Tägliches Leben und Experimente. Trinkwasser für Floßfahrer. Kartoffel und Flaschenkürbis verraten ein Geheimnis. Die Kokosnuß und die Krabben. Unser zahmer Johannes. Wir segeln in Fischsuppe. Plankton. Eßbares Meerleuchten. Umgang mit Walen. Ameisen und Entenmuscheln. Schwimmende Haustiere. Der Dolfin als Gefolgsmann. Haifang. Die »»Kon-Tiki« wird zum Seeungeheuer. Lotsenfische und Remora als Erbschaft des Haies. Warnung vor Riesenkraken. Fliegende Tintenfische. Unbekannter Besuch. Der Taucherkorb. Mit Thunfischen und Bonitos in deren eigenstem Element. Das falsche Riff. Das Schwert löst sein Rätsel. Auf halbem Weg.
Die Wochen vergingen. Von Schiffen sahen wir keine Spur. Nichts trieb uns entgegen, was verriet, daß es noch andere Menschen auf der Welt gab. Das ganze Meer gehörte uns. Alle Pforten des Horizonts standen offen, und es taute förmlich Friede und Freiheit von der Himmelswölbung herab.
Uns war, als würden der frische Salzgeruch der Luft und die Reinheit, die uns umgab, Körper und Seele waschen und klären. Große Probleme wurden klein und wirkten wie Hirngespinste hier draußen auf dem Meer. Nur die Elemente waren bitterer Ernst. Aber es schien, als ignorierten sie das kleine Floß. Vielleicht hießen sie es auch gut, als ein Stück der Natur, das nicht die große Harmonie des Meeres durchbrach, sondern sich nach Strömung und Seegang richtete wie Meeresvögel und Fische. Statt sich wie furchtbare Feinde geifernd auf uns zu werfen, waren sie vertraute Freunde geworden, die uns stetig und sicher vorwärts halfen. Wenn Wind und Wellen uns stießen und drängten, so zog uns gleichzeitig die Strömung mit sich fort, alle genau in Richtung auf unser Ziel.
Einem Schiff, das an einem durchschnittlichen Tage draußen auf dem Meer unseren Weg gekreuzt hätte, hätte sich wohl ein friedliches Bild geboten: ein Floß, langsam auf und nieder tanzend über weite, rollende Dünungen, gekrönt von zischenden Schaumwirbeln, darüber ein rostgelbes Segel in straffer Wölbung auf Polynesien zu.
Am Heck des Floßes hätte man einen Mann gesehen, nackt, braun und bärtig, der sich entweder an einem langen Steuerruder plagte und an verwickelten Tauen zog oder in ruhigem Wetter auf einer Kiste saß und im Sonnenschein döste, während er das Steuerruder bedächtig mit den Zehen hielt.
Sofern dieser Mann zufälligerweise nicht Bengt war, würde man diesen platt auf dem Bauch im Hütteneingang liegen sehen mit einem von seinen dreiundsiebzig soziologischen Büchern vor der Nase. Im übrigen war Bengt zum Steward ernannt und damit verantwortlich für die Zusammenstellung der täglichen Rationen. Hermann traf man stets und ständig auf Außenposten. Entweder saß er in der Mastspitze mit meteorologischen Instrumenten, oder er tauchte mit Schwimmbrillen unter das Floß, um ein Schwert zu kontrollieren, oder aber er ließ sich im Gummiboot nachschleppen und war mit Ballons und seltsamen Meßapparaten beschäftigt. Er war nämlich unser technischer Chef und verantwortlich für meteorologische und hydrographische Beobachtungen.
Knut und Torstein waren immer in Betrieb mit ihren nassen Trockenbatterien, Lötkolben und Kopplungsschemata. Es bedurfte all ihrer Kriegserfahrung, die kleine Radiostation im Sprühregen und Tau, einen Fuß hoch über dem Wasserspiegel, in Gang zu halten. Jede Nacht sendeten sie abwechselnd unsere Berichte und Wetterbeobachtungen hinaus in den Äther, wo sie von irgendwelchen Radioamateuren aufgefangen wurden, die die Meldungen ans Meteorologische Institut in Washington und an andere Bestimmungsorte weitergaben. Erich flickte meistens an Segeln und spliß Taue, wenn er nicht schnitzte oder Skizzen von bärtigen Männern und merkwürdigen Fischen zeichnete. Jeden Mittag nahm er den Sextanten zur Hand, kroch auf eine Kiste und sah nach der Sonne, um herauszufinden, wie weit wir seit dem gestrigen Tag gekommen waren. Ich selbst hatte genug zu tun mit Logbuch und Berichten, Planktonsammeln, Fischen und Filmen. Jedermann hatte so seine Verantwortung und Aufgabe, und keiner mischte sich in die Arbeit des anderen. Alle saueren Geschäfte, wie Ruderwache und Küchendienst, wurden gerecht verteilt. Jeder von uns hatte seine zwei Stunden Tagwache und zwei Stunden Nachtwache. Und der Küchendienst ging die Runde von einem Tag zum anderen. So gab es kaum Gesetze und Regeln an Bord mit Ausnahme dessen, daß der Nachtposten eine Schlinge um den Leib und das Rettungstau seinen festen Platz haben mußte, daß vor der Hütte gegessen wurde und daß gewisse unumgängliche Geschäfte nur achtern am äußersten Ende der Stämme erledigt wurden. Sollte ein wichtiger Entschluß an Bord getroffen werden, riefen wir zu einem Pow-vow nach Indianermanier und diskutierten die Sache gründlich, bevor wir eine Bestimmung trafen.
Ein solcher Tag auf der »Kon-Tiki« begann damit, daß die letzte Nachtwache Leben in den Koch hineinschüttelte, der schläfrig auf das taunasse Deck hinauskroch und in der Morgensonne fliegende Fische zu sammeln begann. Da wir keine Lust hatten, den Fisch roh (nach polynesischer wie auch peruanischer Vorschrift) zu schlucken, brieten wir ihn über einem kleinen Primus auf dem Boden einer Kiste, die auf Deck festgebunden vor der Hüttentür stand. Diese Kiste war unsere Küche. Hier war Schutz vor dem Südostpassat, der ständig schräg von achtern gegen die andere Seite blies. Nur wenn Wind und See allzusehr mit der Primusflamme jonglierten, kam es vor, daß die Kiste einmal Feuer fing. Eines schönen Tages war der Koch eingeschlafen. Da stand plötzlich sein ganzer Laden in Flammen, die rasch auf die Wand der Bambushütte übersprangen. Aber der Brand wurde schnell gelöscht, als sich der Rauch in die Hütte wälzte, denn zum Wasser hatten wir es an Bord der »Kon-Tiki« nie weit.
Dem Duft des gebratenen Fisches gelang es nur höchst selten, die schnarchenden Individuen in der Bambushütte zu wecken, so daß der Koch sie öfters mit der Gabel stechen oder sein »Backen und Banken« in so falschen Tönen singen mußte, bis keiner ihn länger anzuhören vermochte. Wenn es keine Haiflossen längs der Floßkante gab, begann der Tag mit einem raschen Sprung in den Stillen Ozean. Dann folgte das »Frühstück im Blauen« am Rand des Floßes.
Über das Essen an Bord konnte man kaum klagen. Unsere Kostverhältnisse verteilten sich auf zwei Experimente, eines dem Quartiermeister und dem zwanzigsten, das andere Kon-Tiki und dem fünften Jahrhundert gewidmet. Torstein und Bengt waren als Versuchsobjekte ausersehen und begrenzten ihre Diät auf die netten kleinen Packungen mit Spezialproviant, die wir in dem Hohlraum zwischen den Holzstämmen und dem Bambusdeck versenkt hatten. Fisch und Seeproviant waren auch nie ihre starke Seite gewesen. Alle paar Wochen lösten wir die Verschnürungen, die das Bambusdeck niederhielten, und nahmen neue Proviantschachteln heraus, die wir vor der Bambushütte festzurrten. Es erwies sich, daß die zähe Asphaltschicht auf der Pappe standhielt, während die Konservenbüchsen, die lose danebenlagen, vom Meerwasser, das ständig den Proviant umspülte, angefressen und ausgelaugt wurden.
Hätte aber die »Kon-Tiki« wie auf der ursprünglichen Fahrt über den Ozean weder Asphalt noch Patentbüchsen gekannt, hatten sich trotzdem keine ernsteren Ernährungsprobleme ergeben. Auch die Versorgung in der Vergangenheit bestand ja aus dem, was man von Land mitnahm und sich unterwegs zu verschaffen wußte. Zwei Absichten müssen wir in Erwägung ziehen, als Kon-Tiki Peru nach der Niederlage bei Titicaca verließ. Als priesterliche Verkörperung der Sonne unter einem Volk von Sonnenanbetern ist es höchst wahrscheinlich, daß er sich aufs Meer hinauswagte, um der Sonne selbst auf ihrer Reise zu folgen in der Hoffnung, ein neues und friedlicheres Land zu finden. Die andere Möglichkeit war, seine Flöße die Küste Südamerikas entlangsegeln zu lassen, um weiter nördlich wieder an Land zu gehen und dort ein neues Reich zu gründen. Bei dem Versuch, die Küste und die feindlichen Stämme an Land zu vermeiden, konnte er dann - wie wir - eine leichte Beute für den Südostpassat und den Humboldtstrom werden. Dann trieben ihn die mächtigen Elemente genau in demselben großen Halbkreis nach Sonnenuntergang.
Was auch immer diese Sonnenanbeter für Pläne hatten: als sie ihr Heimatland verließen, sorgten sie sicher für Proviant. Getrocknetes Fleisch, Fisch und Süßkartoffeln waren der wichtigste Teil ihrer primitiven Nahrung. Wenn die Floßfahrer der Vergangenheit von der Wüstenküste Perus in See stachen, hatten sie reichlich Wasservorrat an Bord. An Stelle von Tongefäßen verwendeten sie gerne die Haut der großen Flaschenkürbisse, die gegen Stoß und Schlag unempfindlich waren. Vielleicht noch besser geeignet für die Flöße waren dicke Rohre aus Riesenbambus. Die Segmente wurden durchbohrt und Wasser durch ein kleines Loch am Ende eingefüllt, das mit einem Pflock abgedichtet wurde. Dreißig bis vierzig von diesen dicken Bambusrohren konnten längsseit des Floßes unter Deck festgeknotet werden, wo sie im Schatten lagen, kühl umspült vom frischen Seewasser, das im Äquatorstrom etwa 26 bis 27 Grad Celsius hat. So erhielt man einen doppelt so großen Wasservorrat, wie wir selbst für die ganze Reise brauchten. Noch mehr konnte man verladen, wenn man die Bambusrohre unter dem Floß im Wasser befestigte, wo sie weder Gewicht noch Platz wegnahmen.
Wir fanden heraus, daß nach zwei Monaten das Frischwasser schal wird und übel schmeckt. Aber wenn man den ersten, regenarmen Teil des Meeres gut hinter sich gebracht hat, so kommt man in Striche, wo kräftige Regenschauer den Wasservorrat ergänzen. Wir teilten eineinviertel Liter Wasser pro Mann und Tag zu. Nicht immer wurde diese Ration verbraucht.
