4. Über den Stillen Ozean

Dramatischer Start. Wir werden auf See geschleppt. Der Wind frischt auf. Kampf mit den Wogen. Das Leben im Humboldtstrom. Das Flugzeug findet uns nicht. Die Stämme ziehen Wasser. Holzwerk Kontra Tauwerk. Fliegende Fischgerichte. Ein rarer Schlafgenuß. Der Schlangenfisch vergreift sich. Inseln im Meer. Meeresspuk. Begegnung mit dem größten Fisch der Welt. Jagd auf Seeschildkröten.

An dem Tag, an dem die »Kon-Tiki« auf See geschleppt werden sollte, herrschte emsiges Leben und Treiben im Hafen von Callao. Minister Nieto hatte den Marineschlepper »Guardian Rio« beordert, uns aus der Bucht zu ziehen und aus dem Küstenverkehr zu lösen, bis in die Gewässer hinaus, wo die Indianer einst mit ihren Flößen gefischt hatten. Die Tageszeitungen brachten die Neuigkeit in roten und schwarzen Schlagzeilen, und das Volk lief schon früh in den Morgenstunden des 28. April auf den Kais zusammen.

Wir sechs, die wir zusammen an Bord gehen sollten, hatten alle unsere kleinen Anliegen in elfter Stunde zu erledigen, und als ich an den Kai herunterkam, war bloß Hermann als Wache auf dem Floß zur Stelle. Absichtlich ließ ich das Auto schon lange vorher halten und schritt die ganze lange Mole aus, um mir die Beine noch einmal ordentlich zu vertreten, das letzte Mal für unbekannte Zeit. Dann sprang ich an Bord des Floßes. Hier sah es schlankweg chaotisch aus. Bananenbüschel, Fruchtkörbe und Säcke hatte man in allerletzter Stunde an Bord geworfen. Sie mußten noch verstaut und vertäut werden, sobald wir uns einigermaßen an Bord eingerichtet hatten. Mittendrauf auf dem wüsten Haufen saß Hermann ergeben und hielt einen Käfig mit einem grünen Papagei, der letzten Abschiedsgabe einer freundlichen Seele in Lima, auf den Knien.

»Paß einen Augenblick auf den Papagei auf«, sagte Hermann, »ich muß noch auf einen Sprung an Land auf ein Glas Bier, es dauert sicher noch ein paar Stunden, bis der Schlepper kommt.«

Kaum war er in dem Gewimmel am Kai verschwunden, als die Leute zu zeigen und zu winken begannen, und um die Ecke kam er denn mit Volldampf, unser Schlepper »Guardian Rio«. Er warf Anker vor dem wiegenden Meer von Masten, das den Weg zur »Kon-Tiki« versperrte, und schickte ein dickes Motorboot herein, um uns zwischen den Segelbooten hindurchzubugsieren. Dieses war gestopft voll von Marinesoldaten, Offizieren und Filmfotografen, und während die Kommandorufe dröhnten und die Kameras schnurrten, wurde ein starkes Tauende am Bug unseres Floßes befestigt.

»Un momento«, rief ich verzweifelt, der ich dasaß mit meinem Papagei,

»es ist zu früh, wir müssen auf die anderen warten, los expedicionarios«, erklärte ich und deutete in die Stadt.

Aber niemand nahm von mir Notiz. Die Offiziere lachten nur höflich, und der Knoten am Bug wurde besonders exemplarisch befestigt. Ich knüpfte die Schlinge los und warf sie mit allerhand Zeichen und Gebärden über Bord. Der Papagei benützte die gute Gelegenheit in diesem Wirbel, seine Krallen aus dem Bauer herauszustrecken und den Türverschluß zu drehen. Als ich mich umwandte, stolzierte er eben vergnügt aufs Bambusdeck. Ich versuchte ihn zu greifen, aber er schimpfte auf spanisch los und flatterte über die Bananenbüschel davon. Ein Auge auf die Matrosen, die den Bug in eine Schlinge zu legen versuchten, startete ich zu einer wilden Jagd auf den Papagei. Schreiend suchte er in der Bambushütte Zuflucht. Dort konnte ich ihn in eine Ecke treiben und ihn an einem Fuß erwischen, als er versuchte, über mich hinwegzukurven. Als ich herauskam und meine flügelschlagende Trophäe wieder im Käfig hatte, hatten die Matrosen an Land glücklich alle Vertäuungen des Floßes gelöst, und so tanzte es hilflos hinaus und herein im Sog der langen Dünungen, die über die Mole hereinschlugen. In meiner Verzweiflung erwischte ich ein Paddelruder und versuchte vergebens, die knirschenden Stöße zu parieren, wenn das Floß gegen die Pfähle des Kais geschleudert wurde. Da sprang das Motorboot an, und mit einem Ruck begann die »Kon-Tiki« ihre lange Fahrt. Mein einziger Begleiter war ein leider nur spanisch sprechender Papagei. Auch er war verbiestert und stierte erbittert aus seinem Käfig. Das Volk an Land jubelte und winkte, und die geschniegelten Filmfotografen fielen fast ins Wasser vor Eifer, alle Details vom dramatischen Start der Expedition von Peru mitzubekommen. In einsamer Verzweiflung stand ich auf dem Floß und spähte nach meinen verlorenen Trabanten, aber niemand kam. Wir näherten uns bereits dem »Guardian Rio«, der unter Dampf lag und unverzüglich Anker lichten und auslaufen würde.

In einem Satz war ich die Strickleiter hinauf und machte so viel Spektakel an Bord, daß der Start gestört wurde. Man schickte ein Rettungsboot an den Kai zurück. Dieses blieb eine gute Weile aus und kam vollbeladen mit schönen Senoritas zurück, aber nicht mit einem einzigen von den vermißten Leuten der »Kon-Tiki«. Das war ja nun schön und gut, aber keine Lösung für meine Probleme, und während das Floß von graziösen Senoritas nur so wimmelte, ging das Rettungsboot neuerlich auf Jagd nach los expedicionarios noruegos.

In der Zwischenzeit kamen Erich und Bengt an den Kai heruntergeeilt, mit ihren Siebensachen und mit Lesestoff beladen. Sie stießen auf den Menschenstrom, der auf dem Heimweg war, und wurden zum Schluß bei der Polizeiabsperrung von einem liebenswürdigen Beamten aufgehalten, der ihnen erklärte, daß es nichts mehr zu sehen gäbe. Bengt teilte dem Constabel unter einer flotten Geste mit der Zigarre mit, daß sie nicht um zu sehen herunterkämen, sie gehörten selbst aufs Floß.

»Nützt leider nichts«, sagte der Constabel bedauernd, »die >Kon-Tiki< ist schon vor einer Stunde ausgelaufen.«

»Unmöglich«, behauptete Erich und zog ein Paket hervor, »hier ist die Lampe.«

»Und er ist der Steuermann, und ich bin der Steward«, ergänzte Bengt.

Sie drängten sich vorbei, aber das Floß war tatsächlich weg. Sie liefen verzweifelt vor und zurück, die Mole entlang, wo sie die übrige Mannschaft trafen, die ebenfalls auf eifriger Suche nach dem verschwundenen Floß war. Endlich bekamen sie das hereinkommende Rettungsboot zu Gesicht, und dann waren wir alle plötzlich wieder vereint. Das Wasser schäumte um das Floß, als uns der »Guardian Rio« auf See schleppte.

Es war später Nachmittag geworden, als wir starteten, und der »Guardian Rio« wollte uns nicht loslassen, bevor wir nicht am nächsten Morgen frei vom Küstenverkehr waren. Gleich außerhalb der Mole bekamen wir unruhige See, und alle die kleinen Boote, die uns begleiteten, wendeten nach und nach und kehrten zurück. Nur einige von den großen Lustjachten folgten uns ganz hinaus bis zum Ausgang der Bucht, um zu sehen, wie es uns da draußen ergehen würde.

