Land in Sicht. An Puka-Puka vorbei. Ein Festtag vor dem Angatauriff. An der Schwelle zum Himmelreich. Die ersten Eingeborenen. Neue Besatzung auf der »»Kon-Tiki«. Knut auf Landurlaub. Gegen übermächtige Gew alten. Wieder auf See. In gefährlichem Fahrwasser. Von Takume nach Raroia. In den Hexenkessel! In der Gewalt der Brandung. Havarie. Als Schiffbrüchige auf einem Korallenriff.
In der Nacht zum 30. Juli herrschte eine neue und eigentümliche Atmosphäre um die »Kon-Tiki«. Vielleicht gab uns der ohrenbetäubende Spektaktel der Seevögel die Gewißheit, daß etwas Neues bevorstand. Die vielstimmigen Vogelschreie muteten uns leidenschaftlich und erdgebunden an. Drei lange Monate hatte uns nur der Lärm des Meeres und das fühllose Kreischen unbeseelter Taue umgeben. Auch der Mond wirkte besonders groß und rund, wenn er die Wache in der Mastspitze umtanzte. In unserer Einbildung reflektierte er Palmenkronen und warmblütige Romantik. Über den kalten Fischen draußen auf dem Meer hatte er nicht so strahlend gelb geleuchtet.
Schlag sechs kam Bengt von der Mastspitze, weckte Hermann und kroch in die Koje. Als Hermann auf den knirschenden und schwankenden Mast kletterte, begann der Tag gerade zu blauen. Zehn Minuten später kam er die Strickleiter herunter und zog mich am Bein.
»Komm, schau dir deine Insel an!«
Er strahlte über das ganze Gesicht. Ich fuhr in die Höhe, gefolgt von Bengt, der noch nicht richtig eingeschlafen war. Als dichter Klumpen hingen wir zuoberst im Mastkreuz. Es waren viele Vögel um uns, und ein schwacher, blauvioletter Schleier über den Himmel spiegelte sich im Wasser, eine letzte Erinnerung an die weichenden Schatten der Nacht. Über den Horizont im Osten zog sich ein rötlicher Schein. Gegen diesen langsam wachsenden Hintergrund hob sich im Südosten ein schwacher Schatten ab - wie ein blauer Bleistiftstrich, den Himmelssaum entlang.
Land! Eine Insel! Wir schluckten sie begierig mit den Augen und schüttelten die anderen munter. Die taumelten schläfrig an Deck und stierten herum, als erwarteten sie, der Bug müsse jeden Augenblick auf Strand stoßen Schreiende Seevogel spannten eine Brücke über den Himmel auf die ferne Insel zu, die immer scharfer gegen den Horizont hervortrat. Der rote Hintergrund breitete sich aus und überzog sich mit goldenem Licht. Die Sonne kam mit dem Tag herauf.
Unser erster Gedanke war, daß die Insel nicht dort lag, wo sie liegen sollte. Weil sich die Insel nicht bewegt haben konnte, so war es wohl das Floß, das die Strömung im Laufe der Nacht nach Norden abgetrieben hatte. Warfen wir einen Blick hinaus aufs Meer, so sahen wir rasch am Lauf der Wellen, daß wir im Dunkeln bereits alle Chancen verspielt hatten. So, wie wir jetzt lagen gestattete der Wind nicht mehr, dem Floß einen Kurs gegen die Insel aufzuzwingen. Das Meer um den Tuamotuarchipel ist reich an starken lokalen Strömungen. Sie sind ganz unberechenbar wenn sie gegen Land stoßen. Viele davon variieren auch in ihrer Richtung, je nachdem sie auf kräftige Gezeitenströmungen treffen, die über Riffe und Lagunen aus und ein fließen.
Wir legten das Ruder um, wußten aber wohl, daß es nutzlos war. Um halb sieben Uhr ging die Sonne über dem Meer auf und stieg rasch in die Höhe, wie immer in den Tropen. Das Inselchen lag wenige Seemeilen vor uns. Wir sahen einen niedrigen Waldstreifen, der immer weiter über den Horizont herauftauchte. Die Bäume drängten sich dicht hinter einem dünnen, hellen Strand, der so niedrig lag, daß er ständig hinter den Wogen verschwand. Nach Erichs Positionen war das Puka-Puka, der erste Vorposten der Tuamotugruppe. Die »Sailing Directions Pacific Islands 1940«, unsere zwei verschiedenen Seekarten und Erichs Beobachtungen ergaben zusammen vier ganz verschiedene Positionen für diese Insel, aber nachdem es keine anderen in der ganzen Nachbarschaft gab, konnte kein Zweifel aufkommen. Die Insel, die wir sahen, war Puka-Puka.
Es war kein überschwenglicher Ausbruch an Bord zu hören Nachdem wir das Segel gedreht und das Ruder herumgelegt hatten, hingen wir alle stumm in der Mastspitze oder standen auf Deck und starrten auf das Land, das plötzlich am Horizont aufgetaucht war, draußen in dem bisher unendlichen und alleinherrschenden Meer. Endlich hatten wir einen sichtbaren Beweis, daß wir uns in diesen Monaten bewegt hatten. Wir hatten uns doch nicht nur im Zentrum desselben ewigrunden Gesichtskreises geschaukelt. Wir waren erfüllt von einer warmen und ruhigen Zufriedenheit, Polynesien richtig erreicht zu haben. Damit verband sich eine kleine, augenblickliche Enttäuschung, daß wir uns hilflos dreinfinden mußten, die Insel liegen zu sehen wie eine Fata Morgana und selbst unsere ewige Trift übers Meer nach Westen fortzusetzen.
Gleich nach Sonnenaufgang stieg eine dicke, schwarze Rauchsaule über die Baumkronen auf der linken Hälfte der Insel empor. Wir folgten ihr mit den Augen und dachten uns, jetzt stehen die Eingeborenen auf und kochen ihr Frühstück! Wir ahnten nicht einmal, daß uns die Ausguckposten gesehen hatten und Rauchsignale in die Luft sendeten, um uns zur Landung einzuladen. Um etwa sieben Uhr verspürten wir den schwachen Rauch von verbranntem Boraoholz, der uns in den versalzenen Nasenhöhlen kitzelte. Das brachte mir rasch halb vergessene Erinnerungen an die Feuer am Strand von Fatuhiva zurück. Eine halbe Stunde später roch es nach Wald und frischgeschlagenem Holz. Die Insel begann jetzt wieder einzuschrumpfen und lag hinter uns, so daß wir jetzt den Wind von ihr bekamen. Fünfzehn Minuten lang hingen Hermann und ich in der Mastspitze und ließen den warmen Duft von Blättern und Grün durch die Nasenlocher einströmen. Das war Polynesien! Ein herrlicher, üppiger Geruch von trockenem Land nach dreiundneunzig salzigen Tagen zwischen den Wogen.
An den Beinen aufgehängt, soll Haug-land das Tauwerk unter dem Floß kontrollieren und nachsehen, ob die Zurrungen halten. Lotsenfische und Dolfine schwimmen ihm um die Nase.
Hesselberg macht eine Taucherglocke aus einem alten Korb. Wenn uns bei unseren Tauch-fahrten unter das Floß unwillkommener Besuch überrascht, so können wir uns in den Korb hocken und rasch an Bord ziehen lassen.
Raaby in der Radioecke, die durch eine von Danielsson dekorierte Pappwand abgetrennt ist. Von hier werden tägliche Berichte an das Meteorologische Institut in Washington gesendet.
Wir stehen auch mit vielen Radioamateuren in Verbindung.
Unten:
Kartenstudium. Hesselberg nimmt die Sonnenhöhe auf und gibt uns die tägliche Position. So können wir die Fahrt genau auf der Karte einzeichnen.
Bengt lag schon wieder schnarchend in seinem Schlafsack. Erich und Torstein hatten sich auch wieder niedergelegt und meditierten, und Knut lief aus und ein. Abwechselnd steckte er die Nase in den Blätterduft und schrieb dramatische Eintragungen in sein Tagebuch.
Gegen halb neun versank Puka-Puka wieder hinter uns im Meer. Aber noch über zwei Stunden konnten wir von der Mastspitze einen schwachen blauen Strich über dem östlichen Horizont sehen. Dann verschwand auch der, und nur eine hohe Kumulonimbuswolke, die ruhig in den Himmel stieg, verriet, wo Puka-Puka lag. Die Vögel verschwanden. Sie hielten sich wohl mehr an die Windseite der Inseln, wo sie den Wind mit sich hatten, wenn sie am Abend vollgefressen nach Hause wollten. Die Dolfine waren auch auffallend selten geworden, sogar mit den Lotsenfischen unter dem Floß war nicht mehr viel los.
In dieser Nacht sagte Bengt, daß er sich nach Tisch und Stuhl sehne, es sei so aufreibend, sich immer beim Lesen vom Rücken auf den Magen zu drehen. Ansonsten war er zufrieden, daß wir das Land verpaßt hatten, er hatte noch drei Bücher übrig. Torstein bekam plötzlich Lust auf einen Apfel, und ich selbst wachte in der Nacht auf, weil ich deutlich das Aroma eines prächtigen Beefsteaks mit Zwiebeln verspürte. Aber es war leider nur ein dreckiges Hemd.
Schon am nächsten Vormittag entdeckten wir zwei neue Wolken, die wie Dampf aus zwei Lokomotiven hinter dem Horizont aufstiegen. Nach der Karte mußten das die Koralleninseln Fangahina und Angatau sein. Die Wolke über Angatau lag uns am günstigsten, so wie der Wind jetzt stand. Daher setzten wir Kurs auf sie, zurrten das Ruder fest und genossen noch einmal die Ruhe und Freiheit des Stillen Ozeans. Herrlich war das Dasein an einem schönen Tag auf dem Bambusdeck der »Kon-Tiki«. Im Bewußtsein, daß jetzt die Reise jedenfalls bald zu Ende war, erlebten wir das voller und tiefer als sonst.