Selbst wenn unsere Vorgänger mangelhaft versorgt von Land getrieben wurden, wären sie durchgekommen, solange sie mit dem fischreichen Strom über das Meer trieben. Es verging nicht ein Tag auf der ganzen Reise, ohne daß wir Fische um das Floß hatten, die sich leicht und bereitwillig fangen ließen, ganz zu schweigen von den fliegenden Fischen, die freiwillig an Bord sprangen. Es geschah sogar, daß große, wohlschmeckende Bonitos mit den Wassermassen achtern an Deck geschwemmt wurden und zappelnd auf dem Floß liegenblieben, wenn das Wasser wie in einem Sieb zwischen den Stämmen verschwand. Es war unmöglich, zu verhungern.
Die alten Eingeborenen kannten den Trick genau, zu dem auch viele Schiffbrüchige während des Krieges sich durchfanden, daß man nämlich durststillende Beutel mit rohem Fisch kauen kann. Man kann auch den Saft auspressen, dadurch, daß man die Fischstücke in einem Tuch auswindet, oder, wenn der Fisch groß ist, kann man einfach Gruben in seine Seite schneiden, die sich rasch aus den Lymphen des Fisches anfüllen. Wenn man etwas Besseres zu trinken hat, so schmeckt das nicht gut. Aber der Salzgehalt ist gering genug, um den Durst zu löschen.
Der Bedarf an Trinkwasser wurde stark reduziert, weil wir ständig Bäder nahmen und uns feucht in die schattige Hütte legten. Wenn ein Hai uns majestätisch umkreiste und damit ein richtiges Tauchbad unmöglich machte, brauchte man sich bloß achtern auf die Stämme zu legen, Finger und Zehen gut ins Tauwerk gekrallt, so bekamen wir binnen ein paar Sekunden mehrere Badewannen kristallklaren Pazifik über uns geschüttet.
Wenn man in der Wärme von Durst geplagt wird, nimmt man es gerne für gegeben, daß der Körper nach Wasser verlangt. Und das kann eine überflüssige Kerbe in die Wasserrationen schlagen, ohne im Mindesten zu helfen. An einem richtig heißen Tag in den Tropen kann man sich mit lauwarmem Wasser anschlabbern, bis man es oben im Hals stehen spürt, und trotzdem durstig bleiben. Da braucht der Körper nämlich nicht Feuchtigkeit, sondern, merkwürdig genug, Salz. Die Spezialrationen an Bord enthielten deshalb auch Salztabletten zum fleißigen Gebrauch an besonders warmen Tagen, denn der Schweiß beraubt den Körper des Salzgehaltes. Wir erlebten solche Tage, wenn sich der Wind legte und uns die Sonnenhitze ungehindert an Deck zu fassen bekam. Die Wasserrationen konnten auf einen Zug hinuntergehen, so daß es uns im Bauch förmlich gluckerte, und der Hals verlangte heimtückisch immer noch mehr. An solchen Tagen setzten wir zwanzig bis vierzig Prozent Seewasser der Frischwasserration zu und fanden zu unserer Überraschung, daß dieses Brackwasser den Durst löschte. Noch lange hinterdrein spürten wir den Seegeschmack, aber nie wurde uns übel. So wurde unser Wasservorrat bedeutend gestreckt. Eines Morgens, als wir beim Frühstück saßen, schlug ein Brecher unerwartet herauf und in unsere Hafergrütze. Er lehrte uns ganz unaufgefordert, daß der Haferbrei den dumpfigen Seegeschmack in der Salzwassermischung überdeckt.
Die alten Polynesier bewahrten eigentümliche Überlieferungen. Sie berichteten nämlich, daß ihre ältesten Vorväter, als sie über das Meer einwanderten, Blätter einer bestimmten Pflanze mitführten. Wenn man diese kaute, legte sich der Durst. Die Pflanze bewirkte auch, daß sie in einer Zwangslage schieres Meerwasser trinken konnten, ohne davon krank zu werden. Solche Pflanzen wuchsen nicht auf den Südseeinseln und mußten daher aus der Heimat ihrer Vorväter stammen. Diese Behauptungen der polynesischen Historiker waren so hartnäckig, daß moderne Forscher begannen, die Sache zu untersuchen. Sie kamen dabei zu dem Resultat, daß die einzige bekannte Pflanze mit einer solchen Wirkung die Koka ist, die bekanntlich nur in Peru wächst. Und im prähistorischen Peru wurde eben diese Koka, die das Kokain enthält, sowohl von den Inkas wie von deren verschwundenen Vorgängern fleißig verwendet. Dies wissen wir aus den Grabfunden der Vorinkazeit. Auf mühsamen Fahrten über die Berge und zur See führten sie Bündel von solchen Blättern mit sich, die sie Tage hindurch kauten, um Durst und Müdigkeit fernzuhalten, und über kürzere Zeiträume kann das Kauen von Kokablättern auch gegen Seewasser immun machen.
Wir wollten die Kokablätter nicht an Bord der »Kon-Tiki« erproben, aber wir hatten auf dem Vorderdeck große, geflochtene Körbe voll von anderen Pflanzen, die den Südseeinseln tiefere Spuren aufgeprägt hatten. Die Körbe standen im Schutz der Hüttenwand befestigt, und gelbe Sprossen und grüne Blätter schössen im Lauf der Zeit länger und länger aus dem Flechtwerk hervor, wie ein kleiner Tropenwald an Bord des Floßes. Als die ersten Europäer auf die Südseeinseln kamen, fanden sie große Plantagen mit Süßkartoffeln auf der Osterinsel, genauso wie auf Hawaii oder auf Neuseeland. Dieselbe Kartoffel wurde auch auf den anderen Inseln gepflanzt, aber ausschließlich auf polynesischem Gebiet. Sie war in jenen Erdteilen, die weiter gegen Westen lagen, völlig unbekannt. Die Süßkartoffel war eine der wichtigsten Kulturpflanzen auf diesen entlegenen Inseln, wo die Menschen im Wesentlichen von Fischen lebten. Viele Legenden der Polynesier kreisten um diese Pflanze. Nach ihren Mythen war sie von keinem geringeren als Tiki selbst mitgebracht worden, als er mit seiner Frau Pani die Heimat seiner Vorväter verließ, wo die Süßkartoffeln ein wichtiges Nahrungsmittel gewesen waren. Legenden auf Neuseeland betonen, daß die Süßkartoffel mit Fahrzeugen über das Meer gebracht wurde, die keine richtigen Kanus waren, sondern aus ganzen Stämmen, »mit Tauen zusammengebunden«, bestanden.
Nun war, wie bekannt, Amerika der einzige Platz in der ganzen Welt, wo die Kartoffel vor der Zeit der Europäer wuchs. Und die Süßkartoffel, die Kon-Tiki mit sich auf die Inseln brachte, Ipomoea batatas, ist genau dieselbe, die die Indianer in Peru seit den ältesten Zeiten bauen. Getrocknete Süßkartoffeln waren der wichtigste Reiseproviant sowohl für die Seefahrer Polynesiens als auch für die Eingeborenen im alten Peru. Auf den Südseeinseln will die Süßkartoffel nur unter sorgfältiger Pflege des Menschen gedeihen, und da sie das Seewasser nicht verträgt, kann ihre Verbreitung auf diesen isolierten Inseln kaum damit erklärt werden, daß sie 8000 Kilometer mit den Meeresströmungen von Peru angetrieben sei. Besonders schwierig ist das Wegerklären eines so wichtigen Indiziums, nachdem die Sprachforscher aufgezeigt haben, daß alle die zerstreuten Südseeinseln die Süßkartoffel Kumara nannten. Kumara war auch die Benennung derselben Süßkartoffel bei den alten Indianern von Peru. Der Name folgte der Kartoffel über das Meer.
Eine andere wichtige polynesische Kulturpflanze, die wir mit uns auf der »Kon-Tiki« hatten, war der Flaschenkürbis, Lagenaria vulgaris. Genauso wichtig wie die Frucht selbst war ihre Schale, die die Polynesier über dem Feuer trockneten und als Wasserbehälter gebrauchten. Auch diese typische Tropenpflanze, die sich noch weniger dadurch verbreiten kann, daß sie allein über das Meer treibt, hatten die Polynesier mit der Urbevölkerung in Peru gemeinsam. Solche Flaschenkürbisse, zu Wasserbehältern hergerichtet, wurden in den prähistorischen Wüstengräbern an der Küste von Peru gefunden. Solche Kürbisse wurden hier von der Fischerbevölkerung verwendet, Jahrhunderte bevor die ersten Menschen die Inseln im Stillen Ozean erreichten. Die polynesische Bezeichnung für den Flaschenkürbis, Kimi, findet sich bei den Indianern in Mittelamerika wieder, wo die Kultur Perus ihre tieferen Wurzeln hat.
Außer einer Reihe von zufälligen Südfrüchten, die wir verspeisten, bevor sie im Verlauf von ein paar Wochen schlecht wurden, hatten wir eine dritte Pflanze an Bord, die neben der Süßkartoffel die größte Rolle in der Geschichte des Stillen Ozeans gespielt hat. Wir hatten zweihundert Kokosnüsse mit, die unseren Zähnen etwas zu arbeiten gaben und einen erfrischenden Trank lieferten. Einzelne Nüsse begannen sofort zu sprossen, und als wir zehn Wochen auf See lagen, hatten wir ein halbes Dutzend Palmenbabys, bis zu einem halben Fuß hoch, an Bord, die bereits ihre Sprossen öffneten und dicke, grüne Blätter formten. Die Kokosnuß wuchs bereits in vorkolumbianischer Zeit sowohl auf der Panamahalbinsel wie in Südamerika. Der Chronist Oviedo schreibt, daß die Kokospalme bereits bei der Ankunft der Spanier in großen Mengen in Peru vorkam. Gleichzeitig existierte sie längst auf allen Inseln des Pazifik. Die Botaniker haben noch keinen sicheren Beweis, in welcher Richtung sie sich über das Meer verbreitet hat. Aber etwas hat man heute herausgefunden: sogar die Kokosnuß in ihrer berühmten Schale kann ein Weltmeer nicht ohne menschliche Hilfe überwinden. Die Nüsse, die wir an Deck in Körben stehen hatten, hielten sich eßbar und keimkräftig bis nach Polynesien. Aber etwa die Hälfte unseres Vorrats hatten wir im Wogengischt beim Spezialproviant unter Deck. Jede einzelne verdarb im Seewasser. Und keine Kokosnuß kann rascher über das Meer treiben als ein Balsafloß, das den Wind zur Hilfe hat. Es zeigten sich Stellen auf den Nüssen, die Wasser gezogen hatten und aufgeweicht waren, so daß das Seewasser eindringen konnte. Und außerdem gab es in Neptuns Ernährungsamt Polizeiorgane genug, die dafür sorgten, daß nichts Eßbares von der einen Hälfte der Welt nach der anderen schwamm.
Mitten draußen auf dem Meer geschah es an ruhigen Tagen, daß wir in einen weißen Vogelschwarm hineinsegelten, der sich auf den Wellen wiegte. Vereinzelte Sturmschwalben und andere Seevögel, die auf See schlafen konnten, trafen wir nämlich Tausende von Seemeilen vom nächsten festen Punkt. Sahen wir uns dieses kleine Federvolk im Näherkommen an, so bemerkten wir, daß sie zwei bis drei Passagiere an Bord hatten, die auf ihnen elegant mit dem Winde dahinsegelten.