Die »Kon-Tiki« folgte dem Schlepper wie ein stoßender Bock an der Leine und steckte den Bug in die stampfenden Seen, daß das Wasser nur so über Bord schäumte. Das sah wenig vertrauenerweckend aus, denn das war hier ruhige See im Vergleich zu dem, was wir zu erwarten hatten. Kaum waren wir mitten in der Bucht, als das Kabel, an dem das Floß hing, riß und das längere Ende auf unserer Seite langsam versank, während der Schlepper weiterdampfte. Wir legten uns entlang der Kante des Floßes platt nieder, um nach dem Ende des Kabels zu fischen, während die Jachten an uns vorbeizogen und den Schlepper anzuhalten versuchten. Nesselquallen, dick wie Bottiche, klatschten mit den Wellen entlang des Floßes auf und nieder und umgaben alle Taue mit einem schleimigen und brennenden Belag. Wenn das Floß sich hob, hingen wir flach über die Kante und angelten mit den Armen gegen die Wasserfläche hinunter, bis die Hände das glitschige Kabel berührten. Wenn dann das Floß wieder hinuntertauchte, steckten plötzlich alle Mann ihren Kopf tief in die Wellen, während sich Salzwasser und Riesenquallen über unsere Rücken ergossen. Wir spuckten und fluchten und zogen uns die Quallenfäden aus dem Haar. Aber als der Schlepper zurückkam, war das Kabelende wieder an Deck und klar zum Spleißen. Als wir es dann an Bord des Schleppers werfen wollten, trieben wir plötzlich unter das überhängende Heck des Schiffes und waren in Gefahr, durch den Wasserdruck zerquetscht zu werden. Wir ließen alles liegen und stehen, was wir in Händen hatten, und bemühten uns, uns mit Bambusstangen und Paddelrudern freizuhalten, bevor es zu spät war. Aber wir kamen nie richtig zurecht, denn wenn wir in einem Wellental waren, erreichten wir das Eisendach über uns nicht, aber wenn das Wasser uns wieder hob, dann schlug der ganze Steven des »Guardian Rio« in den Wasserspiegel und hätte uns flachgedrückt, wenn wir in den Sog geraten wären. Oben an Deck lief das Volk durcheinander und schrie. Endlich begann der Propeller neben uns sich in Gang zu setzen, und das half uns, von dem Strudel unter dem »Guardian Rio« in letzter Minute klarzukommen. Der Bug des Floßes hatte einige kräftige Schläge auszuhalten gehabt und hing nun etwas windschief in den Zurrungen, aber das richtete sich langsam von selbst zurecht.

»Wenn etwas so schlecht anfängt, dann muß es ja gut gehen«, sagte Hermann, »wenn nur dieses Schleppen ein Ende hat, ehe es das Floß in Stücke zerreißt.«

Aber die Schlepperei dauerte in langsamer Fahrt die ganze Nacht und verlief bis auf ein paar kleine Zwischenfälle glatt. Längst hatten uns die Jachten Lebewohl gesagt, und das letzte Leuchtfeuer war achteraus verschwunden. Nur einige wenige Schiffslichter passierten uns im Dunkeln. Wir teilten die Nacht in Wachen, um ein Auge auf das Kabel zu halten, und alle taten einen guten Schlaf. Als es wieder tagte, lag dichter Nebel über der Küste von Peru, während wir einen strahlend blauen Himmel im Westen vor uns hatten. Die See rollte in langen, ruhigen Dünungen, von leichten Schaumkämmen gekrönt, und Kleider und Baumstämme und alles, was wir in die Hand nahmen, war dampfend naß vom Tau. Es war kühl, und das grüne Wasser um uns war erstaunlich kalt für zwölf Grad südlich des Äquators. Es war der Humboldtstrom, der seine kalten Wassermassen von der Antarktis heraufwälzte, sie nach Norden die ganze peruanische Küste entlangschob, um dann dicht unterhalb des Äquators nach Westen hinaus über das Meer zu biegen. Hier draußen waren Pizarro, Zarate und die anderen frühen Spanier das erste Mal auf die großen Segelflöße der Inka-Indianer gestoßen, die sich fünfzig bis sechzig Seemeilen auf Meer hinauswagten, um Thunfische und Dolfine mitten im Humboldtstrom zu fischen. Tagsüber kam der Wind vom Lande, während er am Abend wieder auf das Land zu stand und ihnen heimhalf, wenn sie es wünschten.

Der Schlepper lag in der Nähe, und da wir ängstlich besorgt waren, das Floß möglichst weit weg zu halten, setzten wir unser kleines aufgeblasenes Gummiboot zu Wasser. Das hüpfte wie ein Fußball über die Wellen und tanzte mit Erich, Bengt und mir los, bis wir die Strickleiter zum »Guardian Rio« zu fassen bekamen und an Bord klettern konnten. Bengt verdolmetschte uns unsere genaue Position auf der Karte. Wir waren jetzt fünfzig Seemeilen von Land, nordwestlich von Callao, und mußten in den ersten Nächten noch Laternen tragen, um nicht von Küstendampfern gerammt zu werden. Weiter draußen würden wir keinem Schiff mehr begegnen, denn es gab keine Route, die diesen Teil des Pazifiks durchschnitt.

Wir nahmen feierlich Abschied von allen an Bord, und viele freundliche Blicke folgten uns, als wir wieder ins Gummiboot hinunterstiegen und über die Wogen zurück zur »Kon-Tiki« davontanzten. Dann wurde das Schlepptau gekappt, und das Floß lag allein. Fünfunddreißig Mann an Bord der »Guardian Rio« standen an der Reling und winkten, solange wir die Konturen unterscheiden konnten, und sechs Mann saßen ihrerseits auf den Kisten an Bord des Floßes und folgten dem Schlepper mit den Augen, solange wir ihn sehen konnten. Erst als sich die dunkle Rauchsäule hinter der Kimmung auflöste und verschwand, schüttelten wir uns und nickten einander zu.

»Gute Fahrt!« sagte Torstein. »Jungens, jetzt können wir den Motor in Gang setzen.«

Alles lachte. Wir prüften die Windrichtung. Es ging ein ganz schwaches Lüftchen, das sich von Süden nach Südosten gedreht hatte. Wir hißten die Bambusrah mit dem großen vierkantigen Segel, aber das hing ganz schlaff und gab dem Kon-Tiki-Gesicht ein runzliges, unzufriedenes Aussehen.

»Der Alte schaut sich gar nicht gleich«, sagte Erich, »wie der jung war, hat es wahrscheinlich stärker geblasen.«

»Am liebsten möchte man antauchen!« meinte Hermann und warf einen Balsaspan am Bug hinaus:

»Eins - zwei - drei --- neununddreißig, vierzig, einundvierzig.«

Der Balsaspan lag immer noch ruhig und fest neben dem Floß. Noch hatte er den ganzen Weg an der Seite entlang nicht zurückgelegt.

»Wir werden wohl mit ihm zugleich hinüberkommen«, sagte Torstein optimistisch.

»Ja, hoffentlich treiben wir nicht mit der Abendbrise zurück«, meinte Bengt. »Es war ja sehr unterhaltsam beim Abschied in Callao, aber auf den nächsten Willkomm kann ich wohl verzichten!«

Der Span hatte endlich das Ende des Floßes erreicht. Wir riefen Hurra und begannen jetzt alles zu verstauen und festzubinden, was in letzter Minute an Bord geschleppt worden war. Bengt stellte einen Primus auf den Boden einer leeren Kiste, und bald tranken wir warmen Kakao und aßen Keks und öffneten eine frische Kokosnuß. Die Bananen waren noch nicht richtig reif.

»Jetzt haben wir es schon ganz gut«, brummte Erich zufrieden. Er stieg einher in einer dicken Schafpelzhose und einem mächtigen Indianerhut, mit dem Papagei auf der Schulter.

»Nur eins schätze ich dabei weniger«, lachte er dann, »und das sind alle diese ungenauen Gegenströme, die uns geradewegs auf die Klippen vor der Küste setzen können, wenn wir hier auf diese Art liegenbleiben.«

Wir erwogen die Möglichkeit zu paddeln, aber wurden uns einig, uns dem Wind zu überlassen.

Und der Wind kam. Sachte und stetig blies er von Südost daher. Bald füllte sich das Segel und blähte sich wie eine frohlockende Brust, mit dem Kon-Tiki-Kopf strotzend von Unternehmungslust. Die »Kon-Tiki« begann, sich in Bewegung zu setzen.

Wir drehten gegen Westen und zogen an Schoten und Seilen. Das Steurruder wurde achtern ins Wasser gelassen, und die Wachliste trat in Kraft. Wir warfen Papierkugeln und Späne neben den Bug und standen achtern mit der Uhr:

»Eins - zwei - drei- - -acht - neun - jetzt!« Das Papier und die Holzstückchen passierten das Steuerruder, und bald lagen sie wie Perlen einer Schnur und tauchten in den Wellentälern hinter uns auf und nieder. Es ging voran, Meter für Meter. Die »Kon-Tiki« pflügte die See, zwar nicht so wie ein schnittiges Rennboot - dick und breit, schwer und solid schob sie sich bedächtig vor über die Wogen. Sie übereilte sich nicht, aber wenn sie einmal in Gang gekommen war, dann arbeitete sie sich mit unwandelbarer Energie voran.