Drei Tage lang steuerten wir auf die Wolke über Angatau. Das Wetter war strahlend, das Ruder hielt den Kurs auch ohne uns, und die Strömung spielte uns keine Possen. Als am vierten Morgen um sechs Uhr Hermann die Wache an Torstein übergab, glaubte Hermann, er hätte Konturen einer niedrigen Insel im Mondschein gesehen. Als die Sonne kurz darauf emporkam, steckte Torstein den Schädel in die Hüttentür und schrie:
»Land in Sicht! «
Wir stürzten alle Mann an Deck, und was wir sahen, ließ uns alle Flaggen hissen. Zuerst die norwegische achtern, dann die französische im Topp , weil wir gegen eine französische Kolonie steuerten. Bald wehte die ganze Sammlung auf dem Floß im frischen Passat, die amerikanische, peruanische, schwedische und britische, außerdem die Flagge des »Explorers Club«. So konnte kein Zweifel an Bord aufkommen, daß die »Kon-Tiki« zum Fest geschmückt war. Die Insel lag nämlich diesmal ideal für uns, direkt in unserem eigenen Kurs und kaum weiter von uns entfernt als Puka-Puka vor vier Tagen bei Sonnenaufgang. Als die Sonne in unserem Rücken emporstieg, bekamen wir deutlich einen grünen Lichtschein gegen den diesigen Himmel über der Insel zu sehen. Es war dies der Widerschein von der stillen grünen Lagune auf der Innenseite des Riffs. Manche der niedrigen Atolle werfen solche Spiegelbilder viele tausend Meter in die Luft, so daß sie ihre Position den eingeborenen Seefahrern verraten, viele Tage, ehe noch die Insel selbst über dem Horizont erscheint.
Gegen zehn Uhr nahmen wir das Steuerruder wieder zur Hand. Nun mußten wir bestimmen, auf welchen Teil der Insel wir zusteuern wollten. Wir konnten bereits einzelne Baumkronen unterscheiden und sichteten undeutlich Reihen von sonnenhellen Baumstämmen gegen das dichte, schattige Laubwerk des Hintergrunds.
Wir wußten, irgendwo zwischen uns und der Insel lag ein lebensgefährliches Riff und lauerte auf alles, was gegen die unschuldsreine Insel getrieben kam. Die enormen Wassermassen, die in freien, tiefen Dünungen aus dem Osten gerollt kamen, verloren über der Untiefe das Gleichgewicht, als hätte man ihnen ein Bein gestellt. Sie schäumten in die Luft und wälzten sich mit Donnerbrausen über die scharfen Korallenblöcke. Viele Fahrzeuge sind in den furchtbaren Sog gegen die Unterwasserriffe der Tuamotu-Gruppe geraten und wurden vollständig zerschmettert.
Vom Meer aus sahen wir nichts von dieser tückischen Fallgrube, wir trieben hinein mit den Wogen und sahen bloß See um See mit krummem, blankem Rücken auf die Insel zulaufen. Das Ringriff mit seinem schäumenden Hexentanz blieb uns hinter steigenden Reihen von breiten Wogenrücken verborgen. Aber von beiden Enden der Insel, dort, wo wir den Strand im Profil sahen, im Norden wie im Süden, bemerkten wir, daß das Meer ein paar hundert Meter vor dem Land weißschäumend kochte und hoch in die Luft sprühte.
Wir nahmen einen Kurs, der die Außenseite des Hexenkessels im Süden der Insel berührte, und hofften, wir könnten so am Riff entlangsteuern, bis wir entweder um die Landspitze auf die Leeseite kamen, oder bis wir auf jeden Fall einen Punkt berührten, wo es so flach war, daß wir unsere Bewegung mit einem improvisierten Anker stoppen konnten und abwarten, bis sich der Wind einmal drehte und wir selbst in Lee liegenblieben.
Um zwölf Uhr konnten wir im Fernstecher sehen, daß die Vegetation an Land aus jungen, grünen Kokospalmen bestand. Ihre Kronen schlossen sich dicht über einer wogenden Vordergrundshecke von üppigem, kleinem Buschwerk zusammen. Drinnen am Strand lag eine Reihe großer Korallenblöcke verstreut über den hellen Sand. Weiße Vögel, die über die Palmengruppen segelten, waren die einzigen Lebewesen an Land.
Um zwei Uhr waren wir so nahe gekommen, daß wir die Insel entlangzusegeln begannen, dicht vor dem lauernden Ringriff. Je näher wir kamen, desto stärker hörten wir das Dröhnen der Brandung wie in einem gleichmäßigen Wasserfall gegen das Riff vor uns, und bald hörte es sich an wie ein endloser Expreßzug, der wenige hundert Meter von Steuerbord entlangjagte. Gelegentlich sahen wir auch jetzt dicht vor uns, wo der Brandungsexpreß vorbeisauste, den sprühenden Schaum hoch in der Luft.
Zwei Mann drehten das Ruder. Sie standen hinter der Bambushütte und hatten deshalb nicht den geringsten Ausblick nach vorne. Erich hatte die Navigation übernommen. Die Küchenkiste war seine Kommandobrücke, von wo er die zwei am schweren Steuerruder dirigierte. Wir planten nämlich, uns so dicht am gefährlichen Riff zu halten, als überhaupt zu verantworten war. Von der Mastspitze hielten wir ständig Ausguck. Wir hofften auf eine Spalte oder Öffnung im Riff, durch die man das Floß hineinschmuggeln konnte. Die Strömung trieb uns, ohne uns einen Streich zu spielen, das ganze Riff entlang. Auch der Wind strich in der gleichen Richtung. Die wackeligen Schwerter gestatteten uns so viel Bewegungsfreiheit, daß wir immerhin bis zu 20 Grad nach beiden Seiten vom Wind abweichen konnten.
Während Erich im Zickzack so nahe an das Riff kreuzte, als angesichts des Sogs noch ratsam war, trieben Hermann und ich an einem Schlepptau im Gummiboot hinterher. Wenn das Floß die innere Bahn nahm, schwangen wir am Tau nach und kamen dem donnernden Riff so nahe, daß wir deutlich die glasgrüne Wasserwand sahen, die sich von uns wegwälzte. Wenn die Seen zurückfluteten, entblößte sich das kahle Riff und glich einer wüsten Barrikade von rostigem Eisenerz. Soweit wir die Küste hinuntersehen konnten, gab es weder Spalt noch Passage. Da drehte Erich das Segel herüber, und die Ruderleute folgten mit dem Steuer nach, so daß die »Kon-Tiki« die Nase wendete und im letzten Augenblick aus der Gefahrenzone herausschlingerte. Jedesmal, wenn die »Kon-Tiki« gegen das Riff hereinsteuerte und wieder hinausschwenkte, schlug uns beiden, die im Schlauchboot nachschlitterten, das Herz bis in den Hals. Und jedesmal kamen wir so weit herein, daß wir den höheren und hitzigeren Takt der See spürten. Jedesmal waren wir überzeugt, jetzt wäre Erich zu weit gegangen, diesmal sei keine Hoffnung mehr, die »Kon-Tiki« aus den Brandungen, die sie gegen das teuflische rote Riff hineinziehen wollten, frei zu bekommen. Aber jedesmal meisterte Erich die Brassen mit einem eleganten Manöver, und die »Kon-Tiki« scherte wohlgeborgen aus den Klauen des Sogs hinaus aufs freie Meer. Dabei glitten wir die Insel entlang, so nahe, daß wir alle Details an Land sahen, und trotzdem war die paradiesische Schönheit da drinnen für uns unzugänglich wegen des geifernden Massengrabs, das dazwischen lag.
Um drei Uhr öffnete sich der Palmenwald, und über eine breite Lichtung sahen wir direkt hinein auf eine blaue und spiegelblanke Lagune. Aber das Ringriff war hier genauso kompakt und fletschte drohend seine blutroten Zähne. Es gab keinen Durchlaß, und der Palmenwald schloß sich wieder, während wir uns, den Wind im Rücken, an der Insel entlangtreiben ließen. Später trat der Palmenwald langsam auseinander und gab uns einen Blick in das Innere der Koralleninsel frei. Da lag die schönste, spiegelblanke Salzwasserlagune wie ein großer und stiller Teich, umkränzt von fächelnden Kokospalmen und hellen Strandflächen. Die bestrickende grüne Palmeninsel selbst formte einen breiten weichen Sandring um die gastfreundliche Lagune. Aber davor lag das rostrote Schwert, das die Pforten zum Himmelreich beschützte.
Den ganzen Tag vor Angatau hatten wir die Herrlichkeit auf kürzeste Entfernung direkt vor der Tür. Die Sonne brütete über dem Palmenwald, Friede und Glück des Paradieses lagen über dem ganzen Bild. Allmählich kam Routine in unsere Manöver. Erich zog die Gitarre hervor und erschien an Deck mit einem gewaltigen peruanischen Sonnenhut. So sang und spielte er sentimentale Südseemelodien, während Bengt eine wohlschmeckende Mahlzeit an der Floßkante servierte. Wir öffneten eine alte Kokosnuß aus Peru und tranken den jungen, frischen zu, die da drinnen auf den Bäumen hingen. Die ganze Stimmung, die Ruhe über dem ewiggrünen Palmenwald, der wurzelfest stand und herüberleuchtete, die Ruhe über den weißen Vögeln, die über die Palmenkronen segelten, die Ruhe über der sanften blanken Lagune und dem weichen Sandstrand, dagegen die Wildheit in dem roten Riff mit Kanonade und Trommelwirbel in den Lüften - all das machte einen überwältigenden Eindruck auf uns sechs, die wir vom Meer da draußen kamen, einen Eindruck, den wir niemals mehr aus der Erinnerung wischen können. Es war kein Zweifel, daß wir jetzt auf der anderen Seite waren. Niemals würden wir eine »echtere« Südseeinsel zu Gesicht bekommen. Landung oder nicht, auf jeden Fall waren wir in Polynesien, die offene See lag für alle Zeit hinter uns.
Der Zufall wollte, daß dieser Festtag von Angatau der siebenundneunzigste Tag an Bord war. Siebenundneunzig Tage hatten wir in New York als absolutes Minimum bei theoretisch idealen Verhältnissen veranschlagt, um die nächsten Inseln in Polynesien zu erreichen.
Um fünf Uhr passierten wir zwei palmengedeckte Hütten zwischen den Bäumen an Land. Aber es war kein Rauch und kein Lebenszeichen zu sehen.
Um halb sechs steuerten wir von neuem auf das Riff zu. Wir näherten uns dem Westende der Insel und mußten uns einen letzten Überblick verschaffen. Vielleicht war doch eine Passage zu finden. Die Sonne stand nun so tief, daß sie uns blendete.