Als die »Kon-Tiki« wie ein anderer Goliath daherkam, bemerkten diese Passagiere, daß hier ein Schiff mit besserer Fahrt und mehr Raum vorbeizog, und dann kamen sie alle seitlich in rasender Geschwindigkeit über die Wasserfläche daher und herauf auf unsere »Kon-Tiki«, während die Vögel ihre Fahrt allein fortsetzen konnten. So begann es bald von blinden Passagieren an Bord der » Kon-Tiki« zu wimmeln. Es waren kleine Meerkrabben von der Größe eines Fingernagels bis zu der eines Fünförestücks. Sie stellten einen Leckerbissen für die Goliaths an Bord dar, wenn diese sie zu fassen bekamen. Solche kleine Krabben nun waren die Polizeipatrouillen Neptuns. Sie waren immer geschwind zur Stelle, wenn etwas Eßbares zu haben war. Als der Koch eines Tages einen fliegenden Fisch zwischen den Stöcken übersah, war dieser am nächsten Tag von acht bis zehn kleinen Krabben bedeckt, die ihn mit ihren Scheren in sich hineingabelten. Meistens waren sie ängstlich, verschwanden und versteckten sich, wenn wir kamen, aber achtern in einem kleinen Loch am Steuerklotz wohnte eine, die Johannes hieß und ganz zahm war. Außer dem Papagei, der unser aller lustiges Nesthäkchen war, wurde auch die Krabbe Johannes in unsere Gemeinschaft an Deck aufgenommen. Ohne Gesellschaft von Johannes fühlte sich der Steuermann, wenn er so dasaß mit dem Rücken zur Hütte und durch den Sonnenschein steuerte, ganz einsam draußen auf dem großen, blauen Meer. Andere kleine Krabben zottelten lichtscheu herum und stahlen Kleinigkeiten, wie Kakerlaken, auf einem gewöhnlichen Schiff, aber Johannes saß breit und rund in seiner Türöffnung und wartete mit Stielaugen auf den Wachwechsel. Jeder neue Posten brachte ein Keksbröckchen oder einen Fischhappen für Johannes mit. Wir brauchten uns bloß über das Loch zu beugen, so kam er ganz heraus auf die Treppe und streckte die Scheren vor. Er nahm uns das Stückchen aus den Fingern und lief in sein Loch zurück, wo er sich in die Türöffnung setzte und wie ein Schulbub mummelte, der das Essen in den Mund stopft, ohne seine Fäustlinge auszuziehen.
Die Krabben saßen wie Kletten auf den wasserdurchtränkten Kokosnüssen, die durch die Gärung aufsprangen. Ansonsten fingen sie Plankton und Kleintiere, die die Wogen herauf spülten. Und diese allerkleinsten Planktontiere im Meere waren ja auch beste Nahrung, selbst für uns Goliaths auf dem Floß, wenn wir nur die Methode heraushatten, genug davon zu fangen, um auf einmal ein richtiges Maulvoll davon zu bekommen.
Es ist klar, daß in diesem fast unsichtbaren Plankton ein sehr hoher Nährwert stecken muß. Es treibt in unendlicher Zahl mit den Strömungen auf den Weltmeeren herum, und es gibt kein Tier dort, das nicht seine Existenz auf dem Plankton aufbauen würde. Fische und Seevögel, die selbst kein Plankton fressen, leben jedenfalls von anderen Fischen und Seetieren, die das tun, ganz unabhängig von ihrer eigenen Größe. Plankton ist ein Sammelname für tausendfältige Arten von sichtbaren und unsichtbaren Mikroorganismen, die unter der Oberfläche treiben. Manche sind Pflanzen (Phyto-Plankton), während andere lose Fischeier und lebende Kleintiere darstellen (Zoo-Plankton). Das Tier-Plankton lebt vom Pflanzen-Plankton, und das Pflanzen-Plankton lebt von Ammoniak, Nitriten und Nitraten, die aus dem toten Tier-Plankton gebildet werden. Und während sie so voneinander leben, bilden sie zusammen Nahrung für alles, was in und über dem Meere fleucht und kreucht. Das, was sie nicht durch ihre Dimensionen bewirken, das machen sie durch die Menge wett. In gutem Planktonfahrwasser findet man Tausende in einem Glas voll Wasser. Mehr als einmal sind Menschen auf dem Meer verhungert, weil sie glaubten, sie könnten nur von großen Fischen leben, die sie spießen, im Netz fangen oder harpunieren konnten. Dabei segelten sie buchstäblich in stark verdünnter roher Fischsuppe. Hätten sie zu Angelhaken und Netz ein Gerät gehabt, fein genug, die Suppe abzuseihen, in der sie saßen, hätten sie einen nahrhaften Satz gefunden: das Plankton. Vielleicht werden sich die Menschen einmal dazu verstehen, Plankton im Meer zu ernten, wie sie einst lernten, Korn einzusammeln. Ein vereinzeltes Korn taugt auch nichts, aber in großen Mengen ist es Nahrung.
Der Meeresbiologe Dr. A. D. Bajkov brachte uns auf die Idee und schickte uns auch ein Fischnetz, das in einem genauen Verhältnis zu den Dingen, die wir fangen wollten, stand. Das »Netz« war ein Seidengewebe mit fast dreitausend Maschen im Quadratzoll. Es war wie ein hufeisenförmiger Beutel genäht und hing an einem Eisenring mit anderthalb Fuß Öffnung hinter dem Floß im Schlepp. Genau wie bei anderen Fischen war der Fang je nach Zeit und Ort verschieden. Der Fang nahm ab, als das Meer weiter westlich wärmer wurde. Außerdem hatten wir unsere besten Resultate in der Nacht, anscheinend tauchten viele Arten bei Sonnenschein in die Tiefe.
Hätten wir auf dem Floß keinen anderen Zeitvertreib gehabt, wäre es jedenfalls unterhaltsam genug gewesen, die Nase ins Planktonnetz zu stecken, nicht wegen des Geruchs, denn der war übel, und nicht zum Appetitanregen, denn als gemischtes Kompott sah Plankton grauslich aus. Aber die phantasievollen Formen und Farben nahmen kein Ende, wenn wir es auf ein Brett ausschütteten und uns die einzelnen Kleintiere mit bloßen Augen betrachteten.
Die meisten waren winzigkleine Garneelen (Copepoden) oder frei schwimmende Fischeier, aber es gab auch Fischlarven und Schalentiere, wunderliche Miniaturkrabben in allen Farben, Quallen und eine endlose Variation von winzigen Geschöpfen, die aussahen, als waren sie Walt Disneys Phantasie entsprungen. Manche erinnerten an befranste und flackernde Spukwesen aus Zellophanpapier, während andere rotschnäbeligen Miniaturvögeln mit harten Schalen anstatt der Federn glichen. Es war kein Ende an zügellosen Erfindungen der Natur in der Planktonwelt, hier konnte sich sogar ein surrealistischer Künstler überboten fühlen.
Dort, wo der kalte Humboldtstrom unter dem Äquator nach Westen bog, konnten wir alle paar Stunden die Planktongrütze kiloweise aus dem Sacke leeren. Das Plankton lag hier zusammengebacken wie weicher Kuchen in farbenreichen Schichten, braun, rot, grau und grün, je nachdem wir verschiedene Planktonfelder passierten. Wenn nachts Meerleuchten war, war es, als zöge man einen Sack mit funkelnden Juwelen herein. Wenn wir ihn in die Hände bekamen, wurde der Seeräuberschatz zu Millionen von winzigen Garneelen und phosphorglitzernden Fischlarven, die wie ein glimmender Kohlenhaufen im Dunkeln glosten. Und wenn wir sie in den Eimer schütteten, dann lief der Teig heraus wie eine glitzernde Zaubergrütze von Glühwürmchen. So schön dieser Nachtfang von weitem war, so gottlos wirkte er aus der Nähe. Je übler der Geruch, desto besser war der Geschmack, wenn man nur mutig einen Löffel Meerleuchten in den Mund führte. Waren viele Zwerggarneelen darunter, so schmeckte es wie Garneelen-, Hummeroder Krabbenpastete. Waren es im wesentlichen Fischeier, so schmeckte es wie Kaviar und hin und wieder wie Austern. Das Pflanzenplankton war entweder so klein, daß es mit dem Wasser durch das Netz verschwand, oder aber es war so groß, daß wir es mit den Fingern herausfischen konnten. Wie Haare in der Suppe kamen vereinzelte große, geleeartige Zölenteraten vor, die an zentimeterlange Glasballons erinnerten, außerdem noch Quallen. Sie waren bitter und mußten herausgesucht werden. Sonst konnte man alles essen, entweder so, wie es war, oder gekocht in Frischwasser als Grütze oder Suppe. Über den Geschmack läßt sich streiten. Zwei Mann an Bord meinten, Plankton schmecke schlecht, zwei waren der Ansicht, daß es gut sei, und zwei hatten schon beim Anschauen gegessen. Ernährungsmäßig war es den großen Schalentieren durchaus gleichwertig, und gut gewürzt und geschickt zubereitet kann es bestimmt ein erstklassiges Gericht für alle werden, die Seekost lieben. Daß es Kalorien genug in diesen Kleinorganismen gibt, beweist der Blauwal, der als größtes Tier der Welt doch nur von Plankton lebt Unsere eigene Fangmethode mit dem kleinen Netz wirkte furchtbar armselig auf uns als ein vorbeischwimmender Bartenwal uns zum Bewußtsein brachte, auf welch einfache Weise dieser das mitsamt dem Meerwasser aufgenommene Plankton durch seine Zelluloidbarten abseihen kann.
»Schaut euch den einmal an«, sagten Torstein und Bengt verächtlich als wir unser Planktonnetz in den Wogen verloren hatten .»Haltet einmal ein Zündhölzchen in die Barten, dann werdet ihr bald merken, daß es nach verbranntem Zelluloid riecht «
Bisher hatte ich nur aus der Ferne vom Schiff aus Wale gesehen, und im Museum war ich einmal einem ausgestopften auf einen halben Meter Abstand nahe gekommen. Aber ich habe nie ein Gefühl der Sympathie für diesen Riesenhaufen gehabt, wie sonst für ehrliche, warmblütige Tiere zum Beispiel für ein Pferd oder für einen Elefanten. Biologisch hatte ich zwar den Wal schon als waschechten Vierbeiner anerkannt. Aber in seinem Wesen war er mir im großen ganzen wie ein dicker, kalter Fisch erschienen. Unser Eindruck, als sich die großen Wale auf uns zuwälzten, dicht an der Seite des Floßes, war indessen ein ganz anderer. Eines schönen Tages saßen wir wie gewöhnlich auf der Floßkante und speisten so nah am Wasser, daß wir uns bloß nach rückwärts zu beugen brauchten, um das Geschirr reinzuspülen da fuhren wir plötzlich erschreckt hoch, als hinter uns etwas schwer pustete wie ein schwimmendes Pferd, und ein mächtiger Wal in die Höhe kam und uns anglotzte, so nahe, daß wir tief in sein Blasloch hineinsahen, das wie ein Lackschuh glänzte. Es war so ungewöhnlich, ein richtiges Pusten hier heraußen auf dem Meer zu hören, wo alle lebenden Wesen lungenlos durchs Wasser glitten und höchstens klatschend herumschlugen, daß wir förmlich ein warmes Gefühl der Verwandtschaft zu unserem alten Kollegen von der gleichen Firma, dem Wal verspürten, der sich gleich uns so ewig weit aufs Meer verirrt hatte. An Stelle des kalten, krötengesichtigen Walhaies, der keinerlei Sinn dafür hatte, die Nase nach frischer Luft heraufzustrecken, hatten wir hier Besuch von jemand bekommen, der an ein gut gefüttertes und joviales Flußpferd aus einem Tiergarten erinnerte. Und er blies noch freundlich, bevor er wieder ins Meer sank und verschwand. Das alles machte einen mächtig sympathischen Eindruck auf mich.