Die Steuerung bedeutete augenblicklich unser größtes Dilemma. Das Floß war wohl genauso gebaut, wie es die Spanier beschrieben, aber heutzutage konnte uns kein Mensch mehr einen praktischen Einführungskurs im Segeln auf Indianerflößen geben. Das Problem war zwar unter den Experten an Land gründlich diskutiert worden, aber mit mageren Resultaten. Sie verstanden genauso wenig davon wie wir selbst.

Da der Südost rasch an Stärke zunahm, wurde es notwendig, den Kurs des Floßes so zu halten, daß das Segel von achtern gut gefüllt wurde. Wenn das Floß die Seite zu stark gegen den Wind drehte, schlug plötzlich das Segel um und drängte auf Last und Volk und Hütte, während sich das ganze Floß wendete und denselben Kurs zurück nahm. Das wurde ein schwerer Gefechtsgang, wenn dann drei Männer mit dem Segel rauften und die drei anderen an dem langen Steuerruder arbeiteten, um die Nase des Floßes herum - und wieder an den Wind zu bekommen. Und sobald wir es fertiggebracht hatten, mußte der Steuermann aufpassen wie ein Schießhund, daß nicht im gleichen Augenblick das ganze Theater von vorn losging.

Das sechs Meter lange Steuerruder lag frei zwischen zwei Haltepflöcken auf einem mächtigen Klotz am Achterende. Dasselbe Steuerruder hatten unsere eingeborenen Freunde gebraucht, als wir den Palenque-Fluß in Ecuador hinuntergetrieben waren. Die lange Stange aus Mangleholz war zäh wie Stahl, aber schwer genug, um wie ein Stein zu sinken, wäre sie über Bord gegangen. Am Ende der Stange war ein großes Ruderblatt aus Kiefernholz mit einem Tau festgebunden. Es nahm alle unsere Kräfte in Anspruch, dieses lange Steuerruder festzuhalten, wenn die Wogen dagegen schlugen, und die Hände wurden von dem krampfhaften Griff müde, mit dem wir den Schaft umklammerten, damit das Ruderblatt senkrecht in die See niedertauchte Dieses letzte Problem wurde gelost, als wir einen Querstock am Handgriff des Steuerruders befestigten, so daß ein Hebelarm entstand, an dem wir drehen konnten Dabei versteifte sich die Brise ständig.

Schon am Nachmittag blies der Passat mit voller Starke. Bald wühlte er das Meer in brausende Seen auf, die sich von achtern über uns stürzten. Erst jetzt wurde uns allen klar, daß hier das Meer selbst uns entgegenkam. Jetzt war es ernst. Alle Brücken waren abgebrochen. Ob es gut gehen wurde, das hing ganz allein von der Seetüchtigkeit des Balsafloßes ab.

Wir wußten, von jetzt ab würden wir nie wieder den Wind aufs Land zu bekommen und damit auch keine Chance, je wieder umzukehren. Wir waren mitten in den Passat hineingekommen, und jeder Tag würde uns weiter und weiter hinaus aufs Meer führen. Es lag nur mehr daran, jetzt mit vollen Segeln durchzuhalten. Selbst wenn wir versuchen sollten, die Nase heimwärts zu drehen, so wurden wir trotzdem rücklings aufs Meer hinaustreiben. Es gab nur mehr einen einzigen Kurs den Wind von achtern zu nehmen, den Bug gegen Sonnenuntergang gerichtet. Das war ja schließlich und letzten Endes der Sinn unserer Fahrt. Wir wollten der Sonne auf ihrem Weg folgen, wie Kon-Tiki und die alten Sonnenanbeter es einmal gemacht hatten, wenigstens unserer Meinung nach, als sie von Peru aufs Meer getrieben wurden.

Wir bemerkten mit Triumph und Erleichterung, wie sich das Floß über die ersten drohenden Wogenkämme schwang, die wider uns schäumten. Aber es war unmöglich für den Steuermann, das Ruder festzuhalten, wenn sich brausende Seen über ihn wegwälzten und das Ruder aus dem Widerlager hoben oder es zur Seite drückten. Dann wurde er herumgeschleudert wie ein hilfloser Akrobat. Selbst zwei Mann zugleich konnten das Ruder nicht festhalten, wenn sich die Seen gegen uns erhoben und sich über die Steuerwache am Heck ergossen. So verfielen wir darauf, Stricke vom Ruderblatt zu jeder Seite des Floßes zu ziehen. Mit anderen Tauen banden wir das Ruder in seinem Widerlager fest, so daß ihm nur mehr eine begrenzte Bewegungsfreiheit verblieb. Auf diese einfache Art konnten wir auch den schwersten Seen trotzen, wenn wir uns nur selbst festzuhalten vermochten.

Steuerwache: Wir teilen den Tag in zweistündige Wachen am Steuerruder. Türmen sich auch die Seen in Masthöhe vor uns auf, wir entgehen ihnen doch, wenn der Wind von achtern gegen die Backbordseite kommt. Der Kapitän des Floßes am Ruder.

Oben: In voller Fahrt bei steifer Brise.

Unten: Sturzsee über uns. Blick vom Mast auf die Steuerwache.


Als sich die Wellentaler immer tiefer eingruben, wurde uns klar, daß wir in den reißendsten Teil des Humboldtstroms gekommen waren. Hier wirkte die Strömung und nicht nur der Wind. Das Wasser war grün und kühl und umgab uns auf allen Seiten. Die zackigen Berge Perus waren in den dichten Wolkenbänken hinter uns versunken. Als sich die Dunkelheit über das Meer senkte, begann unser erster Zweikampf mit den Elementen. Noch waren wir unsicher auf See, noch war es gänzlich ungewiß, ob sie sich als Freund oder Feind jener engen Gemeinschaft zeigen würde, die wir selbst gesucht hatten. Als wir im Dunkel der Nacht hörten, wie das Heulen des Meeres rund um uns plötzlich von dem Dröhnen eines nahenden Wogenrückens übertönt wurde und ein weißer Kamm in der Höhe des Hüttendaches auf uns zukam, klammerten wir uns fest und warteten düsteren Sinnes, daß die Wassermassen über uns und dem Floß zusammenschlugen. Aber jedesmal erlebten wir dieselbe Überraschung und dieselbe Erlösung: »Kon-Tiki« wippte ruhig ein Ende in die Höhe und hob sich unangefochten in die Luft, während die Wassermassen am Floß vorbeirauschten. Dann sanken wir wieder in ein Wellental und warteten auf die nächste große See. Die größten kamen mit Vorliebe zwei und drei hintereinander, dann kam eine lange Reihe von kleineren. Aber wenn zwei große Wellen allzu dicht hintereinander liefen, dann brach die letzte über das Heck herein, während die erste noch den Bug in die Höhe hob.

Es war daher unverbrüchliches Gesetz, auf Steuerwache ein Tau um den Leib zu haben, dessen anderes Ende am Floß befestigt war, denn es gab keine Reling. Auftrag war, den Achtersteven gegen See und Wind zu wenden und geradewegs aufs Meer zu halten. Wir hatten einen alten Rettungsbootkompaß in einer Kiste achtern montiert, so daß Erich den Kurs kontrollieren und Position und Trift errechnen konnte. Vorläufig war es ungewiß, wo wir uns befanden, denn der Himmel war bewölkt und der Horizont ein einziges Wogenchaos. Zwei Mann zogen immer gleichzeitig auf Wache, und Seite an Seite brauchten sie all ihre Kraft im Kampf mit dem tanzenden Steuerruder, während die anderen in der offenen Bambushütte ein Auge voll Schlaf zu nehmen versuchten. Wenn eine schwere See kam, überließen die zwei die Steuerung dem Tauwerk, sprangen selbst empor und hängten sich an eine Bambusstange am

Hüttenfirst, während die Wassermassen von achtern hervorzischten und zwischen den Stämmen und über die Seiten des Floßes abliefen. Dann mußten sie sofort wieder an das Ruder springen, bevor das Floß sich herumdrehte und das Segel umschlug. Denn hätte die nächste Woge das Floß von der Seite überrascht, dann hätte sie sich geradewegs in die Bambushütte hinein ergossen. Kam sie aber von achtern, so verschwand sie zwischen den auseinander gespreizten Stämmen so rasch, wie sie an Bord gekommen war, und reichte nur selten bis an unsere Hüttenwand heran. Der Vorteil eines Floßes war ganz offenkundig, denn je mehr Zwischenraum, desto besser. Durch die Spalten im Boden strömte das Wasser ab, aber niemals herein.

