrogen.

Zu Mittag des gleichen Tages kam der Schoner »Tamara« am Horizont im Westen in Sicht. Er hatte Auftrag, uns von Raroia abzuholen, und an Bord war man nicht wenig erstaunt, als man statt eines Floßes die Masten eines großen Schoners zu Gesicht bekam, die sich hilflos am Riff wiegten.

An Bord der »Tamara« war der französische Bevollmächtigte für die Tuamotu- und Tubuai-Gruppen, M. Frederic Ahnne, den der Gouverneur von Tahiti mitgeschickt hatte, um uns zu empfangen. Auch ein französischer Filmfotograf und ein französischer Funker waren an Bord, Kapitän und Mannschaft waren Polynesier. M. Ahnne war selbst auf Tahiti von französischen Eltern geboren und war ein hervorragender Seemann. Er übernahm das Kommando an Bord mit Zustimmung des tahitischen Kapitäns, der hocherfreut war, der Verantwortung in dem gefährlichen Fahrwasser enthoben zu sein. Während die »Tamara« sich selbst von Myriaden von Unterwasserriffen und Stromwirbeln fernhielt, wurden kräftige Taue zwischen den zwei Schonern gespannt, und M. Ahnne begann sein tüchtiges und gefährliches Manövrieren. Der Gezeitenstrom drohte, beide Schoner auf dieselbe Korallenbank zu saugen.

In der Flut löste sich die »Maoae« aus dem Riff, und die »Tamara« zog sie hinaus auf tiefes Wasser. Aber jetzt schäumten die Wellen durch das Leck in die »Maoae«, die mit höchster Eile ins seichte Wasser der Lagune geschleppt werden mußte. Drei Tage lang lag sie so vor dem Dorf und drohte zu sinken. Tag und Nacht arbeiteten die Pumpen. Die besten Perlentaucher unter unseren Freunden auf der Insel tauchten mit Spieken und Bleiplatten und schlossen die schwersten Schäden, so daß die »Maoae« unter ständigem Pumpen von der »Tamara« zur Schiffswerft auf Tahiti eskortiert werden konnte.

Als die »Maoae« klar zum Abtransport lag, manövrierte M. Ahnne die »Tamara« zwischen die Korallenbänke in der Lagune und hinüber zur Kon-Tiki-Insel. Das Floß wurde in Schlepp genommen. Dann setzte er Kurs auf offene See, die »Kon-Tiki« im Schlepp und die »Maoae« dicht hinterdrein, so daß die Besatzung gerettet werden konnte, falls die Schäden draußen auf See Überhand nehmen sollten.

Der Abschied von Raroia war mehr als wehmütig. Alles, was nur Füße hatte, stand an der Mole und spielte und sang unsere Lieblingsmelodien, während das Rettungsboot uns hinaus zur »Tamara« führte.

In der Mitte hielt Tupuhoe den kleinen Haumata an der Hand. Haumata weinte, und Tränen tropften selbst dem mächtigen Häuptling über die Backen. Es blieb kein Auge trocken drinnen auf der Mole. Aber Gesang und Musik währten, solange wir sie hören konnten, bis die Brandung vom Riff Überhand nahm.

Die, die da drinnen auf der Mole getreulich standen und sangen, hatten sechs Freunde verloren. Uns entschwanden hundertsiebenundzwanzig. Wortlos standen wir an der Reling der »Tamara«, bis die Mole hinter den Palmen verschwand und die Palmen selbst im Meer versanken. Wir hörten noch die eigenartige Melodie in uns:

»... Schönes mit uns erleben, so daß wir immer im Geiste zusammenbleiben, selbst wenn ihr wieder in ferne Länder zieht. Lebt wohl.«

Vier Tage später tauchte Tahiti aus dem Meere auf. Nicht als Perlenreihe von Palmenwipfeln. Als wilde, zerrissene, blaue Berge, hoch in den Himmel getürmt, Wolkenschwärme umgaben sie wie Blumenkränze der Mädchen.

Als wir uns näherten, unterschieden wir grüne Hänge in den blauen Bergen. Grün in Grün wälzte sich die Üppigkeit des Südens rostrote Felsen und Lehmhänge hinunter, die schließlich in tiefe Täler und Schluchten niederstürzten, um dann hinaus gegen das Meer zu münden. Und schon unterschieden wir schlanke Palmen, dicht an dicht, durch alle Täler und an der Küste entlang, hinter einem goldenen Strand. Tahiti war von Vulkanen aufgebaut. Die waren jetzt erloschen, und die Korallentiere hatten ihr Ringriff um die Insel geschlungen, so daß das Meer sie nicht abtragen konnte.

An einem frühen Morgen steuerten wir durch eine Öffnung im Riff hinein in den Hafen von Papeete. Vor uns lagen Kirchturmspitzen und rote Ziegeldächer, halb verborgen unter dem Laubwerk von Riesenbäumen und Palmenkronen. Papeete war Tahitis Hauptstadt, die einzige Stadt in Französisch-Ozeanien. Hier war die Stadt der Freude, der Regierungssitz und der Knotenpunkt für allen Verkehr im östlichen Pazifik.