Walbesuch war überhaupt häufig. Meistens waren das kleine Spring-und Zahnwale, die sich in großen Schwärmen um uns auf der Wasserfläche herumtummelten, und ab und an waren es auch fette Pottwale und große Bartenwale, die entweder vereinzelt oder in kleinen Herden auftauchten. Manchmal zogen sie vorbei wie ein Schiff am Horizont, während sie hin und wieder ihren Atemstrahl zum Himmel emporschickten, aber manchmal setzten sie auch genau Kurs auf uns. Wir waren auf eine bösartige Kollision gefaßt, als das erste Mal ein solcher schwerer Riese von einem Wal seinen Kurs änderte und zielbewußt in genauer Richtung auf das Floß angeschwommen kam. Je mehr er sich näherte, desto deutlicher konnten wir ihn in schweren und langgestrecktem Stoß pusten und blasen hören, jedesmal wenn er seinen Kopf über das Wasser herauf rollte. Er war wie ein enorm dickhäutiges und unförmiges Landtier, das rauschend durch das Wasser kam. Er hatte ebensowenig mit einem Fisch zu tun wie eine Fledermaus mit einem Vogel. Er kam genau von Backbord auf uns zu, wo wir vollzählig auf der Floßkante standen, während ein Mann auf der Mastspitze saß und herunterrief, er sähe weitere sieben bis acht Stück, die ebenfalls auf dem Wege zu uns seien. Die große und glänzende, prachtvolle schwarze Schädelwölbung des ersten Wales war nicht mehr als zehn Meter von uns entfernt, als er sich unter die Wasserfläche sinken ließ. Dann sahen wir den ungeheuren, blauschwarzen Walrücken ruhig unter das Floß gleiten, genau unter unsere Füße. Hier lag er einen Augenblick dunkel und unbeweglich, und wir hielten den Atem an, als wir auf die gigantische, gewölbte Rückenfläche dieses Säugers niedersahen, der erheblich länger war als das ganze Floß. Dann ließ er sich langsam weiter hinuntersinken durch das bläuliche Wasser und schwand uns aus den Augen. In der Zwischenzeit hatten wir die ganze Meute auf den Leib bekommen, aber sie wollten uns nichts Böses. Wale, die ihre Riesenkräfte mißbraucht und Walfänger mit ihrem Schwanz zum Sinken gebracht hatten, waren vermutlich selbst zuerst angegriffen worden. Den ganzen Vormittag hindurch hatten wir die pustende und blasende Gesellschaft um uns. Ihre Fontänen wuchsen in die Luft, wo wir sie am allerwenigsten erwarteten, ohne daß sie selbst das Floß oder das Steuerruder auch nur streiften. Sie hatten förmlich ihren Spaß daran, sich frei in Sonne und See zu tummeln. Aber um die Mittagszeit tauchte der ganze Schwarm wie auf ein gegebenes Signal unter und war verschwunden.
In unserer Bambushütte finden wir Schutz gegen den Wind und Schatten vor der Tropensonne. Zwischen den Wänden von geflochtenem Bambus und unter einem Dach von Bananenblättern fühlen wir uns wie im Urwald. Von links nach rechts: Watzinger, Haugland, Raaby, Danielsson und der Verfasser.
Oben: Unter dem bärtigen Antlitz Kon-Tikis. Das Gesicht auf dem Segel ist einer Bildsäule jenes verschwundenen Monarchen nachgebildet, der ein hellhäutiges Kulturvolk vor fünfzehnhundert Jahren denselben Weg übers Meer führte.
Unten: Flauer Wind und tropische Wärme plagen uns wenig. An schönen Tagen unternehmen wir in einem kleinen Gummiboot weite Ausflüge aufs Meer hinaus.
Nicht nur Wale bekamen wir unter dem Floß zu sehen. Wenn wir die Schilfmatten hoben, auf denen wir schliefen, sahen wir zwischen den klaffenden Stämmen direkt in das kristallklare Wasser hinab. Warteten wir einen Augenblick, so sahen wir eine Brust- oder Schwanzflosse vorbeiziehen, und bisweilen bekamen wir ganze Fische vor unsere staunenden Augen. Wären die Zwischenräume ein paar Zoll breiter gewesen, so hätten wir gemütlich im Bett liegenbleiben und mit einer Schnur unter den Matratzen fischen können.
Vor allem hielten sich Dolfine und Lotsenfische ans Floß. Von dem Augenblick, an dem sich die ersten Dolfine in der Strömung vor Callao uns anschlossen, verging nicht ein Tag auf der ganzen Reise, an dem uns diese großen Fische nicht umkreisten. Wir wußten nicht, was sie zum Floß zog. Aber entweder war es die magische Wirkung des reibenden Daches oder es war die reichliche Nahrung in unserem Küchengarten aus Tang, Seegras und Entenmuscheln, die wie Girlanden hinter allen Stämmen und hinter dem Steuerruder hingen. Es begann mit einer dünnen Lage von glattem Grünzeug, aber bald wuchsen die grünen Tangbüschel mit verblüffender Geschwindigkeit heraus. So glich die »Kon-Tiki« bald einem bärtigen Wassermann, der sich durch die Wogen schob, und drinnen im Tang bildete sich ein beliebter Aufenthaltsplatz für winzige Fischbrut und unsere blinden Passagiere, die Krabben.
Es war eine Zeit, in der die Ameisen an Bord überhandzunehmen drohten. Eine kleine Art Ameisen muß in einem der Stämme gewesen sein, und als wir auf See kamen und die Feuchtigkeit in das Holz einzudringen begann, da wimmelten sie hervor bis in unsere Schlafsäcke. Sie überschwemmten aber auch alles und bissen und quälten uns so, daß wir schon meinten, sie würden uns vom Floß vertreiben, Aber später, als sie auf dem Meer immer mehr in die Feuchtigkeit gerieten, ging es ihnen auf, daß hier nicht ihr richtiges Element war. Nur vereinzelte Exemplare hielten stand, bis wir die andere Seite des Meeres erreichten. Neben den Krabben gefiel es den drei bis vier Zentimeter langen Entenmuscheln am besten auf dem Floß. Sie wuchsen zu Hunderten hier, besonders in Lee, neue Larven setzten sich fest und wuchsen heran, wenn wir die alten in den Suppentopf pflückten.
Die Entenmuscheln waren frisch und schmeckten delikat. Der Tang wurde als Salat gepflückt, war eßbar, aber weniger gut. Daß die Dolfine sich in unserem Grünzeuggarten versorgten, bekamen wir zwar nie direkt zu sehen, aber ständig wendeten sie den blinkenden Bauch in die Luft und strichen unter die Stämme.
Der Dolfin, ein farbenreicher tropischer Fisch, darf nicht mit dem Delphin verwechselt werden, der ein kleiner Zahnwal ist. Der gewöhnliche Dolfin hat eine Länge von l bis 1,35 Meter, ist auf der Seite stark abgeflacht, mit einer enormen Höhe über Kopf- und Nackenpartie. Einmal maßen wir bei einer Länge von 1,34 Meter eine Kopfhöhe von 37 Zentimeter. Er hat eine prächtige Farbe. Im Wasser schillert er wie eine Schmeißfliege in Blau und Grün, während seine Flossen goldgelb glitzern. Aber zogen wir ihn an Bord, so bekamen wir ein wunderliches Schauspiel zu sehen. Wenn er starb, veränderte er allmählich seine Farbe und wurde silbergrau mit schwarzen Flecken, und schließlich wurde er einfarbig silberweiß. Das dauerte vier bis fünf Minuten, und zuletzt kamen die alten Farben langsam wieder zurück. Sogar im Wasser konnte der Dolfin bei gewissen Veranlassungen seine Farbe wechseln wie ein Chamäleon, und oft sahen wir eine »ganz neue Art« von kupferglänzenden Fischen, die sich bei näherer Bekanntschaft als unser altes Gefolge, die Dolfine, entpuppten.
Die hohe Stirn gab dem Dolfin das Aussehen einer flachgedrückten Bulldogge, und diese Stirn fährt immer über die Wasserfläche dahin, wenn der Raubfisch selbst wie ein Torpedo hinter einem fliehenden Schwarm fliegender Fische dahinrauscht. Wenn er guter Laune war, legte er sich auf die Seite, nahm rascheste Fahrt, bis er hoch in die Luft sprang und platt wie ein Pfannkuchen herunterklatschte, daß eine Fontäne in die Höhe ging. Er war noch nicht ganz im Wasser, als er noch einmal einen Schwung hinauftat und wieder einen, über die Dünungen hinweg. Aber wenn er schlechter Laune war, wie zum Beispiel, wenn wir ihn auf das Floß zogen, dann biß er. Torstein lief längere Zeit mit einem Lappen um die große Zehe herum, weil er sie irrtümlich in das Maul eines Dolfins gesteckt hatte, der es schloß und noch ein bißchen extra darauf kaute. Nach der Heimkunft erfuhren wir, daß der Dolfin badende Menschen angreift und mit größtem Vergnügen verspeist. Das war nun für uns wenig schmeichelhaft, denn wir pflegten täglich unter ihnen zu baden, ohne daß sie sich besonders für uns interessiert hätten. Aber sie waren fürchterliche Raubtiere, denn wir fanden sowohl Tintenfische wie auch ganze fliegende Fische in ihrem Magen. Fliegende Fische waren überhaupt ihr Leibgericht. Auf alles, was auf die Wasserfläche klatschte, jagten sie blind zu in der Hoffnung, daß es ein fliegender Fisch sei. Manche verschlafene Morgenstunde, wenn wir gerade aus der Hütte krochen und halbwach die Zahnbürste in die See tauchten, erwachten wir mit einem Ruck, wenn ein fünfzehn Kilogramm schwerer Fisch wie ein Blitz unter dem Floß hervorgeschossen kam und enttäuscht sein Gebiß in die Zahnbürste schlug. Und wenn wir uns friedlich mit dem Frühstück auf der Floßkante zurechtsetzten, kam es vor, daß sie in die Höhe sprangen und einen von ihren kräftigsten Seitenplatschern taten, so daß uns das Seewasser den Rücken hinabfloß und in unser Essen spritzte.
Torstein setzte unserer Fischerei die Krone auf, als wir eines Tages beim Mittagessen saßen. Plötzlich legte er die Gabel weg und steckte die Hand ins Meer. Ehe wir uns dessen versahen, wirbelte das Wasser hoch auf, und ein großer Dolfin landete zappelnd unter uns. Torstein hatte seine Klaue um das kurze Ende einer Fischleine geschlagen, die ruhig vorbeigeglitten kam. An ihrem anderen Ende aber hing ein vollständig überrumpelter Dolfin, der Erich wenige Tage vorher mit einem Haken durchgegangen war.