Um zwölf Uhr nachts passierte ein Schiffslicht in nördlicher Richtung. Schlag drei passierte noch eins mit demselben Kurs. Wir winkten mit unserem kleinen Paraffinlicht und blinkten mit einer Taschenlampe, aber man sah uns nicht, und die Lichter glitten ruhig nach Norden ins Dunkel und verschwanden. Sie ahnten wohl kaum an Bord, daß hier ein quietschlebendiges Inkafloß lag und sich zwischen den Wellen hindurchraufen mußte. Und wir ahnten ebensowenig auf dem Floß, daß dies unser letztes Schiff und unsere letzte Begegnung mit Menschen gewesen war, bevor wir drüben auf der anderen Seite des Meeres ankamen.

Wie Kletten klammerten wir uns in der Finsternis an das Steuerruder und spürten das frische Seewasser aus unseren Haaren rinnen. Das Ruder schlug uns vorn und rückwärts mürbe, und die Fäuste wurden steif in der Umklammerung. Das war eine harte Schule in den ersten Tagen, sie verwandelte uns rasch aus Landratten in Seebären. In den ersten Tagen wechselte jeder Mann unaufhörlich zwischen zwei Stunden Steuerwache und drei Stunden Ruhe. Wir hatten es so eingerichtet, daß jede Stunde ein frischer Posten kam und den ablöste, der schon zwei Stunden gestanden war. Jeder Muskel im Körper war während der Wache bis zum äußersten angespannt, um einigermaßen die Steuerung zu bewältigen. Wenn wir vollständig erschöpft waren vom Drücken des Ruders, so gingen wir auf die andere Seite hinüber und zogen es, und waren Arm und Brust vom Druck wund, nahmen wir den Rücken zu Hilfe. So schlug uns das Ruder auf Brust und Rücken schön gleichmäßig grün und blau. Wenn endlich Ablösung kam, krochen wir halb erstarrt in die Bambushütte, schlangen ein Tau um die Füße und schliefen in den salzigen Kleidern ein, bevor wir noch in den Schlafsack hineinkamen. Und schon zog es wieder brutal am Tau, drei Stunden waren um und wieder mußte man hinaus und einen von den beiden ablösen, die am Steuerruder standen.

In der nächsten Nacht war es noch schlimmer, die See wilder, statt daß sie sich beruhigt hätte. Zwei Stunden ununterbrochenes Raufen mit dem Steuerruder war zu lang. Wir taugten nicht mehr viel in der zweiten Hälfte der Wache, die Seen bekamen Oberhand und schleuderten uns herum wie einen Ball, während das Wasser über Bord schäumte. So gingen wir dazu über, eine Wache von einer Stunde bei eineinhalb Stunden Ruhe einzurichten. Die ersten sechzig Stunden waren ein einziger Kampf gegen ein Chaos von Wogen, die sich auf uns zuwälzten, eine nach der anderen, unaufhörlich, hohe Wellen und niedrige Wellen, spitze Wellen und runde Wellen, schräge Wellen und Wellen oben auf der Spitze von anderen Wellen. Am ärgsten von uns litt Knut. Er war von der Steuerwache befreit, aber dafür mußte er Neptun opfern und duldete schweigend Qualen in einem Winkel der Hütte. Der Papagei saß melancholisch in seinem Käfig, ließ den Schnabel hängen und schlug jedesmal mit den Flügeln, wenn das Floß einen unerwarteten Sprung machte und die Wellen achtern gegen die Wand klatschten. Dabei rollte die »Kon-Tiki« gar nicht so besonders, sie nahm die Seen gelassener als irgendein Boot der gleichen Ausmaße, aber man konnte unmöglich voraussehen, nach welcher Seite sich das Deck das nächste Mal neigen würde, und wir lernten ewig nicht die Kunst, geschickte Seemannsbeine auf das Floß zu stellen, denn es schaukelte nach der Länge soviel wie nach der Quere.

In der dritten Nacht beruhigte sich die See etwas, obgleich der Wind seine Stärke beibehielt. Um vier Uhr kam ein unerwarteter Nachläufer schäumend durch das Dunkel und drehte das ganze Floß herum, bevor die Männer am Steuer zur Besinnung kamen. Das Segel drückte auf die Hütte los und drohte, diese und sich selbst in Fetzen zu zerschlagen. Alle Mann mußten auf Deck. Wir bargen die Last und zogen an Tauen und Pardunen in der Hoffnung, das Floß wieder auf den richtigen Kurs zu bringen, damit das Segel sich wieder füllen und sich friedlich über uns wölben konnte. Aber das Floß wollte sich nicht wieder wenden lassen. Es wollte jetzt rückwärts marschieren und damit basta! Wie immer wir zogen, schoben und herumruderten, das einzige Ergebnis war, daß um ein Haar zwei Mann im Seegang über Bord gegangen wären, als das Segel sie im Dunkel erfaßte. Die See war sichtlich ruhiger geworden. Steif, zerschlagen an allen Gliedern, mit wunden Fäusten und verschlafenen Augen waren wir nicht mehr viele saure Heringe wert. Es war besser, die Kräfte zu sparen, wenn der Sturm einen noch härteren Strauß erfordern sollte, man konnte nie wissen. So fierten wir das Segel und rollten es um die Bambusstange. Die »Kon-Tiki« lag seitlich in den Wellen und nahm sie wie ein Kork. Alles an Bord war vertäut, wir bliesen die Wachen ab, und sechs Mann krochen in die winzige Bambushütte, wo wir uns zusammendrängten und schliefen wie Mumien in einer Sardinenbüchse.

Wir hatten keine Ahnung davon, daß wir uns nun durch die härtesten Steuerwachen der Reise hindurch geschlagen hatten. Erst weit draußen auf dem offenen Ozean kamen wir auf die einfache und geniale Art der Inkas ein Floß zu steuern.

Wir erwachten am hellen Tag, als der Papagei anfing, sich aufzuplustern und Krach zu schlagen und in seinem Käfig auf und ab zu hüpfen. Draußen gingen die Wellen immer noch hoch, aber in langen, gleichmäßigen Kämmen und nicht so willkürlich und stoßweise wie am Tag vorher. Das erste, was wir sahen, war die Sonne, die auf dem gelben Bambusdeck lag und dem ganzen Meer rundum ein leuchtendes und freundliches Aussehen gab. Was tat es schon, wenn der Ozean brauste und wogte, solange er uns nur auf dem Floß in Frieden ließ; was tat es schon, wenn er sich vor unserer Nase hoch in die Luft bäumte, wenn wir wußten, daß das Floß in der nächsten Sekunde drüberhüpfen und den brausenden Kamm ausstreichen würde wie eine Dampfwalze, während der schwere, gefährliche, gläserne Berg selbst uns nur in die Höhe hob und wimmernd und gluckernd unter dem Floßboden dahinrollte. Die alten Meister aus Peru wußten genau, was sie taten, als sie einen hohlen Schiffsrumpf vermieden, der sich mit Wasser füllen konnte, wie auch ein Fahrzeug, das so lang war, daß es nicht über eine Welle nach der anderen reiten konnte. Eine Dampfwalze aus Kork, das war der widerspruchsvolle Effekt unseres Balsafloßes.

Erich nahm unsere Position an der Sonnenhöhe, und wir fanden, daß wir zusätzlich zur Segelfahrt eine gewaltige Abtrift längs der Küste nach Norden hatten. Wir lagen noch im Humboldtstrom, der hier etwa hundert Seemeilen vom Lande dahinzieht. Das große Spannungsmoment bestand darin, wie wir in den unsicheren Stromwirbeln südlich der Galapagos weiterkommen würden. Es konnte schicksalsschwere Folgen haben, denn hier droben konnten wir von kräftigen Meeresströmungen nach allen Richtungen, selbst gegen die Küste von Mittelamerika gefegt werden. Aber ging es wie berechnet, so würden wir mit dem Hauptstrom nach Westen über das Meer treiben, bevor wir die Flöhe der Galapagos erreichten.

Der Wind blies weiterhin genau von Südosten. Wir hißten das Segel, bekamen endlich das Floß mit dem Heck in den Wind und setzten die Steuerwachen fort.