Als wir in den Hafen kamen, stand die Bevölkerung Tahitis dicht gedrängt und wartete wie eine farbenreiche und lebendige Mauer. Neuigkeiten verbreiten sich mit dem Wind auf Tahiti. Und das Pae-pae, das von Amerika kam, wollten sie alle gesehen haben.

Die »Kon-Tiki« bekam den Ehrenplatz an der Strandpromenade, Papeetes Bürgermeister hieß uns willkommen, ein kleines Polynesiermädchen überreichte uns einen enormen Strauß von wilden Tahiti-Blumen im Namen der polynesischen Gesellschaft. Und dann kamen junge Mädchen auf uns zu und hängten duftende weiße Kränze um unseren Hals zur Begrüßung auf Tahiti, der Perle der Südsee.

Ich suchte ein bestimmtes Gesicht in dem Menschengewimmel, meinen alten Adoptivvater aus Tahiti, den Häuptling Teriieroo, den Chef von Tahitis siebzehn eingeborenen Häuptlingen. Er fehlte nicht. Groß und umfangreich und quietschlebendig wie in alten Tagen tauchte er auf und rief: »Terai Mateata!« während er über das breite Angesicht nur so strahlte. Er war alt geworden, aber er war dieselbe prächtige Häuptlingsgestalt.

»Du kommst spät«, lächelte er, »aber du kommst gut. Dein Pae-pae hat in Wahrheit blauen Himmel (terai mateata) nach Tahiti gebracht. Denn jetzt wissen wir, woher unsere Vorväter kamen.«

Es gab einen Empfang beim Gouverneur und ein Fest im Rathaus, und es regnete Einladungen von allen Ecken der gastfreien Insel.

Draußen in den bekannten Gegenden im Papeno-Tal beim Häuptling Teriieroo gab es ein großes Fest wie in guten alten Tagen, und, da Raroia nicht Tahiti war, gab es eine neue Taufe mit tahitischen Häuptlingsnamen für die, die noch keine hatten.

Es waren sorglose Tage unter Sonne und treibenden Wolken. Wir badeten in der Lagune, wir kletterten in die Berge und tanzten Hula auf den Wiesen unter den Palmen. Die Tage vergingen und wurden zu Wochen. Die Wochen wollten vergehen und zu Monaten werden, bevor ein Schiff kam, das uns nach Hause an die Pflichten führen konnte, die auf uns warteten.

Da kam eine Meldung aus Norwegen, daß Lars Christensen den 4000Tonner »Thor« von Samoa nach Tahiti beordert hatte, um die Expedition aufzusammeln und wieder mit nach Amerika zu bringen.

Eines schönen Morgens glitt der große norwegische Dampfer in den Hafen von Papeete, und »Kon-Tiki« wurde von einem französischen Marineschiff hinaus an die Seite seines großen Landsmannes geschleppt, der einen Riesenarm aus Stahl herausschwang und seinen kleinen Verwandten an Deck hob. Kräftige Sirenenstöße heulten über die Palmeninsel. Braune und Weiße füllten Papeetes Steinkai und wälzten sich an Bord mit Abschiedsgeschenken und Blumenkränzen. Wir standen an der Reling und streckten den Hals wie Giraffen, um das Kinn aus der ständig wachsenden Blumenbürde herauszubekommen.

»Wünscht ihr euch zurück nach Tahiti«, rief der Häuptling Teriieroo, als die Sirene zum letztenmal zur Insel hinübertönte, »so müßt ihr einen Blumenkranz in die Lagune werfen, wenn das Schiff abfährt!«

Die Trossen wurden gelöst, die Maschine lärmte und die Schraube peitschte das Wasser grün, während wir langsam seitlich vom Kai glitten.

Bald verschwanden die roten Dächer hinter den Palmen, und die Palmen wurden von blauen Bergen verschluckt, die wie Schatten im

Stillen Ozean versanken. Die Wogen brausten auf dem blauen Meer. Jetzt reichten wir nicht mehr zu ihnen hinunter. Weiße Passatwolken zogen über den blauen Himmel. Wir fuhren nicht mehr dieselbe Straße. Jetzt durchschnitten wir brutal die Natur, wir waren unterwegs ins zwanzigste Jahrhundert, das so weit, weit fort lag.

Aber wir lebten, und drinnen in der Lagune von Tahiti lagen sechs weiße Blumenkränze und tanzten auf und nieder mit den kleinen Wellen, die an den Strand schlugen.


Die Fahrt der »Kon-Tiki«

Die Stellung des Segels zeigt die vorherrschende Richtung des Passats


Bevölkerungsgruppen auf den Südsee-Inseln

Das Dreieck umschließt die Inselwelt Polynesiens.


Die Windseite dieses Gebietes ist Amerika zugewendet. Auf der Leeseite ist Polynesien durch fremde Bevölkerungsgruppen von Asien abgeschnitten.


Загрузка...