Es verging kein Tag, ohne daß wir sechs bis sieben Dolfine um uns hatten, die uns in Kreisen und unterhalb des Floßes folgten. An schlechten Tagen waren es vielleicht nur zwei oder drei, aber am Tage darauf konnten wieder dreißig und vierzig auf einmal auftauchen. In der Regel genügte es daher, den Koch zwanzig Minuten vorher zu verständigen, wenn wir frischen Fisch zum Mittag wünschten. Dann band er eine Schnur an eine kurze Bambusstange und hängte einen halben fliegenden Fisch an den Haken. Wie ein Blitz war der Dolfin da, durchschnitt die Wasserfläche mit seiner prachtvollen Stirn und jagte auf den Happen zu, zwei oder drei andere in seinem Kielwasser. Der Dolfin war ein prächtiger Gesell und kein Spielverderber. Frisch gefangen, war er kernfest und delikat wie eine Mischung von Dorsch und Lachs. Zwei Tage hielt er sich auch gut, und mehr war gar nicht für uns notwendig, denn es gab genug Fische im Meer.
Mit den Lotsenfischen wurden wir auf eine andere Art bekannt. Ein Hai brachte sie mit und ließ sie uns nach seinem Tode adoptieren. Wir waren noch nicht lange auf See gewesen, als wir schon den ersten Haibesuch bekamen, und Haie wurden rasch ein fast alltägliches Ereignis. Es kam vor, daß sie nur auf Inspektion des Floßes angesegelt kamen und weiter auf Raub zogen, nachdem sie uns ein- oder zweimal umkreist hatten. Aber meistens hielten sich die Haie in unserem Kielwasser dicht hinter dem Steuerruder. Hier zogen sie uns lautlos nach und kurvten von Steuerbord nach Backbord, während sie nur selten bedächtig mit dem Schwanz schlugen, um Schritt zu halten mit dem ruhigen dahingleiten des Floßes. Der blaugraue Haikörper spielte im Sonnenlicht dicht unter dem Wasserspiegel ins Braune. Sie folgten den Wogen auf und nieder, so daß die Rückenflosse immer verräterisch in die Luft stach. War schwere See, konnten sie oft mit den Wogenwänden hoch über unser eigenes Niveau gehoben werden, so daß wir sie direkt von der Seite sahen, während sie würdig mit ihrem wimmelnden Gefolge von kleinen Lotsenfischen vor dem breiten Maul wie hinter einer Glaswand dahinschwammen. Einige Sekunden konnte es aussehen, als ob sie und ihr gestreiftes Gefolge genau zu uns an Bord geschwommen kämen, bevor sich das Floß elegant überlegte, sich auf den Wogenkamm hinaufschwang und auf der anderen Seite wieder heruntersank.
Im Anfang hatten wir großen Respekt vor dem Hai wegen seines Renommees und seines schreckeneinjagenden Aussehens. Es war eine gnadenlose Kraft in diesem stromlinienförmigen Körper, der nur aus einem einzigen stählernen Muskelbündel bestand. Es war eine kalte Gier in dem breiten, flachen Kopf mit den kleinen, grünen Katzenaugen und dem enorm klaffenden Maul, das Fußbälle schlucken konnte.
Wenn der Steuermann rief: »Hai Backbord!« oder »Hai Steuerbord!« pflegten wir nach Handharpunen und Haigabeln hinauszufahren und uns längs der Kante des Floßes aufzustellen. Er glitt meistens rund um uns herum, die Rückenflosse dicht an den Stämmen. Und der Respekt vor dem Hai stieg, als wir sahen, daß sich die Gabeln wie Spaghetti verbogen, wenn wir sie gegen den Sandpapierpanzer des Rückens stießen, und die Speerspitzen der Harpunen in der Hitze des Kampfes brachen. Alles, was wir erreichen konnten, wenn wir die Haihaut bis in den Knorpelschädel oder in die Muskelstränge durchdrangen, war ein höllischer Kampf, in dem das Wasser nur so wallte, bis der Hai sich losriß und verschwand, während ein wenig Öl heraufschwamm und sich über die Wasserfläche ausbreitete.
Um unsere letzten Harpunenspitzen zu sparen, banden wir ein Bündel unserer stärksten Fischhaken zusammen und verbargen sie im Kadaver eines ganzen Dolfins. Mit enggedrehten Stahlseilen hängten wir sie an ein Stück Rettungsseil und warfen den Lockbissen über Bord. Ruhig und sicher kam der Hai und schob die Schnauze über das Wasser, öffnete mit einem Ruck das riesige, halbmondförmige Maul und ließ den ganzen Dolfin kurzerhand verschwinden. Und dann saß er fest. Es wurde ein fürchterlicher Waffengang. Tobend schlug der Hai das Wasser zu Schaum, aber wir hatten das Seil fest in der Faust und zogen den widerstrebend Herumschlagenden an die Stämme am Heck. Hier blieb er abwartend liegen und sperrte bloß den Rachen auf, wie um uns mit seinen parallelen Reihen von Sägeblattzähnen zu schrecken. Hier warteten wir auf eine See, um ihn auf die niedrigen, tangglatten Endstämme hinaufzuhieven, und nachdem wir hinterhältig eine Schlinge um seine Schwanzflosse geworfen hatten, zogen wir uns zurück, bis der Kriegstanz vorüber war.
In den Schädelknorpeln des ersten Haies fanden wir eine unserer Harpunenspitzen. So glaubten wir zuerst, darin den Grund für die verhältnismäßig bescheidene Kampflust dieses Exemplars gefunden zu haben. Aber später fischten wir Hai um Hai ganz nach derselben Methode - es ging jedesmal so glatt. Sogar wenn der Hai zu reißen und zu ziehen vermochte, und obwohl er so unangenehm schwer zu hantieren war, so wurde er doch förmlich mutlos und zahm und machte nie vollen Gebrauch von seinen Riesenkräften, wenn es uns nur glückte, die Leine so straff zu halten, daß der Hai bei diesem Tauziehen nicht einen Zoll gewinnen konnte. Die Haie, die wir an Bord zogen, waren leicht zwei bis drei Meter lang. Es waren Blauhaie sowohl wie Braunhaie. Der Letztgenannte hatte über seinen Muskelbündeln eine Haut, durch die es fast unmöglich war, ein scharfes Messer zu stoßen, außer wir stießen mit allen Kräften zu - und kaum dann. Die Bauchhaut war ebenso undurchdringlich wie der Rücken. Die fünf offenen Kiemenspalten seitlich des Schädels waren der einzige verwundbare Punkt.
Wenn wir einen Hai hereinzogen, hatten sich oft schwarze und glitschige Remorafische an seinem Körper festgesogen. Mit Hilfe einer ovalen Saugschale auf dem flachen Kopf saßen sie so festgenagelt, daß wir sie nicht losbekamen, auch wenn wir mit aller Kraft am Schwanz zogen. Aber selbst konnten sie sich lösen und weghüpfen und sich im Laufe einer Sekunde an einem anderen Platz anheften. Wenn es ihnen zu dumm wurde, am Hai festzukleben, sintemalen ihr alter Hauswirt kein Zeichen machte, ins nasse Element zurückzukehren, sprangen sie ab und verschwanden zwischen den Stämmen des Floßes, um sich einen anderen Hai zu suchen. Fanden sie nicht gleich zu einem solchen, so befestigten sie sich in der Zwischenzeit an der Haut eines anderen Fisches. Die Remorafische maßen von einem Finger bis zu einem Fuß in der Länge. Wir erprobten auch den alten Trick der Eingeborenen, den sie anwendeten, wenn sie einen lebenden Remorafisch zu fassen bekamen. Sie banden nämlich eine Schnur um seinen Schwanz und ließen ihn davonschwimmen. Er würde sich am ersten Fisch festsaugen, den er traf, und würde so festhalten, daß ein Fischer mit einigem Glück beide am Schwanz des Remorafisches hereinziehen konnte. Wir selbst hatten damit kein Glück. Jedesmal, wenn wir den Remorafisch mit einer Schnur um den Schwanz über Bord warfen, zottelte er nicht weit, sondern saugte sich sofort an den Stämmen unseres Floßes fest. Er war dabei wohl in dem frommen Glauben, nun einen extragroßen Riesenhai gefunden zu haben. Und hier hing er dann, wenn wir auch noch sehr an unserer Schnur zogen. Nach und nach bekamen wir mehrere solcher kleinen Remorafische mit uns. Sie baumelten steifnackig zwischen dem Bewuchs unserer Floßkanten. Von nun an ritten sie mit uns über den ganzen Stillen Ozean.
Aber der Remorafisch war dumm und häßlich und wurde deshalb kein so nettes Haustier wie sein lustiger Reisegenosse, der Lotsenfisch. Der Lotsenfisch ist klein und zigarrenförmig, mit Zebrastreifen, und treibt sich in hellen Haufen dicht vor der Haischnauze herum. Er hat seinen Namen davon erhalten, weil man lange glaubte, er würde seinen halbblinden Freund, den Hai, durch das Meer dirigieren. In Wirklichkeit treibt er sich nur selbst im Gefolge des Haies herum, und fährt er auf etwas los, so nur deshalb, weil er Nahrung für sich selbst erkannt hat.
Die Lotsenfische folgten auch ihrem Herrn und Meister bis zum letzten Augenblick. Aber da sie sich nicht wie die Remorafische an die Haut des Riesen anklammern konnten, waren sie völlig in Aufruhr, wenn ihr alter Gebieter plötzlich in die Luft hinauf entschwand und nicht wiederkam. Verstört schössen sie durcheinander und suchten. Ständig kamen sie zurück und schwänzelten um unser Heck, dort wo der Hai seine Himmelfahrt angetreten hatte. Aber als die Zeit verging und der Hai nicht wiederkam, mußten sie sich nach einem neuen Herrn umsehen. Und wer lag hier näher als »Kon-Tiki« persönlich?!
Wenn wir uns über die Floßkante hinunterließen, den Kopf tief in dem leuchtend klaren Wasser, sahen wir selbst das Floß wie den Bauch eines Seeungeheuers. Sein Schwanz war unser Steuerruder, und die Schwerter tauchten wie dicke Flossen herab. Und dazwischen schwammen all die adoptierten Lotsenfische getreulich Seite an Seite und ließen sich durch das blubbernde Menschengesicht nicht mehr irritieren, als daß vielleicht einer einen kurzen Abstecher unternahm und uns direkt in die Nase hineinschnüffelte, um dann beruhigt wieder zurückzugleiten und seinen Platz im eifrig schwimmenden Geleit einzunehmen.
Unsere Lotsenfische patrouillierten in zwei Abteilungen. Die meisten marschierten zwischen den Senkkielen, während die anderen sich in eleganter Fächerformation vor unserem Bug hielten. Ab und an kreuzten sie vom Floß weg, um einen eßbaren Happen zu erwischen, an dem wir vorbeisegelten. Und nach den Mahlzeiten, wenn wir die Speiseeimer neben uns ins Wasser schütteten, war es, als hätten wir eine ganze Zigarrenkiste von gestreiften Lotsenfischen noch auf die Speisereste drauf geleert. Kein Bissen war zu klein, als daß sie ihn nicht beschnuppert hätten. Und soweit es nicht vegetabilische Nahrung war, verschwand sie in ihnen. Mit so kindlichem Vertrauen fanden sich diese netten kleinen Fische unter unseren beschützenden Flossen ein, daß wir genauso wie der Hai geradezu väterliche Gefühle für sie hegten. Sie wurden »Kon-Tikis« maritime Haustiere. Es war strenges Tabu an Bord, Hand an einen Lotsenfisch zu legen.