Knut hatte nun endlich die Qualen der Seekrankheit überstanden. Mit Torstein zusammen kletterte er in die schwingende Mastspitze, wo sie mit mysteriösen Radioantennen experimentierten, die sie einmal mit einem Ballon, dann wieder mit Drachen in die Luft steigen ließen. Plötzlich rief einer aus dem Radioverschlag, daß er die Marinestation in Lima höre, die nach uns rief. Sie verständigte uns, daß das Flugzeug des amerikanischen Gesandten von der Küste her unterwegs sei, um uns ein letztes Lebewohl zu sagen und um zu sehen, wie wir uns draußen auf dem Meere ausnahmen. Kurz darauf bekamen wir direkten Kontakt mit dem Funker an Bord des Flugzeugs und wenig später ein zweifellos unerwartetes Zwiegespräch mit der Sekretärin der Expedition, Gerd Vold, die an Bord war. Wir gaben unsere Position so genau wie möglich und sendeten stundenlang Peilungssignale, und die Stimme im Äther wurde stärker oder schwächer, je nachdem ARMY-119 näher oder ferner kreiste und suchte. Aber wir hörten die Maschine nie und sahen ebensowenig das Flugzeug. Das niedrige Floß zwischen den Wellenkämmen zu suchen, war nicht so leicht, und unser eigener Ausblick war zu sehr begrenzt, zum Schluß mußte der Flieger aufgeben und wendete zurück zur Küste. Es war dies das letzte Mal, daß jemand nach uns suchte.

In den folgenden Tagen ging die See hoch, aber die Wellen kamen zischend genau in Reih und Glied von Südosten, und die Steuerung ging bedeutend leichter. Wir nahmen jetzt See und Wind schräg von achtern gegen die Backbordseite, so nahm der Steuermann weniger Wellen über, und das Floß lief ruhiger, ohne sich zu drehen. Wir konstatierten mit Spannung, daß der Südostpassat und der Humboldtstrom uns mit jedem Tag näher an die Wirbel um die Galapagosinseln herantrieben. Und so rasch ging es genau nach Nordwesten, daß unser täglicher Durchschnitt in diesen Tagen bei 55 bis 60 Seemeilen lag, mit einem Rekord von 71 Seemeilen oder über 130 Kilometern an einem einzigen Tag.

»Ist es schön auf den Galapagos?« fragte Knut vorsichtig eines Tages und zeigte auf unsere Karte, wo eine Perlenschnur von Positionen vermerkt war. Die entstandene Figur glich einem Finger, der hämisch auf die verhexten Inseln deutete.

»Kaum«, sagte ich, »der Inka Tupac Yupanqui soll knapp vor der Zeit des Kolumbus von Ecuador nach den Galapagos gefahren sein, aber weder er noch irgendein anderer Eingeborener ließen sich wegen des Wassermangels dort nieder.«

»O. k.«, sagte Knut, »so kommen wir, zum Teufel, hoffentlich auch daran vorbei.«

Wir hatten uns jetzt so daran gewöhnt, daß uns das Meer umschäumte, daß es uns nichts mehr ausmachte. Was hieß es schon, wenn wir ein wenig herumtanzten, tausend Faden Wasser unter uns, solange wir und das Floß ständig obenauf waren. Nur daß hier die nächste Frage auftauchte: Wie lange konnten wir damit rechnen, uns zuoberst zu halten? Es war leicht zu sehen, daß die Balsastämme Wasser zogen. Der letzte Querbalken war schlimmer als die anderen, wir konnten hier die ganze Fingerspitze in das schwammige Holz drücken, so daß das Wasser herausfloß. Insgeheim brach ich ein Stück des durchtränkten Holzes los und warf es über Bord. Es sank ruhig unter die Oberfläche und verschwand langsam hinunter in die Tiefe. Später beobachtete ich, wie verschiedene von den anderen genau dasselbe taten, wenn sie meinten, daß keiner zusah. Dann standen sie und sahen andächtig dem wasserschweren Splitter nach, der ruhig in dem grünen Wasser verschwand.

Als wir starteten, hatten wir die Wasserlinie des Floßes markiert, aber in der unruhigen See war es unmöglich, festzustellen, wie tief wir lagen, denn bald waren die Stämme ganz aus dem Wasser gehoben, bald tauchten sie tief hinein. Aber wenn wir ein Messer in das Holz stießen, so sahen wir zu unserer Freude, daß es etwa einen Zoll unter der Oberfläche trocken zu werden begann. Wir rechneten aus: Wenn das Wasser in derselben Geschwindigkeit weiter eindrang, so würde das Floß erst in der Zeit eben unter der Wasserfläche verschwinden, in der wir auch rechnen konnten, uns dem Lande zu nähern. Aber wir hofften, daß der Saft weiter drinnen als Imprägnierung wirken und damit die Wasseraufnahme bremsen würde. Aber noch eine andere Gefahr spukte während der ersten Wochen ein wenig in unseren Hirnen: das Tauwerk. Bei Tag waren wir so beschäftigt, daß wir wenig darüber nachdachten, aber wenn die Dunkelheit einbrach und wir in unsere Kojen auf den Hüttenboden krochen, bekamen wir mehr Zeit, nachzudenken, zu fühlen und zu horchen. Da lagen wir dann, jeder auf seinem Strohsack, und konnten spüren, wie die Binsenmatte im Takt mit den großen Stämmen unter uns auf und nieder ging. Außer den Bewegungen des ganzen Floßes verschoben sich alle Bohlen auch untereinander, wenn die eine emporstieg, sank die andere in ruhig wogender Bewegung hinab. Sie bewegten sich nicht viel, aber es genügte, daß man sich wie auf dem Rücken eines großen, atmenden Tieres liegen fühlte, und wir zogen es vor, in der Längsrichtung eines Stammes zu liegen. Die ersten zwei Nächte waren die schlimmsten, aber damals waren wir zu müde, um uns darum zu scheren. Später quollen die Taue im Wasser auf und hielten die neun Stämme mehr in Ruhe. Aber es war trotzdem nie ein Stückchen an Bord, das sich in Bezug auf seine Umgebung ganz ruhig verhielt. Wie sich die Unterlage in ihren Gelenken bewegte und verschob, so folgte alles andere mit, das Bambusdeck, der Doppelmast, die vier geflochtenen Wände der Hütte und das Sprossendach mit den Blättern darauf, alles war nur zusammengebunden und drehte und hob sich in entgegengesetzten Richtungen. Es war fast unmerklich, aber deutlich genug: Ging das eine Eck empor, dann ging das andere hinunter, und drehte die eine Hälfte des Daches alle Sprossen nach vorn, so drehte die andere Hälfte die ihren nach hinten. Sahen wir durch die offene Seite hinaus, so gab es noch mehr Leben und Bewegung, denn da drehte sich der Himmel ruhig im Kreise, während das Wasser hoch in die Luft sprang. Das Tauwerk hatte den ganzen Druck auszuhalten. Während der Nacht konnten wir es knirschen und kreischen, knacken und schreien hören. Es war wie ein einziger Klagechor im Dunkel, wobei jedes Tau mit seiner Stimme verkündete, wie belastet es war und wie stramm es saß. Jeden Morgen nahmen wir eine gründliche Untersuchung der Taue vor. Wir ließen uns kopfüber über die Floßkante ins Wasser hinab, wobei zwei Mann uns krampfhaft an den Knöcheln festhielten, um zu sehen, ob die Taue auf der Unterseite des Floßes in Ordnung waren. Aber das Tauwerk hielt. Vierzehn Tage, hatten die Seeleute gesagt, dann sollten alle geborsten sein. Gleichwohl fanden wir vorläufig nicht das geringste Zeichen einer Auflösung trotz des ganzen Konzerts. Erst weiter draußen auf dem Meer fanden wir die Erklärung dafür: Das Balsaholz war so weich, daß das Tauwerk sich langsam ins Holz schnitt und so geschützt wurde, statt daß die Taue zwischen den Stämmen zerrieben wurden.

Nach acht Tagen bekamen wir ruhigere See und merkten, daß die Farbe des Meeres blau statt grün geworden war. Wir begannen Westnordwest zu treiben statt genau nach Nordwesten. Das galt uns als erstes schwaches Zeichen, daß wir aus der Küstenströmung herausgekommen waren. Damit hatten wir Hoffnung, direkt auf den Ozean getrieben zu werden.