Wo sich das Meer an dem Riff brach, einige hundert Meter außerhalb der letzten Landzunge der Insel, hob sich ein kleiner Regenbogen in die Luft. Sie lag wie eine Silhouette vor uns. Auf einmal entdeckten wir am Strand drinnen einige regungslose Schatten. Plötzlich schob sich der eine langsam herunter gegen das Wasser, während einige andere in vollem Lauf gegen die Waldkante verschwanden. Es waren Menschen! Wir steuerten so nahe ans Riff, wie wir nur wagen konnten. Der Wind war flau geworden. Wir hatten den Eindruck, als wären wir eben dabei, in den Windschutz der Insel zu gelangen. Jetzt wurde ein Kanu ins Wasser gesetzt, und zwei Gestalten hüpften an Bord und paddelten hinter dem Riff entlang. Weiter draußen wendeten sie die Nase herüber, und wir sahen, wie die Wellen das Kanu in die Luft wirbelten, dann schnitt es durch die Passage des Riffs und hielt scharf auf uns zu.
Dort unten also lag die Öffnung im Riff. Dort war unsere einzige Hoffnung. Nun sahen wir auch das ganze Dorf, das da drinnen zwischen den Palmenhainen lag. Aber schon begannen die Schatten lang zu werden.
Da winkten die zwei im Kanu. Wir winkten eifrig zurück, und sie beschleunigten ihre Fahrt. Es war ein polynesisches Auslegerkanu, und zwei Braune saßen an den Paddeln, das Gesicht uns zugewendet. Hier würde es neue Sprachschwierigkeiten geben. Ich war der einzige an Bord, der sich noch von Fatuhiva her einiger Worte Marquesanisch erinnerte, aber mit Polynesisch bleibt man in den nordischen Ländern kaum auf dem laufenden. Man hat zu selten Gelegenheit zur Aussprache.
Deshalb fühlten wir uns erleichtert, als das Kanu gegen die Seite des Floßes stieß und die zwei an Bord sprangen. Denn der eine grinste über das ganze Gesicht, streckte seine braune Hand vor und rief auf englisch:
»Good night!«
»Good night«, antwortete ich verblüfft, »do you speak English?«
Der Mann grinste zurück und nickte.
»Good night«, sagte er, »good night.«
Das war sein ganzer Wortschatz in fremden Sprachen. Damit überrundete er allerdings seinen bescheidenen Freund weit, der nur im Hintergrund stand und seinen gebildeten Kameraden bewundernd angrinste.
»Angatau?« fragte ich und zeigte auf die Insel.
»H'angatau«, nickte der Mann zustimmend.
Erich nickte stolz. Er hatte recht gehabt, denn wir waren wirklich dort, wo ihm die Sonne gesagt hatte, daß wir sein müßten.
»Maimai hee juta«, versuchte ich mich.
Nach meinen Kenntnissen aus Fatuhiva mußte das etwa heißen:
»Möchten gehen an Land.«
Da zeigten die zwei auf die unsichtbare Passage im Riff. Wir legten das Ruder über und wollten versuchen, darauf zuzuhalten.
Im selben Augenblick kamen einige frischere Windstöße von der Insel herüber. Es lag eine kleine, regenschwere Wolke über der Lagune. Der Wind versuchte, uns von dem Riff wegzuschieben, und wir merkten, daß die »Kon-Tiki« dem Steuerruder nicht in einem Winkel gehorchte, groß genug, die Öffnung im Riff zu erreichen. Wir versuchten, Anker zu werfen. Aber das Tau langte nicht bis hinunter. Nun mußten wir zu den Paddelrudern greifen, und das geschwind, bevor uns der Wind zu fassen bekam. Wir ließen das Segel herunterrauschen und langten jeder nach seinem großen Paddelruder. Ich wollte auch jedem der beiden Eingeborenen ein Paddel anhängen. Die zogen gerade genießerisch an den Zigaretten, die sie an Bord bekommen hatten.
Die Eingeborenen schüttelten bloß energisch den Kopf, zeigten auf den Kurs und sahen verwundert drein. Ich machte Zeichen, daß wir alle paddeln müßten und wiederholte die Worte »möchten - gehen - an - Land«. Da beugte der Aufgewecktere sich herunter und kurbelte mit der rechten Hand in der Luft herum, indem er sagte:
»Brrrrr.......! «
Es war klar wie dicke Tinte, er meinte, wir sollten den Motor in Gang setzen. Die beiden glaubten, sie stünden an Deck eines merkwürdig tief beladenen Schiffes. Wir nahmen sie mit an den Steven und ließen sie unter die Stämme greifen. Sie sollten merken, daß wir nicht nur keine Schraube, sondern überhaupt keinen Schiffsrumpf hatten.
Da fielen sie aus allen Wolken. Sie löschten ihre Zigaretten und leisteten uns Gesellschaft. Da saßen wir nun, vier Mann auf jedem Seitenstamm, und tauchten die Paddelruder ins Wasser. Gleichzeitig versank die Sonne hinter der Landzunge, und die Windstöße von der Insel wurden frischer. Es sah nicht aus, als kämen wir vom Fleck. Die Eingeborenen sprangen zurück ins Kanu und verschwanden. Es dämmerte, und wir saßen wieder allein und paddelten wie verrückt, um nicht von neuem auf See zu treiben.
Gerade als das Dunkel sich über die Insel legte, kamen vier Kanus hinter dem Riff hervorgetanzt, und bald wimmelte es von Polynesiern an Bord; alle wollten uns die Hand schütteln und Zigaretten haben. Mit diesen ortskundigen Kerlen an Bord war keine Gefahr mehr, die ließen uns nicht wieder ins Meer und aus den Augen. Heute abend würden wir also an Land sein.
Rasch zogen wir Taue von den Hecks aller Kanus zum Bug der »Kon-Tiki«, und die vier stattlichen Auslegerkanus spannten sich fächerförmig wie Zughunde vor das Floß. Knut sprang ins Schlauchboot und suchte sich einen Platz mitten zwischen den Kanus. Wir anderen verteilten uns mit Paddelrudern auf die Seitenstämme der »Kon-Tiki«. Und damit begann das Tauziehen gegen den Ostwind.
Es war nun pechschwarz, bis der Mond heraufkam und frischen Wind mitbrachte. Drinnen auf Land hatte die Bevölkerung des Dorfes allerhand Brennbares zuammengetragen und einen großen Scheiterhaufen angezündet, um uns die Richtung zum Durchgang im Riff anzuzeigen. Das Donnerdröhnen umgab uns im Dunkel wie ein ewig lärmender Wasserfall und wurde stärker und stärker.
Wir sahen nicht die Mannschaft, die uns draußen in den Kanus zog, aber wir hörten, daß sie aus vollem Hals aufmunternde Krieglieder auf polynesisch sang. Knut war auch dabei. Das hörten wir. Jedesmal, wenn den Polynesiern die Luft ausging, hörten wir Knuts einzelne Stimme, der sein ». . . wandern wir mit frischem, frohem Mut« zwischen die Chöre der Eingeborenen hinausschmetterte. Um das Chaos komplett zu bekommen, stimmten wir am Floß mit ein, und zwar mit dem Lied: »Tom Brown's baby had a pimple on his nose.« Mit Lachen und Gesang legten sich Weiße und Braune in die Paddelruder.
Die Stimmung war auf dem Höhepunkt. Siebenundneunzig Tage und endlich in Polynesien! Am Abend würde es ein Fest im Dorfe geben. Die Eingeborenen jubelten, riefen und schrien. Auf Angatau lief nur einmal im Jahr ein Schiff an, wenn nämlich der Kopraschoner von Tahiti kam, um Kokoskerne zu holen. So würde es heute abend hoch hergehen um den Holzstoß da drinnen auf Land.
Aber das Biest, der Wind, war zäh. Wir hieben ein, daß wir es in allen Knochen spürten. Wir hielten die Stellung, aber das Feuer näherte sich nicht, und der Donner vom Riff blieb jetzt in seiner Stärke gleich. Kurz darauf hörte der Gesang auf. Es wurde still. Alle hatten vom Rudern mehr als genug. Das Feuer bewegte sich nicht, es tanzte nur mit den Wellen auf und nieder. Es vergingen drei Stunden, und es war neun Uhr geworden. Dann begann es langsam, verkehrt zu gehen. Wir waren fertig.
Wir machten den Eingeborenen begreiflich, daß wir mehr Hilfe von Land brauchten. Sie erklärten uns, daß zwar noch Männer genug an Land wären, aber es gab nicht mehr als diese vier seegängigen Kanus auf der ganzen Insel.
Knut tauchte mit dem Schlauchboot aus dem Dunkel auf. Er hatte eine Idee. Er wollte mit den Schlauchboot hineinrudern und weitere Eingeborene holen. Zusammengedrängt konnte man fünf bis sechs Mann darauf unterbringen.
Das war aber allzu riskant. Knut hatte keine Ortskenntnis. Es würde ihm nie gelingen, sich bei dieser ägyptischen Finsternis zur Öffnung im Korallenriff durchzutasten. Er schlug vor, den Anführer der Eingeborenen mitzunehmen, der konnte ihm den Weg zeigen. Ich fand auch nicht, daß diese Idee überzeugend war. Der Eingeborene hatte keine Erfahrung in der Behandlung eines schwerfälligen Gummibootes bei einer engen und gefährlichen Durchfahrt. Aber ich bat ihn, den Anführer zu holen, der vorn im Dunkel mitpaddelte. Da würden wir zu hören bekommen, was er von der Situation hielt. Es war deutlich genug, daß es nicht länger möglich war, die Abtrift hintanzuhalten.
Knut verschwand im Dunkel, um den Mann zu holen. Als eine Zeit verging, ohne daß die beiden zurückkamen, riefen wir ihm nach. Ein gackernder Chor von Polynesiern war die einzige Antwort. Knut war in der Dunkelheit verschwunden. Im gleichen Augenblick begriffen wir, was geschehen war. In all dem Aufruhr, Lärm und Wirbel hatte Knut den Bescheid mißverstanden und war mit dem Eingeborenen zum Land gerudert. Wie wir auch riefen, es war nutzlos. Dort, wo Knut jetzt war, wurde alles vom Donnern der Brandung übertönt.