Manche haben sicher ihre Kinderschuhe in unserem Gefolge vertreten. Sie waren kaum einen Zoll lang, während die meisten etwa einen halben Fuß maßen. Als der Walhai mit der Geschwindigkeit eines Blitzes davon jagte, Erichs Harpune im Schädel, da schloß sich ein Teil seiner alten Lotsenfische den Siegern an. Diese Exemplare waren meistens zwei Fuß lang. Nach immer neuen Siegen hatte »Kon-Tiki« bald ein Gefolge von vierzig bis fünfzig Lotsenfischen. Viele davon schätzten unsere langsame Bewegung und unseren täglichen Abfall so sehr, daß sie uns über Tausende von Kilometern folgten.
Aber es kam vor, daß welche untreu wurden. Eines Tages, als ich am Steuerruder stand, merkte ich plötzlich, daß das Meer südlich von uns aufwallte. Und schon kam ein ungeheurer Schwärm von Dolfinen über die Wellen angejagt - wie Silbertorpedos -, sie kamen nicht gemütlich auf die Flachseite platschend wie gewöhnlich, sondern in wahnwitziger Fahrt, mehr durch die Luft als durch das Wasser. Die blauen Dünungen wurden ein einziges, weißschäumendes Chaos von springenden Flüchtlingen, und dahinter, im Zickzack, kam ein schwarzer Rücken wie ein Rennboot über die Wasserfläche geschossen. Die verzweifelten Dolfine kamen unter und über dem Wasser direkt auf das Floß zu, vor dem sie tauchten, während hundert andere sich zu einem dichten Schwarm zusammenschlossen und nach Osten schwenkten, so daß die ganze See achteraus in Farben blinkte. Der glänzende Rücken hinter ihnen wälzte sich halb über die Wasserfläche, tauchte in eleganter Kurve unter das Floß, schoß wie ein Torpedo hinter uns wieder hervor und dem Dolfinschwarm nach. Es war ein teuflischer Kerl von einem Blauhai, fünf bis sechs Meter lang. Und da waren auf einmal viele von unseren Lotsenfischen verschwunden. Sie hatten in ihm einen spannenderen Seehelden als uns gefunden.
Das Seetier, vor dem uns die Fachleute am meisten gewarnt hatten, war indessen der Riesenkrake, denn er konnte auf das Floß heraufklettern. Die Geographische Gesellschaft in Washington hatte uns dramatische Blitzlichtaufnahmen aus einer bestimmten Gegend des Humboldtstromes vorgelegt. Hier hatten die schrecklichen Riesentintenfische in großen Mengen ihren Lieblingsplatz und kamen in der Nacht an die Oberfläche empor. Sie waren so raublustig, daß, wenn einer sich an einem Fleischstück festgesaugt hatte und so an den Haken gekommen war, ein anderer herankam und seinen gefangenen Vetter aufzufressen begann. Sie hatten Fangarme, die einem Riesenhai ein Ende machen und einem großen Wal einen Denkzettel geben konnten, und dazu einen teuflischen Raubschnabel wie ein Adler, zwischen den Tentakeln versteckt. Man brachte uns in Erinnerung, daß sie hier mit phosphorleuchtenden Augen in der Finsternis der Nacht dahintrieben, daß ihre Arme lang genug waren, um in jeden kleinsten Winkel auf dem Floß zu tasten, wenn sie es nicht für gut fanden, selbst an Bord zu kommen. Wir schätzten keineswegs die Zukunftsaussicht, einen kalten Arm um den Hals zu fühlen, der uns in der Nacht aus dem Schlafsack holen könnte. So verschafften wir uns jeder ein säbelartiges Machetemesser für den Fall, daß wir eines Tages erwachen sollten, umschlungen von tastenden Tintenfischarmen. Von allem, was uns bevorstand, schien uns dies am unbehaglichsten, als wir starteten, besonders als die Meeresexperten in Peru in dasselbe Horn bliesen und uns auf der Karte zeigten, wo die schlimmste Gegend war, direkt inmitten des Humboldtstromes.
Lange sahen wir keine Spur von einem Tintenfisch, weder an Bord noch draußen auf See. Aber eines Morgens bekamen wir die erste Warnung, daß wir jetzt in diesem Fahrwasser sein mußten. Als die Sonne aufging, fanden wir ein Zubehör zu einem Riesentintenfisch an Bord in Gestalt eines kleinen Babys, so groß wie eine Katze. Es war im Verlauf der Nacht aus eigener Kraft an Deck gekommen und lag nun, die Fangarme um den Bambus vor der Türöffnung gekrampft, tot da. Schwarze und dickflüssige Tinte war über das Deck verschmiert und umgab es in einer Lache. Nachdem wir einige Seiten im Logbuch mit Tintenfischtinte geschrieben hatten, die sich wie eine Art Tusche ausnahm, warfen wir das Baby über Bord, zur Freude für die Dolfine.
Wir sahen in diesem bescheidenen Ereignis einen Vorboten größerer Nachtgäste. Konnte das Baby an Bord krabbeln, so konnten wohl seine hungrigen Urheber dasselbe tun. Unsere Vorväter haben wohl ein ganz ähnliches Gefühl gehabt, wenn sie auf ihren Wikingerschiffen saßen und an Drachen dachten. Aber das nächste Ereignis brachte uns völlig in Aufruhr. Wir fanden eines Morgens ein noch kleineres Tintenfischjunges auf dem First unseres Palmendaches. Das schaffte uns viel Kopfzerbrechen. Es konnte nicht hinaufgeklettert sein, da sich die Tintenspuren auf seinen engsten Umkreis oben auf dem Dach beschränkten. Hätte es andererseits ein Seevogel fallen gelassen, wäre es nicht so vollständig heil und ohne Schnabelspuren gewesen. Wir kamen zu dem Schluß, daß es von einem Spritzer aufs Dach geschleudert worden war, aber keiner von den Nachtposten konnte sich an eine solche Sturzsee erinnern. Und in den nächsten Nächten fanden wir ständig mehr Tintenfischjunge an Bord - die kleinsten von ihnen waren nicht länger als ein Mittelfinger.
Es war bald ganz alltäglich, daß man ein oder zwei kleine Tintenfische unter den fliegenden Fischen am Morgen an Deck fand, sogar wenn die See ganz ruhig gewesen war. Und es waren Junge der richtigen, teuflischen Art, mit acht langen Armen voller Saugnäpfe und zwei noch längeren, die dornartige Haken an den Enden hatten. Aber große Tintenfische machten nie Anstalten, an Bord zu kommen. Wir sahen ihre Phosphoraugen leuchten, wenn sie in schwarzen Nächten an die Oberfläche trieben. Ein einziges Mal sahen wir bei Tageslicht die Meeresfläche kochen und brodeln und etwas wie ein großes Rad aus der Tiefe auftauchen und in der Luft rotieren. Ein Teil von unseren Dolfinen suchte sich mit einem verzweifelten Satz durch die Luft in Sicherheit zu bringen. Aber warum die Großen nie an Bord kamen, während die Kleinen unsere ständigen Nachtgäste waren, blieb ein Rätsel, dessen Lösung wir auch in den zwei erfahrungsreichen Monaten nicht erhielten, die wir hier in dieser berüchtigten Krakengegend verbrachten. Junge Tintenfische kamen weiterhin an Bord. Da geschah es im Sonnenschein eines Morgens, daß wir alle einen blinkenden Schwarm von irgend etwas Unbestimmbarem sahen, das aus dem Wasser heraufschoß und wie große Regentropfen durch die Luft sauste, während die See von den verfolgenden Dolfinen aufgewühlt wurde. Wir nahmen es zuerst für einen Schwarm fliegender Fische. Wir hatten bereits drei verschiedene Arten davon an Bord bekommen. Aber als sich die Unbekannten näherten und vereinzelte in anderthalb Meter Höhe über das Floß segelten, da stieß einer Bengt vor die Brust und fiel mit einem Platsch aufs Deck. Es war ein junger Tintenfisch. Unsere Überraschung war groß. Als wir ihn in einen Segeltuchbottich mit Seewasser setzten, nahm er einen kräftigen Anlauf und schoß herauf gegen die Oberfläche. Aber in dem kleinen Bottich bekam er nicht genügend Geschwindigkeit, um mehr als halb aus dem Wasser herauszukommen. Es ist längst bekannt, daß der Tintenfisch gewöhnlich nach dem Raketenprinzip schwimmt. Er pumpt Seewasser mit gewaltiger Kraft durch eine offene Röhre seitlich des Körpers aus und kann dadurch ruckweise mit sausender Fahrt nach rückwärts schießen, und wenn er alle Fangarme in einem dichten Bündel über dem Schädel zusammenschließt, wird er stromlinienförmig wie ein Fisch. An den Seiten hat er zwei runde und fleischreiche Hautfalten, die er gewöhnlich zur Steuerung und zum langsamen Schwimmen im Wasser verwendet. Aber es zeigte sich auch, daß verantwortungslose Tintenfischjünglinge, ein Leibgericht für viele große Fische, ihren Verfolgern entkommen konnten, indem sie auf dieselbe Weise in die Luft fuhren wie die fliegenden Fische. Sie hatten das Prinzip des Raketenfluges schon längst verwirklicht, bevor das menschliche Genie auf die Idee gekommen war. Sie pumpten das Seewasser durch sich, bis sie eine rasende Fahrt bekamen, dann steuerten sie schräg hinauf durch die Wasserfläche, indem sie die Hautfalten als Schwingen ausstreckten. Nach Art der fliegenden Fische segelten sie so im Gleitflug über die Wogen, soweit sie ihr Schwung trug. Seitdem wir darauf aufmerksam geworden waren, sahen wir sie oft vierzig bis fünfzig Meter weit dahinsegeln, vereinzelt oder in Rudeln von zwei bis drei Stück. Daß der Tintenfisch gleitfliegen konnte, war eine Neuheit für alle Zoologen, die wir treffen sollten.
Bei den Eingeborenen im Stillen Ozean habe ich oft Tintenfisch gegessen. Er schmeckt wie eine Mischung von Hummer und Kautschuk. Aber auf der »Kon-Tiki« stand der Tintenfisch zuunterst auf der Speisekarte. Bekamen wir ihn auf Deck präsentiert, tauschten wir ihn bloß gegen etwas anderes ein. Dieser Tausch ging so vor sich, daß wir die Angel mit einem Tintenfisch auswarfen, um sie wieder mit einem zappelnden Großfisch hereinzuziehen. Selbst der Thunfisch und der Bonito lieben junge Tintenfische. Und die lieferten ein Gericht, das an der Spitze des Menüs fungierte.
Es waren nicht nur alte Bekannte, auf die wir stießen, als wir so langsam über die Meeresfläche trieben. Das Tagebuch hat viele Notizen folgender Art:
11. 5. Heute kam ein gewaltiges Seetier zweimal neben uns an die Oberfläche als wir an der Floßkante beim Abendessen saßen Es platschte schrecklich und verschwand wieder Wir haben keine Ahnung, was es sein kann.
6. 6. Hermann sah einen dunklen und dicken Fisch mit einem weißen, breiten Körper mit dünnem Schwanz und Stacheln, der viele Male an der Steuerbordseite aus dem Wasser sprang.