Schon am ersten Tag, an dem wir allein dem Meer überlassen wurden, hatten wir Fische um das Floß beobachtet, aber wir waren zu sehr mit der Steuerung beschäftigt, um ans Fischen zu denken. Am nächsten Tag kamen wir mitten in einen dichten Sardinenschwarm, und kurz danach kam ein acht Fuß langer Blauhai und wälzte sich im Wasser, den weißen Bauch in der Luft, während er gegen den Achtersteven strich, wo Hermann und Bengt barfüßig in den Wellen standen und steuerten. Er trieb sich eine Zeitlang um uns herum, verschwand aber, als wir die Handharpune klar bekamen. Am nächsten Tag bekamen wir Besuch von Thunfischen, Bonitos und Dolfinen, und ein fetter fliegender Fisch landete an Bord. Wir verwendeten ihn sofort als Köder und zogen darauf zwei große Dolfine (Eldoradofische) herauf, von den der eine zehn, der andere fünfzehn Kilogramm wog. Das gab Essen für mehrere Tage. Auf den Steuerwachen konnten wir viele Fische sehen, die wir nicht einmal mit Namen kannten, und eines Tages kamen wir in einen Schwarm von Springwalen, der anscheinend gar kein Ende nehmen wollte. Die schwarzen Rücken drängten sich dicht an die Seite des Floßes, von überall kamen sie über das Meer herauf, soweit wir von der Mastspitze sehen konnten. Je weiter wir gegen den Äquator und fort von der Küste kamen, desto alltäglicher wurden die fliegenden Fische. Als wir endlich in das blaue Wasser hinaus kamen, wo sich das Meer majestätisch einher wälzte, sonnenbeleuchtet und friedlich, leicht vom Winde gekräuselt, da konnten wir sie wie einen Regen von Projektilen leuchten sehen, die aus dem Wasser herausschössen und in gerader Linie dahinflogen, bis ihr Schwung aufgebraucht war und sie wieder unter der Oberfläche verschwanden.

Stellten wir in der Nacht die winzige Paraffinlampe hinaus, so wurden die fliegenden Fische vom Licht angelockt, und große und kleine Exemplare sausten quer über das Floß. Oft trafen sie die Hütte oder das Segel und trudelten hilflos auf Deck herunter. Denn ohne den Schwung, mit dem sie durch das Wasser schwammen, lagen sie nur zappelnd wie großäugige Heringe mit langen Brustflossen da. Es konnte geschehen, daß wir plötzlich die saftigen Flüche eines Mannes an Deck hörten, wenn er unerwartet einen fliegenden Fisch mit guter Fahrt ins Gesicht geklatscht bekam. Die kamen immer mit guter Fahrt und das Maul voran, und es verging einem Hören und Sehen, wenn man sie mitten ins Gesicht bekam. Aber der unverschuldete Angriff wurde von dem Geschädigten rasch vergeben, denn trotz allem war hier das Schlaraffenland des Meeres, wo prächtige Fischgerichte statt gebratener Tauben durch die Luft sausten. Wir brieten sie zum Frühstück, und sei es, daß es der Fisch, der Koch oder der Appetit war, sie erinnerten uns jedenfalls an gebratene kleine Forellen, wenn wir nur die Schuppen abschrappten.

Es war des Kochs erste Pflicht, nach dem Wecken auf Deck zu gehen und all die fliegenden Fische zu sammeln, die dort im Verlaufe der Nacht gelandet waren. Es waren oft ein halbes Dutzend oder mehr, eines Morgens fanden wir sechsundzwanzig fette fliegende Fische auf dem Floß. Es war Knuts ewiger Ärger, daß ihn, als er eines Morgens die Bratpfanne schwang, ein fliegender Fisch nur an der Hand traf, statt ins Bratenfett zu springen.

Unsere intime Nachbarschaft mit dem Meer ging Torstein das erstemal richtig auf, als er eines Morgens erwachte und eine Sardine auf dem Kopfpolster fand. Es war so eng in der Hütte, daß Torstein mit seinem Kopf in der Türöffnung lag und alle ins Bein biß, die ihm unversehens ins Gesicht trampelten, wenn sie nachts hinaus mußten. Er ergriff die Sardine am Schwanz und vertraute ihr verständnisvoll an, daß alle Sardinen seine volle Sympathie besäßen. Wir zogen pflichtschuldigst unsere Füße an den Leib, daß Torstein in der nächsten Nacht besser Platz bekam, aber da geschah etwas, was ihn veranlaßte, sich einen Schlafplatz mitten auf unserer gesamten Küchenausrüstung hinten im Radiowinkel zu suchen.

Es war einige Nächte später. Der Himmel hatte sich bezogen, und es war stockfinster. Torstein hatte die Paraffinlampe gleich neben seinen Kopf gestellt, damit die Nachtwachen sehen konnten, wohin sie stiegen, wenn sie beim Wachwechsel über seinen Kopf aus- und einkrochen. Gegen vier Uhr erwachte Torstein, weil das Licht umfiel und etwas Kaltes und Nasses ihm um die Ohren klatschte.

Na, ein fliegender Fisch, dachte er und tappte im Dunkeln danach, um ihn fortzuschleudern. Er bekam etwas Langes, Feuchtes zu fassen, das sich wie eine Schlange ringelte. Er fuhr zurück, als ob er sich verbrannt hätte. Der unsichtbare Nachtbesucher entglitt in Richtung auf Hermann, während Torstein versuchte, die Lampe anzuzünden. Hermann fuhr ebenfalls in die Höhe, und damit erwachte auch ich und dachte gleich an die Riesenkraken, die in der Nacht in diesen Gewässern emporsteigen.

Als wir Licht in die Lampe bekamen, saß Hermann triumphierend, die Faust um den Nacken eines langen, dünnen Fisches geklammert, der sich wie ein Aal in seinen Händen wand. Der Fisch war einen Meter lang, dünn wie eine Schlange, mit großen schwarzen Augen und einer spitzen Schnauze mit einem Räubermaul voll langer, scharfer Zähne. Die Zähne waren messerscharf und konnten in den Gaumen umgelegt werden, wenn er schlucken wollte. Unter Hermanns Griff würgte er plötzlich einen großäugigen weißen Fisch, etwa zwanzig Zentimeter lang, aus Magen und Maul heraus, und kurz darauf kam noch einer von derselben Art hervor. Es waren ersichtlich zwei Tiefseefische, die von den Zähnen des Schlangenfisches stark mitgenommen waren. Die dünne Haut des Schlangenfisches war blauviolett am Rücken und stahlblau an der Unterseite und löste sich unter dem Griff in Fetzen los.

Endlich erwachte Bengt von dem Aufruhr, und wir hielten die Lampe und den langen Fisch unter seine Nase. Er setzte sich blinzelnd in seinem Schlafsack auf und sagte sanft:

»Nein. So ein Tier gibt es gar nicht.« Worauf er sich ruhig wieder niederlegte und weiterschlummerte.

Es fehlte nicht viel, daß Bengt recht gehabt hätte. Es zeigte sich nämlich später, daß wir sechs, die wir rund um das Licht in der Bambushütte saßen, die ersten waren, die diesen Fisch lebenden Leibes gesehen hatten. Nur das Skelett eines solchen war an der Küste von Südamerika und auf den Galapagosinseln ein paar Mal gefunden worden, und die Ichthyologen nannten ihn Gempylus oder Schlangenmakrele und glaubten, daß er in großen Meerestiefen lebte, weil noch keiner ihn bisher lebend gesehen hatte. Aber wenn er in großer Tiefe lebte, so mußte das jedenfalls am Tag sein, wenn die Sonne die mächtigen Augen blendete, denn in den dunklen Nächten war Gempylus hoch über der Oberfläche des Meeres auf Jagd. Das bekamen wir auf dem Floß zu erfahren.

Acht Tage später, nachdem der seltene Fisch in Torsteins Schlafsack gelandet war, bekamen wir einen neuen Besuch. Wieder war es Schlag vier am Morgen, der neue Mond war verschwunden, und es war dunkel, aber sternenklar. Das Floß war einfach zu steuern, und als meine Wache vorüber war, unternahm ich einen kleinen Ausflug entlang der Kante, um zu sehen, ob zur Wachablösung alles in Ordnung war. Ich hatte ein Tau um den Leib, wie es die Wache immer hatte, und mit der Paraffinlampe in der Hand balancierte ich vorsichtig auf dem äußersten Seitenstamm, um am Mast vorbeizukommen. Der Stamm war naß und glatt, daher war ich höchst erbittert, als jemand ganz unerwartet das Seil hinter mir ergriff und daran zog, so daß ich um ein Haar das Gleichgewicht verloren hätte. Erzürnt wendete ich mich mit dem Licht um, aber es war keine Seele zu sehen. Da zog und zerrte es wieder am Tau, und ich sah etwas Schimmerndes an Deck liegen und sich winden. Es war ein neuer Gempylus, und dieses Mal hatte er seine Zahnreihen so tief in das Rettungstau geschlagen, daß viele von den Zähnen brachen, bevor ich ihn losbekam. Vermutlich hatte das Licht der Lampe auf dem weißen, sich windenden Tau geglänzt, und unser Gast aus der Meerestiefe hatte einen Satz gemacht in der Hoffnung, einen extralangen und leckeren Bissen zu schnappen. Aber das Unternehmen endete in einer Kanne Formalin.