Eilig suchten wir die Morselampe heraus. Ein Mann kroch in die Mastspitze und signalisierte: »Komm zurück! Komm zurück!«
Aber niemand kam. Da jetzt zwei Mann fehlten, weil einer ständig in der Mastspitze saß und signalisierte, vermehrte sich die Abtrift, und wir anderen begannen wirklich müde zu werden. Wir warfen Seemarken aus und sahen, daß es langsam, aber sicher, nach rückwärts ging. Das Feuer wurde kleiner und das Brüllen der Brandung bescheidener. Je weiter wir aus dem Schütze der Palmenwälder herauskamen, desto besser konnte uns der ewige Ostwind packen. Wir erkannten ihn wieder, nun war es bald wie draußen auf dem Meer. Aber wir durften nicht aufhören zu paddeln. Wir mußten die Abtrift mit all unserer Kraft bremsen, bis Knut wieder heil an Bord war.
Fünf Minuten vergingen, zehn Minuten, eine halbe Stunde, das Feuer wurde kleiner, ab und zu verschwand es vollständig, wenn wir selbst in ein Wogental glitten. Die Brandung wurde ein fernes Grollen.
Nun kam der Mond herauf. Wir sahen, wie die Mondscheibe hinter den Palmenkronen an Land erglänzte, aber der Himmel war diesig und halb bewölkt.
Wir hörten, wie die Eingeborenen zu murmeln und zu beraten begannen. Plötzlich merkten wir, daß eines von den Kanus sein Tau in See warf und verschwand. Die Mannschaften der drei anderen Kanus waren müde und ängstlich und legten sich nicht mehr mit voller Kraft in die Riemen. Die »Kon-Tiki« trieb hinaus auf das offene Meer. Bald wurden auch die drei anderen Taue schlaff, und die Kanus stießen gegen die Kante des Floßes. Einer der Eingeborenen kam an Bord und sagte ruhig mit einer Kopfbewegung: »Juta« - gegen Land.
Er sah bekümmert gegen das Feuer, das jetzt jedesmal lang verschwunden war, und nur ab und zu wie ein Funken hervortanzte. Wir trieben davon. Die Brandung war verstummt, nur die See brauste wie früher, und es knirschte und schrie in allen Tauen.
Wir gaben den Eingeborenen reichlich Zigaretten mit. In aller Eile kritzelte ich einen Zettel voll. Sie sollten ihn mitnehmen und Knut geben, wenn sie ihn fanden. Darauf stand geschrieben:
»Nimm zwei Eingeborene mit im Kanu und das Gummiboot im Schlepp. Komm nicht allein im Gummiboot zurück!«
Wir rechneten damit, daß die hilfsbereiten Insulaner Knut im Kanu mitnehmen würden, wenn sie es ratsam fanden, hinauszufahren. Fanden sie es nicht ratsam, so war es Wahnwitz, wenn Knut sich allein im Gummiboot aufs offene Meer wagte, in der schwachen Hoffnung, das ausreißerische Floß wieder einzuholen. Die Eingeborenen ergriffen den Zettel, sprangen in die Kanus und verschwanden in der Nacht. Das letzte, was wir hörten, war eine durchdringende Stimme, die draußen im Dunkel rief:
»Good night!«
Wir hörten noch ein anerkennendes Gemurmel von den weniger Sprachkundigen, dann war wieder alles still und frei von fremden Lauten wie in der Zeit, als wir tausend Seemeilen vom nächsten Land waren. Es war sinnlos für uns vier, unter vollem Winddruck hier draußen auf dem offenen Meer noch mit den Paddelrudern zu arbeiten, aber wir setzten die Lichtsignale von der Mastspitze fort. Wir wagten nicht länger »Komm zurück!« zu morsen, wir gaben nur mehr gleichmäßige Blinksignale. Es war stockfinster. Der Mond kam nur in vereinzelten Augenblicken durch die Wolkenschichten hervor. Wir mußten Angataus Kumulonimbuswolke über uns haben.
Schlag zehn gaben wir die letzte kleine Hoffnung auf, Knut wiederzusehen. Wir setzten uns stumm auf die Floßkante und knabberten ein paar Kekse. Immer noch gaben wir abwechselnd Blinksignale von der kahlen Mastspitze, die sich ohne das breite Kon-Tiki-Segel so leer über uns spreizte.
Wir beschlossen, die Blinksignale die ganze Nacht lang fortzusetzen, solange wir nicht wußten, wo Knut sich befand. Wir weigerten uns, zu glauben, daß die Brandungswellen ihn ereilt hätten. Knut kam immer wieder auf die Füße - gefährliches Wasser oder Brandung -, am Leben war er auf alle Fälle. Es war nur so ein verfluchtes Gefühl, ihn zwischen den Braunen auf einer einsamen Insel hier draußen im Stillen Ozean sitzenzulassen. Etwas so Saudummes, die ganze lange Reise waren wir mit einem blauen Auge davongekommen, und jetzt ließen wir einen Mann auf einer vergessenen Südseeinsel zurück, um wieder weiterzufahren. Und kaum waren die ersten Polynesier freundlich lächelnd an Bord gekommen, mußten sie schon Hals über Kopf stiften gehen, um nicht selbst mitgeschleppt zu werden auf »Kon-Tikis« böser und gnadenloser Jagd nach Westen. Es war eine verfluchte Situation. Es sehne häßlich aus dem Tauwerk in dieser Nacht, keiner von uns machte Anstalten, schlafen zu wollen.
Es war halb elf geworden. Bengt kletterte gerade die Wanten herunter, um Ablösung auf der wiegenden Mastspitze zu bekommen. Da fuhren wir alle Mann hoch. Wir hatten deutlich draußen auf dem Meer im Dunkeln Stimmen gehört. Und da war es wieder: es waren Polynesier, die da redeten. Wir schrien aus Leibeskräften hinaus in die schwarze Nacht. Da schrie es zurück - und Knuts Stimme war darunter. Ich weiß nicht, was wir nicht alles vor Begeisterung getan hätten, die Müdigkeit war fort, die ganze Unglückswolke über unserem Haupt war verschwunden. Was tat es uns, wenn wir von Angatau davon trieben, es gab Inseln genug im Meer. Jetzt konnten die neun reiselustigen Balsastämme treiben, wohin sie wollten, wenn sie uns nur alle sechs an Bord beisammen hatten.
Drei Auslegerkanus kamen aus dem Dunkel über die Wogen geritten. Knut war der erste, der auf die liebe alte »Kon-Tiki« herübersprang, gefolgt von sechs Braunen. Es war wenig Zeit zu Erklärungen. Die Eingeborenen mußten ihre Geschenke bekommen und wieder losziehen auf ihre waghalsige Fahrt zurück zur Insel. Ohne Licht oder Land zu sehen, ja kaum noch die Sterne, mußten sie vorsichtig gegen Wogen und Wind paddeln, bis sie das Licht des brennenden Holzstoßes sahen. Wir belohnten sie reichlich mit Proviant, Zigaretten und anderen Geschenken, und jeder von ihnen schüttelte uns bewegt die Hand zu einem letzten Lebewohl.
Sie waren sichtlich bekümmert über unsere Wege und zeigten gegen Westen, daß wir auf dem Weg in gefährliche Riffe wären. Ihr Anführer hatte Tränen in den Augen und küßte mich gerührt aufs Kinn, daß ich der Vorsehung für meinen Vollbart dankte. Dann krochen sie auf ihre Kanus, und wir sechs Kameraden saßen wieder vollzählig und allein auf dem Floß.
Wir überließen es seinen Launen und hörten uns Knuts Geschichte an.
Knut hatte sich im Schlauchboot im guten Glauben landwärts begeben, mit dem Anführer der Eingeborenen an Bord. Der saß selbst an den kleinen Paddeln und ruderte auf die Öffnung im Riff zu, als Knut zu seiner Verwunderung die Lichtsignale der »Kon-Tiki« sah, die ihn baten, zurückzukommen. Er machte dem braunen Ruderer Zeichen, er solle wenden, aber der Polynesier weigerte sich, zu gehorchen. Knut griff jetzt selbst in die Ruder, aber der Insulaner riß ihm die Hände weg, während das Riff um sie herum im Dunkeln toste. Es war sinnlos, einen Kampf aufzunehmen. Sie waren davongetanzt, genau durch die Öffnung im Riff, und setzten auf der Innenseite ihren Weg fort, bis sie direkt hinauf auf einen soliden Korallenblock innen auf der Insel geschleudert wurden. Ein Schwärm von Eingeborenen packte das Schlauchboot und zog es weit an Land. Und hier stand Knut allein unter Palmen, umgeben von einem gewaltigen Haufen von Eingeborenen, die in einer Sprache darauflosplapperten, die er nicht verstand. Braune und barfüßige Männer, Frauen und Kinder in allen Altersstufen umschwärmten ihn und befühlten den Stoff seines Hemdes und seiner Hose. Sie selbst hatten alte und zerfetzte europäische Kleider, aber es war kein Weißer auf der Insel.
Knut bekam einige von den flottesten Kerlen zu fassen und machte ihnen Zeichen, sie sollten ihm im Schlauchboot hinausfolgen. Da kam ein großer, fetter Mann dahergewackelt, von dem Knut annahm, es mußte der Häuptling sein, denn er hatte eine alte Uniformmütze auf dem Schädel und sprach mit lauter, bestimmter Stimme. Alle machten ihm Platz. Knut erklärte sowohl auf norwegisch wie auf englisch, daß er Leute brauche und unverzüglich zum Floß zurückfahren müsse, bevor wir anderen unseres Weges trieben. Der Häuptling strahlte wie die Sonne und verstand absolut nichts, und trotz Knuts wildesten Protesten schleppte ihn der ganze schreiende Haufe mit hinauf ins Dorf. Hier wurde er von Hunden, Schweinen und Hühnern empfangen, schöne Südseemädchen brachten ihm frische Früchte. Es war klar, daß sich die Eingeborenen bemühten, Knuts Aufenthalt so angenehm wie nur möglich zu gestalten. Aber Knut ließ sich nicht verführen, er dachte mit Wehmut ans Floß, das gegen Westen entschwand. Die Absicht der Eingeborenen war offenkundig. Sie sehnten sich nach Abwechslung und Gesellschaft und wußten, daß es auf den Fahrzeugen der weißen Männer sehr angenehm war. Wenn es ihnen glückte, Knut an Land zu behalten, kamen wohl wir anderen und das merkwürdige Boot auch herein. Kein Fahrzeug verließ einen weißen Mann auf einer so abgelegenen Insel wie Angatau.
Nach bemerkenswerten Abenteuern kam Knut los und erzwang sich seinen Weg hinunter ins Schlauchboot, umringt von Bewunderern beiderlei Geschlechts. Seine internationalen Laute und Gebärde waren nicht länger mißzuverstehen. Er mußte und wollte zurück zu dem merkwürdigen Fahrzeug da draußen in der Nacht, das es so eilig hatte, daß es, ohne anzulegen, weiterwollte.