16. 6. Ein bemerkenswerter Fisch backbord vom Bug aufgetaucht Zwei Meter lang, einen Fuß an der breitesten Stelle, eine braune, lange, dünne Schnauze, eine große Rückenflosse am Schädel und eine kleinere mitten auf dem Rücken und eine schwere, sichelförmige Schwanzflosse, hielt sich an der Oberfläche und schwamm teilweise durch Winden des Körpers wie ein Aal. Er tauchte, als Hermann und ich im Gummifloß mit der Handharpune auszogen, kam später herauf, tauchte aber wieder und verschwand. Tags darauf. Erich saß im Mastkorb, zwölf Uhr mittags, als er dreißig bis vierzig lange, dünne, braune Fische derselben Art wie gestern zu sehen bekam. Sie kamen mit gewaltiger Fahrt von der Backbordseite dahergejagt und verschwanden nach achtern wie ein großer brauner Schatten in der See.
18. 6. Knut beobachtete ein schlangenartiges Tier, zwei bis drei Fuß lang und sehr dünn, das gerade aufstand und wieder ins Wasser unter die Oberfläche ging, und das tauchte, indem es sich wie eine Schlange hinunterwand. Bei ein paar Gelegenheiten glitten wir an einer großen, dunklen Masse vorbei, die unbeweglich unter der Wasseroberfläche wie eine Unterwasserschäre lag, in der Größe eines Stubenbodens Es war vermutlich der berüchtigte Riesenrochen. Aber nie rührte er sich, und wir kamen nie nahe genug, um die Konturen deutlich zu sehen.
Mit solcher Gesellschaft im Wasser wurde uns die Zeit nie lang Schlimmer war, daß wir auch selbst hinab in die See tauchen sollten, um das Tauwerk an der Unterseite zu inspizieren Eines Tages löste sich einer von unseren Senkkielen und glitt unter das Floß, wo er sich im Tauwerk festhakte, ohne daß wir ihn zu fassen bekamen. Hermann und Knut waren die besten Taucher Zweimal schwamm Hermann unter das Floß unter Dolfine und Lotsenfische und zog und zerrte an dem Brettstück. Er war kaum zum zweitenmal heraufgekommen und saß auf der Kante um zu verschnaufen, als ein acht Fuß langer Hai aus der Tiefe nicht weiter als drei Meter vor seinen Füßen auftauchte, in genauer Fahrtrichtung auf seine Zehenspitzen. Vielleicht taten wir dem Hai unrecht, aber wir hatten ihn im Verdacht, schlechte Absichten zu hegen, und ramten ihm eine Harpune in den Schädel. Der Hai fühlte sich verkannt, und es gab ein erbittertes Tauziehen mit dem Erfolg, daß der Hai verschwand und eine Ölschicht auf der Wasserfläche hinterließ, wahrend der Senkkiel ungeborgen unter dem Floß verklemmt blieb.
Da kam Erich auf die Idee, einen Taucherkorb herzustellen Zwar hatten wir nicht viel Rohmaterial, aber wir hatten Bambus und Tauwerk und einen alten, geflochtenen Korb, in dem Kokosnüsse gewesen waren. Wir verlängerten den Korb oben mit Bambus und Flechtwerk von Tau, und so ließen wir uns in diesem Korb an der Seite des Floßes hinab. Unsere verlockenden Beine waren so im Korb geschützt, und selbst wenn das Flechtwerk offenkundig nur moralischen Effekt sowohl für uns als auch auf die Fische hatte, konnten wir uns doch jedenfalls blitzschnell in den Korb hineinhocken, wenn etwas feindlich Gesinntes auf uns zugejagt kam, und dann konnten uns die anderen an Deck rasch aus dem Wasser ziehen.
Dieser Taucherkorb wurde nicht nur nützlich, er wurde im Laufe der Zeit auch das reinste Vergnügungsunternehmen für alle an Bord. Es gab uns nämlich eine erstklassige Gelegenheit, jenes schwimmende Aquarium kennenzulernen, das wir unter unserem Fußboden hatten.
Wenn sich das Meer begnügte, in ruhigen Wogen dahinzuziehen, krochen wir der Reihe nach hinein und ließen uns in das Wasser hinunterhängen, solange unser Atem reichte. Es war ein eigentümlich klarer und schattenloser Lichtstrom hier unten im Meer. Sobald wir unsere Augen unter der Wasserfläche öffneten, war es, als ob das Licht nicht langer aus einer bestimmten Richtung käme wie in unserer oberseeischen Welt droben.
Watzinger und seine Beute. Von allen Fischen, die uns im Stillen Ozean begegnen, schmecken die Bonitos am besten. Manchmal kommen sie sogar freiwillig.
„Haugland, halt dich fest!" Achteraus an der Ruderpinne hat unser Steuermann oft eine feuchte Wache, wenn die Wellentäler zu eng sind, um Platz für das ganze Floß zu bieten.
Der Lichtschein kam im Wasser genauso von unten wie oben Die Sonne schien nicht länger, sie war allerorten anwesend. Sahen wir hinaus zum Boden des Floßes, so lag er in seiner ganzen Ausdehnung strahlend beleuchtet. Die neun großen Stämme und das ganze Netzwerk von Tauen waren in ein zauberisches Licht getaucht. Ein flatternder Kranz von frühlingsgrünem Seegras umgab alle Seiten und säumte das ganze Steuerruder. Die Lotsenfische schwammen ruhig ihr Geleite wie Zebras in Fischhaut, wahrend große Dolfine uns raublustig in rastlosen, wachsamen Rucken umkreisten. Hie und da leuchtete es im saftigen roten Holz eines Senkkiels, der aus einer Spalte herniederstak, und darauf saßen friedliche Kolonien von weißen Entenmuscheln und winkten rhythmisch mit ihren gefransten gelben Kiemenbuscheln nach Sauerstoff und Nahrung. Wenn ihnen jemand zu nahe kam, schlossen sie eilig die rot und gelbgesäumten Schalen zu und hielten die Türen verschlossen, bis sie fühlten, daß die Gefahr vorüber war. Das Licht hier unten war wunderbar klar und behaglich für uns, die wir an die Tropensonne auf Deck gewöhnt waren. Selbst wenn wir in die bodenlose Meerestiefe hinabsahen, wo ewig schwarze Nacht war, so tönte sich die Nacht für uns durch die zurückgeworfenen Sonnenstrahlen wunderschön hellblau. Zutiefst drunten im klaren, reinen Blau sahen wir zu unserer Verwunderung auch Fische, wenn wir nur selbst unter das Wasser gekommen waren. Es konnten Bonitos sein und andere Arten, die so tief gingen, daß wir sie nicht wiedererkennen konnten. Manchmal kamen sie in gewaltigen Schwärmen, und wir forschten oft danach, ob die ganze Meeresströmung voll von Fischen war oder ob auch hier unten in der Tiefe sich ein Gefolge »Kon-Tikis« versammelt hatte.
Besonders populär war es, einen Ausflug unter die Wasserfläche zu unternehmen, wenn wir Besuch von den großen, gelbflossigen Thunfischen hatten. Oft umringten sie das Floß in ganzen Schwärmen, aber meistens marschierten sie nur zu zweit oder zu dritt und schwammen dann viele Tage hintereinander in ruhigen Kreisen um uns, soweit es uns nicht glückte, sie an die Angel zu bekommen. Vom Floß aus erschienen sie schlecht und recht als große, braune, schwere Fische ohne besondere Eleganz. Aber krochen wir hinunter in ihr eigenes Element, so änderten sie spontan sowohl Farbe wie Form. Die Veränderung war so verwirrend, daß wir viele Male hinauf mußten und eine neue Peilung beginnen, um zu sehen, ob es dieselben Fische waren, die wir über dem Wasser gesehen hatten. Die großen Brocken scherten sich den Teufel um uns. Sie setzten unbeirrt ihre majestätischen Manöver fort und hatten plötzlich eine bewunderungswürdige Eleganz in der Form erlangt. Nie hatten wir dergleichen bei einem anderen Fisch gesehen. Die Farbe war metallisch geworden und spielte in ein schwaches Violett. Wie ein kompakter Torpedo aus glänzendem Silber und Stahl in vollkommenem Gleichgewicht und in Stromlinienform bewegten sie nur ein wenig die verschiedenen Flossen und schössen sofort ihre siebzig bis achtzig Kilogramm mit vollkommenster Beherrschung durchs Wasser.
Je enger wir in Kontakt mit dem Meer und all seinen Geschöpfen kamen, desto weniger fremd wurde es uns, und desto mehr fühlten wir uns selbst zu Hause. So lernten wir die alten Naturvölker respektieren, die Hand in Hand mit dem Stillen Ozean lebten und ihn deshalb aus einem ganz anderen Gesichtswinkel kannten als wir selbst. Uns ist es vielleicht gelungen, seinen Salzgehalt zu errechnen und lateinische Bezeichnungen für Thunfisch und Dolfin auszudenken, sie hatten das natürlich nicht. Aber ich fürchte, daß das Bild, das diese Naturmenschen vom Meer hatten, doch viel richtiger war als unser eigenes.
Es waren nicht viele feste Punkte, auf denen das Auge hier draußen im Meer ruhen konnte. Wogen und Fische, Sonne und Sterne kamen und gingen. Wir konnten kein Land in der Seestrecke von achttausend Kilometern, die die Südseeinseln von Peru trennt, finden. Deshalb waren wir höchst überrascht, als wir uns 100 Grad West näherten und bemerkten, daß genau vor uns in unserer Fahrtrichtung ein Riff in der Karte des Stillen Ozeans angemerkt war. Es war als kleiner Kreis hingetüpfelt, und da die Karte in dem gleichen Jahr herausgegeben war, schlugen wir in den »Sailing Directions for South America« nach und lasen hier:
»Es wurde zuerst 1906 und später auch 1926 berichtet, daß es etwa 600 Meilen südwestlich der Galapagos Brandungswellen auf 6 Grad 42 Minuten südlicher Breite und 99 Grad 43 Minuten westlicher Länge gibt. 1927 passierte ein Schiff eine Seemeile westlich dieser Position, ohne solche Brandung zu sehen, und 1934 kam ein anderes Schiff eine Seemeile südlich daran vorbei, gleichfalls ohne etwas zu beobachten. Das Motorfahrzeug >Cowrie< fand 1935 bei 160 Faden keinen Boden an dieser Stelle.«
Den Karten zufolge war die Stelle ersichtlich weiterhin als ein unsicheres Gefahrenmoment für Fahrzeuge angesehen, und da ein tiefgehendes Schiff ein weit größeres Risiko läuft, wenn es sich einer Untiefe nähert, als wir auf unserem Floß, beschlossen wir, genau auf den Punkt der Karte zuzusteuern und nachzusehen, was es hier zu finden gab. Das Riff war etwas weiter nach Norden angezeichnet als dort, wohin wir voraussichtlich treiben würden. So legten wir das Ruder hinüber gegen Steuerbord und drehten das Rahsegel so, daß der Bug nach Norden zeigte und wir See und Wind von Steuerbord hereinbekamen. Jetzt geschah es wohl, daß etwas mehr vom Stillen Ozean in unsere Schlafsäcke schäumte, als wir es gewohnt waren, besonders als der Wind gleichzeitig beträchtlich aufzufrischen begann. Aber wir sahen, daß die »Kon-Tiki« scharf und sicher in einem verblüffend großen Winkel zur Windrichtung steuerbar war, wenn nur der Wind weiterhin schräg von achtern kam. Sonst schlug das Segel herum, und wir hatten den alten wahnwitzigen Zirkus, um das Floß wieder in unsere Kontrolle zu bekommen. Zwei Tage lang zwangen wir das Floß so nach Nordnordwest. Sturzseen wühlten sich auf und wurden unberechenbar, als der Passat begann, zwischen Südost und Ost zu schwanken, aber was immer gegen uns anbrauste, wir schaukelten darüber hinweg. Wir hatten ständig einen Posten auf der Mastspitze, und wenn wir über die Kämme ritten, weitete sich der Horizont beträchtlich aus. Die Kämme der Seen reichten zwei Meter über die Höhe des Hüttendaches, und wenn zwei energische Seen zusammenwuchsen, dann türmten sie sich im Zweikampf noch höher und hoben eine zischende Schaumkrone in die Luft, die sich in ungeahnter Richtung herunterwälzen konnte.