Das Meer bietet viele Überraschungen für den, der seinen Fußboden in Höhe des Wasserspiegels hat und langsam und lautlos dahintreibt. Ein Jäger, der sich seinen Weg durch den Wald bahnt, kann nach Hause kommen und erzählen, daß es nichts Lebendiges zu sehen gab, und ein anderer kann sich lautlos auf einen Baumstumpf setzen und warten; da beginnt es oft zu rascheln und zu knacken, und neugierige Augen sehen hervor. So ist es auch auf dem Meer. Wir durchpflügen es meist mit Motorlärm und Kolbenstampfen, daß das Wasser nur so um den Bug sprüht. Dann kommen wir zurück und sagen, daß es mitten auf dem Meer nichts zu sehen gibt. Es verging kein Tag, ohne daß wir auf der Meeresfläche Besuch von neugierigen Gästen bekamen, die uns umkreisten, und einzelne davon, wie Dolfine und Lotsenfische, wurden so zutraulich, daß sie dem Floß Gefolgschaft leisteten über das Meer und sich Tag und Nacht um uns hielten.

Wenn die Nacht einfiel und die Sternenwelt an dem dunklen Tropenhimmel funkelte, da blinkte das Meerleuchten rund um uns um die Wette mit den Sternen, und vereinzeltes, leuchtendes Plankton sah aus wie runde, glühende Kohlen, so daß wir unwillkürlich unsere bloßen Füße anzogen, wenn die leuchtenden Kugeln aufs Achterdeck heraufgespült wurden. Fingen wir sie, so waren es kleine, leuchtende Garnelenarten. In solchen Nächten erschraken wir oft, wenn zwei runde leuchtende Augen plötzlich dicht neben dem Floß aus der See tauchten und uns wie hypnotisiert anstarrten, als gehörten sie dem Nöck persönlich. Oft stiegen Tintenfische empor und schwammen mit ihren teuflischen grünen Augen, die im Dunkeln wie Phosphor leuchteten, auf der Oberfläche. Aber es kam auch vor, daß die leuchtenden Augen Tiefseefischen gehörten, die nur in der Nacht emporstiegen und fasziniert auf den Schein vor ihnen starrten. Bei einigen Gelegenheiten, wenn die See ruhig war, füllte das nachtschwarze Wasser um das Floß sich plötzlich mit runden Köpfen, zwei bis drei Fuß im Durchmesser, die bewegungslos dalagen und uns mit ihren dicken, leuchtenden Augen anglotzten. In anderen Nächten konnten Leuchtkugeln, einen Meter oder mehr im Durchmesser, unten im Wasser sichtbar werden, während es in kurzen Zwischenräumen aufblitzte wie elektrische Lampen, die für ein kurzes Blinken angezündet wurden.

Nach und nach gewöhnten wir uns daran, solche unterirdische oder besser unterseeische Wesen unter dem Fußboden zu haben, aber wir waren trotzdem immer ein wenig überrascht, wenn sie in einer neuen Ausgabe auftauchten. In einer bewölkten Nacht gegen zwei Uhr, als die Ruderwache es schwer hatte, das schwarze Wasser vom schwarzen Himmel zu unterscheiden, bekam sie ein schwaches Leuchten drunten im Wasser zu Gesicht, das langsam die Form eines großen Tieres annahm. Es war unmöglich zu sagen, ob es das Plankton war, das auf seinem Körper leuchtete, oder ob das Tier selbst eine phosphoreszierende Oberfläche hatte, aber der Schein drunten im schwarzen Wasser gab dem spukhaften Wesen unsichere und fließende Konturen, bald war es rund, bald schien es oval oder dreikantig, und plötzlich spaltete es sich in zwei Teile, die unabhängig voneinander unter dem Floß hin und her schwammen. Zum Schluß waren es drei von diesen dicken, leuchtenden Spukwesen, die in langsamen Runden unter uns wegzogen. Es waren richtige Ungeheuer, denn die Körper allein maßen ihre sechs bis acht Meter, und wir versammelten uns rasch auf Deck, um alle Mann diesen Gespenstertanz zu beobachten. Er dauerte Stunde um Stunde und folgte dem Floß in seiner Bewegung. Geheimnisvoll und lautlos hielten sich unsere leuchtenden Gefolgsleute ein gutes Stück unter der Wasseroberfläche, meist auf Steuerbord, wo die Lampe war, aber oft standen sie auch direkt unter dem Floß oder kamen auch auf der Backbordseite hervor. Der Lichtschein auf dem Rücken verriet, daß diese Bestien größer als Elefanten waren, aber Walfische waren es nicht, da sie nie an die Oberfläche kamen, um zu verschnaufen. Waren es ungeheure Kraken, die ihre Form veränderten, wenn sie sich auf die Seite wälzten? Sie ließen sich nicht verleiten, wenn wir das Licht dicht an die Wasserfläche hielten, um sie heraufzulocken. So blieb es uns unklar, was für eine Art Geschöpfe sie waren. Und wie alle zünftigen Zauberer und Spukwesen waren sie im Meer versunken, als der Tag zu grauen begann. Wir bekamen nie eine ausreichende Erklärung dieses nächtlichen Besuches der drei leuchtenden Ungeheuer, wenn die Lösung nicht in einem anderen Besuch lag, den wir bei strahlender Sonne eineinhalb Tage später bekamen.

Es war der 24. Mai, und wir lagen und trieben in den behaglichen Dünungen ungefähr 95 Grad West und 7 Grad Süd. Es war um die Mittagszeit, und wir hatten die Innereien von zwei großen Dolfinen über Bord geworfen, die wir im Morgengrauen gefangen hatten. Ich gab deshalb scharf acht, während ich am Bug zu einem erfrischenden Bad untertauchte, und hielt mich an einem Tauende fest. So bekam ich einen zwei Meter langen, dicken, braunen Fisch zu Gesicht, der neugierig durch das kristallklare Seewasser gerade auf mich zukam. Ich war rasch auf der Floßkante, saß im Sonnenschein und sah dem Fisch nach, der uns ruhig passierte, als ich ein wildes Kriegsgeheul hörte, das Knut achtern hinter der Bambushütte ausstieß. Er brüllte: »Hai!«, daß sich seine Stimme in Fisteltönen brach, und da wir fast täglich Haie längs der Floßseite erlebten ohne solches Theater, schien uns allen, daß es etwas Besonderes sein mußte, und wir eilten nach achtern. Hier hatte Knut in Hocke gesessen und seine Unaussprechlichen in den Wellen gewaschen, und als er einen Augenblick aufsah, blickte er gerade in das größte und häßlichste Antlitz, das einer von uns jemals in seinem Leben gesehen hatte. Es war dies der Schädel eines richtiggehenden Seeungeheuers, so groß und scheußlich, daß selbst ein Gespenst aus der Tiefe keinen entsprechenden Eindruck auf uns gemacht hätte. Der Schädel war breit und flach wie der eines Frosches, mit kleinen Augen auf den Seiten und einem krötenartigen Maul, das eineinhalb Meter breit war und lange Fransen hatte, die herabhingen und in die Mundöffnung hineinflatterten. Nach rückwärts setze sich der Schädel in einen ungeheuerlichen Körper fort, um schließlich in einem langen, dünnen Schwanz zu enden. Die spitze Schwanzflosse, die senkrecht in die Höhe stand, verriet, daß dieses Seeungeheuer kein Wal irgendeiner Gattung war. Der Körper wirkte bräunlich unter dem Wasser, aber Schädel und Körper waren dicht mit kleinen, weißen Flecken besetzt. Das Monstrum kam uns ruhig und schläfrig von rückwärts nachgeschwommen. Es blinzelte wie eine Bulldogge und schlug ruhig mit dem Schwanz. Die große, runde Rückenflosse stand frei aus dem Wasser und manchmal auch die Schwanzflosse. Wenn ein Wellental kam, umspülte das Wasser den breiten Rücken wie eine Schäre. Vor dem breiten Maul schwamm ein ganzer Schwärm von zebraartig gestreiften Lotsenfischen in Fächerformation, und große Remorafische und andere Parasiten saßen festgesaugt auf dem gewaltigen Körper und ritten auf ihm durch das Wasser. Das Ganze bildete eine wunderliche Tiergemeinschaft, die sich um etwas scharte, das einer schwimmenden Unterwassserklippe glich.