Da versuchten es die Eingeborenen mit einer List und deuteten ihm, daß wir eben hinter der Landspitze anliefen. Knut war einen Augenblick verwirrt, aber da hörte er die lauten Stimmen drunten am Strand, wo Frauen und Kinder das qualmende Feuer unterhielten. Es waren die drei Kanus, die soeben zurückgekommen waren. Die Burschen kamen herauf und brachten Knut unseren Zettel. Er war in einer verzweifelten Situation. Hier war die strikte Anweisung, nicht allein wieder aufs Meer hinauszurudern, und alle Eingeborenen schlugen rundweg ab, mit ihm zu kommen.
Unter den Einheimischen wurde in den höchsten Tönen gestritten und debattiert. Die, die draußen gewesen waren und das Floß gehalten hatten, verstanden nur zu gut, daß es zwecklos war, Knut zurückzuhalten in der Hoffnung, uns andere damit an Land zu bekommen. Schließlich bewogen Knuts Versprechungen und Drohungen in internationalem Tonfall drei Kanumannschaften, ihm hinaus aufs Meer auf Jagd nach der »Kon-Tiki« zu folgen. Und mit dem Schlauchboot im Schlepp ging es wieder in die Tropennacht hinaus. Bewegungslos stand alt und jung am sterbenden Feuer und sah dem neuen hellhäutigen Freund nach, der ebenso rasch verschwand, wie er gekommen war.
Weit draußen auf dem Meer bekam Knuts Gefolge die schwachen Lichtsignale des Floßes zu sehen, wenn die Wogen die Kanus in die Luft hoben. Die schmalen und schlanken Polynesierkanus, die sich auf einen zugespitzten Ausleger stützen, schnitten wie Messer durch die Wasserfläche, aber Knut schien es eine Ewigkeit zu dauern, bis er die runden, dicken Stämme der »Kon-Tiki« wieder unter seinen Füßen spürte.
»War es schön an Land?« fragte Torstein neidisch.
»Oi, oi«, meinte Knut, »die Hula-Mädchen müßtest du gesehen haben!«
Wir ließen das Segel eingeholt und das Ruder oben an Deck. So krochen wir alle sechs in die Bambushütte und schliefen wie die Rollsteine auf Angataus Strand.
Drei Tage lang trieben wir nun übers Meer, ohne Land zu sichten.
Wir trieben direkt gegen die schicksalsschwangeren Takume- oder Raroiariffe, die zusammen siebzig bis achtzig Kilometer des Meeres vor uns absperrten. Wir machten verzweifelte Versuche, an der Nordseite dieser gefährlichen Riffe vorbeizusteuern. Es sah aus, als ob es gut gehen würde, bis der Posten eines Nachts hereingefahren kam und alle Mann weckte.
Der Wind hatte sich gedreht. Er ging genau gegen das Takumeriff. Regen hatte eingesetzt, und alle Sicht war vollkommen weg. Das Riff konnte nach unseren Berechnungen nicht weit entfernt sein.
Mitten in der Nacht hielten wir eine Beratung. Jetzt ging es um unser Leben. An dem Nordende vorbeizukommen, war jetzt hoffnungslos. Wir mußten statt dessen versuchen, die Südseite zu erreichen. Wir drehten das Segel und legten das Ruder herum. So begaben wir uns auf eine gefährliche Segelfahrt, den labilen Nordwind im Rücken. Wenn der Ostwind wiederkam, bevor wir die ganze Lange dieser achtzig Kilometer langen Riffe passiert hatten, wurden wir hilflos in die Gewalt der Brandung hineingeschleudert.
Wir einigten uns über alle Vorkehrungen, falls es zum Schiffbruch kam. Wir mußten uns um jeden Preis an Bord der »Kon-Tiki« halten. Wir durften nicht auf den Mast klettern, von wo wir wie eine reife Frucht abgeschüttelt wurden, sondern wir mußten uns an die Stangen klammern, wenn sich die Wogen über uns walzten. Wir legten das Gummifloß lose auf Deck, und darauf banden wir einen kleinen, wasserdichten Radiosender fest, etwas Proviant, Wasserflaschen und Medizingerät. Das würde an Land gewaschen werden, unabhängig von uns, falls wir wohlgeborgen, aber mit leeren Händen über das Riff kommen sollten. Am Heck der »Kon-Tiki« befestigten wir ein langes Seil mit einem Schwimmer. Der mußte auch an Land gespült werden, so daß wir dann versuchen konnten, das ganze Floß hereinzuziehen, falls es draußen am Riff hangenbleiben sollte. Und dann krochen wir in die Koje und überließen die Wache dem Steuermann da draußen im Regen.
Solange der Nordwind hielt, glitten wir sacht, aber sicher, die Front der Korallenriffe entlang, die hinter dem Horizont auf uns lauerte. Aber eines Nachmittags erstarb der Wind völlig, und als er sich wieder rührte, war er nach Osten umgeschlagen. Erichs Position zufolge lagen wir allerdings schon so weit südlich, daß wir jetzt Hoffnung hatten, an der äußersten Spitze des Raroiariffs vorbeizusteuern. Wir wollten versuchen, dahinter zu kommen und damit in Lee, bevor es uns gegen andere Riffe weitertrieb.
Als die Nacht kam, waren wir hundert Tage auf See gewesen. In der Nacht wachte ich auf und fühlte mich ruhelos und unbehaglich. Es stimmte etwas auf den Wogen nicht. Die »Kon-Tiki« bewegte sich gewissermaßen ein wenig anders, als sie sonst unter solchen Verhaltnissen zu tun pflegte. Wir wurden eine Veränderung im Rhythmus der Stämme gewahr. Ich dachte sofort an den Rückprall von einer Küste, die sich näherte, und war ständig draußen auf Deck und oben im Mast. Es war nur Meer zu sehen, aber ein ruhiger nächtlicher Schlaf wurde es nicht. Die Zeit verging.
Die Vögel sind die ersten Boten Polynesiens, noch viele Tage, bevor wir Land sichten. Sehnsüchtig blicken wir ihnen nach.
Land in Sicht! Nach 93 Tagen auf offener See erblicken wir zum ersten Mal Land bei Puka-Puka. Aber Wind und Strömung treiben uns rasch vorbei, und die Insel verschwindet wieder am Horizont.
Die „Kon -Tiki" steuert aufs Land zu. Ein Inferno von Brechern sperrt den Weg ins Korallenriff. Fürchterlich mitgenommen, wird das Floß endlich von Wogen und Sog freigegeben und auf die Korallenklippen hinaufgeschleudert.
Auf dem Riff liegt die „Kon-Tiki" viele Tage lang, während die Wellen das Wrack ständig weiter den Strand hinaufschieben.
Bei Tagesgrauen, kurz vor sechs, kam Torstein von der Mastspitze heruntergefahren. In der Ferne konnte er eine ganze Reihe von kleinen Palmeninseln vor uns sehen. Als erstes warfen wir das Ruder nach Süden herum, soweit wir konnten. Was Torstein gesehen hatte, mußten die kleinen Koralleninseln sein, die, wie Perlen auf einer Schnur aufgefädelt, hinter dem Raroiariff liegen. Ein nordgehender Strom mußte uns wieder ergriffen haben.
Schlag halb acht waren kleine Palmeninseln in Reih und Glied entlang des ganzen westlichen Horizonts aufgetaucht. Auf die südlichste wies unser Bug, und von hier setzten sich Inseln und Palmenhaine über den ganzen Meeressaum auf Steuerbord fort, bis sie wie Punkte oben im Norden verschwanden. Die nächsten lagen vier bis fünf Seemeilen entfernt.
Ein einziger Überblick von der Mastspitze verriet, daß, sogar wenn der Bug gegen die unterste Insel in der Reihe zeigte, die Seitentrift so groß war, daß wir uns nicht in der Richtung des Buges vorwärts bewegten. Wir trieben schräg mitten auf das Riff zu. Mit straffen Senkkielen hätten wir noch Hoffnung gehabt, vorbeizusteuern, aber Haie folgten uns dicht auf den Fersen, so daß es unmöglich war, unter das Floß zu tauchen und die lockeren Senkkiele mit neuen Pardunen zu versteifen.
Wir sahen ein, daß wir nur mehr ein paar Stunden auf der »Kon-Tiki« übrig hatten. Die mußten verwendet werden, um uns auf unsere unvermeidliche Havarie am Korallenriff vorzubereiten. Jedermann bekam Anweisung, was er zu tun hatte, wenn der Augenblick da war, jeder einzelne von uns wußte, wofür er verantwortlich war, so daß wir nicht herumfahren und uns auf die Zehen treten konnten, wenn der Zeitpunkt kam, in dem die Sekunden zählten. Die »Kon-Tiki« schaukelte im Wind, der uns langsam hinüberdrückte. Es war kein Zweifel, daß hier, wo die Wogen vom ohnmächtigen Schlag gegen die Ringmauern zurückprallten, ein höllisches Chaos auf uns wartete.
Wir lagen noch immer unter vollen Segeln, in der Hoffnung, dennoch vorbeisteuern zu können. Wie wir so langsam halbseitlich nähertrieben, sahen wir vom Mast, wie die ganze Perlenreihe durch ein teilweise überseeisches und teilweise unterseeisches Korallenriff zusammenhing. Wie vor einer Mole stand das Meer weißschäumend auf und sprang hoch gegen den Himmel empor. Das Ringriff von Raroia ist oval und hat einen Durchmesser von 40 Kilometer, die ganze Langseite wendet sich gegen das Meer im Osten, woher wir angeschaukelt kamen. Das Riff selbst, das sich von Horizont zu Horizont zieht, ist nur wenige hundert Meter breit, und dahinter liegen idyllische kleine Inseln in Reih und Glied um die stille Lagune in der Mitte.
Wir sahen mit gemischten Gefühlen, wie der blaue Pazifik rücksichtslos aufgerissen entlang unseres ganzen Gesichtsfeldes in die Luft zischte. Ich wußte, was wir da drinnen zu erwarten hatten. Ich hatte schon früher einmal die Tuamotugruppe besucht. Damals war ich sicher an Land gestanden und hatte den mächtigen Anblick im Osten bewundert, wo die Brandung des offenen Ozeans über das Riff hereinbrach. Nach und nach tauchten immer neue Riffe und Inseln auf, bis weit hinunter nach Süden. Wir mußten wohl mitten vor der Front der ganzen Korallenmauer liegen.