Als die Nacht hereinbrach, verbarrikadierten wir die Hüttenöffnung mit Proviantkisten, aber es wurde ein nasses Lager. Wir waren kaum eingeschlafen, als es das erste Mal durch die Bambuswand wie durch ein Sieb in tausend Fontänen hereinbrach. Ein schäumender Wasserfall ergoß sich über uns und den Proviant.
»Telefoniert um den Installateur!« hörte ich eine verschlafene Stimme bemerken, als wir zusammenkrochen, damit die See wenigstens durch den Fußboden ablaufen konnte. Der Installateur blieb jedoch aus, und wir bekamen viel Badewasser ins Bett diese Nacht. Sogar ein großer Dolfin landete während Hermanns Wache unverschuldet an Bord.
Am nächsten Tag waren die Seen weniger verwirrt, nachdem der Passat beschlossen hatte, eine Zeitlang genau von Osten zu blasen. Wir lösten einander in der Mastspitze ab, denn wir konnten jetzt erwarten, den verhexten Punkt während des Vormittags zu Gesicht zu bekommen. An diesem Tag bemerkten wir mehr Leben als gewöhnlich in der See, aber vielleicht war es nur, weil wir besser Ausguck hielten. Am Vormittag sahen wir einen großen Schwertfisch, der dicht unter der Oberfläche gegen das Floß gefahren kam. Es waren zwei Meter Zwischenraum zwischen den zwei spitzen Flossen, die aus dem Wasser stachen, und das Schwert war fast ebenso lang wie sein Körper. Der Schwertfisch beschrieb einen Bogen, dicht an unserem Steuermann vorbei, und verschwand hinter den Wellenkämmen. Als wir unsere etwas salztropfende Mittagsmahlzeit einnahmen, wurde eine große Meerschildkröte mit Schild, Kopf und gespreizten Flossen von einer kegelförmigen See dicht vor unserer Nase in die Luft gehoben. Als diese See ihren Platz zwei anderen überließ, war die Schildkröte so plötzlich verschwunden, wie sie aufgetaucht war. Auch dieses Mal sahen wir es weißgrün von Dolfinbäuchen blinken, die sich im Wasser unter dem gepanzerten Reptil tummelten. Die Gegend war ungewöhnlich reich an winzigen fliegenden Fischen, nur einen Zoll lang, die in großen Schwärmen dahinsegelten und oft an Deck landeten. Ebenso beobachteten wir vereinzelte Raubmöwen und bekamen ständig Besuch von Fregattvögeln, die über dem Floß kreisten und wie Riesenschwalben ihre Schwänze spreizten. Fregattvögel werden gern als Zeichen betrachtet, daß Land in der Nähe ist, so daß sich der Optimismus an Bord noch hob.
»Vielleicht ist es doch eine Schäre oder eine Sandbank«, dachte mancher, und unser größter Optimist sagte:
»Stellt euch vor, wir finden einen kleinen grünen Fleck. Man kann nie wissen. Es sind doch nur so wenige gewesen, die vor uns hier waren. Dann haben wir Neuland entdeckt, die Kon-Tiki-Insel.«
Von Mittag an war Erich immer geschäftiger, auf die Küchenkiste zu klettern und mit dem Sextanten zu messen. Um 18.20 Uhr meldete er 6 Grad 42 Minuten südliche Breite und 99 Grad 42 Minuten westliche Länge als Position. Wir waren nun eine Seemeile genau östlich vor dem Riff auf unserer Karte. Die Bambusrah wurde gefiert und das Segel auf Deck aufgerollt. Der Wind kam genau von Osten und würde uns langsam dicht an die Stelle bringen. Da die Sonne rasch im Meer verschwand, durfte der Mond mit all seinem Glanz aufgehen und leuchtete über die Meeresfläche, die in Schwarz und Silber von Horizont zu Horizont wogte. Die Sicht von der Mastspitze war gut. Brechende Seen sahen wir überall in langen Reihen, aber keine stehende Brandung, die von einem Riff oder einer Untiefe herrühren konnte. Keiner wollte in die Koje kriechen, alle spähten gespannt hinaus, und zwei oder drei Mann hingen immer auf einmal im Mast. Und während wir über das Zentrum trieben, loteten wir nach Boden. Alles, was wir an Bleigegenständen an Bord hatten, wurde am Ende von 800 Metern 54fädiger Seidenschnur befestigt, und selbst wenn diese Schnur durch die Abtrift teilweise schräg zum Grund hing, so ging dieses Lot doch auf jeden Fall bis zu 600 Meter tief, und hier existierte kein Grund, weder westlich der Stelle, mitten darin, noch östlich von ihr. Wir warfen noch einen letzten Blick über die Meeresfläche. Nachdem wir uns vergewissert hatten, daß wir mit Sicherheit die Gegend erforscht nennen konnten und sie frei von Untiefen jeder Art gefunden hatten, hißten wir unser Segel und legten das Ruder in seine gewöhnliche Stellung hinüber, so daß Wind und Wetter wieder von Backbord achtern hereinkamen, und dann ging es weiter mit dem natürlichen, freien Kurs des Floßes. Wie zuvor kamen die Wellen und verschwanden zwischen den gespreizten Stämmen am Achterdeck. Wir konnten von neuem trocken schlafen und essen, selbst wenn die Sturzseen um uns wieder ernst wurden und noch viele Tage hausten, während der Passat von Ost nach Südost schwenkte.
Bei dieser kleinen Segeltour gegen das falsche Riff hatten wir eine ganze Menge über die Wirkung der Senkbretter als Kiele gelernt, und als Hermann und Knut im weiteren Verlauf der Reise gemeinsam unter das Floß tauchten und jenes fünfte Senkbrett bargen, erfuhren wir noch mehr über diese nützlichen Brettstücke, Dinge, die kein Mensch mehr verstanden hatte, seitdem die Indianer selbst diesen vergessenen Sport im Futteral ließen. Daß diese Senkbretter als Kiele wirkten und dem Floß gestatteten, in einem Winkel mit dem Winde zu fahren, war klar wie dicke Tinte. Aber daß die alten Spanier behaupteten, daß die Indianer in großem Umfange auch ihre Balsaflöße auf dem Meer zu steuern wußten mit Hilfe gewisser versenkbarer Bretter, die sie in die Zwischenräume zwischen den Stämmen hinuntersteckten, hörte sich ganz unbegreiflich an für uns alle, die sich jemals mit diesem Problem beschäftigten. Da diese Bretter in einer schmalen Spalte festsaßen, konnten sie ja nicht nach der Seite verdreht werden und daher auch nicht als Ruder wirken.
Wir kamen auf die Lösung dieses Geheimnisses auf folgende Art: Der Wind war stetig und die See wieder ruhig geworden, so daß die »Kon-Tiki« seit ein paar Tagen einen scharfen Kurs lief, ohne daß wir an dem festgebundenen Steuerruder rührten. So steckten wir den wiedergefundenen Senkkiel in einen Zwischenraum im Achterdeck, und momentan schwenkte die »Kon-Tiki« ab, und zwar um viele Grade von Westen gegen Nordwesten und setzte sicher und ruhig ihren neuen Kurs fort. Zogen wir dieses Brett wieder herauf, schwenkte das Floß wieder in seine alte Richtung zurück, zogen wir es bloß halb heraus, so ging es auch wieder halb auf den alten Kurs. Durch einfaches Heben und Senken dieser Schwerter konnten wir neue stabile Kurse ausstekken, ohne das Steuerruder zu verändern. Das war das geniale Geheimnis der Inkas: sie arbeiteten ein einfaches Gleichgewichtssystem aus, bei dem Mast und Segel den festen Punkt bildeten, auf den der Druck des Windes wirkte. Die zwei Hebelarme waren das Floß vor und hinter dem Mast. Wurde die gesamte Senkkielfläche achtern übermächtig, dann schwang der Vordersteven mit dem Winde herüber, wurde aber die Senkkielfläche vorne stärker, so drehte das Achterende mit dem Winde. Die Senkkiele, die dem Mast am nächsten waren, waren selbstverständlich am wenigsten wirksam auf Grund des Verhältnisses zwischen Gewichtsarm und Kraft. Kam der Wind genau von achtern, so hörte die Wirkung dieser Bretter auf. Aber da war es auch unangenehm, das Floß ruhig zu halten, ohne ständig mit dem Steuerruder zu arbeiten. Und fuhr das Floß so ganz seiner Länge nach, wurde es auch ein wenig zu lang, um frei über die Seen zu gleiten. Und nachdem die Hüttentür und der Speiseplatz auf der Steuerbordseite waren, nahmen wir auch deshalb immer den Wind schräg von Backbord achtern. Wir hatten es nun leicht, unseren Weg über das Meer fortzusetzen, indem der Steuermann diese Senkkiele in einer Spalte auf- und niederhob, anstatt am Tauwerk beim Steuerruder zu ziehen, aber wir hatten uns so an das Steuerruder gewöhnt, daß wir nur den groben Kurs mit den Senkkielen setzten, während wir es vorzogen, mit dem Ruder zu steuern.
Der nächste Markstein der Reise war gleich unsichtbar für das Auge wie jene Schäre, die nur auf der Karte existierte. Es war der fünfundvierzigste Tag auf See. Wir waren hier vom 78. Längengrad bis zum 108. Grad gekommen und waren nun genau auf halbem Wege zu den ersten Inseln vor uns. Es waren viertausend Kilometer hinter uns nach Südamerika im Osten und gleich weit vorwärts nach Polynesien im Westen. Der nächste feste Punkt in irgendeiner Himmelsrichtung waren die Galapagosinseln im Nordnordosten und die Osterinsel genau im Süden. Beide sind über tausend Kilometer weit durch ein endloses Weltmeer getrennt. Schiffe hatten wir keine gesehen, und wir bekamen auch überhaupt keine zu Gesicht, denn wir befanden uns außerhalb der Routen für allen gewöhnlichen Schiffsverkehr im Ozean. Aber wir bekamen nie ein genaues Gefühl für diese enormen Entfernungen, denn der Horizont glitt unmerklich mit uns, da wir selbst trieben, und unsere fließende oder schwimmende Welt blieb immer die gleiche. Das Floß war das Zentrum, um das sich der weite Himmel wölbte. Und dieselben Sterne drehten sich über uns Nacht für Nacht.