Ein zehn Kilogramm schwerer Dolfin hing an sechs unserer größten Fischhaken hinter dem Floß als Köder für den Hai. Ein Schwarm von Lotsenfischen peilte direkt drauf los und roch an dem Dolfinkadaver, ohne daran zu rühren, worauf sie zurückschwänzelten zu ihrem Herrn und Meister, dem Seekönig. Wie bei einem mechanischen Ungetüm setzte sich die ungeheure Maschinerie in Gang und kam bedächtig auf das Dolfinfleisch zugeglitten, das wie ein kleiner, erbärmlicher Kosthappen vor seinem Maul hing. Wir versuchten, den Dolfin hereinzuziehen, und das Seeungeheuer folgte langsam nach bis an die Seite des Floßes. Ohne das Maul zu öffnen, ließ es den Dolfin vorsichtig hineingleiten, als würde es für einen so unbedeutenden Bissen nicht das ganze Scheunentor auftun. Als der Riese damit ganz ans Floß herankam, rieb er den Rücken an dem schweren Steuerruder, hob es aus dem Wasser, und wir bekamen Gelegenheit, das Monstrum aus nächster Nähe zu studieren, auf so kurze Distanz, daß ich glaubte, wir hätten alle den Verstand verloren, denn wir lachten laut auf und schrien erregt über den vollständig unglaublichen Anblick, den wir bekamen. Selbst Walt Disney mit all seiner Phantasie konnte kein groteskeres Untier schaffen als das, das plötzlich mit seinem Maul an der Floßkante lag und uns anblinzelte.

Das Ungeheuer war ein Walhai, der größte Hai und der größte Fisch überhaupt, der heutzutage in der Welt bekannt ist. Er ist außerordentlich selten, aber vereinzelte Exemplare wurden hier und da in den tropischen Weltmeeren beobachtet. Der Walhai wird durchschnittlich fünfzehn Meter lang und wiegt nach Meinung der Zoologen fünfzehn Tonnen. Man glaubt, daß große Exemplare sogar zwanzig Meter erreichen können, und ein harpuniertes Walhaibaby hatte eine Leber von dreihundert Kilogramm und eine Sammlung von dreitausend Zähnen in dem breiten Maul.

So gewaltig war das Monstrum, daß der Schädel auf der einen Seite sichtbar war, wahrend die ganze Schwanzpartie auf der anderen aus dem Wasser ragte, als es uns zu umkreisen begann. Und so unwahrscheinlich grotesk, träge und dumm sah das Gesicht aus, daß wir uns nicht enthalten konnten, in Gelächter auszubrechen, obwohl wir sahen, daß die Bestie Muskelstränge genug hatte, um Balsastämme und Tauwerk in Stücke zu schlagen, wenn sie uns angriff. Wieder und wieder zog sie in engem Kreis gleichmäßig um das Floß, während wir warteten, was geschehen würde. So glitt sie gemütlich unter das Steuerruder, hob es in die Luft, während das Ruder den Rücken entlangglitt.

Oben: Ein seltsamer Schlafgenoß. Das erste Mal erblickt ein menschliches Auge die Schlangenmakrele Gempylus, als diese eines Nachts in Torstein Raabys Schlafsack Unterschlupf sucht.

Unten: Der gelbflossige Thunfisch lädt zum Angelsport ein.



Wir standen mit Handharpunen bereit rund um das Floß, aber sie wirkten wie Zahnstocher im Verhältnis zu dem enormen Biest, mit dem wir es zu tun hatten. Nichts deutete darauf, daß der Walhai uns je wieder zu verlassen gedachte. Er zirkelte uns ein und folgte uns wie ein treuer Hund dicht neben dem Floß. Etwas Entsprechendes hatte keiner von uns weder erlebt, noch auch gedacht, je zu erleben, und das ganze Abenteuer mit dem Seeungeheuer, das um das Floß schwamm, wirkte so unnatürlich auf uns, daß wir gar nicht richtig erfaßten, wie ernst die Lage war. In Wirklichkeit zog der Walhai seine Kreise nur eine kurze Zeit um uns, aber auf uns wirkte der Besuch, als dauerte er schon einen ganzen Tag. Zum Schluß wurde es Erich, der auf der Ecke des Floßes stand, zuviel, und von unbedachten Zurufen aufgemuntert, hob er die zweieinhalb Meter lange Handharpune hoch. Während der Walhai in langsamer Fahrt auf ihn zugeglitten kam und seinen breiten Kopf gerade unter der Ecke des Floßes hatte, rammte Erich die Harpune mit allen seinen Riesenkräften gerade hinunter zwischen seine Fuße und tief hinein in den Schädelknorpel des Riesenhais. Es dauerte eine oder zwei Sekunden, bevor der Riese richtig begriffen hatte, was vor sich ging. Aber dann war der langsame Idiot plötzlich in einen Berg von Stahlmuskeln verwandelt. Wir hörten ein Sausen, als die Fangleine über die Floß kante fuhr, und sahen eine Wasserkaskade, als der Riese sich auf den Kopf stellte und in die Tiefe hinunterraste. Die drei, die zunächst standen, wurden kopfüber umgerissen, und zwei davon wurden von der Leine, die durch die Luft zischte, aufgewetzt und verbrannt. Die dicke Fangleine, die stark genug war, ein Rettungsboot festzuhalten, verklemmte sich an der Floßseite, barst aber augenblicklich wie ein Bindfaden, und wenige Sekunden später schwamm ein abgebrochener Harpunenschaft zweihundert Meter weiter an der Oberfläche. Ein Schwarm von schreckgeschlagenen Lotsenfischen jagte durch das Wasser in dem verzweifelten Versuch, ihrem alten Herrn und Meister zu folgen, und wir warteten lange, daß das Ungeheuer zurückgefahren käme wie ein rasendes U-Boot, aber wir sahen nie mehr etwas von dem Walhai.

Um diese Zeit lagen wir mitten im Südaquatorialstrom und trieben in westlicher Richtung ungefähr 400 Seemeilen südlich vor den Galapagos. Wir waren nun sicher davor, in die Galapagosströmungen hineinzutreiben, und das einzige, was wir von dieser Inselgruppe merkten, waren große Seeschildkröten, die sich so weit auf offene See hinaus verirrt hatten. Eines Tages sahen wir einen dicken Brocken von See-Schildkröte, deren Kopf und eine Flosse über der Wasseroberfläche herumschlugen. In der Dünung erkannten wir, daß es grün und blau und gelb im Wasser darunter blinkte und begriffen, daß die Schildkröte mit Dolfinen um ihr Leben kämpfte. Ersichtlich war der Kampf ganz einseitig und bestand darin, daß zwölf bis fünfzehn großköpfige und farbenprächtige Dolfine Hals und Flossen der Schildkröte angriffen und augenscheinlich versuchten, sie zu ermüden, da die Schildkröte nicht tagelang mit Kopf und Gliedern in die Schale eingezogen liegen kann.

Als die Schildkröte das Floß zu Gesicht bekam, tauchte sie und, gefolgt von den glänzenden Fischen, setzte sie Kurs gerade auf uns zu. Sie kam dicht neben dem Floß empor und machte Anstalten, auf die Stämme heraufzukriechen, als sie unser ansichtig wurde, die wir auf dem Floß bereitstanden. Wären wir routinierter gewesen, hätten wir sie ohne Schwierigkeit mit einem Tau hereinziehen können, als der lange Rückenschild ruhig neben dem Floß entlangglitt. Aber wir brauchten die entscheidene Zeit zum Gaffen, und bis wir das Lasso klar hatten, hatte die Riesenschildkröte bereits den Bug passiert. Wir setzten unser winziges Gummifloß ins Wasser, und Hermann, Bengt und Torstein begannen, die Seeschildkröte in der runden Nußschale zu verfolgen, die nicht größer war als das, was vor ihnen schwamm. Bengt als Steward träumte bereits von einem unerschöpflichen Fleischfaß und leckerster Schildkrötensuppe, aber je rascher sie ruderten, desto schneller glitt die Schildkröte dicht unter der Oberfläche durch das Wasser, und sie waren noch keine hundert Meter vom Floß entfernt, als die Schildkröte plötzlich spurlos verschwand. Aber ein gutes Werk hatten sie auf jeden Fall damit getan, denn als das winzige buttergelbe Gummiboot über den Wasserspiegel zurückgetanzt kam, hatte es den ganzen blinkenden Schwärm von Dolfinen hinter sich. Die schlossen einen Ring rund um die neue Schildkröte, und die dreistesten schnappten nach den Ruderblättern, die wie Flossen ins Wasser tauchten.

Inzwischen entschwand die friedliche Seeschildkröte, glücklich befreit von allen ihren gemeinen Verfolgern.

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