An Bord der »Kon-Tiki« stand alles im Zeichen des Aufbruchs. Was einigermaßen von Wert war, wurde in die Hütte hineingetragen und festgebunden. Dokumente und Papiere wurden in wasserdichte Hüllen verpackt, da hinein verschwanden auch Filme und alles andere, was ein Seebad nicht aushielt. Die ganze Bambushütte wurde mit Segeltuch bedeckt und besonders solide Taue wurden darüber festgezurrt. Da wir sahen, daß wir jenseits aller Hoffnung waren, öffneten wir das Bambusdeck mit Machetenmessern und zerhieben alles Tauwerk, das die Senkkiele hinunterhielt. Es war eine schwere und mühevolle Arbeit, diese Schwerter heraufzubekommen, denn alle waren dicht mit fetten Entenmuscheln besetzt. So reichte das Floß nicht tiefer als bis zum Boden der Baumstämme. Wir würden deshalb leichter über das Riff hineingeschoben werden. Ohne Senkkiel und mit gestrichenem Segel trieb das Floß ganz nach der Seite und war eine leichte Beute für Wind und Wellen.
Wir banden das längste Tau, das wir hatten, an unseren hausgemachten Anker und befestigten es am Fuß des Backbordmastes. So mußte die »Kon-Tiki« mit dem Heck voran in die Brandungswellen hineintreiben, wenn man den Anker über Bord warf. Der Anker selbst bestand aus leeren Wasserkanistern, gefüllt mit gebrauchten Radiobatterien und einer Sammlung unseres schwersten Plunders. Außerdem streckte er kreuz und quer solide Pfähle aus Eisenholz vor.
Vorschrift Nummer eins, das A und O war: Halte dich am Floß fest! Was immer auch geschah, wir mußten uns an Bord anklammern und die neun großen Stämme den Anprall des Riffes aufnehmen lassen. Wir selbst hatten mehr als genug mit dem Wasserdruck zu tun. Über Bord springen bedeutete ein hilfloses Opfer der Brandung zu werden, die uns hinein und heraus über die scharfen Korallen schleudern würde. Das Gummifloß würde rasch in den steilen Wasserwänden umgeworfen werden, und schwer beladen mit uns, würde es auch am Riff in Fetzen zerrissen werden. Aber die Baumstämme würden früher oder später an Land hinaufgeschleudert - und wir mit ihnen, wenn es uns nur glückte, uns festzuklammern.
Zweitens bekamen alle Mann Anweisung, zum ersten Mal nach hundert Tagen Schuhe an die Füße zu ziehen; gleichzeitig auch die Schwimmwesten klarzumachen. Das letzte war trotz allem von geringerem Wert, denn würde einer über Bord geschleudert, würde er erdrückt und nicht ertränkt werden. Es war genügend Zeit, daß wir jeder unseren Paß zu uns steckten, ebenso das wenige, was wir an Dollars übrig hatten. Vorläufig war es nicht der Zeitmangel, der unsere Probleme schuf.
Es waren spannende Stunden, in denen wir so lagen und seitlich nach und nach auf das Riff zutrieben. An Bord herrschte auffallende Ruhe. Ja, stumm und wortkarg krochen wir alle ein und aus zwischen Hütte und Bambusdeck und erledigten unsere Angelegenheiten. Die ernsten Gesichter zeigten, daß keiner im Zweifel war, was wir zu erwarten hatten. Und der Mangel an Nervosität bewies, daß alle im Lauf der Ereignisse ein unwandelbares Vertrauen zum Floß bekommen hatten. Es hatte das Meer überstanden, es würde ihm wohl auch gelingen, uns lebend an Land zu bringen.
Im Inneren der Hütte war ein einziges Chaos von Proviantkartons und festgezurrter Last. Torstein hatte halbwegs in seinem Radiowinkel Platz behalten, wo er den Kurzwellensender glücklich in Gang gesetzt hatte. Wir waren jetzt 8000 Kilometer von unserer alten Basis in Callao, wo die Seekriegsschule ständig Verbindung mit uns aufrechterhielt, und noch weiter waren wir von den Amateuren in den Vereinigten Staaten entfernt. Der Zufall wollte aber, daß wir am Tag vorher Verbindung mit einem tüchtigen Radioamateur bekommen hatten, der mit seiner Station auf Rarotonga in den Cookinseln saß. Mit ihm hatten die Funker ganz im Gegensatz zu aller gewöhnlichen Praxis eine Sonderverbindung im Morgengrauen verabredet. Und während wir nun näher und näher herein gegen das Riff trieben, saß Torstein unverdrossen und hämmerte auf seine Taste, um Rarotonga zu rufen.
Um 8.15 Uhr steht im »Kon-Tiki« Logbuch:
»Wir nähern uns langsam dem Land. Wir können jetzt mit bloßem Auge die einzelnen Palmen vor uns auf der Steuerbordseite unterscheiden.«
8.45 Uhr:
»Der Wind hat sich in eine für uns noch ungünstigere Richtung gedreht, wir haben keine Hoffnung mehr, vorbeizutreiben. Keine Nervosität an Bord, aber fieberhafte Vorbereitungen auf Deck. Innen am Riff vor uns liegt etwas, was aussieht wie das Wrack eines Segelkutters, aber vielleicht ist es nur ein Bündel Treibholz.«
9.45 Uhr:
»Der Wind treibt uns gerade auf die vorletzte Insel, die wir hinter dem Riff sehen. Wir können jetzt deutlich das ganze Korallenriff unterscheiden. Wie eine weiß und rot gesprenkelte Ringmauer ragt es etwas aus dem Wasser wie ein Gürtel um die Inseln. Das ganze Riff entlang brüllen schaumweiße Brandungswellen. Bengt serviert uns eben eine kräftige warme Mahlzeit, die letzte vor dem großen Turnier. Was da drinnen am Riff liegt, ist ein Wrack. Wir sind jetzt so nahe, daß wir quer über die ganze blanke Lagune hinter dem Riff sehen können. So können wir die Konturen von anderen Inseln auf der anderen Seite der Lagune unterscheiden.«
Jetzt näherte sich das dumpfe Dröhnen der Brandung wieder. Es kam von dem ganzen Riff vor uns und lag in der Luft wie aufwühlende Trommelwirbel vor dem spannenden Finale der »Kon-Tiki«.
9.50 Uhr:
»Wir sind sehr nahe. Treiben quer zum Riff. Nur noch wenige hundert Meter. Torstein sitzt soeben und unterhält sich mit dem Mann auf Rarotonga. Alles ist klar. Muß jetzt das Logbuch fortpacken. Wir sind alle guten Muts. Es sieht übel aus, aber es muß gehen!«
Einige wenige Minuten später raste der Anker über Bord und faßte Boden, so daß die »Kon-Tiki« herumschwenkte und den Achtersteven der Brandung zuwendete. Dies hielt uns einige kostbare Minuten, in denen Torstein wie rasend auf die Taste hämmerte. Jetzt hatte er Rarotonga. Die Brandung donnerte in der Luft, und die See ging wütend auf und nieder. Alle Mann waren auf Deck in Bewegung, und jetzt bekam Torstein seine Meldung durch. Er meldete, daß wir gegen das Raroiariff trieben. Er bat Rarotonga, auf derselben Frequenz jede volle Stunde zu horchen. Blieben wir mehr als 36 Stunden stumm, sollte man die norwegische Gesandtschaft in Washington verständigen. Torsteins letzte Worte waren: »O. K. 50 yards left. Here we go. Good bye.« Damit schloß er seinen Laden. Knut versiegelte die Papiere, und beide krochen in höchster Eile heraus auf Deck zu uns anderen, denn jetzt war keine Täuschung mehr möglich, der Anker gab nach.
Die Wellen wurden wilder und wilder, immer tiefer höhlten sich die Täler, wir fühlten, wie das Floß sich auf- und niederschwang, auf und nieder, höher und höher.
Von neuem lautete die Devise: Halte dich fest, vergiß alle Ladung, halte dich bloß fest!
Wir waren jetzt dem Wasserfall vor uns so nahe, daß wir nicht mehr das gleichmäßige Getöse von dem ganzen Riff daneben hörten. Wir vernahmen nur jedesmal das Dröhnen, wenn sich die Brandung vor uns überschlug.
Alle Mann standen bereit und klammerten sich fest an das Tau, das sie selbst für das sicherste hielten. Nur Erich kroch im letzten Augenblick in die Hütte. Es stand ein Punkt im Programm, den er noch nicht erledigt hatte - er hatte bisher seine Schuhe noch nicht gefunden!
Achteraus stand keiner, denn von hier würde der Stoß des Riffs kommen. Auch die zwei soliden Stagen von der Mastspitze nach dem Heck waren nicht sicher. Denn wenn der Mast fiel, würden sie außenbords über das Riff hängen. Hermann, Bengt und Torstein waren auf einige Kisten gekrochen, die vor der Hüttenwand festgezurrt waren, Hermann hängte sich in die Pardunen des Hüttendaches, und die beiden anderen ergriffen die Taue zur Mastspitze, an denen sonst das Segel gehißt wurde. Knut und ich wählten die Taue vom Bug hinauf in die Mastspitze, denn wenn der Mast und die Hütte und alles andere über Bord brachen, so meinten wir, daß das Tau vom Bug trotzdem über dem Floß liegen würde, nachdem die Wellen jetzt von vorne hereinschlugen.
Da es uns klar wurde, daß uns die Wellen ergriffen hatten, wurde das Ankertau gekappt, und damit ging es los. Eine See wälzte sich unter uns in die Höhe, und wir fühlten, wie sich die »Kon-Tiki« in die Luft hob. Der große Augenblick war da. Jetzt ritten wir mit den Wellenrücken hinein in rasender Fahrt, so daß es knackte und schrie in dem schlottrigen Fahrzeug. Wir fühlten, wie es sich unter uns verschob und bewegte. Die Spannung ließ das Blut kochen. Ich erinnere mich, daß ich mangels eines anderen Einfalls mit den Armen um mich schlug und mit aller Kraft meiner Lungen Hurra! brüllte. Das gab mir eine gewisse Erleichterung und konnte jedenfalls nicht schaden. Die anderen glaubten sicher, daß ich verückt geworden war, aber die Gesichter erhellten sich, und sie lachten in ihrer Erregung, alle Mann. Jetzt ging es brausend dahin, es war »Kon-Tikis« Feuertaufe, es würde und mußte gut gehen.
Aber der helle Siegesrausch bekam bald einen Dämpfer. Hinter uns erhob sich hoch eine neue See wie eine glänzende grüne Glaswand, und als wir herabsanken, wälzte sie sich hinter uns her. Im selben Augenblick sah ich sie hoch über mir, als ich schon einen furchtbaren Schlag spürte und in den Wassermassen verschwand. Ich fühlte den Zug im ganzen Körper mit einer so ungeheuerlichen Kraft, daß ich jeden einzelnen Muskel im Körper anspannen mußte und nur an eines denken konnte: Festhalten! Ich glaube, Arme und Beine können in einer solchen Situation, wenn das Resultat so sicher ist, selbständig werden, denn das Hirn hätte sich dazu verstanden, die Taue fahrenzulassen. Auf einmal spürte ich, daß der Wasserberg vorbeitrieb und seinen teuflischen Griff um den Körper lockerte. Während der Kamm mit ohrenbetäubendem Brausen und Krachen weiterraste, sah ich Knut wieder, zusammengerollt wie einen Ball, an meiner Seite hängen. Von hinten sah die große See fast flach und grau aus. Sie raste über den Dachfirst. Als sie ihn freigab, hingen hier die drei anderen gegen den Hüttengiebel gepreßt.
Noch schwammen wir frei in den Wellen.
In höchster Eile klammerte ich mich wieder fest, Arme und Beine um das solide Tau geschlungen. Knut ließ sich hinuntergleiten. Mit einem Tigersprung war er drüben auf den Kisten bei den anderen, wo die Hütte den Stoß auffing. Ich hörte beruhigende Ausrufe von drüben, sah aber gleichzeitig, wie eine neue grüne Wand sich emporhob und donnernd auf uns zukam. Ich schrie einen Warnungsruf und hängte mich wieder so klein und fest wie möglich in mein Tau. Und plötzlich war die Hölle wieder über uns losgebrochen, und die ganze »Kon-Tiki« verschwand unter den Wassermassen. Das Meer riß und zog mit aller Kraft, die es gegen einen kleinen Menschenkörper aufbieten konnte. Diese zweite See jagte über uns hinweg und noch eine dritte. Da hörte ich einen triumphierenden Ruf von Knut, der jetzt in der Strickleiter hing:
»Schaut euch das Floß an, es hält! Es hält!«
Nach drei Wellen waren nur der Doppelmast und die Hütte ein wenig schiefgeschlagen worden. Aufs neue fühlten wir den Triumph über die Elemente. Und der Siegesrausch verlieh uns neue Kräfte.
Da sah ich die nächste Woge donnernd heraufkommen, höher als alle, und ich brüllte aufs neue eine Warnung zurück zu den anderen, während ich, so hoch ich konnte, das Tau heraufkletterte und mich festkrallte. Da verschwand ich bereits mitten in der grünen Wasserwand, die sich hoch über uns auftürmte. Die anderen, die weiter rückwärts standen und mich als ersten verschwinden sahen, veranschlagten die Wasserwand mit acht Meter Höhe, während der schäumende Kamm fünf Meter über dem Teil der Wand passierte, von dem ich verschluckt wurde. Da aber erreichte die Wogenwand sie, und alle hatten nur mehr den Gedanken: Halten! Halten! Und noch mal halten!
Diesmal müssen wir wohl gegen das Riff gestoßen sein. Selbst spürte ich bloß den Druck gegen das Tau, das ausschwang und schwach den Stößen nachgab. Aber ob die Schläge von oben oder unten kamen, merkte ich nicht, da ich ja hing.
Das Ganze dauerte Sekunden, aber es forderte mehr Kraft, als wir gewöhnlich im Körper haben. Es gibt noch andere Kräfte in der Menschenmaschinerie als die Muskeln allein. Ich beschloß, sollte ich sterben, so wollte ich in dieser Stellung sterben, wie ein Knoten im Tau. Jetzt donnerte die See weiter, darüber vorbei. Als sie brüllend passierte, enthüllte sie einen schlimmen Anblick. Wie mit einem Zauberschlag war die ganze »Kon-Tiki« verändert. Das Fahrzeug, das wir wochen- und monatelang auf See kannten, bestand nicht mehr. In Sekunden war unsere gemütliche Welt zu einem Wrack zerschlagen.
Ich sah einen einzigen Menschen an Bord außer mir. Er lag flach mitten auf das Hüttendach gepreßt, Gesicht und Arme zur Seite gestreckt. Die Hütte selbst war wie ein Kartenhaus nach rückwärts und Steuerbord zusammengedrückt. Das reglose Geschöpf war Hermann. Sonst war kein Zeichen eines anderen Lebens zu entdecken, als die Wassermassen über das Riff hinein weiter donnerten. Der eisenharte Mast auf der Steuerbordseite war wie ein Zündholz geknickt, im Sturz hatten die oberste Spitze das Hüttendach durchschlagen, so daß der Mast mit allem Tauwerk schräg nach Steuerbord über das Riff hing. Am Heck war der Steuerbock verdreht und der Querbalken gebrochen, das Steuerruder war Kleinholz geworden. Die soliden Kieferplanken am Bug waren wie Zigarrenbrettchen zerschlagen, und das ganze Deck war aufgerissen. Der Druck hatte es wie nasses Papier gegen die Vorderwand der Hütte geklatscht samt Kisten, Kannen, Segeltuch und anderer Last. Bambussprossen und Tauenden standen überall heraus: der Gesamteindruck war ein vollständiges Chaos.
Ich spürte einen eisigen Schreck durch den ganzen Körper. Was half es, wenn ich allein festhing. Wenn ich einen einzigen Mann hier im Endspurt verlor, war der ganze Erfolg in Frage gestellt. Und vorläufig war überhaupt nur ein einziger nach dem letzten Wogenanprall zu sehen. Aber im selben Augenblick tauchte Torsteins zusammengekrümmte Gestalt neben der Seite des Floßes auf. Es glückte ihm, an Bord zu kommen, und er kroch hinauf auf den Wirrwarr vor der Hütte. Hermann drehte jetzt auch den Kopf und preßte ein aufmunterndes Grinsen hervor, ohne sich zu rühren. Ich brüllte eine Frage nach den anderen und hörte Bengts ruhige Stimme antworten, es seien noch alle an Bord. Sie lagen ins Tauwerk geklammert hinter der Barrikade, die das zähe Flechtwerk des Bambusdecks aufgebaut hatte.
All das geschah im Laufe von Sekunden, während die »Kon-Tiki« mit dem Rücksog auf dem Weg aus dem Hexenkessel war. Da wälzte sich eine neue See herein. Zum letztenmal brüllte ich »Festhalten!« mit aller Kraft meiner Lungen ins Tosen, und das war auch alles, was ich selbst tat. Wieder klammerte ich mich fest und verschwand in den Wassermassen, die in endlosen zwei bis drei Sekunden darüber- und vorbeirasten. Das war genug für mich. Ich sah, daß das Ende der Stämme gegen eine jähe Stufe im Korallenriff prallte, ohne darüberzukommen. Plötzlich wurden wir wieder hinausgezogen. Ich sah auch die zwei, die über den Hüttenfirst ausgestreckt lagen, aber das Lachen war ihnen vergangen. Hinter dem Bambuschaos hörte ich eine ruhige Stimme:
»Es geht nicht.«
Und ich spürte dieselbe Mutlosigkeit selbst. Da sich die Mastspitze weiter und weiter über Steuerbord neigte, hing ich selbst an meiner schlaffen Leine außerhalb des Floßes. Und die nächste See kam. Als sie vorüber war, war ich todmüde und dachte nur mehr daran, hinauf auf die Stämme zu kommen und hinter der Barrikade zu liegen. Als das Wasser ablief, sah ich zum ersten Mal das holprige, rote Riff entblößt unter uns und entdeckte Torstein, der gebückt auf den glänzenden roten Korallen stand und ein Tauende vom Mast festhielt. Knut stand achtern auf dem Sprung. Ich brüllte, daß wir uns auf den Stämmen halten müßten, und Torstein, der vom Wasserdruck über Bord gespült worden war, schwang sich wie eine Katze wieder hinauf.
Zwei oder drei Wellen wälzten sich mit abnehmender Kraft über uns weg, dessen, was dabei geschah, erinnere ich mich nicht, außer daß das Wasser vorbeibrauste und ich selbst tiefer und tiefer herunterkam zu dem roten Riff, auf das wir geschoben wurden. Jetzt erreichten uns nur mehr Schaumflocken, und ich arbeitete mich auf das Floß, wo wir alle auf dem Weg zum Achterende der Stämme waren, die sich am weitesten hinaufgeschoben hatten.
Im selben Augenblick setzte Knut an und sprang mit der Leine, die am Achterdeck bereitlag, hinaus auf festen Boden. Während sich das Wasser zurückzog, watete er im Galopp dreißig Meter landeinwärts und stand sicher am Ende des Taus, als die nächste See auf ihn zuschäumte, aber verhielt und von dem flachen Riff wie ein breiter Strom zurückrann.
Jetzt kam Erich aus der zusammengesunkenen Hütte herausgekrochen, seine Schuhe an den Füßen. Hätten wir es alle so gemacht wie er, wären wir billig davongekommen. Da nämlich die Hütte doch nicht über Bord ging, sondern sich ruhig unter dem Segeltuch niederlegte, lag Erich in aller Gemütsruhe zwischen der Last und hörte die Hölle über uns hereinbrechen, während die eingesunkenen Bambuswände sich niederbogen. Bengt hatte durch den stürzenden Mast eine leichte Gehirnerschütterung erlitten, aber es war ihm geglückt, neben Erich unter die zusammengefallene Hütte hineinzukriechen. Hier hätten wir alle Mann liegen können, hätten wir geahnt, daß Bambusflechtwerk, Taue und Balsastämme auch unter dem Wasserdruck so untrennbar zusammenhingen.
Erich stand jetzt klar achtern auf den Stämmen, und als die See hinauslief, sprang auch er hinauf aufs Riff. Das nächste Mal war es Hermann, der bereitstand, und dann Bengt. Jedesmal schob sich das Floß ein Stück weiter hinauf, und als die Reihe an Torstein und mich kam, lag das Floß bereits so weit innen am Riff, daß kein Grund mehr war, es zu verlassen. Wir begannen alle Mann mit der Bergung.
Es waren jetzt zwanzig Meter hinter uns zu der teuflischen Treppenstufe am Riff, wo sich die Brandungswellen in Reih und Glied heranwälzten. Die Korallentiere hatten dafür gesorgt, das Ringriff so hoch zu bauen, daß es nur den obersten Zungen der Brandung gelang, einen frischen Strom mit Seewasser in die fischreiche Lagune hineinzuschicken. Hier drinnen war die Zauberwelt der Korallen, sie entfalteten sich hier in abenteuerlichen Formen und Farben.
Weit drinnen am Riff fanden die anderen das Gummifloß wieder, das hier voller Wasser dahintrieb. Sie leerten es aus und zogen es ans Wrack zurück. Hier beluden wir es mit der wichtigsten Ausrüstung, vor allem mit dem Radio, dem Proviant und den Wasserflaschen. So zogen wir es hinein auf die Innenseite des Riffs und stapelten alles auf der Spitze eines gewaltigen Korallenblocks, der sich hier wie ein großer Meteorstein ausnahm. Wir konnten nie wissen, auf was das Meer verfiel, wenn die Flut einsetzte.
In dem seichten Wasser drinnen auf den Felsen sahen wir etwas Blankes in der Sonne glänzen. Als wir hinwateten, um es aufzunehmen, sahen wir zu unserem Erstaunen, daß es zwei leere Konservenbüchsen waren. Wir hatten nicht erwartet, akkurat das hier zu finden, und waren noch mehr überrascht, als wir sahen, daß die winzigen Büchsen ganz blank und frisch geöffnet und mit »Ananas« gestempelt waren. Übrigens mit derselben Schrift wie auf den neuen Feldrationen, die wir selbst für den Quartiermeister ausprobieren sollten. Es waren zwei von unseren eigenen Ananasbüchsen, die wir bei unserer letzten Mahlzeit auf der »Kon-Tiki« über Bord geworfen hatten. Zwischen unseren Landungen war nicht viel Zwischenraum gewesen.
Es waren scharfe und bizarre Korallenblöcke, auf denen wir uns befanden, und auf dem unebenen Boden wateten wir bald bis zu den Knöcheln, bald bis zur Brust im Wasser, je nachdem sich Rinnen und ganze Stromtäler hindurchzogen. Algen und Seerosen und Korallen bewirkten, daß das ganze Riff aussah wie ein Steinbeet mit Moosen, Kakteen und versteinerten Gewächsen in Rot, Grün, Gelb und Weiß. Es gab keine Farbe, die nicht vertreten gewesen wäre, sei es in Korallen oder Algen oder in den Muscheln und Seewalzen oder gar in den phantastischen Fischen, die überall an uns vorbeischössen. In den tieferen Rinnen kamen kleine Haie, nur vier Fuß lang, in dem kristallklaren Wasser vorsichtig an uns heran, aber wenn wir nur mit der Hand ins Wasser schlugen, machten sie eine Kehrtwendung und hielten sich auf Abstand.
Wo wir havariert waren, hatten wir nur Wasserlachen und Korallenfelsen um uns, weiter drinnen lag die ruhige, blaue Lagune. Die Ebbe strömte heraus, und wir sahen, wie immer mehr Korallen um uns auftauchten, die Brandungswellen, die ununterbrochen an das Riff donnerten, lagen plötzlich um eine Etage tiefer. Was hier geschehen würde, wenn das Meer wieder begann hereinzuströmen, war ungewiß. Wir mußten von hier weg.
Das Riff zog sich wie eine halb unterseeische Burgmauer nach Norden und Süden. Ganz drunten im Süden lag eine langgestreckte Insel, dicht bewachsen mit Palmenwald, und knapp oberhalb von uns im Norden, nur sechs- bis siebenhundert Meter entfernt, lag eine ganz winzige Palmeninsel. Sie lag an der Innenseite des Riffs und streckte ihre Kronen gegen Himmel, während sie einen schneeweißen Sandstrand hinaus in die stille Lagune sandte. Die ganze Insel sah aus wie ein strotzender grüner Blumenkorb, vielleicht auch wie ein kleines Stück konzentriertes Paradies. Sie wählten wir.
Hermann stand an meiner Seite und strahlte wie die Sonne über sein ganzes bärtiges Antlitz. Er sagte nicht ein Wort, streckte mir bloß die Hand entgegen und lachte glücklich. Die »Kon-Tiki« lag ganz draußen am Riff, der Schaum sprühte immer noch über sie weg. Sie war ein Wrack, aber ein würdiges Wrack. Alles über Deck war zerschmettert, aber die neun Balsastämme aus dem Quevedowald in Ecuador waren unversehrt wie zuvor. Sie hatten unser Leben gerettet. Das hatte ein wenig von der Last zerstört, aber nichts, was wir in der Hütte verstaut hatten. Wir selbst hatten das Floß von allem, was wirklichen Wert besaß, entblößt Das lag nun wohl verwahrt auf der Spitze des sonnenverbrannten Riesensteins innen am Riff.
Während ich von Bord sprang, gingen mir die Lotsenfische, die sonst vorm Bug marschierten, regelrecht ab. Nun lagen die dicken Balsastämme auf dem nackten Riff in einem halben Fuß Wasser, und braune Seewalzen bewegten sich unter dem Bug. Die Lotsenfische waren fort, die Dolfine waren fort. Nur unbekannte, platte Fische mit Pfauenmuster und Schleierschwänzen schwammen neugierig aus und ein zwischen den Stämmen. Wir hatten eine neue Welt erreicht Johannes war aus seinem Loch verschwunden. Er hat hier wohl einen anderen Unterschlupf gefunden.
Ich warf einen letzten Blick über das Wrack Da stach mir ein kleines Palmenbaby in einem flachgedruckten Korb in die Augen. Anderthalb Fuß erhob es sich schon aus dem Auge einer Kokosnuß, und zwei Wurzeln streckte es nach unten. Mit der Nuß in der Hand watete ich hinüber zur Insel. Ein Stück vor mir sah ich Knut, der glücklich an Land platschte, ein Modell des Floßes unter dem Arm, das er mühsam unterwegs verfertigt hatte Bald passierten wir Bengt, der ein wunderbarer Steward war. Mit einer Beule auf dem Kopf und das Seewasser aus dem Bart triefend, marschierte er gebückt und schob eine Kiste vor sich her, die ihm jedesmal davontanzte, wenn die Brandung draußen einen Strom in die Lagune hineinschickte. Er öffnete stolz den Deckel. Es war die Küchenkiste, und drinnen waren der Primus und der Kochtopf, beide wohlerhalten.
Bergungsarbeit am Wrack. Nach der Umarmung des Meeres ist alles an Bord wie mit einem Zauberschlag verändert. Der Mast ist geknickt, die Hütte zerschlagen, unsere Sachen durcheinandergewirbelt. Verschont ist nur geblieben, was achtern geborgen war, als das Meer über das Floß hereinbrach.
Eine unbewohnte Palmeninsel liegt im Schütze des Korallenriffs inmitten der Lagune. Sie wird zu unserer ersten Heimstatt jenseits des Ozeans. Niemals werden wir das Gefühl vergessen, das uns ergriff, als wir unsere Füße nach hundertein Tagen Floßfahrt auf warmen, trockenen Sand setzten.
Unser Gummiboot haben wir weit innerhalb des Riffs wiedergefunden. Mit ihm kann fast alles Wertvolle geborgen werden.
Ich werde niemals die Waterei vom Riff zu der paradiesischen Palmeninsel vergessen, die uns entgegenwuchs. Als ich den sonnenhellen Sandstrand erreichte, riß ich die Schuhe ab und bohrte die nassen Zehen in den warmen, trockenen Sand. Es war, als bereite mir jede Spur, die sich in dem unberührten Sandstrand hinauf bis zu den Palmenstämmen abzeichnete, eine tiefe innige Freude. Bald schlossen sich die Palmenkronen über mir. Ich setzte meinen Weg fort bis in die Mitte der winzigen Insel. Grüne Kokosnüsse hingen unter den Palmenkronen. Einige üppige Busche waren dicht überzogen mit schneeweißen Blüten, die so süß und berückend dufteten, daß ich mich fast schwindeln fühlte. Drinnen auf der Insel umsegelten ganz zahme Seeschwalben meine Schultern. Sie waren so leicht und weiß wie Nebelstreifen. Kleine Vierfüßler flüchteten vor unseren Fußen. Aber die wichtigsten Einwohner der Insel waren dicke, blutrote Einsiedlerkrebse, die überall herumpolterten, gestohlene Schneckenhauser, groß wie ein Ei, über den bloßen Hinterkörper gezogen.
Ich war überwältigt. Ich sank auf die Knie und bohrte die Finger tief in den trockenen, warmen Sand.
Die Reise war vorüber, wir alle waren am Leben. Wir waren auf einer unbewohnten kleinen Südseeinsel gestrandet, und auf was für einer Insel! Torstein kam, schleuderte einen Sack von der Schulter, warf sich platt auf den Rücken und sah hinauf nach den Palmenkronen und den daunenleichten weißen Vögeln, die lautlos vor unserer Nase kreisten Bald waren wir alle sechs beieinander Hermann, der ewig Energische, kletterte auf eine kleine Palme und riß ein Büschel dicker, grüner Kokosnüsse herunter. Mit Machetenmessern schlugen wir die weiche Spitze ab wie bei einem Ei. So schlürften wir den frischesten und herrlichsten Labetrank der Welt, süße, kalte Milch einer kernlosen Kokosart. Außerhalb des Riffs erklangen die monotonen Trommelwirbel der Wachtposten vor unserem Paradies.
»Das Fegefeuer war eine nasse Sache«, sagte Bengt, »aber das Himmelreich ist genauso, wie ich es mir vorgestellt habe «
Wir streckten uns behaglich auf dem Rücken aus und blinzelten vergnügt zu den weißen Passatwolken hinauf, die da oben über den Palmenkronen vorbei nach Westen trieben. Jetzt mußten wir ihnen nicht mehr hilflos weiterfolgen, jetzt waren wir auf einer unbeweglichen und landfesten Insel im richtigen Polynesien.
Und wahrend wir so lagen und ausruhten, raste der Brandungsexpreß vor und zurück, vor und zurück, den Horizont entlang.
Bengt hatte recht, das war das Himmelreich.